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Vergabekammer des Landes Brandenburg beim Ministerium für ...

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<strong>Vergabekammer</strong> <strong>des</strong> Lan<strong>des</strong> <strong>Brandenburg</strong><br />

<strong>beim</strong> <strong>Ministerium</strong> <strong>für</strong> Wirtschaft<br />

Aktenzeichen VK 34/04<br />

Datum <strong>des</strong> Beschlusses 30. August 2004<br />

Bestandskraft<br />

ja<br />

Vergabeart<br />

Dienstleistung (Beteiligung an einer zu gründenden gemischtwirtschaftlichen<br />

Gesellschaft)<br />

Rechtsnormen<br />

§§ 97 Abs. 2, 114 Abs. 1, Abs. 2 S. 2, 124 Abs. 1 GWB<br />

§§ 26, 26a VOL/A<br />

Leitsätze<br />

Die Beteiligung eines Privatunternehmens an einem<br />

gemischwirtschaftlichen Unternehmen ist ausschreibungspflichtig,<br />

wenn ein Bezug zur Beschaffung von<br />

Leistungen durch einen an diesem Unternehmen beteiligten<br />

öffentlichen Auftraggeber besteht, insbesondere<br />

die Gründung zu dem Zweck erfolgt, Leistungen <strong>für</strong> den<br />

öffentlichen Auftraggeber zu erbringen.<br />

Der auf Aufhebung der Aufhebung der Ausschreibung<br />

gerichtete Nachprüfungsantrag ist unzulässig, wenn der<br />

Auftraggeber seinen unabänderlichen Willen zum Ausdruck<br />

gebracht hat, den ausgeschriebenen Auftrag endgültig<br />

nicht mehr zu vergeben.<br />

Die Anordnung einer Fortsetzung <strong>des</strong> Vergabeverfahrens<br />

mit dem Ziel einer Zuschlagserteilung kommt bei<br />

einer Scheinaufhebung in Betracht, ebenso wenn der<br />

Auftraggeber zu Unrecht das Vorliegen min<strong>des</strong>tens eines<br />

ordnungsgemäßen Angebotes verneint hat.<br />

Ein Feststellungsantrag nach § 114 Abs. 2 Satz 2 GWB,<br />

dass die Aufhebung <strong>des</strong> Vergabeverfahrens rechtswidrig<br />

war, ist begründet, wenn im Verhandlungsverfahren<br />

die Aufhebungsentscheidung gegen den Wettbewerbsgrundsatz,<br />

das Gleichbehandlungsgebot oder das<br />

Transparenzgebot verstößt.


2<br />

<strong>Vergabekammer</strong><br />

<strong>des</strong> Lan<strong>des</strong> <strong>Brandenburg</strong><br />

<strong>beim</strong> <strong>Ministerium</strong> <strong>für</strong> Wirtschaft<br />

VK 34/04<br />

Beschluss<br />

In dem Nachprüfungsverfahren betreffend die Beteiligung an einer zu gründenden<br />

gemischtwirtschaftlichen Gesellschaft <strong>für</strong> Entsorgungsdienstleistungen im Landkreis<br />

...<br />

Verfahrensbeteiligte:<br />

1. ...<br />

Verfahrensbevollmächtigte: ...<br />

Antragstellerin,<br />

2. ...<br />

Verfahrensbevollmächtigte: ...<br />

Auftraggeber,<br />

hat die <strong>Vergabekammer</strong> im schriftlichen Verfahren am 30. August 2004 durch den<br />

Vorsitzenden Ministerialrat Schumann, die hauptamtliche Beisitzerin Regierungsrätin<br />

Thiele und den stellvertretenden ehrenamtlichen Beisitzer Dipl.-Ing. Lehmann beschlossen:<br />

1. Die Anträge werden zurückgewiesen.<br />

2. Die Antragstellerin trägt die Kosten <strong>des</strong> Verfahrens.<br />

3. Die Gebühr wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt und mit dem eingezahlten Kostenvorschuss<br />

verrechnet.<br />

Gründe<br />

I.<br />

Der Auftraggeber schrieb am 6. März 2003 europaweit die Vergabe einer Beteiligung<br />

an einer gemischtwirtschaftlichen Gesellschaft <strong>für</strong> Entsorgungsdienstleistungen<br />

