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Mobil Foto: Karin Hofer Ein historisches Juwel: Die Museums-Spinnerei Neuthal bei Bauma. Technik im Tösstal Nirgends lässt sich Industriekultur besser bewundern als im Tösstal. Der grosse Mann der Zeit war Adolf Guyer-Zeller. Verträumt liegt der Weiler Neuthal bei Bäretswil im Zürcher Oberland. Hier errichtete Johann Rudolf Guyer vor 180 Jahren eine Baumwollspinnerei. Damals gab es noch keinen Strom. Wasserkraft war gefragt, um Räder und Maschinen anzutreiben. Während anderthalb Jahrhunderten lebte die Spinnerei und Weberei, dann kam 1965 das Aus. Nicht alle mochten den Tod des schönen Fabrikkomplexes hinnehmen. Engagierten sowie dem Kanton Zürich ist es zu verdanken, dass es heute die Museums-Spinnerei gibt, die von jährlich 3000 Interessierten besucht wird. Hier kann man an Originalmaschinen den Weg von der Baumwollfaser zum Garn mitverfolgen – und wahre Wunder der Technik bestaunen. «Selbst Fachleute sind fasziniert vom Erfindungsreichtum der Ingenieure», sagt Rico Trümpler, der selbst einmal Spinnereifabrikant war. Das Besondere in Neuthal ist, dass man sorgfältig restaurierte, funktionstüchtige Maschinen erleben kann. Die älteste ist über 150 Jahre alt. Wenn sie mit Getöse zu rattern beginnt, wird die Blütezeit der Textilindustrie lebendig. Auch die Menschen sind präsent. In der Sonderausstellung «Fabriklerleben» geben Zeitzeugen Auskunft über ihre Arbeit. Sie war zweifellos hart. «Me hätts müese näh, wie’s gsi isch», sagt eine Arbeiterin. Kilometerlange Arbeitswege zu Fuss bis Neuthal waren keine Seltenheit. EIN PIONIER Als die Familien Guyer und Hegner den Webereibetrieb einstellten, ging eine Dynastie zu Ende. Ihr markantester Vertreter war Adolf Guyer-Zeller (1839–1899), Textilunternehmer und Eisenbahnpionier. Seinem Leben und Werk ist ebenfalls eine Sonder 12 THURBO Bahnorama 12 | April 2007
ausstellung gewidmet. Als er in Neuthal geboren wurde, liefen dort bereits die Spinnmaschinen des Vaters. Nur logisch, dass der Sohn in dessen Fussstapfen trat. Adolf reiste zunächst in der Welt herum, handelte mit Textilien, heiratete dann die Zürcher Industriellentochter Anna Zeller und stieg bald auch ins Eisenbahnbusiness ein. Er war schon ein gemachter Mann, als er 1894 Präsident der Nordostbahn wurde. Dann kam die Krönung seiner Karriere: der Bau der Jungfraubahn. Kein anderer war fähig, ein solch wahnwitzig anmutendes Projekt zu realisieren. Um es zu finanzieren, gründete er die Privatbank Guyerzeller, die heute noch existiert. 1898 feierte er noch die Einweihung der ersten Etappe der Jungfraubahn, ein Jahr später starb er. Andere Monsterprojekte, die er plante – etwa die Engadin-Orientbahn – blieben Papier. Guyer-Zeller ging als liberaler Vorzeigeunternehmer des 19. Jahrhunderts in die Annalen ein. Auf dem Friedhof von Bauma liegt er begraben. Sein Geist weht noch heute durchs Zürcher Oberland. Zum Beispiel erinnert ein Netz von Wanderwegen an ihn, die alle über Treppen, Tobel und Gipfel durch Neuthal führen. Der Patriarch pflegte im Sommer zwischen Bauma und Bäretswil zu spazieren und liess die Wege