Karriere auf Augenhöhe - Personalwirtschaft
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www.personalwirtschaft.de<br />
15,90 € G 21212 ISSN 0341-4698<br />
Art.-Nr. 04203911<br />
<strong>Personalwirtschaft</strong> 11<br />
Magazin für Human Resources<br />
2009<br />
Deutscher <strong>Personalwirtschaft</strong>s-Preis 2009 | Unternehmenskultur | Personalentwicklung<br />
In dieser Ausgabe:<br />
Sonderheft<br />
E-Recruiting<br />
Fach- oder Führungsl<strong>auf</strong>bahn<br />
<strong>Karriere</strong> <strong>auf</strong><br />
Augenhöhe
| EDITORIAL<br />
Alternative <strong>Karriere</strong>modelle<br />
Die Bundestagswahl vor wenigen Wochen vermittelte Anschauungsunterricht<br />
für Personalmanager. Gemeint ist nicht die Verbalakrobatik<br />
politischer Statements oder inhaltsloser Wahlversprechen.<br />
Vielmehr das Gerangel um Positionen, Ämter und<br />
Medienpräsenz. Quer durch alle Parteien sind die Experten und<br />
Wissensträger ebenso wie die Strippenzieher und Trittbrettfahrer<br />
unterwegs, stecken ihr Terrain ab und duellieren sich untereinander.<br />
Es geht um Macht, Ansprüche und vermeintlichen<br />
Ruhm. Und alle eint das gleiche Ziel – die eigene <strong>Karriere</strong> voranzutreiben.<br />
Unternehmen ticken da nicht anders. Nachwuchskräfte, Talente,<br />
High Potentials: Die Liste der Potenzialträger im Unternehmen<br />
ist regelmäßig länger als die Zahl der zu vergebenden Posten<br />
und Funktionen. Aufwendig wird ausgewählt, vom Assessment<br />
Center bis zum Bauchgefühl des Chefs reicht die Klaviatur<br />
der Methoden. Zeigt der Daumen nach oben, geht die <strong>Karriere</strong><br />
weiter. „Wer bin ich?“ definiert sich noch immer bei vielen Mitarbeitern<br />
über das „Was bin ich?“. Führungsverantwortung ist<br />
das Lebenselixier, Personalverantwortung das Statussymbol.<br />
Nur wohin mit den Übriggebliebenen, die mit großen Ambitionen<br />
gestartet und deren <strong>Karriere</strong>aussichten in der letzten Reorganisation<br />
stecken geblieben sind? Fähige Köpfe, voller Wissen,<br />
wahre Experten, wichtig und unentbehrlich – nur keine Führungskräfte.<br />
Und dennoch <strong>auf</strong> der Suche nach dem nächsten <strong>Karriere</strong>schritt<br />
– der Fachl<strong>auf</strong>bahn. <strong>Karriere</strong> ohne Führungs<strong>auf</strong>gaben<br />
ist keine Ausnahme mehr (Seite 18). Gefördert durch die<br />
Personalverantwortlichen vieler Unternehmen bieten Fachl<strong>auf</strong>bahnen<br />
Mitarbeitern Perspektiven und Herausforderungen,<br />
nicht nur in Organisationen mit flachen Hierarchien (Seite 27).<br />
Expertenpfade finden als alternative <strong>Karriere</strong>modelle Akzeptanz<br />
und tragen maßgeblich zur Mitarbeiterbindung bei (Seite 23).<br />
Ein Problem allerdings haben die Personalmanager nicht gelöst:<br />
Mitarbeiter halten Fachkarrieren noch immer für die zweitbeste<br />
Lösung – hinter der klassischen Führungsl<strong>auf</strong>bahn. „Fachkarrieren<br />
müssen erst einmal selbst <strong>Karriere</strong> machen“, beschreibt<br />
Professor Michel E. Domsch von der Universität Hamburg dieses<br />
Phänomen (Seite 26). Dafür haben Parteipolitiker keine Zeit.<br />
Ihr<br />
Jürgen Scholl<br />
Chefredakteur<br />
11|2009 www.personalwirtschaft.de 3
INHALT <strong>Personalwirtschaft</strong> 11 | 2009<br />
Titel | Fach- oder Führungsl<strong>auf</strong>bahn<br />
Seite 18<br />
Stars <strong>auf</strong> der Reservebank<br />
Die Führungskarriere ist noch immer die typische Art, beruflichen<br />
Erfolg zu fördern. Es gibt zig Modelle, Maßnahmen und Anreize,<br />
um Talente <strong>auf</strong> diesen Weg zu bringen. Und was ist mit denen, die<br />
fachlich exzellent sind und noch besser werden wollen? Haben Sie<br />
eine echte Zukunft? Eine Bestands<strong>auf</strong>nahme über die Fachkarriere.<br />
