Dem Zensor. Staatserhaltende Sozial- demokratie. - DIR
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erzogen werden, sich als Konsumenten zu<br />
fühlen, dagegen zu stimmen, kurzum d e s <br />
halb, weil der Kapitalist die Gewerkschaften<br />
auf dem Felde der Preissteigerung leider<br />
noch nicht zu fühlen braucht.<br />
Betrachten wir also das Problem klaren<br />
Blickes: Erst wenn die Gewerkschaften sich<br />
gegen eine Steigerung der Preise in ihren<br />
eigenen Warenbranchen kehren würden, sie<br />
aber nicht im Stande wären, die Kapitalisten<br />
daran zu verhindern — dann und<br />
nur dann hätte man Recht, wenn man behauptet,<br />
daß Lohnkampf und Gewerkschaftsbewegung<br />
an und für sich die Preise steigern.<br />
Heute ist es so, daß mit Ausnahme<br />
der französischen Arbeiter, die bereits zahlreiche<br />
Konsumentenstreiks siegreich durchgekämpft<br />
haben, die Gewerkschaften die<br />
Preissteigerungen z u l a s s e n , aber nicht<br />
etwa bewirken. Ich habe nichts dagegen,<br />
wenn man sie dieses V e r b r e c h e n s zeiht<br />
und ihnen in manchem flucht. Solch edler<br />
Groll ist gerechtfertigt. Aber dann muß<br />
man eben gegen die Finsternis in den<br />
Köpfen dieser Arbeiter ankämpfen, gegen<br />
ihre Führer, die diese Verfinsterung künstlich,<br />
durch Disziplin und Einschläferung,<br />
am Leben erhalten — aber man stelle doch<br />
nicht solche Behauptungen auf: daß der<br />
gewerkschaftliche Kampf an sich und unter<br />
allen Bedingungen die Preise in die Höhe<br />
treibe!<br />
So etwas zu behaupten, ist eine Verwechslung<br />
der Sache selbst mit der Art,<br />
wie heute sich die Sache betätigt. Will<br />
man so etwas tun, so kann man jede b e <br />
liebige Art der Betätigung des Arbeiters<br />
gegen ihn kehren. Man könnte z. B. gegen<br />
das G e n o s s e n s c h a f t s - und K o n s u m -<br />
wie P r o d u k t i v a s s o z i a t i o n s w e s e n<br />
der arbeitenden Klasse im Gegenwartsstaat<br />
das einwenden, daß sie bei einer gegebenen<br />
Stufe angelangt, die Erzeugung billiger<br />
Schundwaren direkt fördert, indem die von<br />
ihr ausgemerzten Mittelschichten zu diesem<br />
ihren letzten Mittel Zuflucht zu nehmen gezwungen<br />
sind. W ä r e es aber nicht unsinnig,<br />
einfach aus einen solchen Grund heraus die<br />
Idee des Genossenschaftswesens, die als<br />
Mittel unter den übrigen Kampfesmitteln des<br />
Proletariats ein vorzüglich zu nennendes ist,<br />
einfach r u n d w e g s zu verwerfen!<br />
Nicht der Lohnkampf ist es, der die<br />
Preissteigerungen des Unternehmertums herbeiführt.<br />
Es sind zwei Faktoren die dies t u n :<br />
e i n e r s e i t s d e r S t a a t u n d a n d e r <br />
s e i t s d i e U n t ä t i g k e i t , der z u w e n i g<br />
geführte Kampf der Gewerkschaften. Keine<br />
andere soziale Klasse in der Gesellschaft<br />
außer ihnen ist tatsächlich im Stande, den<br />
Zolltreibereien des Staates so stark die<br />
Faust zu weisen wie sie, die Gewerkschaften,<br />
wenn sie nur wollten. W e n n die<br />
Eisenbannergewerkschaften irgend eines<br />
Landes auf allen jenen Linien, auf denen<br />
der Staat seine gesteigerten Frachtsätze für<br />
