handout 17.01.03 (pdf) - Ethnologisches Seminar
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5. Lösungsansätze der Nachkriegszeit zu Problemen Angewandter Ethnologie: Aktionsethnologie und reziproke<br />
(dialogische) Ethnologie<br />
Während eine ”klinische” Richtung (streng objektiv/Wertenthaltung) noch die Beschränkung des/der EthnologIn<br />
auf die (passive) Beratungstätigkeit und das Aushändigen von Instrumenten, des erarbeiteten Materials an<br />
die Erforschten gefordert hat, gehen Aktionsethnologie und reziproke Ethnologie andere Wege. Die Action<br />
Anthropology (früher auch Liberation oder Committed Anthropology) wurde während des ”Fox-Projekts” (Fox<br />
= Mesquakie in Tama, Iowa) zwischen 1948 – 1958 entwickelt. Sol Tax und seinen Studenten wandelten ihr<br />
Feldforschungsausbildungsprogramm zu einem Unterstützungsprogramm für die Fox um. Action Anthropology<br />
stellte einen Gegenentwurf zur bisherigen Angewandten Ethnologie dar. Sie arbeitet ebenfalls problemorientiert,<br />
aber die Definitions- und Entscheidungsmacht über Probleme und Lösungswege liegt nicht bei einer Regierung/Organisation<br />
oder einem Ethnologen, sondern bei der ”target group” selbst. Unbeabsichtigte Schlussfolgerungen<br />
können sich ergeben, gegen die sich der Ethnologe als aktiver Anwalt ”seiner” Gruppe nicht stemmen<br />
sollte. Es besteht nach Sol Tax kein Recht Vorlieben & Wertsysteme des eigenen Volkes anderen Völkern einzupflanzen.<br />
Sol Tax forderte auch, dass die Gastgesellschaften an den Veröffentlichungen des Aktionsethnologen<br />
beteiligt sind. Allerdings geriet die Aktionsethnologie danach bald in Vergessenheit und erst im revolutionären,<br />
intellektuellen Klima der späten 60er Jahre wurde sie wieder ausgegraben. Karl Schlesier, ehem. Student<br />
von Sol Tax und der heutige Hauptvertreter dieser Richtung, war an der Wiedereinführung der Aktionsethnologie<br />
beteiligt. Heute werden auf der Welt viele eigentliche aktions-ethnologische Projekte durchgeführt, welche<br />
die oben erwähnten Prinzipien anwenden, aber häufig den Namen ”Action Anthropology” nicht gebrauchen.<br />
Reziproke oder dialogische Ethnologie bezeichnet allgemein eine Ethnologie, die der Ethik der Reziprozität<br />
verpflichtet ist, d.h. wechselseitiges Nehmen und Geben durch den Forscher, die Forscherin wie durch die Erforschten.<br />
Die im Forschungsakt automatisch vorhandene Assymetrie (ForscherIn & Erforschte) soll beseitigt<br />
werden, indem die Forschungssubjekte zu aktiven Dialogpartnern oder auch selbst zu Forschern werden. Aktionsethnologie<br />
wie reziproke Ethnologie stiessen aber ebenso auch schon auf Kritik (ungenügende Beseitigung<br />
der Assymetrie, ungenügende Entschädigung der Erforschten, Vorwurf des Paternalismus und der Aufrechterhaltung<br />
eines kolonialen Bewusstseins etc.). Mit Leitlinien wurden dem ethischen Problem einer Intervention<br />
ebenfalls schon beizukommen versucht. So entwickelte z.B. die Society for Applied Anthropology 1949 einen<br />
allerdings eher medizinischen ”Code of Ethics”, und 1971 entwarf die American Anthropological Association<br />
unter dem Eindruck des Project Camelot und des Vietnamkriegs die ”Principles of Professional Responsibility”.<br />
6. Literatur<br />
Asad, Talal (Hg.): Anthropology & the Colonial Encounter, London 1973 • Bastide, Roger: Anthropologie appliquée, Paris 1971 • Barnard,<br />
Alan: History and Theory in Anthropology, Cambridge 2000 • Foster, George M.: Applied Anthropology, Boston (USA) 1969 •<br />
Gregg, Dorothy u. Williams, Elgin: The dismail of functionalism. In: American Anthropologist, 1948, Nr. 1: 594 - 611• Grillo, Ralph u.<br />
Rew, Alan (Hg.): Social Anthropology and Development Policy, London/New York 1985 • Gothsch, Manfred: Die deutsche Völkerkunde<br />
und ihr Verhältnis zum Kolonialismus. Veröffentlichungen Institut für Internat. Angelegenheiten Uni Hamburg, Bd 13. Baden-Baden<br />
1983 • Kuper, Adam: anthropology & anthropologists, 1973 London/New York • Leclerc, Gérard: Anthropologie und Kolonialismus,<br />
München 1973 (Übersetzung) • Malinowski, Bronislaw: Practical Anthropology. In: Africa 1929, Vol. 2: 22 – 38 • Malinowski, Bronislaw:<br />
The Rationalization of Anthropology and Administration. In: Africa 1930, Vol. 3: 405 –430 • Radcliffe-Brown, A.R., Applied<br />
Anthropology (1930). In: Research in Economic Anthropology, 1980, Bd 3: 123 – 134 • Brown, G. und Hutt, A.: Anthropology in Action.<br />
London 1935 • Schupp, Sabine: Die Ethnologie und ihr koloniales Erbe. Interethnische Beziehungen und Kulturwandel, Bd 26.<br />
Hamburg 1997 • Tyrnauer, Gabrielle: Handeln und Ethik in der Angewandten Ethnologie. In: Kölner Zeitschrift f. Soziologie u. Sozialpsych.<br />
1984, Nr 26: 113 – 123 • van Willigen, John: Anthroplogy in Use. A Bibliographic Chronology of the Development of Applied<br />
Anthropology, New York 1980 • Richards, A.I.: Practical Anthropolology in the Lifetime of the International African Institute. In: Africa,<br />
1944, Nr 6: 289 – 301.<br />
Weitere Literaturangaben zu einzelnen hier erwähnten Themen/Stichwörtern finden sich auch in Fachwörterbüchern wie z.B. Müller,<br />
Wolfgang (Hg.): Wörterbuch der Völkerkunde (begr. von W. Hirschberg), Berlin 1999 oder Panoff, Michel u. Perrin, Michel (Hg.): Taschenwörterbuch<br />
der Ethnologie, Berlin 2000.<br />
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