Stadtmagazin Neue Szene Augsburg 2012-03
Das Stadtmagazin für Augsburg und Umgebung. Aktuelle Info immer auch unter www.neue-szene.de
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Cinerama<br />
57<br />
ELLES – DAS<br />
BESSERE LEBEN<br />
Regie: Malgoska Szumowska. Mit:<br />
Juliette Binoche u.a.<br />
Anne, eine in der Pariser Gesellschaft<br />
etablierte Journalistin der Zeitschrift Elle,<br />
recherchiert für eine Reportage. Es geht<br />
um junge Frauen, die sich prostituieren, um<br />
ihr Studium bezahlen zu können. Die Interviews<br />
mit zwei Mädchen, die ohne Scheu<br />
über ihre Erfahrungen berichten, zwingen<br />
sie, ihr eigenes Leben zu reflektieren. Was<br />
bedeutet es, freiwillig seinen Körper zu<br />
verkaufen? Was sagt es über den Zustand<br />
der Gesellschaft aus, dass vor allem verheiratete,<br />
wohlhabende Männer diese Dienste<br />
nutzen? Und was ist davon zu halten, dass<br />
es den Mädchen nicht nur um Geld für<br />
Essen und Wohnung geht, sondern sie den<br />
Job auch aus Vergnügen ausüben – und<br />
weil sie auf der sozialen Leiter aufsteigen<br />
wollen? Ohne voreilige moralische Urteile zu<br />
fällen, untersucht der Film das Phänomen<br />
der Prostitution in einem weitgefassten<br />
Rahmen. Auch Anne ist in ihrem Beruf<br />
gezwungen, sich zu verkaufen. In der Ehe<br />
muss sie Dinge tun, die sie nicht mag, die<br />
aber nötig scheinen, um den materiellen<br />
Wohlstand aufrechtzuerhalten. Immer tiefer<br />
dringt sie ins Wechselspiel von Geld, Sex,<br />
Liebe, Freiheit und Zwang ein und entdeckt<br />
eigene Fesseln und Sehnsüchte. (iv)<br />
<br />
HEADHUNTERS<br />
Regie: Morten Tyldum. Mit Aksel<br />
Hennie, Nikolaj Coster-Waldau u.a.<br />
Thriller aus nordischen Gefilden sind<br />
seit einer ganzen Weile echte Renner.<br />
Das Wetter ist ebenso kalt wie das<br />
moralische Empfinden der meisten<br />
Figuren und so verbirgt sich unter der<br />
Oberfläche aus Mord und Korruption<br />
oftmals ein ziemlich unangenehmes,<br />
aber ebenso zeitgemäßes Sittenbild.<br />
Roger Brown, der misanthrope Protagonist<br />
in Jo Nesbos Bestseller „Headhunter“,<br />
hält sich selbst für Oslos besten<br />
„Kopfjäger“. Diese Figur kann niemand<br />
wirklich mögen und so ist es umso<br />
vergnüglicher, ihm bei seinem Abstieg<br />
zuzusehen. Browns Masche: Bei verhörähnlichen<br />
Befragungen möglicher<br />
Kandidaten für Top-Positionen in der<br />
freien Wirtschaft erkundigt er sich über<br />
den Kunstbesitz seines Gegenübers. Ist<br />
etwas Interessantes dabei, dauert es<br />
nicht mehr lange, bis Brown es seinem<br />
Besitzer entwendet hat. Eines Tages<br />
jedoch gerät er auf fatale Weise an<br />
den Falschen und muss um sein Leben<br />
rennen. „Headhunters“ wurde unter<br />
Federführung von Yellow Bird verfilmt,<br />
der Produktionsfirma, die bereits Stieg<br />
Larssons „Millennium“-Trilogie auf die<br />
Leinwand brachte. (iv)<br />
<br />
DIE VIERTE MACHT<br />
Regie: Dennis Gansel. Mit: Moritz<br />
Bleibtreu, Kasia Smutniak, Max<br />
Riemelt u.a.<br />
„Die vierte Macht“ im Staate ist bekanntlich<br />
die Presse und die hat es in<br />
Russland nicht leicht. Das demonstriert<br />
Moritz Bleibtreu im gleichnamigen<br />
neuen Film des Regisseurs Dennis<br />
Gansel („Die Welle“, „Napola“). In<br />
dem Verschwörungsthriller spielt<br />
Bleibtreu den Berliner Journalisten<br />
Paul Jensen, der im Auftrag eines<br />
Moskauer Magazins zunächst das<br />
Nachtleben der russischen Hauptstadt<br />
genießt. Doch der Spaß ist<br />
schnell vorbei, als Jansen Zeuge des<br />
Mordes an einem regimekritischen<br />
Kollegen wird. Als Folge dessen lernt<br />
er die oppositionelle Reporterin Katja<br />
kennen und wird schließlich verhaftet<br />
unter dem Verdacht, Mitglied<br />
einer tschetschenischen Terrorzelle<br />
zu sein. Mit der Logik nimmt es der<br />
Streifen zwar nicht allzu genau,<br />
doch in seiner Machart kann er es<br />
durchaus mit US-amerikanischen<br />
Vorbildern aufnehmen.<br />
<br />
DIE KUNST ZU<br />
LIEBEN<br />
Regie: Emmanuel Mouret. Mit: Judith<br />
Godréche, François Cluzet, Julie<br />
Depardieu<br />
