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Interview Halle BERRY (Vorschau)

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NOVEMBER 2012<br />

6 EURO<br />

11<br />

<strong>Halle</strong><br />

4 192449 106002<br />

So sinnlich ist der deutsche Film:<br />

<strong>BERRY</strong><br />

… und acht HALLELUJAS für<br />

Heike MAKATSCH, Kylie MINOGUE, Tracey EMIN,<br />

KREAYSHAWN, Pamela ANDERSON,<br />

Isabel ALLENDE, Victoire DE CASTELLANE & Brad PITT<br />

NAOMI<br />

CAMPBELL<br />

TRIFFT<br />

JEFF KOONS


inhalt<br />

NOVEMBER 2012<br />

staRt<br />

CELEBRatION<br />

500 Jahre Sixtinische Kapelle feat. Michelangelo!<br />

Seite 25<br />

Foto Mert alas & Marcus Piggott<br />

styling Karl teMPler<br />

Fashion:<br />

heute ist Morgen gestern<br />

sUPERstaR<br />

Leute auf dem Weg nach vorn: SASKIA ROSENDAHL,<br />

EIKE VON STUCKENBROK, THOMAS AZIER<br />

Seite 26<br />

sMaLLtaLK<br />

Kleine Gespräche mit großen Leuten:<br />

MACKLEMORE, RÓISÍN MURPHY, CECILY BROWN,<br />

CHAD HARBACH, BARRY MANILOW, NADJA GEER<br />

Seite 32<br />

WOW!<br />

Schöne Dinge, interessante Kunst, gute Filme, H&MMM<br />

und ein Schlagring, der so tut, als sei er eine Tasche –<br />

die Gebrauchs anweisung für den November<br />

Seite 36<br />

NINa KRaVIZ<br />

Von der Zahnarztpraxis über die DJ-Kanzel auf den Laufsteg<br />

Seite 48<br />

IsaBEL aLLENDE<br />

Ihr Großonkel Salvador wurde aus dem Amt geputscht –<br />

sie hat über 50 Millionen Bücher verkauft. Ein Treffen mit der<br />

großen alten Dame des romantischen Realismus<br />

Seite 52<br />

BRaD PItt<br />

48 Jahre, 40 Filme, 6 Zwerge & 1 Angelina. Brad Pitt,<br />

der Mann für alle Rollen. Denn selbst als Auftragskiller wie<br />

in Killing Them Softly hat er einen ganz eigenen Stil<br />

Seite 54<br />

HELENE HEGEMaNN<br />

CLASSICS: Die Kolumne über das, was bleibt<br />

Seite 66<br />

Foto: Mert Alas & Marcus Piggott/Art Partner<br />

halle Berry<br />

Foto sean + seng<br />

styling MaryaM MalaKPour<br />

BEaUtY<br />

DüFTE:<br />

Tom Ford: A Single Duft<br />

Seite 39<br />

SCHMUCK:<br />

Victoire DE CASTELLANE<br />

Seite 58<br />

KOLUMNE:<br />

Online ist das neue Offline<br />

Seite 60<br />

BAGS, BLING & BEAUTY:<br />

Fotografiert von MATT IRWIN<br />

Seite 62<br />

11


STORIES<br />

inhalt<br />

HallE BERRy<br />

Eigentlich mag sie keine <strong>Interview</strong>s. Aber den Mann,<br />

der sie in Cloud Atlas, der teuersten deutschen<br />

Filmproduktion aller Zeiten, gleich sechs verschiedene<br />

Figuren spielen ließ, konnte die Amerikanerin<br />

einfach nicht abblitzen lassen<br />

Von TOM TYKWER<br />

Seite 70<br />

FaSHION I<br />

Heute ist morgen gestern<br />

Fotografiert von MERT AlAs & MARCUs PIGGOTT<br />

Seite 80<br />

KREaySHaWN<br />

Eine junge Rapperin aus los Angeles zieht erst mal am Joint<br />

und trinkt ein Glas Milch, bevor sie der Welt<br />

ihr Debütalbum präsentiert. Jetzt ist es fertig. Endlich<br />

Von MONsIEUR BONAPARTE<br />

Seite 92<br />

JEFF KOONS<br />

Er ist der Popeye der amerikanischen Pop-Art und der<br />

erfolgreichste Autoverkäufer im weltweiten Kunstwahnsinn.<br />

seine Werke sind grell, glatt und glänzend.<br />

Genau wie Jeff Koons selbst<br />

Von NAOMI CAMPBEll<br />

Seite 100<br />

Foto unten: Privatsammlung, Courtesy Gagosian Gallery<br />

KylIE MINOGUE<br />

Als sie geboren wurde, brannte saigon, in der schuldisco<br />

tanzte sie zu Madonna, als die Zwillingstürme fielen,<br />

sang sie lalala, den Refrain ihres größten Hits.<br />

Jetzt feiert Kylie Minogue Jubiläum. Und wir feiern sie:<br />

44 Jahre, 44 Fragen<br />

Von JÖRG HARlAN ROHlEDER<br />

Seite 108<br />

RICK OWENS<br />

Was hat der anale Orgasmus der modernen Frau mit<br />

einem glamourösen Kurzurlaub zu tun?<br />

Alles? Nichts? lesen sie selbst<br />

Von KEMBRA PFAHlER<br />

Seite 116<br />

FaSHION II<br />

Jessica s.<br />

Fotografiert von sTEVEN PAN<br />

Seite 122<br />

HEIKE MaKaTSCH<br />

Eine Frau, so modern, erfolgreich und<br />

unaufgeregt, wie Deutschland sich gerne sieht.<br />

Warum also über den Beruf reden?<br />

Von lEYlA PIEDAYEsH<br />

Seite 128<br />

TRaCEy EMIN<br />

seit mehr als 20 Jahren sorgt Mad Tracey from Margate<br />

für Aufsehen im Kunstbetrieb. In Wirklichkeit<br />

sehnt sich die Vorturnerin der Young British Artists<br />

jedoch längst nach einem sicheren Hafen<br />

Von JÖRG HARlAN ROHlEDER<br />

Seite 138<br />

foto sean + seng, styling marYam malaKPour,<br />

Kleid guCCi, ohrringe Van Cleef & arPels,<br />

schuhe Brian atwood<br />

Jeff Koons, PoPeYe train (CraB),<br />

2008, PoPeYe, Öl auf leinwand<br />

13<br />

halle, Yeah! halle BerrY, 2012<br />

PS<br />

SHORT STORy<br />

Die Legende der guten Männer<br />

Von DAVID VANN<br />

Seite 146<br />

PaRTy<br />

Mit Mike Meiré in Köln,<br />

bei Carine Roitfeld &<br />

dem Purple-Magazin in Paris,<br />

mit André saraiva in Hamburg<br />

& bei The Corner in Berlin<br />

Seite 150<br />

editoriAl s. 15<br />

imPressum s. 16<br />

mitArBeiter s. 20<br />

ABonnement s. 157<br />

FlaSHBaCK<br />

Wham! Bam! Pam!<br />

Seite 158


1982<br />

-<br />

2012<br />

editoriAl<br />

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Liebe Leserinnen,<br />

liebe Leser,<br />

nach fast zwei Wochen reisen (Modewochen in Mailand<br />

und Paris, <strong>Interview</strong>-Partys in Köln und Hamburg)<br />

kommt man zurück nach Berlin und stellt fest:<br />

- schon wieder eine neue Ausgabe in den Druck schicken<br />

- Aquarium der Tochter reinigen, neue Wasserpflanzen kaufen<br />

- öfter die zwei magischen englischen Wörter gegenüber<br />

Hollywood-Agenten benutzen<br />

- die Wiederentdeckung von DouglAs CouPlAnD als Aphorismus-König:<br />

The past is for the losers<br />

- nAoMi CAMPBell ist die einzige mir bekannte Person, die ein interessantes<br />

gespräch mit Jeff Koons führen kann<br />

- die Trockenreinigung verlangt auf einmal lagerkosten für Hemden<br />

- RAinAlD goeTz hat wie immer recht. Mit allem<br />

- mehr <strong>Interview</strong>-events. Köln, Hamburg, Berlin, München, frankfurt, Wuppertal.<br />

Bitte melden, wir kommen!<br />

- niemand in der Redaktion findet eRiC BuRDon gut. Verstehe ich nicht<br />

- dafür finden alle die neue Single der Rolling sTones ziemlich okay.<br />

Verstehe ich auch nicht<br />

- immer noch nicht den Transport für den “Archizoom Chair” in zürich für einen<br />

möglichen Kauf geklärt. lieber Händler, verzeihen sie mir<br />

- komischerweise bin ich der einzige, der die Redaktionskaffeemaschine<br />

reparieren kann<br />

- ständig kursieren neue Hundewünsche unter Mitarbeitern<br />

(nur ein Beispiel: die ode an den Bayerischen gebirgsschweißhund auf seite 44).<br />

gibt es Katzen überhaupt noch?<br />

- der Modechef hat sich eine Collegejacke mit einem Wildpferd gekauft,<br />

das Verlegerpaar Collegejacken von opening Ceremony<br />

- Meinungsverschiedenheiten über HeDi sliMAnes erste sAinT lAuRenT<br />

PARis-Kollektion. Was aber alle glauben: Das zeug wird sich prima verkaufen<br />

- die Kollegen finden den 20. Geburtstag des Films Bodyguard der erwähnung<br />

wert. Konnte ich gerade noch verhindern!<br />

Herzlichst<br />

Ihr Joerg Koch<br />

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Foto: Oliver Helbig<br />

15


1982<br />

-<br />

2012<br />

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Editor in Chief Joerg Koch<br />

Executive Editors Jörg harlan RohledeR, Adriano SAcK<br />

Art Director Mike MeiRé<br />

Fashion Director Klaus StocKhAuSen<br />

Photography Director Frank Seidlitz<br />

Redaktion<br />

Editors laura eweRt, harald PeteRS, Brigitte weRneBuRg<br />

Beauty Editor Susanne oPAlKA, Assistant Photography dorothea FiedleR, Assistant Fashion caroline leMBlé<br />

Praktikanten Katharina BÖhM, Rebeca PiMentel<br />

digital<br />

Editor nina Scholz, Praktikant Sascha ehleRt<br />

International Editor Aliona doletSKAyA<br />

International Editor at Large naomi cAMPBell<br />

International Contributing Fashion Director Karen KAiSeR<br />

Art<br />

tim gieSen<br />

hannes AechteR, Agnes gRüB, Monika KochS<br />

Chef vom Dienst dietmar BARtz<br />

Managing Editor christine gRoSSe<br />

Textchefin elisabeth SchMidt, Bettina SchneueR<br />

Schlussredaktion ulrike MAtteRn, Ralph Schüngel, Kerstin SgoninA<br />

Mitarbeiter dieser Ausgabe<br />

eyan Allen, ondine AzoulAy, darcy BAcKlAR, BonAPARte, ludger BooMS, gro cuRtiS,<br />

Sönke hAllMAnn, helene hegeMAnn, Friederike Jung, Sean Knight, gunnar lützow,<br />

Maryam MAlAKPouR, Miriam MAndelKow, Silke Menzel, ingo nAhRwold, Mel ottenBeRg,<br />

leyla PiedAyeSh, guy Ritchie, Karl teMPleR, tom tyKweR, david VAnn<br />

Fotografen dieser Ausgabe<br />

Mert AlAS & Marcus Piggott, william BAKeR, Maxime BAlleSteRoS, Amos FRicKe,<br />

zoë gheRtneR, Matt iRwin, willem JASPeRt, Karl Anton KoenigS,<br />

Benjamin lennox, Bella lieBeRBeRg, Jonas lindStRÖM, craig McdeAn,<br />

lukas Von MonKiewitSch, Steven PAn, Katja RAhlweS, dusan RelJin, SeAn + Seng,<br />

giampaolo SguRA, heji Shin, Matthias VRienS-McgRAth, christian weRneR<br />

Produktion<br />

Lithografie MAx-coloR, wrangelstraße 64, 10997 Berlin<br />

Druck Mohn MediA MohndRucK gMBh, carl-Bertelsmann-Straße 161 M, 33311 gütersloh<br />

Manufacturing Director oleg noViKoV<br />

Verantwortlich für den redaktionellen inhalt<br />

Joerg Koch<br />

Board of directors interview Publishing house germany<br />

Vladislav doRonin, Bernd Runge<br />

BMP Media holdings, llc<br />

Chairman Peter M. BRAnt<br />

www.iNterview.De<br />

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16


Herausgeber und Geschäftsführer Bernd Runge<br />

Publishing Director Anja Schwing<br />

Anzeigen<br />

Sales Director (Nielsen I, II, IIIa, V, VI, VII) iris gRäBneR<br />

Tel.: 030/2000 89-120, iris.graebner@atelier-publications.de<br />

Sales Director (Nielsen II, IIIb, IV, Österreich) Tanja SchRADeR<br />

Tel.: 089/35 63 77 44, tanja.schrader@atelier-publications.de<br />

Frankreich Valérie DeSchAMPS-wRighT<br />

escalier D, 2 étage gauche, 25–27 rue Danielle casanova, 75001 Paris<br />

Tel.: 00 33/6/04 65 26 51, valerie.deschamps-wright@interviewint.com<br />

Italien Fabio MonToBBio<br />

Rock Media, Largo cairoli, 2, 20121 Mailand,<br />

Tel.: 00 39/02/78 26 08, info@rockmedia.it<br />

Advertising Service Manager Jacqueline ZioB (Ltg.), Susann BuchRoTh<br />

Tel.: 030/2000 89-121, jacqueline.ziob@atelier-publications.de<br />

Director of Marketing & Communications Stephanie FReSLe<br />

Project Managers Sales & Marketing Sophie PADBeRg, charlotte wieDeMAnn<br />

Special Projects wilkin SchRÖDeR, Praktikantin Arlena ADRiAn<br />

Assistenz: Kathleen MASSieReR, Tel.: 030/2000 89-165<br />

IT Manager Patrick hARTwig<br />

Office Manager hilko RenTeL<br />

Verantwortlich für Anzeigen<br />

Atelier Publications Deutschland gmbh & co. Kg<br />

Mommsenstraße 57, 10629 Berlin<br />

Tel.: 030/2000 89-0, Fax: 030/2000 89-112<br />

Geschäftsführer Anja Schwing<br />

Vertrieb<br />

Pressup gmbh, Postfach 701311, 22013 hamburg<br />

vertrieb@pressup.de<br />

einzelheftbestellungen<br />

Preise, Verfügbarkeit und Bestellungen unter www.interview.de/einzelheft,<br />

bei weiteren Fragen Tel.: 030/2000 89-164<br />

Abonnentenbetreuung<br />

interview-Leserservice, Pressup gmbh, Postfach 701311, 22013 hamburg<br />

abo@interview.de, Tel.: 0 40/41 448-480<br />

interview erscheint zehnmal im Jahr in der interview Ph gmbh.<br />

Zurzeit gilt die Anzeigenpreisliste vom 1. September 2011.<br />

Alle Rechte vorbehalten.<br />

Für unverlangt eingesandtes Text- und Bildmaterial wird<br />

keine haftung übernommen.<br />

Andy warhol’s interview (TM). All rights reserved.<br />

interview germany is published under a sublicense from LLc Publishing house interview;<br />

interview is a registered trademark of interview inc.<br />

Reproduction in any manner in any language in whole or in part<br />

without prior written permission is prohibited.<br />

interview Ph gmbh, Mommsenstraße 57, 10629 Berlin, Tel.: 030/2000 89-0<br />

18<br />

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MITARBEITER<br />

Eyan ALLEN<br />

Eyan Allen kam 1971 im britischen Leeds zur Welt.<br />

Mittlerweile lebt er in Manchester und Metzingen<br />

bei Stuttgart, dem Hauptsitz von Hugo Boss. Für die<br />

deutsche Traditionsmarke spielt Allen mit der Architektur<br />

des weiblichen Körpers und schneidert Frauen<br />

neue Kleider auf den Leib. Seine Formsprache ist<br />

minimalistisch, konzentriert sich auf das Wesentliche.<br />

Für unsere aktuelle Ausgabe sprach der Designer<br />

mit Nina Kraviz, einer der spannendsten Figuren<br />

der internationalen House-Szene – und definitiv<br />

deren schönste Frau.<br />

Seite 48<br />

Tom TYKWER<br />

Wuppertal ist nicht der Nabel der Welt, aber die<br />

Heimat von einem der erfolgreichsten deutschen<br />

Filme macher der Gegenwart. Seit Lola rennt ging es<br />

für Tom Tykwer, geboren 1965, stets weiter nach<br />

oben. Er verfilmte mit über 50 Millionen Euro Budget<br />

Das Parfum und eröffnete mit The International<br />

die 59. Berlinale. Nachdem er mit Drei den Weg zurück<br />

nach Berlin fand, kommt am 15. November sein<br />

aktuelles Projekt Cloud Atlas in die Kinos, seine<br />

spek takuläre Zusammenarbeit mit den Wachowski-<br />

Geschwistern. Für die aktuelle Ausgabe interviewte<br />

er seine Hauptdarstellerin <strong>Halle</strong> Berry.<br />

Seite 70<br />

Leyla PIEDAYESH<br />

Spricht man über Mode aus Berlin, dann spricht man<br />

vor allem über Lala Berlin. Mit knapp 30 Mitarbeitern<br />

erzielt das Unternehmen mittlerweile Millionenumsätze.<br />

Eine Entwicklung, von der die iranischstämmige<br />

Gründerin Leyla Piedayesh wohl nicht mal<br />

träumte, als sie in Bad Homburg BWL studierte. Einige<br />

Jahre danach landete sie in München, schließlich<br />

in Berlin – bei MTV. Mehr aus einer Laune heraus<br />

strickte sie sich wenig später ins Modegeschäft hinein.<br />

Heike Makatsch hingegen lernte sie beim Yoga<br />

kennen und freute sich, mit ihrer viel beschäftigten<br />

Freundin mal wieder in Ruhe reden zu dürfen.<br />

Seite 128<br />

Monsieur BONAPARTE<br />

In frühen Jahren war Tobias Jundt noch mit ganz anderer<br />

Musik in den Schweizer Charts, dann gründete<br />

er von Spanien aus als Monsieur Bonaparte die Punkpop-Band<br />

Bonaparte, die sich in Berlin dann mehr zu<br />

einem mittelgroßen Wanderzirkus samt halbechter<br />

Hasen und halbnackter Tänzer entwickelte. Mit Songs<br />

wie Anti Anti und Computer In Love gilt Jundt heute als<br />

ein Vorsitzender der hedonistischen Jugend. Gerade<br />

hat er mit seiner Band das vierte Album Sorry, We’re<br />

Open sowie den knapp 300-seitigen Bildband Three<br />

Years In The Heart Of Bonaparte veröffentlicht. Er<br />

rappt zwar nicht, aber zumindest teilt er mit Kreayshawn<br />

den Hang zur Exzentrik und zum Liberalismus<br />

– eine Gemeinsamkeit, auf die sie aufbauen konnten.<br />

Seite 92<br />

20<br />

Kembra PFAHLER<br />

Die kalifornische Performancekünstlerin, Musikerin<br />

und Schauspielerin Kembra Pfahler ist nicht nur öfter<br />

ohne Kleidung unterwegs, sie nimmt auch selten ein<br />

Blatt vor den Mund. Überhaupt ist die 51-Jährige so<br />

gar kein California Girl – das obligatorische Blond<br />

tauschte sie bereits in der Highschool gegen Schwarz.<br />

Während des Studiums an der School of Visual Arts<br />

wollten die älteren Semester, darunter Keith Haring<br />

und Jean-Michel Basquiat, sie dennoch nicht ernst<br />

nehmen. Designer Rick Owens dagegen war sofort<br />

begeistert, als er sie zum ersten Mal traf: Da rollte sie<br />

auf Bowlingkugeln über eine Bühne und gab Songs von<br />

Celine Dion zum Besten. Ihr neuestes Projekt trägt<br />

den Namen Fuck Island und ist so eine Art Disneyland<br />

für Erwachsene, wie sie Owens, inzwischen seit Langem<br />

ein guter Freund, im Gespräch erklärte.<br />

Seite 116<br />

David VANN<br />

Er kam 1966 auf einem US-Militärstützpunkt zur<br />

Welt, auf einer winzigen Aleuten-Insel mit knapp<br />

300 Einwohnern vor Alaska. Als er 13 war, erschoss<br />

sich sein Vater. Später verarbeitete Vann dies in einer<br />

Novelle, die vergangenes Jahr unter dem Titel Im<br />

Schatten des Vaters bei Suhrkamp erschien. Der inzwischen<br />

international vielfach ausgezeichnete Autor diverser<br />

Romane studierte in Stanford, wo er auch<br />

Creative Writing lehrte. Lange Zeit wollte kein Verlag<br />

seine Manuskripte veröffentlichen, damals verdiente<br />

er sein Geld, indem er ein mit zusammen geliehenem<br />

Geld gekauftes Segelboot vermietete. Aktuell arbeitet<br />

David Vann an einem neuen Buch mit dem Arbeitstitel<br />

Goat Mountain. Seine Kurzgeschichte Die Legende<br />

der guten Männer dürfen wir in dieser Ausgabe exklusiv<br />

abdrucken.<br />

Seite 146<br />

Giampaolo SGURA<br />

Der italienische Fotograf hat nicht nur einen schönen<br />

Namen, sondern auch ganz schön viel zu tun. Der<br />

36-Jährige fotografiert für Modehäuser wie Dolce &<br />

Gabbana, Gucci oder H&M und lichtet zwischendurch<br />

regelmäßig Filmstars wie Monica Bellucci,<br />

Scarlett Johansson oder Christoph Waltz ab. Aber<br />

genug des Namedroppings. Obwohl, ein letztes Mal<br />

noch: Für die aktuelle <strong>Interview</strong>-Ausgabe hüllte Sgura<br />

nämlich Heike Makatsch in kühlblaues Licht.<br />

Seite 128<br />

Fotos: Joachim Gern/X Verleih AG; Lala Berlin; Rob Kim/Retna Ltd./Corbis; Melissa Hostetler; Susanne Schleyer/autorenarchiv.de; Alex Bailey/Photoshot; Patrick Dembski<br />

21


LeagasDelaney.de<br />

Foto: LOOK-foto<br />

celebration<br />

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Jetzt haben wir es<br />

Ihnen noch schwerer gemacht,<br />

der Unendlichkeit<br />

zu widerstehen.<br />

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abc-opix#: 1201-126 · Titel: <strong>Interview</strong> Magazin Ausgabe I · Das Dokument ist ohne Überfüllung/Trapping angelegt, vor weiterer Verarbeitung diese anlegen!<br />

Wenn man nur aus Fleisch und Blut<br />

und Begehren besteht …<br />

Man könnte, mit gutem Grund, so dies und das feiern in diesem Monat. 60 Jahre Moncler, also Daunenjacken, die modisch und nicht plump<br />

sind. 30 Jahre Calvin Klein Underwear, also eine der erfolgreichsten Serien von Anzeigenkampagnen der Welt (und ein Basic, das<br />

einfach nicht alt wird). Doch was ist das schon gegen das Deckengemälde der Sixtinischen Kapelle, das vor 500 Jahren fertiggestellt wurde?<br />

Michelangelo Buonarroti arbeitete vier Jahre daran, und zum Glück wusste er nicht, dass sein Auftraggeber, die katholische Kirche,<br />

sein Meisterwerk mit nachträglichen Übermalungen jugendfreier machen würde. Mit seinen Fresken jedenfalls kam er dem, was man<br />

Schöpfung nennt, so nah, wie es eben geht, wenn man nur aus Fleisch und Blut und Begehren besteht.<br />

25


LeagasDelaney.de<br />

SUPERSTAR<br />

SASKIA ROSENDAHL<br />

WIE MAN VON HALLE AUS<br />

HOLLYWOOD EROBERT:<br />

SASKIA ROSENDAHL<br />

SPIELT DIE HAUPTROLLE<br />

IN LORE<br />

Kleid KAVIAR GAUCHE, Ohrringe POMELLATO<br />

Vor ein paar Monaten war Saskia Rosendahl Gedreht wurde Lore (Filmstart: 1. November) auf<br />

noch ein nahezu vollständig unbekanntes Deutsch, Regie führte die australische Filmemacherin<br />

Mädchen, das vielleicht von einer Schauspielkarriere<br />

träumte, aber wenig mehr Premiere hatte, sah Rosendahl ihn zum ersten Mal.<br />

Cate Shortland. Als der Film im Juni in Sydney<br />

vorzuweisen hatte als langjähriges Balletttraining und Danach musste sie zum Publikumsgespräch auf die<br />

ein bisschen Erfahrung in Sachen Improvisationstheater.<br />

Heute ist die 19-Jährige aus <strong>Halle</strong> die international Ihr erster Gedanke: So eine gemeine Frage! Ihre Ant-<br />

Bühne. Die erste Frage an sie: Wie sie den Film fand?<br />

gefeierte Hauptdarstellerin der australischen Produktion<br />

Lore, die in das Rennen um den Oscar für den bes-<br />

Tatsächlich gibt es Filme, die es einem leichter<br />

wort: „Ich bin ganz geplättet!“<br />

ten fremdsprachigen Film gehen wird.<br />

machen, die zugänglicher sind, die Protagonisten haben,<br />

die sympathischer wirken als ein Mädchen, das<br />

In Lore spielt Rosendahl, es ist ihr zweiter Film<br />

überhaupt, die 15-jährige Titelheldin, die ohne die um den Führer trauert. Andererseits könnte man auch<br />

Nazi-Eltern (in Haft) mit den vier kleinen Geschwistern<br />

(inklusive Baby) von Süd nach Nord (zur Oma) Welt trauert; und Saskia Rosendahl spielt das so groß-<br />

sagen, dass Lore um den plötzlichen Verlust ihrer<br />

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durch ein Land (alles kaputt) ziehen muss, das ihr artig und nuanciert, dass man sich fragt: Wo war die<br />

plötzlich fremd Wie (keine Nazis schöner mehr?!) Moment, ist. der nie aufhört. denn Neun bloß endlos die ganze miteinander Zeit? verwobene Goldstrahlen ergeben<br />