(Restabfallbehandlung) mit Mehrheitsbeteiligung <strong>des</strong> Bieters (74,8 %) im Verhand-


3<br />

lungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb aus. Die zu gründende Gesellschaft sollte<br />

mit der Behandlung der im Landkreis <strong>des</strong> Auftraggebers anfallenden und ihm überlassenen<br />

Restabfällen einschließlich ihrer Entsorgung <strong>für</strong> den Zeitraum vom 1. Juni<br />

2005 bis 31. Dezember 2020 beauftragt werden. Nach der Ausschreibung sollten<br />

drei bis sechs Dienstleister zur Angebotsabgabe aufgefordert werden.<br />

An dem Teilnahmewettbewerb nahmen sieben Unternehmen teil, darunter die Antragstellerin.<br />

Die Antragstellerin wurde durch den Auftraggeber zur Abgabe eines ersten<br />

Angebotes, das Grundlage <strong>für</strong> weitere Verhandlungen sein sollte, aufgefordert.<br />

Nach der Einreichung <strong>des</strong> Angebotes der Antragstellerin führte der Auftraggeber mit<br />

ihr Verhandlungen am 17. November 2003 und 10. Dezember 2003 durch.<br />

Der Kreistag <strong>des</strong> Auftraggebers hatte zur zukünftigen Abfallentsorgung bereits am<br />

25. September 2002 unter der Drucksache DS-Nr. ... die europaweite Ausschreibung<br />

der Restabfallentsorgung <strong>des</strong> Landkreises ... ab 2005 mit der Beteiligung <strong>des</strong> Landkreises<br />

an einer gemischtwirtschaftlichen Gesellschaft ... beschlossen. Die Beteiligung<br />

<strong>des</strong> Landkreises an der ... sollte min<strong>des</strong>tens 25,1 % betragen.<br />

Diesen Beschluss hob der Kreistag am 12. Mai 2004 mit Beschluss DS-Nr. ... auf.<br />

Zur Begründung wurde angegeben, dass sich der politische Wille der Mitglieder <strong>des</strong><br />

Kreistages geändert habe. Das Ergebnis der Ausschreibung erfülle nicht die Erwartungen<br />

<strong>des</strong> Kreistages hinsichtlich einer preisgünstigen Lösung, verbunden mit einer<br />

größtmöglichen Transparenz und den entsprechenden Kontroll- und Einflussmöglichkeiten<br />

<strong>des</strong> Kreistages. Die vorgeschlagene Anlagengröße von bis zu 100.000 t<br />

Durchsatz führe nicht zu den erwarteten Preisvorteilen <strong>für</strong> die Gebührenzahler. Das<br />

vorgeschlagene ...-Modell berge aus der Sicht <strong>des</strong> Kreistages unkalkulierbare Risiken<br />

hinsichtlich der zu errichtenden Anlage, da nicht der Bieter, sondern ein Dritter<br />

die Anlage errichte. Dieser Dritte unterliege nicht der Einflussnahme <strong>des</strong> Landkreises<br />

und könne im Insolvenzfall zu einem erheblichen Risiko werden. Die 15-jährige Bindung<br />

an einen Bieter, der nicht gleichzeitig Errichter der Anlage sei, erscheine im<br />

Umfeld der Veränderungen im Bereich der Abfallwirtschaft als zu risikoreich. Eine<br />

vollständige Übertragung der hoheitlichen Aufgabe auf die ... bedürfe einer rechtlichen<br />

Prüfung, sei jedoch nach Kenntnis der Mitglieder <strong>des</strong> Kreistages bereits in ähnlichen<br />

Fällen erfolgt und bringe durch die privatrechtliche Organisationsformen weitere<br />

Einspareffekte.<br />

Diesem Beschluss war ein gemeinsamer Änderungsantrag der CDU- und der SPD-<br />

Fraktion <strong>des</strong> Kreistages vom 20. April 2004 vorausgegangen, der vorsah, die ... mit<br />

der Behandlung <strong>des</strong> Restabfalls <strong>des</strong> Landkreises zu beauftragen. Auf der Grundlage<br />

<strong>des</strong> Änderungsantrages hob der Kreistag in seiner Sitzung am 12. Mai 2004 (DS-Nr.:<br />

