Jahresbericht 2012/13 (PDF 2.52 MB) - Deutsche Gesellschaft für ...
Jahresbericht 2012/13 (PDF 2.52 MB) - Deutsche Gesellschaft für ...
Jahresbericht 2012/13 (PDF 2.52 MB) - Deutsche Gesellschaft für ...
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
<strong>Jahresbericht</strong> <strong>2012</strong>/20<strong>13</strong><br />
Anders ist die Lage in Russland. Erstmalig<br />
in der Geschichte des Landes gab es in den<br />
2000er Jahren bis zum Beginn der Finanzkrise<br />
ein stetiges Wirtschaftswachstum von 5 bis 8<br />
Prozent. Der monatliche Durchschnittslohn<br />
stieg zwischen 1999 und <strong>2012</strong> von 47 Euro<br />
auf 643 Euro. 1 Der gestiegene Wohlstand bei<br />
gleichzeitiger politischer Stabilität hat zu realen<br />
Aufstiegs- und verbesserten Lebensperspektiven<br />
geführt.<br />
Die einsetzende Debatte um eine wachsende<br />
russische Mittelschicht und eine Pluralisierung<br />
des politischen und gesellschaftlichen<br />
Diskurses ist mit diesem Phänomen verbunden.<br />
Wenngleich diese Mittelschicht<br />
im Vergleich zu Deutschland nicht durch<br />
gemeinsame Werte und ein ähnliches Wohlstandsniveau<br />
die »eine« Mitte der <strong>Gesellschaft</strong><br />
repräsentiert – dafür sind die Einkommen<br />
und Lebensstile zu divers –, so ist sie doch mit<br />
einer wachsenden Politisierung der <strong>Gesellschaft</strong><br />
verbunden, die das System Putin mitunter<br />
in Frage stellt.<br />
Überhöhte Erwartungen bezüglich<br />
der südlichen Nachbarschaft<br />
In Bezug auf Europas südliche Nachbarstaaten<br />
ist, zwei Jahre nach Beginn der Proteste<br />
in der arabischen Welt, die anfängliche<br />
Euphorie verflogen, und die Hoffnungen<br />
auf eine schnelle Demokratisierung sind<br />
Ernüchterung und Zweifeln gewichen.<br />
Die Erwartungen, es würden sich nach den<br />
Umbrüchen schnell demokratische Verhältnisse<br />
nach westlichem Vorbild entwickeln,<br />
waren sicherlich verfrüht. Niemand konnte<br />
ernsthaft annehmen, dass sich in Tunesien,<br />
Ägypten und Libyen nach Jahrzehnten autoritärer<br />
Herrschaft innerhalb von zwei Jahren<br />
blühende Demokratien entwickeln würden.<br />
Vielmehr befinden sich diese Staaten noch<br />
in einer volatilen Umbruchsituation, die durch<br />
1 BOFIT, Russia Statistics.<br />
eine undurchsichtige Lage und Akteurskonstellation<br />
gekennzeichnet ist. Auch ist eine klare<br />
Einteilung in demokratische und undemokratische<br />
Kräfte nicht möglich. So bleibt beispielweise<br />
nach wie vor unklar, welche Ziele<br />
die Muslimbruderschaft in Ägypten oder die<br />
Ennahda in Tunesien tatsächlich verfolgen<br />
und welche politische und gesellschaftliche<br />
Ordnung sie letztlich anstreben. Genauso darf<br />
bezweifelt werden, dass die säkulare Opposition<br />
geschlossen prodemokratisch ist: Auch<br />
die Kräfte des alten Regimes sind säkular orientiert,<br />
aber sicherlich nicht demokratisch.<br />
Die Entwicklungen in den einzelnen Ländern<br />
verlaufen zudem sehr unterschiedlich. Es ist<br />
daher zu früh, ein abschließendes Urteil über<br />
den Erfolg demokratischer Bestrebungen zu<br />
fällen.<br />
»Brot, Freiheit und soziale<br />
Gerechtigkeit«<br />
Hauptforderungen der Demonstranten, die<br />
in den vergangenen zwei Jahren in Nordafrika<br />
auf die Straße gingen, waren, gemäß<br />
einem populären Slogan, »Brot, Freiheit<br />
und soziale Gerechtigkeit«. Der Ruf nach<br />
»Menschenwürde« spielte eine zentrale Rolle.<br />
Es ging also sowohl um die Verbesserung<br />
der eigenen Lebenssituation und um eine<br />
gerechtere <strong>Gesellschaft</strong> als auch um mehr<br />
persönliche Freiheiten und die Achtung der<br />
Menschenrechte. Diese beiden Sphären sind<br />
nur schwer voneinander zu trennen und lassen<br />
sich nicht in eine Prioritätenrangfolge setzen.<br />
Für einen großen Teil der Bevölkerung<br />
dürfte das Gefühl der sozio-ökonomischen<br />
Ungerechtigkeit, die zunehmende Prekarisierung<br />
der Mittelschichten bei gleichzeitig verbreiteter<br />
Korruption und Bereicherung von<br />
Teilen der Elite, wesentlich für das Aufbegehren<br />
gegen die alten Regime gewesen sein.<br />
Deren undemokratische Regierungsführung<br />
und die zunehmenden sozio-ökonomischen<br />
Missstände waren, auch in der Wahrnehmung<br />
24<br />
Schwerpunkt: Demokratisierung in der europäischen Nachbarschaft