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26<br />

Jetzt haben wir es<br />

Ihnen noch schwerer gemacht,<br />

der Unendlichkeit<br />

zu widerstehen.<br />

Wie für Mädchen ihres Alters üblich, war sie vor<br />

allen Dingen in der Schule, im Sommer machte sie ihr<br />

Abi. Und jetzt? „Erst mal reisen“, sagt Rosendahl, die<br />

in den vergangenen Monaten bereits einige Flugmeilen<br />

zurücklegen durfte. Sie war mit Lore in Toronto<br />

beim Internationalen Filmfestival, in Locarno gab es<br />

den Publikumspreis.<br />

„Wenn ich vorher gewusst hätte, was da auf mich<br />

zukommt“, sagt sie und lässt den Satz dort hängen, wo<br />

man Sätze dieser Art besser hängen lässt: in der Luft.<br />

Von HARALD PETERS<br />

Foto JONAS LINDSTRÖM<br />

Styling CAROLINE LEMBLÉ<br />

Haare & Make-up KARLA NEFF/<br />

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SupErSTAr<br />

EikE von<br />

ManEgE FrEi<br />

Für dEn Mann,<br />

dEr dEn<br />

dEuTSChEn zirkuS<br />

nEu ErFindET:<br />

EikE Von STuCkEnbrok<br />

Er ist 23 Jahre alt, 1,80 groß und wiegt 63<br />

Kilogramm. Während seiner Ausbildung<br />

konnte er acht Minuten auf einer Hand<br />

stehen, jetzt ist er gerade etwas aus dem<br />

Training und schafft nur noch fünf. Dafür turnt er<br />

manchmal auf einem Badewannenrand herum oder<br />

räkelt sich einbeinig an einer XXL-Polestange und<br />

lässt sich dann plötzlich herabfallen, um nur wenige<br />

Zentimeter vor dem Boden zu stoppen. Eike von<br />

Stuckenbrok ist Artist, und was er macht, gab es in<br />

Deutschland so noch nicht.<br />

Gerade tourt er mit seiner ersten eigenen Show<br />

Dummy von Essen über Hannover nach Berlin. Acht<br />

Auftritte in der Woche, weit über 100 000 Besucher.<br />

Mit dabei: fünf weitere, ebenso beeindruckende Artisten,<br />

eine Cellistin und ein Musiker, der den Dummy-<br />

rauChEnd in MExiko: EikE Von STuCkEnbrok<br />

Soundtrack geschrieben hat und live singt – und weil<br />

es Musik gibt, wird auch getanzt. Von Stuckenbrok<br />

läuft Wände hoch, balanciert und springt auf Krücken<br />

und verbirgt sich auf Köpfen von großen Puppen. Das<br />

wirkt mitunter etwas besorgniserregend, so, als kenne<br />

er keine körperlichen Grenzen. „Manchmal fühlt es<br />

sich tatsächlich so an, aber nach einem Auftritt sieht<br />

das anders aus.“ Große Verletzungen hatte er jedenfalls<br />

bisher keine, seine Narben, die kann er allerdings<br />

nicht mehr zählen.<br />

Die staatlich anerkannte Artistenschule in Berlin<br />

hat der gebürtige Bremer übrigens kurz vor Abschluss<br />

aufgrund künstlerischer Differenzen „geschmissen“ –<br />

ganz klassisch. Und das schadete natürlich überhaupt<br />

nicht, denn seitdem tritt er vor der Queen auf und in<br />

der Oper von Sydney, er war in Indien und Arabien<br />

28<br />

„und eigentlich sonst auch überall auf der Welt“. Seine<br />

Dummy-Show ist im nächsten Jahr in Australien<br />

zu sehen. Und fragt man den Artisten nach großen<br />

Plänen, sagt er, er möge die mittelgroßen eigentlich<br />

lieber und dass er gerne weiterhin „kreieren und spielen“<br />

würde.<br />

Seine eindrucksvollen Sixpacks übrigens sind eine<br />

Nebenwirkung seines Berufsstandes, Work-out, geordnetes<br />

Training macht der frühere Skater nicht. Er<br />

„probiert lieber so herum“ mit seinen Kollegen, ein<br />

körperliches Jammen an Puppen, Badewannen und<br />

was halt sonst so da ist.<br />

Von Laura EWErT<br />

Foto CaroLin SaagE


SuPerSTAr<br />

THOMAS<br />

AZIER<br />

dünn Sein und diCk<br />

auFTragen: ThomaS<br />

azier BuTTerT Seine<br />

SongS miT der<br />

exTraPorTion geFühl<br />

Sakko hugo, lederweste h&m, T-Shirt adidaS SlVr, Jeans aVelon, ohrring & armband PriVaT<br />

Wie dieser Name schon klingt: Thomas<br />

Azier. Der Vorname, natürlich weltmännisch<br />

auf Englisch ausgesprochen.<br />

Und dann der Nachname erst! Azier.<br />

So, denkt man, heißen doch nur ganz besondere<br />

Leute. Stars eben. Azier – mit langem A und I und<br />

weichem S statt Z. So fein und elegant wie der<br />

24-Jährige selbst.<br />

Überhaupt funktioniert da viel über die Optik:<br />

Das Cover seiner zweiten Veröffentlichung Hylas 002<br />

(Hylas Records/Rough Trade) ziert ein simples Viereck.<br />

In diesem Viereck ist noch mal ein leuchtender,<br />

viereckiger Rahmen hineingedrückt. Und davor liegt<br />

ein feingeschliffener Steinklotz auf dem Boden. Mit<br />

einem pointierten Ästhetizismus, seiner feingliedrigen<br />

Erscheinung und einer ganz eigenen Idee von<br />

New-Wave-inspirierter Popmusik hat Azier schon<br />

The Shoes oder Woodkid den Kopf verdreht – und<br />

angeblich ist sogar Pharrell Williams ein großer Fan<br />

seines Schaffens.<br />

Vielleicht liegt es daran, dass der in Holland geborene<br />

Azier es schafft, jeden Vorwurf, jede Nörgelei<br />

schon im Keim zu ersticken. Adrett ist er, aber nicht<br />

aufgesetzt. Pathetisch auch, aber nie kitschig. Und<br />

auch eine Vorliebe für die großen Popmusikergesten<br />

der 80er-Jahre ist nicht von der Hand zu weisen. Aber<br />

jeglichen Anflug von Retromanie wischt Azier gekonnt<br />

beiseite. Natürlich gehe es in seiner Musik<br />

auch um Nostalgie. „Aber genauso findet man in ihr<br />

auch Verzweiflung, Traurigkeit und Hoffnung.“ Solche<br />

Sätze sagt man schnell daher. Aber wenn man Thomas<br />

Aziers Entschlossenheit in der Stimme hört, wenn<br />

30<br />

man sieht, wie er mit über dem Kopf zusammengeschlagenen<br />

Händen, die Augen geschlossen, vor Hunderten<br />

Leuten steht, wird man das Gefühl nicht los,<br />

dass man auf jemanden wie Azier und seine Musik<br />

schon sehr lange gewartet hat.<br />

Zum Glück geht die Karriere des mittlerweile in<br />

Berlin lebenden Thomas Azier gerade erst so richtig<br />

los: „Ich bin mit einer klaren Vision nach Berlin gekommen<br />

und habe die vergangenen fünf Jahre nur an<br />

meiner Musik gearbeitet. Ich habe mich praktisch in<br />

meinem Studio eingeschlossen. Das hier ist alles, was<br />

ich immer wollte.“<br />

Von Jan Wehn<br />

Foto Bella lieBerBerg<br />

Styling Caroline lemBlé<br />

grooming Tan Vuong/BallSaal<br />

Topas Titanium<br />

Germany Cologne, Munich, Italy Milan, Czech Republic Prague, Brazil São Paulo, Rio de Janeiro, Brasília, USA Las Vegas, Beverly Hills, Hawaii, Canada Toronto,<br />

China Beijing, Changsha, Chengdu, Chongqing, Hangzhou, Nanjing, Shanghai, Shenyang, Shenzhen, Suzhou, Tianjin, Hong Kong Hong Kong, Japan Osaka, Tokyo, Nagoya,<br />

South Korea Seoul, Macau Macau, Philippines Manila, Malaysia Kuala Lumpur, Singapore Singapore, Taiwan Taipei, Taichung, Tainan, Kaohsiung, Thailand Bangkok,<br />

Indonesia Bali, Vietnam Ho Chi Minh City.<br />

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SMALLTALK<br />

SMALLTALK<br />

„HAST DU<br />

EINEN LIEB-<br />

LINGSPELZ?”<br />

Der Rapper<br />

MACKLEMORE<br />

über Pelze, Whiskey<br />

und soziale<br />

Verantwortung<br />

INTERVIEW: Im Trailer zu Ihrem Debütalbum<br />

The Heist stehen in einer Wohnung<br />

vier, fünf Flaschen Whiskey herum. Ich<br />

dachte, Sie trinken gar nicht mehr?<br />

MACKLEMORE: Das sind die Flaschen meines<br />

Bandkollegen Ryan!<br />

INTERVIEW: Sie kommen aus Seattle. Ist das<br />

ein Ort für Whiskeytrinker?<br />

MACKLEMORE: Seattle ist eine sehr schöne<br />

Stadt. Sie ist umgeben von Wasser, Bergen<br />

und wundervoll grünen Bäumen. Es regnet<br />

die ganze Zeit, und das zwingt uns dazu, im<br />

Haus zu bleiben und Musik zu machen.<br />

INTERVIEW: Seit Ihrem Mega-YouTube-<br />

Hitvideo Thrift Shop wissen wir, dass Sie<br />

Pelzfan sind, liegt das auch am Wetter?<br />

MACKLEMORE: Nicht unbedingt, aber es stimmt,<br />

ich bin bereits seit längerer Zeit ein passionierter<br />

Pelzkäufer.<br />

INTERVIEW: Wie viele besitzen Sie?<br />

MACKLEMORE: Vermutlich – also echte und falsche<br />

– acht oder neun.<br />

INTERVIEW: Haben Sie einen Lieblingspelz?<br />

MACKLEMORE: Mein Liebling ist der aus dem<br />

Thrift Shop-Video. Der ist sehr orange und sieht fast<br />

aus wie ein Tiger. Sehr groß, sehr warm und er riecht<br />

noch immer wie ein lebendiges Tier. Ich weiß nicht,<br />

was für eins das mal war. Aber wenn ich in seiner<br />

Haut das Haus verlasse, versuche ich natürlich, dieses<br />

Tier angemessen zu repräsentieren.<br />

INTERVIEW: Wie bekommen Sie bloß den Geruch aus<br />

den Klamotten, die Sie in Secondhandläden kaufen?<br />

MACKLEMORE: Wenn man sie nicht waschen kann,<br />

dann muss man sich an den Geruch einfach gewöhnen<br />

und lernen, ihn zu lieben. Pelze behalten meist<br />

den Tiergeruch, und das finde ich sehr angenehm.<br />

INTERVIEW: Vor Ihrer Musikkarriere haben Sie in<br />

einem Jugendgefängnis gearbeitet. Was haben Sie<br />

dort gelernt?<br />

MACKLEMORE: Ich habe einen Einblick in unser juristisches<br />

System bekommen. Wie es die Jugend einsperrt,<br />

anstatt sie zu rehabilitieren. In Wahrheit geht<br />

es nur darum, für Sicherheit zu sorgen. Man hilft den<br />

Jugendlichen nicht dabei, an sich selbst zu wachsen.<br />

Sie bekommen keinerlei Unterstützung. Viele der<br />

Kids dort hatten von Beginn an keine Chance und<br />

werden sie wohl auch nie kriegen.<br />

KLEINE GESPRÄCHE MIT GROSSEN LEUTEN:<br />

MACKLEMORE, RÓISÍN MURPHY, CECILY BROWN,<br />

CHAD HARBACH, BARRY MANILOW, NADJA GEER<br />

INTERVIEW: Konnten Sie dort auch etwas über<br />

sich selbst lernen?<br />

MACKLEMORE: Weißt du was? Ich hätte<br />

ganz ohne Probleme auch eines<br />

dieser Kinder werden können, ich<br />

wurde nur glücklicherweise nie<br />

geschnappt. Viele dort saßen für<br />

Fehler ein, die auch ich gemacht<br />

habe. Die Geschichten, die mir dort<br />

erzählt wurden, haben mir vor allem<br />

beigebracht, dankbar für meine Chancen<br />

zu sein.<br />

INTERVIEW: Sie sprechen in Ihrer<br />

Musik häufig Missstände an. Übernehmen<br />

Sie selbst soziale Verantwortung?<br />

MACKLEMORE: Wenn die Karriere<br />

Fahrt aufnimmt, passiert es schnell, dass<br />

man sich nicht mehr um andere Menschen<br />

kümmert. Es wäre der leichte Weg, nur noch<br />

an sich selbst zu denken – schließlich haben<br />

wir ohnehin so viel zu tun. Zum Glück habe<br />

ich aber eine großartige Freundin, die mich<br />

ständig daran erinnert, weiterhin mit Jugendlichen<br />

zu arbeiten.<br />

<strong>Interview</strong> SASCHA EHLERT<br />

THE HEIST VON MACKLEMORE & RYAN<br />

LEWIS IST GERADE ERSCHIENEN<br />

„TRAGEN<br />

SIE GERADE<br />

OPERN-<br />

HANDSCHUHE?”<br />

Ihre Schwangerschaft<br />

nutzte die Moloko-<br />

Sängerin RÓISÍN<br />

MURPHY, um<br />

mal wieder etwas<br />

House-Musik<br />

zu machen<br />

INTERVIEW: Frau Murphy, wie<br />

spricht man Ihren Vornamen nun<br />

richtig aus?<br />

RÓISÍN MURPHY: Ro-schiehn.<br />

INTERVIEW: Das wurden Sie sicher schon oft gefragt.<br />

MURPHY: Viele sagen „Reusin“.<br />

INTERVIEW: Wo stecken Sie gerade?<br />

MURPHY: Ich bin zu Hause und, äh, ziemlich schwanger.<br />

Nur noch zwei Wochen bis zum Geburtstermin.<br />

INTERVIEW: Oh, Glückwunsch! Fühlen Sie sich gut?<br />

MURPHY: Ja, ich bin eine gute Schwangere. Kinder<br />

auszutragen macht mir keine Schwierigkeiten.<br />

INTERVIEW: Zumindest fanden Sie Zeit für einige<br />

neue Kollaborationen mit House-Produzenten wie<br />

Solomun oder Mano LeTough.<br />

MURPHY: Interessanterweise kommt dieser Mano ganz<br />

aus der Nähe meines Heimatortes in Irland. Ich habe<br />

ihn aber noch nie getroffen. Solomun schon. Er ist<br />

übrigens Deutscher.<br />

INTERVIEW: Er lebt in Hamburg, ja.<br />

MURPHY: Solomun hat den Track geremixt, den ich<br />

mit Luca C und Brigante aufgenommen habe, Flash<br />

Of Light. Mit Brigante habe ich mich auch an Coverversionen<br />

italienischer Lieder versucht.<br />

INTERVIEW: Ah, das habe ich gehört. Ihre Stimme<br />

klingt ganz anders in einer anderen Sprache.<br />

MURPHY: Wirklich? Inwiefern denn?<br />

INTERVIEW: Irgendwie so … italienisch?<br />

MURPHY: Vielleicht auch, weil es eine Coverversion<br />

ist, also nicht mein eigenes Lied.<br />

INTERVIEW: Sie haben auch den Background-Gesang<br />

zu Adeles Rolling In The Deep beigesteuert. Wie …<br />

MURPHY: Wie bitte?<br />

INTERVIEW: Ist das falsch? Ich habe das unter anderem<br />

bei Wikipedia gelesen.<br />

MURPHY: Tatsächlich?! (lacht laut) Nein, das stimmt<br />

nicht. Sie ist eine großartige Sängerin, aber ich höre<br />

momentan kaum Popmusik, eher House, den entdecke<br />

ich gerade neu. Vor ein paar Jahren fragte ich mich, wie<br />

ich musikalisch weitermachen will. Mein Bruder riet<br />

mir, Country zu machen oder irische Musik! Aber ich<br />

dachte: Scheiß drauf. Mein Folk ist Housemusic. Da<br />

komme ich her, so kamen auch diese Kollaborationen<br />

zustande. Übrigens versuche ich gerade, meine Tochter<br />

an Kraftwerk heranzuführen. Sie ist zweieinhalb<br />

und singt immer: „We are the Robots.“ Sie mag solches<br />

Zeug, ihr Lieblingsspielzeug ist Buzz Lightyear …<br />

INTERVIEW: Toll und gar nicht girly.<br />

MURPHY: Sie ist kein Prinzesschen! Im Moment sammelt<br />

sie Roboter.<br />

INTERVIEW: Sie wiederum besitzen eine<br />

Sammlung von Opernhandschuhen.<br />

MURPHY: Eine Sammlung aller möglichen<br />

Handschuhe! Handschuhe haben<br />

etwas sehr Erotisches und Luxuriöses.<br />

Wussten Sie, dass es sehr<br />

aufwendig ist, gute Handschuhe herzustellen?<br />

Sie müssen genau passen.<br />

INTERVIEW: Tragen Sie<br />

gerade welche?<br />

MURPHY: Darling –<br />

ich sitze dick und fett<br />

im Bett. Da ist nicht<br />

viel mit Styling!<br />

<strong>Interview</strong><br />

KATHARINA BÖHM<br />

FLASH OF LIGHT<br />

VON LUCA C &<br />

BRIGANTE FEAT.<br />

RÓISÍN MURPHY<br />

IST BEI SOUTHERN<br />

FRIED RECORDS<br />

ERSCHIENEN<br />

Fotos: Jesse Lirola/ddp images; Matt Kent/Getty Images; Robert McKeever Courtesy Contemporary Fine Arts, Berlin; Duffy-Marie Arnoult/Getty Images; Nick Cunard/eyevine.<br />

