SOTE 2008_1 - IFZ
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Frauen & Technik<br />
unterstützen, das bei der Erreichung dieses<br />
Zieles hilfreich sein könnte.<br />
Etappen eines praxisorientierten<br />
Forschungsprozesses<br />
Der Forschungsprozess begann mit einer<br />
Bestandsaufnahme, die 2001-2002 in einer<br />
Vorstudie erarbeitet und kontinuierlich aktualisiert<br />
worden ist. Die Vorstudie konzentrierte<br />
sich auf die Analyse der Mitgliederstatistiken<br />
des DFV, die die Beteiligung<br />
von Mädchen und Frauen seit 1974 dokumentieren,<br />
und hat vor allem zwei Ergebnisse<br />
erbracht, die für die weitere Untersuchung<br />
wichtig waren:<br />
■ Es gibt große regionale Unterschiede in<br />
der Frauenbeteiligung bei der Freiwilligen<br />
Feuerwehr, die vermuten lassen, dass die Integration<br />
von Frauen stark von regionalen<br />
Rahmenbedingungen und/oder feuerwehrinternen<br />
Voraussetzungen vor Ort abhängt.<br />
■ Im Zeitverlauf ist ein relativ konstantes<br />
„Verschwinden“ vieler Mädchen beim<br />
Übergang von der Jugendfeuerwehr in die<br />
Einsatzwehren zu beobachten, das darauf<br />
hinweist, dass sich der Frauenanteil in den<br />
Einsatzwehren nicht gleichsam naturwüchsig<br />
durch das „Nachwachsen“ der<br />
jüngeren Generation erhöhen wird.<br />
Im Jahr 2005 konnte die Erschließung des<br />
wissenschaftlichen Neulandes „Feuerwehrfrauen“<br />
fortgesetzt werden mit dem Forschungsprojekt<br />
„Mädchen und Frauen bei<br />
der Freiwilligen Feuerwehr“, 1 das Aufschluss<br />
über zwei Fragestellungen geben<br />
sollte:<br />
■ Mit welchen Schwierigkeiten sehen sich<br />
Frauen und Mädchen in der Feuerwehr<br />
konfrontiert, und welche positiven Erfahrungen<br />
motivieren sie, dabei zu bleiben?<br />
■ Worauf ist es zurückzuführen, dass mehr<br />
Mädchen als Jungen die Feuerwehr wieder<br />
verlassen?<br />
Hierzu wurden ExpertInnen-Interviews mit<br />
Feuerwehrfrauen und -männern durchgeführt,<br />
die über langjährige Erfahrungen in<br />
den Wehren verfügen und zudem auf Verbandsebene<br />
Funktionen übernommen haben,<br />
die auch mit Fragen der Integration<br />
von Mädchen und Frauen befasst sind.<br />
Ziel des Forschungsprojektes war die Entwicklung<br />
von Leitlinien für Modellprojekte,<br />
deren Umsetzung seit Herbst 2005<br />
im Praxisprojekt „Mädchen und Frauen in<br />
den Freiwilligen Feuerwehren. Modellprojekte<br />
für bürgerschaftliches Engagement“<br />
erfolgt. 2 Das Praxisprojekt wird vom DFV<br />
selbst durchgeführt und von den Mitarbeiterinnen<br />
des Forschungsprojekts wissenschaftlich<br />
begleitet und beraten.<br />
Das Hauptproblem: Kommunikationsstrukturen<br />
& Organisationskultur<br />
Fasst man die Ergebnisse des Forschungsprojekts<br />
zusammen, so lässt sich festhalten,<br />
dass für unsere Expertinnen die Hürden,<br />
die Mädchen und Frauen bei der Feuerwehr<br />
im Wege stehen, nicht oder jedenfalls<br />
nicht direkt mit der Techniknähe dieses<br />
Tätigkeitsfeldes zu tun haben. Was den<br />
Frauen zu schaffen macht, ist nicht das<br />
technische Gerät. Es sind teilweise herbe<br />
Diskriminierungserfahrungen und mancherorts<br />
die mangelnde Anerkennung – allerdings<br />
gilt dies nicht überall, denn es<br />
gibt, wie alle ExpertInnen betonen, auch<br />
viele Wehren und Wehrführer, die Frauen<br />
unterstützen oder sich in der Jugendfeuerwehr<br />
engagiert für die Integration von<br />
Mädchen einsetzen.<br />
Die Probleme, die in immer neuen Wendungen<br />
immer wieder beschrieben werden,<br />
beziehen sich in ihrer großen Mehrheit<br />
auf die Feuerwehr als Organisation<br />
und auf die Organisationskultur: Auf die<br />
starren und hierarchischen Kommunikations-<br />
und Entscheidungsstrukturen; auf die<br />
mangelnde Flexibilität im Umgang mit<br />
den Problemen der Vereinbarkeit von Beruf,<br />
Familie und Ehrenamt; auf überkommene<br />