Seite 23<br />
Expertenpfade zeigen<br />
Wirkung<br />
Bieten Fachkarrieren tatsächlich den<br />
gewünschten Bindungseffekt der Experten<br />
und bringen sie Unternehmen Wettbewerbsvorteile?<br />
Oder bedeuten sie vor allem Invest,<br />
der sich am Ende nicht auszahlt?<br />
Eine Studie hat sich dieser und anderer<br />
Fragen gewidmet.<br />
Seite 26<br />
„Fachkarrieren müssen selbst<br />
<strong>Karriere</strong> machen“<br />
Viele Unternehmen kennen das Konzept<br />
der Fachkarriere nur vom Namen her, sagt Professor<br />
Michel Domsch von der Helmut-Schmidt-Universität<br />
Hamburg. Wollen Unternehmen ihre hochqualifizierten,<br />
spezialisierten Fachtalente binden, müssen<br />
Fachkarrieren gekonnt entwickelt und implementiert<br />
sein.<br />
Seite 27<br />
Ungewöhnliches wagen<br />
Versicherungen haben anders als Hochtechnologie-<br />
Unternehmen oder wissenschaftliche Einrichtungen<br />
keinen besonders hohen Anteil an Forschung<br />
und Entwicklung. Dennoch werden die Produkte<br />
immer spezieller. Um Experten zu binden, hat<br />
die VPV Versicherung daher ein Programm für<br />
Fachl<strong>auf</strong>bahnen entwickelt.<br />
Forum<br />
Rubriken<br />
Was zu beweisen wäre<br />
Viele Personalmanager verbinden mit der<br />
wirtschaftsfreundlichen Koalition Hoffnungen<br />
<strong>auf</strong> Reformen. Besonders bei der Integrationsund<br />
Bildungspolitik. Wieviel sich tatsächlich<br />
ändern wird, das wissen sie, steht wohl <strong>auf</strong><br />
einem anderen Blatt.<br />
Seite 11<br />
4 11|2009 www.personalwirtschaft.de<br />
3 Editorial Alternative <strong>Karriere</strong>modelle<br />
6 Online-News<br />
7 News<br />
10 Treffpunkt Nachlese Messe Zukunft Personal<br />
14 Forum Stimmen zur Bundestagswahl<br />
17 Trends aus Asien Anpassung Fehlanzeige?<br />
58 Arbeitsrecht BAG aktuell<br />
59 Stellenmarkt Aktuelle Jobs für die Personalbranche<br />
60 Marktplatz<br />
62 Bücher<br />
64 Online-Check Gewerkschaften: Starke Partner<br />
65 Vorschau/Impressum<br />
66 Moderne Paradoxien Ey Alter, laber nicht!
Fachteil<br />
30 Deutscher <strong>Personalwirtschaft</strong>s-Preis<br />
2009<br />
Verlinkt, verlobt, verheiratet<br />
Weil die Attraktivität als Arbeitgeber nicht<br />
besonders gut war, hat die Bertelsmann AG<br />
nicht nur analysiert, woran das liegt,<br />
sondern auch ein weitreichendes Employer<br />
Branding <strong>auf</strong>gesetzt. Für das Konzept<br />
gewann das Medienunternehmen den<br />
17. Deutschen <strong>Personalwirtschaft</strong>s-Preis.<br />
34 Mythen über das Personalmanagement<br />
Keine Scheu vor dem<br />
Kostenvergleich<br />
In dritten und letzten Teil der Serie geht<br />
es um die Frage, ob es weltweit Unterschiede<br />
in der Effizienz der HR-Arbeit<br />
gibt. Sind die USA zum Beispiel wirklich<br />
so effizient, wie oft angenommen wird?<br />
36 Internationale<br />
Personalentwicklung<br />
Vom Schneeball zur Lawine<br />
Eine einheitliche Personalentwicklung ist<br />
bei internationalen Konzernen besonders<br />
schwierig. Das Logistik-Unternehmen<br />
Gefco hat einen Weg gefunden, wie einzelne<br />
Ländereinheiten zu Vorreitern für weltweite<br />
Bildungskonzepte werden können.<br />
39 Unternehmenskultur<br />
Wertvoll wachsen<br />
In inhabergeführten Firmen leiten sich die<br />
Führungswerte meistens von der Führungspersönlichkeit<br />
– dem Chef – ab. Doch wie<br />
schafft man es in größeren Unternehmen,<br />
ein Wertesystem <strong>auf</strong>zubauen und zu verbreiten?<br />
Ein Praxisbeispiel.<br />
42 Führungskräftebeurteilung<br />
Vielstimmig statt unisono<br />
Das 360-Grad-Feedback gibt ein von<br />
mehreren Seiten geschaffenes Bild über<br />
die eigenen Fähigkeiten und Potenziale ab.<br />
Das Schweizer Handelsunternehmen<br />
Migros setzt das Instrument im Rahmen der<br />
Führungskräfte-Entwicklung ein.<br />
45 Arbeitsrecht<br />
Eine Frage des Alters<br />
Wie verhält sich eigentlich das Zusammenspiel<br />
von AGG und Kündigungsschutzgesetz<br />
mit Blick <strong>auf</strong> das Alter? Der Europäische<br />
Gerichtshof wird bald zu gängigen Verfahren<br />
wie Namenslisten und Altersgruppen<br />
Stellung nehmen.<br />
48 Training<br />
Sprachbarrieren überwinden<br />
Der internationale Suchdienst bekommt<br />
aus aller Welt Anfragen – meist <strong>auf</strong> Englisch.<br />
Weil viele Mitarbeiter <strong>auf</strong> die Gesuche<br />
nicht antworten konnten, wurde ein<br />
multimediales Lernprogramm für Englisch<br />
eingeführt.<br />
50 Betriebliche Altersversorgung<br />
Mit guten Angeboten punkten<br />
Bei der staatlich geförderten bAV sind<br />
Arbeitgeber rechtlich zur Informationsund<br />
Angebotspflicht angehalten. Doch mit<br />
intelligenter Planung kann die oft als<br />
anstrengend empfundene Aufgabe echten<br />
Mehrwert bringen.<br />
54 Mitarbeiterbefragung<br />
Gestärkt in den Aufschwung<br />
Trotz Kurzarbeit und Sparmaßnahmen<br />
haben die Hüttenwerke Krupp Mannesmann<br />
in diesem Frühjahr erstmals eine<br />
Mitarbeiterbefragung durchgeführt. Der<br />
Invest hat sich gelohnt.<br />
56 Personalentwicklung<br />
Jetzt erst recht<br />
Im Sommer 2008 schlug bei dem Mittelständler<br />
Dichtungstechnik Wallstabe &<br />
Schneider die Krise zu. Doch das Unternehmen<br />
hat sich nicht beirren lassen. Kurzarbeiter<br />
wurden geschult, unterstützt durch<br />
Fördergelder. Fit für den Aufschwung ist<br />
die Devise.<br />
11|2009 www.personalwirtschaft.de 5
TREFFPUNKT<br />
Zukunft Personal 2009<br />
Gelungenes Jubiläum<br />
Viele waren skeptisch, doch die Rechnung ist offensichtlich<br />
<strong>auf</strong>gegangen: Die von zwei <strong>auf</strong> drei Tage verlängerte Kölner Messe<br />
Zukunft Personal vermeldet im zehnten Jahr ihres Bestehens einen<br />
Besucherrekord. Als ein Highlight der Messe verfolgten zahlreiche<br />
Personaler die Verleihung des Deutschen <strong>Personalwirtschaft</strong>s-Preises.<br />
D<br />
die Jury mit ihren HR-Projekten im besonderen<br />
Maße überzeugen. Aus den Händen<br />
von Jury-Mitglied und Telekom-Personalvorstand<br />
Thomas Sattelberger und dem ehemaligen<br />
Bundeswirtschaftsminister Wolfgang<br />
Clement erhielten die Bertelsmann AG<br />
(Platz 1), Union Investment (Platz 2) und<br />
die Bayer AG (Platz 3) die begehrte Auszeichnung.<br />
Die Bertelsmann AG überzeugte mit ihrem<br />
Konzept zum webbasierten Employer Branding.<br />
„Gerade als Medienunternehmen wollten<br />
wir jungen Talenten zeigen, dass wir im<br />
Umgang mit dem Internet Vorreiter sind“,<br />
sagte Gero Hesse, Senior Vice President<br />
Human Resources bei Bertelsmann. Das sei<br />
mit der im März 2008 gestarteten Initiative<br />
„Create Your Own Career“ gelungen (mehr<br />
dazu ab Seite 30 im Heft).<br />
Platz zwei ging an die Union Investment<br />
Gruppe mit ihrem Konzept zur systematischen<br />
Mitarbeiterbindung. „Hochqualifizierte<br />
Experten zu halten, ist für uns ein ganz<br />
entscheidender Erfolgsfaktor“, erklärte Sonia<br />
Albers, Bereichsleiterin Konzern Personal von<br />
Union Investment. Deshalb hat Union Investment<br />
die motivatorischen Bedürfnisse seiner<br />
Mitarbeiter in einer 360-Grad-Betrachtung<br />
genau unter die Lupe genommen. Die<br />
globale HR-Strategie von Bayer war der Jury<br />
den dritten Platz wert. „Das Projekt Transforming<br />
Human Resources ist das größte<br />
