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Kurz mal einkaufen

Madame Hovestadt war eine angesehene Rechtsanwältin in ihrem Bezirk. Aber dieses Wochenende war sie absolut frei. Keine Termine, keine Besuche, nur einkaufen musste sie noch. Fast übermütig gute Laune hatte sie. Ein junger Mann sprach sie an und lud sie zum Kaffee ein. Er war verrückt, aber Elli Hovestadt heute nicht weniger. Ein kompletter Jux war es für sie, doch die Begegnung beim Tomaten kaufen sollte Folgen haben.

Madame Hovestadt war eine angesehene Rechtsanwältin
in ihrem Bezirk. Aber dieses Wochenende
war sie absolut frei. Keine Termine, keine Besuche,
nur einkaufen musste sie noch.
Fast übermütig gute Laune hatte sie.
Ein junger Mann sprach sie an und lud sie zum Kaffee ein.
Er war verrückt, aber Elli Hovestadt
heute nicht weniger. Ein kompletter Jux
war es für sie, doch die Begegnung
beim Tomaten kaufen sollte Folgen haben.

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Elvi Mad<br />

<strong>Kurz</strong> <strong>mal</strong> <strong>einkaufen</strong><br />

oder<br />

Crazy Weekend<br />

Erzählung<br />

L'homme arrive novice à chaque âge de sa vie.<br />

Chamfort (1740-1794), Caractères et Anecdotes<br />

Madame Hovestadt war eine angesehene Rechtsanwältin<br />

in ihrem Bezirk. Aber dieses Wochenende<br />

war sie absolut frei. Keine Termine, keine Besuche,<br />

nur <strong>einkaufen</strong> musste sie noch.<br />

Fast übermütig gute Laune hatte sie.<br />

Ein junger Mann sprach sie an und lud sie zum Kaffee ein.<br />

Er war verrückt, aber Elli Hovestadt<br />

heute nicht weniger. Ein kompletter Jux<br />

war es für sie, doch die Begegnung<br />

beim Tomaten kaufen sollte Folgen haben.<br />

Schnell <strong>mal</strong> <strong>einkaufen</strong> – Seite 1 von 24


Schnell <strong>mal</strong> <strong>einkaufen</strong> - Inhalt<br />

Schnell <strong>mal</strong> <strong>einkaufen</strong>........................................................................... 4<br />

Albersloh............................................................................................... 4<br />

Ein paar Kleinigkeiten <strong>einkaufen</strong>...........................................................4<br />

Einladung.............................................................................................. 5<br />

Ödipuskomplex..................................................................................... 6<br />

Ronnie im Kulturamt............................................................................. 7<br />

Namenspatronin....................................................................................7<br />

Kino gibt’s jeden Abend........................................................................8<br />

Fotosammlung anschauen.....................................................................8<br />

Kinderleben...........................................................................................9<br />

Kitschfotograf..................................................................................... 10<br />

Bilderliebe........................................................................................... 12<br />

Elly Hovestadt hat sich unter Kontrolle...............................................12<br />

Du könntest auch hier schlafen........................................................... 13<br />

Die kleine Sucht.................................................................................. 14<br />

Ihr Model wartet................................................................................. 14<br />

Schulterfrei......................................................................................... 15<br />

Empfindest du auch etwas dabei?....................................................... 16<br />

Aber nur streicheln.............................................................................16<br />

Wer mit der Tigerin schläft..................................................................17<br />

Ich will's dir <strong>mal</strong> erklären................................................................... 18<br />

Erinnerungen festigen.........................................................................19<br />

Drittes Leben?..................................................................................... 20<br />

Ältere Frauen nicht vergessen.............................................................21<br />

Hilde, Karolina, Nicolas....................................................................... 21<br />

Doch nur ein lockeres Flittchen?.........................................................22<br />

Gewichtige Ansprachen.......................................................................22<br />

Schnell <strong>mal</strong> <strong>einkaufen</strong> – Seite 2 von 24


Schnell <strong>mal</strong> <strong>einkaufen</strong><br />

Albersloh<br />

„Ronnie, warst du schon <strong>mal</strong> in Karelien?“ fragte ich ihn mehr rhetorisch. Ronnie<br />

war verrückt. Genauso wie ich heute auch. Zwei Tagesverrückte. „Warst du schon<br />

<strong>mal</strong> in Albersloh?“ antwortete er mit einer Gegenfrage. „Nein, wo liegt das? Müsste<br />

ich das wissen? Eine Bildungslücke?“ erkundigte ich mich. „Ich bin da geboren. Es<br />

liegt unheimlich zentral. Du bist sofort in Angelmodde, Wolbeck oder Alverskirchen,<br />

und auch nach Drensteinfurt, Rinkerode und Hiltrup ist es nur ein Katzensprung.“<br />

erläuterte Ronnie. „Ich versteh schon, aber wie kommt man denn da hin, in diese<br />

Zentrale?“ wollte ich's genauer wissen. „Nichts ist einfacher. In Münster gibt es extra<br />

einen Weg dafür, den Albersloher Weg, da fährst du am Jovel, am Gasometer<br />

und Ratio-Markt vorbei und in Zeit von nichts bist du direkt mitten in Albersloh.“ erklärte<br />

Ronnie es mir. „Na ja, in Münster war ich ja schon öfter, aber nach dem Albersloher<br />

Weg habe ich mich da noch nie erkundigt. Sollte ich das demnächst <strong>mal</strong><br />

tun? Meinst du man wird sich da auskennen?“ bat ich Ronnie um hilfreiche Tips.<br />

„Natürlich, den kennt jeder. Die Münsteranerinnen und Münsteraner müssten ja verdursten.<br />

Die trinken doch unser Wasser.“ erläuterte Ronnie. „Dann sollten wir jetzt<br />

vielleicht doch lieber über Albersloh als über Karelien reden. Das würde dir sehr viel<br />

geben, nicht wahr?“ erkundigte ich mich. „Wenn ich dir einen Kuss geben darf, können<br />

wir auch über Karelien reden.“ war Ronnies Einstellung.<br />

Ein paar Kleinigkeiten <strong>einkaufen</strong><br />

Wie kann ein fünfundzwanzigjähriger Mann so verrückt sein? So verrückt sein, beim<br />

Einkaufen eine Frau anzusprechen, die seine Mutter sein könnte und sie direkt zu<br />

sich nach Hause einladen? Und die Mutter-Frau ist so verrückt, macht das mit, folgt<br />

den Wünschen des Sohn-Mannes und lacht sich schief. Oh, crazy day! Ich war gut<br />

drauf, hatte Wochenende, absolutes Wochenende, keine Termine und Verpflichtungen,<br />

keine Kinderbesuche, nur heute Abend wollte ich noch mit Hilde ins Kino, aber<br />

da freute ich mich drauf. Diese Art Wochenenden, an denen ich wirklich tun und lassen<br />

konnte, was ich wollte, fand ich paradiesisch. Leider gab es sie viel zu selten.<br />

Ich war relativ bekannt im Stadtteil, und überall hin wurde ich eingeladen, sollte irgend<br />

wozu etwas sagen oder einfach nur anwesend sein. Mein Sohn und meine<br />

Tochter, über nichts freute ich mich mehr, als wenn jemand von ihnen am Wochenende<br />

kam, aber completely relaxing war das eben nicht. Jetzt musste ich nur noch<br />

schnell ein paar Kleinigkeiten <strong>einkaufen</strong>.<br />

Diese Einkaufsmärkte sind ja mittlerweile die einzigen Kommunikationszentralen im<br />

Stadtteil. Ansonsten ist alles anonymisiert und isoliert. Es gibt partikulare interessenbezogene<br />

Kreise, von Stammtischen bis zu Kindergarteneltern, die untereinander<br />

mehr miteinander zu tun haben, aber jede Gruppe oder jeder Kreis agiert isoliert<br />

für sich. Etwas Gemeinsames, Verbindendes, das eine Identifikation mit dem<br />

Stadtteil möglich macht oder bewirkt, existiert nicht mehr. Ob Kirmes oder Schüt-<br />

Schnell <strong>mal</strong> <strong>einkaufen</strong> – Seite 3 von 24


zenfest der Bezug zum Stadtteil ist äußerlicher, eine identifikationsstiftende Basis<br />

bilden sie schon lange nicht mehr. Nur <strong>einkaufen</strong> müssen sie alle. Einige fahren natürlich<br />

raus und kaufen grundsätzlich alles nur beim Diskounter, die triffst du nicht,<br />

aber wer bestimmte Gewürze oder Gemüse für ein Rezept braucht, kann sicher<br />

sein, dass er die beim Diskounter nicht oder gerade nicht finden wird, und meine<br />

geliebten Roscoffzwiebeln gibt’s da sowieso nicht, während mein Kaufmann sie und<br />

noch vieles andere Leckere mehr ständig vorrätig hat. So denken sich's wohl die<br />

meisten, und die Chance, eine oder einen Bekannten hier zu treffen, ist nicht<br />

gering.<br />

In der Obst- und Gemüseabteilung standen wir nebeneinander bei den Tomaten. Im<br />

gleichen Moment drehten wir die Köpfe zur Seite, um <strong>mal</strong> einen kurzen Blick auf<br />

den Nachbarn zu werfen. Jetzt schauten wir uns beide direkt ins Gesicht. Der junge<br />

Mann lächelte, und ich lächelte zurück. Bestimmt kannte er mich, war wegen einer<br />

Bagatelle <strong>mal</strong> mein Mandant gewesen. Ich konnte mir ja nicht alle Gesichter merken.<br />

Später zwischen den Regalen wollte ich ihn mir noch<strong>mal</strong> genau ansehen, vielleicht<br />

fiel's mir dann wieder ein. Ob er meinen Blick verspürte, jedenfalls blickte er<br />

mich wieder lächelnd an. Kennen musste er mich wohl irgendwo her, aber mir viel<br />

nichts ein. Als wir zur Kasse kamen, hätten wir uns gut um den Platz in der Schlange<br />

streiten können. „Waren sie <strong>mal</strong> bei mir?“ fragte ich ihn. „Nein, wieso, sind sie<br />

Ärztin?“ antwortete er. Es war ja eine ganz nor<strong>mal</strong>e berechtigte Frage, trotzdem<br />

musste ich aus welchem Grunde auch immer lachen. „Ich habe sicher auch schon<br />

zur Heilung manch verletzter Seele beitragen können, aber nein, Rechtsanwältin bin<br />

ich.“ antwortete ich ihm. „Und warum lachen sie dann immer?“ wollte er wissen. Ich<br />

musste es mir verkneifen, loszuplatzen. Dieser junge Mann war absolut funny. „Na,<br />

bei Rechtsanwältinnen ist das eben so, alles verdammt lustige Weiber, sag ich ihnen.<br />

Nein, aber sie haben mich doch zuerst angelächelt, und ich habe daraus geschlossen,<br />

dass sie mich kennen müssten.“ antwortete ich ihm. Seine Sachen wurden<br />

gleich gescannt, vorher teilte er mir noch mit, dass er das gern vorne im Mini-<br />

Bistro bei einem Kaffee oder was auch immer mit mir klären würde und dass er<br />

auch sonst noch Fragen habe. Er lade mich ein, auch wenn er nicht mein Mandant<br />

sei. Natürlich, ich war schon gespannt darauf, was ich zu hören bekommen würde.<br />

Einladung<br />

„Wie hält man das bloß aus? Denn ganzen Tag nur Jura. Die Leute bei uns im Rechtsamt<br />

kann ich immer nur bedauern, wenn ich an die denke. Und dann sie als Frau.“<br />

erklärte er mir an der kleinen Platte, die man als Tisch bezeichnete, gegenübersitzend.<br />

Ich schaute ihn länger an, als ob ich ergründen wollte, was in seinen Denkprozessen<br />

wohl abliefe. „Und was hält frau besser aus als Jura, ihrer Meinung<br />

nach?“ wollte ich von ihm wissen. „Entschuldigung, das war blöde. Das hätte ich<br />

nicht sagen sollen und eigentlich auch gar nicht gewollt. Ist mir einfach so rausgeflutsch.<br />

Aber so etwas passiert schon <strong>mal</strong>. Geht ihnen das auch so? Wenn man etwas<br />

besser weiß, scheint das Alte dadurch nicht weg zu sein und kann einem einfach<br />

