Heft 2 - Institut für Zeitgeschichte
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216 Aufsätze<br />
einem ernsten Zweifel aussetzen. Damit würde sich das Problem der Gesamtwürdigung<br />
dieses Kriegsverbrecherprozesses wieder neu stellen.<br />
Zur Typologie stalinistischer Schauprozesse im allgemeinen<br />
Bevor auf das Minsker Verfahren selbst einzugehen ist, einige Überlegungen allgemeiner<br />
Natur vorweg. Sie betreffen die Frage nach den charakteristischen<br />
Merkmalen eines Schauprozesses stalinistischen Musters, um den Minsker Prozeß<br />
sowie die anderen Verfahren in diesen Kontext einordnen zu können.<br />
Schauprozesse (russ. pokazatel'nye processy) sind Mittel zur beispielhaften<br />
Belehrung und politischen Erziehung der Massen. Im Verständnis ihrer Initiatoren<br />
sind sie dort angebracht, wo die Situation eine solche erfordert 20 . In einer Studie<br />
über den „Sachsenhausen-Prozeß" vom Herbst 1947 gegen die Angehörigen des<br />
Bewachungspersonals jenes nationalsozialistischen Konzentrationslagers vor einem<br />
sowjetischen Militärtribunal in Berlin hat Winfried Meyer die folgenden fünf charakteristischen<br />
Merkmale eines stalinistischen Schauprozesses definiert 21 :<br />
1. Die Geständnisse bzw. Schuldbekenntnisse der Angeklagten bilden die nahezu<br />
ausschließliche Grundlage des Schuldspruchs.<br />
2. Die Anklage stützt sich auf deduzierte Indizien und den Grundsatz der „größten<br />
Wahrscheinlichkeit" bzw. der „objektiven Möglichkeit" der behaupteten<br />
Tat.<br />
3. Eine mehr oder weniger detaillierte Präparierung der Angeklagten vor Beginn<br />
des Verfahrens gemäß der ihnen im Rahmen der Prozeßregie jeweils zugedachten<br />
Rolle.<br />
4. Die peinlich genaue Befolgung der von der Strafprozeßordnung geforderten<br />
formalen Verfahrensprozedur mit einer streng neutralen Prozeßführung<br />
durch das Gericht (im Gegensatz etwa zu den Freislerschen Verfahren vor<br />
dem Volksgerichtshof gegen die Verschwörer des 20. Juli).<br />
5. Ablauf des Verfahrens vor der (auch internationalen) Öffentlichkeit mit großangelegter<br />
publizistisch-propagandistischer Verwertung der Ergebnisse zum<br />
Zwecke einer maximalen Breitenwirkung.<br />
Das, was eine vordergründige Betrachtung dem Verfahren zugute halten würde,<br />
wie den hohen Grad an Rechtsförmlichkeit und die volle Wahrung der Angeklagten-<br />
und Verteidigerrechte, macht gerade ein wesentliches Kriterium eines Schauprozesses<br />
nach stalinistischem Muster aus. Zum Schauprozeß gehört schließlich<br />
20 Ein Beispiel <strong>für</strong> die Handhabung solcher Prozesse aus der Praxis der sowjetischen Militärjustiz<br />
gegenüber den eigenen Soldaten in der Endphase des Krieges bei Manfred Zeidler, Kriegsende<br />
im Osten. Die Rote Armee und die Besetzung Deutschlands östlich von Oder und Neiße<br />
1944/45, München 1996, S. 157.<br />
21 Vgl. Winfried Meyer, Stalinistischer Schauprozeß gegen KZ-Verbrecher? Der Berliner Sachsenhausen-Prozeß<br />
vom Oktober 1947, in: Dachauer <strong>Heft</strong>e 13 (1997), S. 153-180, hier S. 154f. Vgl.<br />
auch Die Moskauer Schauprozesse 1936-1938, hrsg. von Theo Pirker, München 1963, S. 47 ff.<br />
VfZ 2/2004