SOTE 2008_1 - IFZ
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IKT<br />
schlussreiche Weise uneinheitliches Bild ab:<br />
Einerseits zeigt sich, dass das mobile Breitband<br />
den Zustand der „Domestizierung“ bereits<br />
erreicht hat (vgl. zu diesem Konzept<br />
Silverstone, Haddon 1996), es also, so wie<br />
der Personal Computer in den 1980ern und<br />
das Internet in den späten 1990ern, in das<br />
Alltagsleben einer breiten Schicht von NutzerInnen<br />
integriert ist: Bereits 50% aller 3G-<br />
NutzerInnen geben an, ihr Gerät sowohl geschäftlich<br />
als auch privat zu nutzen. Andererseits<br />
zeigt sich, dass die Nutzungsgrade<br />
der einzelnen Funktionen stark divergieren:<br />
Während der Einsatz von Internet und E-<br />
Mail sowohl bei GSM- als auch bei 3G-NutzerInnen<br />
eher mäßig ausfällt und die erstere<br />
Gruppe ortsbezogene Dienste, Musikdownloads<br />
und Office-Anwendungen selbst dann<br />
fast überhaupt nicht nutzt, wenn diese<br />
Funktionen bereits verfügbar sind (jeweils<br />
5% und weniger), findet sich für genau<br />
diese Funktionen bei 3G-NutzerInnen ein<br />
markant höherer, aber immer noch vergleichsweise<br />
bescheidener Durchsetzungsgrad<br />
(zwischen 15% und 31%). Dies kann<br />
als Hinweis darauf gelten, dass diese Funktionen,<br />
neben dem komplett 3G-spezifischen<br />
mobilen Fernsehen, das größte Potenzial<br />
aufweisen, sich als „Alleinstellungsmerkmale“<br />
der Mobiltelefonie der Dritten<br />
Generation zu etablieren.<br />
Die markantesten Unterschiede in den Erwartungen<br />
und Wahrnehmungen der NutzerInnen<br />
zeigen sich jedoch nicht so sehr in<br />
den Nutzungsgraden der angebotenen<br />
Funktionen, sondern vor allem in ihren allgemeinen<br />
Einstellungen dazu, was ein Mobiltelefon<br />
für sie tun können sollte. Wir haben<br />
für unsere Studie in Anlehnung an die<br />
oben erläuterte Diskussion drei Designkonzepte<br />
identifiziert und getestet, welche von<br />
ihnen bei wem den größten Anklang finden.<br />
Insgesamt wurde diese von uns vorgenommene<br />
Dreiteilung, obwohl sie nicht explizit<br />
gemacht wurde und die entsprechenden<br />
Fragen zufallsverteilt gestellt wurden,<br />
von den Befragten gut erkannt: Es ließen<br />
sich entlang der Unterscheidung zwischen<br />
den Präferenzen für (A) funktionale Vielseitigkeit,<br />
Integration und Allgemeinheit, für<br />
(B) Spezialisierung, „Plug-and-Play“-Eigenschaften<br />
und Einfachheit der Bedienung sowie<br />
für (C) Anpassungsfähigkeit, Gestaltungs-<br />
und Kontrollmöglichkeiten drei Cluster<br />
von NutzerInnen identifizieren:<br />
■ (A+/C+) NutzerInnen, die vielseitige<br />
Funktionen ebenso schätzen wie die Möglichkeit<br />
zu deren Kontrolle und Konfiguration<br />
(28% der Befragten);<br />
■ (A+/C-) NutzerInnen, die zwar vielseitige<br />
Funktionen wünschen, ohne aber viel<br />
Mühe in Kontrolle und Konfiguration investieren<br />
zu wollen (28% der Befragten);<br />
■ (B+) NutzerInnen, die vor allem Einfachheit<br />
der Bedienung wünschen, ohne besondere<br />
weitere Präferenzen bezüglich Spezialisierung<br />
oder Kontrolle zu haben (44 % der<br />
Befragten).<br />
Aus der Verteilung der genannten Cluster<br />
auf GSM- versus 3G-NutzerInnen ergibt sich<br />
ein aufschlussreiches Bild: Das Bedürfnis<br />
nach Vielseitigkeit gepaart mit Kontrolle<br />
(A+/C+) findet sich ganz mehrheitlich bei<br />
3G-NutzerInnen (51%), während sich die<br />
Nachfrage nach Vielseitigkeit ohne Verlangen<br />
nach Kontrollmöglichkeiten (A+/C-)<br />
recht gleichmäßig auf beide Gruppen verteilt<br />
(zu je 28%) und der Bedarf an Einfachheit<br />
(B+) am stärksten von GSM-NutzerInnen<br />
artikuliert wird (zu 48%).<br />
Das Bedürfnis, der verwendeten Technologie<br />
„unter die Haube schauen“ zu können,<br />
wird von mehr als einem Drittel aller MobilfunknutzerInnen<br />
sowie von einer deutlichen<br />
Mehrheit der 3G-NutzerInnen artikuliert.<br />
Letztere können vor dem Hintergrund<br />
ihrer höheren Technikaffinität, also ihrer<br />
Neigung, neue Technologien bald nach Einführung<br />
auszuprobieren, gleichsam als<br />
„Avantgarde“ gelten. Allerdings kann für<br />
