handout 17.01.03 (pdf) - Ethnologisches Seminar
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1871 wird das Anthropological Institute of Great Britain and Ireland gegründet (ab 1907 Royal Anthropological<br />
Institute), welches seine Wurzeln in der oben erwähnten Aborogines Protective Society hat. Verschiedene<br />
Vorstösse an die britische Regierung zur praktischen Anwendung der Ethnologie erfolgen - vorerst<br />
allerdings ohne Früchte zu tragen.<br />
Die Verbindung von akademischem Wissen und kolonialer Praxis erfolgt erst ab etwa 1900, als nach Aufständen<br />
in Madagaskar, Marokko und Schwarzafrika die koloniale Euphorie verfliegt. Nun werden auf Drängen von<br />
Sir Temple ethnologische Kurse als Diplom-Zusatzausbildung für zukünftige Kolonialbeamte an Universitäten<br />
angeboten (1905 erstmals in Oxford, später z.B. auch ab 1923 Malinowski an der London School of Economics<br />
und Radcliffe-Brown an den Universitäten Kapstadt und Sydney). 1923 bieten bereits 11 britische Universitäten<br />
Kurse an. Die in Indien bereits erprobte Indirect Rule (indirekte Herrschaft) wird durch Lord Lugard<br />
nach der Eroberung Nordnigerias (Kalifat von Sokoto) um 1900 erstmals in Afrika und dann 1914 (problematischerweise)<br />
auch in Süd- und Südostnigeria eingeführt. Verschiedene andere britische Kolonien in Afrika beginnen<br />
nach dem 1. Weltkrieg ebenfalls die Indirect Rule einzusetzen (in Ostafrika durch Sir Cameron).<br />
2.1. Indirect Rule und British Social Anthropology/Funktionalismus<br />
Die Indirect Rule hat mit der Einsetzung eines einheimischen Führers das Ziel, Verwaltungskosten zu sparen<br />
sowie Unruhen und Unzufriedenheit unter den Kolonisierten vorzubeugen. Eine solches Herrschaftssystem setzt<br />
kulturelle Kenntnisse über die Kolonisierten voraus, weshalb die Bedeutung der Ethnologie in England – immer<br />
relativ gesehen - zwangsläufig zunimmt. Dies einigermassen im Gegensatz zu Frankreich, der anderen grossen<br />
Kolonialmacht in Afrika, welche offiziell das System der direkten Herrschaft und damit der ursprünglich relativ<br />
rasch geplanten Assimilation beibehält (Ideale der Franz. Revolution). Nach dem 1. Weltkrieg folgt aber auch<br />
hier eine sog. politique indigène, das Pendant zur Indirect Rule, und es wird nur noch die lockere ”association”<br />
angestrebt (allerdings ohne grossen Einbezug der franz. Ethnologie). In den 1920er Jahren löst der Funktionalismus<br />
(British Social Anthropology) in GB Evolutionismus und Diffusionismus ab. Dies u.a. auch, weil der<br />
Funktionalismus eine zumindest theoretische Lösung für einen gelenkten (exogenen) Kulturwandel hat anbieten<br />
können und mit seiner ahistorischen Perspektive einiges besser für die Fragen der Kolonialadministration geeignet<br />
schien. Ausserdem hat Malinowski bezüglich der praktischen Anwendung seines Funktionalismus der Kolonialadministration<br />
viel versprochen (Etablierungsstrategie). Malinowskis Funktionalismus sieht die Gesellschaft<br />
in gewisser Weise als ein geschlossenes System, das sich durch soziale Institutionen, welche letztendlich<br />
die biologischen Bedürfnisse der Angehörigen einer Gesellschaft befriedigen, im Gleichgewicht befindet. Will<br />
man nun einen gelenkten Kulturwandel erfolgreich durchführen, so muss nach dem funktionalistischen Lösungsansatz<br />
für die zu ersetzende Institution eine neue und bezüglich der Bedürfnisbefriedigung gleichwertige<br />
Institution eingeführt werden. Funktionalistisch gesehen sollte auf diese Weise die sogenannte Desintegration,<br />
ein Verlieren des Equilibriums und die damit einhergehende Funktionsuntüchtigkeit einer Gesellschaft, verhindert<br />
werden. Eine Desintegrationsgefahr wurde vor allem bei zu schnellem, plötzlichen Kulturwandel gesehen,<br />
und die Indirect Rule wurde von Funktionalisten im Hinblick auf die Direct Rule als besseres Instrument gesehen,<br />
um ein adäquates Tempo zu finden. Sich nicht anpassende Gesellschaften würden verschwinden, ist sich<br />
Malinowski sicher gewesen. Anpassungs- und funktionsfähige Institutionen sollten beim Wandel jedoch geschützt<br />
werden. Entgegen der Kolonialadministration mit ihren Assimilationszielen wollte Malinowski den kolonialen<br />
Kulturwandel als ein give and take sehen, in welchem die Kolonisierten auch einen aktiven Part einnehmen<br />
(aktive Aneignung/Adoption) und schliesslich die kulturellen Werte der Kolonisierten trotz dem Wandel<br />
ihrer Gesellschaften erhalten bleiben (Man könnte diesen Rettungsversuch etwas provokant auch als einen<br />
Egoismus des Ethnologen Malinowski interpretieren). Malinowski strebte dabei besonders die Untersuchung<br />
des Kulturkontakts (culture contact) an, d.h. den Kulturwandel und mit ihm auch das gegenseitige Wechselspiel<br />
zwischen Kolonisierten und Kolonisierern. Die koloniale Situation war für Malinowski – vergleichbar mit<br />
der Industrialisierung Europas - kein Sonderfall, was den kulturellen/sozialen Wandel allein betrifft: Die Kolonien<br />
wurden von den Funktionalisten in gewisser Weise als Laboratorien des kulturellen Wandels betrachtet, an<br />
welchen man universelle Gesetze des Kulturwandels erforschen und empirisch überprüfen konnte. Begriffe wie<br />
Akkulturation und Kulturwandel waren für die Funktionalisten absolut wertneutral.<br />
2.2. Das International Institute of African Languages and Cultures (London) und das Rhodes-<br />
Livingstone Institute (Nord-Rhodesien)<br />
Bereits in den 30er Jahren wurde die ökonomische und administrative Entwicklung der Kolonien in die policy<br />
der britischen Regierung aufgenommen (wohl als Folge der Weltwirtschaftskrise 1929, welche auch die Exportwirtschaft<br />
der Kolonien schwer traf.). Die Gelder flossen nun reichlicher zu den im nachfolgenden erwähnten<br />
Institutionen.<br />
1926 wird das International Institute of African Languages and Cultures (London) zusammen mit europ.<br />
Missionen und europ. Universitäten gegründet. Unter den Gründern sind auch Malinowski, Lord Lugard, Edwin<br />
Smith (Missionarsethnologe), Lévy-Bruhl, Pater Schmidt, Seligman etc. . Die Aufgaben des Instituts sind der<br />
wissenschaftliche Austausch und die Verbindung von theoretischer Wissenschaft mit Anwendung. Die<br />
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