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Menschenwürde in internationalen Dokumenten - pro.kphvie.at

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08 / 2011<br />

PUBLIKATIONSREIHE des<br />

Kompetenzzentrums für Menschenrechtspädagogik<br />

an der<br />

KIRCHLICHEN<br />

PÄDAGOGISCHEN<br />

HOCHSCHULE<br />

WIEN/KREMS<br />

OSKAR DANGL<br />

MENSCHENWÜRDE<br />

IN INTERNATIONALEN DOKUMENTEN<br />

<strong>Menschenwürde</strong> <strong>in</strong> <strong>in</strong>tern<strong>at</strong>ionalen <strong>Dokumenten</strong><br />

In nachmetaphysischer Zeit ersche<strong>in</strong>t die Universalität<br />

der gleichen <strong>Menschenwürde</strong> nicht mehr als Implik<strong>at</strong><br />

e<strong>in</strong>es idealen Begriffs, sondern als Result<strong>at</strong> e<strong>in</strong>er öffentlichen<br />

Argument<strong>at</strong>ion, die geschichtliche Erfahrungen<br />

verarbeitet (vgl. LOHMANN 2010, 57-59). Dennoch konkretisieren<br />

auch nach diesem Konzept die Menschenrechte,<br />

was unter dem Schutz der <strong>Menschenwürde</strong> zu<br />

verstehen ist und bestimmen so deren konkreten Gehalt.<br />

Die menschenrechtsverbürgende Kraft der <strong>Menschenwürde</strong><br />

erstreckt sich auf die <strong>in</strong>tern<strong>at</strong>ionalen Verhältnisse.<br />

Ihr entspricht daher die Forderung nach e<strong>in</strong>em Weltbürgerrecht<br />

und damit der Anspruch auf e<strong>in</strong> globales<br />

Rechtsregime (vgl. LOHMANN 2010, 59f.).<br />

In <strong>in</strong>tern<strong>at</strong>ionalen <strong>Dokumenten</strong> lässt sich daher e<strong>in</strong> Zusammenhang<br />

von <strong>Menschenwürde</strong> und Menschenrechten<br />

entdecken. Exemplarisch betrachtet werden sollen<br />

die Allgeme<strong>in</strong>e Erklärung der Menschenrechte (AEMR)<br />

und die Beh<strong>in</strong>dertenrechtskonvention (BRK).<br />

1. <strong>Menschenwürde</strong> <strong>in</strong> der Allgeme<strong>in</strong>en Erklärung der<br />

Menschenrechte<br />

In der AEMR vom 10. Dez. 1948 fungiere die <strong>Menschenwürde</strong><br />

als Quelle und Begründung der Menschenrechte.<br />

Immer mehr Verfassungen hätten <strong>in</strong>folge dessen seit<br />

den 1970er Jahren Bezug genommen auf die <strong>Menschenwürde</strong>.<br />

Sie spiele auch e<strong>in</strong>e em<strong>in</strong>ente Rolle <strong>in</strong> der Grundrechte-Charta<br />

der Europäischen Union (vgl. BARANZKE<br />

2010, 12-15).<br />

Insbesondere die Präambel und die Artikel 1-2 der AEMR<br />

stellten die universale Geltung der <strong>Menschenwürde</strong> fest<br />

und leiteten daraus e<strong>in</strong> umfassendes Diskrim<strong>in</strong>ierungsverbot<br />

ab (vgl. HASPEL 2005, 28f.). Mit Artikel 1 der AEMR<br />

seien bereits die zentralen Bedeutungsmomente dieser<br />

Norm benannt (vgl. HONNEFELDER 2008, 635-638):<br />

• Als Grund der Unverletzlichkeit der <strong>Menschenwürde</strong><br />

ersche<strong>in</strong>t die Fähigkeit des Menschen, sich selbst an das<br />

kraft Vernunft erkannte Gute zu b<strong>in</strong>den und jeden anderen<br />

als Subjekt zu respektieren, das unter dem gleichen<br />

Anspruch steht. Vernünftigkeit, Freiheit und Sozialität stellen<br />

e<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>heit dar.<br />

• Zugleich wird als Kriterium der Würde das Menschse<strong>in</strong> genannt,<br />

die Mitgliedschaft <strong>in</strong> der Familie der Menschen.<br />

• Die Forderung nach Unverletzlichkeit der <strong>Menschenwürde</strong><br />

kann als neg<strong>at</strong>ive Formulierung des generellen Pr<strong>in</strong>zips<br />

der Moralität verstanden werden.<br />

• I. Kant fasst das <strong>in</strong> die „Objektformel“ des k<strong>at</strong>egorischen<br />

