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Oberstadt beherbergt einige für das Innere einer solchen Stadt ungewöhnlich große Anwesen,<br />
ja sogar Gutshöfe, die ihre Felder sowohl innerhalb als auch außerhalb der Stadtmauern<br />
haben. Dieser Stadtteil zeigt daher mehr als jeder andere, wie großzügig die Stadtmauern einst<br />
gezogen worden sind. Wie mir Kar bei einem guten Bier in einer beliebten Wirtsstube, dem<br />
Drei-Ecken-Haus in der Stubenstadt, eines Abends erzählte, war Danamere vor etwa einer<br />
Generation die reichste und mächtigste Handelsnation im ganzen Archipel, und zu jener Zeit<br />
seien auch die Mauern Abernalons niedergerissen und neu errichtet worden. Der beauftragte<br />
Baumeister, ein gewisser Kasimon, habe Mauern geplant, die die ganze Bucht umspannten<br />
und zu Lande in einem weiten Halbkreis die beiden Endpunkte an der Küste miteinander<br />
verbanden, und er habe dafür vom damaligen Hohen Tayong – wohl so etwas wie der König<br />
Danameres – ein überaus reiches Budget zur Verfügung gestellt bekommen, so dass er<br />
nirgends sparen mußte und seine Idealvorstellungen ohne Abstrich verwirklichen konnte. So<br />
habe er beispielsweise zur Wasserversorgung die beiden hier mündenden schmalen, aber<br />
wasserreichen Flüße in ein weitgefaßtes Kanalsystem geleitet und die Landschaft neu<br />
gestaltet; den Aushub aber habe er verwendet, um Dämme in die Bucht hinauszuschieben und<br />
mit deren Hilfe das Fundament der Seemauern zu legen. Die Mauer selbst mag zwar aus<br />
festungsbaulicher Sicht nicht mit der Qassims oder Unkus mithalten können, dennoch<br />
beeindruckt sie durch ihre Höhe und die makellose Glätte ihrer in roten und grünen Mustern<br />
bemalten, teils auch gekachelten Außenseite.<br />
V<br />
or allem aber umschließt sie nun eine gewaltige Fläche, die trotz der in den letzten Jahrzehnten<br />
rasant gewachsenen Bevölkerungszahl in ihren Mauern nicht nur reichlich<br />
Raum für Wohnungen und Werkstätten, sondern auch für ausgedehnte Parks, ja sogar<br />
Felder und Obstgärten bietet. Selten wanderte ich durch eine Stadt, die neben eng bebauten<br />
Bezirken zugleich so weite Plätze und solch eine Vielzahl öffentlich zugänglicher Grünflächen<br />
aufwies.<br />
D<br />
ie Stubenstadt heißt im Übrigen nicht etwa aufgrund der Vielzahl der dort zu findenden<br />
warmen Gaststuben so, sondern da sich hier in den oberen Geschossen fast jeden<br />
Hauses eine Pension oder Mietstube für die Bediensteten der wohlhabenden Herrschaften der<br />
Ober- und Mittelstadt und die Arbeiter und Handwerker der Manufakturen der Hinterstadt<br />
findet; zu ebener Erde dagegen haben Schuster, Schneider, Schreiner und andere Handwerker<br />
ihre kleinen Werkstätten zwischen den unzähligen Warmküchen, Trinkstuben und Gastwirtschaften,<br />
die einfache, aber herzhafte und meist wohlschmeckende Kost anbieten.<br />
U<br />
nterhalb der Oberstadt liegt zwischen Hinterkanal und der Mündung der Hinteretsch<br />
die Mittelstadt, deren hervorragendstes Bauwerk wohl das Hippodrom ist, ein 300<br />
Schritte langes und 180 Schritte breites Oval, an der Außenseite 18 Schritte hoch, in dessen<br />
Mitte unter freiem Himmel die Rennbahn liegt. Die unter dem Dach des Hippodroms<br />
treppenförmig übereinander angeordneten Zuschauertribünen bieten Sitzplätze für fast 10.000<br />
Bürger; Kar konnte sich an keine Gelegenheit erinnern, bei der das Stadion so gefüllt gewesen<br />
wäre, dass auch die Stehplätze besetzt gewesen wären. Nachträgliche Anbauten an allen vier<br />
Ecken des Hippodroms mindern die architektonische Wirkung des von ihnen eingefaßten weiß<br />
gekalkten Ovals leider ein wenig; diese Anbauten beherbergen nicht nur Wettbüros, sondern<br />
auch Trinkstuben, Speiselokale und unzählige kleine Ladengeschäfte, die allerlei Leckereien,<br />
Getränke und Andenken anbieten.<br />
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