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Schriftspracherwerb - Guido Nottbusch

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<strong>Schriftspracherwerb</strong> 1<br />

<strong>Schriftspracherwerb</strong><br />

Teil 04: Innere Regelbildung, Graphem-Phonem-Beziehungen<br />

und Fehlerdiagnose<br />

Repräsentation von Regularitäten<br />

• Die Regeln sind explizit und kodifiziert, d.h. sie sind bekannt und schriftlich fixiert.<br />

• Regularitäten sind nicht schriftlich fixiert und implizit, d.h. man folgt ihnen i.d.R. ohne sie<br />

zu kennen.<br />

• Die Norm ist nur das Ergebnis eines linguistischen Modells, d.h. nicht unbedingt die Beste<br />

aller Lösungen.<br />

Dieser Blickwinkel hat weit reichende Konsequenzen für den Rechtschreibunterricht: Die<br />

"metasprachliche Reflexion" und die "Teilhabe an der Erkenntnisgewinnung durch Einführung<br />

von Untersuchungsverfahren" wird als ein wesentlicher Teil des Sprachunterrichts angesehen.<br />

Wie sind Regeln/Regularitäten repräsentiert?<br />

Schreiben Sie die folgenden vier Sätze auf ein Blatt Papier. Die Sätze enthalten Pseudowörter, an<br />

denen die Anwendung orthographischen Muster- oder Regelwissens gut überprüft werden kann,<br />

da keine wortspezifischen Informationen vorhanden sein können. Es erfolgt eine Einbettung der<br />

Pseudowörter in ganze Sätze, um einen grammatischen Kontext zu geben; es treten auch<br />

"flektierte" Pseudowörter auf.<br />

1. hans pElst ?In diù Èkt«Èmeùr«.<br />

2. Èpeùt StrUpft g«ÈdAùb« ?aus deùm gAùl.<br />

3. È?iùda flAùmt ?In diù Èkal«ÈpaS«.<br />

4. Èpaul ralt :heùz« ?In diù ÈbrAùs«n.<br />

1. Dehnung<br />

In der Schule selten vermittelt, funktioniert die sogenannte "l-m-n-r-Regel" bei einer großen<br />

Mehrheit der mehrsilbigen Wörter: Folgt einem langen Vokal ein l, m, n, oder r, dann wird ein<br />

Dehnungs-h geschrieben.<br />

Èkt«Èmeùr« gAùl flAùmt ÈbrAùs«n g«ÈdAùb« Èheùz«<br />

Kottemehre Gahl flahmt Braßen G/gedabe H/hese<br />

2. Schärfung (Gelenkschreibung)<br />

Die Regel lautet vereinfacht: Wenn es für ein Wort eine Form mit Silbengelenk (SG) gibt (nach<br />

kurzem Vokal in betonter Silbe), dann wird der Buchstabe für das SG verdoppelt (Ausnahme: Dioder<br />

Trigrapheme).<br />

Èkt«Èmeùr« Èkal«ÈpaS« ralt pElst<br />

Kottemehre Kallepasche rallt (wg. rallen) pelst (wg. pel-sen)<br />

<strong>Guido</strong> <strong>Nottbusch</strong> * Universität Potsdam


<strong>Schriftspracherwerb</strong> 2<br />

3. S-Graphie<br />

Die Regel lautet vereinfacht: /s/ als Silbengelenk wird verschriftet. Kommt /s/ in einer<br />

Wortform intervokalisch nach langem Vokal vor und bleibt in allen Wortformen stimmlos wird es<br />

verschriftet. In allen anderen Fällen wird /s/ oder /z/ mit verschriftet.<br />

pElst heùz« brAùs«n<br />

pelst (wg. pel-sen) Hese (stimmhaft) braßen<br />

4. Groß-/Kleinschreibung<br />

Die Pseudowörter müssen grammatisch analysiert werden, ob sie im Satz nominale Funktion<br />

besitzen oder nicht.<br />

Verben: pElst, StrUpft, flAùmt, ralt<br />

Nomen: Èkt«Èmeùr«, gAùl, Èkal«ÈpaS«, ÈbrAùs«n<br />

Adverb/Nomen: g«ÈdAùb«, :heùz«<br />

Fazit<br />

• weitgehend regelkonforme Schreibungen<br />

• reflexive Regelbegründungen auf Nachfrage nur schwer möglich: Nennung analoger Fälle<br />

