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intern<br />
Foto: Klaus Görgen<br />
Schattenbericht legt die Situation<br />
von behinderten Menschen offen<br />
„Wie geht es eigentlich den behinderten<br />
Menschen in Deutschland?“ Diese Frage<br />
stellen sich auch die Vereinten Nationen,<br />
nachdem die Bundesregierung die UN-<br />
Behindertenrechtskonvention (UN-BRK)<br />
ratifiziert hat. Ansprechpartner der Vereinten<br />
Nationen ist dabei zunächst die<br />
Bundesrepublik Deutschland, die die Ziele<br />
und Verpflichtungen der UN-BRK umsetzen<br />
muss.<br />
Wie nicht anders zu erwarten, hat die<br />
Bundesregierung in ihrem ersten Bericht<br />
an die Vereinten Nationen vor allem die<br />
Aspekte betont, die ein positives Bild zur<br />
Lage der Menschen mit Behinderungen in<br />
Deutschland zeichnen.<br />
Da aber die Vereinten Nationen nicht<br />
nur Berichte der Regierungen, sondern<br />
auch solche der Zivilgesellschaft würdigen,<br />
hat die BAG SELBSTHILFE gemeinsam<br />
mit anderen Verbänden einen sogenannten<br />
Schattenbericht erstellt, um auf die bestehenden<br />
Defizite bei der Umsetzung der<br />
UN-BRK in Deutschland hinzuweisen.<br />
Da sich jedoch ein „Schatten“-Bericht<br />
immer als gegensätzliche Darstellung der<br />
Schokoladenseite des Regierungsentwurfs<br />
versteht, kann auch er nicht als empirische<br />
Datensammlung verstanden werden,<br />
sondern muss immer auch als politisches<br />
Manifest betrachtet werden. Der Schattenbericht<br />
ist daher ebenso wenig ein Ersatz<br />
für fehlende Empirie.<br />
„Teilhabebericht“ soll Klarheit<br />
bringen<br />
Gibt es dennoch Hoffnung auf eine Antwort<br />
zu unserer Ausgangsfrage „Wie geht<br />
es eigentlich den Menschen mit Behinderungen<br />
in Deutschland?“ Vielleicht muss<br />
man die Frage etwas präzisieren: Die UN-<br />
BRK geht davon aus, dass Behinderungen<br />
den Menschen nicht als Wesensmerkmal<br />
anhaften, sondern dass Menschen mit Beeinträchtigungen<br />
behindert werden, wenn<br />
die Gesellschaft diese Menschen durch<br />
Barrieren und fehlende Nachteilsausgleiche<br />
von der vollen Teilhabe ausschließt.<br />
Eigentlich müsste man daher nach der<br />
Lage der Behinderungen in Deutschland<br />
fragen.<br />
Diese Überlegung hat nun auch die<br />
Bundesregierung aufgegriffen und ihren<br />
aktuellen Bericht erstmals „Teilhabebericht“<br />
genannt. Auch inhaltlich hat sich<br />
etwas verändert. Der Bericht untersucht<br />
die Frage, inwiefern Menschen, die beeinträchtigt<br />
sind, im Zusammenwirken mit<br />
Umweltfaktoren Beschränkungen ihrer<br />
Teilhabechancen erfahren, d.h., dadurch<br />
erst behindert werden. Er untersucht somit<br />
Faktoren, die die Teilhabe einschränken<br />
und Umstände, die sich für die Teilhabe<br />
als förderlich erweisen.<br />
Auch in Sachen Empirie wurden deutliche<br />
Veränderungen vorgenommen. So<br />
sollen die Aussagen zur Lage der betroffenen<br />
Menschen nicht mehr allein im Stile<br />
eines Besinnungsaufsatzes der Regierung,<br />
sondern indikatorengestützt auf der Basis<br />
valider Datengrundlage getroffen werden.<br />
Hierzu wurde ein interdisziplinär zusammengesetzter<br />