Imper<strong>at</strong>ivs: Das Verbot der Instrumentalisierung e<strong>in</strong>es<br />

Menschen zu e<strong>in</strong>em bloßen Mittel für Zwecke anderer.<br />

• Die <strong>Menschenwürde</strong> ist der Geltungsgrund der Menschenrechte.<br />

Damit werden jene Dimensionen geschützt,<br />

ohne die der Mensch nicht sittliches Subjekt se<strong>in</strong> kann.<br />

Gegenstand der Menschenrechte s<strong>in</strong>d daher die grundlegenden<br />

Bed<strong>in</strong>gungen des Menschse<strong>in</strong>s.<br />

• Wer den Standpunkt des handelnden Subjekts e<strong>in</strong>nimmt,<br />

kann diesen Grund nachvollziehen. Dieser universale Kern<br />

von Moral bedarf freilich der E<strong>in</strong>bettung <strong>in</strong> umfassende<br />

Gestalten des guten Lebens und umfassende S<strong>in</strong>nzusammenhänge.<br />

• Unter den Lebensformen und S<strong>in</strong>nzusammenhängen<br />

spielt die Religion aufgrund ihres Charakters als e<strong>in</strong>er umfassenden<br />

Gestalt des Guten e<strong>in</strong>e wichtige Rolle.<br />

In kritischer Ause<strong>in</strong>andersetzung mit der so genannten<br />

Standarderzählung der Geschichte der Menschenrechte<br />

(vgl. MENKE & POLLMANN 2007, 9-22) kommt es zu e<strong>in</strong>er<br />

anders gelagerten E<strong>in</strong>schätzung, die aber auch den Wert<br />

der <strong>Menschenwürde</strong> betont: Die Präambel der AEMR beziehe<br />

sich mit der Formulierung „Akte der Barbarei“ auf die Erfahrung<br />

der politisch-moralischen K<strong>at</strong>astrophe des Totalitarismus.<br />

Die Menschenrechtsidee sei nach 1945 die Antwort<br />

auf diese Erfahrung der politisch-moralischen K<strong>at</strong>astrophe.<br />

1


Diese These ist <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em doppelten S<strong>in</strong>ne geme<strong>in</strong>t:<br />

• Sie besagt nicht nur, dass die Erfahrung der totalitären<br />

Barbarei das entscheidende Motiv dafür war, sich erneut<br />

auf die Würde und Rechte des Menschen zu bes<strong>in</strong>nen.<br />

• Sie behauptet zugleich, dass auch die Art und Weise, <strong>in</strong><br />

der sich diese Bes<strong>in</strong>nung vollzog, durch das Bewusstse<strong>in</strong><br />

des tiefen E<strong>in</strong>schnitts bestimmt ist, den die K<strong>at</strong>astrophe<br />

des Totalitarismus für die Menschenrechte bedeutet<br />

h<strong>at</strong>.<br />

Mit der AEMR seien ke<strong>in</strong>eswegs nur alte Ideen n<strong>at</strong>ürlicher,<br />

angeborener Rechte wieder belebt worden. Das zeige<br />

gerade die Rolle des Begriffs der <strong>Menschenwürde</strong>. In den<br />

klassischen <strong>Dokumenten</strong> des 18. Jh. f<strong>in</strong>de sich dieser Begriff<br />

nämlich nicht. Nach 1945 trete die <strong>Menschenwürde</strong><br />

als die Idee hervor, auf die man sich angesichts der totalitären<br />

Akte der Barbarei als geme<strong>in</strong>same Grundlage verständigen<br />

könne. Die neue Berufung auf die <strong>Menschenwürde</strong><br />

erlaubte es geistig und politisch gegensätzlichen<br />

Positionen wie dem Liberalismus, dem Sozialismus, dem<br />

K<strong>at</strong>holizismus, sich auf e<strong>in</strong>en Begriff zu verständigen, der<br />

zum Leitbegriff werden konnte, weil er ke<strong>in</strong>er der Positionen<br />

zugehörte (vgl. MENKE & POLLMANN 2007, 129-131).<br />

2. <strong>Menschenwürde</strong> <strong>in</strong> der Beh<strong>in</strong>dertenrechtskonvention<br />