• Dies deutet eher auf Musterwissen als auf Regelwissen hin!<br />

• weitgehend regelkonforme Schreibungen<br />

• reflexive Regelbegründungen auf Nachfrage nur schwer möglich: Nennung analoger Fälle<br />

• Dies deutet eher auf Musterwissen als auf Regelwissen hin!<br />

• Schreibungen können mit dem silbenphonologisch, morphologisch und grammatisch<br />

orientierten Orthographie-Ansatz vorhergesagt werden.<br />

• Schriftsprache wird in erster Linie nicht durch die Vermittlung operativer Regeln erworben,<br />

sondern muss selbsttätig gelernt werden.<br />

• Wissenstransfer bedeutet, dass man diesen Prozess unterstützt.<br />

• Im Unterricht müssen Lernsituationen geschaffen werden, in denen die Schreiblerner zum<br />

selbstgesteuerten Aufbau des produktiven Wissens gelangen.<br />

Erwerbsmodell von Thomé (2003)<br />

(siehe Skript zur zweiten Sitzung)<br />

Umgang mit Fehlern<br />

Der Orthographieerwerb besteht insbesondere darin, dass sich die Lerner aus der Schriftsprache,<br />

mit der sie umgehen, selbständig ein Regelsystem erarbeiten. Es handelt sich um einen Prozess<br />

der inneren Regelbildung. Sowohl der Prozess der Regelbildung als auch das daraus resultierende<br />

Regelsystem sind den Lernern weitgehend unbewusst. Dieser Prozess der inneren Regelbildung<br />

findet u.a. seinen Ausdruck in Fehlschreibungen der Lerner. Offensichtlich verläuft die innere<br />

Regelbildung nicht beliebig, sondern nach einem bestimmten Muster. Dies lässt sich in<br />

Stufenmodellen darstellen.<br />

Die Lehrkraft muss daher:<br />

<strong>Guido</strong> <strong>Nottbusch</strong> * Universität Potsdam


<strong>Schriftspracherwerb</strong> 3<br />

• die diagnostische Kompetenz besitzen, beobachtete Fehler auf Prozesse der inneren<br />

Regelbildung zurückzuführen und<br />

• daraus Methoden entwickeln können, diese Regelbildung zu unterstützen.<br />

• Dieses Konzept bildet daher eine wesentliche Grundlage für eine Differenzierung im<br />

Rechtschreibunterricht.<br />

Typologie der Rechtschreibfehler<br />

Die Typologie geht von der Überlegung aus, dass es drei Haupttypen von Fehlern gibt:<br />

1. elementare phonographische Fehler<br />

2. falsche orthographische Markierungen<br />

a) fehlende Markierungen<br />

b) übergeneralisierte Markierungen<br />

3. Vertauschungsfehler<br />

elementare phonographische Fehler<br />

• Die elementare Phonem-Graphembeziehung wird nicht korrekt wiedergegeben.<br />

• Probleme bei der phonologischen Analyse (Segmentierung) eines Wortes<br />

• eine Lücke im PGK-Regelsystem<br />

fehlende/übergeneralisierte orthographische Markierungen<br />

• Alle über die elementaren Phonem-Graphembeziehungen hinausgehenden Schreibungen<br />

werden als markierte Fälle angesehen.<br />

• fehlende Markierung -> keine Hinweise auf ein entsprechendes orthographisches Wissen<br />

• Markierung an einer falschen Stelle bzw. Übergeneralisierung -> Ansätze eines Wissens im<br />

jeweiligen orthographischen Bereich<br />

Vertauschungsfehler<br />

• Unterscheidung zwischen markiertem und unmarkiertem Fall nicht feststellbar.<br />

