Blaue Reihe - Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen eV
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Perspektiven des Staatsaufbaus im Südsudan:<br />
Auf dem Weg zu „Good Enough Governance“?<br />
Thorsten Benner<br />
Im Südsudan übernahm am 9. Juli 2011 <strong>die</strong> SPLM/A <strong>die</strong> Zügel des neuen Staates. Die jetzt unabhängigen<br />
Herrscher stehen vor gewaltigen Herausforderungen: <strong>die</strong> wirtschaftlichen und sozialen<br />
Indikatoren gehören zu den schlechtesten in der ganzen Welt. Das Land hat weder eine funktionierende<br />
Verwaltung, noch Polizei, Justiz, Bildungs- oder Gesundheitssystem. Der Staatshaushalt<br />
verlässt sich allein auf Öleinnahmen und Mittel ausländischer Geber, das Steueraufkommen ist eine<br />
vernachlässigbare Größe. Die Hauptstadt Juba ist ein Provinznest ohne Tradition von Urbanität,<br />
Verkehrsverbindungen in <strong>die</strong> übrigen Landesteile sind schlecht. Außer einer diffusen Leidensgeschichte<br />
als Peripherie eint <strong>die</strong> verschiedenen ethnischen Gruppen, <strong>die</strong> den Südsudan ausmachen,<br />
wenig. Im Gegenteil: es gibt viele lokale Konfliktherde, in denen es um Land, Vieh und <strong>die</strong><br />
Macht ethnischer Gruppen geht – und rivalisierende Loyalitäten aus Zeiten des Bürgerkrieges. Die<br />
Beziehungen zum Nordsudan sind in vielen Punkten (u. a. mit Blick auf wichtige Grenzregionen)<br />
ungeklärt. Gleichzeitig erwarten <strong>die</strong> Südsudanesen schnell eine Friedensdividende – und <strong>die</strong> neue<br />
Regierung wird Missstände im Süden von nun an schwerer allein dem Norden in <strong>die</strong> Schuhe schieben<br />
können. Mit alledem müssen sich <strong>die</strong> südsudanesischen Machthaber auf Bundes- wie Länderebene<br />
auseinandersetzen. Und <strong>die</strong> zivilen Machthaber, deren Aufgabe <strong>die</strong>s sein wird, speisen sich<br />
zum allergrößten Teil aus ehemaligen Befehlshabern der Guerillaarmee SPLA. Ihr Hintergrund ist<br />
meist der Buschkrieg – das dort gelernte Improvisationstalent werden <strong>die</strong> neuen Machthaber gut<br />
gebrauchen können, ansonsten ist der Weg vom Guerillakampf zur zivilen Regierung weit.<br />
Die Transformation von der Guerillabewegung zur Regierung ist nicht ohne Präzedenzfälle. Ähnliches<br />
spielte sich etwa Anfang der 90er Jahre im Nachbarland Äthiopien ab, als <strong>die</strong> Revolutionäre<br />
Demokratische Front der Äthiopischen Volkes (EPRDF) den Machthaber Mengistu zur Flucht zwang<br />
und <strong>die</strong> Macht übernahm. So lag beim Gespräch mit einem äthiopischen Vermittler im Sudankonflikt,<br />
der selbst aus der EPRDF in den äthiopischen Staatsapparat gewechselt ist, <strong>die</strong> Frage nahe,<br />
welche Lehren (positiv wie negativ) <strong>die</strong> SPLM/A aus der Erfahrung der Transformation der äthiopischen<br />
Guerillabewegung ziehen könne. Die Antwort war so klar wie ernüchternd: <strong>die</strong> Ausgangsvoraussetzungen<br />
seien so verschieden, dass man nur schwerlich einen Vergleich ziehen könne.<br />
Zum einen habe <strong>die</strong> äthiopische Bewegung von Mengistu einen leidlich funktionalen Staatsapparat<br />
übernommen, zum anderen hätte <strong>die</strong> EPRDF eine vielleicht naive, aber zumindest existente gesellschaftliche<br />
Vision <strong>für</strong> ein neues Äthiopien gehabt. Beides sei im Südsudan nicht der Fall. Die<br />
SPLA/M fange bei null an, was den Staatsapparat betreffe. Es gebe schlichtweg keine halbwegs<br />
funktionalen Institutionen, <strong>die</strong> <strong>die</strong> SPLM/A übernehmen könne. Zudem habe <strong>die</strong> SPLA/M keine<br />
wirtschaftliche-soziale Vision <strong>für</strong> den Südsudan. Einigendes Element sei bisher der Widerstand gegen<br />
Khartum gewesen. Es gebe gegenwärtig keine breiten Vorstellungen <strong>für</strong> <strong>die</strong> Neugestaltung des<br />
Südsudan in sozio-ökonomischer Sicht, kein Äquivalent zur Vision des ‚New Sudan‘, welche <strong>die</strong><br />
SPLM noch unter John Garang, dem Vorgänger des jetzigen Führers Salva Kiir, vertreten habe. Viele<br />
SPLA/M-Führer, <strong>die</strong> jetzt in zivile Verantwortung kommen, haben immer noch den militärischen<br />
Habitus. Und der Übergang in Unabhängigkeit und hoffentlich Frieden heißt <strong>für</strong> sie vor allem das<br />
Auszahlen einer Friedensdividende an sie selbst und <strong>die</strong> erweiterte Familie. Gesamtgesellschaftliche<br />
Entwicklung stehe nicht im Vordergrund. Mit anderen Worten: eine breite südsudanesische<br />
Elite, der es um das öffentliche Gut, nicht privaten Nutzen geht, ist nicht in Sicht.<br />
Damit steht der Südsudan sicherlich nicht allein da – jedoch ist <strong>die</strong>se Situation besonders fatal,<br />
wenn es um den angestrebten Aufbau eines funktionierenden Staatswesens in lokaler Eigenverantwortung<br />
(‚local ownership‘) geht. Wenn <strong>die</strong> lokalen Eigner so wenig Erfahrung und oft auch<br />
limitierten Willen <strong>für</strong> eine zivile Herrschaftsausübung im öffentlichen Interesse haben, stellt <strong>die</strong>s <strong>die</strong><br />
vielbeschworene „internationale Gemeinschaft“, <strong>die</strong> vielgestaltig im Südsudan den Staatsaufbau<br />
unterstützen möchte, vor große Herausforderungen mit Blick auf Entscheidungen über <strong>die</strong> richtige<br />
Strategie. Der US-amerikanische Forscher Elliot Cohen hat Strategie als ‘the art of choice that<br />
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