(BRK)<br />

Die Beh<strong>in</strong>dertenrechtskonvention der UNO (BRK) mache<br />

sich zur Fürsprecher<strong>in</strong> für die <strong>in</strong>härente Würde Beh<strong>in</strong>derter<br />

und für den Abbau ausgrenzender gesellschaftlicher<br />

Strukturen. Speziell sei damit e<strong>in</strong>e zwangsweise Sonderbeschulung<br />

geme<strong>in</strong>t (vgl. ANTOR 2009, 140-142).<br />

Der Begriff der <strong>Menschenwürde</strong> sei für alle UN-Konventionen<br />

von schlechth<strong>in</strong> fundamentaler Bedeutung. In<br />

der BRK komme das besonders deutlich zum Tragen. Die<br />

Würde werde als Gegenstand notwendiger Bewusstse<strong>in</strong>sbildung<br />

anges<strong>pro</strong>chen. Nicht zufällig geschehe dies im<br />

Kontext des Rechts auf Bildung. Menschen mit Beh<strong>in</strong>derungen<br />

sollten auch <strong>in</strong> der Lage se<strong>in</strong>, e<strong>in</strong> Bewusstse<strong>in</strong> ihrer<br />

eigenen Würde zu entwickeln (Art. 24). Diese Aufgabe<br />

könne n<strong>at</strong>ürlich nicht alle<strong>in</strong> der schulischen Bildung übertragen<br />

werden. Der Anspruch der <strong>in</strong>klusiven Bildung lasse<br />

sich auch nicht auf e<strong>in</strong>e schlichte Formel br<strong>in</strong>gen. Er sei<br />

jedenfalls nicht gleichbedeutend mit der pauschalen Abschaffung<br />

des Förderschulwesens. Die ganz unterschiedlichen<br />

Bedürfnisse und Interessen der Betroffenen müssten<br />

als Ausgangspunkt aller Reformbemühungen gelten (vgl.<br />

BIELEFELDT 2010, 66-69).<br />

Damit ist e<strong>in</strong> aktueller und höchst heikler Punkt der Bildungsdiskussion<br />

erreicht: Wie soll das Bildungsrecht von<br />

Menschen mit Beh<strong>in</strong>derungen realisiert werden? Auf ausschließlich<br />

<strong>in</strong>klusivem bzw. <strong>in</strong>tegr<strong>at</strong>ivem Wege, oder auch<br />

unter E<strong>in</strong>beziehung der Möglichkeit e<strong>in</strong>es Sonderschulwesens?<br />

In der norm<strong>at</strong>iven Begründung des Bildungsrechts für Menschen<br />

mit Beh<strong>in</strong>derungen wird sogar auf das Lebensrecht<br />

zurückgegriffen (vgl. ANTOR & BLEIDICK 2001a, 14; ANTOR &<br />

BLEIDICK 2000, 95-102): Das Bildungsrecht wird unmittelbar<br />

aus dem Lebensrecht abgeleitet. Das Bildungsrecht gilt als<br />

Lebensrecht im tieferen S<strong>in</strong>n. Lebensrecht und Bildungsrecht<br />

s<strong>in</strong>d dann zwei Aspekte der norm<strong>at</strong>iven Anerkennung<br />

des Menschen als e<strong>in</strong>es Wesens, dessen Leben auf Weiterentwicklung<br />

angelegt ist. Im Begriff der <strong>Menschenwürde</strong><br />

vere<strong>in</strong>igten sich Lebensrecht und Bildungsrecht.<br />

Auch Menschen mit geistiger Beh<strong>in</strong>derung haben als pr<strong>in</strong>zipiell<br />

bildbar zu gelten. Bildungsunfähigkeit wäre gleichbedeutend<br />

mit dem Absprechen der <strong>Menschenwürde</strong> (vgl.<br />

SPECK 1999, 163f.). Aberkennung des Bildungsrechts komme<br />

sozialer Euthanasie gleich (vgl. ANTOR & BLEIDICK 2000,<br />

102). Die Heilpädagogik h<strong>at</strong> es daher immer als ihre Aufgabe<br />

gesehen, die Achtung der <strong>Menschenwürde</strong> und das<br />

Bildungsrecht jedes K<strong>in</strong>des glaubwürdig zu vertreten (vgl.<br />

SPECK 2006, 191).<br />

Die Anerkennung der Würde von Menschen mit Beh<strong>in</strong>derung<br />

verlange e<strong>in</strong> Verhalten, das der Verschiedenheit gerecht<br />

werde. Die Achtung der <strong>Menschenwürde</strong> verlange<br />

e<strong>in</strong>e differenzierende Förderung. Beides gleichzeitig sei nötig:<br />

das Inklusionspr<strong>in</strong>zip und das Differenzierungspr<strong>in</strong>zip.<br />

Der Grunds<strong>at</strong>z laute: Jeder darf und soll so se<strong>in</strong>, wie er ist.<br />

