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TÄTER – OPFER: EINE HILFREICHE DICHOTOMIE?

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wirkungen einer derartig verzerrten Wahrnehmung<br />

genauer beleuchten. Es geht mir dabei nicht darum,<br />

HelferInnen in ihren Bemühungen bloßzustellen und<br />

mich über sie lustig zu machen, auch wenn vielleicht<br />

manche Formulierung spitz oder sogar zynisch erscheinen<br />

mag. Viele der beschriebenen Impulse und Versuchungen<br />

sind mir aus der eigenen Praxis und aus diversen<br />

Helferberatungen wohl vertraut. Mir ist bewusst,<br />

wie schwierig es ist, sich nicht von einer drängenden<br />

Falldynamik mitreißen zu lassen, nicht im Chor der Retter,<br />

Rächer, Detektive und Kontrollore mitzusingen und<br />

nicht in die Fallen der eigenen Abwehr zu tappen.<br />

<strong>OPFER</strong><br />

Ich möchte mit den so genannten Opfern beginnen.<br />

Dabei verwende ich bewusst die Formulierung „so<br />

genannte“ Opfer, weil ich den Terminus an sich problematisch<br />

finde. Ich gehe davon aus, dass Menschen, die<br />

ES GIBT K<strong>EINE</strong> EINDEUTIGEN LÖSUNGEN IN SYSTE-<br />

MEN, DIE GEPRÄGT SIND DURCH AMBIVALENZ,<br />

ROLLENDIFFUSION, WIDERSPRÜCHLICHKEIT UND<br />

UNKLARHEIT. UM EFFIZIENT MIT SOLCHEN FÄLLEN<br />

ARBEITEN ZU KÖNNEN IST ES NOTWENDIG, DEN<br />

BLICK GENAU AUF DIESE PHÄNOMENE ZU RICHTEN,<br />

SIE AUSZUHALTEN UND <strong>EINE</strong>R REFLEXION<br />

ZUGÄNGLICH ZU MACHEN.<br />

sexuelle Übergriffe erlebt haben, egal, ob es sich um<br />

Kinder oder Erwachsene handelt, nicht ausschließlich<br />

„Opfer“ sind. Die Missbrauchserfahrung macht nur<br />

einen beschränkten Teil ihrer Gesamtpersönlichkeit aus,<br />

auch wenn die subjektive Wahrnehmung in der akuten<br />

Krisensituation dem zu widersprechen scheint. Verständlicherweise<br />

kommt es in der akuten Situation zu<br />

einer Einengung und Problemfokussierung bei den von<br />

Gewalt Betroffenen und deren sozialem Umfeld. Grundsätzlich<br />

ist aber davon auszugehen, dass Kinder, die<br />

sexuelle Gewalterfahrungen haben, Kinder mit indivi-<br />

duellen Stärken und Schwächen, mit spezifischen<br />

Ressourcen und Fähigkeiten sind, auch wenn es in<br />

ihrem Leben häufig einen Mangel an protektiven und<br />

einen Überhang an Belastungsfaktoren gibt.<br />

Es erscheint mir von enormer Wichtigkeit, Kinder trotz<br />

ihrer Belastung durch Gewalterfahrungen in ihrer<br />

gesamten Persönlichkeit wahrzunehmen und ihre<br />

gesunden, starken Anteile nicht auszublenden. Das<br />

bedeutet nicht, die traumatisierenden Auswirkungen<br />

von sexuellen Gewalterfahrungen zu bagatellisieren<br />

oder zu ignorieren. Das soll auch nicht dazu führen, die<br />

Augen vor Risikofaktoren und Rahmenbedingungen,<br />

die den sexuellen Übergriff begünstigt haben, zu verschließen.<br />

Vielmehr soll das Ziel sein, nach einer ausreichenden<br />

Beschäftigung mit dem Übergriff und daraus resultierenden<br />

Schwierigkeiten und Konflikten den Blick wieder<br />

auf problemfreie Bereiche zu richten, die Übergriffserfahrung<br />

zu integrieren<br />

und nicht in einer<br />

permanenten Opferrolle<br />

hängen zu bleiben.<br />

Die Voraussetzung<br />

dafür, Betroffene<br />

in diesem Prozess gut<br />

unterstützen zu können,<br />

ist, von sexueller<br />

Gewalt betroffene<br />

Kinder nicht als „für’s<br />

Leben gezeichnet“ zu<br />

sehen, sondern ihnen<br />

zuzutrauen und mit ihnen daran zu arbeiten, diese<br />

Erfahrung zu überwinden und neue Wege fernab einer<br />

fixierten Opfer-Identität zu gehen.<br />

Insofern gibt es für mich auch keine so genannte<br />

„Opfertherapie“. Die Verwendung eines solchen Begriffs<br />

impliziert Problemfokussierung und möglicher Weise<br />

Fixierung auf eine spezifische Rolle, die zu überwinden<br />

das eigentliche Ziel einer therapeutischen Bearbeitung<br />

sein sollte.<br />

Aus diesem Grund erscheint es mir auch wichtig, die<br />

landläufige Meinung, jedes von Gewalt betroffene Kind<br />

SYSTEMISCHE NOTIZEN 03/05 19

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