Islamistische und jihadistische Akteure in den Partnerländern ... - GIZ
Islamistische und jihadistische Akteure in den Partnerländern ... - GIZ
Islamistische und jihadistische Akteure in den Partnerländern ... - GIZ
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
2. Rolle <strong>in</strong> <strong>den</strong> Umbrüchen 2011/12<br />
Seit dem Beg<strong>in</strong>n des 21. Jahrh<strong>und</strong>erts flammten <strong>in</strong><br />
Marokko immer wieder Proteste auf, die sich <strong>in</strong>sbesondere<br />
gegen die schlechte Arbeitsmarktsituation<br />
von Hochschulabsolventen richteten. Etwa 31,4<br />
Prozent der Jugendlichen s<strong>in</strong>d arbeitssuchend <strong>und</strong><br />
e<strong>in</strong> Viertel der Bevölkerung lebt <strong>in</strong> Armut, während<br />
sich die Kernelite der Regimeloyalen durch Klientelbeziehungen<br />
zum Hof bereichert. Trotz Korruption<br />
<strong>und</strong> Günstl<strong>in</strong>gswirtschaft genießt jedoch der seit<br />
1999 regierende König Mohammed VI. Popularität;<br />
er wird als legitimes Oberhaupt der marokkanischen<br />
Muslime respektiert <strong>und</strong> als Garant territorialer Souveränität,<br />
nationaler E<strong>in</strong>heit <strong>und</strong> ethnischer Harmonie<br />
geachtet. Die Demonstrationen des „Arabischen<br />
Frühl<strong>in</strong>gs“ forderten deshalb <strong>in</strong> Marokko – anders<br />
als <strong>in</strong> Ägypten <strong>und</strong> Tunesien – nicht <strong>den</strong> „Sturz des<br />
Regimes“, sondern wandten sich gegen sozio-ökonomische<br />
Missstände, gegen Korruption <strong>und</strong> Nepotismus,<br />
gegen mangelnde politische Rechte, <strong>und</strong><br />
forderten e<strong>in</strong>e umfassende Verfassungsreform. Kern<br />
dieser politischen Forderungen war der Wunsch<br />
nach Begrenzung der königlichen Macht <strong>in</strong> Form e<strong>in</strong>er<br />
Stärkung des Parlaments <strong>und</strong> e<strong>in</strong>er wirksameren<br />
Gewaltenteilung (Eibl 2011, 1-3).<br />
Zu <strong>den</strong> Protesten aufgerufen hatte die überwiegend<br />
aus Jugendlichen bestehende Bewegung des 20. Februar,<br />
die mit Studieren<strong>den</strong>, arbeitslosen Akademikern,<br />
Menschenrechtsaktivisten <strong>und</strong> marg<strong>in</strong>alisierten<br />
Parteimitgliedern K<strong>und</strong>gebungen veranstalteten.<br />
Unterstützt wur<strong>den</strong> sie von mehreren verbotenen<br />
l<strong>in</strong>ken Parteien <strong>und</strong> auch von der al-Adl wa-l-Ihsane.<br />
Im Gegensatz dazu erwies sich die PJD als regimeloyal<br />
<strong>und</strong> rief geme<strong>in</strong>sam mit allen anderen parlamentarischen<br />
Parteien ihre Mitglieder dazu auf, die<br />
Demonstrationen nicht zu unterstützen <strong>und</strong> zur<br />
Normalität zurückzukehren. Sie folgte somit nicht<br />
dem Beispiel der ihr ideologisch nahestehen<strong>den</strong><br />
Muslimbruderschaft <strong>in</strong> Ägypten. Die erfolgreiche<br />
Kooptierung der Islamisten <strong>in</strong> das politische System<br />
hatte sich offenbar ausgezahlt.<br />
Um <strong>den</strong> sich verstärken<strong>den</strong> Protesten im Frühjahr<br />
2011 entgegenzuwirken, ergriff das Königshaus sehr<br />
früh sowohl ökonomische als auch politische Gegenmaßnahmen,<br />
