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1. Quartal 2011 - Breitwiesenhaus

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Zeitzeugen<br />

sich also nach einer neuen Bleibe umsehen.<br />

Schließlich bot man ihr eine Wohnung in einer<br />

Jugendstilvilla an, die von Russen bewohnt<br />

war. Diese war in einem schlechten<br />

Zustand. Sie musste die Wohnung mit Hilfe<br />

einer Freundin erstmal „wohnfähig“ herrichten.<br />

Von der Kriegsrente, die Frau Welge bekam,<br />

konnte sie nicht überleben und deshalb<br />

musste sie sich etwas hinzuverdienen. In<br />

Heimarbeit nähte sie kleine Stofftäschchen<br />

und verkaufte diese. Den Stoff hatte sie noch<br />

von der Weberei ihres gefallenen Mannes.<br />

Eines Tages auf einer Zugfahrt lernte sie einen<br />

Geschäftsmann kennen, der eine Lederfabrik<br />

besaß. Sie konnte sich ein wenig Leder<br />

erbetteln für Ledertäschchen, die sie in<br />

Handarbeit nähte. Mit dem verdienten Geld<br />

kaufte sie sich eine N ähmaschine und entwarf<br />

neue Täschchen. Bis 1972 hatte sie es<br />

zu einem Unternehmen mit 180 Mitarbeitern<br />

geschafft und eine Fabrik für so genannte<br />

„Kulturbeutel“ aufgebaut. Mit 40 Jahren heiratete<br />

Frau Welge ein zweites Mal. Ihr zweiter<br />

Ehemann half ihr dann in ihrem Unternehmen<br />

mit.<br />

Ihre Tochter Barbara hielt es<br />

in der damaligen DDR nicht<br />

aus und flüchtete mit 18<br />

Jahren nach Berlin. Vier<br />

Jahre lang hatten sie keinen<br />

Kontakt zueinander. Ihr 2.<br />

Mann wollte auch flüchten,<br />

doch Frau Welge konnte ja<br />

ihren eigenen Betrieb nicht<br />

so einfach dem Regime<br />

überlassen. Ihr Mann ist dann dennoch nach<br />

Heilbronn geflüchtet. Ihre Tochter Barbara<br />

lebte zu dieser Zeit bereits in Stuttgart. N ach<br />

18 Jahren Trennung von Mann und Kind bekam<br />

auch Frau Welge die Erlaubnis zur Aus-<br />

26 <strong>Breitwiesenhaus</strong> Aktuell 40 - <strong>1.</strong> <strong>Quartal</strong> <strong>2011</strong><br />

reise für die „Familienzusammenführung“.<br />

1972 wurde die Fabrik enteignet und Frau<br />

Welge kam nach Stuttgart. Obwohl sie nur in<br />

einem Zimmer wohnte und ihre schöne Villa<br />

aufgeben musste, schwebte sie – wie sie<br />

selbst sagte – auf einer „rosa Wolke“. Frei zu<br />

sein und nicht unter der Beobachtung des<br />

DDR-Regimes war viel wert.<br />

Frau Welge lebt heute mit ihrer Tochter zusammen<br />

in Gerlingen und genießt das Leben.<br />

Ihr Wunsch ist es, noch recht lang am Leben<br />

teilnehmen zu können. Als ich Frau Welge<br />

zum Schluss des Gespräches fragte, was sie<br />

jungen Menschen auf dem Lebensweg mitgeben<br />

würde, antwortete sie: „Das Leben annehmen,<br />

den Kopf nicht hängen lassen und<br />

sich nicht selbst bedauern“.<br />

Frau Welge bedankte sich für die schönen,<br />

wohltuenden 4 Wochen im <strong>Breitwiesenhaus</strong>.<br />

Vor allem aber dankte sie den freundlichen,<br />

hilfsbereiten Schwestern. Das <strong>Breitwiesenhaus</strong><br />

ist ein „wirklich nettes Kleinod zum<br />

Wohlfühlen“. Am 13.0<strong>1.</strong><strong>2011</strong> hatte Frau<br />

Welge ihren 102. Geburtstag. Das <strong>Breitwiesenhaus</strong><br />

wünscht ihr alles Liebe und Gute,<br />

vor allem natürlich Gesundheit.<br />

Katja Mösle

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