<strong>mal</strong>, meistens wenn es am schlechtesten passt, ganz unbedacht rausrutschen.“<br />

reagierte er. Ich lächelte ihn an. Er war süß. „Meistens nennt man das, was<br />

man ihm Unbewussten verborgen hält, aber dann doch <strong>mal</strong> unabsichtlich gesagt<br />

wird, Freudsche Versprecher. Sie haben vielleicht ein altes, von ihnen nicht mehr<br />

akzeptiertes Frauenbild in ihrem Unterbewusstsein abgelegt, und das meldet sich<br />

Schnell <strong>mal</strong> <strong>einkaufen</strong> – Seite 4 von 24


trotzdem manch<strong>mal</strong> einfach vorlaut zu Wort. Meinen sie das so?“ fragte ich. „Genau<br />

so. Sie sagen das sehr schön.“ meinte er und fuhr stotternd und sich verhaspelnd<br />

fort, „Wissen sie, es gefällt mir mit ihnen zu reden. Nur hier ist es so hektisch, laut<br />

und ungemütlich. Ich meine, ob wir nicht vielleicht woanders weiterreden könnten,<br />

wo's nicht so hektisch ist. Also am gemütlichsten und ruhigsten, und Kaffe gibt’s da<br />

auch, alles von Cappuchino bis Espresso, alles möglich, also ich meine, ist ja nur<br />

ein Vorschlag, ob wir uns nicht bei mir weiter unterhalten könnten?“ Ich schaute ihn<br />

grinsend an, innerlich fand ich's absolut durchgeknallt. Da lädt dieser junge<br />

Schnösel sich seine Mama, die er gerade zum ersten Mal gesehen hat auf die Bude<br />

ein. Wir schauten uns kurz voreinander sitzend in die Augen. Während ich's gar<br />

nicht fassen konnte, grinste er wohl mehr verlegen über seine Äußerungen. „Und<br />

was wollen sie da machen? Mir ihre Kaffeemaschine vorführen oder doch eher mit<br />

mir ins Bett?“ fragte ich ihn grinsend. „Bitte!“ antwortete er mit verlegener Mimik.<br />

Ich hätte mich totlachen können. So ein lustiger Einkauf. Man sollte viel mehr mit<br />

den Menschen zwischen den Regalen reden. Du denkst immer nur an Käse, Fisch<br />

und Wurst, welch wundervolle Erlebnisse du dir entgehen lässt, weil du keine<br />

Kontakte zu deinen Miteinkäufern herstellst, weißt du gar nicht. Wir hatten nicht<br />

geredet, nur gelächelt, und ich wusste es trotzdem. „Monsieur, ich weiß nicht, ob in<br />

ihrem Kopf noch alles mit rechten Dingen zugeht. Sie sollten jetzt besser nach<br />

Hause gehen und vielleicht ihr neues Frauenbild noch ein wenig polieren, damit es<br />

nicht mehr so leicht abstürzen kann.“ hätte ich ihm sagen sollen. „Sie sind sicher,<br />

dass es bei ihnen sehr gemütlich ist? Dann werde ich ja wohl nicht umhin können,<br />

mir das <strong>mal</strong> anschauen zu müssen.“ alles absolut gaga, aber ich hatte Lust darauf,<br />

wie ein junges Girlie übermütig völlig Verrücktes mitzumachen.<br />

Ödipuskomplex<br />

„Wunderbar die Kaffeemaschine, und der Espresso schmeckt hervorragend, nur mit<br />

dem anderen, das wird heut nix werden und morgen auch nicht. Ich steh nämlich<br />

gar nicht auf junge Männer und auf alte erst recht nicht.“ erklärte ich. „Auf Frauen<br />

mehr.“ fügte Herr Strehlow - vor der Fahrt zu ihm hatten wir uns im Supermarkt<br />

wenigstens noch unsere Namen gegenseitig bekannt gegeben - verständnisvoll erkennend<br />

an. „Überhaupt nichts, weder Männer, noch Frauen, noch sonst was. Ich<br />

bin fünfundfünfzig, junger Mann. Ich bin völlig raus aus dem Geschäft. Schon lange,<br />

sehr bequem ist das.“ erklärte ich ihm. „Aber am Alter liegt das doch nicht. Sie haben<br />

schlechte Erfahrungen gemacht, nicht wahr?“ reagierte er. Sollte ich mit diesem<br />

fremden Jungen denn jetzt mein Sexualleben und Sexualverhalten erörtern? Doch<br />

wohl eher nicht. „Nein, keine schlechten Erfahrungen. Es ist einfach schon vor der<br />

Menopause langsam immer weniger geworden und nachher auch nicht wiedergekommen.<br />

Und verschwunden ist vor allem die Lust, jetzt mit ihnen darüber reden<br />

zu wollen.“ klärte ich ihn auf. „Entschuldigung, ich wollte keinesfalls indiskret sein.<br />

Es ging mir auch nicht darum, dass wir zusammen ins Bett gingen. Ich fand sie einfach<br />

wundervoll und wollte sie nach dem Kaffe nicht verlieren.“ meinte Herr<br />

Strehlow. „Ödipuskomplex heißt die Krankheit. Sie sehn beim Einkaufen 'ne alte<br />

Dame, sind total verknallt und schleppen sie sofort mit zu sich nach Hause. Was<br />

sagt denn ihre Freundin dazu, wenn sie sich ab und an <strong>mal</strong> ne ältere Lady von der<br />

Ladenkasse weg engagieren, oder ist die selbst auch schon in die Jahre gekommen<br />

und hat Verständnis für so etwas? Stehen sie nur auf ältere Frauen?“ ergänzte ich<br />

dazu. „Sie sind unmöglich, verletzend, tun mir weh und wissen das. Was soll ich<br />

Schnell <strong>mal</strong> <strong>einkaufen</strong> – Seite 5 von 24


denn da zu ihnen sagen: 'Ältere Lady verdreht jungen Männern den Kopf, um an ihnen<br />

verbal ihre sadistischen Gelüste ausleben zu können?'.Ich habe noch nie eine<br />

ältere Freundin gehabt, habe noch nie eine ältere Frau sehnsüchtig angeschaut, und<br />

wenn ich an Freundin denke, gehe ich grundsätzlich von meinem eigenen Altersbereich<br />

aus. Auch wenn sie noch so stolz auf ihr Alter sind, es ist mir leider gar nicht<br />

aufgefallen. Natürlich hab' ich's gesehen, aber bei allem, was ich gedacht und empfunden<br />

habe, kam nirgendwo etwas von ihrem Alter vor. Aber vielleicht wollte mein<br />

Unterbewusstsein aber doch immer meine Mutter heiraten, hat's mich nur nicht<br />

wissen lassen, sah jetzt ne Chance und wollte hastig zugreifen. Du bist verrückt,<br />

absolut daneben.“ reagierte er nicht nur amüsiert. „Sie haben recht, Herr Strehlow,<br />

wenn man so heftig mit jemandem schimpft, kennt man sich in der Regel schon<br />

ganz gut, redet sich mit seinen Vornamen an und sagt du zueinander. Sie tun das<br />

ohne ihn zu kennen. In der Grundschule tun die Kinder das auch, sagen Frau<br />

Hovestadt, du. Vielleicht liege ich ja mit der Mutter ganz falsch, und es ist eher ihre<br />

Lehrerin, aber ob in der sexuellen Reifung auch Lehrerinnen vorkommen, dazu hat<br />

Freud sich meines Wissens nicht dezidiert geäußert. Ich will sie nicht verletzen,<br />

ihnen keinesfalls weh tun. Ich mag sie. Sie gefallen mir. Warum hätte ich mich<br />

sonst auf so etwas einlassen sollen? Auf so etwas Absurdes. Da werden sie wohl<br />

Recht haben, völlig verrückt muss ich schon sein, und da lässt sich dann oft ein<br />

wenig übermütiges Feixen nicht zurückhalten. Sehn sie's so.<br />

Ronnie im Kulturamt<br />

Wenn sie mir ein wenig von sich erzählen, verrate ich ihnen auch meinen Vornahmen,<br />

damit sie genau wissen, wen sie mit dem Du meinen.“ animierte ich ihn, etwas<br />

über sich zu erzählen. Im Kulturamt der Stadt war er beschäftig, arbeitete direkt<br />

dem Beigeordneten zu, war so etwas wie sein persönlicher Referent. Sein Stellvertreter<br />

konnte er nicht sein, das ging rechtlich nicht, aber er erledigte einen<br />

großen Teil seiner Arbeit, nicht nur, wenn er nicht anwesend war. „'Mach <strong>mal</strong>, Ronnie.'<br />

sagt der immer nur, dabei würde ich's oft gern mit ihm besprechen. Aber der<br />

hat ja auch so viel zu tun. Um den ganzen Kinder- und Jugendbereich muss er sich<br />

ja auch noch kümmern. Und vor allem, bei jeder Katzenkirmes will man ihn persönlich<br />

sehen, da kann er nicht mich hinschicken, und das dazu auch noch meist<br />

abends. Ich beneide ihn nicht um das viele Geld. Mein Leben so auffressen lassen,<br />

das wollte ich, glaube ich, nicht. Er hat mich da<strong>mal</strong>s persönlich angesprochen und<br />

gefragt, ob ich Lust dazu hätte. Im Grunde ist das 'nen ganz lockerer Typ, hat früher<br />

in der aktiven Zeit sich wohl kräftig bei den Jusos engagiert. Da ist er auch so<br />

ein wenig immer noch. Alles Bratärsche seien das geworden, seine Genossen von<br />

da<strong>mal</strong>s, regt er sich manch<strong>mal</strong> auf. Gefällt mir gut so. Mit Verwaltung hat das alles<br />

nur noch am Rande zu tun, ich komm mir eher so ein bisschen wie im Kulturmanagement<br />

vor.“ erzählte er und schien sich dabei sehr wohl zu fühlen.<br />

Namenspatronin<br />

„Wenn du total mit Kultur beschäftigt bist, dann hast du vielleicht auch schon <strong>mal</strong><br />

von meiner Namenspatronin 'Eleonora' gehört?“ erkundigte ich mich. Ronnie zuckte<br />

mit den Schultern. „Das war <strong>mal</strong> eine ganz große Schauspielerin, als ich geboren<br />

Schnell <strong>mal</strong> <strong>einkaufen</strong> – Seite 6 von 24


wurde, war sie auch schon lange gestorben, aber sie hatte dem Theater wohl Wegweisendes<br />

vermittelt. Meine Mutter schwärmte von der Duse, obwohl sie sie selbst<br />

natürlich auch nie gesehen hatte.“ „Eleonora Duse, natürlich kenn ich die, nur in<br />

den Bereichen habe ich überhaupt nicht überlegt. Und du gibst jetzt die große Tragödin<br />

im Gerichtssaal?“ wollte Ronnie wissen. „Da konnte ja nix draus werden, die<br />

Menschen, die sich auf den Brettern dieser Welt bewegen, belieben immer mich sofort<br />

alle Elly zu nennen. Das hat eigentlich mit Eleonora nichts zu tun, ist 'ne <strong>Kurz</strong>form<br />

für Elisabeth. Selbst die Lehrer in der Schule haben nach gewisser Zeit auf Elly<br />

umgeschwenkt. Einer Freundin, der ich <strong>mal</strong> mein Leid geklagt habe, dass ich überhaupt<br />

nicht Elly heißen möchte, hat's eine Zeitlang versucht, aber es muss wohl irgendetwas<br />

geben, das die Menschen reizt, diesen Namen auszusprechen. Sie könnten<br />

ja etwas anderes sagen, das auch tatsächlich mit Eleonora zu tun hat, wie Ellen,<br />

Leonie oder sogar Nora, aber nein, für alle bin ich die Elly.“ „In der Tat, ein schweres<br />