Veränderungsprojekt in der Geschichte der<br />
Bayer AG“, sagte Projektleiter Frank Witasek.<br />
Kernziel war es, die HR-Standardprozesse<br />
mit Hilfe eines Shared Service Cenie<br />
Zahlen sind schnell präsentiert. Gut<br />
500 Aussteller (nahezu unverändert)<br />
konnten mit insgesamt 11 525 Besuchern<br />
(plus 40 Prozent) ins Gespräch beziehungsweise<br />
ins Geschäft kommen. „Wir waren<br />
sehr zufrieden mit dem Ergebnis“, sagte<br />
Konrad Schlebusch, Geschäftsführer des<br />
Softwareanbieters HR4YOU Solutions. Am<br />
zweiten Tag habe das Unternehmen sehr<br />
viele Leads erzielen können, der erste und<br />
der dritte wären dagegen nicht so gut gel<strong>auf</strong>en.<br />
Aber schließlich müsse man auch der<br />
Krise Rechnung tragen.<br />
So dachten wohl viele Anbieter, als sie am letzten<br />
Tag ihr Resümee zogen: zufrieden mit den<br />
Kontakten, aber unschlüssig in der Frage, ob<br />
sich der Aufwand eines dritten Messetages<br />
wirklich lohnt. Den Besuchern, die in<br />
der Regel für einen Tag <strong>auf</strong> die Messe kommen,<br />
konnte diese Frage ziemlich egal sein.<br />
Sie profitierten neben der umfangreichen<br />
Marktpräsenz der Dienstleister rund um die<br />
Themen Personalmanagement und Weiterbildung<br />
vor allem wieder vom sehenswerten<br />
Vortragsprogramm. Gerade hierin liegt<br />
die Stärke der „Zukunft Personal“: Das Angebot<br />
an Keynote-Speakern, Anbietervorträgen<br />
und Podiumsdiskussionen ist mittlerweile<br />
so groß, dass ein Messetag in Köln mit einem<br />
alternativ teuer erk<strong>auf</strong>ten Kongresstag inhaltlich<br />
durchaus konkurrieren kann.<br />
Ein Highlight war die von der ZDF-Nachrichtensprecherin<br />
Kai-Sölve Richter moderierte<br />
Verleihung des 17. Deutschen <strong>Personalwirtschaft</strong>s-Preises.<br />
Von insgesamt 25<br />
Bewerbungen konnten drei Unternehmen<br />
ters, ergänzt um Self Services, effizienter abzuwickeln.<br />
Beide Sieger-Projekte werden in<br />
der nächsten Ausgabe der <strong>Personalwirtschaft</strong><br />
ausführlich dargestellt.<br />
Erstmalig verlieh die Spring-Messe den „HR<br />
Next Generation Award“. Diese Auszeichnung<br />
ging an Katrin Geeb (27), Programmverantwortliche<br />
für HR-Grundsatzprogramme<br />
bei der MVV Energie AG Mannheim.<br />
Die Besucherzahlen zeigen, dass Personaler<br />
auch in Krisenzeiten an innovativen Lösungen<br />
in der Personalarbeit interessiert sind.<br />
Überraschend für die Redaktion: Die von der<br />
„<strong>Personalwirtschaft</strong>“ moderierte Podiumsdiskussion<br />
„Personal normal – was HR außerhalb<br />
von Talent Management leisten muss“<br />
war eine der bestbesuchtesten Veranstaltungen<br />
der Messe. Ein gutes Zeichen dafür, dass<br />
die Personalverantwortlichen bei aller Suche<br />
nach den Besten auch die Bedrüfnisse der Basis<br />
nicht aus dem Blick verlieren. (Sti)<br />
10<br />
11|2009 www.personalwirtschaft.de
FORUM<br />
| Bundestagswahl<br />
Was zu beweisen wäre<br />
Nach dem Sieg der wirtschaftsfreundlichen Koalition hoffen Personalentscheider <strong>auf</strong> weitreichende<br />
Reformen. Konkret erwarten sie freilich wenig. Dabei gibt es viele Baustellen.<br />
D<br />
ie Schlacht ist geschlagen, das Ergebnis<br />
deutlicher als die kühnsten Progtungsträger<br />
zu motivieren und Ballast zu<br />
zialisiert: Nun sei es an der Zeit, „Leisnosen<br />
vorhergesehen hatten. Unter Abstrafung<br />
der SPD ging die von der Wirtschaft le Personalentscheider mehr oder minder<br />
reduzieren“. Damit spricht er aus, was vie-<br />
favorisierte Konstellation aus CDU/CSU offen fordern – endlich den Kündigungsschutz<br />
zu korrigieren.<br />
und FDP als klarer Sieger aus der Wahl hervor.<br />
Werden die von einem vor Selbstbewusstsein<br />
strotzenden Guido Westerwelle Bewegung im Kündigungsschutz<br />
geführten Liberalen, die freilich im Vergleich<br />
zu den abgewählten Genossen ein Wirtschaftsvertreter die stärksten Impul-<br />
Klar ist: Von den Liberalen erwarten die<br />
weit geringeres Gewicht in die Waagschale<br />
legen können, ihr politisches Programm dem Mindestlohn, den die FDP kategorisch<br />
se für eine konjunkturelle Belebung. Neben<br />
durchsetzen können? Steht die deutsche und ihr christlicher Koalitionspartner<br />
Wirtschaft gar vor einer Zeitenwende? Die zumindest in Teilen ablehnen, sowie der<br />
„<strong>Personalwirtschaft</strong>“ fragte bei Personalchefs<br />
und HR-Experten nach, welche Hoff-<br />
<strong>auf</strong> der Streichliste der FDP steht, soll vor<br />
Bundesagentur für Arbeit, die ebenfalls<br />
nungen sie mit der neuen Administration allem der Kündigungsschutz gründlich<br />
verknüpfen. Ist der große Wurf tatsächlich<br />
schon in dieser Legislaturperiode zu lung soll demnach lediglich für Betriebe mit<br />
gelockert werden. Die bestehende Rege-<br />
erwarten?<br />
mehr als 20 Beschäftigten und erst nach<br />
Der Frankfurter Headhunter Christian einer Betriebszugehörigkeit von zwei Jahren<br />
greifen.<br />
Schreiter spricht gewiss vielen Personalexperten<br />
aus der Seele. Er hält die neue Mehr Flexibilität, weniger Regulierung –<br />
Koalition für die „beste Voraussetzung für solche Rahmenbedingungen sollte die neue<br />
eine strukturelle Verbesserung in der Wirtschaft“.<br />
Konkret erhofft sich der Personal-<br />
Christian Scholz zufolge schaffen, der sich<br />
Regierung auch dem Saarbrücker Professor<br />
berater, der im Frankfurter Finanzumfeld „mehr Wahlfreiheit <strong>auf</strong> dem Arbeitsmarkt“<br />
zu Hause ist, dass die Branche den Turnaround<br />
einläutet und somit auch die Nach-<br />
lange Unternehmen Mitarbeiter befristet<br />
wünscht. Dazu gehört etwa die Frage, wie<br />
frage nach Führungskräften kräftig ankurbelt.<br />
Konkreter wird Ralf Breitenfeldt, er von zwei Jahren nicht überschritten wird,<br />
einstellen können. Solange die Gesamtdau-<br />
Geschäftsführer der Personalberatung konnte ein solches Arbeitsverhältnis bislang<br />
bis zu drei Mal verlängert werden. Eini-<br />
Apentia in München, die sich <strong>auf</strong> Fachund<br />
Führungskräfte im SAP-Umfeld spe-<br />
„<br />
ge Verbände sowie die FDP und Teile der<br />
CDU/CSU wollen diese Frist mit dem Argument<br />
verlängern, in der Krise würde ein<br />
Arbeitgeber kaum einen Mitarbeiter fest<br />
übernehmen. Ein Optionsmodell bringt der<br />
Arbeitgeberverband BDA ins Spiel. Nach<br />
diesem von der FDP gestützten Entwurf hat<br />
ein Mitarbeiter bei Abschluss eines Arbeitsvertrags<br />
die Wahl, <strong>auf</strong> den Kündigungsschutz<br />
zu beharren oder bei einer betriebsbedingten<br />
Kündigung eine Abfindung oder<br />
eine vom Arbeitgeber finanzierte Weiterbildung<br />
zu erhalten.<br />
Für derartige Neuerungen plädiert auch der<br />
HR-Branchenverband DGFP. Er erwartet,<br />
dass die künftige Bundesregierung die<br />
Rahmenbedingungen für ein nachhaltiges<br />
Personalmanagement etwa durch „Ausbau<br />
flexibler Beschäftigungsmöglichkeiten“<br />
verbessert, so Verbandschef Professor<br />
Gerold Frick. „Dabei sollte die branchenund<br />
unternehmensspezifische Ausgestaltung<br />
der Personalarbeit den Unternehmen<br />
und ihren Tarif- und Sozialpartnern überlassen<br />
bleiben.“ Ins gleiche Horn stößt<br />
die HR Alliance. Wie ihr Sprecher Oliver<br />
Maassen, Head of HR Corporate Banking<br />
bei der Unicredit Group, zu Protokoll gibt,<br />
