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Schriftspracherwerb - Guido Nottbusch

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<strong>Schriftspracherwerb</strong> 1<br />

<strong>Schriftspracherwerb</strong><br />

Teil 07: Voraussetzungen des <strong>Schriftspracherwerb</strong>s: Aufbau und<br />

Arbeitsweise des Arbeitsgedächtnisses<br />

Allgemeine Intelligenz<br />

• IQ-Messungen korrelieren nur sehr schwach und unspezifisch mit den Lesefähigkeiten in<br />

den ersten beiden Schuljahren.<br />

• Der Anteil hoch intelligenter Kinder in der Gruppe der 'frühen' Leser ist zwar hoch, jedoch<br />

ist diese Gruppe insgesamt so heterogen, dass kein Zusammenhang angenommen werden<br />

kann.<br />

• Innerhalb der Gruppe der Kinder mit Leseschwierigkeiten ist der Anteil der<br />

überdurchschnittlich intelligenten Kinder relativ hoch.<br />

Spanne des verbalen Arbeitsgedächtnisses<br />

• Die Aufrechterhaltung des bisher erlesenen Teil des Wortes ist zentraler Bestandteil des<br />

Erlesens von Wörtern.<br />

Geschwindigkeit des Gedächtnisabrufs<br />

• starke Zusammenhänge zwischen dem Benennen von nicht-schriftlichen Stimuli und der<br />

Leseleistung<br />

Interpretationen:<br />

1. geringe Geschwindigkeit ist Folge eines nicht ausreichend ausgebildeten phonologischen<br />

Kodes (zentrales phonologisches Verarbeitungsdefizit),<br />

2. geringe Geschwindigkeit ist Ausdruck eines allgemeinen Defizits beim Zugriff auf<br />

Gedächtnisrepräsentationen<br />

Für 2. spricht, dass Maße der phonologischen Bewusstheit nicht mit der Abrufgeschwindigkeit<br />

korrelieren. Stattdessen korreliert schnelles Benennen mit dem Lesen von bekannten Wörtern,<br />

phonologische Bewusstheit mit dem Lesen von unbekannten Wörtern.<br />

Phonologische Bewusstheit<br />

Phonologische Bewusstheit im weiteren Sinne:<br />

• Aufgabe erfordert die Analyse lautlicher Aspekte der gesprochenen Sprache<br />

• Reimen, Silben segmentieren, Lautassoziationen, Vokale im Anlaut erkennen<br />

Phonologische Bewusstheit im engeren Sinne:<br />

• Aufgabe erfordert den bewussten Umgang mit Phonemen<br />

• Lautsegmentierung, Phonemisolierung, Phonemersetzung, Phonemsynthese.<br />

<strong>Guido</strong> <strong>Nottbusch</strong> * Universität Paderborn


<strong>Schriftspracherwerb</strong> 2<br />

Aufbau und Arbeitsweise des verbalen Arbeitsgedächtnisses<br />

Drei Stufen des menschliches Gedächtnisses<br />

• Sensorische Speicher: (Zwischen-)Speicherung des Abbildes des aktuellen Stimulus<br />

• visuell, Speicherungsdauer ca. 0.5 Sekunden<br />

• akustisch, Speicherungsdauer ca. 3 Sekunden<br />

• Kurzzeit-Gedächtnis: (Zwischen-)Speicherung der aktuell verarbeiteten Information<br />

• Langzeit-Gedächtnis: dauerhafte Speicherung des Wissens<br />

'Working Memory' (Baddeley & Hitch 1974)<br />

Aufgaben der 'Central executive'<br />

• Regulierung des Informationsflusses<br />

• Aufnahme von Information aus dem Langzeitgedächtnis<br />

• Verarbeitung der Information<br />

• Speicherung der Information<br />

Aufgaben des 'Visuo-spatial sketch pad'<br />

• Verarbeitung visueller/räumlicher Information<br />

• Kurzzeitspeicherung visueller/räumlicher Information<br />

Aufgaben des 'Phonological loop'<br />

• Verarbeitung verbaler Information<br />

• Kurzzeitspeicherung verbaler Information<br />

Aufbau des 'Phonological loop'<br />

<strong>Guido</strong> <strong>Nottbusch</strong> * Universität Paderborn


<strong>Schriftspracherwerb</strong> 3<br />

Eigenschaften des 'Phonological loop'<br />

• der Inhalt des phonologischen Kurzzeitspeichers verfällt mit der Zeit<br />

• dieser wird durch die subvokale Wiederholung aufgefrischt<br />

• verbale und nonverbale Informationen gelangen auf verschiedenen Wegen in den Speicher<br />