... seinen Beschluss DS-Nr.: ... über die Auflösung der ... auf und beauftragte den<br />

Landrat zur Fortsetzung der Geschäftstätigkeit der Gesellschaft ab 1. Juni 2004 einen<br />

neuen Geschäftsführer zu bestellen und den Liquidator abzuberufen.<br />

Mit Schreiben vom 13. Mai 2004 informierte der Auftraggeber die Antragstellerin unter<br />

Bezugnahme auf den Kreistagsbeschluss vom 12. Mai 2004 über die Aufhebung<br />

der Ausschreibung und wies darauf hin, dass der Landkreis die Leistung selbst zu<br />

deutlich geringeren Kosten durchführen könne. Es sei beabsichtigt, hierzu ein neues<br />

Vergabeverfahren einzuleiten. Der Landkreis werde seine 100-prozentige Tochtergesellschaft<br />

- die ... – mit der Abfallbehandlung ab 1. Juni 2005 beauftragen.


4<br />

Mit Schreiben vom 17. Mai 2004 wandte sich die Antragstellerin gegen die Aufhebung<br />

der Ausschreibung und rügte die Verletzung der §§ 26 und 26 a VOL/A. Unter<br />

Fristsetzung bis zum 24. Mai 2004 forderte sie den Auftraggeber auf, das Vergabeverfahren<br />

fortzusetzen.<br />

Mit Schreiben vom 24. Mai 2004 teilte der Auftraggeber der Antragstellerin mit, dass<br />

eine Änderung seiner Aufhebungsentscheidung nicht beabsichtigt sei. Er wies ausdrücklich<br />

darauf hin, dass die Einleitung eines neuen Vergabeverfahrens nicht vorgesehen<br />

sei.<br />

Mit Schreiben vom 2. Juni 2004 hat die Antragstellerin bei der <strong>Vergabekammer</strong> einen<br />

Nachprüfungsantrag gestellt. Ihre Begründung deckt sich im Wesentlichen mit ihrer<br />

Argumentation in ihrem Rüge-Schreiben vom 17. Mai 2004. Danach liege weder ein<br />

Aufhebungsgrund im Sinne <strong>des</strong> § 26 VOL/A noch ein endgültiger Verzicht auf die<br />

Auftragsvergabe vor. Vielmehr handele es sich um eine unzulässige Scheinaufhebung.<br />

Auch seien die Voraussetzungen <strong>für</strong> ein vergabefreies In-House-Geschäft im<br />

Zusammenhang mit der geplanten Beauftragung der – ... – nicht erfüllt.<br />

Die Antragstellerin beantragt,<br />

1. die Entscheidung der Vergabestelle, die Ausschreibung <strong>des</strong> Verhandlungsverfahrens<br />

bezüglich der Beteiligung an einer gemischtwirtschaftlichen<br />

Gesellschaft sowie die Beauftragung dieser Gesellschaft mit der<br />

Behandlung der im Landkreis durch die anfallenden und dem Auftraggeber<br />

überlassenen Restabfälle einschließlich der Entsorgung der Behandlungsrückstände<br />

ab dem 1. Juni 2004 aufzuheben, wird aufgehoben,<br />

2. die Vergabestelle ist verpflichtet, das ausgeschriebene Verhandlungsverfahren<br />

bezüglich der Beteiligung an einer gemischtwirtschaftlichen<br />

Gesellschaft <strong>für</strong> die Beauftragung dieser Gesellschaft mit der Behandlung<br />

der im Landkreisgebiet anfallenden und dem Auftraggeber überlassenen<br />

Restabfälle einschließlich der Entsorgung der Behandlungsrückstände<br />

ab dem 1. Juni 2005 fortzuführen und durch Zuschlagserteilung<br />

auf das wirtschaftlichste Angebot abzuschließen,<br />

3. der Vergabestelle wird untersagt, die Aufgaben der Restabfallbehandlung<br />

ohne Durchführung eines europaweiten Vergabeverfahrens auf die<br />

... durch Abschluss entsprechender Leistungsverträge ohne vorheriges<br />

Vergabeverfahren zu übertragen,<br />

4. hilfsweise <strong>für</strong> die Fälle <strong>des</strong> § 114 Abs. 2 GWB festzustellen, dass die<br />