Los. Da sieht man die lustige quirlige Anwältin, und ahnt gar nicht, welche Tragödien<br />

sich hinter dieser Kulisse verbergen. Könnte es deinem wunden Herzen denn<br />

Linderung verschaffen, wenn wenigstens ich dich Eleonora nennen würde. Dereinst<br />

wirst du sagen können: 'Einen guten Menschen hat es gegeben, der mich erkannte<br />

und mich bei meinem rechten Namen benannte, Ronnie Strehlow, seines Platzes in<br />

meinem Herzen wird er nie verlustig werden.'“ äußerte er sich dazu und ich, „Bitte,<br />

verfahre so. Einen Platz in meinem Kopf, als einer der beklopptesten jungen Männer<br />

die ich kenne, hast du dir sowieso schon erobert.“<br />

Kino gibt’s jeden Abend<br />

„Ronnie, ich muss nach Hause. Ich wollte noch mit 'ner Feundin ins Kino und bei<br />

dem Eingekauften in meinem Auto setzt langsam der Verwesungsprozess ein. Es<br />

hat mir sehr gut gefallen bei dir. Ich finde dich nett und mag dich. Wiedersehen<br />

würde ich dich schon gern noch<strong>mal</strong>, du mich auch? Dann lass uns doch etwas vereinbaren.“<br />

verdeutlichte ich meine Situation. Ronnie machte ein betretenes Gesicht.<br />

„Wie, Eleonora, du kannst doch jetzt nicht einfach abhauen, verschwinden und alles<br />

abbrechen wollen.“ äußerte sich Ronnie entsetzt. „Schon, Ronnie, aber was breche<br />

ich denn ab? Wir werden uns doch wiedertreffen.“ antwortete ich darauf. „Es ist<br />

wundervoll, dass du hier bist, dass wir miteinander reden und mit- und übereinander<br />

lachen können. Es freut mich und ist als ob es einen Glanz, ein Leuchten in<br />

meine Wohnung brächte und du willst einfach einen Cut, das Licht ausschalten. Was<br />

soll ich denn den Rest des Tages machen? Davon träumen, wie schön es sein könnte,<br />

wenn du noch hier wärest? Deine Lebensmittel können wir raufholen, und Kino<br />

gibt’s jeden Abend. Deine Freundin wird bestimmt Verständnis haben.“ antwortete<br />

er. „Meine Freundin wird es nicht glauben wollen, dass mir der Abend mit einem<br />

fünfundzwanzigjährigen unbekannten jungen Mann wichtiger sein soll als mit ihr.<br />

Aber was sollen wir denn überhaupt machen? Soll ich dich nur durch meine Anwesenheit<br />

beglücken, was ich sowieso nicht verstehen kann, sollen wir nur über irgendetwas<br />

miteinander reden, was uns gerade einfällt. Ich mag dich Ronnie, und es<br />

war auch sehr angenehm bei dir, aber da habe ich eigentlich gar keine Lust drauf.“<br />

erwiderte ich ihm. „Meine Briefmarkensammlung müsste ich dir eigentlich zeigen<br />

wollen, nicht wahr, hab' ich aber nicht. Dafür habe ich ganz, ganz viele Bilder, ich<br />

meine Fotos, vielleicht hast du an so etwas Interesse.“ erklärte Ronnie. Ich war unsicher,<br />

eigentlich wollte ich jetzt nach Hause und später mit Hilde ins Kino, dann<br />

wäre alles in Ordnung und geregelt gewesen, aber es war ja seit dem Supermarkt<br />

Schnell <strong>mal</strong> <strong>einkaufen</strong> – Seite 7 von 24


schon nichts mehr in Ordnung, und irgendetwas kitzelte mich schon, noch hier zu<br />

bleiben. Ob ich beim Film nicht sowieso wahrscheinlich immer schmunzelnd an Ronnie,<br />

my youthful lover, denken würde?<br />

Fotosammlung anschauen<br />

„Ronnie, ich halte das alles für völlig abstrus, was wir hier tun. Du wirst mir ganz<br />

viel erklären müssen, aber gehen wir zum Wagen bevor wir uns die Fotos anschauen.“<br />

hatte ich entschieden. Dass auf dem Sideboard eine dicke Kamera lag und auf<br />

dem Boden eine Fototasche und ein Metallkoffer standen, hatte ich wohl bemerkt,<br />

dass es sich aber bei den vielen Bildern in der Wohnung alles um Fotos mit völlig<br />

unterschiedlichen Sujets handelte, fiel mir erst jetzt auf. „Die Bilder, die hier hängen,<br />

sind das alles Fotos von dir?“ fragte ich. „Ist ja nicht schlecht, wenn man ein<br />

wenig davon sieht, nicht wahr?“ reagierte Ronnie und holte eine große Mappe. „Hier<br />

sind noch ein paar ausgedruckte, bei denen ich auch in Erwägung gezogen hatte,<br />

sie eventuell aufzuhängen.“ erläuterte er als wir die zirka fünfzig Bilder durchblätterten.<br />

Wir sprachen über die Bilder und ich meinte abschließend: „Toll, wunderschön,<br />

du fotografierst sehr viel, ist dein richtiges intensives Hobby, nicht war?“<br />

Ronnie verzog eher leicht gequält das Gesicht und meinte: „Viel fotografiere ich<br />

schon, nur ich würde es gerne besser können. Technisch bin ich, glaube ich gar<br />

nicht <strong>mal</strong> schlecht, nur künstlerisch, weiß du, da sehe ich nix. Ich kann nur bei anderen<br />

bewundern, was die gesehen haben. Ich hab's so oft versucht, aber es<br />

kommt nichts dabei rum. Ich habe mich inzwischen damit abgefunden. Ich bleibe<br />

eben ein Kitschfotograf, ist auch schön, macht mir auch Spaß.“ „Ich verstehe<br />

nichts, die Bilder, die ich gesehen habe und die hier hängen, sind doch nicht kitschig,<br />

da sind doch keine Abendrot- oder Mondscheinportäts dabei. Wo da der<br />

Kitsch sein soll, das musst du mir erklären. Aber erst möchte ich die anderen Fotos<br />

sehen. Mein Süßer, deine Fotos gefallen mir, gefallen mir ausgesprochen gut,<br />

meinst du es wird daran liegen, dass ich so ein kitschiges Gemüt habe?“ erkundigte<br />

ich mich verschmitzt. Ronnie reagierte: „Eleonora, wir werden deinen Kitschfaktor<br />

gleich genau ermitteln. Aber wenn ich meinem dringlichsten Bedürfnis folgen wollte,<br />

müsste ich dem schelmischen Gesicht, hinter dem sich das kitschige Gemüt verbirgt,<br />

jetzt unbedingt einen Kuss geben.“ „Mh, mh, Ronnie. So etwas machen wir<br />

doch nicht. Obwohl, was ist denn schon dabei. Anderswo küssen sich die Menschen<br />

permanent zur Begrüßung. Und wohin würdest du mir einen Kuss geben wollen?<br />

Auf die Stirn? Das machen Eltern bei ihren Kindern. Nein das würde mir nicht gefallen.<br />

Einfach so auf eine Wange, das wäre auch sehr unpersönlich, wie zur Begrüßung<br />

eben. Und auf den Mund? Ist dass denn nicht zu intim? Es gibt gar keine Stelle,<br />

wo man sich hinküssen kann, wenn's einfach nur ein bisschen nett gemeint ist.“<br />

sinnierte ich, und Ronnie hielt sich den Bauch vor Lachen. „Die Nase, was ist mit<br />

der Nase, die hast du ganz vergessen.“ gemahnte er. „Ronnie du bist ein verrückter<br />

Mensch, küss mich bevor es zu spät ist.“ Nachdem er sich ein wenig gefasst hatte,<br />

bekam ich einen Kuss auf den Mund. Wir schauten uns beide ein wenig erstaunt lächelnd<br />

an.<br />

Kinderleben<br />

Schnell <strong>mal</strong> <strong>einkaufen</strong> – Seite 8 von 24


Es bedeutete ja nichts, aber es war mir eben doch seit ewigen Zeiten nicht mehr<br />

passiert. So etwa im Bereich von fünfzehn Jahren müsste man es ansiedeln können,<br />

seit mein Mann und ich uns die letzten Male geküsst hatten. Ich hatte es nicht bedauert,<br />

dass zwischenzeitlich kein Mann mir gegenüber ein derartiges Begehren geäußert<br />

hatte und wenn, dass ich dem entsprochen hätte, wäre noch viel unwahrscheinlicher<br />

gewesen. Jetzt machte es mir Spaß. Weckte dieser junge Mann in mir<br />

das Bedürfnis, selbst wieder jung sein zu wollen, hatte diese ganze leicht übermütige<br />

Lust heute damit zu tun? Nur erstens kam ich mir in meinem Denken selber gar<br />

nicht alt mit einer Sehnsucht nach Jugend vor und zweitens in meiner Jugend war<br />

ich nie so. Eigentlich war es nie so. Bei mir war immer alles brav und bieder, wie<br />

man sagen würde. Mich hat's gar nicht gestört. So war ich, so war das Leben eben<br />

und ich fand's ganz o. k., war damit zufrieden. Aber mit den Kindern veränderte<br />

sich etwas. Ich hatte Angst. „Du wirst viel zu herb, zu grob für dieses kleine<br />

empfindliche zarte Wesen sein. Du wirst es nicht verstehen und es wird dich nicht<br />

verstehen.“ dachte ich. Wenn Nicolas Anstalten machte, schreien zu wollen, bekam<br />

er immer die Brust, und dann war die Welt in Ordnung. Ein<strong>mal</strong> funktionierte das<br />

nicht. Er wollte nicht trinken und schrie. Mich versetzte es in Panik. Ich konnte<br />

diesen kleinen Mann doch nicht schreien sehen und hören. Ich redete auf ihn ein:<br />

„Wenn du wüsstest, was ich tun würde, damit du wieder glücklich sein kannst. Alles<br />

würde ich tun, Ja wirklich alles, absolut alles.“ Er unterbrach sein Schreien und<br />

schaute mich mit großen Augen an. Ich versicherte ihm weiter, dass meine<br />

Behauptung wirklich zutreffend sei, und warum ich das so sehen würde. Er hörte<br />

mir die ganze Zeit aufmerksam zu, gähnte ein<strong>mal</strong> ausgiebig und lag mit zufriedener<br />

Mine in meinem Arm. Den Anlass zum Schreien hatte er wohl vergessen. Ich war<br />

stolz, glücklich und freute mich richtig. So wenig wie es war, aber er hatte mir das<br />

Gefühl vermittelt, dass ich doch die richtige Mutter für ihn sei. Ich freute mich<br />

selbst mit einer Art kindlicher Freude, wie ich sie sonst nirgendwo bei mir kannte<br />

und nicht wusste, dass ich so etwas konnte. Das hatte mich erfasst und fasziniert<br />

und blieb immer die Basis meines Lebens mit den Kindern. Ein anderes Leben, eine<br />

wärmeres, sonnigeres Leben, das lustiger war und indem die Freude am Leben<br />

selbst und nicht an ordnungsgemäßer Pflichterfüllung dominierte. Was sich im<br />

Zusammenhang mit den Kindern entwickelt hatte war mein zweites, mein<br />

wertvolleres glücklicheres Leben, dass ich aber keineswegs auf das andere übertrug<br />

oder übertragen konnte. Heute habe ich es wohl auf den Umgang mit meinen<br />

Mandanten-Kindern und das Verhalten gegenüber meinen Mitarbeiterinnen in der<br />

Kanzlei übertragen. Die Lust an Verrücktem, Skurrilem und Blödsinn, hat keine<br />

Bezüge zu meiner eigenen Kinder- und Jugendzeit, sondern zu meiner Mamazeit, in<br />

der ich Lust an und mit meinen Kindern hatte.<br />

Kitschfotograf<br />

„Los, zeig mir die Fotos. Ich will den ganzen Kitsch jetzt sehen.“ forderte ich entschlossen.<br />

„Wie lange Zeit hast du? Eine Woche etwa wirst du schon benötigen,<br />

wenn du alles gesehen haben willst. Möchtest du mit Beamer? Ich find's auf dem<br />

Laptop gemütlicher.“ fragte Ronnie. „Gemütlich ist das so aber auch nicht.“ meinte<br />

ich zu dem halb auf meinen und seinen Knien liegenden PC, „Nach spätestens einer<br />

halben Stunde wird unser Rücken nicht mehr gerade zu biegen sein.“ „Na ja, am<br />

Schreibtisch wär's bequemer, oder wir könnten uns damit auf's Bett legen.“ schlug<br />

Ronnie vor. Natürlich Bett, musste ich mir denn immer irgendetwas reserviert Zu-<br />

Schnell <strong>mal</strong> <strong>einkaufen</strong> – Seite 9 von 24


ückhaltendes dabei denken? Es war doch etwas Selbstverständliches, wir wollten<br />

doch genauso wenig voneinander wie die zwei nebeneinander auf dem Bauch vorm<br />

Laptop liegenden Freunde. Wunderschöne Bilder, der seinen Rüssel entrollende<br />

Schmetterlingskopf, der bremsende Flügelschlag der kleinen Meise, die gerade landen<br />

wollte, die protzig prangenden Blüten der Blumenwiese mit den grauen qualmenden<br />