Beispiele für die Arbeitsweise des 'Phonological loop'<br />

Artikulatorische Unterdrückung: Wenn gleichzeitig zu einer verbalen Gedächtnisaufgabe der<br />

Artikulationsapparat mit einer simplen Aufgabe belegt wird ("ta ta ta", "Coca-Cola …"), schrumpft<br />

die Merkfähigkeit erheblich.<br />

Wortlängeneffekt: Von einsilbigen Wörtern können längere Serien gemerkt werden als von<br />

längeren Wörtern (unabhängig von der Inputmodalität, s.o.).<br />

Wortlängeneffekt und Aussprachegeschwindigkeit: zweisilbige Wörter mit 'schneller'<br />

Aussprache (wicked, bishop) können besser gemerkt werden als Wörter mit 'langsamer'<br />

Aussprache (harpoon, Friday).<br />

Phonologische Ähnlichkeit: Listen ähnlicher Items (B, C, D, E ...) können wesentlich schlechter<br />

erinnert werden als Listen unähnlicher Items (B, F, H, S ...).<br />

Irrelevante verbale Information: Die Merkfähigkeit von Teilnehmern ist eingeschränkt, wenn Sie<br />

gleichzeitig nicht relevante verbale Information erhalten.<br />

Orthographische oder semantische Ähnlichkeiten: kein Einfluss.<br />

Phonologische Ähnlichkeit: kein Einfluss, wenn die Artikulation unterdrückt wird und der<br />

Stimulus non-verbal gegeben wird.<br />

Weiterführende Literatur: Gathercole & Baddeley (1993)<br />

Reading memory span (RMS, Daneman & Carpenter 1980)<br />

• Tests zur Messung der Spanne des verbalen Arbeitsgedächtnisses werden häufig in<br />

Verbindung zu Textverständnistests eingesetzt.<br />

• Dabei wird davon ausgegangen, dass ein Leser Informationen über gelesene Wörter<br />

<strong>Guido</strong> <strong>Nottbusch</strong> * Universität Paderborn


<strong>Schriftspracherwerb</strong> 4<br />

speichern muss, um in der Lage zu sein, diese mit den folgenden Wörtern in Beziehung zu<br />

setzen und den Sinn zu erschließen.<br />

• Eine allgemeine Korrelation gilt für Erwachsene als gesichert, für Kinder scheint dieser<br />

Mechanismus jedoch noch keine große Rolle zu spielen.<br />

Durchführung des Tests<br />

• Pro Durchgang sind mehrere Sätze unmittelbar nacheinander laut vorzulesen. Dabei sollen<br />

Sie sich von jedem Satz das jeweils letzte Wort merken.<br />

• Nach dem letzten Satz sind sämtliche Merkwörter des Durchgangs in der Reihenfolge der<br />

vorgelesenen Sätze zu wiederholen.<br />

• Der Test beginnt mit je drei mal zwei Sätzen.<br />

• Die Anzahl der Sätze wird gesteigert bis die Testperson in drei Versuchen nicht mehr<br />

mindestens einmal alle Wörter wiederholen kann, höchstens jedoch auf sechs Sätze. Die<br />

Spanne des Reading Memory entspricht dann der höchsten erreichten Zahl von gemerkten<br />

Wörtern.<br />

• Um nicht nur die ganzzahligen Werte zwischen 2 und 6 als Ergebnisse zu erhalten, wird<br />

noch jeweils ein halber Punkt vergeben, wenn von der nächst höheren Satz/Wortanzahl<br />

mindestens zwei wiederholt werden konnten.<br />

Funktionen des verbalen Arbeitsgedächtnisses<br />

• Eine weitere mögliche Rolle des verbalen Arbeitsgedächtnisses liegt in der Speicherung<br />

kleinerer Einheiten:<br />

• Bei der Dekodierung unbekannter Wörter muss ein Leser in Analogie zum obigen<br />

Mechanismus Phoneme speichern, um diese mit den folgenden zum Wort zusammensetzen<br />

zu können.<br />

• Danach werden die Grapheme des Wortes nach und nach in Phoneme übersetzt (GPK).<br />

Literatur<br />

Baddeley,A.D. and Hitch,G. (1974) Working memory. In: G. A. Bower (Ed.), Recent advances in<br />

learning and motivation (pp. 47-90), Academic Press.<br />

Daneman, M. & Carpenter, P. A. (1980). Individual Differences in Working Memory and Reading.<br />

Journal of Verbal Learning and Verbal Behavior 19, 450-466.<br />

Gathercole, S. E. & Baddeley, A. (1993). Working memory and language. Hove [u.a.]: Erlbaum.<br />

<strong>Guido</strong> <strong>Nottbusch</strong> * Universität Paderborn

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