Leitbilder, in denen eine männliche<br />
Monokultur noch dann weiterlebt, wenn<br />
Frauen dort längst „ihren Mann stehen“;<br />
und auf eine Kultur des Miteinander-Umgehens,<br />
die geprägt ist von Konkurrenzund<br />
Hierarchiedenken, dem Beharren auf<br />
eingeübten Handlungsroutinen und dem<br />
Misstrauen gegenüber allem und allen<br />
Neuen – auch wenn die „Neulinge“ mitunter<br />
alt gediente Feuerwehrfrauen sind, die<br />
nur den Wohnort gewechselt haben.<br />
Aufschlussreich ist also vor allem, dass<br />
nicht nur und nicht primär „frauenspezifische“<br />
Probleme benannt werden, sondern<br />
Organisationsprobleme. Und aufschlussreich<br />
ist weiters, dass es aus der Sicht der<br />
ExpertInnen genau diese Probleme sind,<br />
die vielen Jugendlichen, und nicht nur den<br />
Mädchen, den Übergang in die Einsatzwehren<br />
erschweren und es ihnen nicht<br />
leicht machen, ihr Engagement und ihre<br />
Begeisterung für die Feuerwehr zu bewahren,<br />
wenn es „ernst wird“.<br />
Leitlinien für die Praxis:<br />
Modernisierung der<br />
Organisation Feuerwehr<br />
Diese Forschungsergebnisse haben uns<br />
darin bestärkt, die Leitlinien nicht nur und<br />
nicht in erster Linie als Leitlinien der Frauenförderung<br />
zu konzipieren, sondern den<br />
Hauptakzent auf die Modernisierung der<br />
Feuerwehr als Organisation zu legen. Eine<br />
Konzentration ausschließlich auf die Frauen<br />
kann gerade in männerdominierten Handlungsfeldern<br />
allzu schnell zu einer Abwertung<br />
und Marginalisierung der entsprechenden<br />
Veränderungsstrategien führen.<br />
Sie macht es den Männern leicht, sich nicht<br />
angesprochen zu fühlen. Und sie fördert<br />
eine Problemdefinition, der unsere Expertinnen<br />
mit größter Skepsis begegnen.<br />
Sie wollen nicht die Botschaft vermittelt<br />
sehen, dass sie „etwas Besonderes“ sind; sie<br />
wollen nicht „als Frauen“ und erst recht<br />
nicht „als Frauen mit Problemen“ sichtbar<br />
(gemacht) werden. Sie wünschen sich vielmehr<br />
– wie eine beispielhaft formuliert –<br />
„als Frau einfach nur ein Feuerwehrmann<br />
zu sein“ und sehen hellsichtig und ein<br />
Stück weit resigniert, dass die Erfüllung<br />
dieses Wunsches von ihnen selbst am wenigsten<br />
abhängt.<br />
Die Leitlinien sind entsprechend dort, wo<br />
sie Fragen des Miteinander-Umgehens in<br />
der Feuerwehr thematisieren, so formuliert,<br />
dass sehr deutlich wird, wer hier mit<br />
wem Probleme hat und wer zu Veränderungen<br />
im Verhalten aufgefordert ist. Und<br />
sie gehen durchweg von der Diagnose aus,<br />
dass die Ausgrenzung und Marginalisierung<br />
von Frauen auf Modernisierungsdefizite<br />
verweist, in deren Gefolge die Feuerwehr<br />
Schwierigkeiten nicht nur mit der Rekrutierung<br />
von Frauen hat, sondern auch<br />
damit, Jugendliche und solche Männer anzusprechen,<br />
für die das heldenhafte Bild<br />
des starken, mutigen und allen Gefahren<br />
trotzenden Feuerwehrmannes an Orientierungskraft<br />
verloren hat und die Nachahmung<br />
des Militärischen eher abschreckend<br />
wirkt oder „out of date“.<br />
Die insgesamt 12 Leitlinien beziehen sich<br />
auf folgende Handlungsfelder:<br />
■ Frauen sichtbar machen im Erscheinungsbild<br />
der Feuerwehr<br />
■ Förderung einer Kultur der Anerkennung<br />
■ Abbau Frauen diskriminierender Einstellungen<br />
und Verhaltsmuster<br />
■ Aktive Förderung (der Frauen) statt passiver<br />
Toleranz<br />
■ Entwicklung einer Kultur der Vielfalt anstelle<br />
der männlichen Monokultur<br />
■ Berücksichtigung der veränderten Lebensverhältnisse<br />
von Frauen und Männern<br />
■ Aufbau einer Lernenden Organisation<br />
■ Kooperation statt Hierarchie und Konkurrenz<br />
■ Vorbildfunktion der Vorstandsgremien<br />
■ Anerkennung und Auszeichnung beson-<br />
Soziale Technik 1/<strong>2008</strong><br />
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