mit Fotos - Die Evangelisch-altreformierte Kirche in Niedersachsen

PastorenBunde.doc gedruckt 13.10.2006, gjb Seite 26
auf dem eigenen Herd gesehen. Ich versichere euch, an dem Abend bin ich vor Angst tief in mein Bett
gekrochen.
Ich erzählte am nächsten Tag meinem Vater davon. Er lachte darüber, aber am nächsten Sonntag
auf der Kanzel lachte er nicht. Da predigte er kraftvoll über den Text: „Seid nüchtern und wacht!“ (1.
Petrus 5, 8; gjb).
Mein Vater war ein starker und feuriger Gegner der Gesichte. Er eiferte dagegen mit dem ganzen
Feuer seiner Überzeugung. Er nannte sie Unkraut auf dem Acker der Gemeinde. Er jätete dieses
Unkraut mit fester Hand.
Bei dem allen aber blühte das geistliche Leben. Der Nebel des Materialismus, der jetzt so schwer
und drückend über vielen Gemeinden hängt, war dort unbekannt. Wie innig war das Band, das die
Gemeinde verband. Man trug wirklich die Lasten der anderen und die Welt musste bezeugen: Seht,
wie sie einander so lieb haben.
Am Sonntag Abend versammelte man sich in Gesellschaften. Dann sprach man über die Predigt
und was man in der letzten Woche erlebt hatte. Man sprach über Gebetserhörungen; Trauernde wurden
getröstet; Männer, die man für Eichenbäume der Gerechtigkeit hielt, erquickten das Herz des
geknickten Rohrs und des glimmenden Dochtes mit den reichen Verheißungen des Wortes Gottes.
Diese Gesellschaften waren bis auf einige wenige Ausnahmen vom Duft des pietistischen Lebens
durchzogen. Es war eine gesunde Mystik, weil sie sich an Gottes Wort hielt. In diesen Kreisen sang
man tief bewegt den Psalmvers:
Gottes verborgenen Umgang finden
Seelen, in denen seine Ehrfurcht wohnt. (Niederländischer Reimpsalm 25 , 7; gjb).
* * *
So sah mein Vater mit stiller Freude die Ernte reifen. Aber es ging über einen Weg schwerer und
schlimmer Prüfungen.
Unsere Familie hatte mit vielen Krankheiten zu kämpfen. Mein acht Jahre alter Bruder Gerrit litt
an einer Drüsenkrankheit. Die Krankheit zog auf seine Augen. Wir hatten große Angst, dass er blind
durchs Leben gehen müsse.
Meine Schwester war zwei Jahre älter. Sie wurde krank. Die Ärzte befürchteten eine unheilbare
Tuberkulose.
Das waren schwere Wege für meinen Vater, der seine Kinder so sehr lieb hatte. In seiner Not
wandte er sich an den obersten Medizinmeister und die Mittel wurden gnädig gesegnet.
Mein Vater wurde selbst krank. Es ist schlimm, wenn ein Familienvater lange krank ist. Die ganze
Familie leidet darunter. Die Sonne kann nicht durch die Wolken scheinen, alles ist bedrückt.
Ich erinnere mich, wie er nach einer Krankheit zum ersten Mal predigen sollte. Wie ein König
hatte er sich darauf gefreut. Wir waren alle froh. Wie ein Lauffeuer war es durch die Gemeinde
gegangen, der Pastor würde wieder predigen – und die Kirche war gerammelt voll.
Der Kirchenrat kam aus seinem Zimmer heraus in den Gottesdienst, aber was war das? Mein Vater
setzte sich in die Bank zu den Ältesten und Ältester Dreesman betrat die Kanzel mit einem
Predigtbuch in der Hand.
Ich schaute zu meinem Vater. Meine Augen füllten sich mit Tränen.
Er war sehr blass. Ich glaube, er weinte leise. Aber sein Gesicht zeigte die heilige Gelassenheit
eines Märtyrers.
Was war denn passiert? Schwere Hustenanfälle hatten ihn gequält. Wenn er sprechen würde,
würden sie nur noch schlimmer werden. Deswegen würde er nicht auf die Kanzel steigen.
Es fiel ihm schwer, aber er brachte dies schwere Opfer und unterwarf sich der weisen Fügung
Gottes.
Ältester Dreesman betete mit der Gemeinde. Seine Lippen bebten vor bitterer Enttäuschung. Er
klagte in herzzerreißender Sprache dem HERRN die Not der Gemeinde.
Das Gebet war zu Ende. Die Gemeinde sang Psalm 42 , 1.
Ich schaute zu meinem Vater. Seine Tränen waren getrocknet. Er flüsterte mit Freseman, einem
Ältesten, mit dem er sich geistlich am stärksten verwandt fühlte. Etwas wie ein Lächeln huschte über
sein Gesicht.
Da passierte etwas Außergewöhnliches, wie ein elektrischer Schock ging es durch die Gemeinde.