„WIE LANG<br />

SIND<br />

IHRE PINSEL?”<br />

CECILY BROWN<br />

malt und malt und<br />

malt. Hasen und<br />

andere kopulierende<br />

Wesen<br />

CECILY BROWN: „COUPLE”, 2003–2004,<br />

ÖL AUF LEINWAND, 228,4 x 203,2 x 3,7 CM<br />

INTERVIEW: Schönes Wetter, schöner Balkon …<br />

CECILY BROWN: Rauchen Sie eine mit?<br />

INTERVIEW: Vielleicht später. Wie nehmen Sie eigentlich<br />

Ihren Tee?<br />

BROWN: Ein Freund meines Vaters sagte immer: „auf<br />

proletarische Weise“ – süß, mit Milch und stark.<br />

INTERVIEW: Wo gibt’s denn so was in New York City?<br />

BROWN: Inzwischen glücklicherweise in jedem koreanischen<br />

Deli.<br />

INTERVIEW: Sie stehen in dem Ruf, praktisch veranlagt<br />

zu sein, insbesondere was die Ausstattung des<br />

Ateliers betrifft.<br />

BROWN: Eine Handwerkerin bin ich nun auch nicht<br />

gerade. Aber mein Assistent, den ich in Anbetracht unserer<br />

langjährigen Zusammenarbeit beinahe Freund<br />

nennen möchte, hilft mir bei der Umsetzung meiner<br />

Ideen. Zum Beispiel habe ich da diese sehr langen Pinsel,<br />

die zwei meiner ehemaligen Studenten extra für<br />

mich angefertigt haben.<br />

INTERVIEW: Was ist an denen besser?<br />

BROWN: Große, weiche Pinsel sind unglaublich<br />

schwer zu bekommen, und die handelsüblichen Anstreicherpinsel<br />

haben mich einfach nur frustriert.<br />

Also habe ich diese Kids gefragt, Zwillinge übrigens,<br />

die ziemlich gut im Herstellen von Dingen sind, und<br />

da raufhin hat mein Assistent Louis diese sehr bizarr<br />

anmutende Vorrichtung gebaut: Sie werden in Öl<br />

gelagert und nicht steif. Insbesondere die großen<br />

Pinsel sind unglaublich schwer zu säubern. Wenn<br />

man die nicht sofort danach reinigt, ist man echt gefickt.<br />

Lagert man sie hingegen in Öl, sind sie am<br />

nächsten Tag schön frisch. Die Prototypen<br />

waren noch sehr schwer, da war nach ein<br />

paar Minuten mein Arm schon erschöpft.<br />

Aber dann wurden sie leichter und leichter.<br />

Fantastisch!<br />

INTERVIEW: Und wie lang sind diese<br />

Spezialpinsel?<br />

BROWN: Ungefähr so lang wie mein<br />

Arm. Beim Malen halte ich den Pinsel<br />

immer am anderen Ende fest. Das<br />

habe ich sehr früh gelernt, und da ran<br />

halte ich mich nahezu gottesfürchtig.<br />

So wird die malerische Geste nicht zu<br />

stark kontrolliert. Hält man ihn an der<br />

Spitze fest, bekommt es eher etwas<br />

Zeichnerisches. Aber um mit vollem<br />

Körpereinsatz zu arbeiten, geht es mit<br />

dem langen Griff besser. Und sie sind auch<br />

sehr nützlich, wenn es darum geht, Großformate<br />

zu malen.<br />

INTERVIEW: Erzählen Sie ein bisschen von<br />

Ihrem Leben in New York. Sie sind ja jetzt<br />

schon viele Jahre da.<br />

BROWN: Ja, und es ist schon komisch.<br />

Ich bin in dieser Zeit irgendwie das geworden,<br />

was ich niemals werden wollte. Aber<br />

es ist passiert … Inzwischen sind alle meine<br />

Freunde Engländer oder Europäer. Anfangs<br />

habe ich in New York gekellnert,<br />

und da kam jeden Tag dieser Engländer<br />

mit seiner englischen Zeitung vorbei, um<br />

sich seine Englishness zu bewahren. Ich<br />

dachte: Mein Gott, wie lächerlich ist das<br />

denn!? Wenn er in New York ist, soll er doch einfach<br />

ein New Yorker sein. Und siehe da, 18 Jahre sind<br />

vergangen, und ich verstehe den Mann.<br />

INTERVIEW: Wir sind hier in der Nähe von Wien:<br />

Welchen Freud würden Sie vorziehen, Lucian oder …<br />

BROWN: Sigmund. Psychoanalyse ist sehr nah an der<br />

Malerei. Oder am malerischen Prozess. Mit dem Unterschied,<br />

dass ich als Malerin gleichzeitig Patient und<br />

Arzt bin, wozu ich natürlich eine etwas gespaltene<br />

Persönlichkeit brauche. Während ich male, versuche<br />

ich, mein kritisches Selbst abzuschalten, andernfalls<br />

blockiert einen das Denken ja total, und man könnte<br />

jeden Klecks totanalysieren. Danach versuche ich, aus<br />

der Malerei herauszutreten und mit kritischem Blick<br />

die nächste Entscheidung zu treffen, um weiterarbeiten<br />

zu können. Durch meine Lehrtätigkeit ist mir aufgefallen,<br />

dass ich sofort weiß, was den Bildern anderer<br />

Leute fehlt. Bei meinen eigenen hingegen ist es viel<br />

emotionaler, neurotischer. Daher versuche ich, mich<br />

selbst beim Betrachten meiner Arbeit für einen Moment<br />

auszublenden und ganz klinisch zu fragen: Was<br />

fehlt dem Bild denn?<br />

INTERVIEW: Über Ihre britischen Landsleute gibt es<br />

viele Sprüche in der Art: „Andere Völker haben Sex,<br />

wir haben Wärmflaschen.“ Ihr Werk hin gegen explodiert<br />

vor Sinnlichkeit. Eine Art Auf be gehren gegen<br />

Prüderie?<br />

BROWN: Was die Briten und Sex angeht – die sind<br />

total sexbesessen. Ich halte England für sexyer als<br />

Schweden. Warum soll man in einem Land, in dem<br />

man den ganzen Tag lang wunderbare nackte Menschen<br />

sieht, noch versuchen, einen verstohlenen Blick<br />

in jemandes Unterwäsche zu erhaschen? Dieses „No<br />

sex please, we’re British“ ist ein Witz, immerhin haben<br />

wir doch diese ganzen schwulen Internatsgeschichten<br />

und sind dauernd in irgendwelche SM-<br />

Skandale verwickelt. Unterdrückung ist ja geradezu<br />

eine Einladung, auch für die eher abwegigen Seiten<br />

der Sexualität. Ich glaube, Verbote sind sexy.<br />

INTERVIEW: Googelt man Ihren Namen und „Hasen“,<br />

dann werden mehrere Suchergebnisse aus<br />

rechtlichen Gründen nicht angezeigt. Was ist denn<br />

da los?<br />

BROWN: Gute Güte! Keine Ahnung. Ich habe zu viel<br />

Angst, mich selbst zu googeln, wahrscheinlich sollte<br />

ich jemand anderen bitten, das zu tun. Aber wenn Sie<br />

Ihre Hausaufgaben gemacht haben, dann wissen Sie<br />

sicher, dass meine Hasenbilder mein Weg waren, heftiges<br />

Zeug zu verhandeln, das ich Menschen wirklich<br />

nicht zumuten wollte. Hasen waren da die Stellvertreter.<br />

Dieser Tage kommen die Bunnys zurück.<br />

INTERVIEW: „Bunnys“ so wie in Playboy-Bunny?<br />

BROWN: Nein. Auf Playboy-Bunnys stehe ich gar<br />

nicht. Die versauen den Hasen den Ruf.<br />

<strong>Interview</strong> GUNNAR LÜTZOW<br />

„WARUM<br />

ÜBERHAUPT<br />

BASEBALL?”<br />

CHAD HARBACH<br />

hat einen Bestseller<br />

über eine Sportart<br />

geschrieben, die kaum<br />

einer versteht<br />

INTERVIEW: Herr Harbach, Ihr Roman Die Kunst des<br />

Feldspiels hat mich bestens unterhalten, aber ich verstehe<br />

immer noch nicht, worum es beim Baseball geht.<br />

CHAD HARBACH: Ja, in Deutschland geht das vielen so.<br />

INTERVIEW: Aber Baseball ist für die Handlung essenziell,<br />

oder?<br />

HARBACH: Klar, in der Geschichte steckt ja eine<br />

Menge Baseball drin.<br />

INTERVIEW: Ist es nicht komisch,<br />

dass Baseball für die<br />

Geschichte essenziell ist, aber<br />

für das Verständnis der Geschichte<br />

kaum eine Rolle spielt?<br />

HARBACH: Ich weiß nicht. Das müssten<br />

Sie mir erklären.<br />

INTERVIEW: Ich hab das Buch nicht geschrieben<br />

…<br />

HARBACH: … Und ich kann’s nicht<br />

unbefangen lesen.<br />

INTERVIEW: Wieso überhaupt<br />

Baseball?<br />

HARBACH: Ich hatte die Idee von<br />

einem Spieler, der ein psychisches<br />

Problem entwickelt. Mit<br />

einem Mal kann er den Ball<br />

nicht mehr richtig werfen, so<br />

als hätte er etwas mit dem<br />

Arm. Im Profi-Baseball passiert<br />

das immer mal wieder.<br />

Plötzlich können diese<br />

Männer nicht mehr, wie<br />

sie sollen, denn im Grunde<br />

32<br />

33


1<br />

SMALLTALK<br />

müssen sie ja nur funktionieren. Aber das geht dann<br />

nicht mehr – und keiner weiß, warum.<br />

INTERVIEW: So wie bei Schriftstellern, die eine<br />

Schreibblockade haben.<br />

HARBACH: Ja, aber eine Schreibblockade hat man<br />

mit sich allein. Ein Spieler hat die Blockade vor den<br />

Augen eines voll besetzten Stadions. Er steht quasi<br />

allein auf dem Platz, und alle sehen ihm zu.<br />

INTERVIEW: Damit fing es also an …?<br />

HARBACH: Ja, meines Wissens nach hatte darüber<br />

nie jemand in einem Roman geschrieben, und ich<br />

dachte, es sei ein gutes Thema. Also machte ich mich<br />

an die Arbeit. Ich war 24 Jahre alt und hatte natürlich<br />

keinen Schimmer, was ich da eigentlich tat.<br />

INTERVIEW: Haben Sie einfach drauflosgeschrieben<br />

und sich von sich selbst überraschen lassen?<br />

HARBACH: Nein, ehrlich gesagt hab ich viel geplant.<br />

Die Figuren standen alle schon ziemlich früh fest,<br />

und nachdem ich beinahe endlos lange Charakterstudien<br />

geschrieben hatte, legte ich fest, wann sie<br />

sich wie und wo begegneten.<br />

INTERVIEW: Neun Jahre haben Sie an dem Buch gearbeitet,<br />

und als es fertig war, wollte es keiner haben.<br />

HARBACH: Ja, ich habe es Agenten geschickt, die ich<br />

von meiner Arbeit bei der Literaturzeitschrift n+1<br />

kannte. Die hatten mich immer gefragt, wann sie<br />

denn endlich das Manuskript lesen könnten, und als<br />

sie es gelesen hatten, meinten sie: „Nein, lieber nicht!“<br />

INTERVIEW: Aber das verstehe ich nicht. Sie sind Teil<br />

der Literaturszene, das Buch lässt sich wunderbar<br />

lesen, und ein Verständnisproblem in Sachen Baseball<br />

dürfte es in den USA nicht<br />

geben. Wieso haben die das<br />

Buch abgelehnt?<br />

HARBACH: Ich weiß es nicht.<br />

INTERVIEW: Und dann erbarmt<br />

sich schließlich ein anderer Li teraturagent,<br />

entfacht eine Bieterschlacht<br />

und handelt einen sensationellen Vorschuss<br />

von knapp 700 000 Dollar heraus. Heute<br />

ist das Buch ein Bestseller.<br />

HARBACH: Ja, es ist verrückt.<br />

INTERVIEW: Die Filmrechte schon verkauft?<br />

HARBACH: Ja, an den Sender HBO. Die wollen<br />

eine Serie daraus machen.<br />

<strong>Interview</strong> HARALD PETERS<br />

CHAD HARBACHS DIE KUNST DES FELDSPIELS<br />

IST BEI DUMONT ERSCHIENEN<br />

„HABEN SIE<br />

HAUSTIERE?”<br />

Barry Manilow über die<br />

psychologische Wirkung<br />

von E-Zigaretten im<br />

Flugzeug und den besten<br />

Tisch im Restaurant<br />

INTERVIEW: Hallo Herr Manilow, Sie rauchen<br />

eine E-Zigarette, wie ist das so?<br />

BARRY MANILOW: Wollen Sie mal probieren?<br />

INTERVIEW: Gerne … Schmeckt nach nichts.<br />

MANILOW: Ist ja auch nur Dampf.<br />

INTERVIEW: Aber die sind doch schädlich, oder?<br />

MANILOW: Nein, nein, die sind unschädlich. Ich<br />

habe da gerade einen Artikel gelesen. Aber im Flugzeug<br />

darf ich sie trotzdem nicht benutzen. Die Stewardess<br />

hat gesagt, es würde sich auf die Psyche der<br />

Passagiere auswirken.<br />

INTERVIEW: Müssen Sie nicht sowieso aufpassen und<br />

Ihre Stimme pflegen?<br />

MANILOW: Nein, ich verstehe mich als Musiker und<br />

nicht als Sänger. Ich vergesse auch immer, mich vor<br />

der Show aufzuwärmen. In der Zeit, als ich viel in Las<br />

Vegas auftrat, bekam ich, was die Leute den Vegas-<br />

Husten nennen, weil es so trocken dort ist.<br />

INTERVIEW: Was ist eigentlich das Beste daran, berühmt<br />

zu sein?<br />

MANILOW: Im Restaurant immer<br />

sofort einen guten Tisch zu bekommen.<br />

Man hält mir die Tür auf und<br />

ist immer ein wenig freundlicher als<br />

zu den anderen Menschen.<br />

INTERVIEW: Was ist der Nachteil?<br />

MANILOW: Die Verantwortung. Man<br />

muss immer die richtigen Worte finden.<br />

Fans und Band glücklich und<br />

stolz machen.<br />

INTERVIEW: Sie haben mit vielen Musikern<br />

zusammengearbeitet, welcher ist<br />

Ihnen im Gedächtnis geblieben?<br />

MANILOW: Ich muss sagen, Barbra<br />

Streisand. Das würde wohl jeder sagen,<br />

der mit ihr gesungen hat. Wenn<br />

man mit ihr auf der Bühne<br />

steht, sollte man die Klappe<br />

halten und sie singen lassen.<br />

INTERVIEW: Gibt es jemanden, mit dem<br />

Sie gerne mal singen würden?<br />

MANILOW: Mit Gaga. Es wäre toll, einen<br />

Song mit ihr zu schreiben, sie ist wunderbar.<br />

INTERVIEW: Gibt es ein Geheimnis beim Komponieren?<br />

MANILOW: Ja, das gibt es, und ich wünschte,<br />

ich würde es kennen. Ich habe mal einen Song im<br />

Traum geschrieben: One Voice. Ich bin davon wach<br />

ge wor den, und er war fertig in meinem Kopf. Heute<br />

gehört er zu den liebsten Songs in meinem<br />

Repertoire.<br />

INTERVIEW: Gibt es etwas, das Sie auf der<br />

Bühne stört?<br />

MANILOW: Feedback. Und grünes<br />

Licht.<br />

INTERVIEW: Haben Sie ein<br />

spezielles Bühnenoutfit?<br />

MANILOW: Ich habe Jacken,<br />

die mich besser aussehen<br />

lassen, als ich<br />

sollte.<br />

INTERVIEW: Haustiere?<br />

MANILOW: Ja, einen Labrador.<br />

Die Liebe meines Lebens.<br />

INTERVIEW: Wie heißt er?<br />

MANILOW: Das kann ich nicht<br />

erzählen, ich will nicht, dass<br />

alle seinen Namen wissen.<br />

<strong>Interview</strong> LAURA EWERT<br />

ZULETZT ERSCHIEN<br />

BARRY MANILOWS<br />

DOPPEL-CD<br />

FOREVER AND BEYOND<br />

BEI UNIVERSAL MUSIC<br />

Serialität<br />

Morrissey und Hebdige<br />

Popkonzepte<br />

Energie und Depression<br />

Lady Gaga<br />

„BRAUCHT<br />

MAN BRÜDER<br />

IM GEISTE?”<br />

NADJA GEER über<br />

die Selbstentwürfe<br />

der westdeutschen Popintelligenz<br />

H e f t 1 H e r b s t 2 0 1 2<br />

K u lt u r<br />

& K r i t i K<br />

INTERVIEW: Was eigentlich ist<br />

Sophistication und was Pop?<br />

NADJA GEER: Ja, das ist interessant,<br />

viele Leute glauben ja,<br />

bei Pop ginge es darum, dass<br />

einem etwas ins Gesicht<br />

springt, dass es poppig ist, farbig,<br />

banal. Ich meine, dass<br />

Pop sehr viel mit Verfeinerung<br />

zu tun hat und Sophistication,<br />

insofern man das,<br />

was schon da ist, reflektiert<br />

und zu toppen versucht. In<br />

den 80er-Jahren, in denen<br />

Pop in einen Prozess der<br />

Selbstreflexion eingetreten<br />

ist, war das ein Muss.<br />

INTERVIEW: Man musste sich also<br />

ein bisschen schlauer gerieren als die anderen?<br />

GEER: Ja, die Sophistication des Pop ist aber nicht so<br />

sehr die des Trendbewusstseins wie heute beim Hipstertum.<br />

Da ist schon der Wunsch nach einer Distinktion,<br />

die über die reine Oberfläche hinausgeht. Sophistication<br />

meint eine alternative Form von Bildung.<br />

INTERVIEW: Handelt es sich dabei nicht um Abfall für<br />

alle, wie Rainald Goetz eine seiner Alltagsbeobachtungen<br />

im Internet nannte?<br />

GEER: Abfall vielleicht, das ist Geschmackssache,<br />

aber bestimmt nicht für alle. Nach Diedrich Diederichsen<br />

ging es darum, Wissen zu vermitteln, aber auf<br />

keinen Fall an die Falschen. Da sehe ich eines der<br />

Probleme des Popdiskurses. Er hätte politischer wirken<br />

können, wenn er sich nicht so in den Kopf gesetzt<br />

hätte, zuallererst schön und geistreich sein zu müssen.<br />

Aber Sophistication funktioniert nur im Ensemble.<br />

Man kann nicht alleine sophisticated sein.<br />

INTERVIEW: Man braucht Brüder im Geiste?<br />

GEER: Ja, die wissen und schätzen, was man weiß.<br />

INTERVIEW: Und Schwestern im Geiste?<br />

GEER: Ja, wo sind die Frauen? Es gab Clara Drechsler<br />

bei der Spex, aber sie hat dort eher die Exzentrikerin<br />

gegeben. Thomas Meinecke sagte mal: „Pop<br />

hat eine harte Tür.“ Da ist wieder die Idee des Clubs,<br />

in den nicht jeder reinkommt. Das hab ich als junge<br />

Frau erlebt: Wenn man mitreden will in diesem Popdiskurs,<br />

darf man sich auf keinen Fall als Nichtwissende<br />

outen. Man musste bella figura machen, selbst<br />

wenn man die Anspielung nicht verstand. Es war immer<br />

alles klar. Und das war natürlich der größte Fake<br />

von allem.<br />

<strong>Interview</strong> BRIGITTE WERNEBURG<br />

SOPHISTICATION.<br />

ZWISCHEN DENKSTIL UND POSE IST<br />

BEI V&R UNIPRESS ERSCHIENEN<br />

Fotos: Penn Station, New York, 2009 © Sinaida Michalskaja, Gestaltung: Charlotte Cassel, Sinaida Michalskaja © Transcript Verlag; Larry Marano/Getty Images<br />

10<br />

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des Widerrufs. Im Fall eines wirksamen Widerrufs sind die beiderseits<br />

empfangenen Leistungen zurückzugewähren.<br />

34<br />

Datum<br />

Unterschrift


WOW!<br />

HITCHCOCK WÜRDE ERBLASSEN. Jacke CHANEL, Manschette HERMÈS<br />

DIE FREUDEN EINES ATHLETISCHEN LEBENS<br />

Nachdem Carine Roitfeld inzwischen in ihrem eigenen Universum agiert, ist die Engländerin Katie Grand<br />

chancenreiche Anwärterin auf den Titel „Umtriebigste Chefredakteurin einer cutting edge-Modezeitschrift“<br />

(in ihrem Fall heißt diese Love). Vergangenen Herbst kuratierte sie für Louis Vuitton eine Ausstellung<br />

in Mailand, jetzt hat sie sich mit der italienischen Schuhmarke Hogan zusammengetan<br />

und eine Kollektion entworfen, die die Freuden eines athletischen Lebens zu<br />

feiern scheint: Mini-Umhängetaschen, Sneakers, Ballerinas, Sonnenbrillen und<br />

Handgelenktaschen (die Herrenhandtasche jetzt auch für Frauen!). Verbindendes<br />

Element ist ein kleines Herz in Rot, Pink oder Schwarz, gleichermaßen<br />

inspiriert von der Comme-des-Garçons-Linie Play und, naheliegend ist ja<br />

immer am besten, vom Titel ihres Magazins. Was neben High Tops<br />

(unten) natürlich nicht fehlen darf: der Wedge-Sneaker, den sich<br />

Grand in papageienbunt ausgemalt hat. Bei den Modellen griff<br />

sie auf das Archiv der Mailänder Marke zurück, mit neuen<br />

Farben und Lederoberflächen hat sie ihnen die nötige<br />

nowness verliehen.<br />

Die RADIKAL<br />

MODERNISIERTE<br />

BLONDINE<br />

Was hier zu sehen ist, wenn auch nur im Anschnitt: eine radikal<br />

modernisierte Version der Hitchcock-Blondine. Kühl, kalkuliert und<br />

mit diskret loderndem Feuer. Wie jüngst zu lesen, waren die Beziehungen<br />

des Regisseurs zu seinen Darstellerinnen unberechenbar.<br />

Mit Grace Kelly (Das Fenster zum Hof, Über den Dächern von Nizza)<br />

blieb er zeitlebens befreundet, Tippi Hedren (Die Vögel) beschwert<br />

sich bis heute, dass er ihre Karriere ruiniert hätte. Das könnte dem<br />

Typ Frau auf dieser Seite garantiert nicht passieren.<br />

Foto MATT IRWIN<br />

Styling DARCY BACKLAR<br />

Fotos: Foto-Assistenz: Denis Shlovsky, Make-up: Ayami Nishimura/Julian Watson Agency mit Produkten von MAKE, Make-up-Assistenz: Miyuki Ishizuka, Haare: Alain Pichon/Streeters,<br />

Maniküre: Sophy Robson/Streeters, Model: Hana J/Silent; Katie Grand loves Hogan; Artwork: Rene Ricard, © 2012 David Armstrong & Mörel Books; Pierre Hardy für Le Bon Marché; AMD<br />

SELBST DALÍ<br />

WIRD WIEDERENTDECKT:<br />

AUSSTELLUNGEN<br />

IM NOVEMBER<br />

1<br />

HEIMO ZOBERNIG<br />

9. November 2012 bis 15. April 2013<br />

Museo Reina Sofía, Madrid<br />

Der österreichische Künstler (Jahrgang 1958)<br />

nutzt für seine Interventionen das gesamte<br />

Spek trum künstlerischer Ausdrucksformen wie<br />

Malerei, Skulptur, Architektur, Video und Installation.<br />

Seine Retrospektive mit 50 Arbeiten,<br />

darunter auch Frühwerke, macht deutlich, wie<br />

entscheidend der Künstler zum Wandel des<br />

Skulpturen begriffs beigetragen hat. Der Einsatz<br />

von alltäglichem Material korrespondiert mit<br />

der bewussten Reduktion der Form, die oft den<br />

Anschein des Unfertigen hat.<br />

LIGHT FROM THE MIDDLE EAST:<br />

NEW PHOTOGRAPHY<br />

13. November 2012 bis 7. April 2013<br />

Victoria and Albert Museum, London<br />

Schon weil die Bilder, die derzeit aus dem Nahen<br />

Osten zu uns kommen, immer nur Gewalt, Krieg<br />

und Tod zu zeigen scheinen, ist es eine großartige<br />

Idee, einmal der zeitgenössischen künstlerischen<br />

Fotografie dieser Region eine Bühne zu geben.<br />

30 Künstler und Künstlerinnen aus 13 Ländern<br />

setzten sich in mehr als 90 Arbeiten mit den<br />

sozialen und politischen Umbrüchen auseinander,<br />

die in ihren Ländern stattfinden. Sie zeigen dabei<br />

einen Prozess auf, in dem gerade Künstler Agenten<br />

des kulturellen und sozialen Wandels sind.<br />

KRIS MARTIN –<br />

EVERY DAY OF THE WEAK<br />

23. November 2012 bis 3. Februar 2013<br />

Kestnergesellschaft, Hannover<br />

Die erste umfassende Einzelausstellung des belgischen<br />

Künstlers (Jahrgang 1972) zeigt spektakuläre<br />

Installationen wie den von einem Ventilator<br />

aufgeblasenen Heißluftballon, der den Raum so<br />

komplett ausfüllt, dass die Besucher den Ballon<br />

begehen können. Bekannt ist auch die Anzeigetafel,<br />

die Martin jenen in Flughäfen und Bahnhöfen<br />

abgeschaut hat. Allerdings hat er sein in<br />

einem Zufallsrhythmus umklappendes Schild von<br />

allen Buchstaben und Zahlen bereinigt: Die<br />

Funktion läuft ins Leere.<br />

DALÍ<br />

21. November 2012 bis 25. März 2013<br />

Centre Pompidou, Paris<br />

Nach mehr als 30 Jahren will die erste große<br />

Retrospektive des spanischen Meisters in Paris<br />

den Künstler wiederentdecken, der gegenüber<br />

dem showman, politischen Provokateur und<br />

geldgierigen Egomanen etwas ins Hintertreffen<br />

geraten ist. Denn mit zunehmendem Alter und<br />

Erfolg hatte der Mann mit dem hochgezwirbelten<br />

Schnurrbart diese Rollen der des Malers vorgezogen.<br />

150 Arbeiten zeigen altmeisterliche Technik,<br />

gepaart mit einer immer wieder überraschend<br />

erfindungsreichen Fantasie. Diese Wiederbegegnung<br />

könnte ziemlich spannend werden.<br />

DENEUVE ALS NIXE<br />

WOW!<br />

Was man sich selbst zum Geburtstag schenkt, ist ja<br />

eine der kompliziertesten Fragen. Das Pariser<br />

Kaufhaus Le Bon Marché hat sie zu seinem 160.<br />

pragmatisch beantwortet: möglichst viel. Insgesamt<br />

600 Spezialanfertigungen gibt es zu diesem<br />

Anlass, teilweise in Eigenarbeit, teilweise von<br />

Marken, mit denen man eine besonders innige<br />

Beziehung pflegt: Jean Paul Gaultier, Fendi,<br />

Pierre Hardy, Gucci, Shiseido. Abgerundet<br />

werden die Feierlichkeiten durch eine Reihe<br />

von großformatigen Zeichnungen, die<br />

Catherine Deneuve in diversen Rollen zeigen:<br />

mit Sonnenbrille in den Straßen von Paris,<br />

im Animal-Print-Kleid beim Lianenschwingen,<br />

als Nixe am Brunnen von Saint-Sulpice.<br />

Entkleidung und<br />

Enthemmung<br />

David Armstrong ist ein amerikanischer<br />

Fotograf, den man der sogenannten<br />

Boston School zurechnet,<br />

deren bekannteste Vertreter Nan<br />

Goldin und Jack Pierson sind. Sein<br />

Bildband Night and Day (Mörel<br />

Books) zeigt 110 Aufnahmen von<br />

1979, als er zwischen Provincetown<br />

und New York hin- und herpendelte.<br />

Armstrong porträtierte junge Menschen<br />

in unterschiedlichen Graden<br />

von Entkleidung und Enthemmung.<br />

Beim Zigaretterauchen und Kokainhacken,<br />

in der Badewanne oder auf<br />

der Rückbank eines Autos. Oder<br />

einfach nur beim Ausschlafen. Die<br />

Beiläufigkeit, mit der hier Lebenslust,<br />

Selbstzerstörung, komische<br />

Frisuren und dreckige Wohnungen<br />

vorkommen, ist inzwischen vertraut.<br />

Ebenso die Quasi-Autobiografie,<br />

die ja nur eine andere Art der Fiktion<br />

ist. Aber die kunstvolle Kunstlosigkeit<br />

dieser Bilder wirkt noch heute<br />

frappierend und romantisch. Und<br />

natürlich verdankt das Frühwerk von<br />

Wolfgang Tillmans oder Ryan<br />

McGinley einiges der Ästhetik ihres<br />

amerikanischen Kollegen.<br />

CARA DELEVINGNE<br />

MIT HIGH-TOP-SNEAKERS VON HOGAN<br />

KARTEN-ETUI VON PIERRE HARDY,<br />

SPECIAL EDITION FÜR LE BON MARCHÉ<br />

SO nackt ES GEHT<br />

Selbst überzeugten Taxireisenden dürfte es schwerfallen,<br />

ihren Puls bei diesem Spielzeug im Griff<br />

zu behalten. Für das Thunderbike PainTTless<br />

hatte sich ein Team von Edelschraubern aus<br />

Hamminkeln vorgenommen, ein Motorrad zu<br />

bauen, bei dem jedes Einzelteil so nackt wie<br />

irgend möglich verarbeitet wird. Das Ergebnis<br />

ist, wie man so sagt, „Erotik pur“.<br />

36<br />

37


Brutal<br />

skulPtural und<br />

Begehrenswert<br />

traNSSilvaNiSche SchürzeN auS deN 50erN alS<br />

Kleider getrageN – uNd eiNe SticKtuNiKa<br />

wow!<br />

Jägerin und<br />

sammlerin<br />

Selbst bei größtmöglicher Klischeevermeidung<br />

muss man Katharina Koppenwallner<br />

eine Renaissancefrau nennen,<br />

was ja immer die Notlösung ist,<br />

wenn sich für mehrfach Begabte einfach<br />

keine Schublade finden lässt. Sie<br />

hat mal das Magazin Kid’s Wear zu<br />

einer brillanten und international beachteten<br />

Publikation gemacht, ist als<br />

Autorin und Stylistin tätig und betreibt<br />

seit einigen Jahren ein Projekt, das<br />

gleichermaßen fast schmerzhaft genau<br />

den Zeitgeist trifft und totale Herzensangelegenheit<br />

ist. Für ihren Webshop<br />

International Wardrobe fährt sie nach<br />

Transsilvanien, Kambodscha oder<br />

Laos und kauft dort alte, traditionelle<br />

Kleidung, Stoffe, Teppiche. Die werden<br />

online – und seit Kurzem auch in<br />

einem ultracharmanten Laden in Berlin<br />

– an Menschen verkauft, die sich an<br />

den Farbkombinationen, der ungehemmten<br />

Liebe zum Ornament oder<br />

auch an der Aura des Getragenen<br />

erfreuen. Wie man auf diesem Foto<br />

unschwer erkennt: Bei richtiger Ernährung<br />

ist auch ein rumänisches<br />

Schürzenkleid das perfekte Outfit für<br />

eine Vernissage, eine Modeparty oder<br />

einen Mädchenabend. Vorausgesetzt,<br />

die anderen Mädchen sind auch schon<br />

so weit (internationalwardrobe.com).<br />

Ach, wäre das eigene Leben doch eine Discokugel<br />

– stets in Bewegung, gleichzeitig fest verankert,<br />

und alle sind dankbar für die hübschen Lichtreflexe,<br />

die man ausstrahlt. Wenn dieser<br />

Tagtraum zu Ende ist, zückt man am besten<br />

die Kreditkarte und kauft ein<br />

Paar Schuhe von Andreia<br />

Chaves, einer der interessantesten<br />

neuen<br />

Designerinnen, die es vermag, ihre Entwürfe gleichzeitig brutal skulptural und ungeheuer begehrenswert<br />

aussehen zu lassen. Die Spannbreite zwischen verspiegelten Klumpschuhen und dem Modell, beim<br />

dem ein goldener Vorhang die Füße zu umhüllen scheint (oben), ist denkbar groß, aber wenn Sie die<br />

High Heels gesehen haben, die aussehen wie eine Skizze für den Film Tron (nur schwarze, scharfe<br />