Antragstellerin in ihren Bieterrechten nach § 97 Abs. 7 GWB verletzt<br />

worden ist,<br />

5. die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten durch die Antragstellerin wird<br />

<strong>für</strong> notwendig erklärt,<br />

6. der Antragstellerin wird Einsicht in die Vergabeakten gewährt,


5<br />

7. dem Auftraggeber werden die Kosten <strong>des</strong> Verfahrens einschließlich der<br />

Kosten der zweckentsprechenden Rechtsverfolgung der Antragstellerin<br />

auferlegt.<br />

Der Auftraggeber beantragt,<br />

1. die Anträge der Antragstellerin kostenpflichtig zu verwerfen, hilfsweise<br />

zurückzuweisen,<br />

2. die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts durch den Auftraggeber <strong>für</strong> notwendig<br />

zu erklären.<br />

Zur Begründung weist der Auftraggeber mit Schriftsatz vom 22. Juni 2004 darauf hin,<br />

dass der Nachprüfungsantrag unzulässig sei, weil der von der Antragstellerin geltend<br />

gemachte Verfahrensverstoß nicht unverzüglich gerügt worden sei. Angesichts der<br />

kurzen Fristen im Vergaberecht müsse die Rüge <strong>des</strong> Bieters binnen drei Tagen erfolgen.<br />

Darüber hinaus fehle der Antragstellerin die Antragsbefugnis, weil sie mit ihrem<br />

Angebot an dritter und damit an vorletzter Stelle liege. Ferner hätte ihr Angebot<br />

ausgeschlossen werden müssen, weil vom Auftraggeber geforderte Nachweise nicht<br />

vorgelegt und Preisangaben nicht nachvollziehbar gewesen seien. Der Zulässigkeit<br />

stehe auch die Beendigung <strong>des</strong> Verhandlungsverfahrens durch den Kreistagsbeschluss<br />

entgegen. Eine Scheinaufhebung liege nicht vor. Die Beauftragung der – ... –<br />

erfülle die Kriterien eines so genannten In-House-Geschäfts.<br />

Mit Verfügung <strong>des</strong> Vorsitzenden der <strong>Vergabekammer</strong> vom 2. Juli 2004 wurde die<br />

Entscheidungsfrist gemäß § 113 Abs. 1 S. 2 GWB bis zum 10. September 2004 verlängert.<br />

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die eingereichten Schriftsätze und auf die<br />

Vergabeakte Bezug genommen.<br />

II.<br />

1. Der Nachprüfungsantrag ist unzulässig. Die <strong>Vergabekammer</strong> <strong>des</strong> Lan<strong>des</strong> <strong>Brandenburg</strong><br />

ist <strong>für</strong> die Entscheidung <strong>für</strong> den Antrag zuständig, da es sich bei der<br />

ausgeschriebenen Leistung um einen dem Land <strong>Brandenburg</strong> zuzurechnenden<br />

Dienstleistungsauftrag handelt, § 104 Abs. 1 GWB.<br />

Der Auftraggeber ist als Gebietskörperschaft öffentlicher Auftraggeber im Sinne<br />

<strong>des</strong> § 98 Nr. 1 GWB.<br />

Es liegt der Ausschreibung <strong>für</strong> die Beteiligung an einer gemischtwirtschaftlichen<br />

Gesellschaft mit Mehrheitsbeteilung <strong>des</strong> Bieters und den Entsorgungsleistungen<br />

im Landkreis ... auch ein öffentlicher Dienstleistungsauftrag gemäß § 99<br />

Abs. 1, 4 GWB zugrunde.<br />

Ein öffentlicher Dienstleistungsauftrag ist ein entgeltlicher Vertrag zwischen<br />

dem öffentlichen Auftraggeber und einem Unternehmen wie der Antragstellerin,<br />

der die Erbringung von Leistungen zum Gegenstand hat.