die verbleibende Mehrheit der GSM-NutzerInnen<br />
die Betonung der Einfachheit der Bedienung<br />
den Umstieg auf die neue Technologie<br />
erleichtern, wenngleich Probleme der<br />
Bedienbarkeit offenbar nicht die oft vermutete<br />
Hauptrolle in der zögerlichen Akzeptanz<br />
der mobilen Breitbandtechnologien<br />
spielen: Die Mehrheit sowohl der 3G- als<br />
auch der GSM-NutzerInnen gibt an, mit<br />
den Funktionen ihrer Geräte hinreichend<br />
vertraut zu sein.<br />
Es kann jedoch auch erwartet werden, dass<br />
das Nutzungsverhalten derer, die das mobile<br />
Breitband bereits jetzt nutzen, die Anwendungen<br />
der Zukunft prägen wird. Dies gilt<br />
auch und gerade vor dem Hintergrund der<br />
Beobachtung, dass, selbst wenn die von einer<br />
neuen Technologie angebotenen Möglichkeiten<br />
häufig ein Motiv für deren Anschaffung<br />
liefern, das tatsächliche Nutzungsverhalten<br />
sich nur langsam in neue<br />
Bahnen hineinbewegt. Auch hochgerüstete<br />
Mobiltelefone mit vielfältigen Funktionen<br />
werden in erster Linie noch als Mobiltelefone<br />
wahrgenommen. Diese Beobachtung<br />
in Sugai (2007) deckt sich mit den von uns<br />
festgestellten Unterschieden zwischen den<br />
Erwartungen an die Mobiltelefonie der Dritten<br />
Generation und der tatsächlichen Nutzung<br />
ihrer Funktionen.<br />
Dieses ausdifferenzierte Bild von unterschiedlichen<br />
Interessen, Kenntnissen und<br />
Erwartungen der NutzerInnen, deren Praxis<br />
der Nutzung überdies von den eigenen Einstellungen<br />
abweichen kann, legt nahe, dass<br />
sich die Schließung eines technologischen<br />
Designs und seine Nutzungsmuster nicht<br />
vorausplanen und vorherbestimmen lassen.<br />
Zumal sich in unserer Studie kein Cluster<br />
identifizieren lässt, der auf das Konzept der<br />
information appliances (in seiner Kombination<br />
von Einfachheit und Spezialisierung)<br />
passt, und zumal sich das von ihm implizierte<br />
monolithische Bild der NutzerInnen<br />
als technisch generell uninteressierte KonsumentInnen<br />
nicht bestätigen lässt, erscheint<br />
folgende Schlussfolgerung berechtigt:<br />
Die besten Erfolgschancen haben solche<br />
Gestaltungskonzepte, die den NutzerInnen<br />
einerseits dort Freiheit bei der Anpassung<br />
und Ausgestaltung der Funktionen lassen,<br />
wo diese es wünschen, und die ihnen<br />
andererseits dort einen einfachen Zugang<br />
ermöglichen, wo dies erforderlich ist.<br />
Literatur<br />
• Bergman, E. (Hg.): Information Appliances and<br />
Beyond. San Mateo: Morgan Kaufman 2000.<br />
• Briegleb, V.: Zahl der Mobilfunk-Anschlüsse<br />
wächst langsamer. Heise Online Newsticker,<br />
13.03.2007: http://www.heise.de/newsticker/<br />
meldung/print/86643.<br />
• Norman, D.: The Invisible Computer. Cambridge:<br />
MIT Press 1998.<br />
• Pinch, T., W. Bijker: The social construction<br />
of facts and artifacts: or how the sociology of<br />
science and the sociology of technology might<br />
benefit each other. In: W. Bijker et al. (eds.):<br />
The Social Construction of Technological Systems.<br />
Cambridge: MIT Press 1987, p. 17-50.<br />
• Rundfunk und Telekom Regulierungs-<br />
GmbH: RTR Telekom Monitor 4. Quartal 2007,<br />
Wien: RTR 2007.<br />
• Satyanarayanan, M.: Swiss Army Knife or<br />
Wallet? In: IEEE Pervasive Computing 4, Nr.<br />
2/2005, p. 2-3.<br />
• Silverstone, R., L. Haddon: Design and Domestication<br />
of Information and Communication<br />
Technologies: Technical Change and<br />
Everyday Life. In: R. Mansell, R. Silverstone<br />
(eds.): Communication by Design. Oxford/New<br />
York: Oxford University Press 1996, p. 44-74.<br />
• Sugai, P.: Exploring the Impact of Handset<br />
Upgrade on Mobile Content and Service<br />
Usage. In: International Journal of Mobile<br />
Communications 5, Nr. 3/2007, p. 281-299.<br />
• Turing, A.: On Computable Numbers, With<br />
an Application to the Entscheidungsproblem.<br />
In: Proceedings of the London Mathematical<br />
Society, Series 2, 42, 1936, p. 230-265. ■<br />
Soziale Technik 1/<strong>2008</strong><br />
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