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4. September 1964, Bangkok<br />
Der von allen ersehnte Tag ist da: wir sind in Bangkok! Von drei Uhr morgens bis zum späten<br />
Na<strong>ch</strong>mittag müssen wir allerdings auf offener See vor Anker liegen. Der Grund: Wir warten, bis<br />
der Bangkok River genügend Wasser führt. Die Flussfahrt dauert dann no<strong>ch</strong> drei Stunden, bis<br />
wir im Hafen ankommen. Aber eigentli<strong>ch</strong> ist es gar kein Hafen, die S<strong>ch</strong>iffe werden einfa<strong>ch</strong> dem<br />
Fluss entlang festgema<strong>ch</strong>t.<br />
Bangkok River<br />
S<strong>ch</strong>ätz<strong>ch</strong>en Piak<br />
Und vom Moment des Festma<strong>ch</strong>ens an wird au<strong>ch</strong> mir klar, warum Bangkok bei der Crew so<br />
ungeheuer beliebt ist: Innert Minuten wimmelt es auf dem S<strong>ch</strong>iff von hübs<strong>ch</strong>en Mäd<strong>ch</strong>en. Aha,<br />
das ist also der Zauber dieser Stadt... und ni<strong>ch</strong>t die berühmten Tempel.<br />
S<strong>ch</strong>on am ersten Abend gehen wir an Land – sobald die Formalitäten erledigt sind. Bäcker Charly<br />
S<strong>ch</strong>mid zeigt mir die eins<strong>ch</strong>lägigen Lokale, die wir einem dreirädrigen Vespataxi errei<strong>ch</strong>en.<br />
Und i<strong>ch</strong> komme aus dem Stauen ni<strong>ch</strong>t heraus. So viele s<strong>ch</strong>öne Frauen habe i<strong>ch</strong> no<strong>ch</strong> nie auf<br />
«einem Haufen» gesehen! Und sie sind viel, viel netter als die Abrissweiber in den europäis<strong>ch</strong>en<br />
Häfen. Höfli<strong>ch</strong> und lieb, ni<strong>ch</strong>t aufdringli<strong>ch</strong>, und ni<strong>ch</strong>t von der Sorte «Na Kleener, willst au<strong>ch</strong><br />
mal?». Und sie vermitteln einem ni<strong>ch</strong>t das Gefühl, dass es nur um Kohle geht. Naja, das wissen<br />
wir ja trotzdem. Wer die Wahl hat, hat die Qual! Es ist gar ni<strong>ch</strong>t so lei<strong>ch</strong>t, das sympathis<strong>ch</strong>ste<br />
Girl zu finden. Alle mit s<strong>ch</strong>lanken Figuren, braune, zarte Haut, dunkle Augen und ein hübs<strong>ch</strong>es<br />
Näs<strong>ch</strong>en... Wir trinken eine Cola, und Charly ents<strong>ch</strong>eidet si<strong>ch</strong> zügig und vers<strong>ch</strong>windet, wohin<br />
au<strong>ch</strong> immer. Und i<strong>ch</strong> bleibe allein zurück, was nun? Ein süsser Käfer, Piak heisst sie, nimmt<br />
mir die Ents<strong>ch</strong>eidung ab und fragt, ob i<strong>ch</strong> mit ihr na<strong>ch</strong> Hause kommen wolle. Und ob i<strong>ch</strong> will.<br />
Wir spazieren los zu ihrem Heim. Es ist eine Art «Pfahlbauersiedlung», wir mars<strong>ch</strong>ieren dur<strong>ch</strong><br />
Dreck und Sumpf, über Bretter hinweg, die die Hauptstrasse des Dorfes bilden, verwilderte<br />
Katzen und Hunde streifen umher, und i<strong>ch</strong> komme mir vor wie im Film. Es ist so spannend und<br />
aufregend, dass i<strong>ch</strong> gar keine Zeit habe für Angstgefühle. Piaks Hütte erweist si<strong>ch</strong> dann von<br />
aussen als ziemli<strong>ch</strong> verwahrlost, aber innen ist sie hübs<strong>ch</strong> eingeri<strong>ch</strong>tet und sauber geputzt. Die<br />
im Hauptraum anwesenden Eltern, Grosseltern, Ges<strong>ch</strong>wister und Tanten sitzen alle am Boden<br />
und begrüssen mi<strong>ch</strong> begeistert. Für sie ist es völlig normal, dass die Tö<strong>ch</strong>ter oder Enkelinnen<br />
ihren neuen «Boyfriend» mit na<strong>ch</strong> Hause bringen – i<strong>ch</strong> bin etwas verlegen und erröte, was man<br />
la<strong>ch</strong>end zur Kenntnis nimmt. Ras<strong>ch</strong> erkenne i<strong>ch</strong>, dass Besu<strong>ch</strong>er wie i<strong>ch</strong> zum Lebensunterhalt der<br />
ganzen Sipps<strong>ch</strong>aft beitragen. Zuerst wollen natürli<strong>ch</strong> alle wissen, woher i<strong>ch</strong> komme. S<strong>ch</strong>weiz?<br />
Davon hat no<strong>ch</strong> nie jemand gehört, aber Europa rei<strong>ch</strong>t für den Moment au<strong>ch</strong>. Der bisher laufende<br />