6<br />

Die ausgeschriebene Beteiligung an einem gemischtwirtschaftlichen Unternehmen<br />

stellt <strong>für</strong> sich genommen noch keine entgeltliche, vertraglich vereinbarte<br />

Leistungserbringung dar (Eschenbruch, in: Niebuhr/Kulartz/Kus/Portz, Kommentar<br />

zum Vergaberecht, § 99 Rn. 24). Einerseits geht mit der Einbeziehung<br />

<strong>des</strong> privaten Betriebes in ein zum Teil von der öffentlichen Hand gehaltenes Unternehmen<br />

lediglich der Erwerb künftiger Gewinnchancen einher, was noch<br />

konkreter entgeltlicher Gegenwert ist. Zum andern ist der Eintritt selbst noch<br />

keine Leistung, die <strong>für</strong> den Auftraggeber erbracht wird. Dieser verkauft vielmehr<br />

etwas, nämlich 74,9 % der Geschäftsanteile <strong>des</strong> zu gründenden Unternehmens.<br />

Die Beteiligung eines Privatunternehmens an einem gemischtwirtschaftlichen<br />

Unternehmen ist aber ausschreibungspflichtig, wenn ein Bezug zur Beschaffung<br />

von Leistungen durch ein an diesem Unternehmen beteiligten öffentlichen<br />

Auftraggeber besteht. Das ist der Fall, wenn ein gemischtwirtschaftliches Unternehmen<br />

zu dem Zweck gegründet wird, Leistungen <strong>für</strong> den öffentlichen Auftraggeber<br />

zu erbringen.<br />

Ein solcher Beschaffungsbezug liegt bei der ausgeschriebenen Gründung der<br />

gemischtwirtschaftlichen Gesellschaft vor. Die gemischtwirtschaftliche Gesellschaft<br />

soll laut europaweiter Ausschreibung zu dem Zweck geschlossen werden,<br />

um vom 1. Juni 2005 bis 31. Dezember 2020 mit der Erbringung der Abfallentsorgungsleistungen<br />

im Landkreis ... beauftragt zu werden.<br />

Auch der Schwellenwert <strong>des</strong> ausgeschriebenen Dienstleistungsauftrages ist<br />

gemäß § 100 Abs. 1, 127 Nr. 1 GWB in Verbindung mit § 2 Nr. 3 VgV überschritten.<br />

Der nach § 3 Abs. 1 VgV zugrunde zu legende Schätzwert fehlt in der<br />

Vergabeakte. Es kann jedoch davon ausgegangen werden und ist auch zwischen<br />

den Beteiligten nicht streitig, dass der Schwellenwert <strong>für</strong> Dienstleistungsaufträge<br />

im Sinne <strong>des</strong> § 2 Nr. 3 VgV von 200.000,00 EUR bei einer angestrebten<br />

Vertragsdauer von 15 Jahren im Bereich der Abfallentsorgung erheblich ü-<br />

berschritten werden wird. Da<strong>für</strong> spricht auch die Tatsache der europaweiten<br />

Ausschreibung. Die Antragstellerin beziffert in ihrem Nachprüfungsantrag den<br />

Schwellenwert mit min<strong>des</strong>tens XX Mio. EUR.<br />

Der Zulässigkeit <strong>des</strong> Nachprüfungsantrages steht jedoch entgegen, dass der<br />

Auftraggeber durch den Kreistagsbeschluss vom 12. Mai 2004 seinen unabänderlichen<br />

Willen zum Ausdruck gebracht hat, den ausgeschriebenen Auftrag<br />

nicht mehr zu vergeben.<br />

Der BGH hat zwar in seinem Beschluss vom 18. Februar 2003 – X ZB 43/02 –<br />

(NZBau 2003, 293) ausgeführt, dass auch noch nach Aufhebung eines Ausschreibungsverfahrens<br />

ein Nachprüfungsantrag zulässigerweise angebracht<br />

werden kann, der sich gegen die Aufhebung richtet und auf die Fortsetzung <strong>des</strong><br />

Vergabeverfahrens abzielt.<br />

Eine andere rechtliche Betrachtung ist nur dann geboten, wenn der Auftraggeber<br />

sein konkretes Ausschreibungsvorhaben endgültig aufgegeben hat (OLG<br />

Dresden, Beschluss vom 10. Juli 2003 – W Verg 15/02; OLG Düsseldorf, Beschluss<br />

vom 19. November 2003 – Verg 59/03; OLG Koblenz, Beschluss vom<br />

18. Dezember 2003 – Verg 8/03), denn ein öffentlicher Auftraggeber muss ein


7<br />

Ausschreibungsverfahren nicht mit einem Zuschlag an einen geeigneten Bieter<br />

beenden. Nach der zitierten Rechtsprechung darf ein Ausschreibender, der<br />

nach den maßgeblichen Vergabevorschriften keinen Grund zur Aufhebung <strong>des</strong><br />