die die Gefahr für das autoritäre<br />
Herrschaftssystem abwen<strong>den</strong> sollten. Auf sozioökonomischer<br />
Seite wur<strong>den</strong> die staatlichen Gr<strong>und</strong>nahrungsmittelsubventionen<br />
verdoppelt <strong>und</strong> der<br />
M<strong>in</strong>destlohn um 15 Prozent angehoben (Eibl 2011,<br />
3). Auf politischer Seite richtete die Monarchie e<strong>in</strong>en<br />
Menschenrechtsrat e<strong>in</strong>, doch der Kern des politischen<br />
Reformkurses war die von <strong>den</strong> Demonstranten<br />
geforderte Verfassungsreform, die der König<br />
bereits im März 2011 ankündigte.<br />
Die neue Verfassung des Jahres 2011 br<strong>in</strong>gt ke<strong>in</strong>e<br />
substantielle Erfüllung der Forderungen mit sich:<br />
Die überbor<strong>den</strong>de Machtfülle des Königs wird durch<br />
sie allenfalls symbolisch e<strong>in</strong>geschränkt – so ist se<strong>in</strong><br />
verfassungsmäßiger Status nunmehr nicht länger<br />
„heilig“, sondern nur noch „unantastbar“, während<br />
er jedoch Oberbefehlshaber der Streitkräfte, Chef<br />
der Justiz <strong>und</strong> des Rates für Innere Sicherheit bleibt.<br />
Außerdem be<strong>in</strong>halteten die Reformen e<strong>in</strong> Beratungsorgan<br />
für arbeitssuchende Hochschulabsolventen,<br />
dessen Effektivität allerd<strong>in</strong>gs erst noch unter Beweis<br />
gestellt wer<strong>den</strong> muss, <strong>und</strong> die E<strong>in</strong>führung e<strong>in</strong>es<br />
Menschenrechtskataloges, der jedoch nur dann zu<br />
e<strong>in</strong>er Veränderungen im Bereich Rechtstaatlichkeit<br />
führen könnte, wenn er auch implementiert würde.<br />
Offiziellen Angaben zufolge wurde der Verfassungsentwurf<br />
im Juli 2011 bei e<strong>in</strong>er Wahlbeteiligung von<br />
fast 73 Prozent mit über 98 Prozent der Stimmen<br />
angenommen, was als strategischer Sieg des Königshauses<br />
angesichts der Protestdynamik quer durch<br />
Nordafrika gewertet wird. Jedoch bestehen <strong>in</strong>sbesondere<br />
Zweifel an der hohen Wahlbeteiligung: Erstens<br />
lagen zwischen der Ankündigung der neuen Verfassung<br />
durch <strong>den</strong> König <strong>und</strong> dem Referendum lediglich<br />
zwei Wochen. Zweitens hatten e<strong>in</strong>flussreiche<br />
gesellschaftliche Kräfte wie Gewerkschaften, l<strong>in</strong>ke<br />
Parteien, sowie al-Adl-wa-l-Ihsane zum Boykott (jedoch<br />
nicht zur „Ne<strong>in</strong>“-Stimme!) aufgerufen; drittens<br />
schließlich berichteten oppositionelle Kräfte ebenso<br />
wie <strong>in</strong>ternationale Zeugen von leeren Wahllokalen.<br />
Nach Angaben der Bewegung des 20. Februar lag die<br />
Beteiligung <strong>in</strong> zahlreichen Vierteln <strong>in</strong> Großstädten<br />
wie Casablanca gar unter 30 Prozent. E<strong>in</strong>e Manipulation<br />
der Zahlen im Zuge des Referendums ersche<strong>in</strong>t<br />
daher wahrsche<strong>in</strong>lich.<br />
Kurzfristig führte die – zum<strong>in</strong>dest formelle – Reformbereitschaft<br />
zur Stabilisierung des Regimes. Der<br />
König setzte sich an die Spitze e<strong>in</strong>es Reformismus,<br />
Blick auf die Altstadt von Casablanca. Vor allem <strong>in</strong> <strong>den</strong> ärmeren Stadtvierteln mobilisieren die Islamisten ihre Wähler<br />
59