stehe mehr Flexibilität „keineswegs im<br />
Widerspruch zum Sozialstaat“.<br />
Keine französischen Verhältnissse<br />
Karl-Heinz Stroh, Personalvorstand der<br />
Baumarktkette Praktiker, geht es schlicht<br />
um die Frage, „wie wir in unserem Land<br />
„Mehr Flexibilität steht keineswegs im Widerspruch<br />
zum Sozialstaat.”<br />
Oliver Maassen, Head of HR Corporate Banking bei der Unicredit Group<br />
11|2009 www.personalwirtschaft.de 11
FORUM<br />
Bundestagswahl<br />
„<br />
„Wir müssen das Potenzial in allen Schichten mobilisieren, nicht nur<br />
dort, wo gutbetuchte Eltern ihren Kindern viel bieten können.”<br />
Dieter Schoon, Head of HR der Itelligence AG<br />
Beschäftigung besser halten und leichter<br />
schaffen können“. Er sieht daher einen<br />
akuten arbeitsmarktpolitischen Handlungsbedarf:<br />
Unternehmen sollten mehr<br />
Spielraum „über den gesetzlichen Status<br />
quo hinaus“ erhalten, sonst würden ausl<strong>auf</strong>ende<br />
befristete Verträge „eher zur<br />
Beendigung der Beschäftigung führen“.<br />
Einen strukturellen Anpassungsbedarf<br />
erkennt Stroh hingegen im Streikrecht.<br />
Jüngst hatte das Bundesarbeitsgericht<br />
sogenannte Flash-Mobs als Druckmittel<br />
in Arbeitskämpfen gebilligt. Aktivisten,<br />
die sich im Internet verabredeten, hatten<br />
dabei gezielt Einzelhandelsfilialen lahmgelegt.<br />
Sie ließen vor Waren überquellende<br />
Eink<strong>auf</strong>swagen einfach in den Geschäften<br />
stehen oder verstopften die Kassen mit<br />
Billigstartikeln, die sie aber unter Hinweis<br />
<strong>auf</strong> den vergessenen Geldbeutel nicht<br />
bezahlten. Stroh will diesem Treiben Einhalt<br />
gebieten: „Wir brauchen verlässliche<br />
Regeln, wann und wofür gestreikt werden<br />
darf – und mit welchen Mitteln.“<br />
Freilich bewegt der Themenkomplex aus<br />
Beschäftigungsfragen bis hin zur Betriebsverfassung<br />
anscheinend weniger die<br />
Gemüter als angenommen. Womöglich<br />
ist dies auch – von wenigen Ausnahmen<br />
abgesehen – <strong>auf</strong> das gute Miteinander<br />
zwischen Unternehmensleitung und<br />
Arbeitnehmervertretern <strong>auf</strong> Betriebsebene<br />
zurückzuführen. Französische Verhältnisse,<br />
wo ausgebeutete Mitarbeiter<br />
Suizid begehen oder ihre Vorgesetzten in<br />
Geiselhaft nehmen, sind in Deutschland<br />
undenkbar.<br />
Masterplan für Bildung<br />
Überraschend ist, dass Personalverantwortliche<br />
nach der Bundestagswahl viele Hoffnungen<br />
mit der Bildungspolitik verknüpfen.<br />
„Bildung“, sagt HR-Alliance-Sprecher<br />
Maassen, sei ein ganz wichtiges Thema,<br />
„das beherzt angepackt werden muss.“ Jürgen<br />
Seifert, Personalchef von TNT Express<br />
in Troisdorf, erhofft sich, dass in Bildung<br />
investiert werde, „damit junge Menschen<br />
deutlich qualifizierter ihren Weg in den<br />
beruflichen Alltag finden“. DGFP-Chef<br />
Frick regt sogar einen „Masterplan“ über<br />
Bildungsinvestitionen an.<br />
Dafür sind die HR-Experten sogar zu<br />
einem Paradigmenwechsel bereit: Statt<br />
ihr Augenmerk wie bisher nur <strong>auf</strong> Talente<br />
und High Potentials zu richten, wollen<br />
sie nun ihr Wort für die unteren Bildungsschichten<br />
einlegen. Mehr Chancengleichheit<br />
fordert etwa Dieter Schoon, Personalchef<br />
des IT-Dienstleisters Itelligence in<br />
Bielefeld. „Wir müssen das Potenzial in<br />
allen Schichten mobilisieren, nicht nur dort,<br />
wo gutbetuchte Eltern ihren Kindern viel<br />
bieten können.“ Maassen legt noch eine<br />
Schippe dr<strong>auf</strong>: „Wenn wir nicht auch den<br />
Menschen mit Migrationshintergrund<br />
wesentlich bessere Chancen eröffnen, stehen<br />
wir als ressourcenarmes Land künftig<br />
vor größten Problemen.“<br />
Ob diese Forderung nur ein frommer<br />
Wunsch bleibt, steht dahin. Bislang scheiterten<br />
Versuche, Einwanderung zu erleichtern<br />
und benachteiligte Schichten an Bildung<br />
heranzuführen, vor allem an den Konservativen.<br />
Beharrlich weigern sie sich seit<br />
Jahren, die längst überfällige Anpassung<br />
an internationale Standards, wie sie etwa<br />
jährlich von der OECD und anderen Organisationen<br />
angemahnt werden, <strong>auf</strong> den<br />
Weg zu bringen.<br />
Pro Einwanderung<br />
Das bringt viele Personalverantwortliche,<br />
die angesichts des zunehmenden Fachkräftemangels<br />
und der schleichenden Alterung<br />
ihrer<br />
„<br />
Belegschaften rund um den Globus<br />
nach Arbeitskräften fahnden müssen,<br />
schier <strong>auf</strong> die Palme. Erstens, so ihr Forderungskatalog,<br />
müsste endlich das dreigliedrige<br />
Schulsystem überwunden werden.<br />
„Nirgendwo in Europa“, fasst etwa<br />
Maassen die Kritik seiner Gefolgsleute<br />
zusammen, gebe es noch ein solch starres<br />
System, das Bildung „eher verhindert<br />
als fördert“.<br />
Zweitens kommt das Hickhack um die<br />
Einwanderung hinzu, von Unionsmitgliedern<br />
hartnäckig bekämpft, als ginge es<br />
um den Leibhaftigen persönlich. Hier<br />
müsse Deutschland viel offener werden,<br />
insistieren Personaler. Allein in Europa<br />
gebe es ein großes Reservoir an qualifizierten<br />
Arbeitskräften, freilich werde zu<br />
wenig getan, um für sie attraktiv zu sein.<br />
Eine „Interim-Greencard“ fordert etwa<br />
die DGFP bei kurzfristigen Einsätzen von<br />
internationalem Fachpersonal. „Bürokratische<br />
Hürden sollten weiter reduziert<br />
und genehmigungspflichtige Sachverhalte<br />
beschleunigt werden“, mahnt Frick. In<br />
der Diskussion, wie man erreichen könnte,<br />
dass Menschen tatsächlich Interesse<br />
daran haben, hierher zu kommen, entwickelt<br />
Maassen einen spannenden Ansatz:<br />
„Was wir als Employer Branding <strong>auf</strong> Firmenebene<br />
betreiben, brauchen wir auch<br />
<strong>auf</strong> Staatsebene, ein Germany Branding.“<br />
Bildungspolitischen Zündstoff birgt neben<br />
Immigration und Chancengleichheit als<br />
drittes die verkürzte Hochschulbildung,<br />
die mit dem Stichwort „Bologna“ verknüpft<br />
ist. Kritiker warnen bereits vor<br />
der Aufgabe einstiger Ideale. Statt jungen<br />
Menschen die Chance zu eröffnen, sich<br />
theoretisch fundiert mit grundsätzlichen<br />
Fragen zu befassen, würden sie nicht sel-<br />
„Ich erwarte, dass die künftige Bundesregierung<br />
die Rahmenbedingungen für nachhaltiges<br />
Personalmanagement verbessert.“<br />
Prof. Gerold Frick, Geschäftsführer der DGFP<br />
12<br />
11|2009 www.personalwirtschaft.de
„<br />
„Es geht um die Frage, wie wir in<br />
unserem Land Beschäftigung besser halten<br />
und leichter schaffen können.”<br />
Karl-Heinz Stroh, Personalvorstand Praktiker Bau- und Heimwerkermärkte AG<br />
ten durch spezielle, schnell aus dem Boden<br />
gestampfte Lehrgänge „gejagt“, die vielfach<br />
lediglich „Nischen ins Nichts“ seien.<br />
Gingen Akademiker einst als Generalisten<br />
<strong>auf</strong> Stellensuche, gerieten sie heute<br />
als Fachidioten schnell ins Abseits, heißt<br />
es.<br />
Bologna: Eine Self fulfilling<br />
prophecy?<br />
Die Bologna-Diskussion hat die HR-Szene<br />
längst ergriffen. Schoon, Lehrbe<strong>auf</strong>tragter<br />
an der Universität Bamberg, berichtet<br />
aus eigener Anschauung, wie sich das<br />
neue System unmittelbar <strong>auf</strong> die Interessen<br />
der Studenten auswirkt. „Sie kommen<br />