Kühltürmen im fernen Hintergrund, aber auch anderen Impressionen, wie<br />

der Straße mit dem schmutzigen von Autospuren zerfurchten Schneematsch parallel<br />

zum glatten dunklen Fuss bei trüber Winterstimmung. Ich fragte und Ronnie erklärte<br />

viel. Meine Bewunderungen wurden immer von seinen Understatements pariert.<br />

„Menschen, wo sind denn Fotos mit Menschen, irgendwelche Portraits oder so?“<br />

fragte ich. „Menschen kann ich nicht.“ meinte Ronnie, „Das ist es ja eben. Wenn du<br />

ein Foto machst, äußerst du dich ja in gewisser weise. Es hat ja nur dann Sinn,<br />

wenn es auch jemand zu sehen bekommt. Genauso wie bei einem Roman, einer<br />

Skulptur oder einem ge<strong>mal</strong>ten Bild. Du willst damit kommunizieren, und das kann<br />

ich mit meinen Fotos nicht. Ein Portrait lässt beim Betrachter eine Geschichte<br />

entstehen, der denkt an etwas, wenn er dieses Gesicht so sieht, und diese<br />

Geschichte erzählt ihm der Fotograf durch seine Sicht dieses Menschen. Aber das ist<br />

ja nicht nur bei Portraits so, auch andere Bilder erzählen Geschichten, nur der<br />

Fotograf muss sie sehen, muss das so festhalten, dass man versteht, was er<br />

kommunizieren will. Das kann ich nicht. Da bin ich zu blöd für. Ich kann nur<br />

Hochzeitsfotos und die mach ich lieber in der Natur als von Brautpaaren. Meine<br />

Bilder erzählen keine Geschichten, sind einfach nur schön, gefühlsansprechend,<br />

sentimental, kitschig eben.“ Entsetzlich, alles von dem, was er gesagt hatte, war ja<br />

keineswegs falsch, aber seine Bilder waren wundervoll, nicht kitschig. Kitsch ist,<br />

wenn das Gefühlsbetone, Triviale beziehungslos überquillt. Nichts von alledem, was<br />

man gemeinhin unter Kitsch versteht, war auf einem einzigen der Bilder zu<br />

erkennen gewesen, nirgendwo ein süßliches Schmusekätzchen, putziges Häschen<br />

oder dergleichen. „Das stimmt nicht, was du sagst, Ronnie. Wenn ich deine Fotos<br />

sehe, denke ich, ein Buch mit ihnen würde ich das kaufen? Wahrscheinlich schon,<br />

und kitschige Bücher kaufe ich grundsätzlich nicht. Mit Kitsch hat das nichts zu tun,<br />

was und wie du fotografierst, das sind ernsthafte Bilder und mir fallen auch<br />

Geschichten dazu ein. Die Fotos lassen den Betrachter schon verharren. Nur du<br />

willst wahrscheinlich etwas anderes, du willst große moralische oder soziale Fragen<br />

thematisieren, willst den Betrachter über Macht und geschundene Abhängigkeit<br />

sinnieren lassen. Das andere bedeutet dir nichts, ist nichts wert. Wenn du nicht die<br />

gequälte Seele oder den tyrannischen Familienvater rüberbringen kannst, bist du<br />

ein Stümper und Kitschfotograf. Und ändern lässt sich da sowieso nichts, weil du<br />

das nicht kannst, und du kannst das nicht, weil du zu blöd dafür bist. Ronnie, was<br />

bist du denn für ein Mensch? Ein fünfundzwanzigjähriger Mann in der Blüte seiner<br />

jungen Kraft lässt mich derart defätistisches Gedankengut hören. Deine Bilder sind<br />

toll, du hast sie doch gern gemacht, hast dich gefreut, dass sie so gut gelungen<br />

sind und zu Hause über<strong>mal</strong>st du sie mit schwarzer Farbe von Skepsis und<br />

Pessimismus. Sie sind toll und du prächtiger Mensch hast sie gemacht, und du bist<br />

sicher, dass du Wege finden wirst, auch anderes darstellen und vermitteln zu<br />

können. Es ist nicht so, dass du bestimmte Aspekte nicht fotografisch festhalten<br />

kannst, es ist so, dass dir jegliches Selbstvertrauen und Selbstwertempfinden zu<br />

fehlen scheint. Wahrscheinlich wirst du dich für alles, was dich nicht anfliegt, zu<br />

blöd halten. Du wirst eine Mutter brauchen, die dir immer über's Haar streicht und<br />

ermutigend verkündet: „Du schaffst das schon, mein Kleiner.“<br />

Schnell <strong>mal</strong> <strong>einkaufen</strong> – Seite 10 von 24


Oh je, wozu hatte ich mich da hinreißen lassen und warum? Ronnie lag auf dem<br />

Bett und schaute zur Wand, während ich im Schneidersitz mein Urteil gesprochen<br />

hatte. Er sagte nichts. Sollte ich mich entschuldigen? Dann richtete er sich auch<br />

auf. „Eleonora, du möchtest, dass ich anders denke, aber das bin ich nicht, so kann<br />

ich nicht denken und empfinden. Solange ich mich erinnern kann, war ich immer<br />

schon feige, nein, feige war ich nicht, das ist nicht das richtige Wort. Wenn die leisesten<br />

Zweifel bestanden, dass ich etwas schaffen würde, war ich immer der festen<br />

Überzeugung 'Du schaffst es nicht.'. Bei den Blauen Briefen war ich der einzige, für<br />

den es ziemlich sicher war, sitzenbleiben zu müssen. Für Sport wäre ich denkbar<br />

ungeeignet gewesen. Dass ich Sieger sein würde, hätte ich mir nie vorstellen können,<br />

sondern hätte immer nur gesehen wie gut die anderen sind. Ich habe auch<br />

nicht studiert, habe mich nicht getraut, weil ich mir nicht sicher war, es schaffen zu<br />

können. Ja, so ist das. Jetzt kennst du mich besser als mein Psychiater, ich habe<br />

nämlich gar keinen.“ erläuterte Ronnie.<br />

Bilderliebe<br />

„Entschuldigung, Ronnie, es tut mir leid und ist mir sehr unangenehm. Da ist bestimmt<br />

meine theatralische Namenspatronin mit mir durchgegangen. Ist das mit einem<br />

Kuss wieder gut zu machen oder könnte es dich wenigstens ein bisschen versöhnen?<br />

Ich habe mich daneben benommen, da gibt es nichts zu deuteln.“ erklärte<br />

ich und Ronnie smilte wieder. „Ich weiß nicht, warum ich so etwas getan habe?“<br />

eine Hand lag noch auf seiner Schulter und mit der anderen strich ich ihm über die<br />

Wange, „Für mich ist es nur so zu erklären, dass ich dich schon sehr mag, und da<br />

kann man es als Frau nicht ertragen, wenn ein Mann sagt: 'Ich trau mich nicht. Bestimmt<br />

bin ich zu dumm.' Da suchst du jemanden der sagt: 'Ich werde für dich<br />

kämpfen, werde dich beschützen, alle Feinde werde ich dir vom Halse halten, sie<br />

besiegen und dich mit meiner Liebe umfangen.' Ja du möchtest, dass dein Liebhaber<br />

im übertragenen Sinne stark und mutig ist, und Zuversicht ausstrahlt. Das<br />

zeichnet dir ein positives, hoffnungsvolles Bild. Tatsächlich verhält es sich natürlich<br />

nicht so, nur alle täuschen sie das Bild vom kleinen Helden vor. Du bist sehr ehrlich,<br />

und das ist ungewöhnlich. Nur was ich von deinen Bildern gesagt habe, das bleibt<br />

ohne jeglichen Abstrich bestehen, und dass du stolz darauf sein solltest, anstatt sie<br />

und dich abschätzig zu betrachten auch. Sieh <strong>mal</strong>, das ist wie bei einem Mädchen,<br />

das nicht gelernt hat, seinen Körper zu lieben, das alles nur geringschätzig und ieh<br />

und pfui findet, das wird später nicht liebend glücklich werden können. Es geht kein<br />

Weg daran vorbei, du wirst deine Bilder schon toll finden und dich in sie verlieben<br />

müssen, dann werden sie ein Teil von dir sein, den du sehr magst, und es wird von<br />

dieser sicheren Basis aus auch leicht sein, Neues zu entdecken, Exkursionen in unbekannte<br />

Terrains zu wagen.“ versuchte ich mich zu erklären.<br />

Elly Hovestadt hat sich unter Kontrolle<br />

Es war mir wirklich sehr unangenehm und völlig unverständlich, wie ich mich dazu<br />

hatte hinreißen lassen, diesen mir fremden jungen Mann persönlich verletzend zu<br />

beschimpfen. Nie könnte mir so etwas passieren, würde ich von mir behaupten. Elly<br />

Hovestadt hatte sich unter Kontrolle und hätte auch gar keine Ambitionen dazu ver-<br />

Schnell <strong>mal</strong> <strong>einkaufen</strong> – Seite 11 von 24


spürt. Sie hatte sich immer unter Kontrolle gehabt. Vielleicht war es das einzige gewesen,<br />

was sie an sich gemocht hatte, dass sie alle Exaltiertheiten oder was sie dafür<br />

hielt mit Verachtung strafen und sich von ihnen mit Leichtigkeit distanzieren<br />

konnte. Emotionalität war das Gefühl der Zufriedenheit, wenn alles ordnungsgemäß<br />

und vernünftig geregelt war. Dafür gab es Aufmerksamkeit und Zuneigung, vernünftig<br />

zu handeln, allem Tand und Überfüssigem aus dem Wege zu gehen. Selbstverständlich<br />

war ihr dieses Verhalten, anderes kannte sie nicht, konnte es emotional<br />

nicht nachvollziehen, verstand es nicht und bewertete es als geringschätzig und<br />

nicht erstrebenswert. Auch wenn die ganze Welt und ihr Reden voll davon waren,<br />

Liebe waren für sie emotionale Spinnereien und gefühlsduselige Flausen. Es kam<br />

darauf an, dass man sich untereinander verstand und vernünftig miteinander umging,<br />

wie ihre Eltern es ihr vorlebten. Dass sie sich in verliebter Lust umarmen<br />

könnten, wäre für sie unvorstellbar gewesen. Dass man an Sex auch Gefallen finden<br />

konnte, hatte sie später mühsam unter liebevoller Zuwendung erlernen müssen.<br />

Das kleine Mädchen, war sie gewesen, wie sie den unangenehmen pubertären<br />

Turbulenzen begegnet war. Völlig verändert hatte sich das alles nicht. Ich war schon<br />

teilweise diese Person geblieben, nur das Leben mit den Kindern stellte eine andere<br />

Welt dar, die es mir überhaupt erst ermöglichte, die andere Nelli Hovestadt zu sehen<br />

und zu erkennen.<br />

Du könntest auch hier schlafen<br />

Meine flaxige Stimmung schien zu bröseln. „Ronnie ich muss jetzt aber wirklich<br />

nach Hause. Wir können uns ja schon morgen oder übermorgen wiedertreffen. Ich<br />

habe das ganze Wochenende absolut frei. Von deinen Fotos möchte ich schon gern<br />

noch mehr sehen, und im Übrigen möchte ich dringend von dir fotografiert werden,<br />

über die Qualität der Bilder werde dann ich allein entscheiden.“ stellte ich mit einem<br />

Lächeln fest. „Eleonora, ich möchte dich zu nichts drängen, aber warum willst du<br />

denn schon gehen? Stört dich irgendetwas oder möchtest du jetzt einfach lieber für<br />

dich allein sein? O. k., nur mir gefällt es wunderbar, wenn du hier bist, und wenn du<br />

das ganze Wochenende nichts vor hast, kann es an der Zeit doch nicht liegen. Wir<br />

könnten gleich Abendbrot essen und wenn du Lust hast, könntest du auch hier<br />

schlafen. Ich würde im Wohnraum übernachten und wir frühstückten Morgen gemeinsam.<br />