Ausschreibungsverfahrens hatte, auch nicht durch eine Entscheidung der <strong>Vergabekammer</strong><br />

zur Fortsetzung <strong>des</strong> Vergabeverfahrens gezwungen werden.<br />

Eine solche Situation lag hier vor, denn der Auftraggeber hatte durch die Aufhebung<br />

der Ausschreibung vom 12. Mai 2004 seinen unabänderlichen Willen<br />

zum Ausdruck gebracht, den ausgeschriebenen Auftrag nicht mehr zu vergeben.<br />

Besteht somit vonseiten der interessierten Bieter kein Rechtsanspruch<br />

darauf, das ein der Ausschreibung entsprechender Vertrag geschlossen wird,<br />

dann führt der endgültige Verzicht <strong>des</strong> Auftraggebers auf die Vergabe zum<br />

Wegfall <strong>des</strong> Rechtsschutzbedürfnisses eines Nachprüfungsantrages, weil der<br />

Antragsteller seinem Ziel, den Zuschlag zu erhalten, nicht näher kommt.<br />

2. Die Anordnung einer Fortsetzung <strong>des</strong> Vergabeverfahrens gemäß § 114 Abs. 1<br />

GWB kommt nicht in Betracht.<br />

Der Auftraggeber hat von der ihm zustehenden Möglichkeit Gebrauch gemacht,<br />

von der Auftragsvergabe Abstand zu nehmen. Die Anordnung einer Fortsetzung<br />

<strong>des</strong> Vergabeverfahrens mit dem Ziel einer Zuschlagserteilung kann aber<br />

im Einzelfall in Betracht kommen, wenn beispielsweise die Aufhebung der Ausschreibung<br />

nur zum Schein erfolgt ist, das heißt, wenn der Auftraggeber unter<br />

Missachtung seiner Gestaltungsmöglichkeiten nur den Schein einer Aufhebung<br />

gesetzt hat, mit <strong>des</strong>sen Hilfe er dem ihm genehmen Bieter, obwohl dieser nicht<br />

das wirtschaftlichste Angebot abgegeben hatte, den Auftrag zuschieben will.<br />

Denkbar ist auch die Anordnung einer Fortsetzung <strong>des</strong> Vergabeverfahrens,<br />

wenn die Vergabestelle die Aufhebung nur <strong>des</strong>halb verfügt hat, weil vermeintlich<br />

keiner der Bieter ein ordnungsgemäßes Angebot abgegeben hatte (BGH,<br />

Beschluss vom 18. Februar 2003, a.a.O., 294). Eine vergleichbare Sachverhaltskonstellation<br />

liegt hier jedoch nicht vor.<br />

3. Der Nachprüfungsantrag ist allerdings zulässig, soweit die Feststellung begehrt<br />

wird, dass die Aufhebung <strong>des</strong> Vergabeverfahrens rechtswidrig war.<br />

Der Feststellungsantrag ist zulässig, da sich der ursprüngliche Nachprüfungsantrag<br />

durch Aufhebung der Ausschreibung vom 12. Mai 2004 erledigt hat und<br />

ein Rechtsschutzbedürfnis der Antragstellerin besteht. Mit dem in § 114 Abs. 2<br />

Satz 2 GWB geregelten Feststellungsantrag kann ein in seinen Rechten im<br />

Sinne von § 97 Abs. 7 GWB verletzter Beteiligter nach einer Erledigung <strong>des</strong><br />

Nachprüfungsverfahrens noch eine Entscheidung der <strong>Vergabekammer</strong> erreichen,<br />

die ihm insbesondere die Vorteile der Bindungswirkung nach § 124 Abs.<br />

1 GWB bei Schadenersatzklagen sichert. Ein Rechtsschutzbedürfnis liegt vor,<br />

denn Schadensersatzansprüche der Antragstellerin zum Beispiel gemäß § 126<br />

GWB sind nicht auszuschließen.<br />

Der Feststellungsantrag ist jedoch unbegründet.<br />

Für das Verhandlungsverfahren ist charakteristisch, dass es geringen formalen<br />