nicht zu mir, weil sie ein Problem<br />
lösen wollen, sondern weil sie Credit<br />
Points benötigen.“ Für Schoon hat Bildung<br />
nichts mit Hast, sondern in erster<br />
Linie mit Gründlichkeit zu tun. Und daran<br />
mangele es den Bewerbern. Zwar seien<br />
sie gewöhnt, neue Lerninhalte fix <strong>auf</strong>zunehmen.<br />
„Dafür müssen wir vieles durch<br />
erfahrene Mitarbeiter kompensieren“,<br />
ärgert sich der Itelligence-Personalchef.<br />
Rückendeckung erhält Schoon durch Professor<br />
Scholz. „Wir brauchen rasch eine<br />
Reform der sogenannten Bologna-Reform,<br />
und zwar im Interesse der Unternehmen<br />
und der Studierenden.“ Andere Personalmanager<br />
sind gegenteiliger Meinung.<br />
Einer sagt, viele von denen, die heute<br />
Bologna kritisierten, hätten vorher gemeckert,<br />
dass die Ausbildung zu lang dauere.<br />
Dabei seien sie selbst nicht in der Lage,<br />
ihre eigenen Personalsysteme anzupassen.<br />
„Natürlich braucht man ein neues Entwicklungsprogramm<br />
für Bachelor-Absolventen.<br />
Aber das haben viele HR-Abteilungen<br />
nicht verstanden.“<br />
Ziehen wir ein Fazit: Personalverantwortliche<br />
erhoffen sich erhebliche Entlastung<br />
für ihre Arbeit etwa durch flexiblere Regelungen<br />
im Arbeitsrecht, die von einem weit-<br />
reichenden Abbau bürokratischer Verfahren<br />
begleitet werden sollten. Doch die<br />
Erwartungen, was von der neuen Regierung<br />
tatsächlich geleistet wird, fallen recht<br />
bescheiden aus. Mit realen Auswirkungen<br />
<strong>auf</strong> Bürokratie, Arbeitsrecht oder Betriebsverfassungsrecht<br />
rechnet zum Beispiel<br />
Michael Ecker, Personalleiter von Dorma<br />
in Ennepetal, vorläufig nicht. Mit Spannung<br />
erwartet er indes die nächsten Tarifrunden,<br />
mit einer „lebhaften Gerechtigkeits-Diskussion“<br />
über die befürchtete Einkommensverteilung<br />
von oben nach unten,<br />
die Abschaffung der Rente mit 67 oder über<br />
die Ausweitung von Altersteilzeit.<br />
Ganz andere Gedanken macht sich hingegen<br />
Diana Eid, Leiterin Recruiting bei Bain<br />
& Company in München. Sie verbindet<br />
mit dem Politikwechsel ein hohes Risiko.<br />
Konkret befürchtet sie, dass „das Individuum<br />
seine Pflichten als Mensch in Bezug<br />
<strong>auf</strong> die Gemeinschaft vergisst, rücksichtslos<br />
handelt und Regelwerke missbraucht“.<br />
In einem globalen Zeitalter, in dem Beliebigkeit<br />
herrsche und das individuelle Fortkommen<br />
für viele wichtiger sei als die<br />
Gemeinschaft, „täten wir gut daran, Grundregeln<br />
des menschlichen Miteinanders<br />
wiederzubeleben, um jungen Menschen<br />
Vorbild zu sein, das ihnen Orientierung<br />
und Halt gibt. Nur so können sie verstehen,<br />
was Humanität bedeutet und was<br />
dies an Pflichten mit sich bringt.“<br />
Winfried Gertz, freier Journalist, München<br />
11|2009 www.personalwirtschaft.de 13
Trends aus Asien<br />
Anpassung Fehlanzeige?<br />
„Wann werden die endlich so wie wir?“, so stöhnen deutsche Personalchefs oft, wenn<br />
sie von Mitarbeitern in Asien sprechen. „Die werden sich doch noch an uns anpassen?!“<br />
So höre ich bei interkulturellen Seminaren über Kollegen in Asien. Ist das so?<br />
Autorin<br />
Brigitte Granier, M.A.<br />
Unternehmensberaterin für<br />
Asien als Geschäftsführerin<br />
von IS C&C, International<br />
Service Coach & Consulting,<br />
Erlangen, Fachfrau für<br />
Internationalen Handel,<br />
b.granier@arcor.de<br />
J<br />
apaner haben seit dem<br />
19. Jahrhundert viel von<br />
Deutschland gelernt in Medizin,<br />
Jura und Naturwissenschaften.<br />
Trotzdem erscheint<br />
uns Japan oft fremd, genauso<br />
wie die Reaktionen japanischer<br />
Mitarbeiter vor Ort. In<br />
Deutschland passen sie sich oft sehr<br />
an, aber zurück in Japan werden sie wieder<br />
„ganz anders“, staunen ihre deutschen Kollegen.<br />
Inder kennen immer noch das alte Lied: „Meine<br />
Schuhe sind japanisch, meine Hose ist englisch,<br />
meine rote Mütze ist russisch, aber mein<br />
Herz schlägt indisch.“ China als Gastgeber der<br />
Olympischen Spiele 2008 beschränkte den<br />
Zugang der angereisten Journalisten zu aktuellen<br />
Berichten und zum Internet. Schon vorher<br />
hatten chinesische Sicherheitskräfte einige Träger<br />
der olympischen Fackel in Großbritannien<br />
und Frankreich tätlich verletzt. Aber kaum ein<br />
westlicher Politiker kritisierte dies. Wer hat sich<br />
hier wem angepasst?<br />
Interkultureller Austausch oft oberflächlich<br />
Freilich läuft ein interkultureller Austausch weltweit.<br />
In Deutschland sind Bollywood-Filme derzeit<br />
„in“, Yoga kennen wir schon lange, Ayurveda<br />
inzwischen auch. Ostasiens Kampfsportarten<br />
erfreuen sich großer Beliebtheit, jeder hat schon<br />
gehört von japanischer Teezeremonie, Geishas,<br />
Zen …. Aber das sind nur pittoreske Schlaglichter<br />
im deutschen Bewusstsein, Spitzen eines Eisbergs.<br />
Die zugrunde liegende Mentalität, „den ganzen<br />
Eisberg“, sieht man nicht. So wundern sich<br />
Personalchefs in asiatischen Ländern oft über<br />
Schwierigkeiten mit ihren, meist lächelnden,<br />
Mitarbeitern.<br />
Ändert sich das durch noch mehr Kulturaustausch<br />
oder durch Teamarbeit von Angehörigen<br />
verschiedener Kulturen? Oft scheinen die Schwierigkeiten<br />
eher größer zu werden, je länger westlich-asiatisch<br />
gemischte Teams zusammenarbei-<br />
ten. Zwar lernen Asiaten<br />
unsere Tischsitten und<br />
Benimmregeln in Kursen<br />
oder aus Büchern. Also spucken<br />
Chinesen nicht mehr<br />
<strong>auf</strong> den Boden oder werfen<br />
Teller im Restaurant hinter<br />
sich, Inder essen mit Besteck<br />
statt mit der rechten Hand. Chinesen<br />
lernten nach 1978 sehr schnell wieder<br />
k<strong>auf</strong>männische Regeln und das westliche Wirtschaftssystem.<br />
Was Asiaten auch gerne lernen<br />
ist unser Know-how. Aber das bedeutet nicht,<br />
dass ihre Wertvorstellungen und inneren Konzepte<br />
sich unseren angleichen. Warum sollten sie<br />
auch?<br />
Das wird spannend<br />
China und Indien berauschten sich an ihren<br />
Wirtschaftserfolgen bis zur Weltfinanzkrise.<br />
Nach einer kurzen Irritation fassen sie nun schon<br />
wieder Selbstvertrauen, weil die Wirtschaftsdaten<br />
<strong>auf</strong>wärts zeigen. China besitzt die größten<br />
Devisenreserven der Welt. Die Volksrepublik<br />
verfügt über die größten Vorkommen wichtiger<br />
Rohstoffe, sogenannter „Metalle seltener Erden“.<br />
Diese benötigen Hersteller neuer Technologien<br />
für die Produktion leistungsfähiger Magnete und<br />
Batterien für Windturbinen und Elektromotoren,<br />
außerdem für Handys, tragbare Festplatten,<br />
Kopfhörer, Bildschirme, Monitore, Laser,<br />
Leuchtstoffröhren und eine neue Generation von<br />
Supraleitern. Die Volksrepublik will den Export<br />
dieser seltenen Erden beschränken oder unterbinden!<br />
Das verschafft ihr einen Technologievorteil<br />
und behindert die Innovation deutscher<br />
Unternehmen.<br />
Chinesische Mitarbeiter und Kollegen wissen<br />
das. Sie sehen sich wirtschaftlich und technologisch<br />
<strong>auf</strong> der Überholspur. Warum sollen sie sich<br />
uns anpassen? Da bleibt nur der Aufbau verlässlicher<br />
persönlicher Beziehungen und gegenseitige<br />
Achtung und Rücksichtnahme.<br />
16<br />
11|2009 www.personalwirtschaft.de
TITEL<br />
