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PF-2092

Johann Kuhnau Welt adieu, ich bin dein müde / World adieu, I tire of you

Johann Kuhnau Welt adieu, ich bin dein müde / World adieu, I tire of you

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KRITISCHER BERICHT<br />

Quellen<br />

Die vorliegende Urtextausgabe basiert auf der einzigen<br />

überlieferten Quelle, einem unvollständigen handschriftlichen<br />

Stimmensatz, der unter der Signatur III.2.125 (Becker-<br />

Sammlung) 1 in der Stadtbibliothek Leipzig, Musikabteilung,<br />

aufbewahrt wird. Die Stimmen Canto I, Canto II und Alto<br />

sind verschollen – nach der Angabe auf dem Titelblatt von<br />

1836 offensichtlich auch schon beim Eingang der Manuskripte<br />

in die Sammlung Carl Ferdinand Beckers.<br />

Bei den beiden Schreibern der Stimmen handelt es sich<br />

um Carl Gotthelf Gerlach (Alumnus der Thomasschule<br />

1716–1723, später Musikdirektor der Leipziger Neukirche)<br />

und eine Person, die in der Namenskartei der Schreiber Johann<br />

Sebastian Bachs als „Anonymus Ic“ bezeichnet wird;<br />

letztere ist bis Pfingsten 1724 in Originalquellen zu Bachs<br />

Werken belegt. Da die Schriftzüge Gerlachs auf eine Entstehungszeit<br />

in dessen Schulzeit an St. Thomas hindeuten<br />

und auch der anonyme Schreiber ein Thomaner gewesen<br />

sein dürfte, steht der Annahme nichts im Weg, dass der<br />

Stimmensatz für eine Aufführung um 1720 in einer der<br />

Leipziger Hauptkirchen vorgesehen war. Er dürfte also,<br />

wie die Komposition an sich (siehe unten), in Kuhnaus<br />

letzten Lebensjahren und unter dessen Augen entstanden<br />

sein. Der Stimmensatz hat somit allem Anschein nach<br />

den – innerhalb von Kuhnaus überlieferten Kompositionen<br />

selten anzutreffenden – Status einer Originalquelle. 2<br />

Das Deckblatt der Stimmen, von der Hand Beckers, lautet:<br />

Johan Kuhnau | Cantate auf | „Welt adieu, ich bin dein müde“ |<br />

Dominica 24 post Trinitatis | a 5 Voci 2 Corni 2 Oboe |<br />

1 Flauto 2 Violini 2 Viole | c Continuo mit | 12 Stimen<br />

(unvollständig) | Bibliothek C. F. Becker 1836<br />

Auf der ersten Seite der Continuostimme findet sich zudem<br />

am oberen Rand der Vermerk von der Hand Gerlachs:<br />

Dom: 24 post Trin: 5 Voc: 2 Corn: | 2 Obboe 1. Flaut:<br />

2 Violin. 2 Viol: | di Joh: Kuhnau.<br />

1 Carl Ferdinand Becker (1804–1877), Leipziger Organist, Pädagoge,<br />

Komponist u.a. Er stiftete seine umfangreiche Privatsammlung<br />

im Jahre 1856 der Stadtbibliothek Leipzig. Diese „Becker-Sammlung“<br />

legte den Grundstein für die Musikabteilung der Bibliothek<br />

und enthält u.a. 8 teils autographe Kantaten von Johann Kuhnau.<br />

2 zur Identifizierung der Schreiber siehe erstmals Hans-Joachim<br />

Schulze „Das Stück in Goldpapier“ – Ermittlungen zu einigen<br />

Bach-Abschriften des frühen 18. Jahrhunderts, in: Bach-Jahrbuch<br />

1978, speziell S. 34–35).<br />

Anmerkungen zur Komposition<br />

Die Kantate Welt adieu, ich bin dein müde ist bestimmt für<br />

den 24. Sonntag nach Trinitatis und damit sehr spät im Kirchenjahreskreis<br />

anzusiedeln. Aufgrund dieser Datierung und<br />

der oben erwähnten quellenkritischen Erörterungen ist von<br />

einer Entstehung in den Jahren 1719 oder 1720 auszugehen.<br />

Trotz der fehlenden drei Vokalstimmen Canto I, Canto<br />

II und Alto ist mit annähernder Sicherheit zu konstatieren,<br />

dass hier eine reine Choralkantate vorliegt. Sie stellt damit<br />

einen von nur zwei erhaltenen Beiträgen Kuhnaus zu dieser<br />

Gattung dar; bei der zweiten Kantate handelt es sich um<br />

Was Gott tut, das ist wohlgetan, die in einer Abschrift von<br />

Johann Gottfried Schicht erhalten geblieben ist. (Eine weitere<br />

Kantate, Gott, der Vater, wohn’ uns bei, über einen Trinitatis-Choral<br />

Martin Luthers, stellt insofern einen Sonderfall<br />

dar, als Kuhnau die ursprünglich nur in den ersten Worten<br />

divergierenden drei Strophen zu einer einzigen zusammengefasst<br />

und diese als durchkomponiertes, quasi einsätziges<br />

„Concerto“ mit vorangestellter „Sonata“ vertont hat.)<br />

Welt adieu, ich bin dein müde ist somit zugleich eines der<br />

seltenen Beispiele für Kuhnaus Umgang mit Chorälen, denn<br />

im Hinblick auf alle weiteren erhaltenen Kantaten fällt auf,<br />

dass die Einbeziehung von Chorälen bei ihm eher Ausnahme<br />

denn Regel zu sein scheint.<br />

Beide Kantaten ähneln sich in ihrem Aufbau. Aufgrund<br />

der Übereinstimmungen lediglich zweier Choralkantaten<br />

bereits auf ein Muster in Kuhnaus Kompositionsarbeit<br />

schließen zu wollen, erscheint jedoch etwas zu gewagt. Es<br />

fällt dennoch auf, dass die beiden jeweiligen Tutti-Ecksätze<br />

in weiten Teilen dasselbe musikalische Material verwenden<br />

(in Was Gott tut, das ist wohlgetan sogar noch wesentlich<br />

konsequenter als in der vorliegenden Kantate) und dass nur<br />

diesen beiden Ecksätzen jeweils die Choralmelodie zugrunde<br />

liegt, während die weiteren Sätze den Choraltext wie freie<br />

Dichtung behandeln und zumindest auf den ersten Blick<br />

wenig bis gar keinen Bezug zur Choralmelodie erkennen<br />

lassen. Überdies folgt die Einteilung in musikalische Einheiten<br />

bzw. „Sätze“ konsequent der Versfolge des Chorals.<br />

Bleibt man nun für die vorliegende Kantate, trotz zweier<br />

im Manuskript fehlender Vokalstrophen, bei der Annahme<br />

einer reinen Choralkantate, so wird Kuhnau wohl die Fassung<br />

aus dem Neu Leipziger Gesangbuch (1682 von Gottfried<br />

Vopelius) vorgelegen haben, wenngleich die textlichen<br />

Divergenzen, für die sich Kuhnau wie so oft entscheidet<br />

und die auch in die vorliegende Edition Eingang fanden,<br />

XI

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