Anforderungen unterworfen ist. Es unterliegt jedoch den wesentlichen Prinzipien<br />

<strong>des</strong> Vergaberechts, insbesondere dem Grundsatz <strong>des</strong> Wettbewerbs, der


8<br />

Gleichbehandlung aller Bieter und dem Transparenzgebot (OLG Stuttgart, Beschluss<br />

vom 15. September 2003 – 2 Verg 8/03, VergabeR 2004, 384).<br />

Diese Prüfungsmaßstäbe sind durch die Aufhebungsentscheidung <strong>des</strong> Auftraggebers<br />

nicht verletzt.<br />

Ein Verstoß gegen das Willkürverbot liegt nicht vor. Die Aufhebung der Ausschreibung<br />

beruht vielmehr auf sachlichen Gründen, nämlich auf einer politisch<br />

angestoßenen Neubewertung der mit der Gründung einer gemischtwirtschaftlichen<br />

Gesellschaft verbundenen Vor- und Nachteile. Maßgeblich ist allein die<br />

Sachlichkeit der der Aufhebung zugrunde liegenden Gründe. Bei der Beurteilung<br />

der Sachlichkeit ist ein objektiver Maßstab anzulegen. Danach kann das<br />

Vorliegen eines sachlichen Grun<strong>des</strong> auch bejaht werden, wenn die Tatsachen,<br />

die zur ursprünglichen Entscheidung der Einleitung <strong>des</strong> Vergabeverfahrens geführt<br />

haben, sich nicht geändert haben, der Auftraggeber nunmehr eine andere<br />

Bewertung dieser Tatsachen vornimmt. Solange diese abändernde Bewertung<br />

nicht auf unsachlichen Erwägungen <strong>des</strong> Auftraggebers beruht, steht es ihm frei,<br />

auf die Vergabe zu verzichten.<br />

Der in § 97 Abs. 2 GWB verankerte Grundsatz der Gleichbehandlung aller Bieter<br />

wird durch die Nichtfortsetzung <strong>des</strong> Vergabeverfahrens nicht verletzt, da die<br />

Entscheidung auf die Vergabe zu verzichten nicht ursächlich ist <strong>für</strong> die Bevorzugung<br />

an dem Verfahren beteiligter Bewerber.<br />

Das Transparenzgebot dient dazu, Vergabeverfahren offen und nachvollziehbar<br />

zu gestalten und berechenbar <strong>für</strong> die Bieter zu machen. Aus diesem Zweck ergibt<br />

sich eine Dokumentationspflicht <strong>des</strong> öffentlichen Auftraggebers <strong>für</strong> alle wesentlichen<br />

Entscheidungen im Vergabeverfahren. In diesem Sinne hat der Auftraggeber<br />

die von ihm getroffenen Entscheidungen zeitnah schriftlich in den<br />

Vergabeakten zu dokumentieren und diese tragenden Gründe dort niederzulegen<br />

und zu belegen. Dieser Pflicht ist der Auftraggeber nachgekommen.<br />

Die eingeschränkte Möglichkeit der Nachprüfung von Verzichtsentscheidungen<br />

<strong>des</strong> Auftraggebers sowie der Umstand, dass der Auftraggeber im vorliegenden<br />

Fall ohne weiteres eigenes Tätigwerden den Beschluss <strong>des</strong> Kreistages vom 12.<br />

Mai 2004 umgesetzt hat, lässt es ausreichend erscheinen, als Grundlage der<br />

Aufhebungsentscheidung den Kreistagsbeschluss mit Begründung zu dokumentieren.<br />

In gleicher Weise ist es als ausreichend anzusehen, dass der Auftraggeber<br />

mit Schreiben vom 13. Mai 2004 die Antragstellerin von der Aufhebung<br />

<strong>des</strong> Vergabeverfahrens unter Bezugnahme auf den Kreistagsbeschluss in<br />

Kenntnis gesetzt hat. Damit ist er seiner Benachrichtigungspflicht aus § 26 a<br />