Fach- oder Führungsl<strong>auf</strong>bahn<br />
Stars <strong>auf</strong> der Reservebank<br />
Die Lean Management-Welle der 90er Jahre hat das Ufer erreicht: Immer mehr Chefsessel wandern<br />
<strong>auf</strong> den Sperrmüll. Je schlanker sich die Firmen <strong>auf</strong>stellen, desto enger wird der Kaminzug nach oben.<br />
Nach wie vor gilt die Führungskarriere als Nonplusultra des beruflichen Erfolgs, die Fachl<strong>auf</strong>bahn hingegen<br />
als „second best“. Eine Bestands<strong>auf</strong>nahme.<br />
18<br />
11|2009 www.personalwirtschaft.de
„Tendenziell sind hierarchische Denkmuster vorherrschend: Es wird angestrebt,<br />
<strong>auf</strong> der Führungsleiter möglichst weit nach oben zu gelangen.“<br />
Andreas Tenkmann, Aramark<br />
T<br />
reffen sich zwei Kollegen im Aufzug.<br />
„Lange nicht gesehen“, hebt der<br />
eine an, „was machst Du denn gerade?“<br />
„Ich bin jetzt Regionalexperte“, antwortet<br />
der andere. Wor<strong>auf</strong> der erste mit<br />
sichtlicher Betroffenheit reagiert:<br />
„Ach – Du hast keine Leute mehr?!“<br />
Marc Naumann weiß manche solcher<br />
Anekdoten zu erzählen, <strong>auf</strong>geschnappt<br />
oder erfunden, jedenfalls hart an der<br />
Wirklichkeit. Rangieren die Spezialisten<br />
im Ansehen tatsächlich unterhalb<br />
der Personal führenden Kollegen? „Bei<br />
den Mitarbeitern schon“, glaubt der Leiter<br />
internes Talent Management bei ABB<br />
in Mannheim, „man wird an der Größe<br />
des Dienstwagens und des Gehalts<br />
gemessen. Das ist eine Statusfrage.“<br />
Aus diesem Satz leitet sich eine Riesenherausforderung<br />
für viele Personaler<br />
ab. Was machen sie, die sich gerne wohlwollend<br />
geben, wenn sie kaum mehr<br />
anderes zu verteilen haben als den Mangel?<br />
Den Mangel an Führungspositionen<br />
beispielsweise. Von den Geschäftsleitungen<br />
oft sehr bewusst herbeigeführt,<br />
um den betriebswirtschaftlichen Erfolgsbeitrag<br />
jedes einzelnen Arbeitsplatzes<br />
zu maximieren, gilt die Führungskarriere<br />
für die meisten Mitarbeiter noch<br />
immer als die Krönung des Erfolgs. Welche<br />
<strong>Karriere</strong>modelle stellt man ersatzweise<br />
dem eifrig mit dem Finger schnippsenden<br />
Jungingenieur, dem mit den<br />
Hufen scharrenden Einkäufer und der<br />
ehrgeizigen Kollegin im Export in Aussicht?<br />
Wenn das, was sie eigentlich<br />
haben wollen, nur noch selten im Angebot<br />
ist?<br />
Bei ABB Deutschland tragen die alternativen<br />
<strong>Karriere</strong>modelle den schönen<br />
Namen „Bluefish“. Das Unternehmen<br />
implementiert just in diesem Herbst ein<br />
erweitertes Fachl<strong>auf</strong>bahnmodell in<br />
Deutschland. „Mit den ersten Funktionen<br />
haben wir bereits 1996/97 begonnen“,<br />
schildert Marc Naumann, jedes Jahr<br />
kommen neue dazu. „Wir beginnen mit<br />
einer Performance- und Potenzialeinschätzung<br />
durch die Führungskraft, die<br />
anschließend durch die nächste Ebene<br />
evaluiert wird. Darüber sprechen wir<br />
dann mit dem Mitarbeiter.“ Die Fachl<strong>auf</strong>bahn<br />
umfasst beispielsweise die Stufen<br />
Fachassistent, Junior Expert, Senior<br />
Expert. „Die höchste Stufe der Fachl<strong>auf</strong>bahn<br />
– der Principal Expert – ist <strong>auf</strong> der<br />
Führungsl<strong>auf</strong>bahn vergleichbar der Ebene<br />
Senior Manager“, erklärt der Talent<br />
Manager. Das klingt gut – aber ist es in<br />
den Augen der Kollegen auch gleich viel<br />
wert? „Wir setzen bei den Führungskräften<br />
an“, sagt Naumann, „die müssen<br />
dafür werben.“ Ein Mercedes–Fahrer<br />
soll jemandem, der auch gern Mercedes<br />
fahren möchte, einen Fiat verk<strong>auf</strong>en?<br />
Naumann lacht: „Daran arbeiten<br />
wir seit Jahren. Es ist nicht so, dass die<br />
Mitarbeiter gejubelt haben: ‚Wow, toll,<br />
endlich gibt es eine Fachl<strong>auf</strong>bahn.‘ Aber<br />
es war dringend notwendig. Seitdem<br />
wir ‚Bluefish‘ mit konkreten Positionen<br />
unterlegen können, kommt das bei den<br />
Mitarbeitern gut an.“<br />
Weniger Leitungsstellen<br />
Das Unternehmen hat eine Schlankheitskur<br />
hinter sich: Nur zehn bis elf Prozent<br />
der Beschäftigten bei ABB haben<br />
noch eine Führungsposition inne. Künftig<br />
seien „15, maximal 20 Prozent Führungsanwärter<br />
genug“, meint Naumann.<br />
Mehr dürften es nicht werden: „Sonst<br />
demotiviere ich die Leute, weil ich nicht<br />
genug Leitungsstellen habe.“ Mit der<br />
Fachl<strong>auf</strong>bahn wurde ein Parallelkamin<br />
eingezogen, <strong>auf</strong> dem man auch nach<br />
oben gelangen kann. Sein konstituierendes<br />
Merkmal ist nicht die Zahl der<br />
geführten Mitarbeiter, sondern das Spezialwissen<br />
der Funktionsträger.<br />
In der Wertigkeit jedoch klaffe noch<br />
immer eine Lücke zwischen den Aussagen:<br />
„Ich habe viele Mitarbeiter“ und „Ich<br />
weiß viel“. „Oft hört man vom Nachwuchs<br />
als erstes: ‚Ich will in die Führung<br />
gehen‘.“ Aber dann müsse man<br />
nachbohren, so Naumann: „Ist das die<br />
tatsächliche Motivation? Möchte der Mitarbeiter<br />
nicht eher sein Wissen vertiefen,<br />
als sich in der Führungs<strong>auf</strong>gabe<br />
mit Konfliktgesprächen herumzuschlagen?<br />
Das muss der Vorgesetzte mit dem<br />
Mitarbeiter diskutieren.“ Das Talent<br />
Management gibt dabei Hilfestellung. Im<br />
Herbst führen die ABB-Personaler vor<br />
Ort drei Dutzend Führungskräfteschulungen<br />
durch: „Wir erläutern das Grundsatzmodell<br />
und erklären, wie sie es am<br />
besten mit den Mitarbeitern besprechen,<br />
<strong>auf</strong> welche Fragen sie vorbereitet<br />
sein sollen und welche Antworten wir<br />
dar<strong>auf</strong> haben.“ Blitzartigen Erfolg wird<br />
die Werbekampagne für die Fachl<strong>auf</strong>bahn<br />
nicht haben. „Das geht nicht von heute<br />
<strong>auf</strong> morgen“, ist sich Naumann sicher.<br />
Immerhin dürften sich einige mehr für<br />
die Fachkarriere gewinnen lassen. „Früher<br />
wurde der Wunsch nach einer Führungskarriere<br />
viel öfter geäußert als<br />
heute.“<br />
Die sich ändernden Präferenzen der jungen<br />
Generation lassen Andreas Tenk-<br />
„Das Investment seitens des Unternehmens in die<br />
Führungsl<strong>auf</strong>bahn ist deutlich größer.“<br />
Tina Goddard, Microsoft<br />
11|2009 www.personalwirtschaft.de 19
TITEL<br />
yxyxyxyx Fach- oder Führungsl<strong>auf</strong>bahn<br />
„Hinsichtlich Compensation & Benefits sind die Levels unserer<br />
Fach- und der Führungsl<strong>auf</strong>bahn absolut gleichgestellt.“<br />
Peter Körner, Deutsche Telekom<br />
mann, HR Direktor beim Cateringunternehmen<br />
Aramark in Neu-Isenburg<br />
hoffen. Denn auch er braucht neben<br />
teamleitenden Küchenchefs mehr und<br />
mehr Spezialisten für Sonder<strong>auf</strong>gaben,<br />
zum Beispiel Spitzenköche für Vorstandscasinos,<br />
die ihre Motivation nicht aus<br />
dem Headcount ableiten. Einfach sei es<br />
nicht, begabte Kräfte in die Fachl<strong>auf</strong>bahn<br />
zu bugsieren. „Insbesondere Hochschulabsolventen<br />
bevorzugen eher eine Führungskarriere,<br />
was sicherlich durch den<br />
Einfluss von Eltern, Schule und Gesellschaft<br />
begründet ist“, sagt Tenkmann.<br />
„Tendenziell sind hierarchische Denkmuster<br />
vorherrschend: Es wird angestrebt,<br />
<strong>auf</strong> der Führungsleiter möglichst<br />