Kanten), dann ahnen Sie, dass man bei dieser Frau mit allem rechnen darf.<br />

Auf<br />

Pandasohlen<br />

Der amerikanische Künstler Rob Pruitt<br />

ist für seine Pandabären bekannt und<br />

für subversiven, aber stets freundlichen<br />

Humor. Seine Kooperation mit der<br />

Marke Jimmy Choo ist folglich ziemlich<br />

fröhlich geraten: Animal-Print, Kunstfellpuschel,<br />

auf der Innensohle Comic-<br />

Pandas als Teufel- und Engelchen.<br />

Die Taschen sind ähnlich hysterisch.<br />

Fast untragbar und deswegen gut.<br />

ÄuSSerlich<br />

betrachtet: warum<br />

wir im November<br />

iNS KiNo geheN<br />

2<br />

„Skyfall”<br />

Weil Javier Bardem in dem neuen Bond-Film den<br />

Schurken spielt und er in seinen Schurkenrollen<br />

stets die fiesesten Frisuren trägt – wobei diese<br />

Frisur in ihrer beiläufig blondierten Fiesheit noch<br />

die besonders fiesen Frisuren aus Perdita Durango<br />

oder No Country For Old Men mühelos übertrifft<br />

(ab 1. November).<br />

„Oh BOy”<br />

Weil Tom Schilling als orientierungsloser junger<br />

Mann in Berlin einen so glaubwürdig nachläs -<br />

sigen Eindruck macht, wie man ihn so beeindruckend<br />

im deutschen Kino noch nie zu sehen<br />

bekam, sondern bestenfalls aus französischen<br />

Filmen kennt, wo ja alle wissen, wie man ein<br />

ungebügeltes Hemd oder eine ausgebeulte Anzughose<br />

mit Stil und Würde trägt (ab 1. November).<br />

„argO”<br />

Weil Ben Afflecks Film (Hauptrolle und Regie)<br />

über eine Rettungsaktion der CIA im Jahre 1979<br />

nach der Besetzung der US-Botschaft in Teheran<br />

nicht nur interessante historische Einblicke liefert,<br />

sondern auch den ästhetischen Umbruch zwischen<br />

den 70ern und den 80ern einwandfrei dokumentiert<br />

(ab 8. November).<br />

„fraktuS”<br />

Weil die interessante, aus dem Nichts zurückgekehrte<br />

Band Fraktus, von der dieser Dokumentarfilm<br />

erzählt, auf dem Plakat Overalls anhat und<br />

sich auch sonst nicht scheut, in Kostüme zu<br />

schlüpfen, die mit gewisser Berechtigung landläufig<br />

als unvorteilhaft gelten (ab 8. November).<br />

„the Sex Of angelS”<br />

Weil es in dieser bezaubernden Liebesgeschichte<br />

aus Spanien zwar um mehr als bloß Oberflächenreize<br />

geht, aber, meine Güte, sehen die drei<br />

Hauptdarsteller – ein Mädchen, zwei Jungs – gut<br />

aus! (ab 8. November)<br />

„Pieta”<br />

Weil, weil, weil … (ab 8. November).<br />

„POSSeSSiOn”<br />

Weil weiße Nachthemden eigentlich nur noch<br />

in Filmen getragen werden, in denen böse<br />

Geister von jungen Mädchen Besitz ergreifen<br />

(ab 8. November).<br />

„DreDD”<br />

Weil der Motorradhelm dem einigermaßen gewaltbereiten<br />

Helden den gesamten Film hin -<br />

durch derart prominent auf dem Schädel sitzt, als<br />

ginge es ihm dabei nicht nur um körperlichen<br />

Schutz, sondern um den Ausdruck seiner Individualität<br />

(ab 15. November).<br />

„Breaking Dawn – teil 2”<br />

Weil Edward und Bella jetzt, wo auch sie Vampir<br />

ist, endlich, endlich (endlich) gemeinsam im<br />

Sonnenlicht funkeln können (ab 22. November).<br />

„Der BöSe Onkel”<br />

Weil hier – es handelt sich um die schwungvolle<br />

Verfilmung eines Theaterstücks über einen Sportlehrer,<br />

der zu sexuellen Übergriffen neigt –<br />

einfach alle so fabelhaft schlecht angezogen sind<br />

(ab 22. November).<br />

„Back in the game”<br />

Nicht, weil der Film eigentlich Trouble With The<br />

Curve heißt und von unserem neuen Lieblingssport<br />

Baseball handelt (siehe Smalltalk), sondern<br />

weil Justin Timberlake mitspielt, weswegen<br />

denn sonst? (ab 29. November)<br />

Fotos: Tim Thiel/internationalwardrobe.com; Andreia Chaves; Rob Pruitt für Jimmy Choo; Bernardo, Jazmin and Ana, Noritoshi Hirakawa Unión de … Interactional Casa Barragán, Hatje Cantz; Jodie Foster, Taxi Driver, New York, 1975, Steve Schapiro, Then And Now, Hatje Cantz<br />

SelbSt SELBST mArloN MARLON brANdo BRANDO lÄchelt LÄCHELT<br />

Nicht schon wieder, glimmt der Abwehrgedanke auf, wenn man den nächsten<br />

prächtigen Bildband mit weltberühmten Menschen auf den Tisch donnert.<br />

Bei Steve Schapiros Then and Now (Hatje Cantz Verlag) ist das ein bisschen<br />

anders. Schon das Cover ist ungewöhnlich. Ein Bild von David Bowie in seiner<br />

großartigen Der Mann, der vom Himmel fiel-Phase, aber körnig, von der<br />

Seite und ins Irgendwo schauend. Schapiro muss ein großer Verführer sein:<br />

Die Stars machen vor seiner Kamera Unsinn und scheinen sich erstaunlich oft<br />

zu freuen, den Mann dahinter zu sehen. Selbst Marlon Brando lächelt. Und<br />

das Porträt von Dolly Parton, mit ihrer signature wig, aber einfach zum Verlieben<br />

melancholisch, lässt einen die Frau noch mal von Grund auf neu<br />

überdenken. Wer berühmte Menschen für grundsätzlich überschätzt hält,<br />

wird seine Meinung auch durch dieses Buch nicht ändern.<br />

Jeder normale Mensch wird wachsweich vor diesen Bildern.<br />

NACHTS<br />

im GARTEN<br />

Foto<br />

AMOS FRICKE<br />

Tom Ford hat für seine „Private Blend“-Linie eine weitere Kollektion<br />

entworfen und sie „Jardin Noir“ genannt. Jeweils eine Blütennote<br />

steht im Mittelpunkt und verströmt vor allem ihren dunklen Charakter:<br />

„Jonquille de Nuit“,„Lys Fume“,„Ombre de Hyacinth“ und „Café<br />

Rose“. Wie in einem nächtlichen Garten.<br />

WOW!<br />

DIFFUSE EROTIK IN EINEM SCHÖNEN HAUS:<br />

BERNARDO, JAZMIN AND ANA VON NORITOSHI HIRAKAWA<br />

Je LEERER,<br />

desto MEHR SEX<br />

Die suggestive Kraft, die Architektur auf kleinem<br />

Raum mit überschaubaren Mitteln entwickeln<br />

kann, lässt sich wunderbar in der Casa Luis Barragán<br />

studieren, die der mexikanische Baumeister<br />

1948 für sich entwarf. Seine Gebäude lassen sich<br />

so gut fotografieren, weil sie die Geometrie der<br />

klassischen Moderne mit einem tropischen Farbensinn<br />

verbinden. Sein Wohnhaus jedoch ist<br />

von fast klösterlicher Strenge und Enge, die sich<br />

nur gelegentlich auf dann allerdings sensationelle<br />

Licht- und Farbeindrücke öffnet. Nun hat der<br />

japanische Fotograf Noritoshi Hirakawa das Baudenkmal,<br />

das heute Museum ist, ganz neu bespielt:<br />

In dem Bildband Unión de … Interactional Casa<br />

Barragán (Hatje Cantz Verlag) sieht man Tänzer,<br />

mal nackt, mal nicht, in nicht ganz eindeutigen,<br />

aber eindeutig sexuell aufgeladenen Arrangements,<br />

als würde man die Dreharbeiten eines schwülen<br />

Autorenfilmes oder das Zusammenleben einer<br />

sehr aktiven Wohngemeinschaft beobachten.<br />

„Je leerer ein Haus oder eine Wohnung ist, desto<br />

schneller werden Menschen darin an Sex denken<br />

(siehe Der letzte Tango in Paris)“, schreibt in<br />

seinem Vorwort der Schweizer Kurator Tobia<br />

Bezzola. Wäre man selbst nicht draufgekommen,<br />

doch stimmt genau.<br />

STEVE SCHAPIRO: JODIE FOSTER 1975 AM SET VON TAXI DRIVER<br />

38<br />

39


WOW!<br />

BLICK ZURÜCK in ROT<br />

Ruhestand ist bei Valentino ein relativer Zustand. Gerade hat<br />

er Kostüme für die New Yorker Met entworfen, nun feiert eine<br />

große Ausstellung im Somerset House in London (29. November<br />

2012 bis 3. März 2013) seine Arbeit in der Haute Couture.<br />

In einigen der Hauptrollen: das Oscar-Kleid von Julia Roberts<br />

2001, das Hochzeitskleid von Jackie Onassis 1968, das perlenbesetzte,<br />

elfenbeinfarbene Kleid, in dem ein It-Girl aus Manhattan<br />

zur Prinzessin Marie-Chantal von Griechenland wurde.<br />

Anatomisch KORREKT<br />

Knochen, Totenköpfe, Gliedmaßen – zeitgenössischer Schmuck<br />

gleicht häufig einem Crashkurs in Anatomie. Die Designerin<br />

Shahla Kareen mit ihrem Label Ludevine hat sich ein bislang<br />

noch fehlendes Organ zum Vorbild für ihren Anhänger<br />

ge nommen: ein anatomisch<br />

korrektes Herz.<br />

Hübsche KLATSCHE<br />

40<br />

BIOMORPH<br />

Biomorph und mechanisch<br />

wirken die Entwürfe von<br />

Svenja John. Ihr Armreif<br />

ist aus Makrofol, zu<br />

Folie gezogenem<br />

Polycarbonat. Plastikschmuck<br />

also,<br />

aber ziemlich raffiniert.<br />

Mit dieser Clutch von Alexander McQueen<br />

hat man nur ein Problem: Sie kommt nicht<br />

durch den Sicherheitscheck am Flughafen.<br />

Allzu eindeutig ist der hübsch bestickte<br />

Korpus an einem modifizierten Einhörnerplus-Totenkopf-Schlagring<br />

montiert. Dessen<br />

Kampftauglichkeit ist fraglich, aber wer<br />

ein-mal seine vier Finger in Position gebracht<br />

hat, kann sie kaum noch verlieren (die Clutch).<br />

Silbernes DACH<br />

Bei Alessandro Daris Ring „Vecchio Castello“<br />

sind die Türme aus Gold, die Dächer aus<br />

Silber und Turmalin – und der<br />

Ring finger der Trägerin ist<br />

hoffentlich<br />

einigermaßen<br />

muskulös<br />

(über luisaviaroma.com).<br />

STICH-<br />

HALTIG<br />

Schillernde Roboterkäfer – auf<br />

solche Ohrclips kann eigentlich<br />

nur Roberto Cavalli kommen<br />

(über net-a-porter.com).<br />

GEGEN<br />

PEST und<br />

TEUFEL<br />

Wie man Minimalismus<br />

mit Üppigkeit<br />

verbindet, zeigt diese<br />

rubinbesetzte Herrenuhr<br />

von Dolce & Gabbana,<br />

ihr Debüt im Edeluhrensegment.<br />

Rubine sollen<br />

gegen die Pest und den Teufel<br />

schützen. Insofern ist man mit<br />

dieser Uhr nicht nur pünktlich,<br />

sondern auch sicher.<br />

Fotos: Valentino with models, 2007 © Lorenzo Agius/www.aandrphotographic.co.uk; Ludevine; Alessandro Dari/luisaviaroma.com; Roberto Cavalli/net-a-porter.com; Svenja John; Alexander McQueen; Dolce & Gabbana


wow!<br />

wow!<br />

mode & aCCessoires<br />

mAison<br />

mArtin mArgielA<br />

with h&m<br />

steppdeCKen-mantel,<br />

Kleid aUs aUtositZBeZUgsstoFF,<br />

Candy-ClUtCh<br />

(als top getragen),<br />

sChlÜsselanhÄnger-halsKette,<br />

strÜmpFe<br />

(als top getragen)<br />

Die Verschmelzung von geist und sex<br />

Das Maison Martin Margiela beschäftigt sich seit Jahren mit der Dekonstruktion und Neuerfindung der Mode. Der Gründer und Namensgeber ließ<br />

sich bekanntlich nie fotografieren, was zum Nimbus seines Labels beigetragen hat. Doch auch seit er die Firma verlassen hat, pflegt ein elegantes,<br />

halb anonymes Designerteam die Kernqualitäten des Hauses: Radikalexperimente, Humor, die Verschmelzung von Geist und Sex. Jetzt hat sich MMM<br />

mit H&M verbündet (in der Nachfolge u. a. von Karl Lagerfeld, Viktor & Rolf, Comme des Garçons und Versace). Die Kollektion ist ab 15. November<br />

erhältlich und enthält Highlights wie den Bettdeckenmantel oder die Gürtel-Lederjacke. Der Beweis gelingt: Intelligenz muss nicht teuer sein.<br />

Fotos willem jAspert, styling ingo nAhrwold<br />

Haare & Make-up: Stelli.eu mit Produkten von Tom Ford Cosmetics und Bumble and Bumble, Models: Corinna Ingenleuf/m4models, Niklas/m4models, Foto-Assistenz: Marius Uhlig, Styling-Assistenz: Julian Gadatsch, Produktion: Ingo Nahrwold/bigoudi<br />

corinna: Jeans, rollkraGenpullover, lininG-kleiD unD<br />

bikerJacke aus leDer<br />

niklas: car coat, insiDe-out-mantel unD -Jeans, anZuGweste,<br />

HanDbemalte scHuHe<br />

Jacke aus Gürteln, JeansJacke unter wollpullover<br />

mit Fair-isle-muster, Hose, bemalte weste<br />

corinna: rollkraGenpullover, Jacke mit scHmalen scHultern,<br />

mantel (als rock GetraGen)<br />

niklas: kunstpelZmantel (von innen nacH aussen GetraGen),<br />

FanscHal-pullover , bemalte Jeans<br />

kleiD, Jacke (als cape GetraGen), HanDscHuH-tascHe,<br />

leDer- leGGinGs, strümpFe (Darüber GetraGen)<br />

42<br />

43


RETROMANIA:<br />

DINGE<br />

VON GESTERN<br />

FÜR HEUTE<br />

3<br />

LANGE UNTERHOSEN<br />

Kennen Sie das Gefühl, warm genug angezogen<br />

zu sein?<br />

WOW!<br />

BADETÜCHER<br />

Weil es ja nun überhaupt keinen Sinn ergibt, den<br />

Körper in Einzelteilen abzutrocknen.<br />

BLOSSOM<br />

Das Mädchen sieht aus wie die Tochter von Raquel<br />

Ochmonek, ist schlau und witzig, hat einen Musikervater,<br />

einen Alki-Bruder und keine richtige<br />

Mutter, heißt Blossom und ist Hauptfigur einer<br />

Sitcom aus den 90ern. Eine der besten, nicht nur<br />

weil sie uns auf die modisch geniale Idee bringt,<br />

einen Friesennerz auf Bauchnabellänge zu kürzen.<br />

AUTO-TUNE<br />

Weil mit Auto-Tune einfach alles besser klingt.<br />

2009 erklärt Jay-Z das Software-Tool in Death Of<br />

Auto-Tune für hinüber. Damals hielten das viele<br />

für eine richtige Beobachtung, gilt doch Shawn<br />

Carter als beinah unfehlbare Geschmacksinstanz.<br />

Zum Glück hielt das nicht lange an. Aktuell<br />

klingen wieder insbesondere Rapper aus Chicago<br />

und Atlanta immer häufiger ein wenig so wie<br />

Cher. Toll!<br />

Making-Of/Shooting:<br />

HEIKE MAKATSCH<br />

LEBERWURST<br />

Zwei Leberwürste sitzen auf dem Baum, schubst<br />

die eine die andere runter. Wer bleibt oben? – Die<br />

grobe.<br />

BAYERISCHER<br />

GEBIRGSSCHWEISSHUND<br />

Welch angenehmer Name für eine Hunderasse!<br />

Man stelle sich nur die schönen Gespräche vor,<br />

die er nach sich zieht: „Der ist ja süß! Was ist<br />

denn das für einer!“ – „Ein Bayerischer Gebirgsschweißhund<br />

ist das.“ – „Ach, kommen Sie von<br />

dort?“ – „Nein, und der Hund auch nicht!“ –<br />

„Wieso überhaupt Schweißhund? Ist ihm warm?“<br />

– „Nein, nein, dieser Schweiß hat nichts mit<br />

schwitzen zu tun, das ist ein Begriff aus der Jagd.“<br />

– „Sie sind also Jäger?“ – „Nein, aber der Hund ist<br />

technisch gesehen ein Jagdhund, halb einheimische<br />

Bracke, halb Hannoverscher Schweißhund.“<br />

– „Und wen jagt er?“ – „Der jagt natürlich niemanden,<br />

der ist ganz friedlich. Schauen Sie doch<br />

nur mal seine Ohren an!“ – „Er trägt sie, als wären<br />

sie seine Frisur!“ – „Er hat einen gewissen<br />

Stolz …“ Hätte man einen Golden Retriever, man<br />

würde gewiss über ganz andere Dinge sprechen.<br />

BARBRA STREISAND<br />

Eigentlich ist ja jede Zeit Streisand-Zeit, aber<br />

manchmal eben noch mehr als sonst. Aber warum<br />

jetzt? Weil die große alte Dame der show tunes<br />

gerade mal wieder ihre erstaunlich geräumige<br />

show tunes-Schublade aufgezogen hat und dabei<br />

ein paar show tunes vorgefunden hat, die sie irgendwann<br />

mal eingesungen, dann aber doch nicht<br />

veröffentlicht hatte – jedenfalls nicht in dieser<br />

Form. Und weil es bald wieder weihnachtet und<br />

sie auch einen neuen Film (The Guilt Trip) hat,<br />

in dem sie die Mutter von Seth Rogen spielt, voll<br />

irre, kommt hier sozusagen eins zum anderen:<br />

Kino, CD und bam! Barbra. Einfach nur: bam!<br />

FAXMASCHINE<br />

Ideales Kommunikationsgerät für die kühlere<br />

Jahreszeit: Steht immer drinnen, kann man also<br />

super bedienen, ohne kalte Finger zu bekommen.<br />

LOLLIS<br />

Man könnte auch mal wieder einen Lolli lutschen.<br />

Es gibt ja so schöne!<br />

Zwischen ANTIK und AMORPH<br />

Die beste aller Welten, einigermaßen frei nach Voltaire, ist zweifellos die Welt<br />

von Versace. Ohne Donatella auf die Füße treten zu wollen, denn diese Frau<br />

flößt in gleichen Dosen Bewunderung und Respekt ein, ist der Stil dieses Hauses<br />

von einer erfrischenden Hemmungslosigkeit geprägt. Kritiker finden die<br />

Home Collection ein wenig zu bunt? Das schreit nach noch mehr Farbe. Die<br />

Antike-Zitate werden von anderen Designern geklaut? Dann erst recht. Ein<br />

Zierteller an der Wand würde vielleicht reichen? Dann schon lieber 39 davon.<br />

Eine Deckenhöhe von geschätzt 4,80 Meter hat ja wohl jeder im Wohnzimmer!<br />

Die Möbel und Einrichtungsvorschläge für diesen Herbst sind nur für<br />

Genießer, die auch in den eigenen vier Wänden eine ordentliche Show abziehen<br />

wollen: Wandspiegel in Form einer riesigen Sonnenbrille, Kristallkronleuchter<br />

wie riesige Quallen, überall Medusenköpfe, goldenes Blätterwerk und<br />

ein Formengewitter zwischen antik und amorph. Würde Julius Cäsar heute<br />

ein Luxushotel betreiben, es müsste so aussehen.<br />

FALTHOCKER<br />

Die Sitzfläche aus gefaltetem Porzellan auf<br />

verschobenen Beinen aus Eichenholz ergibt<br />

den vielleicht raffiniertesten Hocker<br />

der Saison. Die Arbeiten der Künstlerin<br />

Judith van den Boom sind über die Galerie<br />

Karena Schüssler in Berlin erhältlich.<br />

Fotos: Versace Home; Courtesy Judith van den Boom<br />

www.interview.de<br />

44


4<br />

NEUE BÜCHER<br />

ÜBER GELD UND<br />

KRANKE HUNDE<br />

„KAPITAL”<br />

Von John Lanchester. Klett-Cotta<br />

Die kritische Auseinandersetzung mit dem Internet<br />

und mit Geld scheint in diesem Herbst<br />

vorherrschendes Thema. Und seitdem Bücher zu<br />

ersterem Sujet mit Sätzen beworben werden wie<br />

„Wussten Sie, dass wir im Rahmen eines 75-jährigen<br />

Lebens acht Monate mit dem Löschen unerwünschter<br />

E-Mails verbringen und nur zwölf<br />

Stunden mit Orgasmen?“, haben wir überhaupt<br />

keine Lust mehr auf das Thema Internet und<br />

entscheiden uns für das Thema Geld. Dann landen<br />

wir nämlich bei diesem umfang- und aufschlussreichen<br />

Roman über die Auswirkungen von<br />

Geld – so ganz generell – auf eine Straße in London<br />

und ihrer vielen Bewohner, die natürlich<br />

mal mehr, mal weniger gut sind, je nachdem wie<br />

viel Geld eben vorhanden ist. Man ahnt es<br />

schon: Es geht um Gentrifizierung, aber das sollte<br />

auf keinen Fall abschreckend wirken.<br />

„DIE ABENTEUER MEINES<br />

EHE MALIGEN BANKBERATERS”<br />

Von Tilman Rammstedt. Dumont<br />

In diesem Roman geht es nicht nur um das Geld,<br />

das ein Bankberater bei einem Banküberfall zu<br />

klauen scheint, sondern auch – und vollkommen<br />

selbstverständlich – um Bruce Willis, der für<br />

den ganzen folgenden Schlamassel herhalten soll.<br />

Gleichzeitig handelt er aber auch von einem<br />

Hund, der vom Schriftsteller fast totgebissen und<br />

später von Polizisten erschossen wird. Also, kann<br />

man sagen, geht es hier vor allem um die kapitalistische<br />

Verwertungslogik, die uns alle zu Verrückten<br />

macht. Früher oder später.<br />

„EINEN TOTEN HUND IHM NACH”<br />

Von Jean Rolin. Berlin Verlag<br />

Und da es ja immer irgendwie um die kapitalistische<br />

Verwertungslogik geht, handelt auch dieses<br />

Buch vom Geld, obwohl es augenscheinlich erst<br />

mal von Hunden erzählt. Allerdings von Straßenhunden,<br />

die ja ebenfalls unter dem Mangel an<br />

Geld leiden und ab und an auch erschossen werden<br />

(siehe Buch oben). Der französische Autor<br />

dieses Reportagenbandes beobachtete streunende<br />

Hunde in Bangkok, in Beirut und Ulan-Bator und<br />

erzählt anhand ihres Lebens die ganze Welt.<br />

„DER HILLIKER-FLUCH: MEINE<br />

SUCHE NACH DER FRAU”<br />

James Ellroy. Ullstein<br />

Vielleicht hätte dieser Biografie ein Hund gutgetan.<br />

So ein kleiner, süßer, der ab und an den<br />

Kopf schräg legt, wenn die Schilderung von<br />

Ellroys Leben und Werden zu böse wird. Allerdings<br />

war seine ganze Zerstörtheit vielleicht<br />

notwendig, um so einen Superschriftsteller aus<br />

ihm zu machen. Denn nur wenn man super ist,<br />

verdient man ja als Schriftsteller genügend Geld.<br />

ZERSTREUTES<br />

SHOWGIRL<br />

WOW!<br />

Die letzten Jahre waren geprägt von ausladenden<br />

Tüchern, die sich modebewusste Menschen betont<br />

lässig um den Hals schlangen. Referenz war die<br />

Kuscheldecke des Peanuts-Linus, ein Hinweis auf<br />

grassierende Erwachsenenskepsis. Nun hat die wie<br />

immer richtig liegende Designerin Consuelo Castiglioni<br />

für ihr Label Marni eine scharfe Kehrtwende<br />

eingeläutet: klar konturierte Pelzkrägen in Tropfenform.<br />

Die erinnern mit ein paar wie zufällig daraufgehefteten<br />

Broschen nicht an die eigene Großmutter,<br />

sondern an ein liebenswert zerstreutes Showgirl.<br />

GLASKUNST<br />

Die Ausstellung der Glas objekte<br />

(oben) des Architekten Carlo<br />

Scarpa war ein Überraschungshit<br />

der Biennale. Bis 29.<br />

November auf der Insel<br />

San Giorgio Maggiore.<br />

EXPERIMENTELLER Geist<br />

Dem Creative Director der französischen Modemarke Givenchy, Riccardo Tisci, gelingt regelmäßig,<br />

wovon viele seiner Kollegen nur träumen können: Er provoziert Aufregung und erfin det<br />

Looks, die um die Welt und durch die Straßen gehen. Mal arbeitet er für seine Kampagne mit<br />

dem Transgender-Model Lea T, mal zeigt er auf Sweatshirts, Kleidern, Baseballkappen einen<br />

zähnefletschenden Rottweiler (nicht zwingend ein Sympathieträger) oder eine zum Rorschachtest<br />

gespiegelte Strelitzie. Kein Wunder, dass bei Givenchys Schauen auf den Stehplätzen regelmäßig<br />

ein Haufen Fans im total look zu sehen ist. Die Pariser Designagentur M/M gestaltet<br />

für Tisci seit 2005 die Einladungen und hat daraus eine eigene Kunstform gemacht. Quasi<br />

halluzinogen wirkende Zeichnungen und Collagen, die nicht die je aktuelle Kollektion zeigen<br />

(was für alle Beteiligten viel zu eindeutig wäre), sondern den experimentellen Geist des Labels<br />

kongenial begleiten. The Givenchy Files ist das magische Bildarchiv der Kooperation.<br />

HUND AUF RIND IN VARANASI, INDIEN<br />

MENSCHEN, TIERE,<br />

keine SENSATIONEN<br />

Wer glaubt, bereits alles gesehen zu haben, dem öffnet der<br />

finnische Fotograf Pentti Sammallahti die Augen. Seit fast 50<br />

Jahren fotografiert er die ganze Welt, auf eigenartige und<br />

einzigartige Weise. Seine Bilder haben den malerischen Nuancenreichtum<br />

seines Kollegen Hiroshi Sugimoto, die Unerschrockenheit<br />

eines Kriegsfotografen und die<br />

Neugier eines Menschenfreundes.<br />

Er sucht nicht nach<br />

Sensationen, aber seine<br />

Motive sind durchdacht und<br />

schön. Der Löwe etwa, der unter<br />

einem hellen Mond klein, aber<br />

unübersehbar in der Savanne thront,<br />

ist eine überzeugende Dankesrede<br />

an … wer auch immer ihn dort hingesetzt<br />

haben mag. Hier weit entfernt ist<br />

eine Rückschau auf das Werk des Kamerawanderers<br />

(Kehrer Verlag).<br />

AUS M/M (PARIS) PRESENTS THE GIVENCHY FILES<br />

Fotos: Marni; Pentti Sammallahti, hier weit entfernt, Kehrer Verlag 2012; Ettore Bellini/Fondazione Giorgio Cini onlus; M/M (Paris)<br />

welt.de/neu<br />

Die Welt gehört denen,<br />

die neu denken.<br />

46


NiNA<br />

KrAviz<br />

Es heißt, NiNa Kraviz<br />

schaue erst einmal in ihren<br />

Handspiegel, wenn ihr beim<br />

Auflegen in der Panorama Bar<br />

ein Übergang missglückt.<br />

aber das macht nichts.<br />

Ein bisschen Eitelkeit gehört<br />

zum Geschäft. Sonst würde die<br />

studierte zahnärztin auch nicht<br />

die Musik für die Schauen von<br />

Hugo Boss zusammenstellen<br />

“instinkt statt idee –<br />

erst handeln, dann denken”<br />

voN<br />

EyAN AllEN<br />

Foto<br />

BENjAmiN lENNox<br />

StyliNG<br />

Gro CurtiS<br />

EyaN allEN: Nina, du hast die Musik für unsere aktuelle Modenschau gemacht.<br />