Eine herrliche Vorstellung für mich.“ reagierte Ronnie darauf. „Ronnie, du<br />

musst wissen, dass ich am liebsten gleich hier einziehen würde, aber leider hast du<br />

ja keinen Raum für mich als Untermieterin zur Verfügung, und was sagt dein Vermieter<br />

dazu, wenn du einfach so mit einer fremden Frau unverheiratet zusammenleben<br />

willst. Alles ungelöste oder unlösbare Probleme, siehst du, und darüber<br />

möchte ich mir gern bei mir heute Abend <strong>mal</strong> allein den Kopf zerbrechen. Nein,<br />

wenn man verrückt ist, hat man, denke ich, gar keine Lust darauf, allein sein zu<br />

wollen. Ist bei mir wenigstens heute so, wir können ja noch zusammen zu Abend<br />

essen. Du hast mir ja auch immer noch nicht erzählt, warum du mich so toll findest,<br />

das will ich schon hören. Aber schlafen, möchte ich doch gerne bei mir. Du kommst<br />

morgen zum Frühstück, ist ja nur ein paar Straßenzüge weiter. Ich ruf dich an, oder<br />

du könntest natürlich auch gleich schon mitkommen und bei uns übernachten. Da<br />

gibt es mehrere Zimmer mit richtigen Betten, da brauchtest du nicht auf der Couch<br />

zu schlafen.<br />

Warum hatte ich das jetzt gesagt? In der Tat zeichnete sich für mich schon ein an-<br />

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genehmes Bild, diesen jungen Mann bei mir herumlaufen zu sehen, obwohl ein Gefühl<br />

von Einsamkeit war in der Zeit, seitdem Karolina nun auch schon aus dem Hause<br />

war, noch nie aufgekommen. Sehnsucht nach einem Gesellschafter oder einer<br />

Gesellschafterin war mir fremd. Nur das Haus war für mich allein zu groß und zu<br />

teuer im Unterhalt. Ich wollte es verkaufen, hatte aber noch nie einen konkreten<br />

Ansatz gemacht. Wahrscheinlich würde mein Unterbewusstsein es strikt zu verhindern<br />

wissen. Dieses Haus war der Ort, an dem die andere Seite meines Lebens,<br />

mein schönes Leben, mein Leben mit den Kindern statt gefunden hatte. Meine<br />

nüchterne Seite sagte, es sei unvernünftig, es behalten zu wollen, aber mein Herz<br />

würde immer dort wohnen bleiben wollen. Es wäre doch eine Idee, an Herrn<br />

Strehlow Räume zu vermieten, es gab allerdings keine getrennten Etagen. Bäder<br />

gab es zwar unten und oben, aber sonst würde man schon ein wenig umbauen<br />

müssen. Dass ich mich mit ihm vertragen würde, meinte ich schon absolut sicher<br />

beurteilen zu können. Ronnie fände es bestimmt nicht schlecht und würde wahrscheinlich<br />

sogar begeistert sein. Ich hatte nur Tomaten, Käse, Sahne, Fisch und<br />

Brot gekauft und einen neuen Untermieter als Zugabe bekommen?<br />

Die kleine Sucht<br />

Natürlich kam Ronnie sofort mit und nicht erst morgen zum Frühstück. „Eleonora,<br />

das ist schon so, dass ich dich am liebsten in meiner Nähe wüsste.“ erklärte Ronnie<br />

beim Abendbrot zu seinen Empfindungen für mich, „Vielleicht schon so, wie der<br />

Kleine mit seiner Mami. Aber so empfinde ich es in keiner weise. Wenn du verliebt<br />

bist, ist es ja auch so, dass du die Zeit der Trennung kaum ertragen kannst. Was es<br />

bei dir ist, kann ich gar nicht genau benennen. Dein Blick und dein Lächeln haben in<br />

mir etwas angesprochen, das ich gar nicht kannte, das mich aber verstörte, in gewisser<br />

weise verzauberte und mich betörte. Es hat mich aufgeschreckt und gesagt:<br />

„Das ist wichtig! Bemüh' dich darum!“ So im Augenblick, aber sofort ganz sicher.<br />

Ich weiß gar nicht, was ich getan hätte, wenn du nicht mit zu mir gekommen wärst.<br />

Einfach so hinnehmen und vergessen, hätte ich es bestimmt nicht können. Wie und<br />

was du redetest, wie wir uns unterhalten haben, hat alles nur bestätigt und verstärkt.<br />

Ich weiß nicht, ob so etwas Liebe ist, Liebe auf den ersten Blick? Ich empfinde<br />

es eher, wie eine kleine Sucht, eine Sucht, die liebevoll und zärtlich sein möchte,<br />

eine Sucht nach dir, süße Frau Hovestadt.“ Was sollte ich denn damit anfangen? Ein<br />

junger Mann im Alter meines Sohnes nach mir süchtig? „Komm, mein Schatz, einen<br />

Kuss zur Linderung deiner Süchte.“ und wir lachten. „Ronnie, hast du eigentlich keine<br />

Freundin oder berührt diese Sucht dein Verhältnis zu ihr gar nicht?“ fiel mir ein.<br />

„Ich glaube, das kann ich auch nicht, Eleonora. Für Freundin bin ich auch zu doof.“<br />

reagierte Ronnie smilend, „Da war überhaupt nicht alles sonnenbeschienen, wie<br />

man sich das ja so vorstellt und wünscht. Meine Liebesfahrten fanden nie in Helios<br />

Wagen statt und der Weg war holprig und mit Schlaglöchern übersät. Eleonora, bei<br />

Liebe willst du doch etwas spüren können, es muss doch etwas besonderes sein,<br />

deine Träume soll es beflügeln. Bei mir war es immer wie ein netter Teil des Alltags,<br />

mehr nicht, und selbst das zuletzt nicht <strong>mal</strong> mehr. Meine letzte Freundin hatte jemand<br />

anders kennengelernt und versuchte mich davon zu überzeugen, dass es<br />

ganz nor<strong>mal</strong> sei und man doch zu dritt zusammenleben solle. Dabei wollte ich noch<br />

nicht ein<strong>mal</strong> mit ihr allein zusammenwohnen. Ich meine, grundsätzlich keine Probleme<br />

mit Frauen zu haben, ich habe eben bloß noch niemanden gefunden. Vielleicht<br />

bin ich nur viel zu selten Freitags im Supermarkt gewesen und habe ge-<br />

Schnell <strong>mal</strong> <strong>einkaufen</strong> – Seite 13 von 24


schaut, ob mich eine anlächelt, deren Blick ich nicht widerstehen kann und die mich<br />

beim Tomaten kaufen magisch anzuziehen versteht.“<br />

Ihr Model wartet<br />

„Man könnte auch heute Abend schon Fotos machen, im Haus, im Zwielicht und<br />

dann in schwarz-weiß aber auch in gedämpften Farben könnte ich mir sehr stimmungsvoll<br />

vorstellen.“ meinte Ronnie. „Herr Fotograf warum zögern sie, ihr Model<br />

erwartet ihre Anweisungen.“ Oh je, das dauerte. Aber die ersten Fotos am Küchentisch<br />

waren wundervoll. So toll hatte ich mich noch nie gesehen. Dass ich die problematische<br />

Entwicklung der moralischen Wertvorstellungen der abendländischen<br />

Kulturgeschichte öfter überdachte, war mir schon klar, aber dass ich das auch bei<br />

Messer, Brot und Butter am Abendbrottisch tat, sah nur Ronnie. Jetzt Schreibtisch,<br />

die Diva spielte in allen Posen, aber am schönsten fand ich noch Fotos auf denen<br />

ich ihn einfach direkt anschaute, mir die Kamera wegdachte, und dem freundlichen<br />

jungen Mann im Supermarkt zulächelte. So wunderbare Bilder hatte ich von mir<br />

noch nie gesehen. Wahrscheinlich muss man dazu erst fünfundfünfzig werden und<br />

einen Fotografen treffen, der von sich sagt: 'Ich kann keine Menschen.' Am<br />

unerlässlichsten schien aber zu sein, dass sich beide extrem gut drauf fühlten und<br />

Lust am Spielen, Ausprobieren und auf Extraordinäres hatten. Narzisstisch musste<br />

ich meine Bilder immer und immer wieder betrachten, suchte etwas von mir, mich<br />

selber darin. Narziss hatte sich doch auch immer in sein Spiegelbild verlieben<br />

müssen, ich schien auf dem besten Wege dorthin zu sein. „Du bist eben eine sehr<br />

schöne Frau und von der Duse scheinst du doch ein wenig geerbt zu haben.“ meinte<br />

Ronnie. Jetzt sollten noch Modefotos gemacht werden, aber ich hatte fast nur<br />

Kostümchen und Hosenanzüge. So etwas mochte man heute Abend nicht. Am<br />

besten fand ich mich immer in Jeans mit Blusen, Pullovern oder sonstigen Tops,<br />

aber da fiele ihm Besseres bei Tageslicht draußen ein, meinte Ronnie. Abendkleider?<br />

Drei hatte ich, aber im Grunde mochte ich keins von denen. Vielleicht weil sie eben<br />

Behänge für offizielle Veranstaltungen waren.<br />

Schulterfrei<br />

„Hast du kein schulterfreies, das fördert das Porträt ungemein. Ich mag das sehr<br />

gern.“ erkundigte sich Ronnie. „Ja stimmt, jetzt, da ich zum Topmodel aufgestiegen<br />

bin, brauchte ich so etwas schon, nur bislang hätten die meisten wahrscheinlich ein<br />

wenig indigniert geschaut, wenn die ältere, seriöse Frau Rechtsanwältin schulterfrei<br />

und am übrigen Rücken wahrscheinlich ebenso zur Abendgesellschaft erschienen<br />

wäre.“ antwortete ich ihm. „Dann tun wir einfach so als ob, du knöpfst die Bluse ein<br />

wenig auf und streifst sie an den Seiten über die Schulter.“ schlug Ronnie vor. Er<br />

wollte abdrücken, da fielen ihm die Träger vom BH auf. Ihn nebenan ausziehen, die<br />

Bluse wieder anziehen? „Ronnie, du bist ein erwachsener Mensch, mach mir <strong>mal</strong><br />

den BH auf. Aber nicht meine Brüste fotografieren.“ wies ich ihn an. Die Fotos waren<br />

ein<strong>mal</strong>ig und das Fotografieren erreichte höchste Spaßgrenzen. Ich musste mir<br />

immer kurz die Hände vor's Gesicht halten, um mich in eine andere Stimmung oder<br />

Rolle einzufühlen und hinterher lachten wir uns tot über die Fotos. Ich wusste gar<br />

nicht, dass ich so etwas konnte, aber es machte ungeheuren Spaß. Wir fielen uns<br />

Schnell <strong>mal</strong> <strong>einkaufen</strong> – Seite 14 von 24


lachend um den Hals, schauten uns an und küssten uns richtig, ich mit meinen<br />

Brüsten an Ronnies Hemd gedrückt und seine Hände auf meinem nackten Rücken.<br />

Ich wusste nicht, wie mir war, aber es war schön und tat gut und ich würde es wieder<br />

wollen.<br />

„Eleonora, es ist ein dümmliches plattes Schönheitsvorurteil, dass nur möglichst<br />

pralle junge Brüste gut aussehen. Du bist sehr schön mit deinen Brüsten. Sollen wir<br />

nicht <strong>mal</strong> ein paar Bilder versuchen? Wenn du es nicht möchtest, löschen wir sie sofort<br />

wieder.“ fragte Ronnie. Er hatte alles toller als zu vermuten gemacht, eigentlich<br />

wollte ich das nicht, aber sehen, was dabei rauskam, konnte man ja zumindest. Ein<br />

wenig neugierig war ich schon. „Also jetzt Brustbilder.“ erklärte ich. „Nein, das waren<br />

die vorhin mit freien Schultern bis zur Brust.“ korrigierte Ronnie. Ronnie schien<br />

sich äußerste Mühe geben zu wollen, damit es mir auch gefiele. Immer wieder andere<br />

Positionen schlug er vor und korrigierte permanent die Beleuchtung. „Ronnie,<br />

mein Kitsch-Künstler, du machst aus einer alten Frau mit schlaffen Brüsten, eine<br />

sinnliche Schönheit. Warum zeigt mein Spiegel mir solche Bilder nicht. Keins davon<br />

wird gelöscht. Ich werde sie eher hier aufhängen, aber zuerst will ich dich drücken<br />

und küssen, mein Lieber.“ war meine Reaktion auf die Fotos. Jetzt spürte ich nicht<br />

seine warmen Hände auf meinem Rücken, sondern wie die eine mich hielt und die<br />

andere sanft die Haut meines Rückens streichelte.<br />

Empfindest du auch etwas dabei?<br />

Wenn ich mich wieder anzog, würde er das gar nicht mehr machen können, aber ich<br />

konnte ja nicht einfach für den Rest des Abends so oben ohne sitzen bleiben.<br />