weit nach oben zu gelangen.“ Allerdings<br />
ändere sich diese Einstellung. „Wenn<br />
sich die Angehörigen der Generation Y<br />
durch gute Fachkarrieren profilieren,<br />
wird sich auch das Image der Fachkarriere<br />
verbessern.“ Noch freilich genieße<br />
die Führungsl<strong>auf</strong>bahn intern das bessere<br />
Ansehen. Hauptgrund: „Wer Führungsverantwortung<br />
übernimmt, verdient<br />
in der Regel mehr“, gibt Tenkmann<br />
zu. „Meistens können mit Hilfe der Mitarbeiter<br />
umfangreichere Prozesse gesteuert<br />
und damit eine höhere Wertschöpfung<br />
generiert werden.“<br />
Fehlende Akzeptanz<br />
Auch bei Microsoft in München führt die<br />
<strong>Karriere</strong> nach wie vor über die Führungsl<strong>auf</strong>bahn<br />
– denken die Mitarbeiter.<br />
„Im Arbeitsleben definiert man sich<br />
über Hierarchielevel und die Zahl der<br />
geführten Mitarbeiter und Größe des<br />
Budgets – dies gilt meines Erachtens<br />
insbesondere für Männer“, sagt Tina<br />
Goddard, Personalentwicklerin bei<br />
Microsoft in München. Doch obgleich die<br />
Fachl<strong>auf</strong>bahn etabliert und, gleichsam<br />
als dritte Säule, mit der virtuellen Führung<br />
ohne disziplinarische Verantwortung<br />
ergänzt worden ist, lebt der kleine<br />
Unterschied auch <strong>auf</strong> den höheren<br />
Ebenen fort: „Das Investment seitens<br />
des Unternehmens in die Führungsl<strong>auf</strong>bahn<br />
ist deutlich größer.“<br />
Dabei ist sich die Fachwelt längst einig:<br />
Um die Wertigkeit der Fachl<strong>auf</strong>bahn zu<br />
steigern, sind Einkommens- und Statusunterschiede<br />
zwischen Führungsund<br />
Expertenposition reines Gift. „Hinsichtlich<br />
Compensation & Benefits sind<br />
die Levels unserer Fach- und der Führungsl<strong>auf</strong>bahn<br />
absolut gleichgestellt“,<br />
versichert Peter Körner, Senior Vice President<br />
HR Development bei der Deutschen<br />
Telekom. Seit 2008 gibt es bei<br />
der Deutschen Telekom eine europaweit<br />
einheitliche Expertenl<strong>auf</strong>bahn. Pilotiert<br />
wurde das Programm „Go Ahead“ europaweit<br />
bei T-Mobile im Bereich Technology.<br />
Die notwendige Bedingung:<br />
„Erfolgskritische Fach-Expertise im Konzern<br />
zu entwickeln, um Wettbewerbsvorteile<br />
im Umfeld eines immer dynamischeren<br />
technologischen Fortschritts<br />
weiter auszubauen“, sagt Körner. Die<br />
hinreichende: „Entscheidend bei der<br />
Einführung einer Fachkarriere ist es,<br />
Wertunterschiede zu anderen L<strong>auf</strong>bahnen<br />
zu vermeiden. Das ist erreicht, wenn<br />
Mitarbeiter allein <strong>auf</strong>grund ihres Talents<br />
und ihrer Neigungen frei entscheiden,<br />
ob sie Manager oder Experte sein wollen.“<br />
Nach diesen Vorgaben hat das Unternehmen<br />
binnen eines Jahres eine einheitliche<br />
L<strong>auf</strong>bahn für Fachkräfte geschaffen,<br />
die Vielfalt unterschiedlicher Ausprägungen<br />
und Anforderungen im<br />
Bereich Technology durch insgesamt 15<br />
sogenannte Job Cluster abgelöst und die<br />
landeseigenen Bewertungssysteme in<br />
ein übergreifendes Modell eingeordnet.<br />
Dabei fragten sich Körner und sein Team<br />
vor allem: „Wo will das Business in den<br />
nächsten drei Jahren hin? Welche Skills<br />
werden benötigt? Was bedeutet dies für<br />
die Weiterbildungsbudgets? Was müssen<br />
wir in Qualifizierung investieren, und<br />
was haben wir davon in Zukunft?“ Und<br />
was haben die Mitarbeiter davon? Körner:<br />
„Fortkommen wird heute durch die<br />
Wertbeiträge bestimmt. Diese lassen<br />
sich bei Fachkräften in der Regel gut feststellen.<br />
Wenn Experten aus Technik und<br />
Marketing es schaffen, dass wir ein neues<br />
wichtiges Produkt im Rahmen ehrgeiziger<br />
Meilensteine vermarktungsfähig<br />
machen oder im Vertrieb ein Big<br />
Deal-Manager maßgeblich zu einem<br />
umfassenden Vertrag mit einem Großkunden<br />
beiträgt – dann sind das die<br />
Fahrkarten.“<br />
Image verändern<br />
Allerdings müsse man weiter daran<br />
arbeiten, die Reputation der Expertenl<strong>auf</strong>bahn<br />
gegenüber der Führungsl<strong>auf</strong>bahn<br />
<strong>auf</strong>zuwerten. „Der bisherige Trend,<br />
dass die besten Fachkräfte in die Führungsl<strong>auf</strong>bahn<br />
wechseln, nur weil das<br />
mit einem besseren Image verbunden<br />
ist, muss umgedreht werden“, verlangt<br />
Körner. „Für ein Unternehmen, das den<br />
Anspruch hat, auch technologisch Entwicklungen<br />
zu prägen, ist es erfolgsrelevant,<br />
wenn mehr der besten Experten<br />
lange Experten bleiben und so mit ihrer<br />
breiten Kompetenz und Erfahrung Dinge<br />
schnell vorantreiben können.“<br />
Wie Körner sieht auch Christoph Beck<br />
von der University of Applied Sciences<br />
in Koblenz die Fachl<strong>auf</strong>bahn paritätisch<br />
zur Führungsl<strong>auf</strong>bahn. „Aber die Mitarbeiter<br />
sehen das nicht so“, weiß der<br />
Professor. „Dafür müssen die beiden<br />
L<strong>auf</strong>bahnen nachhaltig parallel geschaltet<br />
sein, sowohl beim Gehalt und den<br />
Nebenleistungen wie auch im internen<br />
Ansehen. Wenn das nicht der Fall ist,<br />
wird die Fachl<strong>auf</strong>bahn nicht als gleichwertig<br />
angesehen.“<br />
20<br />
11|2009 www.personalwirtschaft.de
„Die Fachl<strong>auf</strong>bahn ist ein Placebo für Mitarbeiter, die<br />
keine richtige <strong>Karriere</strong> machen können oder dürfen.“<br />
Professor Christian Scholz, Universität Saarbrücken<br />
Wie schwierig es in der Praxis ist, eine<br />
akzeptierte Fachl<strong>auf</strong>bahn einzuführen,<br />
hat Oliver Sehorsch, Senior HR Manager<br />
Strategy/Change bei der Celesio AG<br />
in Stuttgart, in seiner vorangegangenen<br />
Station bei der Viktoria-Versicherung<br />
erlebt. „Das Thema wirft Konflikte<br />
<strong>auf</strong>“, hat Sehorsch noch gut in Erinnerung,<br />
„die Firmen tun sich schwer, die<br />
Spezialisten <strong>auf</strong> dieselbe Stufe zu stellen<br />
wie ihre Führungskräfte. Wenn die<br />
Unternehmen aber doch daran gehen,<br />
dann fangen sie oft gleich an, eine Riesenkarrierel<strong>auf</strong>bahn<br />
für Spezialisten<br />
<strong>auf</strong>zustellen.“ Das sei aber gar nicht<br />
nötig. „Die Top-Spezialisten sind die<br />
Leuchttürme eines Unternehmens. Es<br />
genügt im Grunde, diese Top-Spezialisten<br />
herauszufiltern und sie als Fachexperten<br />
in dieser Schlüsselposition zu<br />
benennen. Die Fachl<strong>auf</strong>bahn beschäftigt<br />
sich dann mit dem Thema, wie man<br />
neue Experten in diesen Schlüsselpositionen<br />
<strong>auf</strong>baut und wie man die bestehenden<br />
Experten betreut.“ Er zieht<br />
daraus den Schluss: „Die Fachl<strong>auf</strong>bahn<br />
in Ergänzung zur Führungsl<strong>auf</strong>bahn<br />
gibt es nicht. Wichtig ist es, die Schlüsselpositionen<br />
herauszuarbeiten und den<br />
dar<strong>auf</strong> tätigen Mitarbeitern ein attraktives<br />
Umfeld zu bieten.“<br />
Problem erkannt<br />
Auch mancher Personalberater sieht in<br />
der neu entfachten Diskussion um die<br />
Fachkarriere einen Nebenkriegsschauplatz,<br />
um vom wirklichen Problem –<br />
wie steigere und erhalte ich die Mitarbeitermotivation<br />
– abzulenken. „Es geht<br />
schon los mit dem Ziel“, sagt Albert<br />
Nussbaum, Psychologe und seit vielen<br />