Mit jemandem wie dir zu arbeiten, der auch noch so gut in unseren Kleidern aussieht,<br />

ist toll. Ich freue mich!<br />

NiNa Kraviz: Ich danke euch für diese Erfahrung. Ich komme ja aus der etwas<br />

snobistischen Underground-House-Szene, da wirkst du als Frau in diesem Zusammenhang<br />

schon merkwürdig. Dann noch eine Frau, die wie ich Tanzvideos dreht,<br />

sich chic macht, versucht, mit dem Publikum zu kommunizieren – das kommt doppelt<br />

schräg. Das ist in der Mode natürlich anders … Wie spricht man deinen Namen<br />

eigentlich aus? Ian?<br />

allEN: Eyan.<br />

Kraviz: Eyan, entschuldige. Hast du auch manchmal Angst, dass deine Kreativität<br />

verschwindet? Einfach so, über Nacht?<br />

allEN: Man muss sich seine Inspirationsquellen bewahren. Vergangenes Jahr habe<br />

ich mir ein Haus in New York gekauft, ich pendele also zwischen Deutschland und<br />

New York. Es ist eine Stadt, in der dein Ausdruck gewünscht ist, es gibt nicht so<br />

viele Städte, in denen Individualität willkommen ist.<br />

Kraviz: Ja, Städte wie London oder New York fördern das Schaffen, allerdings<br />

glaube ich, wenn ich dort geboren wäre, stünde ich nicht da, wo ich heute bin. Ich<br />

komme aus Sibirien. Du kommst aus Leeds, das hat dich doch auch beeinflusst.<br />

Die Menschen dort sind hart, robust …<br />

allEN: … offen und ehrlich.<br />

48<br />

Kraviz: Wie die Menschen aus Sibirien. Zäh. Oder würdest du je eine Idee aufgeben,<br />

weil sie von anderen für nicht gut befunden wird?<br />

allEN: Nein, nicht wenn sie gut ist. Es ist ja auch nicht schlimm, mal danebenzuliegen.<br />

Wie sagt man so schön: Daraus lernen wir. Und wenn man anderen zeigen<br />

kann, dass man recht hatte, ist das doch eines der besten Gefühle überhaupt.<br />

Als Kreativer musst du dich von jedem Urteil frei machen. Aber das verwechseln<br />

die Menschen oft mit Arroganz.<br />

Kraviz: Stimmt. Es gibt ja einige tolle Designer, die aus Großbritannien kommen,<br />

meinst du, das hat einen bestimmten Grund?<br />

allEN: In England wirst du in deiner Kreativität bestärkt. Ich war vor Kurzem auf<br />

der Damien-Hirst-Retrospektive in der Tate, und es war so unglaublich! Er ist<br />

einer meiner Lieblingskünstler. Ich bin sehr stolz auf das Bild von ihm, das ich<br />

gekauft habe, als er noch unbekannt war. Jetzt ist es sehr viel Geld wert. Ich habe<br />

es aber gekauft, weil es mir gefiel.<br />

Kraviz: Wow.<br />

allEN: Die Retrospektive ist der Wahnsinn. Wenn du mich nach einem Ziel fragen<br />

würdest, würde ich sagen, in zehn Jahren möchte ich auch gerne ein hübsches<br />

Buch mit all meinen Arbeiten machen.<br />

Kraviz: Ich bin gerade in einer Phase, in der ich auch viel über die Vergangenheit<br />

nachdenke. Ich verliere mich in Gedanken – darüber, wer ich als Musikerin sein<br />

möchte und so weiter.<br />

allEN: Da muss ich wieder sagen, das ist eine Frage des Alters, aber vielleicht sage<br />

ich das auch nur, weil ich in der vergangenen Woche 41 geworden bin.<br />

Kraviz: Oh, happy Birthday.<br />

allEN: Danke. Ich hatte mit so vielen Enttäuschungen zu kämpfen, privat und<br />

beruflich.<br />

Kraviz: Was war deine größte Enttäuschung?<br />

allEN: Das ist eher eine Geschichte, die ich dir bei einem guten Glas Wein erzähle.<br />

Wie triffst du denn Entscheidungen beim Produzieren deiner Musik?<br />

Kraviz: Ich glaube nicht an Entscheidungen, die zu lange dauern. Ich glaube an<br />

den richtigen Zeitpunkt und den richtigen Ort für Ideen. Je älter man wird, desto<br />

besser kann man sich wahrscheinlich von Ideen verabschieden. Darin liegt die<br />

wahre Kunst. Ich glaube, die besten Werke der Kunstgeschichte wurden sehr<br />

schnell fertiggestellt.<br />

allEN: Hmmm.<br />

Kraviz: Weil die Idee …<br />

allEN: … so klar war?<br />

Kraviz: Absolut.<br />

allEN: Hast du einen Lieblingskünstler?<br />

Kraviz: Klar, den habe ich. Meinst du einen Musiker, Fotografen oder Maler?<br />

allEN: Einen Maler.<br />

Kraviz: Einen Maler … Ich habe viele verschiedene Lieblingsmaler.<br />

allEN: Nenn mir einen.<br />

Kraviz: Das ist sehr schwer. So wie die Frage nach dem Lieblingsbuch.<br />

allEN: Ich liebe Picasso, seine Naivität, seine Position, seine Farben.<br />

Kraviz: Was ich an Picasso am meisten mag, ist seine Signifikanz und die Varianz<br />

seiner Einzigartigkeit. Für mich ist Grace Jones wichtig, gerade wenn es um den<br />

Dialog zwischen Musik und Mode geht.<br />

allEN: Sie ist großartig. Das Bild von ihr, auf dem sie den schwarzen Anzug trägt.<br />

Und die quadratische Frisur und eine Zigarette im Mund.<br />

Kraviz: Großartig.<br />

allEN: Ja, ich habe das Foto in New York. Sie ist eine Person, die Risiken eingegangen<br />

ist. Sie ist pur.<br />

Kraviz: Erinnerst du dich an den Film, in dem sie mit den Regenschirmen auftrat?<br />

Das hat mich nachhaltig begeistert, so edgy. Diese Mischung aus Musik, Performance,<br />

Kunst.<br />

allEN: Wirklich bedeutend.<br />

Kraviz: Ja, aber wenn du versuchst, Bedeutendes zu erschaffen, geht das nach hinten<br />

los. Ich bin froh, dass wir im Rahmen dieses <strong>Interview</strong>s über solche Dinge<br />

sprechen können. Ich bin sonst wirklich eher zurückhaltend, wenn es um meine<br />

Arbeit und meine Person geht.<br />

allEN: Zum Schutz vielleicht?<br />

Kraviz: Es gibt einfach Dinge, die ich nicht mit anderen teilen möchte – obwohl<br />

ich auf der Bühne alles teile. Da fühle ich mich sehr wohl. Ehrlich, ich könnte sogar<br />

nackt auftreten. Ich habe keine Angst vor Aufmerksamkeit oder vor Kameras.<br />

Manche Dinge kann ich sogar besser vor einer Kamera als vor meinem Freund.<br />

allEN: Das liegt wahrscheinlich daran, dass das ein Teil deiner Performance ist<br />

und nicht deines Alltags-Ichs. Wobei die Show natürlich auch Teil von dir ist.<br />

Kraviz: Glaubst du mir, wenn ich sage, dass ich zurückhaltend und bescheiden<br />

bin?<br />

pullover<br />

rAg & bone


Allen: Nein (lacht).<br />

KrAviz: Ich kann auch sehr offen sein, doch ich kann nicht über meine Kunst sprechen,<br />

das ist etwas, das ich von meiner Person trenne.<br />

Allen: Vielleicht liegt es daran, dass du immer noch versuchst herauszufinden, wie<br />

du den Schaffensprozess antreibst?<br />

KrAviz: Nein, ich finde einfach, ein Künstler sollte nicht über seine Kunst sprechen.<br />

Künstler sollten ihren Prozess erklären können, aber nicht mit einer Analyse<br />

daherkommen.<br />

Allen: Das ist wohl wahr.<br />

KrAviz: Journalisten sollten diesen Part übernehmen. Aber jetzt bin ich ja hier<br />

sozusagen die Journalistin und kann Fragen stellen.<br />

Allen: Aber erst habe ich noch eine Frage für dich: Was ist das Aufregendste, das<br />

du jemals erlebt hast?<br />

KrAviz: (lacht)<br />

Allen: (lacht) Das ist wohl auch eine Antwort, die du mir lieber bei einem Glas<br />

Wein geben würdest?<br />

KrAviz: Was jetzt gerade in meinem Leben passiert, ist ziemlich aufregend. Ich<br />

habe das Gefühl, dass ich gerade meinen Traum lebe, etwas, das ich nicht geplant<br />

habe. Ich habe mich so verändert in den vergangenen zwei Jahren. Das Spannende<br />

ist zu beobachten, wie ich auf all das reagiere, auch die Erkenntnis, dass, wenn du<br />

etwas zu sehr willst, du es niemals erreichen wirst.<br />

Allen: Cool.<br />

KrAviz: Gibt es etwas beim Aussehen einer Frau, das du unakzeptabel findest?<br />

Allen: Es ist wahrscheinlich eine recht naheliegende Antwort, aber ich finde es<br />

sehr traurig, dass wir in der Mode immer noch nur bestimmte Frauen bedienen.<br />

Total stereotypisch. Ich kenne Frauen, die nicht Größe 36 tragen und trotzdem<br />

wunderschön aussehen. Menschen sind, wie sie sind, und das sollten wir zelebrieren.<br />

Eines Tages möchte ich verschiedene Frauen hübsch aussehen lassen und<br />

nicht nur einen bestimmten Typ.<br />

KrAviz: Danke für dieses Statement, aber ich meinte eigentlich was anderes: Ich<br />

schaue sehr genau auf das Aussehen von Frauen, oft bin ich fast wie hypnotisiert<br />

von einer bestimmten Art von Schönheit. Aber manchmal sehe ich perfekte Schönheiten,<br />

und dennoch ist da etwas, das diese Schönheit aufhebt. Was ist es bei dir,<br />

das deine Rezeption von Schönheit beeinträchtigen kann?<br />

Allen: Ich werde keine Namen nennen.<br />

KrAviz: Das wäre doch aber interessant!<br />

Allen: Es ist die Persönlichkeit. Ich habe Schauspielerinnen getroffen, die ich<br />

über Jahre verehrt habe, und als ich sie kennenlernte, hat es zehn Minuten gedauert,<br />

bis ich dachte: Verschwinde bitte sofort, bevor ich dich erschlage. Und dann<br />

wieder lernt man Schauspielerinnen kennen – und jetzt nenne ich ihren Namen,<br />

weil sie so wunderbar ist – wie Tilda Swinton.<br />

KrAviz: Ja, sie ist toll.<br />

Allen: Sie war öfter bei unseren Schauen zu Gast. Ganz ehrlich, mit dieser Frau<br />

möchte ich zu Abend essen. Wir haben uns mal in Peking unterhalten. Nur zu<br />

zweit, über anderthalb Stunden lang. Nicht über Mode, sondern über das Leben.<br />

Sie ist so faszinierend. Ich weiß, es klingt klischeehaft, aber Schönheit kommt von<br />

innen.<br />

KrAviz: Ja, klar. Aber gibt es ein bestimmtes Accessoire, das du einfach richtig<br />

furchtbar findest?<br />

Allen: Die falschen Schuhe zu einem besonders schönen Kleid.<br />

KrAviz: Und würdest du die Trägerin darauf hinweisen?<br />

Allen: Wenn ich sie kenne, dann würde ich sie wieder nach Hause schicken. Wenn<br />

ich die Dame nicht kenne, natürlich nicht. Oder Stylisten, die mit dem falschen<br />

Lippenstift oder mit den falschen Strümpfen das beste Outfit zerstören. Die Liste<br />

ist endlos, Jesus!<br />

KrAviz: Ich kannte mal jemanden, der eine große Plattensammlung hatte. Und<br />

Teil davon war auch Bryan Adams.<br />

Allen: Und er hatte Poster von ihm in seiner Wohnung?<br />

KrAviz: Nein, nein. Nicht dass Bryan Adams der schlimmste Musiker überhaupt<br />

wäre, aber die Platte stand neben der von Thelonious Monk! Wie kann man diese<br />

beiden Platten nebeneinanderstellen? Das hat meine Zuneigung nachhaltig zerstört.<br />

Allen: Aber das war sicher nicht der einzige Grund.<br />

KrAviz: Ich weiß nicht …<br />

Allen: Das ist etwas extrem.<br />

KrAviz: Vielleicht. Aber die Kombination passt nicht. Und ich bin etwas snobistisch.<br />

Furchtbar.<br />

Allen: Wenigstens gibst du es zu.<br />

KrAviz: Hast du manchmal auch das Gefühl, dass du nicht gebildet genug bist?<br />

Allen: Es gibt doch oft Situationen, in denen du dir wünschst, mehr über ein bestimmtes<br />

Thema zu wissen.<br />

50<br />

KrAviz: Aber kennst du das Gefühl, wenn du dich nicht gebildet genug und bereit<br />

fühlst für eine bestimmte Situation oder Person, obwohl du weißt, das wird ein<br />

schicksalhafter Moment, ein Moment, der dich weiterbringt?<br />

Allen: Nein. Das kenne ich nicht.<br />

KrAviz: Also kommt jede Situation in deinem Leben gerade zum richtigen Zeitpunkt?<br />

Allen: Das würde ich nicht sagen. Ich habe vielleicht nicht immer genügend Zeit,<br />

um mich auf eine Person angemessen einzulassen, aber ich würde nicht fürchten,<br />

dass ich zu wenig weiß, um mit ihr umzugehen.<br />

KrAviz: Stell dir vor, du hast gerade deine Kollektion fertiggestellt und gehst zu<br />

einer Show eines Kollegen, hast du dich danach schon mal klein und unbedeutend<br />

gefühlt, weil die Show so viel besser war?<br />

Allen: Ja, aber das ist lange her. Heute inspiriert mich eine fantastische Kollektion.<br />

KrAviz: Hast du nie so etwas wie Neid gefühlt?<br />

Allen: Natürlich, Hunderte Male. Und ich bin mir nicht sicher, ob man das je<br />

loswird. Neid muss man umwandeln – lernen und adaptieren. Und es ist doch<br />

schön, von jemandem Komplimente zu bekommen, von dem du es nie erwartet<br />

hättest.<br />

KrAviz: Interessant, dass du Selbstvertrauen von Reife abhängig machst. Ich vermisse<br />

da ein wenig die Verrücktheit, das Impulsive. Instinkt statt Idee – erst handeln,<br />

dann denken. Das sind doch die kreativsten Momente.<br />

Allen: So arbeite ich in den Phasen vor Modenschauen.<br />

KrAviz: Also kannst du dir die Unbeschwertheit eines Anfängers bewahren?<br />

Allen: Ja. Und wichtig ist auch: Im Moment des Schaffens muss ich alleine sein,<br />

weg von meinem Team. Es beeinflusst mich sonst zu sehr.<br />

KrAviz: Und wenn du ein paar Tage vor der Präsentation realisierst, dass deine<br />

Anstrengung nicht ausgereicht hat?<br />

Allen: Das ist mir schon passiert. Ich habe mal am Tag vor der Schau zehn Looks<br />

geändert. Das Team hat eine ganze Nacht gearbeitet, der Stoff musste extra eingeflogen<br />

werden. Das war schon krass. Das Team hat mich gehasst. Heute bin ich<br />

froh darüber.<br />

KrAviz: Ähnliches ist mir auch mal passiert. Bei meinen ersten Liveshows fand ich,<br />

dass ich nicht sehr gut war, auch wenn die Leute mir sagten, wie toll es war. Ich<br />

wusste …<br />

Allen: … es war nicht gut genug.<br />

KrAviz: Ja, und keiner hat das verstanden.<br />

Allen: Du hast vorhin gesagt, dass man etwas nicht zu sehr wollen darf. Glaubst<br />

du, du willst vielleicht zu sehr gut sein?<br />

KrAviz: Ich hatte einfach diese Chance und wollte gut sein, ich hatte genügend<br />

Zeit, mich vorzubereiten, aber dann ging nichts mehr.<br />

Allen: Ich hab auch oft eine Design­Blockade. Man muss lernen, die Phasen zu<br />

nutzen. Manchmal sage ich einfach alle Termine ab und mache Skizzen.<br />

KrAviz: Ich produziere lieber weniger, aber dafür gute Tracks. Ich glaube nicht an<br />

Quantität.<br />

Allen: Und bist du zufrieden mit deinen Tracks?<br />

KrAviz: Wie gesagt, versuche ich nicht zu viel zu analysieren. Ich mache etwas aus<br />

dem, was da ist, ich drücke meine Gefühle aus, und dann schaue ich, was rausgekommen<br />

ist. Gibt es für dich eigentlich jemanden, der die Verbindung zwischen<br />

Mode und Kunst verkörpert, den du gerne mal treffen würdest?<br />

Allen: Ich hätte wirklich gerne Andy Warhol kennengelernt. Die Kombination<br />

aus Verrücktheit, Überkreativität und Vision – Wahnsinn. Stell dir mal vor, du<br />

würdest mit ihm reden können.<br />

KrAviz: Und wenn du dir vorstellst, er hätte irgendetwas Schlimmes gemacht, jemanden<br />

umgebracht oder so – glaubst du, kreative Menschen können böse sein?<br />

Allen: Das ist eine komische Frage. Sicherlich. Du kannst gut sein, böse, reich,<br />

arm – Kreativität ist etwas, das man hat oder nicht, das hat nichts damit zu tun, was<br />

du getan hast.<br />

KrAviz: Also kannst du Kunst und Moral trennen?<br />

Allen: Das muss man. Und nur weil Menschen Fehler machen, sind sie ja nicht<br />

unbedingt schlechte Menschen.<br />

KrAviz: Ich würde auch ein Kunstwerk nicht schlecht finden, nur weil es von einem<br />

Arschloch gemacht wurde.<br />

Allen: Natürlich nicht.<br />

KrAviz: Ich bin lieber von kreativen Menschen umgeben, auch wenn sie nicht so<br />