Warum eigentlich nicht? Gesehen, sehr genau betrachtet und angefasst hatte er<br />

mich ja. Vor wem hatte ich denn was zu verbergen. „Ronnie, als ich vorhin deine<br />

Hand auf meinem Rücken spürte und als du zart meine Haut gestreichelt hast, war<br />

das für mich ein äußerst angenehmes Gefühl. Empfindest du auch etwas dabei?“<br />

wollte ich von ihm wissen. Ronnie schaute mich an und grinste. „Eleonora, du bist<br />

eine Frau, und das vergesse ich nicht, wenn meine Fingerkuppen deine Haut berühren.<br />

Im Gegenteil, ich spüre es in jedem Moment durch sie und möchte es immer<br />

weiter fortsetzen.“ antwortete er.<br />

Nor<strong>mal</strong> war es ja seit heute Nachmittag nie gewesen, aber jetzt wurde es pervers.<br />

Ich sitze mit nacktem Oberkörper auf meinen Unterschenkeln auf der Couch und<br />

frage den jungen Co-Einkäufer, was er dabei empfindet, wenn er mir den Rücken<br />

streichelt. Wenn ich mich im Film sehen würde, bekäme ich den Mund nicht mehr<br />

zu. Das konnte ich eigentlich nicht sein und wollte es doch so. „Aber Ronnie, wenn<br />

es dir gut gefällt und mir auch, warum tun wir es dann nicht mehr? Komm mit.“ damit<br />

stand ich auf, zog ihn ins Schlafzimmer und warf mich aufs Bett. Ronnie streichelte<br />

mich überall. Meine Arme hatte ich ausgebreitet, da gab es auch kitzlige<br />

Stellen, und Ronnie küsste mich zwischendurch immer auf die die Schultern, den<br />

Nacken und weiter unten. „Vorne auch?“ fragte er. Ja klar, da hatte ich gar nicht<br />

dran gedacht. Nie sollte er damit aufhören. Himmlische Gefühle machte es, die ich<br />

im ganzen Körper spürte. Warum hatte ich nach so etwas kein Verlangen, das<br />

braucht Frau doch? Ich kannte es gar nicht, auch von früher nicht. Wer hätte der<br />

Mensch sein sollen, dem ich diese offene lockere Zuneigung entgegen brachte oder<br />

überhaupt hätte bringen können? Wann und wodurch hätte ich denn dazu in der<br />

Schnell <strong>mal</strong> <strong>einkaufen</strong> – Seite 15 von 24


Lage sein sollen, zartes Streicheln so entspannt offen genießend, zuzulassen? Ich<br />

hatte nichts vergessen.<br />

Aber nur streicheln<br />

„Soll ich?“ fragte Ronnie und fasste meine Gürtelschnalle an. Ging das nicht zu weit,<br />

und unangenehm war mir die Vorstellung, dass er mich ganz auszog schon, aber<br />

das Bedürfnis, seine Finger auch dort spüren zu wollen, war äußerst stark und setzte<br />

sich durch. „Aber nur streicheln.“ erklärte ich vorsichtshalber einschränkend. Was<br />

denn sonst? Was sollte er denn nicht machen? Das wusste ich auch nicht. So idiotisch<br />

wie es klingen mag, aber Sex kam mir dabei gar nicht in den Sinn, und wenn<br />

man mich zu diesem Zeitpunkt gefragt hätte, wäre ich voraussichtlich noch der festen<br />

Überzeugung gewesen, dass ich an so etwas doch gar kein Interesse habe. Es<br />

machte nur eine wonniges Gefühl, die Finger zart über meine Haut gleiten zu spüren.<br />

Ronnie streichelte sanft und einfühlsam. Meinen Venushügel berührte er nur<br />

ein<strong>mal</strong> leicht. „Jetzt umdrehen.“ befahl er und ich legte mich auf den Bauch. Er<br />

spielte, <strong>mal</strong>te einen langen Aalstrich über mein Rückgrad bis zwischen die Pobacken.<br />

Es wurde immer noch besser, und mehr wollte ich. Er ging langsam runter bis<br />

zu den Füßen und kam an den Beinen wieder rauf. Ich spreizte sie, wollte seine<br />

Hände auch an der Innenseite der Oberschenkel spüren. „Mach <strong>mal</strong> ein bisschen<br />

fester, Ronnie, das ist besser.“ meinte ich. Genau wusste ich nicht, was ich wollte,<br />

aber ich reckte meinen Po hoch, als seine Hände in die Gegend kamen, wo die Falten<br />

unter den Pobacken und die Pofurche sich treffen. Ich wollte seine Hände und<br />

Finger dort spüren, an meiner Vulva und der sie umgebenden Gegend. Als ob ich<br />

ihm durch höher Recken meines Pos signalisieren wollte, sich intensiver zu bemühen.<br />

Er tat es und mich machte es konfus, aufgedreht und völlig high. Jetzt war mir<br />

doch wohl klar, worum es ging. „Komm Ronnie.“ brachte ich nur vor, „Nein vorne,<br />

ich will dich sehen.“. Ganz langsam ließ ich mich auf seinem Penis nieder und legte<br />

mich dann nach vorn auf Ronnies Brust.<br />

Ich hatte es gewollt. Ich fünfundfünfzigjährige asexuelle Hexe. Hatte es nicht nur<br />

gewollt, sonder war glücklich und fand es himmlisch. Ob es unterschiedliche Arten<br />

von Sex gab? Die physiologischen Bedingungen sind doch eigentlich immer die gleichen,<br />

nur hatte ich es so noch nie erlebt. Dass die Stimmung und die Bedingungen,<br />

unter denen es sich ereignet, dich so beeinflussen, für deine Wahrnehmung und<br />

dein Empfinden so entscheidend sein können, dass du es für etwas völlig Unterschiedliches<br />

halten kannst, verblüffte und faszinierte mich. Ich lebte wieder sexuell,<br />

aber ganz anders eben als je zuvor. Eine Sexualität, wie ich sie vorher nicht gekannt<br />

und mir hatte vorstellen können. Ich lebte es voll und authentisch. Mein erster<br />

Sex, der zu meinem zweiten Ego, zum Leben meiner Kinderwelt passte. Das<br />

würde ich nicht verlieren wollen und keine Lust mehr darauf haben können. Nur<br />

jetzt war der einzige Herr Strehlow, mit dem sich das praktizieren ließ.<br />

Wer mit der Tigerin schläft<br />

Wir lagen erschöpft nebeneinander. „Wie viel steht eigentlich auf 'Schwere Körperverletzung'?“<br />

fragte Ronnie lächelnd. Ich war so kirre und hatte ihm mehr<strong>mal</strong>s in<br />

Schnell <strong>mal</strong> <strong>einkaufen</strong> – Seite 16 von 24


die Brust gebissen. „Das hängt davon ab, ob mit Todesfolge oder ohne. So komplett<br />

tot fühlst du dich aber doch noch nicht, oder? Weißt du, Ronnie, wer mit der Tigerin<br />

schläft, nimmt wissentlich ein sehr großes Risiko in Kauf. Kratzer und Bisse sind bei<br />

den gefährlichen Krallen und scharfen Zähnen, die sie hat, so gut wie überhaupt<br />

nicht zu vermeiden und im Vorhinein immer mit einzukalkulieren.“ klärte ich Ronnie<br />

auf und fragte „Champagner oder Wein, was möchtest du?“ „Was tun wir denn jetzt<br />

damit?“ fragte ich dumm ratlos neben Ronnie im Bett sitzend. Der zuckte nur mit<br />

den Schultern. Wir sprachen kaum, obwohl wir so vieles hätten besprechen können,<br />

saßen einfach doof nebeneinander im Bett, strahlten uns nur an, nippten an unserem<br />

Champagner und streichelten manch<strong>mal</strong> zärtlich den Oberkörper oder die Wange<br />

des anderen mit den Fingern. „Bin ich jetzt deine Freundin, Ronnie?“ wollt ich<br />

von ihm wissen. „Ich glaube, das bist du schon seit heute Nachmittag, seit dem<br />

Einkaufen. Ich würde gern dein Freund sein, bin ich das denn jetzt auch?“ „Aber natürlich<br />

Ronnie, wer sollte das denn sonst sein, mein allerbester Freund bist du.“<br />

antwortete ich, nahm ihm sein Glas ab, um mich ihm um den Hals zu werfen und<br />

mit ihm zu balgen. Außer mir und sprachlos war ich. Es überforderte meine mentalen<br />

Strukturen, die sonst dafür verantwortlich waren, Gedankengänge zusammen<br />

zu basteln, über die ich verbal kommunizieren konnte, zu<strong>mal</strong> sie dabei auch immer<br />

noch mit den überschäumenden Exsudaten meiner fortwährend rotierenden emotionalen<br />

Mischanlage überschüttet wurden. Wir blieben aneinander gekuschelt liegen,<br />

säuselten uns noch Nettigkeiten zu und glitten streichelnd und liebkosend langsam<br />

in die Traumwelten hinüber.<br />

Des Analysierens und der Entwicklung von Perspektiven hätte es dringend bedurft,<br />

aber ich wollte nur genießen, wie breit und wonnedurchflutet sich der Augenblick<br />

für mich empfinden ließ. Liebte ich Ronnie? Mir doch egal, er musste nur hier bei<br />

mir sein. Liebte er mich denn? Genauso egal, solange er so wie gestern zu mir war.<br />

Ich wollte schlicht nur die Labsal der Wärme meiner mich durchstrahlenden Sonne<br />

auskosten. Wetterberichte wollte ich nicht hören. „Wir wollten heute noch Fotos<br />

draußen, bei Tageslicht machen.“ erinnerte Ronnie beim Frühstück. „So?“ bemerkte<br />

ich erstaunt, „Ich will jetzt nur noch schweinische Pornofotos von mir machen lassen<br />

sonst nix.“ erklärte ich trotzig und lachte mich tot, „Ronnie, weißt du, ich fühle<br />

mich heute absolut faul und total happy, breit wie ein ausgelaufenes Ei, möchte einfach<br />

nichts machen nur relaxen. Ist ja auch mein Relax-Wochenende, und wenn da<br />

jemand neben mir auf dem Bett liegen und mir beim Relaxen helfen würde, dann<br />

könnte ich es sicher als kleinen Entspannungsgipfel erkennen.“ „Du willst wieder ins<br />

Bett?“ reagierte Ronnie entgeistert. „Na ja, wenn du mich schon verführst, wirst du<br />

bei den Konsequenzen doch nicht einfach kneifen wollen.“ meinte ich dazu und er:<br />

„'Raus aus dem Geschäft' ist jetzt plötzlich ganz verschwunden? Jetzt hat das Geschäft<br />

unbegrenzte Öffnungszeiten? Einfach so, mit einem Mal?“ staunte Ronnie.<br />

Ich will's dir <strong>mal</strong> erklären<br />

„Komm <strong>mal</strong> mit. Ich will <strong>mal</strong> versuchen dir's zu erklären.“ reagierte ich, und wir<br />

legten uns auf's Bett zum Reden. Ich erzählte ihm von meinen zwei unterschiedlichen<br />

Lebensweisen, und dass er die ein Seite gar nicht kennengelernt habe, sie<br />

wahrscheinlich auch nie kennenlernen werde. Ich hätte keine unangenehmen Erfahrungen<br />

beim Sex gemacht, aber wahrscheinlich sei der positive Faktor immer geringer<br />

geworden. Ich hätte bestimmt einfach immer weniger Lust daran gehabt und es<br />

Schnell <strong>mal</strong> <strong>einkaufen</strong> – Seite 17 von 24


für physiologisch bedingt gehalten. In so einem Zusammenhang wie gestern, hätte<br />

ich Sex nie erlebt und gar nicht gewusst, was ich mir hätte wünschen können oder<br />

wovon ich hätte träumen sollen. Alles nur Hirngespinste, Gefühlsduselei, Kitsch<br />

eben hätte ich geurteilt, wenn mir jemand davon erzählt hätte. „Natürlich mag ich<br />

dich gern wegen gestern Abend und heute Nacht, aber da war vorher auch schon<br />

etwas anderes. Ich konnte es mir nicht eingestehen, weil ich dich ja gar nicht kannte<br />

und du ja so schrecklich jung warst, aber es war schon etwas da, das starkes Interesse<br />

an dir bewirkte. Ich denke, dass ich deine Haltung, dich nicht zu trauen,<br />

sehr gut nachempfinden kann, weil es nichts anderes ist, als was meiner Lebenseinstellung<br />

zu Grunde liegt. Wenn dir die Pflichterfüllung das Wichtigste ist, und geordnete<br />