Jahren Geschäftsführer der Personalberatung<br />
Mercuri Urval. „In Deutschland<br />
werden Fachl<strong>auf</strong>bahnen entworfen, um<br />
die Abwanderung von Fachkräften zu<br />
verhindern. Das ist eine Negativformulierung.<br />
Wenn man etwas einführt, um<br />
etwas Bedrohliches zu verhindern, ist<br />
man <strong>auf</strong> dem völlig falschen Trip. Man<br />
muss etwas einführen, um etwas Erstrebenswertes<br />
attraktiv zu machen.“<br />
Nach seiner Ansicht verhindern zwei<br />
Faktoren die Emanzipation der Fachl<strong>auf</strong>bahn.<br />
Zum einen das Einkommen:<br />
Bei Mercuri Urval erzielten einige Berater<br />
ein höheres Gehalt als er selbst.<br />
„Ansonsten weiß ich von keiner einzigen<br />
Fachkarriere in Deutschland, wo<br />
das möglich ist“, erklärt Nussbaum.<br />
„Ohne diese Freiheit kann man aber<br />
gleich das ganze Programm in den Boden<br />
stampfen.“ Zum anderen das Image:<br />
„Neben dem Einkommen streben die<br />
Mitarbeiter nach Dingen, die nicht unmittelbar<br />
an monetäre Werte gekoppelt sind<br />
– zum Beispiel die Aufmerksamkeit der<br />
Unternehmensspitze. Die Leitenden aber<br />
kümmern sich vornehmlich um den<br />
Führungsnachwuchs. Ich kennen kein<br />
Programm, wo die Fachkräfte ebenso<br />
viel Aufmerksamkeit erhalten wie die<br />
Führungskräfte.“<br />
Und auch deshalb ist die treuherzig<br />
beteuerte Gleichstellung der Fachkarriere<br />
für Nussbaum mit Ausnahme der<br />
IT und andere Hightech-Branchen reine<br />
Augenwischerei: „Menschen, die<br />
eine Führungsrolle anstreben, sind in<br />
der Regel anders motiviert als Spezialisten.<br />
Das sind Alphatiere, die Machtpositionen<br />
anstreben und sich durchsetzen<br />
wollen. Fachkräfte dagegen<br />
haben meist kein ausgeprägtes Dominanzstreben.<br />
Sie wollen eine professionelle<br />
Arbeit leisten und dafür anerkannt<br />
werden. Das sind völlig unterschiedliche<br />
Motivationsmuster. Die eine<br />
L<strong>auf</strong>bahn wird dominiert von Alphatieren,<br />
die andere von denjenigen, die<br />
‚nur‘ eine gute Arbeit machen wollen.<br />
Was glauben Sie: Wer behält über wen<br />
die Oberhand?“<br />
Unter Abwägung aller Argumente hält<br />
Professor Christian Scholz von der Universität<br />
Saarbrücken die Fachkarriere<br />
denn auch für entbehrlich. „Sie ist ein<br />
Placebo für Mitarbeiter, die aus ihrer Sicht<br />
keine richtige <strong>Karriere</strong> machen können<br />
oder machen dürfen“, sagt der Wissenschaftler,<br />
„in den Corporate Guidelines<br />
steht zwar etwas anderes drin, aber das<br />
wird nicht gelebt. In Wirklichkeit ist die<br />
Fachl<strong>auf</strong>bahn nur ein Pro-Forma-Ersatz<br />
für fehlende <strong>Karriere</strong>perspektiven.“<br />
Konfliktscheue Personalmanager<br />
Warum aber halten die Unternehmen an<br />
diesem Popanz fest? „Die Logik ist simpel“,<br />
erklärt Scholz, „in den Unternehmen<br />
stehen immer weniger Führungsebenen<br />
für <strong>auf</strong>stiegswillige Mitarbeiter<br />
zur Verfügung. Der Wettbewerb um das<br />
knappe Gut ‚Führungsposition‘ wird<br />
härter, weil die Mitarbeiter zwangsläufig<br />
sich selbst optimieren wollen. Also<br />
muss selektiert werden. Das alles geben<br />
aber vor allem konfliktscheue Personalmanager<br />
selten offen zu. Sie kommunizieren<br />
nicht klar, was die wirklichen<br />
Spielregeln im Unternehmen sind.“ Eine<br />
der Spielregeln laute, dass sich opportunistisches<br />
Verhalten durchsetzt. „Das<br />
sagen sie aber nicht“, wettert Scholz,<br />
„stattdessen packen sie kleine Motivationspäckchen<br />
dr<strong>auf</strong>. Eines davon ist<br />
die Fachl<strong>auf</strong>bahn, die dann im Nichts<br />
endet.“ Und setzt als Seitenhieb hinzu:<br />
„Übrigens ein typisches Beraterprodukt.“<br />
Darüber wird selten im Aufzug<br />
gesprochen.<br />
Christine Demmer, freie Journalistin, Wiesbaden<br />
11|2009 www.personalwirtschaft.de 21
MODERNE PARADOXIEN IM PERSONALMANAGEMENT<br />
Ey Alter, laber nicht!<br />
Die demografische Entwicklung in Deutschland führt<br />
dazu, dass wir den Jugendlichkeitswahn in den Unternehmen<br />
langsam in die Tonne kloppen sollten. Dass<br />
nur jüngere Mitarbeiter fit und flexibel sind, dass nur<br />
Jüngere State-of-the-art-Wissen haben, das alles stimmte schon<br />
früher nicht. Aber der „Conventional Wisdom“ bestärkte uns<br />
in dieser Illusion. Also: Künftig mehr ältere Mitarbeiter!<br />
Ihr Fachwissen werden sie schon durch Weiterbildung <strong>auf</strong> dem<br />
erforderlichen Stand halten. Für die Personalentwicklung ist<br />
das auch nicht schwierig. Ältere haben ein solides Wissensfundament,<br />
<strong>auf</strong> dem man <strong>auf</strong>bauen kann. Und die 55-Jährigen des<br />
Jahres 2020 sind die heute 44-Jährigen. Die hält ja auch keiner<br />
für blöd (die sich selbst auch nicht).<br />
Bei den sozialen Qualifikationen kommen Ältere, das zeigen viele<br />
Studien, besser weg als Jüngere. Sie haben Prozess- sprich: Dienstwissen;<br />
sie kennen die informellen Machstrukturen im Unternehmen<br />
viel besser als jeder Jüngere, der noch glaubt, dass Organigramme<br />
auch das darstellen, was abgebildet ist. Sie können Dinge<br />
schneller bewegen als jeder, der das alles nicht weiß. Wo man<br />
auch hinforscht: Überall kommen die Älteren besser weg. Naja,<br />
bei Flexibilität nicht mehr so ganz. Und ihre Soft Skills verändern<br />
sich ja auch im Zeitabl<strong>auf</strong> (Belastbarkeit und Toleranz gehen<br />
zurück). Aber im Saldo ausgedrückt: Ältere haben Vorteile.<br />
Die Betriebsrealität heute ist demgegenüber geprägt von der<br />
paradoxen Situation: Wenn alles für Ältere spricht – wieso arbeitet<br />
dann keiner gerne mit denen zusammen? Ein simpler Erklärungsansatz,<br />
jeden Tag im Betriebsalltag zu beobachten, ist: Die<br />
Kommunikation. Ältere hören kaum <strong>auf</strong> die ihnen gestellte Frage<br />
– denn die Antwort haben sie ja schon parat. Oft passt also<br />
die Antwort nicht zur Frage. Das führt zur Mühsal des Miteinanders.<br />
Ältere holen weit, weit aus. Ältere erzählen gerne detailverliebte<br />
Geschichten. Ältere vergessen, dass sie die Stories schon<br />
hundertmal erzählt haben. Ältere terrorisieren damit jeden, der<br />
einfach einen Rat braucht, eine Absprache treffen will.<br />
Kein Wunder, dass Jüngere nur noch die Augen verdrehen. Jaja,<br />
die Zeiten früher waren alle schöner, man hatte mehr Zeit „für<br />
ein Schwätzchen“ – hat man heute eher nicht. Aber auch früher<br />
konnte man durchaus <strong>auf</strong> eine knappe Frage eine knappe<br />
Antwort kriegen. Alles, was nicht zentral zu dieser Antwort gehört,<br />
kann man ja auch mal weglassen. Kommunikation unter Zeitdruck<br />
sollte sich <strong>auf</strong> das Wesentliche beschränken. Wenn der<br />
Motor im Flugzeug ausfällt, dann möchte auch keiner, dass der<br />
erfahrene Flugkapitän erst allen erzählt, dass er das schon vor<br />
25 Jahren einmal erlebt hat. Aber damals war das noch ein Propellerflugzeug<br />
bla bla bla. Was im Cockpit bei „Älteren“ sehr<br />
gut klappt, könnte doch auch im Unternehmen gelingen?<br />
Die These: Wenn wir das mit der Kommunikation hinbekommen,<br />
dann werden die Älteren keine Probleme mehr im Betrieb<br />
haben...<br />
Wie sehen sie das? Schreiben Sie uns!<br />
Jobst R. Hagedorn (Alter: 54)<br />
66<br />
11|2009 www.personalwirtschaft.de