Wissenschaftlicher Beirat<br />
eingerichtet, an dem auch Wissenschaftlerinnen<br />
und Wissenschaftler mitwirken, die<br />
von den Behindertenverbänden benannt<br />
wurden. Dieser Ansatz ist ausdrücklich zu<br />
begrüßen. Denn anders als früher darf der<br />
Bericht der Bundesregierung nicht mehr<br />
nur ein schönfärberischer Arbeitsnachweis<br />
sein, sondern er muss den Alltag der<br />
Betroffenen deutlich abbilden.<br />
Datengrundlage bislang<br />
lückenhaft<br />
Für viele Indikatoren, die im Bericht als<br />
maßgeblich angesehen werden, finden<br />
sich keine Daten in allgemeinen Statistiken:<br />
Zwar ist bekannt, wie viele Menschen<br />
mit Behinderungen verheiratet, ledig oder<br />
geschieden sind – haben solche Zahlen<br />
aber tatsächlich eine Aussagekraft für den<br />
Grad der Teilhabe am gesellschaftlichen<br />
Leben? Dies haben auch die Autoren des<br />
Teilhabeberichts erkannt. Im 5. Teil des<br />
Berichts finden sich daher Vorschläge zur<br />
„Weiterentwicklung der Datengrundlage“.<br />
Dies ist die Stelle, um auf den Ausgangspunkt<br />
unserer Überlegungen zurückzukommen:<br />
Die beste Datenquelle<br />
zur Lage von Menschen mit Beeinträchtigungen<br />
sind diese Menschen selbst.<br />
Dies gilt umso mehr, als dass die Bundesregierung<br />
sich explizit am Lebenslagenansatz<br />
orientieren will, „um die<br />
Gesamtheit der Ressourcen und Beschränkungen,<br />
die eine Person bei der Verwirklichung<br />
eigener Lebensvorstellungen beeinflussen,<br />
in die Analyse einzubeziehen.“<br />
Weiter heißt es auf Seite 10 des Berichts:<br />
„Untersuchungen, denen der Lebenslagenansatz<br />
zugrunde liegt, verfolgen das<br />
Ziel, die tatsächliche Lebenswirklichkeit<br />
der Menschen und deren Handlungsspielräume<br />
möglichst differenziert und umfassend<br />
zu beschreiben. Sie nutzen dabei<br />
nicht nur objektive Merkmale, sondern<br />
auch subjektive Einschätzungen, z.B. in<br />
Form persönlicher Einstellungen, Selbsteinschätzungen<br />
oder durch die Bewertung<br />
immaterieller Dimensionen wie der sozialen<br />
Einbindung.“<br />
Ohne eine intensive Zusammenarbeit<br />
mit der Selbsthilfe wird die Bundesregierung<br />
den von ihr selbst so umschriebenen<br />
Datenschatz nie vollständig heben können.<br />
Daher kann der nächste Teilhabebericht<br />
nur in Kooperation mit der Selbsthilfe<br />
entwickelt werden.<br />
Etwas merkwürdig mutet es da schon<br />
an, dass der aktuelle Bericht den Verbänden<br />
eigentlich schon im Juni in großem<br />
(und teurem) Rahmen bei den „Inklusionstagen“<br />
präsentiert werden sollte, dann<br />
aber erst im Kabinett abgestimmt werden<br />
musste und nun ohne Verbändekonsultation<br />
veröffentlicht wurde.<br />
Auch ein innovativer Ansatz ist in Zeiten<br />
des Wahlkampfes nicht davor gefeit,<br />
vom Räderwerk der politischen Rituale<br />
erfasst zu werden.<br />
p<br />
Der Teilhabebericht<br />
Der Teilhabebericht der Bundesregierung<br />
ist veröffentlicht unter<br />
http://www.bmas.de/DE/Themen/<br />
Teilhabe-behinderter-Menschen/<br />
Meldungen/teilhabebericht-2013.html<br />
Der Autor<br />
Dr. Martin Danner<br />
ist Bundesgeschäftsführer der<br />
BAG SELBSTHILFE.<br />
Selbsthilfe 3|2013 9