systematisch anlegen. Die Routen legte er eigensinnig fest und liess sich dabei von niemandem stoppen. Mit den Bauern soll er nicht lange verhandelt, sondern ihnen gleich einen Batzen als Abfindung in die Hand gedrückt haben. Zur Eröffnung des ersten Wanderwegs am 31. Juli 1892 gabs ein grosses Volksfest. VIEL ROMANTIK Die Guyer-Zeller-Wege sind signalisiert und ziehen sich durch die ganze Region. Sieben Routen von fünfzig Minuten bis drei Stunden Wanderzeit bieten sich an. Sie stellen eine ideale Ergänzung dar, wenn man die Besichtigung der Museums- Spinnerei Neuthal, des Industrielehrpfads oder des Industrieensembles mit einem erholsamen Spaziergang kombinieren und damit Technik und Natur, aber auch Geschichte und Gegenwart verbinden will. Der Hoheneggweg ist wohl der charakteristischste und bringt Guyer-Zellers Lebensweg topografisch zum Ausdruck, führt er doch auf fast 800 m ü.M. hinauf, wozu man erst noch 37 Treppen und 31 Brücken überqueren muss. Die Gegend um Bauma–Bäretswil hat auch für Biker viel zu bieten. Und wer noch Dampfbahnromantik geniessen will, ist hier ebenfalls am richtigen Ort. Guyer-Zeller wäre nicht Eisenbahnkönig gewesen, hätte er sich nicht eine eigene Eisenbahn von Uerikon nach Bauma bauen lassen. Seine Fabrik musste einen direkten Bahnanschluss haben, damit die Ware möglichst schnell nach Zürich und St.Gallen kam. Die Strecke wurde später stillgelegt. Seit 1978 betreibt aber der Dampfbahn-Verein Zürcher Oberland (DVZO) von Mai bis Oktober die Strecke Bauma–Hinwil mit drei historischen Dampfloks. Präsident Hugo Wenger freut sich besonders auf die Sommersaison, kann man heuer doch eine weitere restaurierte Lok in Betrieb nehmen: die über 120jährige «Schwyz», die für einen symbolischen Franken von der Südostbahn in Wädenswil übernommen wurde. Ein Ausflug ins industriegeschichtliche Herz der Schweiz im Zürcher Oberland lohnt sich dieses Jahr besonders. Spinnerei und Dampflok S26 ab Winterthur bis Bauma, VZO-Bus Linie 850 Richtung Wetzikon bis Neuthal oder Dampfzug DVZO. Ab Zürich S5 via Uster-Wetzikon und VZO-Bus Linie 850 Richtung Bauma bis Neuthal. Museums-Spinnerei Neuthal, Sonderausstellungen «Fabriklerleben im Neuthal» und «Adolf Guyer-Zeller, Leben und Werk». Geöffnet von Mai bis Oktober jeden 1. und 3. Sonntag, 10–16 Uhr sowie am folgenden Dienstag, 9.30–16 Uhr, Eintritt CHF 10.– mit Führung, Gruppenführungen nach Vereinbarung. www.museums-spinnerei.ch, Tel. 052 386 31 03 Guyer-Zeller-Wanderwege: im Gebiet Bauma–Bäretswil– Neuthal. Chämmerliweg (Wanderzeit 3 Std.), Hoheneggweg (1 Std. 30 Min.), Siliseggweg (50 Min.), Stoffelweg (70 Min.), Känzeliweg (50 Min.), Chringelbachweg (1 Std.), Luppmentobelweg (3 Std.) www.industrieensemble.ch Dampfzug-Fahrten: Strecke Bauma–Neuthal–Bäretswil– Hinwil. Dauer einfache Fahrt 40 Min, retour 1 Std. 40 Min. Mit Büffetwagen. Fahrten am 6. und 20. Mai, 3. und 17. Juni, 1. und 15. Juli, 5. und 19. August, 2. und 16. September, 7. und 21. Oktober. www.dvzo.ch, Tel. 052 386 17 71 Mechanisches Wunderwerk: ein Webstuhl aus dem Jahr 1889. Foto: Godi Burlet
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