Die Inklusionspädagogik brauche e<strong>in</strong>e geschichts-, situ<strong>at</strong>ions-<br />

und personbezogene Realisierung der <strong>Menschenwürde</strong><br />

im Zeichen e<strong>in</strong>er Verantwortungsethik anstelle e<strong>in</strong>er<br />

starren Pr<strong>in</strong>zipienethik. Die Umsetzung der Inklusionspädagogik<br />

könne organis<strong>at</strong>orisch vielfältig angelegt werden,<br />

z.B. auch durch Kooper<strong>at</strong>ion von Schulen. Der geme<strong>in</strong>same<br />

ethische Maßstab sei jedenfalls die Würde des Menschen<br />

(vgl. NIPKOW 2005, 294-300).<br />

Liter<strong>at</strong>ur<br />

ANTOR Georg (2009), <strong>Menschenwürde</strong>; <strong>in</strong>: DEDERICH Markus<br />

& JANTZEN Wolfram (Hrsg.), Beh<strong>in</strong>derung und Anerkennung<br />

(Beh<strong>in</strong>derung, Bildung, Partizip<strong>at</strong>ion. Enzyklopädisches<br />

Handbuch der Beh<strong>in</strong>dertenpädagogik; Bd. 2),<br />

Kohlhammer: Stuttgart, 134-143<br />

ANTOR Georg & Ulrich BLEIDICK (2000), Beh<strong>in</strong>dertenpädagogik<br />

als angewandte Ethik, Kohlhammer: Stuttgart<br />

ANTOR Georg & Ulrich BLEIDICK (2001a), Bildung, Bildungsrecht;<br />

<strong>in</strong>: ANTOR Georg & BLEIDICK Ulrich (Hrsg.), Handlexikon<br />

der Beh<strong>in</strong>dertenpädagogik. Schlüsselbegriffe aus Theorie<br />

und Praxis, Kohlhammer: Stuttgart, 6-14<br />

ANTOR Georg & Ulrich BLEIDICK (2001b), Ethik; <strong>in</strong>: ANTOR<br />

2


ANTOR Georg & Ulrich BLEIDICK (2001b), Ethik; <strong>in</strong>: ANTOR<br />

Georg & BLEIDICK Ulrich (Hrsg.), Handlexikon der Beh<strong>in</strong>dertenpädagogik.<br />

Schlüsselbegriffe aus Theorie und Praxis,<br />

Kohlhammer: Stuttgart, 158-161<br />

BARANZKE Heike (2010), <strong>Menschenwürde</strong> zwischen<br />

Pflicht und Recht. Zum ethischen Gehalt e<strong>in</strong>es umstrittenen<br />

Begriffs; <strong>in</strong>: zfmr 4, H. 1, 10-24<br />

BIELEFELDT He<strong>in</strong>er (2010), Menschenrecht auf <strong>in</strong>klusive<br />

Bildung. Der Anspruch der UN-Beh<strong>in</strong>dertenrechtskonvention;<br />

<strong>in</strong>: Vierteljahresschrift für Heilpädagogik und<br />

ihre Nachbargebiete 79, H.1, 66-69<br />

HASPEL Michael (2005), Menschenrechte <strong>in</strong> Geschichte<br />

und Gegenwart; <strong>in</strong>: FRECH Siegfried & HASPEL Michael<br />

(Hrsg.), Menschenrechte, Wochenschau Verlag: Schwalbach/Ts.,<br />

15-40<br />

HONNEFELDER Ludger (2008), Personalität – Freiheit<br />

– <strong>Menschenwürde</strong>; <strong>in</strong>: MERTENS Gerhard u. a. (Hrsg.),<br />

Handbuch der Erziehungswissenschaft. Band I. Grundlagen.<br />

Allgeme<strong>in</strong>e Erziehungswissenschaft, F. Schön<strong>in</strong>gh:<br />

Paderborn, 627-638<br />

LOHMANN Georg (2010), Die rechtsverbürgende Kraft<br />

der Menschenrechte. Zum menschenrechtlichen Würdeverständnis<br />

nach 1945; <strong>in</strong>: zfmr 4, H. 1, 46-63<br />

MENKE Christoph & POLLMANN Arnd (2007), Philosophie<br />

der Menschenrechte zur E<strong>in</strong>führung, Junius Verlag: Hamburg<br />

NIPKOW Karl Ernst (2005), Menschen mit Beh<strong>in</strong>derung<br />

nicht ausgrenzen! Zur theologischen Begründung und<br />

pädagogischen Verwirklichung e<strong>in</strong>er >Inklusiven Pädagogik

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