Heft 2 - Institut für Zeitgeschichte
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230 Aufsätze<br />
nis umfaßt 80 persönlich durchgeführte Morde an Juden in Dolginovo/Region<br />
Vilejka - unter den Opfern Frauen und Kinder - im Juni 1942, anschließend 60<br />
Tötungen in einem Schuppen nahe Il'ja Anfang Juli desselben Jahres und nochmals<br />
120 individuelle Mordtaten gleichfalls an Juden (alle durch Genickschuß<br />
mit der Pistole) in Volozino in der Region Molodecno 78 . Mehrfach, so vermerkt<br />
der Prozeßbericht, entwickelt sich bei seiner Vernehmung Erregung im Gerichts-<br />
79<br />
saal. Seine Dialoge mit dem Gerichtsvorsitzenden sind von Sarkasmen geprägt .<br />
Man fragt sich unwillkürlich bei der Lektüre von Hess' scheinbar völlig teilnahmslos<br />
vorgebrachten Aussagen, ob sie aus einer totalen Lethargie oder einem<br />
makaber-zynischen Spiel mit dem Gericht angesichts des Schicksals, das ihn<br />
erwartete, resultierten. Daß sie einem ernsten Bemühen um die Aufklärung von<br />
Sachverhalten entspringen könnten, drängt sich am wenigsten auf. Dies gilt<br />
ebenso <strong>für</strong> andere Angeklagten-Aussagen, die zu gestanzt und einstudiert klingen,<br />
als daß sie ein Bemühen um Wahrheit erkennen ließen, wie die folgenden:<br />
„Sie [die Verbrechen] geschahen unter dem Vorwand des Partisanenkampfes,<br />
aber in Wahrheit habe ich die friedliche Zivilbevölkerung erschossen" (Ernst<br />
Falk); „Alle diese Befehle hatten nur ein Ziel - das sowjetische Volk zu vernichten"<br />
(Carl Languth) oder „Ich war Nationalsozialist und das war mein Beitrag zur<br />
Verwirklichung der Rassentheorie" (Hans Koch) 80 .<br />
Der schon erwähnte Gestapobeamte Koch ist neben Hess das Musterbeispiel<br />
eines geständniseifrigen Angeklagten, der sich nicht scheut, von seinen persönlichen<br />
„Vernichtungstrieben" und eigenen sadistischen Grausamkeiten zu berichten,<br />
etwa den Unterleib eines schwerverwundeten Kriegsgefangen mit einem „Ladestock"<br />
81 durchbohrt zu haben. Bei Erschießungsaktionen habe er stets die ersten<br />
drei bis fünf Tötungen selbst vorgenommen, um seinen Soldaten „moralischen<br />
Rückhalt" zu geben. Insgesamt seien 500 Morde allein auf sein persönliches Konto<br />
gegangen 82 . Andere Angeklagte wie Reinhard Moll, ein älterer Major des Heeres<br />
und Stadtkommandant von Bobrujsk („Ich bin stets ein ehrenhafter deutscher<br />
nichtungsaktionen an jenen Orten, an denen Hess seinem Geständnis nach als Mittäter aktiv<br />
gewesen war. Vgl. dazu die von Prusin, The Holocaust, S. 19 f., gemachten Beobachtungen hinsichtlich<br />
der Zeugenaussagen anhand des zeitgleichen Kiever Kriegsverbrecherprozesses.<br />
78 Vgl. Sudebnyj process, S. 181-184. Ein sogenannter Tätigkeitsbericht der Außenstelle Vilejka<br />
vom 27.5. 1942 erklärte nach drei umfangreichen Judenaktionen" vom 28. und 29./30.4.<br />
sowie vom 21.5. 1942 in Dolginovo „die Judenfrage in dieser Stadt [<strong>für</strong>] endgültig gelöst". Zit.<br />
in: Die Ermordung der europäischen Juden. Eine umfassende Dokumentation des Holocaust<br />
1941-1945, hrsg. von Peter Longerich, München/Zürich 2 1990, S. 134-136. Zu möglichen<br />
Vernichtungsaktionen in den in Frage stehenden Ortschaften Vilejka, Dolginovo und Ilja ab<br />
dem Frühjahr 1942 siehe Hans-Heinrich Wilhelm, Die Einsatzgruppe A der Sicherheitspolizei<br />
und des SD 1941/42, Frankfurt a.M. u.a. 1996, S. 322-325; Gerlach, Kalkulierte Morde,<br />
S. 694-700.<br />
79 Sudebnyj process, S. 184. Wie viele seiner Mitangeklagten war auch Hess während der Voruntersuchung<br />
stundenlangen Nachtverhören unterzogen worden; ZStL, 202 AR-Z 184/67,<br />
Bl. 171-175 (Vernehmung in der Nacht vom 27. auf den 28.12. 1945).<br />
80 Sudebnyj process, S. 453, S. 450 u. S. 114.<br />
81 Im russischen Original: sompol.<br />
82 Sudebnyj process, S. 105, S. 108, S. 111 u. S. 115.<br />
VfZ 2/2004