mit Fotos - Die Evangelisch-altreformierte Kirche in Niedersachsen
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PastorenBunde.doc gedruckt 13.10.2006, gjb Seite 30<br />
Se<strong>in</strong> Text war Offenbarung 19, 7b – 9. Besondere Betonung legte er auf die Worte: „Selig s<strong>in</strong>d,<br />
die zum Hochzeitsmahl des Lammes berufen s<strong>in</strong>d.“<br />
Es war e<strong>in</strong>e tiefe ernste Predigt. Es war se<strong>in</strong> Schwanengesang. Es war der Abschied e<strong>in</strong>es<br />
scheidenden Pastoren. Alle Herzen waren bewogen.<br />
„Frau“, sagte me<strong>in</strong> Vater, als er nach Hause kam, „das Abendmahl werde ich droben zusammen<br />
<strong>mit</strong> Bruder Freseman am Hochzeitstisch des Lammes feiern.“<br />
Er sagte das ganz ruhig. Se<strong>in</strong>e Haltung hatte etwas Bee<strong>in</strong>druckendes. Wir hörten es <strong>mit</strong><br />
niedergeschlagenen Herzen.<br />
Me<strong>in</strong> Vater wurde krank und musste das Bett hüten. Er würde nicht wieder aufstehen, und er<br />
wusste es.<br />
Jetzt überfiel ihn die Sorge für se<strong>in</strong>e Geme<strong>in</strong>de. Er fürchtete, dass Wölfe <strong>in</strong> die Herde Christi<br />
e<strong>in</strong>dr<strong>in</strong>gen würden, wenn er nicht mehr da wäre. Es gab Gegensätze <strong>in</strong> der Geme<strong>in</strong>de, die zu<br />
Zusammenstößen führen könnten. Man nannte das damals die subjektive und die objektive Richtung.<br />
Me<strong>in</strong> Vater konnte sie versöhnen durch das Gewicht, das se<strong>in</strong> E<strong>in</strong>fluss auf die Gewissen hatte.<br />
Aber wie würde es gehen, wenn er nicht mehr da wäre?<br />
Vom Krankenbett aus sah er se<strong>in</strong>e schwache Frau, die bald das Witwenkleid tragen würde. Er sah<br />
auf se<strong>in</strong>e vier armen K<strong>in</strong>der, von denen das älteste, - das war ich – vierzehn Jahre alt war.<br />
Wie würde unsere Zukunft verlaufen?<br />
Darüber dachte er <strong>in</strong> den langen Nächten nach, wenn schwere Hustenanfälle ihn quälten oder die<br />
Fieber se<strong>in</strong>e Kräfte raubten.<br />
An e<strong>in</strong>e Rente war nicht zu denken. Es gab nichts. Wir g<strong>in</strong>gen e<strong>in</strong>er dunklen Zukunft entgegen.<br />
Wir waren arm. Und wenn me<strong>in</strong> Vater verstorben wäre, waren wir auf die Barmherzigkeit der nicht<br />
unbe<strong>mit</strong>telten Verwandten me<strong>in</strong>er Mutter angewiesen.<br />
In diesen schweren Stunden, ohnmächtig auf das Krankenlager gefällt, betete me<strong>in</strong> Vater für se<strong>in</strong>e<br />
Geme<strong>in</strong>de und für se<strong>in</strong>e zurückbleibende Familie. Wir hörten se<strong>in</strong>e Gebete. Er rief aus der Angst<br />
se<strong>in</strong>es Herzens, wo der Abgrund dem Abgrund antwortet, unter der Gewalt des göttlichen Gewitters.<br />
Ich vermute, solche Gebete, die aus der eigener, tiefer Ohnmacht aufsteigen, haben e<strong>in</strong>e<br />
unwiderstehliche Kraft. Sie bewegen Gottes Herz, sie wecken se<strong>in</strong>e <strong>in</strong>nerste Barmherzigkeit.<br />
