Dem Zensor. Staatserhaltende Sozial- demokratie. - DIR
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Ein nach allen Regeln der Gesellschaft<br />
aufgezogenes weibliches Wesen vergißt nur<br />
zu rasch, über sich und seinen Entwicklungsgang<br />
n a c h z u d e n k e n ; ihr ist die junge<br />
Dame eingedrillt, und sie hat als solche<br />
viel wichtigere Funktionen zu erfüllen, als<br />
ihr Innenleben einer Betrachtung oder gar<br />
einer Kritik zu unterziehen. —<br />
In diesem Sinne war ich ein ungezogenes<br />
Mädchen. Seit ich denken kann, hab<br />
ich immer nur die Erziehung — der anderen<br />
genossen.<br />
Auf Grund — wie ich kühn behaupten<br />
darf — ehrlicher psychologischer Forschung<br />
versuche ich hier im wesentlichen eine Darstellung<br />
jener gefährlichen Mischung der<br />
äußeren Welterziehung und der geheimen<br />
Selbstentfaltung zu geben, die später so<br />
schädigend auf die Entwicklung unserer<br />
physischen und psychischen Kräfte zurückwirkt.<br />
Keine frivole Absicht — nicht die<br />
Sucht, mit der Verneinung des Althergebrachten<br />
modern zu wirken, hat mich dazu<br />
bestimmt.<br />
Ich biete durchlebte, durchlittene Gedankentragödien:<br />
Schmerzen, die noch nicht<br />
geklagt w u r d e n , ein Glück, das noch keines<br />
Mädchens Mund laut zu begehren wagte . . .<br />
Das Aussprechen gewisser Tatsachen<br />
wirkt, in unserer an keuschen — Ohren so<br />
reichen Gesellschaft immer weit verletzender,<br />
als deren Ausübung . . .<br />
„Mein Gott, d a s ist ihr geschehen ! . .<br />
man raunt, man flüstert, endlich schweigt<br />
man darüber in erhabener Milde . . . Und<br />
warum ? —<br />
Weil doch das jeder von ihnen p a s <br />
sieren kann !<br />
Hingegen: — „Sie spricht darüber, sie<br />
hat es sogar drucken lassen, — welch<br />
Skandal . . . "<br />
Und die Steine fliegen . . .<br />
Weil das wirklich nicht jeder zukommen<br />
kann.<br />
Seit Sokrates darf jeder Wahrheitssucher<br />
mit vom Schierlingsbecher nippen.<br />
Vielleicht wird mein eigenes Geschlecht<br />
zuerst wider mich aufstehen, auch jene<br />
ganz Reinen, für welche diese Schrift in<br />
lichterfüllten Stunden niedergeschrieben<br />
wurde. . . .<br />
S e i ' s ! — So wollt' ich dennoch, man<br />
könnte den Menschen noch so viele Wahrheiten<br />
bringen, als es Kreuze gibt, ihre<br />
Propheten daran zu hängen.<br />
Neue Bücher.<br />
(Die an dieser Stelle veröffentlichten Schriften stehen<br />
in direkter oder indirekter Beziehung zu unserer<br />
Weltanschauung. Bei wertlosen Werken wird vor<br />
dem Ankauf gewarnt. Eine weitere Besprechung ist<br />
stets vorbehalten.)<br />
E r n s t Viktor Z e n k e r . K i r c h e u n d S t a a t<br />
u n t e r b e s o n d e r e r B e r ü c k s i c h t i g u n g<br />
d e r V e r h ä l t n i s s e i n Ö s t e r r e i c h . A . Hartleben's<br />
Verlag in Wien und Leipzig. 15 Bogen.<br />
Oktav, geh. K 4 . - , geb. K 5.50. Es wird noch<br />
einer langen und harten Aufklärungsarbeit b e <br />
dürfen, bis die Saat des freien Gedankens auch<br />
in Österreich aufgeht, blüht und Früchte treibt.<br />
Aber die Schwierigkeit dieser Arbeit kann und<br />
darf nicht abschrecken. Mit Pessimismus und<br />
Kleinmut bringt man kein Sandkorn von der Stelle,<br />
auf der es liegt. Allgemeine Pflicht ist es, solange<br />
wir nicht handeln können, doch wenigstens Aufklärung<br />
zu verbreiten. Und als einen Beitrag zu<br />
diesem schwierigen Unternehmen ist diese Arbeit<br />
über üas Verhältnis von Kirche und Staat aufzufassen.<br />
Der Autor hat sich bei Niederschrift des<br />
Buches beflissen, so viel als möglich unbestrittene<br />
und unbestreitbare Tatsachen sprechen zu lassen<br />
und sich so wenig als möglich auf das Gebiet der<br />
staatsphilosophischen Spekulation zu begeben.<br />
Wenn dieses Werk für Volksredner, und Publizisten<br />
eine Rüstkammer würde, aus der sie Waffen<br />
im Aufklärungskampfe holen könnten, dann wäre<br />
sein Zweck vollkommen erfüllt. Eine gründlichere<br />
Würdigung dieses von der <strong>Sozial</strong><strong>demokratie</strong> totgeschwiegenen<br />
Buches bringen wir in Kürze.<br />
L u d w i g F e u e r b a c h . D a s W e s e n d e s<br />
C h r i s t e n t u m s . Hrsgbn. von Dr. H e i n r i c h<br />
S c h m i d t (Jena.) Verlag von Alfred Körner in<br />
Leipzig. V o l k s a u s g a b e . P r e i s 1 M a r k .<br />
So tief wie Feuerbach hat noch niemand wieder<br />
das wahre Wesen des Christentums, der Religion<br />
überhaupt erfaßt; so warm hat dabei noch niemandes<br />
Herz wieder geschlagen für dieses wahre<br />
Wesen der Religion, als welches Feuerbach das<br />
Wesen der Menschheit und Menschlichkeit selbst<br />
erkannt hat. Der notwendige Wendepunkt in der<br />
Geschichte der Kulturmenschheit ist für Feuerbach<br />
die Erkenntnis und das Bekenntnis, daß der Mensch<br />
k e i n a n d e r e s W e s e n als göttliches Wesen<br />
denken, ahnen, vorstellen, fühlen, glauben, wollen,<br />
lieben und verehren kann, als das menschliche<br />
Wesen. Und dieser Wende im Bewußtsein folge<br />
nunmehr das T u n : der aufgeklärte Mensch suche<br />
und finde sein Heil nur bei sich selber, in der<br />
durch Vernunft geleiteten Entwicklung seines Geschlechtes,<br />
in der liebenden und werktätigen Hingabe<br />
an dieses Ziel, das nur durch gemeinsame<br />
Mühe und Arbeit zu erreichen ist. In unseren T a <br />
gen, wo der Klerikalismus wieder sein Unwesen<br />
treibt wie kaum in den finstersten Zeiten der<br />
Ketzerverbrennungen, ist die so spottbillige Neuausgabe<br />
von Feuerbachs freisinnigem Hauptwerk<br />
besonders zeitgemäß und ein Verdienst um die<br />
Kultur zu nennen.<br />
Gloria Victis!