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01 inhalt - Salzgehalt.org

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26<br />

plattenpresse<br />

Tocotronic<br />

Pure Vernunft damals niemals siegen<br />

(L'Age d'Or/ Rough Trade)<br />

JG. Tocotronic waren mal die Slogan-Kapelle, auf die<br />

sich alle einigen konnten: "Ich möchte Teil einer<br />

Jugendbewegung sein" und "Wir kommen um uns zu<br />

beschweren", erzählten vom Sitzen auf<br />

Teppichböden, von Gitarrenhändlern und von samstäglicher<br />

Freizeitgestaltung. Die irrtümlich meist als<br />

authentisch verstandene Lyrik war unterfüttert von<br />

Gitarrenrock aus der Garage, die Haltung war<br />

Bedeutungsträger für politische Inhalte, vielmehr<br />

sind Versatzstücke des Politischen Teil des alles und<br />

nichts umfassenden Stream of Consciousness. Es<br />

geht um Eskapismus in diesen Liedern, um das Recht<br />

auf Illusionen. Im Treibsand der Gedanken wird von<br />

Spiegeln erzählt, von Echos, vom Idiotenfest, und<br />

immer wieder: vom Weltall. Von der metaphorischen<br />

Liebesreflexion "Der achte Ozean" über die schier<br />

unglaubliche Hymne "Pure Vernunft darf niemals<br />

siegen" bis zum bedrohlichen "Ich habe Stimmen<br />

gehört" (der letzte Satz in Hitchcocks "Vertigo") entsteht<br />

ein Raunen, ein Flüstern, das Ängste, Zweifel,<br />

Wahnsinn feiert. Von Mut ist hier die Rede, von<br />

Bewusstsein, von der eigenen Entscheidungskraft.<br />

Von Selbstvertrauen, das auch das Scheitern in die<br />

Arme schließt. Let’s fetz!<br />

Oma Hans<br />

Peggy (Schiffen)<br />

bewusst jugendlich, das Handwerk betont dilettantisch.<br />

War das 2002er Album "Tocotronic" noch die<br />

Ausschöpfung sämtlicher zu Gebote stehender musikalischer<br />

Mittel - Bombast galore sozusagen -, so<br />

herrscht jetzt wieder Beschränkung vor, die<br />

Reduktion auf die klassische Gitarrenband.<br />

Direkter, bissiger als zuletzt kämpft sich Dirk von<br />

Lowtzows Stimme gleich zu Beginn durch das<br />

Assoziationsdickicht von "Aber hier leben, nein<br />

danke", der großartigen Single: Zwischen Volker<br />

Lechtenbrink und Gang of Four sagt da einer "Nein"<br />

zur grassierenden Nationalstolz-Debatte und<br />

Deutschrockquote. Im Grunde aber dient die surreale<br />

Poesie auf "Pure Vernunft" wohl weniger als<br />

Wer ein Genre wie<br />

Deutsch-Punk<br />

wählt, um seinen<br />

Mitmenschen<br />

etwas mitzuteilen,<br />

und trotzdem<br />

nicht zu den Toten<br />

Hosen mutiert<br />

oder zwischen<br />

Heerscharen von<br />

AJZ-Bands mit der<br />

Halbwertzeit von<br />

zwei Samplerbeiträgen versinkt, muss schon<br />

Persönlichkeit besitzen. Jens Rachut, seit vielen<br />

Jahren unterwegs in Sachen Deutsch-Punk, hat mit<br />

diversen Bands/Projekten konsequent nie mehr als 2<br />

Platten veröffentlicht, ist ein eigenwilliger Live-<br />

Performer und Texter. Wäre Helge Schneider voller<br />

Agonie und Wut gewesen, er hätte vielleicht ähnliche<br />

Texte geschrieben, musikalisch regiert hier aber nicht<br />

das wohlig enthemmte Klavier, sondern eben die alte<br />

Störtebeker-Schule, und was eben noch wundersame<br />

Lyrix waren, entpuppt sich musikalisch umgesetzt oft<br />

als Resultat scharfer Beobachtung, unvermittelt,<br />

überraschend, intelligent, pointiert, hart, satirisch,<br />

voller Witz. Deutsch-Punk 05, wer hätte das gedacht?<br />

André Pluskwa

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