Verhältnisse oberste Priorität haben, ist das nicht gerade ein Ausdruck von<br />

protzigem Selbstvertrauen und überbordender Selbstwertschätzung. Was ich bei dir<br />

ausgeschimpft habe, das bin ich zum Teil selber. Erst spät ist etwas Anderes, Neues<br />

entstanden. Mein Mann hat sich ziemlich rausgehalten, mit den Kindern das war<br />

meine Welt, und die spielte auf einem anderen Planeten, auf dem eine neue Persönlichkeit<br />

von mir entstanden ist, durch einen kleinen vier Wochen alten Säugling, der<br />

mir vermittelt hat, dass ich etwas wert bin, dass ich etwas kann, etwas ganz anderes<br />

kann, das dort liegt, wo ich sonst Gefühlsduselei angesiedelt hätte, aber in<br />

Wirklichkeit für die Beziehung untereinender ganz wichtig und keine Tändelei oder<br />

unbedeutender Krimskrams ist. Und diese neue Person kann die andere Eleonora<br />

überhaupt erst erkennen und einschätzen. Manch<strong>mal</strong> streiten sich die beiden in mir.<br />

Ich schaue mir zum Beispiel im Fernsehen gerne Dokumentationen und Reportagen<br />

von unbekannten Völkern und deren Lebensweisen an. Ich beneide die Reporterinnen<br />

oder Kameraleute, möchte gern selbst dabei sein, es live erleben und nicht<br />

nur auf dem Bildschirm sehen. Im Urlaub könnte ich nach China, Nepal oder Afrika<br />

fliegen und selber dort oder an ähnlich ungewöhnlichen Orten sein. Was mache ich?<br />

Jeden Sommer immer wieder ordnungsgemäß ins kleine Massalfassar bei Valencia.<br />

Das braucht meine arme ängstliche unsichere Seele. Da ist alles klar und geregelt,<br />

da kenne ich mich aus. Alles andere wäre zu verwirrend, zu unsicher. Ein<strong>mal</strong>, im<br />

letzten Jahr ist mir ein wilder Ausbruch gelungen. Ich hatte eine Reportage über<br />

Karelien mit den entsprechenden Sehnsüchten gesehen, und später war mir zufällig<br />

ein Reiseprospekt mit einer Karelientour begegnet. Meine beiden Egos lieferten sich<br />

heftige Konflikte, bis mir deutlich wurde, welches ich unbedingt gewinnen lassen<br />

musste. Und nur das Ego, das Karelien gewonnen hat, war in der Lage, das<br />

geschehen zu lassen, was sich gestern entwickelt hat. Es ist in einem anderen<br />

Leben geschehen, als in dem sich sonst Sexualität für Eleonora Hovestadt<br />

abgespielt hatte und bewertet wurde. Die andere Elly hätte im Einkaufsmarkt<br />

wahrscheinlich nicht <strong>mal</strong> zurück gelächelt. Ronnie, weißt du, hier, in diesem Haus ist<br />

das Karelien-Kinderego entstanden, hier ist es gewachsen, hat hier gelebt, na ja<br />

und jetzt sogar … . Aber jetzt müsste ich dies, mein liebgewonnenes Haus<br />

verkaufen, weil es für mich allein zu groß ist. Wenn ich nur etwas vermieten<br />

könnte, dann könnte ich es ja halten. Nur mir fällt überhaupt niemand ein, der<br />

Wohnraum gebraucht und eventuell bei mir im Haus leben wollen würde.“ erklärte<br />

ich mich Ronnie.<br />

Erinnerungen festigen<br />

Er hatte natürlich verstanden und grinste. „Na und wie oft müsste ich dann mit dir<br />

ins Bett?“ feixte er. „Einiges nachzuholen wäre da natürlich schon, aber ich dachte<br />

Schnell <strong>mal</strong> <strong>einkaufen</strong> – Seite 18 von 24


du wärst so ein kapitaler Eber, der das schon schaffen würde.“ gab ich erstaunt zurück.<br />

„Ja, ja schon, nur wenn du nicht so absolut verrückt wärest, würde es mir<br />

nicht schwerfallen zu sagen: 'Das ist mir zu plötzlich' aber so tendiere ich eher dahin<br />

zu sagen: 'Jeder Tag ist ein verlorener, an dem ich dessen nicht teilhaftig werden<br />

kann.'. Werden wir es uns denn <strong>mal</strong> anschauen, wenn du deine Slackness novosexualis<br />

überwunden haben wirst?“ erkundigte sich Ronnie. „Nun werd <strong>mal</strong> nicht<br />

großkotzig und übermütig. Davon kommt das überhaupt nicht. Bild dir nicht ein,<br />

dass du mit deinem Zieselmännchen so etwas bewirken könntest, mein Junge. Wo<br />

die Männer das herhaben? Wenn sie auch nichts können, aber mit ihrem Schwanz<br />

können sie alles. Ich bin enttäuscht, dass du auch so einer bist.“ äußerte ich mich<br />

nicht so ganz ernsthaft entrüstet dazu. „Die Witterungseinflüsse, das Wetter wird<br />

deine Schlaffheit verursachen, meine Liebe, könnte es so sein?“ fragte Ronnie grinsend.<br />

„Ronnie, richtig schlaff fühle ich mich eigentlich nicht, in meinen Gedanken<br />

machen sich nur Erinnerungen ganz breit, an gestern Abend und heute Nacht. Ich<br />

befürchte dass ich einiges nicht mehr erkennen kann, hab es gar nicht richtig wahrgenommen.<br />

War ja auch alles so unerwartet, so unverhofft überraschend. Ob es da<br />

nicht sinnvoll sein könnte, es noch<strong>mal</strong> alles ganz in Ruhe durchzugehen? Also beginnend<br />

mit deinem ersten zarten Streicheln. Meinst du, du könntest das noch<strong>mal</strong>?<br />

Vergessen haben wirst du es doch nicht, oder würde es für dich jetzt eine zu große<br />

Anstrengung bedeuten? Also bei mir würde es schon die Erinnerung festigen, oder<br />

hältst du eine Wiederholung für überflüssig?“ erläuterte ich mein Befinden. „Weißt<br />

du, Eleonora, mit der Libido läuft das bei Männern und Frauen ja völlig anders ab.<br />

Du möchtest es, um deine Erinnerungen zu festigen. O. k. das muss ich einfach so<br />

akzeptieren. Bei Männern reicht oft schon ein kleiner Reiz, meist visueller Art, um<br />

die Entwicklung erotischer Fantasien in Gang zu setzen. Es können aber auch<br />

akustische, oder verbale Auslöser sein. Deine Verrücktheit stellt für mich keinen<br />

kleinen Reiz dar, sondern gleicht eher einem Bombardement, das meine<br />

Testosteronproduktion bis ans Limit fordert und in mir einen Zustand dauerhafter<br />

höchster Erregung evoziert. Ich könnte dich eben permanent auffressen.“ reagierte<br />

Ronnie. „Wir machen uns Gedanken darüber, wie es möglich ist, dass sich zwei<br />

Unbekannte beim Einkaufen so schnell so gut verstehen, wie es sein kann, dass ein<br />

fünfundzwanzigjähriger Mann sich in eine dreißig Jahre ältere Frau vergafft, dass<br />

eine fünfundfünfzigjährige Frau nicht von einem dreißig Jahre jüngeren Mann lassen<br />

kann, alles müßige Fragen, die wir nie beantworten werden können. Wir verfügen<br />

schlicht über den exakt gleichen Level an Idiotie, das muss es sein, was uns nicht<br />

loslässt und begehrlich verbindet. Oder meinst du etwa, dass du weniger bekloppt<br />

wärest als ich?“ erwartete ich von Ronnie eine Antwort, aber der lachte nur,<br />

umschlang und küsste mich.<br />

Drittes Leben?<br />

Mich ließen die Fragen nach dem, was sich zwischen uns abspielte schon nicht los.<br />

Für alle Außenstehenden würden wir natürlich ihre Klischees bedienen, nur für uns<br />

selbst hatte es damit überhaupt nichts zu tun. Rational hatte ich mich ja dagegen<br />

zu wehren gesucht, etwas mit so einem jungen Mann, und Mann überhaupt zu tun<br />

haben zu wollen. Nur bei dem, was er sagte, wie er reagierte, wie wir uns unterhielten,<br />

spielte alles nie eine Rolle. Nie kam mir der Gedanke, dass er ja dreißig Jahre<br />

jünger sei und als ich seine Hand auf meinem Rücken spürte ebenso wenig. Und<br />

wenn Ronnie noch nie irgendwelche Vorlieben für ältere Frauen gehabt hatte, ärger-<br />

Schnell <strong>mal</strong> <strong>einkaufen</strong> – Seite 19 von 24


lich wurde als ich es ansprach und meinte, ich brauche mir nichts auf mein Alter<br />

einzubilden, schien für ihn ja auch die Altersdifferenz bedeutungslos zu sein. Dass<br />

man sich einfach so losgelöst von Altersdifferenzen mögen und lieben konnte, erschien<br />

mir faszinierend, aber bei uns hatte es sich ja wohl zweifelsfrei so ergeben.<br />

Wenn mich eine Fee nach meinen Wünschen gefragt hätte, die dümmsten Fehler<br />

wären mir unterlaufen. Mein größtes Glück hätte ich mir nie wünschen können, da<br />

mir seine Existenz vorher unbekannt war. Ich musste es erst selbst erleben und erfahren,<br />

mit den Kindern, in meiner Kanzlei und natürlich jetzt mit Ronnie. Für ihn<br />

hatten wir das Notwendigste schon am Sonntag rübergeholt, so dass er ab sofort<br />

im Grunde bei mir wohnte. Alles war neu und ungemein spannend. War es ein drittes<br />

Leben, das jetzt für mich begann? Ich weiß nicht genau, wie viel und welche<br />

Symptome erkennbar sein müssen, damit man das Syndrom als Liebe bezeichnen<br />

darf, dafür bin ich zu unerfahren in diesen Dingen, aber uns verband nicht nur, das<br />

wir verrückt waren. Wir waren es auch aufeinander. Ich konnte es nicht erwarten,<br />

aus der Kanzlei nach Hause zu kommen. Nicht weil wir gleich rausfahren wollten.<br />

Das war auch schön, da freute ich mich auch drauf. Ich konnte es nicht erwarten,<br />

diesen Menschen zu sehen, mit dem ich doch heute Morgen noch zusammen gefrühstückt<br />

hatte. Das war in der Tat eine Verrücktheit, die ich aus meinem bisherigen<br />

Leben nicht kannte. Es kamen noch mehr derartiger für mich äußerst ungewöhnlicher<br />

Bedürfnisse in Bezug auf diesen Mann hinzu. Wie sollte man es anders<br />

benennen, als dass ich verliebt war, verliebt in einen Mann, zum ersten Mal in meinem<br />

Leben. Ein neues Leben begann damit für mich schon, zumindest ein neuer Lebensabschnitt,<br />

aber es war keine neue Persönlichkeit, die sich dadurch in mir entwickelte.<br />

Es basierte auf der Persönlichkeit, die sich im Zusammenhang mit den Kindern<br />

entwickelt hatte und war dadurch auch nur möglich geworden. Mein Leben in<br />

dieser Beziehung rekurrierte auf meinen Erlebnissen und Erfahrungen, die ich hier<br />

gemacht hatte. Verhaltensmuster und Erfahrungen aus meiner früheren Paarbeziehung,<br />

tauchten nicht auf, wurden nicht in Erwägung gezogen, ja es wurde gar nicht<br />

<strong>mal</strong> an sie gedacht. Das auf Selbstsicherheit, Vertrauen, und Zuversicht basierende<br />

Ego, das die Freiheit hatte sich zu öffnen, aufnehmen und zulassen zu können, hatte<br />

seinen Wirkungskreis in mir durch die Beziehung zu Ronnie stark erweitert. Es<br />

half mit, der anderen Eleonora in mir immer engere Grenzen abzustecken.<br />

Ältere Frauen nicht vergessen<br />

Ich sah es so, freute mich und war glücklich. Konnte man das von außen auch so<br />

sehen? Würden sich alle, die davon erfuhren, für mich und mit mir freuen? Das war<br />

ein zu langweiliges Bild. Man wusste, wie man so etwas zu sehen hatte, damit die<br />