„Als e<strong>in</strong>er im Elend rief“, steht <strong>in</strong> den Psalmen, „hörte ihn der Herr und half ihn aus allen se<strong>in</strong>en<br />
Nöten.“ (Psalm 34, 7; gjb).<br />
Heute, mehr als e<strong>in</strong> halbes Jahrhundert später, denke ich noch an diese Gebete. <strong>Die</strong> Stimme kl<strong>in</strong>gt<br />
noch <strong>in</strong> me<strong>in</strong>en Ohren. Und ist es vermessen, zu glauben, dass diese Gebete sich dreißig Jahre später<br />
wie e<strong>in</strong> Schutzschild über me<strong>in</strong>e beiden Brüder ausgebreitet haben, als sie im Feuer der englischen<br />
Granaten lagen? Und dass die Errettungen, die dieser Familie später zuteil wurden, e<strong>in</strong>e Frucht des<br />
Gebetes aus der Tiefe jenes sterbenden Gottesknechtes waren?<br />
<strong>Die</strong> Geme<strong>in</strong>de konnte ihren Pastoren nicht loslassen. Sie hoffte auf etwas Außergewöhnliches, auf<br />
e<strong>in</strong> Wunder. Aber me<strong>in</strong> Vater sagte, das Wunder würde dar<strong>in</strong> bestehen, dass e<strong>in</strong> armer Sünder aus<br />
lauter Gnade <strong>in</strong> die ewigen Wohnungen aufgenommen werden würde.<br />
Es wurde am Ende e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>facher Weg für me<strong>in</strong>en Vater. Der Herr hatte se<strong>in</strong>e Seele getröstet. Der<br />
treue Hirte, der nicht schläft noch schlummert, würde über diese Geme<strong>in</strong>de wachen. Er würde auch die<br />
Angehörigen se<strong>in</strong>es treuen <strong>Die</strong>nstknechtes nicht verlassen.<br />
Doch e<strong>in</strong> grimmiger Fe<strong>in</strong>d erhob sich noch, um den Weg zur strahlenden Höhe Zions schwer zu<br />
machen. Es war der Tod, der der König des Schreckens genannt wird. Es war e<strong>in</strong>e schlimme<br />
Anfechtung Satans. <strong>Die</strong> Aussicht auf den Augenblick, <strong>in</strong> dem Leib und Seele geschieden werden, ließ<br />
me<strong>in</strong>en Vater schaudern.<br />
Es war der 19. Juni 1869, e<strong>in</strong> Samstag. Me<strong>in</strong> Vater stand nach<strong>mit</strong>tags von se<strong>in</strong>em Bett auf. Er<br />
setzte sich <strong>mit</strong> Hilfe me<strong>in</strong>er Mutter auf das Sofa, das jemand uns geliehen hatte.<br />
<strong>Die</strong> Frau des Landwirts Cramer aus Zwartewold (St. Georgiwold, gjb) war an diesem Tag ganz<br />
unerwartet zu uns auf Besuch gekommen.<br />
„Es drängte mich, heute bei euch zu se<strong>in</strong>,“ sagte sie me<strong>in</strong>er Mutter, „und ich weiß nicht, warum.“<br />
Me<strong>in</strong>e Mutter wusste es auch nicht. Später wussten wir es alle.<br />
Frau Cramer war e<strong>in</strong>e aufgeweckte Christ<strong>in</strong>: voller Leben, sensibel, <strong>mit</strong> großer Autorität. Sie war<br />
e<strong>in</strong>e von den Frauen, die man auch die Mütter <strong>in</strong> Israel nennt.<br />
Sie war sicher, dass me<strong>in</strong> Vater sich von se<strong>in</strong>er Krankheit nicht wieder erholen würde. Sie sprach<br />
<strong>mit</strong> ihm wie <strong>mit</strong> e<strong>in</strong>em Freund, der uns <strong>in</strong> unbekanntes Land vorausgeht. Me<strong>in</strong> Vater wurde