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Tagebuch (PDF) - Webfritz.ch

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28. Juli 1964, Hamburg<br />

Der Tag, auf den i<strong>ch</strong> lange gewartet habe: Der letzte in Hamburg – jetzt kann die «ri<strong>ch</strong>tige»<br />

Reise endli<strong>ch</strong> beginnen! Heute erhalten wir vom 2. Offizier, der an Bord au<strong>ch</strong> no<strong>ch</strong> das Amt des<br />

«Mediziners» innehat, die Impfungen gegen Cholera und Gelbes Fieber; wir werden ja s<strong>ch</strong>on<br />

bald in tropis<strong>ch</strong>en Gebieten unterwegs sein. Vom Stauer-Chef, der bei mir in der Bootsmesse<br />

isst, habe i<strong>ch</strong> erfahren, was wir hier in Hamburg geladen haben. Es sind Fässer mit Chemikalien<br />

für S<strong>ch</strong>anghai, Glas und S<strong>ch</strong>wefel für Hong Kong, diverse Stückgüter für <strong>ch</strong>inesis<strong>ch</strong>e Häfen, und<br />

ein paar Kisten mit Mas<strong>ch</strong>inen und Mas<strong>ch</strong>inenteilen für Bangkok. Die Hauptladung, Phosphat,<br />

werden wir in Marokko an Bord nehmen. Phosphat wird als Düngemittel verwendet und soll in<br />

China gelös<strong>ch</strong>t werden, 7‘000 Tonnen, eine unvorstellbare Menge.<br />

Hafen Hamburg<br />

1. August-Feier auf See,<br />

mit S<strong>ch</strong>iessen...<br />

...und saufen<br />

Casablanca<br />

Vom weissen S<strong>ch</strong>üttgut Phosphat<br />

gezei<strong>ch</strong>nete Hafenanlagen<br />

31. Juli 1964, Antwerpen<br />

Antwerpen ist der letzte europäis<strong>ch</strong>e Hafen für eine geraume Zeit. Hier «bunkern» wir no<strong>ch</strong>mals<br />

tü<strong>ch</strong>tig, unter anderem kommen 2 Tonnen Fleis<strong>ch</strong> an Bord! Eine happige Arbeit, das alles im<br />

Kühlraum zu verstauen. Ufff! Um a<strong>ch</strong>t Uhr abends ist es soweit: Die beiden S<strong>ch</strong>leppkähne ziehen<br />

uns aus dem Hafen und in die S<strong>ch</strong>leuse, die das Tor zum «Great Trip» bedeutet.<br />

1. August 1964, auf See<br />

Diese Na<strong>ch</strong>t haben wir den Golf von Biscaya errei<strong>ch</strong>t, der bekannt ist für stürmis<strong>ch</strong>e See. Aber<br />

wir haben Glück, es herrs<strong>ch</strong>t wunderbares Wetter, und die MS Basilea s<strong>ch</strong>aukelt nur wenig.<br />

Genug für mi<strong>ch</strong> allerdings, um wieder seekrank zu werden. Es ist zum Kotzen, und das darf man<br />

wörtli<strong>ch</strong> nehmen. I<strong>ch</strong> fühle mi<strong>ch</strong> elend in jeder Beziehung, mag ni<strong>ch</strong>ts essen, bin verzweifelt und<br />

verunsi<strong>ch</strong>ert. Wie soll i<strong>ch</strong> diese Reise bloss überstehen? Die anderen Messboys und die «Decks»<br />

(so nennt man die Jungmatrosen) spüren offenbar ni<strong>ch</strong>ts, sie s<strong>ch</strong>einen bereits seefest zu sein.<br />

Und finden natürli<strong>ch</strong> Gefallen daran, mi<strong>ch</strong> zu hänseln, dass es mi<strong>ch</strong> erwis<strong>ch</strong>t hat. Toll. Aber i<strong>ch</strong><br />

habe keine Kraft, mi<strong>ch</strong> zu wehren. Und arbeiten muss i<strong>ch</strong> ja sowieso, denn hier an Bord kümmert<br />

si<strong>ch</strong> kein S<strong>ch</strong>wein darum, wie mies es mir geht. Kü<strong>ch</strong>e, Kabinen und Messe haben einfa<strong>ch</strong><br />

geputzt zu sein und das Essen muss auf dem Tis<strong>ch</strong> stehen. Versteh i<strong>ch</strong> ja. Viellei<strong>ch</strong>t ist Arbeit<br />

ganz gut, das lenkt immerhin etwas ab. Trotzdem, die erste Begeisterung für die Seefahrerei<br />

ist verflogen, und von der 1. August-Feier an Bord habe i<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t viel (wenn i<strong>ch</strong> nur s<strong>ch</strong>on an<br />

