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Tagebuch (PDF) - Webfritz.ch

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Hong Kong<br />

I<strong>ch</strong> weiss ni<strong>ch</strong>t, was tun... Aber dann wird mir die Ents<strong>ch</strong>eidung abgenommen: Eines der Mäd<strong>ch</strong>en<br />

geht auf mi<strong>ch</strong> zu, nimmt mi<strong>ch</strong> bei der Hand und führt mi<strong>ch</strong> in ein Kämmer<strong>ch</strong>en. Etwas<br />

an mir muss ihr speziell gefallen, sie lä<strong>ch</strong>elt unentwegt und deutet auf mein Gesi<strong>ch</strong>t, strei<strong>ch</strong>elt<br />

meine Wangen. I<strong>ch</strong> verstehe erst ni<strong>ch</strong>t, was sie meint, dann sagt sie mit einem Strahlen: «So<br />

nice...». Es sind meine jugendli<strong>ch</strong> geröteten Bäcklein, die sie so faszinieren... Ni<strong>ch</strong>t gerade, was<br />

man si<strong>ch</strong> als Mann wüns<strong>ch</strong>t! Aber es wird denno<strong>ch</strong> ein unvergessli<strong>ch</strong>es und überaus sinnli<strong>ch</strong>es<br />

Erlebnis mit dieser zarten S<strong>ch</strong>önheit. Meinen Obulus entri<strong>ch</strong>te i<strong>ch</strong> der alte Dame, die mi<strong>ch</strong> dann<br />

mit zuvorkommender Höfli<strong>ch</strong>keit verabs<strong>ch</strong>iedet. Die jungen Grazien winken mir freundli<strong>ch</strong> hinterher.<br />

Und «meine» strahlt no<strong>ch</strong> immer.<br />

Ein Problem «dana<strong>ch</strong>» gilt es no<strong>ch</strong> zu lösen. I<strong>ch</strong> steige die unendli<strong>ch</strong> lange Wendeltreppe wieder<br />

runter, verlasse das halbzerfallene Haus – und hab keine Ahnung, wo i<strong>ch</strong> bin. Also mars<strong>ch</strong>iere<br />

i<strong>ch</strong> auf gut Glück los, erneut dur<strong>ch</strong> zahllose kleine dunkle Gäss<strong>ch</strong>en. S<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> finde i<strong>ch</strong><br />

eine etwas grössere Strasse und rufe einen Riks<strong>ch</strong>afahrer herbei. Zum Hafen, please! Der junge,<br />

kräftige Mann tritt in die Pedale und, oh Wunder, bringt mi<strong>ch</strong> an ein Pier, wo i<strong>ch</strong> ein kleines Boot<br />

finde, das mi<strong>ch</strong> zur MS Basilea bringt, die immer no<strong>ch</strong> in der Bu<strong>ch</strong>t vor Anker liegt. Es ist weit<br />

na<strong>ch</strong> Mitterna<strong>ch</strong>t.<br />

12. September 1964, Hong Kong<br />

Als i<strong>ch</strong> am Morgen in meiner Koje erwa<strong>ch</strong>e, weiss i<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t si<strong>ch</strong>er, ob i<strong>ch</strong> das Gestrige geträumt<br />

oder wirkli<strong>ch</strong> erlebt habe. Meine Arbeit erledige i<strong>ch</strong> wie im S<strong>ch</strong>laf, automatis<strong>ch</strong>, und denke<br />

immer wieder an das Erlebte zurück. Und langsam kommen Fragen in mir ho<strong>ch</strong>. War das klug,<br />

so allein unterwegs zu sein und si<strong>ch</strong> auf alles einzulassen, ohne eine Gefahr darin zu sehen?<br />

Eher nein, komme i<strong>ch</strong> zum S<strong>ch</strong>luss, beruhige mi<strong>ch</strong> dann aber mit der Tatsa<strong>ch</strong>e, dass ja alles gut<br />

abgelaufen ist und i<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> wieder auf dem Dampfer gelandet bin. Es hätte au<strong>ch</strong> anders<br />

herauskommen können, immerhin das realisiere i<strong>ch</strong> jetzt bei Tagesli<strong>ch</strong>t.<br />

Die Lös<strong>ch</strong>arbeiten gehen eher s<strong>ch</strong>leppend voran, weil jede Kiste und jedes Fass einzeln aus<br />

dem Bau<strong>ch</strong> der MS Basilea gehievt und auf kleine Transportboote verladen werden müssen. Zu<br />

meinem Erstaunen sind no<strong>ch</strong> alle Büffel und Kühe an Bord. Erst gegen Mittag beginnt deren<br />