einfach im Umgang sind. Ich bevorzuge Härte statt Höflichkeit.<br />

Allen: Ja, und Ehrlichkeit.<br />

Photographer BenJAMin lennOX/<br />

MAnAGeMenT+ArTiSTS<br />

Hair KennA/DefAcTO fOr GHD<br />

Make-up JunKO KiOKA<br />

Photo Assistants neAl frAnc, YuKi TAni<br />

Digital Operator BlAKe riBBeY<br />

fashion Assistant lAuren BenSKY<br />

Producer GOrAn MAcurA<br />

INTERVIEW Cover 01 illustriert von haTTIE sTEWaRT<br />

www.interview.de


52<br />

Isabel<br />

Allende<br />

von<br />

lAurA EwErt<br />

porträt<br />

hEji shin<br />

“Wollen Sie die<br />

Entscheidungs macht über<br />

Ihre Vagina haben?”<br />

Ihr Großonkel hieß Salvador und ist<br />

wohl der einzige Chilene, der bekannter ist<br />

als sie. Über 50 MIllIonen verkaufte<br />

Bücher in 37 Sprachen machen die heute<br />

70-Jährige zu einer der erfolgreichsten<br />

Schriftstellerinnen der Welt. Ihr neuer roman<br />

Mayas Tagebuch ist wieder mal viel mehr<br />

als die Geschichte einer Frau auf dem Weg<br />

zur SelBStBeStIMMunG<br />

IntervIew: Frau Allende, entschuldigen Sie die Verspätung.<br />

Ich bin dummerweise in die falsche U-Bahn<br />

eingestiegen.<br />

Isabel allende: Ach, ich bitte Sie, meine Liebe. Es<br />

ist doch nichts Schlimmes passiert. Kommen Sie her,<br />

ich nehme Sie mal in den Arm. Dann setzen Sie sich,<br />

atmen durch, entspannen sich mal.<br />

IntervIew: Gerne.<br />

allende: Stellen Sie sich einfach vor, wir beide sitzen<br />

zusammen in Ihrer Küche und trinken Tee.<br />

IntervIew: Was für eine Sorte?<br />

allende: Bitte? Ach so, Mango vielleicht.<br />

IntervIew: Alles klar. Wie geht es Ihnen denn?<br />

allende: Sie meinen in meinem Leben so ganz<br />

grundsätzlich?<br />

IntervIew: Eher jetzt gerade.<br />

allende: Mir geht es sehr gut. Ich reise allerdings<br />

nicht sonderlich gerne, und morgen geht es ja schon<br />

weiter nach Kopenhagen, dann nach Paris.<br />

IntervIew: Das bringt der Beruf so mit sich, oder?<br />

Ist das Reisen eigentlich das Lästigste am Schriftstellerdasein?<br />

allende: Nein, das Sitzen. Ernsthaft. Das ständige<br />

Sitzen. Sie sitzen ja über Stunden für nur eine Seite!<br />

Also versuche ich, alle 50 Minuten aufzustehen, einmal<br />

durch den Garten oder eine Runde mit dem<br />

Hund rauszugehen.<br />

IntervIew: Haben Sie es mal im Stehen versucht?<br />

allende: Es bringt alles nichts. Es gibt auch so eine<br />

Art Laufband, das man unter dem Schreibtisch platzieren<br />

kann, um ein wenig Bewegung zu bekommen.<br />

Aber das funktioniert für mich nicht. Ich kann so<br />

nicht schreiben.<br />

IntervIew: Und was bringt Sie trotzdem dazu, so<br />

viel zu schreiben?<br />

allende: Dass ich mir all diese Geschichten ausdenken<br />

kann und die Welt so gestalte, wie sie mir<br />

gefällt. Allzu hübsche Frauen lasse ich gerne früh<br />

sterben, und ich schreibe mir gerne die tollsten Liebhaber.<br />

IntervIew: Sie haben gerade Ihr 19. Buch veröffentlicht.<br />

Da sind eine Menge Geschichten zusammengekommen.<br />

allende: Die Welt ist ja auch voll von ihnen. Ich<br />

habe außerdem nicht gerade wenig erlebt und musste<br />

gegen einiges kämpfen. Eine aktuelle Geschichte<br />

zum Beispiel: Vor ein paar Tagen hat jemand den<br />

Twitter-Account des spanischen Erziehungsministers<br />

gehackt und darüber die Nachricht verbreitet,<br />

ich sei tot. Das fand ich ganz unterhaltsam, aber meinem<br />

Mann fiel dann ein, dass wir schnellstens meine<br />

Mutter anrufen müssten. Die ist 92, die hätte einen<br />

bösen Schreck bekommen. Und dann schreiben mir<br />

auch viele Menschen ihre Geschichten.<br />

IntervIew: Und die benutzen Sie?<br />

allende: Ich darf natürlich nur meine Geschichten<br />

benutzen.<br />

IntervIew: Wann ist denn eine Geschichte Ihre?<br />

allende: Wenn ich sie mir selbst ausgedacht habe<br />

oder wenn ich sie erlebt habe oder wenn ich fremde<br />

Geschichten verändere. Ich benutze auch Gespräche,<br />

die ich im Restaurant am Nebentisch höre, aber da<br />

muss man aufpassen. In meinem Buch Paula etwa,<br />

was wohl am meisten Reaktionen hervorrief …<br />

IntervIew: … weil es eines Ihrer persönlichsten ist.<br />

allende: Ja, es handelt von dem Tod meiner Tochter,<br />

aber eben auch von meinem Schwiegersohn, der<br />

damals ein Witwer war, der seine große Liebe verloren<br />

hatte. Ich bekam damals viele E-Mails von<br />

Frauen, die ihn kennenlernen wollten.<br />

IntervIew: Wahnsinn.<br />

allende: Aber heute, zehn Jahre später, ist er ja nicht<br />

mehr der Witwer. Heute ist er wieder verheiratet, obwohl<br />

das Buch diese Momentaufnahme von ihm festhielt.<br />

Mit fremden Geschichten muss man aufpassen.<br />

IntervIew: Ihr neues Buch handelt von einer jungen<br />

Frau, die unter anderem ein Drogenproblem hat. Recherchieren<br />

Sie viel für solche Geschichten?<br />

allende: Ich habe für eine Figur meist ein oder<br />

mehrere Modelle in meinem Umfeld.<br />

IntervIew: Sie haben vor Kurzem in einem <strong>Interview</strong><br />

gesagt, Sie hätten selbst auch Marihuana und<br />

Ecstasy genommen. Da gehören Sie sicherlich zu einer<br />

großen Minderheit; aber die meisten reden ja<br />

nicht drüber.<br />

allende: Weil es illegal ist. Aber ich kenne niemanden,<br />

der nicht schon mal Marihuana versucht hat.<br />

Wieso auch nicht? Und in meinem Alter kann ich das<br />

doch auch ruhig zugeben. Wer schert sich denn darum,<br />

ich bitte Sie!?<br />

IntervIew: Sie könnten plötzlich in so einem gewissen<br />

Licht stehen.<br />

allende: Marihuana ist eine weibliche Droge, sie<br />

macht weich und lustig und ist dennoch verboten.<br />

Alkohol ist erlaubt, obwohl er sehr aggressiv macht.<br />

Das ist doch schwierig. Heroin, Crack, das sind wirklich<br />

gefährliche Drogen. Klar, das muss man sehen,<br />

aber der Krieg gegen Drogen ist doch gescheitert.<br />

53<br />

Und langsam verbreitet sich die Erkenntnis: Mit<br />

Strafen können wir das Problem nicht mehr lösen.<br />

IntervIew: Glauben Sie, in den USA setzt in Sachen<br />

Drogenpolitik langsam ein Umdenken ein?<br />

allende: Nein, an dem Geschäft mit den Drogen<br />

verdienen viel zu viele Menschen mit.<br />

IntervIew: Unterhalten Sie sich mit Ihren Enkeln<br />

über Ihre Drogenerfahrungen?<br />

allende: Oh ja, und ich kann mir vorstellen, dass<br />

mindestens eine meiner Enkelinnen schon gekifft<br />

hat. Ich kann mit denen über alles reden – Sex, Drogen.<br />

Das ist toll.<br />

IntervIew: Haben Sie in den USA eigentlich Wahlrecht?<br />

allende: Ja, und ich wähle Obama!<br />

IntervIew: Und wer gewinnt?<br />

allende: Obama, weil Romney eine schlechte Kampagne<br />

führt. Und weil er eben seinen dummen Mund<br />

öffnet. Die jungen Leute haben das letzte Mal Obama<br />

gewählt, und sie werden ihn wieder wählen.<br />

IntervIew: Wissen Sie eigentlich, wie alt Ihre Leser<br />

sind?<br />

allende: Ja, ich bekomme jeden Tag Hunderte E-<br />

Mails von ihnen.<br />

IntervIew: Hunderte?<br />

allende: Ja. Und es sind etwa zu 70 Prozent Frauen.<br />

Und die meisten sind recht jung.<br />

IntervIew: Sprechen Sie sich auch auf öffentlichen<br />

Veranstaltungen für Obama aus?<br />

allende: Ja, mittlerweile schon. Denn es ist an der<br />

Zeit, dass man nicht mehr den Mund hält. Mein<br />

Mann etwa macht viele Hausbesuche, läuft von Haus<br />

zu Haus und spricht mit den Menschen über Politik.<br />

IntervIew: In Deutschland kann man sich das kaum<br />

vorstellen. Hier ist die politische Meinung etwas viel<br />

Privateres.<br />

allende: Aber wir müssen doch unsere Stimme erheben<br />

und gegen etwas kämpfen!<br />

IntervIew: Wogegen kämpfen denn die jungen<br />

Menschen in den USA?<br />

allende: Gegen Gier, gegen die ungleiche Ver teilung<br />

von Kapital, und so wie wir früher gegen Atomwaffen<br />

waren, setzen die sich heute für nichts weniger<br />

als die Rettung des Planeten ein. Für die gibt es<br />

auch keine Rassenunterschiede mehr. Die schwarze<br />

und weiße Kultur hat sich endgültig gemischt.<br />

IntervIew: Endlich.<br />

allende: Und die jungen Menschen werden sauer.<br />

Gott sei Dank. Gerade die jungen Frauen. Wussten<br />

Sie, dass Mitt Romney gegen die berufliche Gleichberechtigung<br />

von Frauen ist? Und er bewertet die<br />

Pille danach ähnlich wie eine Abtreibung, während<br />

Obama die Antibabypille durch die Krankenversicherung<br />

abdecken lassen will. Es ist unglaublich.<br />

IntervIew: Es ist eigenartig, in fast jedem <strong>Interview</strong>,<br />

das ich mit einer Frau führe, kommen wir auf feministische<br />

Themen.<br />

allende: Wieso eigenartig? Haben Sie eine Vagina?<br />

IntervIew: Ja.<br />

allende: Und wollen Sie die Entscheidungsmacht<br />

über Ihre Vagina haben?<br />

IntervIew: Ich würde sagen, das tue ich, ja.<br />

allende: Sehen Sie!? Dann sind Sie eine Feministin!<br />

Niemand sollte das Recht haben, über unseren<br />

Körper zu bestimmen. Niemals!<br />

Mayas Tagebuch Ist<br />

beI suhrkamp erschIenen


BRad<br />

Pitt<br />

Die Metamorphosen des BraD Pitt sind legendär. Er kann sich<br />

durchschlagen (Fight Club), Miniröcke tragen (Troja), Casinos<br />

in Vegas ausrauben (Ocean’s 11–13), Nazis in französischen Wäldern<br />

abmurksen (Inglourious Basterds). Und kuschelig kann er auch<br />

(angie & die sechs Zwerge). Zudem ist der 48-jährige amerikaner<br />

der einzige Mann, der es geschafft hat, die Schwerkraft der Körner<br />

in der Sanduhr des Lebens aufzuheben, nein, umzukehren<br />

(Benjamin Button). Und selbst als auftragskiller in seinem neuen Film<br />

Killing Them Softly hat er einen ganz eigenen Stil<br />

von<br />

guy ritchie<br />

Szene auS dem film killing them softly<br />

54<br />

55


„eR hat auch kein<br />

inteResse,<br />

die Leute extRa<br />

Leiden zu Lassen.<br />

sie müssen<br />

steRBen,okay,<br />

aBeR wenn man<br />

ihnen schon<br />

das LeBen nimmt,<br />

kann das auch<br />

mit wüRde<br />

Geschehen”<br />

Guy Ritchie: Okay, die Aufnahme läuft. Anscheinend<br />

im Flugzeugmodus.<br />

BRad Pitt: Schalt das andere auch noch an. Zur Sicherheit.<br />

Check, eins, zwei.<br />

Ritchie: Läuft. Jetzt noch dein Aufnahmegerät, dann<br />

sind wir dreifach abgesichert. Hervorragend.<br />

Pitt: Finde ich auch. Wie kommst du eigentlich mit<br />

dem Werbeclip voran, den du gerade drehst?<br />

Ritchie: Oh, der Clip … Schaust du etwa bewusst<br />

Werbung?<br />

Pitt: Nicht wirklich.<br />

Ritchie: Das ist schade. Denn Werbung ist das Format,<br />

in dem neue Technologien ausprobiert werden. Es<br />

gibt nun mal kaum Filme, bei denen man drei Millionen<br />

Dollar für eine Minute ausgeben darf. Deswegen<br />

mache ich Werbung – um all die neuen Spielereien in<br />

die Finger zu bekommen und draufloszuballern.<br />

Pitt: In Sherlock Holmes 2 gibt es diese Kampfszenen im<br />

Wald gegen die Deutschen: Hast du da Tricks aus deiner<br />

Werbeerfahrung angewendet? Ich kenne keinen<br />

Film, der eine vergleichbare Szene hätte. So etwas gab<br />

es vorher nicht.<br />

Ritchie: Das war eine Vermischung vieler Ideen, auch<br />

einiger neuer Techniken, die so noch nicht in Filmen<br />

verwendet wurden. Es gibt generell bei Filmen noch<br />

ziemlich viel Luft nach oben. Und das, ohne irgendeine<br />

Seite zu verprellen: Man kann neue Technik so verwenden,<br />

dass der Film immer noch indie und kantig<br />

bleibt, gleichzeitig gefällt er den Kids, all das geht.<br />

Am Ende finden ihn alle gut, jeder gewinnt, jeder bekommt,<br />

was er will.<br />

Pitt: Gibt es dafür eine Blaupause?<br />

Ritchie: Ich weiß nicht. Man muss es fühlen.<br />

Pitt: Ich frage mich immer, was einen dazu verleitet,<br />

einen Film wieder und wieder und wieder sehen zu<br />

wollen. Darüber reden wir doch eigentlich, oder?<br />

Ritchie: Deshalb muss ich dich jetzt fragen, was bei<br />

dir den Ausschlag gibt, eine Rolle anzunehmen.<br />

Pitt: Okay, es ist doch so: Ich bin an einem Punkt in<br />

meiner Karriere, an dem ich eigentlich alles machen<br />

kann. Ich kann jede Rolle spielen und etwas Besonderes,<br />

ein bestimmtes Maß an Qualität, rausholen. Es<br />

mag Menschen geben, die für diese oder jene Rolle<br />

besser geeignet wären – oder auch nicht –, aber wenn<br />

ich einen Part fühle, entsteht etwas Interessantes.<br />

Deswegen geht es mir heute mehr darum, mit wem<br />

ich drehe. Wer sind die Menschen, mit denen ich<br />

meine Zeit verbringe? Mit denen ich 14 Stunden am<br />

Tag über Wochen oder Monate zusammen bin? Ich<br />

lege großen Wert darauf, dass es Menschen sind, die<br />

ich respektiere, deren Gesellschaft ich genieße, von<br />

denen ich weiß, dass wir auf dasselbe hinarbeiten.<br />

Darum geht es mir eigentlich.<br />

Ritchie: Dir geht es also um einen bestimmten Tonfall,<br />

den ein Schreiber oder Regisseur vorgibt.<br />

Pitt: Ja, auch. Mich interessiert es, mit Leuten zu arbeiten,<br />

die eine eigene Stimme haben. Heutzutage ist<br />

es schwer, mit einem Film zu überraschen. Und es<br />

kommt nicht oft vor, dass mich die schauspielerische<br />

Leistung oder die Leistung eines Regisseurs wirklich<br />

überrascht. Dafür habe ich zu viel gesehen und bin zu<br />

lange in diesem Geschäft. Aber wenn es dann doch<br />

passiert, wenn ich vergesse, dass ich einen Film von<br />

jemandem sehe, wenn es eine Wendung in der Handlung<br />

gibt, die ich nicht vorhersehen konnte, wenn jemand<br />

mich mit seiner Darstellung umhaut, dann bin<br />

ich dabei. Dann mache ich mit.<br />

Ritchie: Wahrscheinlich magst du lieber die Arbeiten<br />

von Personen, wenn du den Menschen dahinter auch<br />

schätzt.<br />

Pitt: Klarer Fall. Und mir ist aufgefallen, dass alle Regisseure,<br />

mit denen ich gerne zusammenarbeite, auf<br />

ihre jeweilige Art sehr neugierig waren. Es sind allesamt<br />

Denker, Menschen, die sich nicht scheuen, große<br />

Fragen zu stellen.<br />

Ritchie: Und was hat dich daran gereizt, in Andrew<br />

Dominiks Killing Them Softly mitzuspielen?<br />

Pitt: Ich bin ein großer Fan des frühen Jimmy Caan.<br />

Da ich aus einer eher ländlichen Gegend komme,<br />

macht es mir Spaß, urbane Stoffe zu spielen.<br />

Ritchie: Wegen der Akzente … Mittlerweile bist du<br />

sehr gut darin, urban zu sprechen.<br />

Pitt: Mir gefällt es, wenn es einen gewissen Singsang<br />

gibt. Und Dialekte haben das oftmals. Am liebsten<br />

spiele ich Südstaatenakzente, darin bin ich wirklich<br />

gut. Irisch fällt mir auch leicht, da viele Menschen in<br />

der Gegend, in der ich aufgewachsen bin, irische<br />

Wurzeln haben. Dort gibt es auch deutsche Einflüsse.<br />

Ritchie: Welche Akzente fallen dir besonders schwer?<br />

Was wäre eine echte He rausforderung?<br />

Pitt: Ich habe nie einen echten Briten gespielt.<br />

Ritchie: Hast du es mal versucht?<br />

Pitt: Nicht wirklich. Es müsste zudem eine besondere<br />

Rolle sein.<br />

Ritchie: Cockney?<br />

Pitt: Das kennen zu viele Leute zu gut.<br />

Ritchie: Ich kann dafür keinen amerikanischen Akzent,<br />

keine Chance. Es ist zu nah dran.<br />

Pitt: Aber du hast es versucht – in Snatch, kannst du<br />

dich daran erinnern?<br />

Ritchie: (lacht) Ich kann es einfach nicht. Aber zurück<br />

zum Film. Wovon handelt Killing Them Softly?<br />

Pitt: Andrew hatte eine interessante Idee: Er wollte<br />

mit dem Film etwas über Amerika sagen, über Amerika<br />

als Geschäftsmodell – getarnt in einem Kleingangster­Milieu.<br />

Wir haben in Amerika ein paar große<br />

Ideale und Werte, oft sind sie jedoch reines<br />

Marketing.<br />

Ritchie: Sticht das Geschäftliche die Menschlichkeit<br />

aus?<br />

Pitt: Ja, gut formuliert. In gewisser Weise geht es also<br />

um den Aufruf nach einem verantwortungsbewussten<br />

Kapitalismus. Diese Idee wollte Andrew der Wirtschaftskrise<br />

und ihren Folgen gegenüberstellen, da<br />

sich daraus interessante Fragen ergeben: Wer sind<br />

wir? Und was passiert, wenn dem Menschen zu viel<br />

Raum gelassen wird? All das begann in guter Absicht<br />

in den 90ern unter Clinton, als jeder plötzlich ein<br />

Haus besitzen sollte und einen Freischuss in Richtung<br />

des amerikanischen Traums bekam. Man öffnet also<br />

die Türen und gewährt den Menschen billige Kredite.<br />

Dann kam Bush und delegierte alles weg, niemand<br />

übernahm die Führung, was wiederum den Missbrauch<br />

begünstigte, da es keine Verantwortlichkeiten<br />

gab. Was danach kam, kennt man – und das hat vielen<br />

Menschen geschadet. Man konnte einiges über Gier<br />

und Selbstsucht lernen. Und darüber, was passiert,<br />

wenn wir die Dinge nicht hinterfragen. Letztendlich<br />

geht es im Film also darum, dass wir uns selbst nicht<br />

trauen können, dass wir eigentlich eine Form der Regulierung<br />

brauchen. Denn eigentlich wussten etliche<br />

Menschen, wohin das alles führen würde – sie wussten,<br />

dass die Banken eigentlich genau gegen die wetten,<br />

denen sie einen Kredit gegeben hatten.<br />

Ritchie: Das Problem der Double­Dip­Rezession.<br />

Pitt: Genau. Und irgendwann wurde es hässlich. Weil<br />

das alte Diktum des Kapitalismus lautet: Raff, so viel<br />

du kannst – mit so wenig Aufwand wie möglich. Das<br />

ist die simple Arithmetik, die dahintersteckt. Es gibt<br />

jedoch noch die ethischen Fragen …<br />

Ritchie: Der Film kommentiert zudem das Verhältnis,<br />

das die Menschen in Amerika zu Politik und<br />

Medien haben.<br />

Pitt: Ja, darüber haben wir uns auch schon mal unterhalten.<br />

Oft gerät die Berichterstattung, zumindest in<br />

Amerika, zu einer Parodie ihrer selbst. Wir sind ein<br />

Land, das in Geschichten denkt. Vorhin habe ich das<br />

mit dem Wort Marketing angedeutet – wobei das letzten<br />

Endes auch nur ein neues Wort für Propaganda<br />

ist. Amerikaner brauchen Geschichten, damit sie sich<br />

für eine Sache engagieren.<br />

Ritchie: Du meinst, dass die Geschichte …<br />

Pitt: … wichtiger wird als das eigentliche Anliegen, ja.<br />

Zumal der Alltag der meisten Menschen darin besteht<br />

zu überleben. Ihre Leben drehen sich darum, die Leere<br />

der Woche zu überstehen und am Sonntag einen<br />

Ausflug mit den Kindern zu unternehmen. Sie haben<br />

keine Zeit, sich mit den wirklichen Themen ernsthaft<br />

auseinanderzusetzen. Eine Demokratie funktioniert<br />

aber nur, wenn die Leute gut informiert sind – und ich<br />

wüsste nicht, dass wir das sind. Die Menschen haben<br />

keine Zeit mehr dafür.<br />

Ritchie: Was mir zudem am Film gefallen hat, ist die<br />

Art und Weise, wie kleinlich bürokratisch das organisierte<br />

Verbrechen dargestellt wird. Das hat mich amüsiert.<br />

Man weiß am Ende gar nicht, wer die illegalen<br />

Kartenspiele eigentlich organisiert. Wahrscheinlich<br />

spielt das eh keine Rolle.<br />

Pitt: Richtig, man erfährt es nicht. Das hat mich auch<br />

zum Lachen gebracht. Zumal da die Parallele zur Politik<br />

wieder so deutlich wird: Die Typen im Film beschäftigen<br />

sich nie mit dem eigentlichen Problem,<br />

sondern immer nur mit der Wahrnehmung desselben.<br />

Wenn die nämlich stimmt, können die Menschen, die<br />

Geld verdienen, weiterhin Geld verdienen. Und alle<br />

anderen folgen brav, wie man das von ihnen erwartet.<br />

Nach einem ähnlichen Muster läuft es doch auch in<br />

unserer Wirtschaft und in unserer Politik. Politische<br />

Entscheidungen werden in Amerika äußerst selten<br />

dem eigentlichen Problem entsprechend gefällt –<br />

sondern fast immer danach, wie das Problem wahrgenommen<br />

wird. Deshalb befinden wir uns derzeit auch<br />

in so einer hässlichen Lage in Amerika. Das Land ist<br />

gespalten, aber diese Spaltung gibt es nicht, weil alle<br />

überlegen, was am besten für die Menschen ist, sondern<br />

deshalb, weil eine Seite vor der anderen Seite<br />

gewinnen will.<br />

Ritchie: Killing Them Softly ist ein politischer Film?<br />

DRinking haRD, getting soft: BRaD Pitt unD James ganDolfini in Killing Them sofTly<br />

Pitt: Ja, es ist ein politischer Film.<br />

Ritchie: Gleichzeitig macht er auch Spaß.<br />

Pitt: Ja, das tut er. Dennoch stellt er ein paar durchaus<br />

interessante Fragen: Wer zerreißt Jefferson, zum Beispiel<br />

(lacht). Andrew verfährt sehr geschickt: Eigentlich<br />

weiß man bis zur letzten Szene nie so ganz genau,<br />

was man eigentlich sieht.<br />

Ritchie: Dann weiß man es jedoch sehr genau.<br />

Pitt: Klar, dann kommen die Hinweise und der Nebel<br />

lichtet sich.<br />

Ritchie: Ich mag zudem die humanistische Seite des<br />

Films. Diese eine Szene, in der dein Charakter darüber<br />

spricht, dass er es nicht leiden kann, Leute zu ermorden,<br />

die er kennt. Weil er dann so gefühlig wird.<br />

Einen Fremden kann er einfach so wegpusten, doch<br />

bei Bekannten wird er weich. Zumal er schon zu viele<br />

Bekannte umgebracht hat und ihn das einfach emotional<br />

erschöpft hat.<br />

Pitt: Ja. Er hat auch kein Interesse, die Leute extra<br />

leiden zu lassen. Sie müssen sterben, okay, aber wenn<br />

man ihnen schon das Leben nimmt, kann das auch mit<br />

Würde geschehen.<br />

Ritchie: Du hast mit Andrew ja bereits an Jesse James<br />

gearbeitet. Der Film wird maßlos unterschätzt. In<br />

meinem Bekanntenkreis gibt es mit Sicherheit ein<br />

Dutzend Typen, die ich sehr schätze, die Jesse James<br />

zu den zehn besten Filmen zählen.<br />

Pitt: Er gehört auch zu den Filmen, die ich am liebsten<br />

gedreht habe. Und trotzdem haftet dem Film das<br />

Verlierer­Image an. Einfach nur, weil er am ersten<br />

Wochenende nicht genug eingespielt hat. Dominik<br />

bekam deshalb über mehrere Jahre kein einziges vernünftiges<br />

Angebot. Wir wussten jedoch immer, dass<br />

Jesse James wie ein feiner Wein ist – er altert gut.<br />

Ritchie: Du hattest ein paar sehr interessante Rollen<br />

in den vergangenen Jahren: Aldo Raine in Inglourious<br />

Basterds …<br />

Pitt: Großer Spaß!<br />

Ritchie: Zumal in dem Film ein paar echte Geniestreiche<br />

versteckt sind.<br />

Pitt: Ich weiß doch, dass du Tarantino genauso liebst<br />

wie ich (lacht).<br />

Ritchie: Hat sich deine Einstellung zur Schauspielerei<br />

über die Jahre eigentlich verändert?<br />

Pitt: Ich versuche, mich nicht zu wiederholen. Das<br />

langweilt mich zu Tode. Und ich bin auch nicht gut<br />

darin. Am Ende schadet das den Filmen. Wie du<br />

weißt, bin ich nicht der Typ, der einen Film nach dem<br />

anderen dreht. Dieses Jahr ging es mir vor allem darum,<br />

Dinge fertigzustellen, lose Enden abzuschneiden<br />

und den Kopf freizukriegen. Und langsam spüre<br />

ich auch wieder die Lust auf Neues. Ich muss jedoch<br />

etwas entdecken, was mich wirklich interessiert …<br />

Ritchie: … mit den richtigen Leuten.<br />

Pitt: Genau. Das muss auch alles stimmen. Und alle<br />

müssen zur selben Zeit frei sein. Quentin kenne ich<br />

seit True Romance, das war 1993 – und trotzdem haben<br />

sich unsere Wege bis Inglourious Basterds nicht<br />

mehr gekreuzt. Weil jeder immer irgendein Projekt<br />

am Laufen hatte. Wir wollten beide und wussten,<br />

dass es irgendwann passiert. Und dann hat auf einmal<br />

alles gepasst. Er rief an, ich sagte Ja. Fertig. So schnell<br />

kann es gehen. Wobei heute auch die Frage des<br />

Dreh orts eine ziemlich bedeutende Rolle spielt. Es<br />

gibt nämlich ein paar Länder, in denen ich nie wieder<br />

drehen werde.<br />

Ritchie: Lustigerweise denkt man immer, Projekte<br />

würden nur an kreativen Differenzen scheitern. In<br />

Wirklichkeit tun sie es jedoch fast genauso oft aus<br />

logistischen Gründen: Wer ist wo, wer hat Zeit, wie<br />

lange dreht man, wie weit ist das Set von der Familie<br />

entfernt.<br />

Pitt: Yeah. Die Geschichte, die der Film erzählt, muss<br />

es wert sein, die Familie zurückzulassen. Sie ist mein<br />

Leben. Familie geht vor. Und ich will ihnen ja auch<br />

nicht peinlich sein …<br />

Ritchie: (lacht) Wie schätzt du dich denn jetzt als<br />

Schauspieler ein?<br />

Pitt: Verdammt solide, würde ich sagen.<br />

Ritchie: Du produzierst mittlerweile auch ziemlich<br />

viel.<br />

Pitt: Mehr denn je! Das macht mir gerade mehr Spaß<br />

als alles andere.<br />

Ritchie: Wirklich? Mehr Spaß als schauspielern?<br />

Pitt: Irgendwie ja. Ich finde es gerade super, im Team<br />

mitzuarbeiten, das den Film auf die Leinwand bringt.<br />

Ritchie: Du produzierst unter anderem Steve Mc­<br />

Queens nächsten Film Twelve Years A Slave.<br />

Pitt: Darauf freue ich mich besonders, weil ich ein<br />

großer Fan von McQueen bin. Hast du Shame gesehen,<br />

seinen Film mit Michael Fassbender?<br />

Ritchie: Nein, ich habe Shame verpasst.<br />

Pitt: Du solltest dich schämen, dass du Shame verpasst<br />

hast! Die Art und Weise, wie McQueen seine Filme<br />

angeht, erinnert mich sehr an einen Maler. Seine<br />

Filme sind sehr ruhig … Es scheint beinahe so, als<br />

würden sie gären. Der Film Twelve Years A Slave, den<br />

wir gerade gedreht haben, erzählt eine sehr spezielle<br />

Geschichte der amerikanischen Sklaverei. Es gibt<br />

Leute, die behaupten, dieses Thema sei auserzählt<br />

und abgehandelt. Aber sie irren sich. Und das werden<br />

sie merken, wenn sie den Film sehen. Er basiert auf<br />

den Memoiren eines freien schwarzen Mannes aus<br />

dem Norden, der unter widrigen Umständen in den<br />

Süden gelockt und dort versklavt wird. So betrachtet<br />

ist es ein Horrorfilm.<br />

Ritchie: Arbeitet ihr gerade noch daran?<br />

Pitt: Nein, er ist fertig.<br />

Ritchie: Ein Film, in dem man dich bald sehen wird,<br />

ist World War Z.<br />

Pitt: Da fehlt der letzte Schliff. Meine Jungs werden<br />

ihn lieben. Der Film ist groß. Und unterhaltsam.<br />

Ritchie: Okay, lass uns zum Abschluss noch ein paar<br />

schnelle Fragen durchgehen.<br />

Pitt: Okay. Leg los!<br />

Ritchie: Du interessierst dich sehr für Architektur.<br />

Gibt es Überschneidungen zwischen Architektur und<br />

der Art, wie du denkst?<br />

Pitt: Wahrscheinlich die, dass ich immer nach Struktur<br />

suche und auf sie achte.<br />

Ritchie: Du vertraust auf dein Bauchgefühl. Was war<br />

das Überraschendste, das passiert ist, weil du deinen<br />

Instinkten gefolgt bist?<br />

Pitt: Ach, ich will keine Anekdoten erzählen. Ich hasse<br />

Anekdoten.<br />

Ritchie: Okay. Aber gab es Momente, in denen du mit<br />

deinem Bauchgefühl besser lagst als mit den Ratschlägen<br />

anderer Leute?<br />

Pitt: Ja. Oft.<br />

Ritchie: Und auch solche, in denen du eigentlich alles<br />

richtig gemacht hast, das Ergebnis dennoch eine Katastrophe<br />

war?<br />

Pitt: Klar. Aber man lernt aus Fehltritten. Auf einen<br />

Fehltritt folgt irgendwann der richtige Schritt.<br />

Ritchie: Was tut sich an der politischen Front – die<br />

Wahlen stehen ja bald an in Amerika.<br />

Pitt: Ich möchte gerne vermeiden, dass dieser Film<br />

und meine Unterstützung für Obama in einen Topf<br />

geworfen werden. Aber ich denke, er ist unsere beste<br />

Antwort für die nächsten vier Jahre.<br />

Ritchie: Ich komme mir schon vor wie der drängelnde<br />

<strong>Interview</strong>er, der sagt: „Wir würden gerne ein wenig<br />

darüber hören, was Brad Pitt über die Ehe und<br />

seine Rolle als Vater denkt.“<br />

Pitt: Ja, genau. Ich wette darauf, dass dich das interessiert<br />

(lacht).<br />

Ritchie: Es ist ziemlich amüsant, wie man plötzlich<br />

tatsächlich zum Fragenden wird, wenn man so ein<br />

Gespräch führen soll.<br />

Pitt: Das passt schon. Mir macht es Spaß.<br />

Ritchie: Sollen wir das Spiel abpfeifen?<br />

Pitt: Ja, lass uns Schluss machen.<br />

Ritchie: Und? Bist du auf dem Weg nach Frankreich?<br />

Pitt: Yep.<br />

Ritchie: Wann kommst du zurück?<br />

Pitt: Freitagabend. Wo steckst du eigentlich? In L. A.?<br />

Ritchie: Ich fliege morgen für ein paar Tage nach<br />

L. A.<br />

Pitt: Fun, Fun, Fun!<br />

Ritchie: Okay, bis bald!<br />

Pitt: Cheerio!<br />

Ritchie: Cheerio!<br />

56<br />

57<br />

Killing Them sofTly kommt<br />

am 29. novemBeR in Die kinos


Victoire de<br />

castellane<br />

mit ihrer neueSten kollektion für dior<br />

hAute joAillerie greift die pAriSer deSignerin<br />

Auf den urSprung der couture zurück<br />

von<br />

StephAnie lAcAvA<br />

porträt<br />

kAtjA rAhlweS<br />

oben linkS: ohrringe COFFRET DE<br />

VICTOIRE: weißgold, diamanten,<br />

peridot, Saphire, pink- und<br />

orange farbene, gelbe und<br />

violette Saphire, rote und<br />

schwarze Spinelle und lack.<br />

dior fine jewellery<br />

mitte: ring INCROYABLES ET<br />

MERVEILLEUSES TOUCAN: gelbgold,<br />

diamanten, grüner beryll,<br />

Smaragde, tsavorite, rubine, Saphire,<br />

pink- und orangefarbene und gelbe<br />

Saphire und schwarze Spinelle.<br />

dior fine jewellery<br />

oben rechtS: broSche DIORETTE:<br />

gelbgold, diamant, Amethyst und lack.<br />

dior fine jewellery<br />

Die Dior-Schmuckdesignerin Victoire<br />

de Castellane steht auf dem Balkon<br />

ihres Apartments, der den Blick auf<br />

eine ruhige Straße im 16. Arrondissement<br />

freigibt. Mit hochrot geschminkten Lippen lächelt<br />

sie, während sie schnell in einen dieser cartoonartigen<br />

Telefonhörer spricht, dessen gezwirbeltes Kabel<br />

in ihr Handy gestöpselt ist. Sie trägt ein marineblaues<br />

Alaïa-Outfit, kombiniert mit High Heels von Balenciaga<br />

und einem Armreif aus Goldgeflecht. Als das Telefonat beendet<br />

ist, setzt sie sich auf ihr Sofa von Jean-Michel Frank unter eine<br />

Thomas-Ruff-Fotografie – eine Supernova elektrisierender Neonfarben<br />

ähnlich den Tönen, die de Castellane in ihren Schmuckentwürfen<br />

benutzt. Die in Paris geborene Designerin ist der Inbegriff des urbanen Chic,<br />

vergleicht die Ästhetik ihrer Wohnung jedoch mit der eines Ferienhauses. „In<br />