Fehlerdiagnose<br />

• Betrachtung von Fehlern getrennt nach orthographischen Bereichen (z.B.: Phonographie,<br />

GKS, Schärfung, Dehnung, GZS, Interpunktion, etc.)<br />

• Würdigung der vorliegenden Kenntnisse ("Was kann das Kind schon?"), um anschließend<br />

die nächsten Inhalte festlegen zu können ("Was kann/soll das Kind als nächstes lernen?").<br />

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<strong>Schriftspracherwerb</strong> 4<br />

1. Groß- und Kleinschreibung<br />

• Satzinitale Großschreibung: kommt nicht vor<br />

• Insgesamt 10 Nomen, davon 6 richtig groß<br />

• Klein- für Großschreibung: 6<br />

• Groß- für Kleinschreibung: 3<br />

• Adjektiv zwischen (unbestimmtem) Artikel und Substantiv groß (aber Substantiv auch groß)<br />

• * (Zeile 1)<br />

• * (Zeile 3)<br />

• * (Zeile 4)<br />

• aber: (Zeile 2/3)<br />

• Substantive direkt nach Artikel überwiegend korrekt<br />

• (Zeile 5)<br />

• (Zeile 6)<br />

• aber: * (Zeile 7)<br />

• Substantive ohne Artikel, nach Zahl(wort), Präposition + Artikel immer falsch<br />

• * (Zeile 4)<br />

• * (Zeile 7)<br />

• * (Zeile 8)<br />

• * (Zeile 8)<br />

Zahl der Fehler nimmt zum Ende hin zu. Noch starke Orientierung an Artikelwörtern (auch<br />

übergeneralisiert).<br />

21<br />

<strong>Guido</strong> <strong>Nottbusch</strong> * Universität Potsdam


<strong>Schriftspracherwerb</strong> 5<br />

2. Getrennt- und Zusammenschreibung<br />

• * (Zeile 1)<br />

• * oder *<br />

Wortbegriff insgesamt gut. Erklärung der Fehler aus syntaktischer Perspektive nicht möglich.<br />

Vermutlich eher ein graphomotorisches Problem.<br />

3. S-Graphie<br />

• für <br />

• * für <br />

• * für <br />

• für ()<br />

• * für <br />

• * für <br />

• * für <br />

• aber:<br />

• (2x) korrekt!<br />

• <br />

• <br />

Alle Fehlerfälle enthalten ein stimmloses .<br />

Unsicherheit bei der Graphemunterscheidung.<br />

4. Phonographie<br />

• falscher Vokal in * und *<br />

• fehlende Umlautmarkierung in * (Zeile 1)<br />

• aber vorhandene Umlautmarkierung in (Zeile 7)<br />

Phonographie sonst sehr gut (fast 100% aller Laute verschriftet).<br />

5. Schärfung<br />

• fehlende Schärfungsmarkierungen (keine korrekte Anwendung vorhanden)<br />

• (3x)<br />

• <br />

• <br />

• <br />

6. Dehnung<br />

• fehlende Dehnungsmarkierung (Langvokal vor Sonorant), einmal korrekt in<br />

→ zu wenige Fälle, um zu einer Aussage zu gelangen.<br />

7. Interpunktion<br />

Außer eine Punkt am Schluss nicht vorhanden.<br />

8. Auslautverhärtung<br />

kommt nicht vor<br />

<strong>Guido</strong> <strong>Nottbusch</strong> * Universität Potsdam


<strong>Schriftspracherwerb</strong> 6<br />

9. Grammatikfehler<br />

Spielen für diese Analyse keine Rolle.<br />

10. Sonstiges<br />

für "zwei": könnte Vermeidungsstrategie sein<br />

11. Fazit<br />

• s/z/ß<br />

• GKS<br />

• Schärfung<br />

<strong>Guido</strong> <strong>Nottbusch</strong> * Universität Potsdam

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