TÄTER – OPFER: EINE HILFREICHE DICHOTOMIE?
TÄTER – OPFER: EINE HILFREICHE DICHOTOMIE?
TÄTER – OPFER: EINE HILFREICHE DICHOTOMIE?
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die nach wie vor bestehende reale gesellschaftliche<br />
Ungleichheit zwischen Männern und Frauen, die den<br />
Umgang der Geschlechter miteinander und mit ihrer<br />
Sexualität prägt.<br />
Obwohl missbrauchende Männer und Frauen das gleiche<br />
Delikt <strong>–</strong> wenn auch in diversen Spielarten - begangen<br />
haben, ist die Wahrnehmung von Täterinnen im Helfersystem<br />
eine völlig andere. Frauen als Täterinnen fallen<br />
aus dem Rahmen. Sie entsprechen nicht dem gesellschaftlich<br />
häufig überhöhten Bild der liebenden Mutter,<br />
der friedfertigen, fürsorglichen Frau, die von Natur aus<br />
dafür prädestiniert ist, Kinder zu versorgen, zu schützen<br />
und sich bis zur Selbstaufgabe für andere aufzuopfern. In<br />
diesem Bild von Weiblichkeit ist kein Platz für aktive,<br />
auf eigenen Lustgewinn ausgerichtete Sexualität und<br />
schon gar nicht für Gewalt und Missbrauch. Aufgrund<br />
dieses idealisierten Bildes werden Frauen in weit geringerem<br />
Ausmaß sexuelle Übergriffshandlungen zugetraut als<br />
Männern, die ja in manchen Kreisen schon allein aufgrund<br />
ihrer Männlichkeit als potenzielle Täter eingestuft<br />
werden. Besonders bei Müttern oder älteren Frauen<br />
erscheint der Verdacht von missbräuchlicher Sexualität<br />
total tabuisiert und geradezu absurd.<br />
Obwohl oder vielleicht gerade weil Täterinnen diesem<br />
Ideal in keiner Weise entsprechen, sondern den Mythos<br />
der Madonna, der schützenden, liebenden, nahezu heiligen<br />
Mutter in höchst schockierender Weise ad absurdum<br />
führen, werden sie in weitaus geringerem Maß als<br />
männliche Täter dämonisiert und als die beängstigenden<br />
Monster wahrgenommen, die von vornherein zu gegenaggressiven,<br />
kontrollierenden oder machtdemonstrativen<br />
Attacken verleiten.<br />
Vielmehr erlebe ich im Umgang mit Frauen, die sexuelle<br />
Übergriffe auf Kinder begangen haben, auf der Helferebene<br />
häufig die Abspaltung des Täter-Anteils. Es<br />
taucht sehr schnell die Frage auf, ob die Frau wirklich<br />
von sich aus den Übergriff betrieben habe oder ob sie<br />
nicht hilfloses Werkzeug eines Mannes, des eigentlichen<br />
Täters, sei; oder ob sie nicht vielleicht aufgrund eigener<br />
kindlicher Missbrauchserfahrungen eigentlich keinen<br />
anderen Weg habe beschreiten können als das selbst<br />
Erlittene an den eigenen oder fremden Kindern zu rein-<br />
szenieren. Es entspricht den Tatsachen, dass Frauen häufig<br />
Übergriffshandlungen gemeinsam mit oder unter<br />
dem Druck eines männlichen Mittäters begehen und<br />
dass viele so genannte Täterinnen eigene kindliche Missbrauchserfahrungen<br />
haben. Aufgrund dieser Faktoren<br />
aber von vornherein die Verantwortung der missbrauchenden<br />
Frau in Frage zu stellen, verblüfft insofern, als<br />
bei männlichen Tätern solche Argumente kaum auftauchen<br />
bzw. nicht entschuldigend oder verantwortungsmindernd<br />
verwendet werden.<br />
In vielen Fällen wird auch in Zweifel gezogen, ob der<br />
vom Kind geschilderte Übergriff wirklich stattgefunden<br />
hat, ob das Vorgefallene als Übergriff zu bewerten ist<br />
bzw. ob sich der Übergriff schädigend auf das Kind auswirkt.<br />
Die Verleugnungsphänomene, die ansonsten bei<br />
den Tätern zu beobachten sind, tauchen hier plötzlich<br />
auf der Helferebene auf. Offenbar ist die Gleichzeitigkeit<br />
von Weiblichkeit und Täterschaft für die Psyche der<br />
BetrachterIn so unfassbar oder auch so unerträglich,<br />
dass sie in dieser Form nicht wahrgenommen werden<br />
darf. Zur Aufrechterhaltung des eigenen Weltbildes wird<br />
Missbrauch durch Frauen minimalisiert, als übertriebene<br />
Zuneigung umgedeutet, entschuldigt, partiell oder<br />
auch total verleugnet und ausgeblendet.<br />
Das Bild einer Täterin wird daher dahingehend zurechtgeschnitzt,<br />
dass es beinahe in das Opfer-Schema passt. Der<br />
missbrauchenden Frau wird jede Verantwortung für ihre<br />
Handlungen abgesprochen, die Übergriffshandlung wird<br />
bagatellisiert oder negiert, damit die Welt wieder in Ordnung<br />
ist. Wenn weibliche Täter im Glaubenssystem der<br />
Helferinnen keinen Platz haben, werden sie, um sichere<br />
Positionen nicht infrage stellen zu müssen, zu Opfern<br />
ihrer Geschichte oder ihrer männlichen Partner gemacht.<br />
Wenn es nicht mehr möglich ist, die Abspaltung des<br />
Täteranteils an einer Frau aufrecht zu halten oder die<br />
Verantwortung jemand anderem in die Schuhe zu schieben,<br />
kippt die Situation häufig. Die volle Wut und Enttäuschung<br />
entlädt sich auf die missbrauchende Frau,<br />
und sie wird dafür bestraft, dass sie unser Weltbild<br />
erschüttert hat.<br />
Abgesehen von der Gefahr, dass HelferInnen aufgrund<br />
dieses blinden Flecks kaum hilfreich für missbrauchende<br />
SYSTEMISCHE NOTIZEN 03/05 27