Abtransport. Jedes Tier wird einzeln ho<strong>ch</strong>gezogen – zwei Seile unter dem Bau<strong>ch</strong> – und per<br />

Winde in die bereitstehenden grossen Transportkähne verladen. Jedes Tier verhält si<strong>ch</strong> anders.<br />

Die einen s<strong>ch</strong>icken si<strong>ch</strong> einfa<strong>ch</strong> drein und lassen es ges<strong>ch</strong>ehen, die anderen zappeln wie wild in<br />

ihren Seilen. Ein Büffel tut so wild, dass er si<strong>ch</strong> aus den Seilen windet und wie ein Stein auf den<br />

Bordrand des Transports<strong>ch</strong>iffes fällt. Unter Flu<strong>ch</strong>en ziehen die Stauleute das arme Tier auf Deck<br />

und prügeln ihn zu den anderen, bereits auf dem Kahn zusammengepfer<strong>ch</strong>ten. Lange werden<br />

sie ni<strong>ch</strong>t mehr leiden müssen, denn der S<strong>ch</strong>la<strong>ch</strong>thof wartet.<br />

Shore Leave ist auf 17.00 Uhr angesetzt. Eine ausgezei<strong>ch</strong>nete Zeit zum Auslaufen, denn so können<br />

wir no<strong>ch</strong> bei Tagesli<strong>ch</strong>t einen letzten Blick auf diese aufregende Stadt erhas<strong>ch</strong>en, no<strong>ch</strong>mals<br />

die Wolkenkratzer bewundern und die Bergzüge rund um die Bu<strong>ch</strong>t. Wir fahren au<strong>ch</strong> no<strong>ch</strong> an<br />

jenen Slums vorbei, die si<strong>ch</strong> die Berghänge hinauf ziehen. Die andere Seite dieser pulsierenden<br />

Stadt. Die sehen wir allerdings nur aus der Ferne.<br />

13. September 1964, auf See<br />

Der normale Alltag hat uns wieder, die Putzarbeiten na<strong>ch</strong> der Lös<strong>ch</strong>ung unserer tieris<strong>ch</strong>en Fra<strong>ch</strong>t<br />

sind in vollem Gange. Na<strong>ch</strong> ein paar Stunden sieht alles wieder blitzblank aus. Mit unserer<br />

sehr mässigen Ges<strong>ch</strong>windigkeit von 10-12 Knoten (ca. 18-21 km/h) «dampfen» wir Ri<strong>ch</strong>tung<br />

S<strong>ch</strong>anghai, Rot<strong>ch</strong>ina. Dieses sollten wir in 3-4 Tagen errei<strong>ch</strong>en. Das Wetter ist gut, die See ruhig,<br />

und es ist immer no<strong>ch</strong> sehr warm.<br />

14. September 1964, auf See<br />

Ein unangenehmer Tag für mi<strong>ch</strong>. I<strong>ch</strong> weiss ni<strong>ch</strong>t, was heute los ist, aber alle hacken auf mir rum.<br />

S<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>te Laune, weil es na<strong>ch</strong> China geht? Da will eigentli<strong>ch</strong> niemand hin, lieber würde man<br />

na<strong>ch</strong> Bangkok fahren. Aber warum lassen alle die s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>te Laune an mir aus? Das «Gesetz»<br />

s<strong>ch</strong>eint so zu funktioneren: Der unterste Grad auf dem S<strong>ch</strong>iff, der Messboy, ist der Fussabstreifer,<br />

und auf dem darf man rumtrampeln. Sogar mein bester Kumpel an Bord, Charly der Bäcker, lässt<br />

heute seine miese Laune an mir aus und bes<strong>ch</strong>impft mi<strong>ch</strong>, ihn «zu kollegial» zu behandeln, er<br />

sei s<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> mein Vorgesetzter. Okay, denke i<strong>ch</strong>, wenn du es so willst, und s<strong>ch</strong>weige. Kra<strong>ch</strong> ist<br />

das Letzte, was i<strong>ch</strong> hier auf dem S<strong>ch</strong>iff gebrau<strong>ch</strong>en kann.<br />

Mein ruhiges Verhalten zahlt si<strong>ch</strong> aus. S<strong>ch</strong>on am Abend hat si<strong>ch</strong> Charly wieder beruhigt, er<br />

steigt vom hohen Ross, und das familiäre Verhältnis tritt wieder in Kraft. Es wäre wirkli<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>ade<br />

gewesen, mit ihm zu streiten, i<strong>ch</strong> mag ihn gut.

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