VOL/A nachgekommen. Eine Manipulation der zur Aufhebung führenden Gründe<br />

ist im vorliegenden Falle nicht möglich.<br />

III.<br />

Der Antrag auf Akteneinsicht der Antragstellerin gemäß § 111 Abs. 1 GWB ist abzulehnen.<br />

Das Akteneinsichtsrecht ist nur dem Umfang gegeben, in dem es zur Durchsetzung<br />

der Rechte der Antragstellerin aus § 97 Abs. 7 GWB erforderlich ist. Das ist


9<br />

bei einem unzulässigen Nachprüfungsantrag nicht der Fall (BayObLG, Beschluss<br />

vom 12. Dezember 2001 – Verg 19/01).<br />

IV.<br />

Die Pflicht der Antragstellerin, die Kosten <strong>des</strong> Verfahrens zu tragen, erfolgt aus § 128<br />

Abs. 3 GWB in Verbindung mit § 80 VwVfG Bbg. Danach hat ein Beteiligter die Kosten<br />

zu tragen, soweit er im Verfahren unterliegt.<br />

Die <strong>Vergabekammer</strong> hält die Festsetzung der Min<strong>des</strong>tgebühr von 2.500,00 EUR gemäß<br />

§ 128 Abs. 2 GWB bei Abwägung <strong>des</strong> Aufwan<strong>des</strong> einerseits und der wirtschaftlichen<br />

Bedeutung <strong>des</strong> dem Vergabeverfahren zugrunde liegenden Auftrages <strong>für</strong> die<br />

Antragstellerin andererseits <strong>für</strong> angemessen. Die Gebühr wird mit dem eingezahlten<br />

Kostenvorschuss in Höhe von 2.500,00 EUR verrechnet.<br />

V.<br />

Gegen die Entscheidung der <strong>Vergabekammer</strong> ist die sofortige Beschwerde zulässig.<br />

Sie ist schriftlich innerhalb einer Frist von zwei Wochen, die mit der Zustellung der<br />

Entscheidung beginnt, <strong>beim</strong> <strong>Brandenburg</strong>ischen Oberlan<strong>des</strong>gericht, Gertrud-Piter-<br />

Platz 11, 14770 <strong>Brandenburg</strong>, einzulegen.<br />

Die sofortige Beschwerde ist zugleich mit ihrer Einlegung zu begründen. Die Beschwerdebegründung<br />

muss die Erklärung enthalten, inwieweit die Entscheidung der<br />

<strong>Vergabekammer</strong> angefochten und eine abweichende Entscheidung beantragt wird,<br />

und die Tatsachen und Beweismittel angeben, auf die sich die Beschwerde stützt.<br />

Die Beschwer<strong>des</strong>chrift muss durch einen bei einem deutschen Gericht zugelassenen<br />

Rechtsanwalt unterschrieben sein.<br />

Mit der Einlegung der Beschwerde sind die anderen Beteiligten <strong>des</strong> Verfahrens vor<br />

der <strong>Vergabekammer</strong> vom Beschwerdeführer durch Übermittlung einer Ausfertigung<br />

der Beschwer<strong>des</strong>chrift zu unterrichten (§ 117 Abs. 4 GWB).<br />

Die sofortige Beschwerde hat aufschiebende Wirkung gegenüber der Entscheidung<br />

der <strong>Vergabekammer</strong>. Die aufschiebende Wirkung entfällt zwei Wochen nach Ablauf<br />

der Beschwerdefrist. Hat die <strong>Vergabekammer</strong> den Antrag auf Nachprüfung abgelehnt,<br />

so kann das Beschwerdegericht auf Antrag <strong>des</strong> Beschwerdeführers die aufschiebende<br />

Wirkung bis zur Entscheidung über die Beschwerde verlängern (§ 118<br />

Abs. 1 GWB).<br />

Gemäß § 6 Abs. 1 der Geschäftsordnung der <strong>Vergabekammer</strong>n <strong>des</strong> Lan<strong>des</strong> <strong>Brandenburg</strong><br />

vom 30. Juni 1999, AAnz. S. 898 ist die Unterzeichnung <strong>des</strong> Beschlusses<br />

durch den ehrenamtlichen Beisitzer nicht erforderlich.<br />

Schumann<br />

Thiele

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