eingeführte und dadurch verteuerte Waren<br />
führt, die passive Resistenz erklären, dann<br />
hört sich dieses Spiel der Preistreiberei<br />
sehr bald auf. W e n n die Arbeiter zu Hunderttausenden<br />
die verteuerten Waren nicht<br />
kaufen, dann wird der gesteigerte Preis zur<br />
Unmöglichkeit. W e n n die Gewerkschaften,<br />
sobald ihre diversen Unternehmer in den<br />
wichtigen Lebensmitteln und G e b r a u c h s <br />
gegenständen des Volkes die Preise steigern,<br />
in den Streik gegen alle diese Fabrikanten<br />
treten, dann verlieren diese in jeder Weise<br />
die Möglichkeit, ihre Steigerungen aufrecht<br />
zu erhalten. Kurz, es gibt für die Gewerkschaften<br />
unzählige Kampfmittel, mit denen<br />
sie jeder Preisverteuerung ihrer Unternehmer<br />
entgegentreten können.<br />
Nicht, weil sie ihre Löhne steigern oder<br />
gesteigert haben, schwillt der Preis an,<br />
sondern weil sie es gutwillig zulassen,<br />
nichts dagegen tun, ihre Kräfte mit einzelnen<br />
Kleinstreiks vergeuden, statt im G e-<br />
n e r a l s t t e i k zu vereinigen. Weil sie<br />
noch nicht gelernt haben, ihre Siege a u f<br />
K o s t e n d e s P r o f i t e s des Kapitalisten<br />
und der Herrschmacht des Staates zu erringen,<br />
sondern sich mit Scheinsiegen,<br />
Scheinreformen, Scheinverbesserungen b e <br />
gnügen, zu deren verderblichster es gehört,<br />
wenn eine Arbeiterkategorie e s z u l ä ß t ,<br />
daß, nachdem sie eine Lohnsteigerung sich<br />
erkämpft hat, der Preis ihres Produktes<br />
von den Unternehmern in die Höhe g e <br />
schraubt wird.<br />
Der Sinn unserer ganzen sozialistischanarchistischen<br />
Arbeit im Aufbauen einer<br />
revolutionären Gewerkschaftsbewegung b e <br />
steht darin, daß wir den Arbeitern zeigen<br />
müssen, wie sie alle ihre erkämpften wirtschaftlichen<br />
Positionen sich nicht wieder<br />
entreißen lassen dürfen; wie sie immer<br />
mehr und gewaltiger die Ausbeutungsmöglichkeit<br />
des Kapitalismus und des Staates<br />
b e s c h r ä n k e n müssen, bis sie jenen<br />
Punkt der endgültigen Verteidigungsgrenze<br />
der bestehenden „ O r d n u n g " erreicht haben,<br />
wo als unvermeidliches historisches Werden<br />
der Kampf zweier Weltanschauungen entbrennt,<br />
jene der Autoritätssklaverei und des<br />
Ausbeutungseigentums wider jene der Lichtkultur<br />
allmenschlicher Freiheit und wirtschaftlicher<br />
Gleichberechtigung für Alle —<br />
A n a r c h i e o d e r K o m m u n i s m u s .<br />
Dieser Kampf ist dann, wirtschaftlich a u s <br />
gedrückt eigentlich nichts anderes als der<br />
Kampf um den gerechten ökonomischen<br />
Anteil an den selbst produzierten Gütern,<br />
ein Kampf, der mit der A u f h e b u n g<br />
j e d e s L o h n s y s t e m s enden wird und<br />
dessen gewaltige kraftvolle Vorstöße b e <br />
sonders in den Anfangsetappen zu leisten<br />
nur die revolutionären Gewerkschaften fähig<br />
und wohl auch dazu berufen sein werden.<br />
Die Gesellschaft ohne<br />
Regierung.<br />
Von Edward Carpenter.<br />
(Schluß.)<br />
Drittens folgt: — (wie W i l l i a m M o r-<br />
r i s dies fortwährend betont) d a ß d i e<br />
A r b e i t i n d i e s e m n e u e n S i n n e e i n e<br />
