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Die Evolution entlässt ihre Kinder – geht das überhaupt?

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Textarchiv TA2013-6<br />

klugerweise nicht <strong>das</strong> (unerreichbare) Ziel setzen, alle üblichen Fehler, insbesondere die<br />

hartnäckigen, zu verhindern oder wenigstens abzufedern. Sie wird zufrieden sein müssen,<br />

wenn es ihr gelingt, wenigstens einige Fehler und Fehlleistungen zu vermeiden.<br />

Der soziale Mesokosmos<br />

Neben dem Mesokosmos, also unserer kognitiven Nische, kann man auch einen sozialen<br />

Mesokosmos ins Auge fassen. Das ist dann jener Ausschnitt der sozialen Welt, an den wir<br />

als evolutionär entstandene Wesen angepasst sind. Zwar lässt auch er sich aus fossilen<br />

Funden kaum rekonstruieren. Doch sind Verhaltensuniversalien gute Kandidaten für genetische<br />

Wurzeln. Vor allem können wir an menschlichem Fehlverhalten studieren, wo wir unseren<br />

sozialen Mesokosmos überfordern. Außerdem können wir hier vergleichende Forschung<br />

betreiben und uns mit Stammeskulturen (früher: Naturvölkern) einerseits, mit anderen Primaten<br />

andererseits vergleichen. Der soziale Mesokosmos besteht aus etwa 100 Stammesgenossen,<br />

die man alle persönlich kennt und mit denen man in der Regel auch näher verwandt<br />

ist. Mit ihnen hat man weit mehr soziale Kontakte als mit fremden Individuen. Mit ihnen zu<br />

kooperieren, begünstigt in der Regel auch die eigenen Gene: Entweder ich nütze meinen<br />

Verwandten und damit meinen Genen, soweit sie in ihnen stecken; oder ich nütze anderen<br />

Stammesgenossen, die dann über reziproken Altruismus wieder mir oder meinen Verwandten<br />

und damit ebenfalls meinen Genen nützen.<br />

Unsere soziale Umwelt wird dem sozialen Mesokosmos immer unähnlicher. Der Anthropologe<br />

Hans Zeier (1978, S. 1109, 1118f.) hat zahlreiche Situationen skizziert, die in unserer<br />

stammesgeschichtlichen Vergangenheit nicht vorgekommen, heute aber häufig sind. Wir<br />

stellen einige solche Bedingungen zusammen:<br />

<strong>Die</strong> Gruppen, in und mit denen wir leben, umfassen mehr als hundert Individuen.<br />

Wir haben mehr Kontakte mit fremden als mit vertrauten Individuen.<br />

Wir haben mehr indirekte Kontakte über (technische) Hilfsmittel als persönliche Kontakte.<br />

Der Anteil neuartiger Tätigkeiten ist vergleichsweise hoch.<br />

Wir machen mehr passive Erfahrungen (Berichte, Lektüre, Medien, Computer) als aktive.<br />

Soziale und technische Veränderungen lassen die Erfahrungen einer Generation für die<br />

nächste unbrauchbar werden.<br />

Wir lernen mit und an Maschinen statt an Menschen und entwickeln entsprechende Gewohnheiten<br />

und Denkmodelle.<br />

Wir erleben weder unsere ökologischen Lebensvoraussetzungen noch die Folgen unserer<br />

Handlungen direkt genug, um individuell daraus zu lernen.<br />

Viele <strong>Kinder</strong> wachsen mit nur einem Elternteil auf, lernen also <strong>das</strong> jeweils andere Geschlecht<br />

und die andere Hälfte der Familie kaum kennen.<br />

Bei Einzelkindern über mehrere Generationen gibt es keine Großfamilie mehr: keine Onkel<br />

und Tanten, keine Kusinen und Vettern, keine Geschwister, keine Neffen und Nichten.<br />

Verwandt ist man nur noch mit Eltern und <strong>Kinder</strong>n.<br />

Offenbar gibt uns unser stammesgeschichtliches Erbe zwei verschiedene Verhaltensweisen<br />

mit: Verhalten gegenüber Stammesgenossen (in-group) und gegenüber Außenstehenden<br />

(out-group). Nach den Erkenntnissen der Soziobiologie hat uns die <strong>Evolution</strong> also mit einer<br />

Art „doppelter Moral“ ausgestattet. Es leuchtet ein, <strong>das</strong>s <strong>das</strong> Modell des sozialen Mesokosmos<br />

große Bedeutung für die Ethik hat, insbesondere aber für eine <strong>Evolution</strong>äre Ethik; denn<br />

jede einigermaßen anspruchsvolle Ethik legt Wert auf die Verallgemeinerbarkeit moralischer<br />

Normen. Ähnliches gilt für Psychologie, Psychiatrie und Pädagogik. So ist es kein Wunder,<br />

© fowid / Erstellungsdatum / Fassung vom 02/10/2013 / sfe 8

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