TV-Kasten wird jedenfalls sofort abges<strong>ch</strong>altet, denn das Hauptereignis bin nun i<strong>ch</strong>. I<strong>ch</strong><br />
konstatiere das mit gemis<strong>ch</strong>ten Gefühlen... Die Grossmutter bringt ein Getränk, jemand ein paar<br />
Kekse. Viel Konversation gibt es ni<strong>ch</strong>t, die Spra<strong>ch</strong>barrieren sind zu gross. Aber dann wird es für<br />
mi<strong>ch</strong> dramatis<strong>ch</strong>. Mein Girl beginnt si<strong>ch</strong> zu entkleiden, inmitten der ganzen Sipps<strong>ch</strong>aft. Nein!,<br />
denke i<strong>ch</strong>, das darf do<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t wahr sein, soll i<strong>ch</strong> etwa hier...in diesem Raum... vor allen Leuten...<br />
Do<strong>ch</strong> das Ganze wendet si<strong>ch</strong> zum Guten. Piak, inzwis<strong>ch</strong>en halbnackt, nimmt mi<strong>ch</strong> an der Hand<br />
und führt mi<strong>ch</strong> in einen Nebenraum. Ein wunderbares (Liebes)Nest aus farbigen Tü<strong>ch</strong>ern, einer<br />
breiten Matratze mit hellblauem Moskitonetz, ri<strong>ch</strong>tig kus<strong>ch</strong>elig. Wir s<strong>ch</strong>lüpfen beide rein. Piak<br />
muss erkannt haben, dass i<strong>ch</strong> Anfänger bin, denn sie geht sehr zärtli<strong>ch</strong> mit mir um, entkleidet<br />
si<strong>ch</strong> no<strong>ch</strong> ganz und dann mi<strong>ch</strong>. Vom Zweiten Offizier sind wir no<strong>ch</strong> an Bord ermahnt worden,<br />
dass wir uns vor Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tskrankheiten s<strong>ch</strong>ützen sollen. Er verteilte zweierlei: Eine Salbe, die<br />
man(n) in die Harnröhre eingeben soll, und ein paar Pariser. Da i<strong>ch</strong> einer der ganz Vorsi<strong>ch</strong>tigen<br />
(oder Ängstli<strong>ch</strong>en?) bin, verwende i<strong>ch</strong> glei<strong>ch</strong> beides... si<strong>ch</strong>er ist si<strong>ch</strong>er. Piak s<strong>ch</strong>munzelt nur. I<strong>ch</strong><br />
bleibe die ganze Na<strong>ch</strong>t bei ihr und finde es wunders<strong>ch</strong>ön.<br />
Auf dem Na<strong>ch</strong>hauseweg werde i<strong>ch</strong> von einer hübs<strong>ch</strong>en s<strong>ch</strong>warz-weissen Katze begleitet, und<br />
i<strong>ch</strong> male mir s<strong>ch</strong>on aus, dass sie bestens zu unserer S<strong>ch</strong>iffskatze, Globi, passen würde. Aber kurz<br />
vor der Gangway will sie ni<strong>ch</strong>t mehr und verabs<strong>ch</strong>iedet si<strong>ch</strong> blitzartig.<br />
5. September 1964, Bangkok<br />
Einen normalen Arbeitstag kann man das ni<strong>ch</strong>t nennen, obwohl i<strong>ch</strong> arbeiten muss. Überall stehen<br />
einem die Mäd<strong>ch</strong>en im Wege, aber i<strong>ch</strong> finde das ganze Dur<strong>ch</strong>einander an Bord lustig. Am<br />
Vormittag kommen die «Flas<strong>ch</strong>engirls» in ihren Booten längsseits, und die Matrosen ma<strong>ch</strong>en<br />
si<strong>ch</strong> einen Spass daraus, ihnen die tausenden von Becks-Flas<strong>ch</strong>en, die wir auf der Reise s<strong>ch</strong>on<br />
geleert haben, in Kartons runterzulassen. Man<strong>ch</strong>e werfen die Kartons au<strong>ch</strong> ungezielt runter<br />
und s<strong>ch</strong>auen dann dem bunten Treiben zu, wie die Mäd<strong>ch</strong>en sie aus dem Fluss fis<strong>ch</strong>en. Auf den<br />
Flas<strong>ch</strong>enbooten sitzen au<strong>ch</strong> junge Burs<strong>ch</strong>en, die jeweils na<strong>ch</strong> einzelnen Flas<strong>ch</strong>en tau<strong>ch</strong>en – in<br />
dieser unsägli<strong>ch</strong>en braunen Brühe. Wie die da unten was sehen können, wird mir ewig s<strong>ch</strong>leierhaft<br />
bleiben. Und dann die Überras<strong>ch</strong>ung: «Meine» Piak besu<strong>ch</strong>t mi<strong>ch</strong> an Bord, um bye bye zu<br />
sagen. I<strong>ch</strong> bin ganz gerührt. Sie verspri<strong>ch</strong>t, bei unserer Rückfahrt wieder zu Besu<strong>ch</strong> zu kommen.<br />
Hoffentli<strong>ch</strong> laufen wir Bangkok auf dem Na<strong>ch</strong>hauseweg wieder an!