F r e u d e s e i n w ü r d e — unzweifelhaft<br />
eine der größten Freuden d e s L e b e n s ; und<br />
diese eine Tatsache würde ihren ganzen<br />
Charakter umändern. Heute können wir<br />
dies nicht sagen. Wie viele Menschen gibt<br />
es, die an ihrer täglichen Arbeit wirklich<br />
Freude und Befriedigung finden? Kann man<br />
sie nicht in jeder Stadt an den Fingern a b <br />
zählen? Aber was ist das Leben wert, wenn<br />
sein Hauptbestandteil und das, was notwendigerweise<br />
immer sein Hauptbestandteil<br />
sein muß, verhaßt i s t ? Nein, die einzig<br />
wirkliche Ökonomie besteht darin, daß man<br />
seine tägliche Arbeit so einrichtet, daß dieselbe<br />
in sich selbst eine Freude ist. Dann<br />
und nur dann haben wir unser Leben<br />
sichergestellt. Und wenn unsere Arbeit so<br />
ist, dann wird deren Produkt unfehlbar<br />
schön s e i n ; der peinliche Unterschied<br />
zwischen dem Schönen und Nützlichen verschwindet,<br />
und alles w a s erzeugt wird, ist<br />
ein Kunstwerk. Die Kunst wird gleichbedeutend<br />
sein mit dem Leben.<br />
So sieht man, daß während die bestehende<br />
Gesellschaftsordnung auf einem System<br />
des Privateigentums aufgebaut ist,<br />
unter welchem jene, die hart und habgierig<br />
sind, beinahe unvermeidlich zu großen Besitzern<br />
werden, und (unterstützt durch G e <br />
setze und Regierung) befähigt werden, die<br />
Kleineren a u s z u b e u t e n ; und während die<br />
Folge von diesen Zuständen ein bitterer und<br />
unaufhörlicher Kampf um den Besitz ist,<br />
in welchem die Triebfeder zum Handeln<br />
hauptsächlich die Furcht ist.<br />
Wir im Gegenteil versuchen, die G r u n d <br />
lagen einer Gesellschaft klar zu legen, in<br />
welcher das Privateigentum n i c h t durch<br />
einen Apparat von bewaffneter Autorität<br />
aufrechterhalten, sondern soweit dasselbe<br />
besteht, ein vollkommen freies, freiwilliges,<br />
gegenseitiges Übereinkommen sein wird ;*)<br />
eine Gesellschaft, in welcher das Hauptmotiv<br />
des Lebens weder Furcht noch H a b <br />
sucht, sondern die G e m e i n s c h a f t d e s<br />
L e b e n s u n d d a s I n t e r e s s e a m L e <br />
be n ist — in welcher der Mensch eine<br />
Arbeit auf sich nimmt, weil er diese Arbeit<br />
gerne tut, weil er fühlt, daß er dieselbe<br />
leisten kann, weil er weiß, daß ihr Ergebnis<br />
entweder für ihn selbst oder für jemand<br />
anderen nützlich sein w i r d !<br />
W i e „ u t o p i s c h " d i e s a l l e s<br />
k l i n g t ! Wie lächerlich einfach und simpel<br />
— zu arbeiten, weil man die Arbeit gerne<br />
tut und deren Ergebnis b r a u c h t ! Wie schön,<br />
wenn man es verwirklichen k ö n n t e ; aber<br />
natürlich ganz „unpraktisch" und unmöglich!<br />
Und dennoch — ist es wirklich unmöglich?<br />
Von altersher hat man uns g e <br />
raten, von den Bienen und Ameisen zu<br />
lernen und s i e h e ! s i e s i n d a u c h u n <br />
p r a k t i s c h u n d u t o p i s c h . Kann e s<br />
etwas Unsinnigeres geben als das Betragen<br />
dieser kleinen Wesen, von denen ein jedes<br />
jeden Augenblick bereit ist, dem T o d entgegenzutreten,<br />
um seinen Stamm zu verteid<br />
