23.12.2013 Aufrufe

Tagebuch (PDF) - Webfritz.ch

Tagebuch (PDF) - Webfritz.ch

Tagebuch (PDF) - Webfritz.ch

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Vorwort<br />

Mit 70 ist die Zeit reif, seine Memoiren zu verfassen. Wo beginnen? Meine<br />

Kindheit verlief so «normal» und wenig spektakulär, dass es si<strong>ch</strong> kaum lohnt, darauf<br />

speziell einzugehen. S<strong>ch</strong>ule, KV-Berufslehre, Rekrutens<strong>ch</strong>ule – alles Mittelmass.<br />

Dann aber, so mit 20, flammte in mir das berühmte «Fernweh» auf. I<strong>ch</strong> wollte raus<br />

aus dem Alltag, die Welt sehen, Abenteuer erleben. Nur, wie stellt man das an,<br />

wenn die finanziellen Mittel fehlen?<br />

Im Frühjahr 1964 – i<strong>ch</strong> war damals 22 Jahre jung – stiess i<strong>ch</strong> auf ein Zeitungsinserat<br />

der S<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>en Reederei AG: «Für unsere Ho<strong>ch</strong>sees<strong>ch</strong>iffe su<strong>ch</strong>en wir<br />

Messboys». Das weckte s<strong>ch</strong>lagartig mein Interesse. Ho<strong>ch</strong>sees<strong>ch</strong>iff! – das klang s<strong>ch</strong>on<br />

mal spannend. Obwohl i<strong>ch</strong> keine Ahnung hatte, was ein Messboy ist, bewarb i<strong>ch</strong> mi<strong>ch</strong><br />

um diese Stelle. Dabei erfuhr i<strong>ch</strong>, was man von einem Messboy auf einem Fra<strong>ch</strong>ter<br />

erwartete: Keinerlei seemännis<strong>ch</strong>en Voraussetzungen, nur arbeitswillig hatte er zu<br />

sein, und bereit, jede Drecksarbeit zu verri<strong>ch</strong>ten. Das war kein Problem für mi<strong>ch</strong>.<br />

Um mi<strong>ch</strong> «einzus<strong>ch</strong>ulen», bestellte man mi<strong>ch</strong> ins S<strong>ch</strong>ifferhaus der S<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>en<br />

Reederei in Basel. Dort «lernte» i<strong>ch</strong> erstmals mit dreckigen Pfannen umzugehen,<br />

die Kü<strong>ch</strong>e zu putzen und Kartoffeln zu s<strong>ch</strong>älen. Na<strong>ch</strong> drei Wo<strong>ch</strong>en harter Arbeit war<br />

i<strong>ch</strong> reif für die Arbeit als Messboy – te<strong>ch</strong>nis<strong>ch</strong> gesehen. Alles andere würde i<strong>ch</strong> dann<br />

an Bord eines Ho<strong>ch</strong>seedampfers lernen...<br />

Anfangs Juli 1964 kam i<strong>ch</strong> dann auf die MS Basilea, ein unter s<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>er<br />

Flagge operierender Kombifra<strong>ch</strong>ter mit knapp 10‘000 Tonnen Ladegewi<strong>ch</strong>t. Kombi<br />

heisst: Er war geeignet, sowohl Stück- wie au<strong>ch</strong> S<strong>ch</strong>üttgut zu transportieren. In einer<br />

Zeit weit vor den Containers<strong>ch</strong>iffen war das die ideale Voraussetzung für eine<br />

Weltreise: Fra<strong>ch</strong>taufträge wurden so angenommen, wie sie gerade anfielen, man<br />

wusste also ni<strong>ch</strong>t im voraus, wel<strong>ch</strong>e Häfen wann angelaufen wurden. Nur die Enddestination<br />

war bekannt, und die klang spektakulär: China! Das zu einer Zeit, als<br />

dieses Land no<strong>ch</strong> hermetis<strong>ch</strong> von der Welt abges<strong>ch</strong>lossen war.<br />

Der folgende Beri<strong>ch</strong>t hält si<strong>ch</strong> weitgehend an das von mir während des Trips<br />

geführte <strong>Tagebu<strong>ch</strong></strong>, au<strong>ch</strong> was die spra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Form betrifft. Selbst dann, wenn einiges<br />

heute ni<strong>ch</strong>t mehr «politis<strong>ch</strong> korrekt» klingt. Wer seekrank ist, der kotzt eben,<br />

und 1964 musste man einen Neger no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t als S<strong>ch</strong>warzen bezei<strong>ch</strong>nen.<br />

Ein halbes Jahr Abenteuer auf hoher See – eine der prägendsten Phasen in<br />

meinem Leben. Sie haben mir mehr an Lebenserfahrung und Mens<strong>ch</strong>enkenntnis eingebra<strong>ch</strong>t<br />

als alle S<strong>ch</strong>ulen und Weiterbildungen zusammen.<br />

Fritz Kleisli, Sommer 2012

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!