Paris scheint selten die Sonne“, sagt sie. „Sobald ich meinen Arbeitsplatz verlasse<br />

und hierher zurückkomme, fühlt sich das für mich an wie Urlaub.“<br />

Ansonsten ist es für de Castellane auch eher schwierig, Zeit für Ferien zu finden,<br />

weil sie mit gleich zwei Aufgaben jongliert: einerseits der Arbeit an der ihren<br />

Namen tragenden eigenen Linie aus Schmuck-Unikaten – im vergangenen Jahr<br />

zeigte sie diese organisch geformten, irisierenden Skulpturen im Rahmen einer<br />

Solo-Ausstellung in der Pariser Gagosian Gallery. Und andererseits natürlich mit<br />

ihren Designs für Dior. Ihre aktuelle Kollektion für das Modehaus, Dear Dior, ist<br />

zugleich ihre erste unter der Ägide des neuen Kreativchefs Raf Simons. Über<br />

dessen Haute-Couture-Debüt, das am Morgen unseres Treffens stattfand, sagt de<br />

Castellane: „Es war fantastisch, intelligent, poetisch und voller wunderschöner<br />

Ideen!“ Und fügt hinzu: „Rafs Geist, seine Vorstellungskraft, ist sehr präzise, aber<br />

er interpretiert die Identität Diors auf leichtere Art und Weise.“<br />

Dear Dior geht mit der klassischen Couture-Kultur spielerisch um. De Castellane<br />

fasste seltene Gemmen wie äthiopische Welo-Opale, Sphene und neonblaue<br />

Apatite in filigranes Gold. Für dieses Design bediente sie sich einer Vorlage, die sie<br />

in einer Couture-Skizze für Dior aus den 50ern entdeckt hatte. Traditionell zeigten<br />

Couturiers nämlich auf dem Laufsteg ausschließlich Modeschmuck (Echtschmuck<br />

58<br />

galt als separates Business) – de Castellane versucht<br />

nun, genau diesen frisson, diesen Original-versus-Kopie-Kick,<br />

einzufangen.<br />

Eine Karriere als Schmuckdesignerin hatte<br />

sie nie angestrebt. Alles begann, als ein Freund sie<br />

1984 bat, an Chanels Modeschmuckkollektion mitzuarbeiten.<br />

Doch Karl Lagerfeld bot ihr schnell eine<br />

Vollzeitstelle an. „Ich sagte: ‚Ich will gar nicht arbeiten,<br />

ich will nur ausgehen und Spaß mit meinen Freunden haben‘“,<br />

erinnert sie sich. „Aber dann blieb ich 14 Jahre bei<br />

Chanel.“ Sie verließ die Marke, als Bernard Arnault von LVMH<br />

sie 1998 bat, sich eine neue Welt für Dior Haute Joaillerie auszudenken.<br />

Sein Angebot, „etwas aus dem Nichts zu erschaffen“, empfand<br />

sie als wirklich inspirierend. Seither hat de Castellane die Accessoires-Welt nicht<br />

bloß verwandelt, sondern deren Grenzen auch öfter überschritten, um in den Bereich<br />

der zeitgenössischen Kunst vorzudringen, etwa mit ihrer exotisch-floralen<br />

Belladone Island-Kollektion, die 2007 im Musée de l’Orangerie ausgestellt war.<br />

Als Inspirationsquellen nennt sie Sigmund Freud und Stanley Kubrick – obgleich<br />

in ihrem Apartment weder Fernseher noch Bücher zu sehen sind (wie sich<br />

herausstellt, verbirgt sich beides in einer Nische, getarnt von einer scheinbaren<br />

Zimmertür). Auch wenn sie scherzt: „Ich kann nicht lesen, weil ich tagträume.“<br />

In ihren Entwürfen hat de Castellane sich mit psychotropen Drogen, fleischfressenden<br />

Pflanzen und Märchenprinzessinnen auseinandergesetzt. „Ich bin besessen<br />

vom weiblichen Universum“, erklärt sie. Schmuck hat sie nie als Statussymbol<br />

verstanden, sondern als Talisman – gar als Waffe. „Wenn du gelangweilt<br />

bist oder dich alleine fühlst, beschützt dich Schmuck“, sagt de Castellane. „Ich mag<br />

es, wenn alles Schlechte verschwindet und nur die Erinnerung an das Schöne im<br />

Gedächtnis bleibt. Aber so ist das Leben nicht. Darum mache ich Schmuck.“<br />

Styling ondine AzoulAy/clm<br />

hair mAxime mAce/cAlliSte pAriS<br />

make-up cArole colombAni/l’Atelier 68<br />

ALLE SCHMUCKSTÜCKE: VICTOIRE DE CASTELLANE<br />

59


Beauty<br />

Kleiner, noch kleiner und<br />

trotzdem überall zu haben<br />

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Diskutiert werDen:<br />

Das shoppingparaDies Manhattan,<br />

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eine kolumne von susanne opalka<br />

Sie haben Ihre Reise nach New York noch nicht gebucht?<br />

Dann wird es aber Zeit. Manche Menschen lehnen ja Geschenke<br />

zu allgemein anerkannten Anlässen wie Weihnachten<br />

oder Geburtstagen aus ideologischen Gründen ab –<br />

„Ich schenke lieber spontan, wenn ich etwas Schönes entdecke“,<br />

lautete die sich freidenkerisch gebende Ausrede, die doch tatsächlich<br />

meist eine Mischung aus Faulheit und Geiz ist. Ich persönlich ziehe<br />

den generalstabsmäßigen Ansatz vor: 24 Stunden Manhattan – und<br />

alle sind versorgt. Eine belastbare Kreditkarte und ein Paar bequemer<br />

Schuhe vorausgesetzt.<br />

Was die Auswahl der Geschenke betrifft, gehe ich monothematisch<br />

vor. Glauben Sie mir: Von einer Beauty-Redakteurin wird das<br />

erwartet. Als Allererstes geht es natürlich zu Bergdorf Goodman, wegen<br />

des Schals von Truman Capote (beste Szene im Biopic mit Philip<br />

Seymour Hoffman) und wegen der New Yorker Make-up-Ikone<br />

Sylvie Chantecaille und ihrer Tochter Olivia, die jedes Jahr Sondereditionen<br />

auflegen, mit denen immer Tierschutz- und Umweltorganisationen<br />

unterstützt werden. Dann zu Bond No. 9 im Meat packing<br />

District, um schon mal den neuesten Duft zu kaufen, der wie immer<br />

erst Monate später nach Deutschland kommen wird. Nun vielleicht<br />

schnell ins Hotel The Standard über dem High Line Park auf ein<br />

zweites Frühstück. Nach dem imposanten brioche french toast müssen<br />

Sie sich ums Mittagessen keine Gedanken mehr machen.<br />

Besonders am Herzen liegt mir ein Abstecher zu Aedes de<br />

Venustas in der Christopher Street. Hier haben die beiden Süddeutschen<br />

Karl Bradl und Robert Gerstner seit 1995 ihre avantgardistische<br />

Duftboutique, in der auch Liv Tyler und Sarah Jessica Parker<br />

einkaufen. Nicht unumstritten, aber überraschend charmant John<br />

Varvatos: Dessen Flagshipstore war bis 2006 der legendäre Punkclub<br />

CBGB (weswegen Dogmatiker den Designer für einen Vorreiter<br />

der Gentrifizierung halten), und neben seiner Mode und den<br />

Düften verkauft der leidenschaftliche Rockfan hier seltene und<br />

besonders gut erhaltene Aufnahmen auf Vinyl. Weiter geht’s nach<br />

Nolita in die Elizabeth Street zum Atelier Cologne (Duft kerzen!).<br />

20 Meilen später liegen dann alle Einkäufe hübsch verpackt auf<br />

dem Hotelbett.<br />

Ich muss dieses Jahr zwar zu Hause bleiben, mache aber die gleiche<br />

Einkaufstour – im Internet. Tatsächlich gibt es inzwischen alle<br />

meine Lieblingsmarken in deutschen Onlineshops zu kaufen. Georg<br />

Wuchsa war mit seiner Website ausliebezumduft.de der Pionier. Exklusive<br />

Parfümerien wie Meister in Hamburg oder Brückner in<br />

München stellten ihr Angebot online, nun folgen departmentstorequartier206.com,<br />

niche-beauty.com, duft-villa.de oder, gerade ganz<br />

neu, ludwigbeck.de und bellerebelle.de. Es wimmelt im Netz von<br />

erlesenen Nischenmarken aus Paris, London und New York. Über<br />

dem Internet scheint eine große Duftwolke zu schweben.<br />

Die großen Marken reagieren darauf und präsentieren regelmäßig<br />

kleine, exklusive Produkte und Dienstleistungen. So lädt<br />

Dior Mitte November zur exklusiven „Privée“-Audienz nach Berlin<br />

ins KaDeWe, wo man sich vom hauseigenen Parfümeur höchstpersönlich<br />

seinen Duft maßschneidern lassen kann. Oder sie legen,<br />

wie Chanel, einmalige Sondereditionen auf, die es eben doch nur<br />

vor Ort in der Chanel-Boutique gibt (oder etwa in New York bei<br />

Bergdorf Goodman). Wie zum Beispiel, das klingt jetzt vielleicht<br />

exzentrisch, „Le Coton“, die geliebten Wattepads von Chanel. Aber<br />

die sind ja eh nur etwas für verrückte Beauty-Redakteurinnen …<br />

foto aMos friCke<br />

60<br />

www.sisley-cosmetics.de


Diese seite:<br />

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rose futuriste” von ysl<br />

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foundation „Diorskin nude compact<br />

nr. 020 light Beige” von Dior<br />

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von giorgio armani<br />

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Bags,<br />

Bling &<br />

Beauty<br />

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lippenstift „rouge in love 170 n”<br />

von lancÔme<br />

diese seite:<br />

lippenstift „sensai rouge vibrant<br />

cream color vc07 benisakura”<br />

von kanebo<br />

foundation „parure de lumière<br />

light diffusing foundation 02 beige<br />

clair” von guerlain<br />

puder „le prisme visage mat 88<br />

acoustic pastel” von givenchY


classics<br />

Frühling<br />

Sommer<br />

MÖRDER, denen<br />

VERZWEIFLUNG fehlt<br />

Die Kolumne von Helene Hegemann<br />

Letztens wurde ich über den Tod eines Menschen aufgeklärt, von dem ich überhaupt<br />

nicht wusste, dass er bis vor Kurzem noch am Leben war: ALAin CorneAu,<br />

ein französischer Typ, der schlau genug war, um keine gewissentlichen<br />

Konsequenzen für sein Handeln tragen zu wollen, und deshalb Filme über perfekt<br />

arrangierte Morde drehte, anstatt sie selbst zu begehen. er ist irgendwann mal<br />

Musiker gewesen und hat dann glücklicherweise mit den aus seinem Studium<br />

übernommenen Jazzstandards Filme durchkomponiert, die alles haben, was ein<br />

Film noir haben muss, der sich durch die zur konventionellen Hollywoodmoral<br />

entgegengesetzte Düsterheit und entfremdung auszeichnet – und gleichzeitig in<br />

einer großen Geste von romantik und Feinsinnigkeit darüber hinausgehen, sehr<br />

weit sogar, würde ich sagen. er hat die Filme von JeAn-Pierre MeLviLLe<br />

geliebt und unabhängig davon, oder grade deshalb, starke kriminelle energien entwickelt.<br />

Die sind grade aber auch nicht wichtig. Sein letzter Film heißt Crime<br />

d’amour. es geht um ein mittzwanzigjähriges Mädchen, sympathisch, weil nett,<br />

schlau, selbstbestimmt und auf eine leicht prollige Weise schwer attraktiv. Das von<br />

LuDvine SAGnier gespielt wird und in einem multinationalen Pr-Konzern<br />

arbeitet. Die Chefin ist KriSTin SCoTT THoMAS, an Durchtriebenheit kaum<br />

zu übertreffen. Logischerweise fädelt KriSTin SCoTT THoMAS mit irgendwelchen<br />

Femme-fatale-nuancen einige latent amouröse Projektionen von Seiten<br />

ihrer Angestellten auf sich selbst ein, zumal das Mädchen, es heißt im Film, glaub<br />

ich, isa, wie gesagt, voll schlau ist und weder sich noch ihre Fähigkeiten manipulieren<br />

ließe, wäre da kein Sex im Spiel. isa ist also verknallt in KriSTin SCoTT<br />

THoMAS, die ihr gehirnwäscheüblich die große Liebe, die Aussicht auf großen<br />

erfolg und einfach auch ihre ehrenwerte High-Class-Präsenz vor Augen führt –<br />

erstens, um isas fantastische ideen als ihre eigenen auszugeben, zweitens, um das<br />

Mädchen vollständig für ihre Zwecke einzuvernehmen, und drittens aus purem<br />

Spaß an einem Lebensentwurf, der auf dem unbesorgten Hinterlassen zerstörter<br />

existenzen aufbaut. Dabei guckt man ihr gerne zu, da muss man „journalistisch“<br />

auch gar nicht weiter ins Detail gehen, weil es einfach wirklich sexy und typisch<br />

und großes entertainment ist. Die Beziehung der beiden endet damit, dass Mrs.<br />

Thomas isa vor der kompletten Firmenbelegschaft mit einem aus Überwachungsvideos<br />

zusammengeschnittenen Film denunziert – was das Mädchen in große verzweiflung<br />

stürzt, sie sitzt dann halt nur noch heruntergekommen auf ihrem Sofa<br />

und ist traurig und apathisch.<br />

Doch irgendwas arbeitet in ihr, sie schmiedet einen Plan, auf den man als Bildungsbürger<br />

keinen Zugriff hat, der einem aber eine vorahnung vermittelt darauf,<br />

dass die sogenannte erzählstruktur jetzt radikal gebrochen und man selbst von nun<br />

an nichts anderes mehr als verunsichert wird. Dieser Moment ist so eindringlich,<br />

dass er vermutlich was mit der fantastischen Kamera zu tun haben muss – die so<br />

dermaßen simpel ist, dass man vorschnell und kompromisslos jeden Kamerakran<br />

der Welt zu Charity-Zwecken recyceln will, augenblicklich.<br />

Was isa tut, ist ziemlich folgerichtig: Sie bringt ihre Chefin um. im rahmen<br />

einer perfekten Mordstrategie, für die ein Großteil der Zuschauer, inklusive mir und<br />

aller meiner Freunde, schlechterdings zu dumm ist, und zwar bis zum Schluss. Das<br />

ist unfassbar erleichternd, nicht permanent zur Wertung von individuen auf Bildschirmen<br />

aufgefordert zu werden, nicht permanent Antworten entgegengeschleudert<br />

zu kriegen oder Fragen auf Themen, die angeblich die „Menschheit bewegen“<br />

und bei denen es dann eigentlich doch nur um den ehrgeiz des verantwortlichen<br />

geht, sein Kunstwerk in einem „weltbewegenden“ Kontext platzieren zu können.<br />

Man kommt hier ausschließlich in den Genuss, jemandem dabei zusehen zu<br />

können, wie er, intelligent bis zum exzess, jemanden ermordet, der es verdient hat,<br />

und sich eine Grundlage dafür schafft, ohne Schuld weiterleben zu können.<br />

CHABroL hat mal gesagt (oder war es mein Zahnarzt?): „Mord ist das<br />

menschliche Handeln, bei dem entscheidungen am kritischsten sind und die größten<br />

Konsequenzen haben.“<br />

Das ist das, was Film noir ausmacht – sich mit diesem umstand zu beschäftigen<br />

anstatt mit einem Cliffhanger. Die entscheidung gegen eine nur der Aufdeckung<br />

des Mordes zugeschriebene Spannung.<br />

66<br />

Die Spannung nicht aufzubauen auf der Frage „Wer hat es getan?“, sondern<br />

darauf, was dem, der es getan hat, zustößt, wie er sich durch den ganzen Dreck<br />

durchkämpft, ist der irgendwann mal revolutionär gewesene Wille, Menschen im<br />

Film jenseits ihrer suspensekompatiblen Handlungen zu betrachten und ihnen bei<br />

ihrer Arbeit (dem Mord, dem vertuschen des Mordes oder dem idyllischen Leben<br />

auf einer Pferdefarm mit CATHerine Deneuve) und ihren Gedanken zuzusehen.<br />

Jenseits einer die Grundlagen der Gesellschaft festigenden „psychologischen<br />

Betrachtungsweise“, die dem Täter eine histrionische oder psychotische<br />

oder narzisstische Störung unterstellt und sein Handeln damit vollständig entkräftet.<br />

es ist auch nicht eine dem Publikum aufgezwungene identifikation mit<br />

dem Bösen, sondern unterhaltsam und eine legitime Grundlage dafür, sich beim<br />

Parkscheinholen am Potsdamer Platz irre cool zu fühlen, weil man es unweigerlich<br />

mit dem komischen Parkhausmord in LouiS MALLeS Atlantic City assoziiert.<br />

(Da wird roBerT Joy von zwei rauschgift-Gangstern verfolgt, falls jemand den<br />

Film nicht gesehen hat.)<br />

Das mag ein teeniehaftes runterbrechen des Facettenreichtums sein, aber genau<br />

darum geht’s ja auch – sich selbst in seinen unzulänglichkeiten zu genügen<br />

und sie als das Beruhigendste aller ressentiments einordnen zu können, die Coolness<br />

–, wahrscheinlich hat das mit dem leicht verdreckten Pokerfacesystem des<br />

Gangsteruniversums zu tun, diesem nihilismus, der Herrschaftlichkeit, der vorstellung<br />

einer Männlichkeit, die nichts mit dem Geschlecht zu tun hat. Das Kalkül,<br />

das Fehlen des emotionalen Antriebs in diesen Zerstörungsakten, hievt das Ganze<br />

auf einen Level von demonstrativer Überlegenheit und irgendeinem Horroransatz,<br />

der einen zutiefst verunsichern kann. Die Typen in CorneAuS Filmen<br />

(in den früheren, z. B. Wahl der Waffen, werden die meistens von yveS Mon-<br />

TAnD gespielt) müssen sich in erster Linie weder an jemandem rächen noch<br />

brauchen sie Geld oder handeln aus konkreter verzweiflung, da ist kein direkter<br />

impuls – sie bewegen sich deshalb nicht in der typischen, mit der Handkamera<br />

aufgezeichneten Panikshow eines Strasbergschülers, der irgendeine emotionsexplosion<br />

spielen und das auch noch für große Kunst halten muss. nein, nein. es<br />

geht im äußersten Fall um die Wahrung eines Besitzstandes, der durch eine, des<br />

Zuschauers vorstellungskraft überschreitende „Dunkelheit in der vergangenheit“<br />

ermöglicht worden ist. um das „aus dem Weg schaffen“ eines Störfaktors, der<br />

grade das friedliche Zusammenleben mit CATHerine Deneuve auf der genannten<br />

Pferdefarm beeinträchtigt, oder den Stolz einer unglücklich verliebten,<br />

leider zu erfolgsorientierten, aufrichtigen jungen Frau. Darum, dass diese durchgängige,<br />

depressive Überlegenheit ab und zu mal von irgendeinem dummen Polizisten<br />

oder einer zu kaltherzigen Chefin oder einem Jungkriminellen aus dem<br />

Ghetto versehentlich durchbrochen wird. und das Substitut für Selbstmord dann<br />

der Mord am Störfaktor ist. Diese Knarren, mein Gott, diese rituale und diese<br />

ignoranz, all das nennt man wahrscheinlich Kaltblütigkeit, dabei ist das immer nur<br />

die perfekt inszenierte Hoffnung darauf, dass es gotthafte Charaktere gibt, mit<br />

denen wir uns nicht identifizieren müssen, weil sie „etwas Größeres“ darstellen,<br />

vielleicht eine mutierte version einer Abspaltung von uns selbst. ihre Superkräfte<br />

sind nicht physisch, sondern hängen mit ihrer grenzenlosen entscheidungsfreiheit<br />

zusammen. und deshalb gibt es wenig, was mehr Spaß<br />

macht, als von vornherein zu wissen, wer der Mörder ist.<br />

The End<br />

illustration: Sandra Buergel<br />

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Viel zu oft heißt es in diesem Land, es gäbe nur Mover der Vorrat & Shaker reicht. – Stars von Welt hingegen, nein, die hätten wir hier nicht. Das, liebe Leserinnen<br />

unter und 040/41 Leser, ist 44 natürlich 84 80nicht wahr. Der Eindruck könnte entstehen, weil wir unsere Stars oftmals zu lieblos in Szene setzen. Dem wollen wir<br />

Name:<br />

seits empfangenen Leistungen zurückzugewähren.<br />

entgegenwirken. Deshalb wünschen wir Ihnen viel Spaß ab Seite 128 mit HEIKE MAKATSCH. Auch sonst werden Sie in dieser Ausgabe bestens<br />

Vorname:<br />

oder bedient: per E-Mail Den Anfang macht die wunderbare HALLE Straße/Nr.: <strong>BERRY</strong>, die in CLOUD ATLAS, dem teuersten deutschen Film aller Zeiten, gleich sechs<br />