i g e n ? W a r u m ist die Biene wirklich und<br />
wahrhaftig so unwissend und unvernünftig,<br />
daß, anstatt den Honig, den sie einheimst,<br />
in einer eigenen kleinen Privatzelle hübsch<br />
unter Schloß und Riegel aufzustapeln, sie<br />
denselben tatsächlich in die gemeinsamen<br />
Zellen einträgt und ihn nicht vom Produkt<br />
der anderen zu unterscheiden w e i ß ! Dumme<br />
kleine Biene, sicher wird der T a g kommen,<br />
wo du deinen „Leichtsinn" bitterlich bereuen<br />
wirst, und du Hungers sterben wirst, w ä h <br />
rend deine Stammesgenossen die Früchte<br />
deiner Arbeit verzehren!<br />
Und der menschliche Körper, dieser<br />
wunderbare Inbegriff und Spiegel des Weltalls,<br />
wie steht e s mit i h m ? I s t e r n i c h t<br />
a u c h u t o p i s c h ? E r besteht aus Myriaden<br />
Zellen, Organen, Körperteilen, zu einer<br />
lebenden Einheit verbunden. Ein gesunder<br />
Körper ist die vollkommenste Gesellschaftsbildung,<br />
die man sieh vorstellen kann. W a s<br />
sagt die Hand, wenn irgend eine Arbeit von<br />
ihr verlangt w i r d ? Handelt sie zuerst darüber,<br />
welchen Lohn sie dafür erhalten soll,<br />
und weigert sie sich zu rühren, solange sie<br />
sich nicht die ihr zusagenden Bedingungen<br />
gesichert h a t ? O d e r zögert der Fuß, uns<br />
irgendwo hinzutragen, ehe er weiß, welchen<br />
speziellen Nutzen e r f ü r s i c h s e l b s t von<br />
der Reise haben w i r d ? Nein, keineswegs!<br />
Sondern jedes Organ und jede Zelle tut<br />
die Arbeit, welche vor ihr liegt und (dies<br />
ist das utopische Prinzip) d a d u r c h , d a ß<br />
s i e e s t u t , bewirkt sie, daß die Lebenssäfte<br />
ihr zufließen, und sie, im (Verhältnis<br />
zum Dienste, den sie leistet, ernähren. Und<br />
wir müssen uns fragen, ob dies nicht auch<br />
das Lebensgesetz einer menschlichen G e <br />
sellschaft sein s o l l ? Ob die Tatsache, daß<br />
ein Mitglied derselben der Gemeinschaft<br />
einen (wenn auch noch so bescheidenen)<br />
Dienst tut, nicht vollkommen genügend<br />
dazu wäre, daß alle übrigen Mitglieder es<br />
mit allem, w a s es zum Leben notwendig<br />
hat, v e r s o r g e n ? W ü r d e die Gemeinschaft<br />
daran denken, einen solchen verhungern zu<br />
l a s s e n ? W ä r e dies nicht dasselbe, als wenn<br />
ein Mensch z. B. seinen kleinen Finger verkümmern<br />
und absterben ließe? Ist es nicht<br />
möglich, daß die Menschen aufhören, sich<br />
über den „Arbeitslohn" Sorgen z u m a c h e n ;<br />
daß sie vor allem an ihre Arbeit denken<br />
werden und an die Freude, die sie daran<br />
haben und keinen Zweifel darüber hätten,<br />
daß der Lohn folgen w ü r d e ?<br />
*) Selbstverständlich kann unter diesen Verhältnissen<br />
gar nicht von Privateigentum im heutigen<br />
Sinne die Rede sein. Ein jeder wird all das,<br />
was er zu seinem persönlichen Gebrauch und G e <br />
nuß nötig hat. ungehindert besitzen, da es eben<br />
niemand möglich sein wird, das, was er selber<br />
n i c h t braucht, anderen vorzuenthalten, und dadurch<br />
die gemeinsame vernunftgemäße Nutzbarmachung<br />
des Bodens und der Produktionsmittel<br />
alles Notwendige in genügender Menge vorhanden<br />
sein wird.<br />
Anm. d. Red.