Alkohol denke, wird mir s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>t...).<br />

3. August 1964, auf See<br />

Hoffnung keimt auf. Im Atlantik zwis<strong>ch</strong>en Europa und Afrika rollt und stampft die Basilea ganz<br />

s<strong>ch</strong>ön, und denno<strong>ch</strong> geht es mir den Umständen entspre<strong>ch</strong>end ziemli<strong>ch</strong> gut. Ob i<strong>ch</strong> do<strong>ch</strong> no<strong>ch</strong><br />

seefest werde? Am Vormittag liegen wir drei Stunden ohne Fahrt zu ma<strong>ch</strong>en, denn eine Ladung<br />

Röhren, die wir in Bremerhaven an Bord genommen haben, hat si<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> die heftigen Rollbewegungen<br />

des S<strong>ch</strong>iffes gelöst und muss neu gelas<strong>ch</strong>t werden. Ni<strong>ch</strong>t ganz einfa<strong>ch</strong>, aber das<br />

Manöver gelingt. Ni<strong>ch</strong>t auszudenken, was hätte passieren können, wenn die Röhren ein Leck in<br />

die Bordwand ges<strong>ch</strong>lagen hätten. PS: Heute haben wir einen Wal gesehen!<br />

4. August 1964, Casablanca<br />

Es ist no<strong>ch</strong> ziemli<strong>ch</strong> dunkel, als wir am frühen Morgen die Küste Afrikas erblicken. Vor uns liegt<br />

Marokko mit seiner Hauptstadt Casablanca. Die Silhouette der Stadt mit ihren weissen Häusern<br />

ist gut zu erkennen. Wir liegen bis fünf Uhr na<strong>ch</strong>mittags vor Anker – bloss ein paar hundert Meter<br />

vom Land weg. Erst gegen Abend laufen wir in den Hafen ein, mit Hilfe eines S<strong>ch</strong>leppers, und<br />

kaum sind wir an der Mole, beginnen au<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>on die Ladearbeiten: 7‘000 Tonnen Phosphat!<br />

Die MS Basilea ist ein sogenannter kombinierter Fra<strong>ch</strong>ter. Sie kann ni<strong>ch</strong>t nur Stück-, sondern<br />

au<strong>ch</strong> S<strong>ch</strong>üttgut transportieren. Das Phosphat, eine Art Pulver, wird «unverpackt» einfa<strong>ch</strong> in den<br />

S<strong>ch</strong>iffsbau<strong>ch</strong> ges<strong>ch</strong>üttet. Was das bedeutet, wird uns s<strong>ch</strong>nell klar: Der Dreck, der dabei entsteht,<br />

ist gewaltig. Obwohl alle Luken, Bullaugen und Türen vers<strong>ch</strong>lossen sind, findet der feine Staub<br />

überall Einlass und tün<strong>ch</strong>t alles weiss. In der Kü<strong>ch</strong>e und in meiner Pantry sieht es aus, als ob‘s<br />

ges<strong>ch</strong>neit hätte, alles bekommt einen weissen Belag: Das Ges<strong>ch</strong>irr genauso wie Brot, Gemüse,<br />

Fleis<strong>ch</strong>... und auf dem Deck liegt der Staub zentimeterdick. Mehr als genug Arbeit für die nä<strong>ch</strong>sten<br />

Tage. Die Matrosen und Deckjungen werden damit zu tun haben... und i<strong>ch</strong>, weil der ganze<br />

Dreck ständig in die Gänge, Kabinen und Essräume ges<strong>ch</strong>leppt wird.<br />

Aber das ist ni<strong>ch</strong>t unser grösstes Problem. Dieses besteht vielmehr darin, ob es endli<strong>ch</strong> Landgang<br />

gibt! Nur weiss niemand, ni<strong>ch</strong>t mal der Funker, der sonst alles weiss, ob es einen Landpass<br />

brau<strong>ch</strong>t. Alle stehen bereit und warten ungeduldig im «Ausgangstenu». S<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> kommt die<br />

Meldung, dass der S<strong>ch</strong>weizerpass genügt. Jetzt aber ni<strong>ch</strong>ts wie los! Zum ersten Mal in meinem<br />

Leben setze i<strong>ch</strong> meinen Fuss auf afrikanis<strong>ch</strong>en Boden, was für ein bewegender Moment! Der<br />

Weg in die Stadt ist ni<strong>ch</strong>t weit, und ein Einheimis<strong>ch</strong>er drängt si<strong>ch</strong> auf, uns (i<strong>ch</strong> bin mit Otto, dem<br />

Mas<strong>ch</strong>inisten unterwegs) den Weg zum Seemannshaus und zur American Bar zu zeigen, die er

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