Fantasie ein Objekt bekam, an dem sie sich austoben konnte. Dann sollte man mich<br />

eben als gierige Pumafrau sehen, die sich nach dem Wechsel mit jungen Männern<br />

sexuell ausagieren will. Ein wundervolles Bild. Nur die biedere Rechtsanwältin im<br />

braven Kostüm? Aber das sollen ja die Schlimmsten sein. Wie gut, das man sich<br />

auch bei älteren Frauen so hervorragend auskannte. Bei den jüngeren Objekten ihrer<br />

sexuellen Begierden waren die Männer ja voll informiert, so konnte man das beruhigende<br />

Empfinden haben, auch als ältere Frau nicht vergessen worden zu sein.<br />

Schnell <strong>mal</strong> <strong>einkaufen</strong> – Seite 20 von 24


Hilde, Karolina, Nicolas<br />

Meiner Freundin Hilde erzählte ich als erster, warum ich nicht mit ins Kino gekonnt<br />

hätte. Sie lachte sich tot und hielt so etwas bei sich natürlich für ausgeschlossen.<br />

Ich würde genauso reagieren, wenn sie mir das von sich erzählt hätte, erklärte ich:<br />

„Nur wenn es dir passiert, was du selber nicht für möglich hältst, bekommt es einen<br />

anderen Charakter, dann fasziniert es dich und lässt dich nicht mehr los. Als Unbeteiligte,<br />

Außenstehende kannst du es nicht mehr sehen, einschätzen und bewerten.“<br />

Sie wollte Ronnie kennenlernen und wissen, ob wir denn trotzdem noch ab<br />

und an <strong>mal</strong> etwas gemeinsam unternehmen würden, oder jetzt alles ausschließlich<br />

mit Ronnie liefe.<br />

Dass Nicolas und Karolina mich verstanden, war mir schon sehr wichtig. Nur wie<br />

sollte ich es rational erklären, das jemand anders sagen konnte: „Es ist richtig, das<br />

du dich in einen jungen Mann verliebst, der so alt ist wie dein Sohn.“? Richtig war<br />

für uns unser gemeinsames emotionales Wollen gewesen. Selbst wenn Ronnie mich<br />

eines Tages wegen einer jüngeren Freundin verlassen sollte, würde es schmerzen<br />

und wäre sicher nicht leicht zu ertragen, aber ungeschehen zu machen war das Erlebte<br />

nicht mehr, und das allein war es jeden Tag auf's neue wert. Kein glücklicher<br />

Tag konnte dadurch unglücklich werden, dass es vielleicht in irgendeiner Zukunft<br />

nicht mehr so sein würde. Ich informierte beide am Telefon und bat sie, allein zu<br />

kommen.<br />

Karolina schmunzelte immer. „Am liebsten würde ich <strong>mal</strong> bei euch Mäuschen spielen.<br />

Das ist alles so kurios, wenn ich mir das vorzustellen versuche. Nur bei dir und<br />

Ronnie zeichnen sich mir süße Bilder, während wenn ich mir vorzustellen versuche,<br />

ich sollte einen alten Mann lieben, wäre das sehr unangenehm. Das Ronnie dich<br />

sehr mag, glaube ich schon. So viel Liebe hätte ich in Fotos von dir überhaupt nicht<br />

reinlegen können. Toll sind die, alle Achtung, einige davon würde ich auch gerne<br />

haben wollen.“ erklärte sie. „Carol, das mit dem Alter sind erlernte Interpretationen<br />

und Deutungsmuster, ganz keine Kinder kennen das auch nicht, und wenn das mit<br />

der Liebe anfängt, packst du die einfach weg. Vorher denkst du immer, das geht<br />

doch nicht, aber wenn du jemanden sehr magst, taucht es nicht mehr auf. Da spielt<br />

es überhaupt keine Rolle mehr, es blinkt kein Warnschild 'Vorsicht! Erst<br />

fünfundzwanzig!'“ erwiderte ich darauf. „Langweilig wird es mit dir nie, Mama, auch<br />

wenn ich nicht mehr zu Hause bin. Aber was würdest du zum Beispiel machen,<br />

wenn ich mich auch in Ronnie verliebte? Gut aussehen tut er ja schon und<br />

freundlich ist er auch und so schöne Fotos von mir wären ja auch nicht zu<br />

verachten.“ fragte Karolina lachend. „Meinst du denn es würde mir schwerfallen,<br />

ihm zu erklären, was für eine kratzbürstige Zicke und hinterhältige Hexe du sein<br />

kannst? Dafür kenne ich dich doch viel zu gut.“ entgegnete ich und wir fielen uns<br />

lachend um den Hals.<br />

Bei Nicky hatte ich ein wenig Angst. Er war ernster und reservierter und ja sogar<br />

drei Monate älter als Ronnie. Er war zwar extra alleine von Aachen gekommen, aber<br />

er schien wenig Interesse daran zu haben, die Angelegenheit ausführlicher zu diskutieren.<br />

Nach kurzer Erläuterung von mir meinte er: „Mutter, das wird schon in<br />

Ordnung sein, wenn du es so für dich entschieden hast. Wer bin ich denn, dass ich<br />

da etwas zu bewerten oder zu kritisieren hätte. Du wirst das selber schon ohne irgendwelche<br />

Einschätzungen oder Kommentare von mir regeln. So kenne ich dich<br />

zumindest aus der Vergangenheit.“ und dann schwenkte er um auf ein anderes<br />

Schnell <strong>mal</strong> <strong>einkaufen</strong> – Seite 21 von 24


Thema, dass er und Christina, seine Freundin, überlegt hätten, ob sie nicht Kinder<br />

haben wollten.<br />

Doch nur ein lockeres Flittchen?<br />

Und die anderen alle, Ronnies Kollegen und Verwandte, seine Eltern die sicher Enkelkinder<br />

erhofften, was ja mit mir nix mehr werden konnte, aber auch bei mir, die<br />

Mädels in der Kanzlei, bei Gericht und der Herr Bezirksvorsteher, was würden die<br />

denken. „Sieh <strong>mal</strong> an, die achtbare Frau Hovestadt, doch nur ein lockeres<br />

Flittchen?“ Wem konnte so etwas einfallen, wer konnte sich darüber Gedanken machen<br />

und solche Befürchtungen haben? Nur die graue Eleonora. Sie sollte ihre Finger<br />

da rauslassen. Die Causa Ronnie ging sie nichts an. Das war nicht ihr Terrain.<br />

Hier hatte sie keinen Zutritt. No go area war es für sie, und die andere selbstbewusste<br />

sagte: „Ich weiß, was ich tue und stehe dazu. Wenn jemand Lust daran hat,<br />

sich das Maul darüber zu zerreißen, bitte, mein Problem wird es nicht sein.“<br />

Gewichtige Ansprachen<br />

„Ronald,“ obwohl auch in seinem Pass nur Ronnie stand, nannte ich ihn bei gewichtigen<br />

Ansprachen schon <strong>mal</strong> so, „du bist unerträglich. Dein gesamter Umzug hat mit<br />

Umräumen und Einräumen keine Woche gedauert, aber an der Auswahl, welches<br />

das ultimativ opti<strong>mal</strong>e Bild für welche Wand sein könnte, sitzen wir jetzt schon fast<br />

zwei Wochen. Wir haben eins gefunden, das wunderbar passen würde, noch besser<br />

als das vorherige. Wir könnten es nehmen, alles wäre o. k.. Aber nein, du suchst<br />

weiter, ob es nicht doch eins gibt, das noch besser passte. Ich hatte die Vorstellung,<br />

wir werden einen Abend benötigen, aber es sieht aus, als ob es ad infinitum<br />

weiterginge. Mein Süßer, wirst du bei anderen Entscheidungsfindungen dich auch in<br />

derart nicht enden wollenden Prozessen bewegen?“ „Eleonor, wir fahren nach Paris<br />

und an der Seine <strong>mal</strong>t jemand mit wenigen Kohlestrichen in ein paar Minuten ein<br />

Porträt von dir. Das ist auch schön. Darüber freust du dich auch. Aber es gibt Maler,<br />

die Monate, sogar Jahre an einem einzigen Bild ge<strong>mal</strong>t haben, bis sie mit allem<br />

daran zufrieden waren. Dein, unser gemeinsames ästhetisches Environment ist mir<br />

eben wichtig, und ich möchte es nicht leichtfüßig wie mit ein paar flapsigen<br />

Federstrichen zeichnen.“ rechtfertigte Ronnie seine mühsame Auswahl. „Oh ja,<br />

Paris. Sollen wir nicht zwischendurch erst<strong>mal</strong> nach Paris fahren? Ein Kohleporträt<br />

von mir habe ich nämlich gar nicht, und nicht auszudenken, welche Fotos du da von<br />

mir machen könntest. In Paris ist ja schon manches Foto entstanden, das seinen<br />

Lauf um die Welt gemacht hat. Wenn ich darauf zu sehen wäre, meinst du nicht,<br />

das es viele Menschen rund um den Globus geben könnte, die ein dringendes<br />

Bedürfnis in sich verspürten, „Eleonora, sur les ponts de Paris“ sehen zu wollen? Oh<br />

ja, Ronnie, komm, küss mich in Paris.“ reagierte ich darauf, und Ronnie schloss<br />

mich lachend in seine Arme. Hier benötigten wir keine zwei Wochen zur<br />

Entscheidungsfindung. Am nächsten Wochenende saß Madame Hovestadt lachend<br />

in einen Apfel beißend auf dem Grün an den Fontänen des Trocadero.<br />

Auch für die Urlaubsentscheidung benötigten wir nur wenig Zeit. Natürlich hätten<br />

wir Ideen sammeln, in Katalogen blättern und uns an den faszinierenden Bildern<br />

Schnell <strong>mal</strong> <strong>einkaufen</strong> – Seite 22 von 24


erauschen können. Selbst Albersloh sollte über ein mediterranen Verhältnissen<br />

nicht unähnliches sandiges Hügelgeländer mit Kiefernwäldern verfügen und natürlich<br />

war Valencia äußerst interessant, spannend und vielfältig, mein kleines Haus in<br />

Massalfassar kostenlos und gemütlich und die warme Sonne und das nahe Meer<br />

nicht zu verachten. Mit Sicherheit würden Ronnie und ich auch dort noch <strong>mal</strong> hinfahren,<br />

aber wie eine Metapher für mein anderes Leben, für das Leben aus dem allein<br />

sich die Liebe zu Ronnie entwickeln konnte, stand Karelien. Ein sonniges Land<br />

der Liebe und für Verliebte ist es nicht, kein Honeymoonland, aber bei der Entscheidung,<br />

meinen Urlaub dort zu verbringen, hatte sich endlich ein<strong>mal</strong> die Seite meiner<br />

Persönlichkeit durchsetzen können, mit der ich nicht aufgewachsen war, die ich erst<br />

sehr spät entwickeln konnte, mir aber viel Freude und Glück vermittelt hatte, meine<br />

starke, selbstsichere Seite. Sie sollte sich demnächst immer öfter durchsetzen und<br />

zur Grundlage meiner Entscheidungen werden. Ronnie und ich wollten uns gegenseitig<br />

darin unterstützen. Wie sollte das denn funktionieren können, wenn Ronnie<br />

Karelien gar nicht kannte?.<br />

FIN<br />

Schnell <strong>mal</strong> <strong>einkaufen</strong> – Seite 23 von 24


L'homme arrive novice à chaque<br />

âge de sa vie.<br />

Chamfort (1740-1794), Caractères et Anecdotes<br />

Madame Hovestadt war eine<br />

angesehene Rechtsanwältin in ihrem<br />

Bezirk. Aber dieses Wochenende war<br />

sie absolut frei. Keine Termine, keine<br />

Besuche, nur <strong>einkaufen</strong> musste sie<br />

noch. Fast übermütig gute Laune<br />

hatte sie. Ein junger Mann sprach sie<br />

an und lud sie zum Kaffee ein. Er war<br />

verrückt, aber Elli Hovestadt heute<br />

nicht weniger. Ein kompletter Jux war<br />

es für sie, doch die Begegnung beim<br />

Tomaten kaufen sollte Folgen haben.<br />

Schnell <strong>mal</strong> <strong>einkaufen</strong> – Seite 24 von 24

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