Diese Franzosen, mal wieder nur<br />
das eine im Kopf! Schon der Ankündigungstext<br />
lässt keine Fragen<br />
offen: „Alle reden unablässig über<br />
Liebesdinge und die Möglichkeit von<br />
wildem, hemmungslosem Sex - laut,<br />
aufgeregt und äußerst unterhaltsam.“<br />
Der Regisseur von „Küss mich<br />
bitte“, Emmanuel Mouret, hat einen<br />
ganzen Bus bekannter Schauspieler<br />
eingeladen, um sich als Woody Allen<br />
von Paris zu versuchen. Die Neurosen<br />
und Macken liebessehnsüchtiger<br />
Bewohner der französischen Hauptstadt<br />
werden episodenhaft ausgebreitet<br />
und natürlich noch reichlich<br />
Paris-Klischees. Ein Plot, der in einem<br />
deutschen Film unweigerlich zum<br />
Fiasko führen würde, doch allzu großer<br />
Kitsch wird genauso vermieden<br />
wie moralisierende oder analytische<br />
Schwere. Der Film lebt vom Charme<br />
seiner Darsteller und natürlich auch<br />
von seinen Schauplätzen, leichte<br />
Kinounterhaltung der intelligenteren<br />
Sorte.<br />
<br />
DVD ... DVD ... DVD ... DVD ... DVD ... DVD ... DVD ... DVD ... DVD ... DVD ... DVD ... DVD ... DVD<br />
EASY MONEY<br />
Regie: Daniél Espinosa<br />
Regisseur Daniél Espinosa hat<br />
sich der Stockholm-Crime-Bücher<br />
von Jens Lapidus angenommen.<br />
Deren Zutaten sind recht einfach:<br />
Drogen, Gewalt und Gier. An<br />
dieses Koordinatensystem will<br />
sich Espinosas Verfilmung, der<br />
Auftakt zu einer Trilogie, im<br />
Groben halten: Nach drei Minuten<br />
wissen wir, dass der Chilene<br />
Jorge aus dem Gefängnis ausgebrochen<br />
ist und einen arabischen Kokainhändler sucht. Nach<br />
fünf Minuten hören wir, wie ein Kopf klingt, der auf ein Pissoir<br />
knallt, und sehen, dass mit dem serbischen Geldeintreiber<br />
Mrado offensichtlich nicht zu spaßen ist. Nach zehn Minuten<br />
lernen wir schließlich Johan kennen, der - obwohl armer Student<br />
- in den besten Kreisen Stockholms verkehrt. In den verbleibenden<br />
106 Minuten werden diese Erzählstränge zueinander finden.<br />
Ein starkes, realistisch gehaltenes Gangsterstück, Espinosas<br />
Regiedebüt braucht den Vergleich mit amerikanischen Vorbildern<br />
nicht zu scheuen. (iv)<br />
<br />
NACHTSCHICHTEN<br />
Regie: Ivette Löcker<br />
Sie sind nicht nur wach - sie<br />
leben in der Nacht und mit<br />
der Nacht. „Nachtschichten“<br />
ist das Porträt einer Gegenwelt.<br />
Der Dokumentarfilm<br />
folgt den Spuren von Menschen<br />
in Berlin, die tagsüber<br />
unsichtbar bleiben, und<br />
begleitet sie auf ihren<br />
nächtlichen Wegen durch<br />
die Großstadt, die geprägt<br />
sind von pragmatischer Routine, Sehnsüchten und<br />
Gefahren. Eine Wachschutzfrau füttert während ihrer<br />
nächtlichen Kontrollrunde in der eisigen Winterkälte<br />
eine Ente, die sich auf das Industriegelände verirrt hat.<br />
Ein Obdachloser sucht im Schneetreiben nach einem<br />
trockenen Schlafplatz, der ihm Schutz gewährt. Ein<br />
Nachtwanderer flieht vor seiner Ruhelosigkeit hinaus<br />
in die mondhelle Nacht und findet Trost in der Schönheit<br />
der nächtlichen Stadt. (iv)<br />
<br />
TOURNÉE,<br />
Regie: Mathieu Amalric<br />
Mathieu Amalrics zartfühlender<br />
Katastrophenfilm „Tournée“<br />
feiert die Renaissance des New<br />
Burlesque, indem er fünf Tänzerinnen<br />
und einen lässigen<br />
Stripteaseboy als sympathische<br />
Egos ernstnimmt. Die amerikanischen<br />
Ladys, die er in Frankreich,<br />
dem Mutterland aller<br />
Sexklischees, durchsetzen will,<br />
sind alle Profis jenseits der<br />
Glamourmarke Jugend, präsentieren ihr knalliges Vaudeville-<br />
Vergnügen jedoch mit weitaus mehr Wärme und Persönlichkeit<br />
als etwa eine Dita von Teese. Den Rahmen dieser<br />
Geschichte entnahm Mathieu Amalric einer alten Erzählung<br />
von Colette, noch aus der Zeit, als Vaudeville-Revuen das<br />
Hauptvergnügen der kleinen Leute waren. Die Schriftstellerin<br />
beschrieb die eigenartig gelöste Melancholie, das Driften<br />
auf einer Tournee, das auch der Film in einem wunderbaren<br />
Timing zwischen komisch-drastischen Glanznummern und<br />
leisen verlorenen Momenten ausbalanciert. (iv)