Rollen übernommen hat, gefolgt von JEFF KOONS, PLZ/Ort: KYLIE MINOGUE, RICK OWENS, TRACEY EMIN und PAMELA ANDERSON.<br />

an abo@interview.de<br />

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Alle diese Erfahrungen<br />

haben mich dazu gebracht,<br />

<strong>Interview</strong>s zu meiden …<br />

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Vintage


<strong>Halle</strong>,<br />

yeaH!<br />

von<br />

Tom Tykwer<br />

… also haben wir Tom Tykwer ins<br />

rennen geschickT. Und da halle berry<br />

nichT eine, sondern sechs rollen in<br />

Cloud AtlAs, dem TeUersTen deUTschen<br />

Film aller zeiTen, übernommen haT,<br />

konnTe berry den mann, der sie so in<br />

szene seTzT, ja kaUm abbliTzen lassen<br />

FoTos<br />

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repossi<br />

Die Gesprächsanbahnung gestaltete sich einigermaßen<br />

schwierig. Nicht, dass sich <strong>Halle</strong> Berry und Tom<br />

Tykwer bei den Dreharbeiten nicht bestens verstanden<br />

hätten; wochenlang hatten sie gemeinsam am Set<br />

verbracht und sich durch einen denkbar komplizierten<br />

Drehplan gearbeitet. Doch dann, als der Film<br />

endlich fertig war, gingen sie beide ihrer Wege und<br />

fanden einfach keinen Termin. Zunächst wollten sie<br />

das Gespräch noch von Angesicht zu Angesicht führen,<br />

weshalb es schien, dass die Filmpremiere in Toronto<br />

eine ideale Gelegenheit wäre. Doch je näher<br />

die Premiere rückte, desto kleiner wurden die Zeitfenster,<br />

bis sie sich irgendwann ganz geschlossen hatten<br />

und die Suche von Neuem begann. Dass Tykwer<br />

nebenher damit beschäftigt war, von Festival zu Festival<br />

zu reisen, hier und da noch letzte Hand an den<br />

Film legen musste, während Berry eine grundsätzliche<br />

Skepsis gegenüber Pressegesprächen aller Art<br />

entwickelte, machte die Sache nicht leichter. Aber<br />

dann, eines Tages im Oktober, als es beinah schon zu<br />

spät war und es kaum noch Hoffnung gab, meldete<br />

sich eine gut gelaunte <strong>Halle</strong> Berry am Telefon und<br />

erklärte, sie sei bereit.<br />

Warum sollte sie auch nicht bereit sein? Für die<br />

46-jährige Schauspielerin ist Cloud Atlas der größte<br />

Auftritt seit ihrem Oscar-Gewinn 2001 für ihre Rolle<br />

in Monster’s Ball. Wobei Cloud Atlas im Grunde für<br />

alle Beteiligten ein großer Auftritt ist: Die Romanvorlage<br />

von David Mitchell galt als unverfilmbar und<br />

erzählt eine denkbar komplex verschachtelte Geschichte,<br />

die nicht weniger als tausend Jahre abdeckt.<br />

Die Regie hat sich Tom Tykwer gleichberechtigt mit<br />

den Geschwistern Lana und Andy Wachowski geteilt,<br />

was so ungewöhnlich ist, dass die Schauspieler zu<br />

Drehbeginn in höchster Sorge waren. Aber dann<br />

wurde alles gut.<br />

„Im 22. JaHrHunderT<br />

keHre IcH zurück<br />

als männlIcHer<br />

GenTecHnIker,<br />

der unTerdrückTe<br />

klone aus IHrer<br />

GefanGenscHafT<br />

zu BefreIen HIlfT.<br />

der umweG üBer<br />

dIe männlIcHkeIT<br />

erscHIen mIr<br />

seHr eInleucHTend”<br />

75<br />

Tom Tykwer: <strong>Halle</strong>, es gibt hier also diese Idee eines<br />

<strong>Interview</strong>s, das wir führen sollen, als wären wir völlig<br />

privat und spontan – und als ob es uns nichts ausmacht,<br />

dass einer dabei zuhört, wie wir so ganz natürlich<br />

miteinander plaudern.<br />

<strong>Halle</strong> Berry: Ja, ich weiß. Aber wie geht das?<br />

Tykwer: Es ist natürlich eine Illusion, denn wir wissen,<br />

dass eine Gesprächssituation sich radikal ändert,<br />

sobald ein Aufnahmegerät eingeschaltet wird.<br />

Berry: Eben. Wobei ich sagen muss, dass ich es nicht<br />

prinzipiell ablehne, persönlichere Dinge preiszugeben<br />

– ich finde es toll, wenn sich das in einem<br />

Inter view organisch entwickelt. Mein Problem ist vor<br />

allem, dass ich immer wieder die Erfahrung machen<br />

musste, dass das, was ich nachher lese, nicht viel mit<br />

dem zu tun hat, was ich ausdrücken wollte. Dass es<br />

auf eine absurde Weise umgeformt oder absichtlich<br />

missverstanden wurde, um letztlich doch irgendwelche<br />

Klischees zu bedienen. Gern wird auch weggelassen,<br />

was mir besonders wichtig oder interessant<br />

erschien, aber aus der kleinsten Nebenbemerkung<br />

über mein Privatleben eine fette Überschrift gemacht.<br />

Alle diese Erfahrungen haben mich dazu<br />

gebracht, <strong>Interview</strong>s zu meiden.<br />

Tykwer: Versuchen wir einfach, das Persönliche in<br />

einem Gespräch über unsere gemeinsame Arbeit zu<br />

finden. Das ist auch angemessen, denn wir beide kennen<br />

uns zwar ausschließlich durch die Arbeit an Cloud<br />

Atlas, sind uns aber über dieses intensive Projekt<br />

doch auch ganz schön auf die Pelle gerückt.<br />

Berry: Allerdings. Der Film hat von Anfang an eine<br />

Dynamik entwickelt, in der wir uns sehr intensiv aufeinander<br />

einlassen mussten.<br />

Tykwer: Als Schauspielerin ist die Genese eines solchen<br />

Films über weite Strecken ein ganz anderer<br />

Prozess als für den Regisseur. Es fängt, nehme ich an,<br />

erst mal damit an, dass du einfach ein Drehbuch bekommst.<br />

Berry: Ja, genau.<br />

Tykwer: Aber du bekommst ja wahrscheinlich ständig<br />

Drehbücher. Wie unterscheidest du in deiner<br />

Aufmerksamkeit, deinem Interesse?<br />

Berry: Ich bekomme tatsächlich eine Menge Drehbücher<br />

zugesandt, und leider sind die meisten ziemlich<br />

schlecht. Aber das ist wohl überall auf der Welt<br />

so. Gute Drehbücher sind immer ein kleines Wunder<br />

und ein großes Glück. Und oft sind die guten diejenigen,<br />

die am häufigsten an der Finanzierung scheitern.<br />

Bei Cloud Atlas war es so, dass ich zwar den Roman<br />

nicht kannte, aber schon auf David Mitchell aufmerksam<br />

geworden war. Er klang nach einem Autor, den<br />

ich entdecken wollte. Dann kam dieses Drehbuch<br />

von dir, Lana und Andy – und ich dachte: Interessant,<br />

diese drei haben zusammen ein Drehbuch geschrieben?<br />

Ich war ein großer Fan von eurer jeweiligen Arbeit,<br />

aber wusste nicht, wie das zusammengeht.<br />

Tykwer: Wusstest du nicht?<br />

Berry: Nein, zu dem Zeitpunkt war mir noch gar<br />

nicht klar, dass ihr auch zusammen Regie führen<br />

wolltet. Und mein Agent sagte: Es ist seltsam und faszinierend<br />

und verrückt, und ich weiß auch nicht so<br />

recht. Aber die drei sitzen schon ewig dran und sind<br />

vollkommen davon überzeugt. Das klang irgendwie<br />

wirr, aber hat mich sehr neugierig gemacht, und ich<br />

habe es dann auch sofort in einem Rutsch, quasi über<br />

Nacht, gelesen. (Pause) Und kein Wort verstanden.<br />

Tykwer: (lacht) Wie bitte?<br />

Berry: (lacht) Ich fand es fantastisch, aber ich hab’s<br />

nicht verstanden. Das klingt vielleicht idiotisch, aber<br />

ich wusste, dass es ein großartiger Film werden würde<br />

und dass ich es irgendwann auf dem Weg dorthin<br />

auch durchschauen würde, aber nach dem ersten Lesen<br />

hatte ich keine Ahnung, worum es eigentlich<br />

geht.<br />

Tykwer: Wurde dir von deinen Agenten erklärt, was<br />

die besonderen Bedingungen des Angebots waren?<br />

Berry: Na ja, sie sagten: Du sollst mehrere Rollen<br />

spielen. Aber zu dieser Zeit schienen sie nur zu wissen,<br />

dass eine von diesen Rollen Meronym war (die<br />

Heldin aus der Geschichte, die in ferner Zukunft<br />

spielt). Dass es am Ende sechs verschiedene Figuren<br />

sind, von denen eine sogar ein Mann ist, darauf wäre<br />

ich nie gekommen.<br />

Tykwer: Es ist völlig absurd, dass solche Vorgespräche<br />

allen Ernstes über die Agenten laufen. Warum<br />

haben wir denn eigentlich nicht direkt miteinander<br />

telefoniert?<br />

Berry: Ich weiß es auch nicht, aber so läuft es halt. Es<br />

ist ein System voller Lücken und Umwege.<br />

Tykwer: Und wann hat sich die Unklarheit über das<br />

Drehbuch gelichtet?<br />

Berry: Eigentlich erst, als wir wirklich zusammenkamen<br />

und intensiv in die Vorbereitung des Films einstiegen.<br />

Als ich mit euch und den anderen Schauspielern<br />

sprechen konnte. Die Kostümtests waren sehr<br />

wichtig und hilfreich – und natürlich die Proben.<br />

Tykwer: Für mich war das sehr ähnlich. Insbesondere<br />

die Kostüm- und Make-up-Tests bei Cloud Atlas<br />

haben den Film in mir erst plastisch und lebendig<br />

werden lassen. Ich habe auch selten so viele ausführliche<br />

Gespräche mit den Schauspielern über die Kleidung<br />

und das äußere Erscheinungsbild der Protagonisten<br />

gehabt – insbesondere mit dir. Über diesen<br />

Weg sind wir gleich sehr tief in die Figuren hineingekrochen.


Berry: Ja, es gab aber auch wirklich eine Menge ungewöhnlicher<br />

Entscheidungen zu treffen. Meronym<br />

in diesem futuristischen weißen, engen Anzug zwischen<br />

all den wilden Eingeborenen; oder natürlich<br />

Jocasta, eine weiße jüdische Europäerin Mitte der<br />

30er-Jahre – damit musste ich mich besonders ausführlich<br />

beschäftigen.<br />

Tykwer: Ich erinnere mich, dass ich dich in Bezug<br />

auf Jocasta fragte, ob du diese Art von Kostüm magst<br />

und solche Figuren grundsätzlich gern spielst – und<br />

du mich lange verwundert angeschaut hast und sagtest:<br />

Tom, in Filmen dieser Epoche habe ich bisher<br />

nur Dienerinnen, Kellnerinnen oder Prostituierte<br />

spielen dürfen.<br />

Berry: Ja, ich bin für diesen Teil des Films erstmals in<br />

die bürgerliche Welt dieser Zeit aufgestiegen, weil<br />

wir meine Hautfarbe verändert haben.<br />

Tykwer: Das gehörte zu den irren Momenten am<br />

Set, als du – an dem ersten Drehtag als Jocasta – an<br />

der gesamten Crew vorbeistolziert bist, um zu deiner<br />

Startposition zu gehen, und keiner dich begrüßt hat.<br />

Alle staunten: Wer ist diese faszinierende Frau? Und<br />

als deine Stimme plötzlich erklang, konnten es die<br />

meisten nicht glauben, dass du es warst.<br />

Berry: Aber das war ja der Running Gag des gesamten<br />

Drehs. Ich bin während der Make-up-Tests<br />

mehrmals an Hugh Grant vorbeigelaufen, der vielleicht<br />

gerade aussah wie ein asiatischer Mode designer<br />

oder ein greisenhafter Playboy. Wir haben uns völlig<br />

ignoriert, da wir uns nicht erkannten. Auch an Tom<br />

Hanks als Dermot Hoggins, diesen obszönen Schreiberling,<br />

musste ich mich extrem gewöhnen. Die<br />

Make-up-Designer haben wirklich unglaubliche Dinge<br />

hingekriegt, finde ich.<br />

Tykwer: Allerdings. Aber wie hast du einen Weg in<br />

die Verbindung zwischen deinen Figuren gefunden?<br />

Wie hast du dir eine Landkarte deiner Persönlichkeit<br />

vorgestellt?<br />

Berry: Ich habe irgendwann begriffen, dass alle sechs<br />

Charaktere zu einer Persönlichkeit, einer „Seele“ gehören.<br />

Dass diese Seele auf einer Reise durch viele<br />

Figuren fortschreitet, stärker und reifer wird. Ich beginne<br />

als eine Ureinwohnerin auf einer pazifischen<br />

Insel im 19. Jahrhundert, wo ich als Frau keinerlei<br />

relevante Position zugewiesen bekomme. Im frühen<br />

20. Jahrhundert dann entwickle ich mich als Jocasta<br />

immerhin zu einer selbstbewussteren Person, die<br />

aber immer noch Opfer der politischen Lage und<br />

Spielball der Männer bleibt. Mitte der 70er habe ich<br />

mich als Luisa Rey tatsächlich als Feministin zu definieren<br />

gelernt, hadere aber noch mit dem Übervater<br />

und suche nach einer gelungenen Liebe – die kurz als<br />

Möglichkeit aufflackert, wenn ich Tom Hanks in der<br />

Rolle von Isaac begegne. Aber das geht leider schief.<br />

In der Gegenwart begegne ich ihm als indische Autorin<br />

auf einer Literaturparty erneut, aber er entscheidet<br />

sich für Mord statt für die Romanze. Im 22.<br />

Jahrhun dert kehre ich zurück als männlicher Gentechniker,<br />

der unterdrückte Klone aus ihrer Gefangenschaft<br />

zu befreien hilft. Der Umweg über die<br />

Männlichkeit erschien mir sehr einleuchtend, damit<br />

ich in der – vorerst – letzten „Inkarnation“ als Meronym<br />

mit einem so großen Erfahrungshorizont, mit<br />

Souveränität und Klarsicht auftreten kann. Eine geschlechtlich<br />

subtil bipolare Vision von Frau, die irgendwann<br />

im 25. Jahr hundert mit Mitgefühl und Mut<br />

versucht, die Welt und ihre friedliche Spezies vor<br />

dem Untergang zu bewahren. Und die erneut auf<br />

Tom Hanks trifft, der sich, nach mehreren Anläufen<br />

über viele Jahrhunderte hinweg, mühsam auf sie einlässt<br />

– und damit über sich selbst hinauswächst.<br />

„Ich erInnere<br />

mIch, als Ihr mIch<br />

dann BesuchT<br />

haBT, kurz nach<br />

dem unfall –<br />

und mIr sagTeT:<br />

,enTspann dIch,<br />

wIr werden es<br />

schon IrgendwIe<br />

hInkrIegen.<br />

ohne dIch können<br />

und wollen<br />

wIr den fIlm auch<br />

nIchT machen’”<br />

76<br />

Tykwer: Ich fand es einleuchtend, wie sehr du in all<br />

deinen Figuren immer nach dem Kern dieser Persönlichkeit<br />

geforscht hast, die in all ihnen steckt.<br />

Berry: Du hast gesagt: <strong>Halle</strong>, du spielst eigentlich<br />

einen genetischen Strang. Damit hast du auch das<br />

Gewicht ein wenig von der religiösen Anmutung<br />

weggenommen.<br />

Tykwer: Ja, denn die Lesart ist jedem selbst überlassen.<br />

Die spirituelle Dimension des Films ist subjektiv<br />

variabel. Als wir dann bei der Arbeit immer<br />

wieder darüber sprachen, spürte ich, dass es unglaublich<br />

bedeutend war, wie sehr wir den Instinkten des<br />

anderen vertrauen, weil so viele Entscheidungen mit<br />

dem intuitiven Wissen um die vielen Aspekte der zu<br />

erzählenden „Seele“ verbunden waren.<br />

Berry: Oh, Vertrauen ist alles zwischen einem Schauspieler<br />

und dem Regisseur.<br />

Tykwer: Wie haben wir das gefunden, weißt du das<br />

noch?<br />

Berry: Ich glaube, in Situationen, in denen wir Dinge<br />

voneinander verlangt haben, die anders waren als<br />

vor gesehen. Beim Kostüm hattest du einen bestimmten<br />

Farbcode im Hinterkopf, und dazu gehörte Grün<br />

– was einfach eine schwierige Farbe für mich ist. Das<br />

hat mit meinem Hautton und meinen Augen zu tun.<br />

Und das ist etwas, das ich über die vielen Jahre, in<br />

denen ich irgendwelche Klamotten überziehen musste,<br />

gelernt habe. Ich spürte, wie sehr du dich mit dem<br />

Thema Farben schon beschäftigt hattest, und befürchtete,<br />

dass du meine Einwände nicht akzeptieren<br />

würdest. Aber nachdem wir ein, zwei Teile ausprobiert<br />

hatten und ich dir die Probleme beschreiben<br />

konnte, hast du die Idee einfach fallenlassen. Das ist<br />

ein kleines Beispiel, aber ich fand das sehr ermutigend,<br />

denn in solchen frühen Auseinandersetzungen<br />

entscheiden sich oft schon Vertrauensverhältnisse.<br />

Tykwer: Am ersten Drehtag hast du mich sehr<br />

schüchtern gefragt, ob es mir was ausmacht, wenn ich<br />

dir nicht zu viel „vorspiele“. Denn dann würdest du<br />

verführt, mich zu imitieren. Das fand ich sehr lustig,<br />

da mir das gar nicht bewusst war, dass ich das mache.<br />

So haben wir unseren eigenen Sprachcode entwickelt.<br />

Berry: Ja, er war ziemlich schnell ziemlich symbiotisch,<br />

unser Arbeitsprozess. Ich habe oft Dinge einfach<br />

nur probiert, weil ich deinem Instinkt vertraut<br />

habe, ohne selbst genau zu wissen, wohin das führt.<br />

Gemessen daran, wie lange ihr an dem Projekt geschrieben<br />

hattet und wie tief ihr in die Materie vorgedrungen<br />

seid, wart ihr unglaublich offen für fremde<br />

Ansätze und Ideen.<br />

Tykwer: Du warst allerdings auch keine „Fremde“,<br />

denn von allen Besetzungen, die wir beim Schreiben<br />

vor unserem inneren Auge sahen, warst du die Erste,<br />

die für uns mit Sicherheit feststand. So sehr übrigens,<br />

dass der Moment, als wir das Drehbuch an deinen<br />

Agenten schickten, uns plötzlich vor Augen führte:<br />

Für uns war deine Besetzung alternativlos. Was machen<br />

wir eigentlich, wenn es ihr gar nicht gefällt?<br />

Berry: Das ist natürlich wunderbar, und ich habe das<br />

ja nicht gewusst, sondern erst durch eigentlich ziemlich<br />

dramatische Umstände realisiert.<br />

Tykwer: … als du dir den Fuß gebrochen hast. Sechsfach.<br />

Berry: Ja.<br />

Tykwer: Am vierten Drehtag!<br />

Berry: Ja.<br />

Tykwer: Bei einem Film mit dem wahrscheinlich<br />

kompliziertesten Drehplan aller Zeiten.<br />

Berry: Es war ein Albtraum. Nach drei Drehtagen,<br />

in denen ich von dir in Schuhen mit hohen Absätzen<br />

kleid<br />

gucci<br />

ohrringe<br />

vAn cleef & Arpels


kleid<br />

thomAs wylde<br />

ohrringe<br />

solAnge<br />

AzAgury-pArtridge<br />

gelbgoldringe<br />

tiffAny & Co.<br />

weissgoldring<br />

vAn Cleef & Arpels<br />

sonnenbrille<br />

merCurA nyC<br />

sChuhe<br />

briAn Atwood<br />

über Pflastersteinstraßen gejagt wurde, stolpere ich<br />

im Garten über einen albernen Stein. Und ich erinnere<br />

mich an den Weg ins Krankenhaus. Ich dachte:<br />

Das war’s. Sie werden mich rausschmeißen. Den<br />

Drehplan kriegen sie nie so hin, dass sie jetzt wochenlang<br />

auf mich warten können. Ich war wirklich verzweifelt.<br />

Dieser Film und diese Rollen waren etwas,<br />

auf das ich mein ganzes Leben gewartet hatte. Und<br />

jetzt schien es vorbei; unmöglich.<br />

TYKWER: Für Lana, Andy und mich stand das nie zur<br />

Debatte. Aber der Anruf selbst, als man mir sagte,<br />

was passiert ist, war schon ein Schock. Ich glaube, du<br />

hattest von allen Schauspielern die meisten Drehtage,<br />

das heißt, es war überhaupt schwierig, Tage zu<br />

finden, an denen du nicht drehen musstest. Wir<br />

konnten aber auch wegen des Wetters und unter<br />

Druck der Versicherung den Dreh nicht anhalten<br />

und auf dich warten. Dann haben wir uns mit den<br />

Regieassistenten zwei Tage lang eingeschlossen, die<br />

Köpfe zusammengesteckt und eine völlig andere<br />

Drehreihenfolge ausgespuckt. Und zumindest theoretisch<br />

konnten wir dann weitermachen. Voraussetzung<br />

war, dass dein Gelenk in Höchstgeschwindigkeit<br />

wieder zusammenwächst – zweieinhalb Wochen<br />

später musstest du zumindest wieder stehen können.<br />

Und das hat tatsächlich irgendwie geklappt.<br />

<strong>BERRY</strong>: Ich erinnere mich, als ihr mich dann besucht<br />

habt, kurz nach dem Unfall – und mir sagtet: „Entspann<br />

dich, wir werden es schon irgendwie hinkriegen.<br />

Ohne dich können und wollen wir den Film<br />

auch nicht machen“ – da bin ich in Tränen ausgebrochen;<br />

es war ein Riesenknoten im Hals, der platzte,<br />

weil ich so dankbar und verzweifelt zugleich war.<br />

TYKWER: Eine zentrale Idee, die den Film antreibt, ist<br />

Verbundenheit. Banden zwischen Menschen, sichtbare<br />

und unsichtbare. Verantwortung in der Gemeinschaft.<br />

Film ist die kollaborativste Kunstform der<br />

Welt, und wir wollten, dass der Film in dem Geist<br />

gemacht wird, den er verkörpert. Weil es ein unabhängig,<br />

also frei finanziertes Projekt war, konnten wir<br />

auch riskante Entscheidungen wie diese nach unserem<br />

Herzen fällen und nicht nach rein pragmatischen<br />

Gesichtspunkten. Natürlich half es auch in diesem<br />

Fall, dass es drei Regisseure gab und nicht nur einen.<br />

<strong>BERRY</strong>: Inwiefern?<br />

TYKWER: Wir konnten uns gegenseitig Mut zusprechen<br />

(lacht).<br />

<strong>BERRY</strong>: Das ist ein Phänomen, das ich nicht genug<br />

betonen kann. Die Tatsache, dass drei Regisseure mit<br />

dir als Schauspieler an einem Film arbeiten, hat mich<br />

nämlich vor Drehbeginn enorm beunruhigt. Ich hatte<br />

ja noch nicht mal mit zwei Regisseuren gleichzeitig<br />

gearbeitet, aber drei? Als ich die anderen Schauspieler<br />

zu den Proben traf, merkte ich, dass alle ein<br />

wenig besorgt waren: Was ist, wenn die drei sich jetzt<br />

ständig uneinig sind? Wenn wir von Set zu Set marschieren<br />

und immer widersprüchlichere Ansagen und<br />

Informationen bekommen?<br />

TYKWER: Und?<br />

<strong>BERRY</strong>: Das Gegenteil ist eingetreten. Es war nicht<br />

verwirrend, nicht beunruhigend, sondern bereichernd.<br />

Ihr habt euch eigentlich niemals wider sprochen.<br />

Wenn ich vom Set mit Lana und Andy kam und am<br />

nächsten Tag bei dir weiterdrehte, war es so, als<br />

würde ein Gedanke einfach nur aufgenommen und<br />

weitergesponnen. Und weil ihr dennoch so verschieden<br />

seid, hat sich trotzdem nie etwas wirklich wiederholt.<br />

Aber im Geist und in der Idee wart ihr absolut<br />

in euren Köpfen miteinander vernetzt.<br />

TYKWER: Ja, wir sind sehr verschieden als Personen,<br />

aber in der Kunst fühlen wir uns wie Drillinge.<br />

„GUTE DREHBÜCHER<br />

SIND IMMER EIN<br />

KLEINES WUNDER<br />

UND EIN<br />

GROSSES GLÜCK.<br />

UND OFT SIND DIE<br />

GUTEN DIEJENIGEN,<br />

DIE AM HÄUFIGSTEN<br />

AN DER<br />

FINANZIERUNG<br />

SCHEITERN”<br />

79<br />

<strong>BERRY</strong>: Ihr hattet auch nie größere Konflikte in all<br />

den Jahren?<br />

TYKWER: Nein, eigentlich nicht. Natürlich Auseinandersetzungen,<br />

aber nie ernsthafte Streits. Das ist<br />

natür lich auch die Magie der Dreierkonstellation. Einer<br />

von dreien sieht die Sache immer etwas mehr von<br />

außen. Dadurch gibt es ein sehr frühzeitig anspringendes<br />

diplomatisches Warnsystem.<br />

<strong>BERRY</strong>: Es war ein völlig neuartiges Modell für mich<br />

– und für alle anderen natürlich auch. Wir haben oft<br />

zusammengestanden, besonders Tom Hanks, Hugo<br />

Weaving und ich, und festgestellt, wie faszinierend es<br />

ist, dass ihr drei so harmoniert, und wie viel Spaß das<br />

für den Schauspieler bedeutet.<br />

TYKWER: Als du dann schließlich, ein Dreivierteljahr<br />

nach Ende der Dreharbeiten, den Film bei der Premiere<br />

in Toronto sahst: Wie hast du ihn erlebt?<br />

<strong>BERRY</strong>: Ich hatte direkten, ungefilterten, unverstellten<br />

Zugang zu dem Film, und ich glaube, ich habe<br />

ihn erlebt wie alle anderen im Saal. Damit meine ich,<br />

ich war gar nicht damit beschäftigt, an den Prozess zu<br />

denken oder mir bei meiner Arbeit zuzuschauen. Ich<br />

war völlig von dem Film vereinnahmt.<br />

TYKWER: Aber ist es denn nicht so, dass man als<br />

Schauspieler beim ersten Sehen immer zunächst vor<br />

allem auf sich selbst achtet?<br />

<strong>BERRY</strong>: Das ist so ein Klischee, und vielleicht stimmt<br />

es, aber ich kam irgendwie gar nicht dazu. Einerseits<br />

natürlich, weil es ja auch längere Strecken ohne mich<br />

gibt, aber vor allem, weil ich so verstrickt war mit allen<br />

Figuren. Weil ich während der Dreharbeiten von<br />

der Entstehung mancher Episoden auch nur sehr wenig<br />

mitbekommen hatte. Weil ich nicht geahnt habe,<br />

wie irrwitzig und wirklich lustig die Geschichte von<br />

Cavendish, dem Verleger, ist. Oder wie tragisch die<br />

von Frobisher, dem Komponisten. Oder wie spektakulär<br />

die Befreiung von Sonmi-451 inszeniert wurde.<br />

Und wie unglaublich gut alle Kollegen spielten, allein<br />

deshalb hab ich nicht viel über mich selbst nachgedacht.<br />

Und weil ich nicht erwartet habe, dass der<br />

Film mich so ergreifen würde. Ich war fix und fertig<br />

danach. Wir haben bis drei Uhr morgens im Hotelzimmer<br />

gesessen und geredet und geredet. Ich konnte<br />

nicht aufhören, obwohl ich am nächsten Morgen<br />

gleich früh zur Pressekonferenz musste. Entsprechend<br />

verstrahlt hab ich dann auch dagesessen, aber<br />

das war mir egal.<br />

TYKWER: Du hast auf mich einen tipptoppen Eindruck<br />

gemacht bei der Pressekonferenz.<br />

<strong>BERRY</strong>: (lacht) Na klar, es ist ja mein Job, eine gute<br />

Show zu bereiten, vor allem für dich.<br />

Styling MARYAM MALAKPOUR/CLM<br />

Haare NEEKO ABRIOL<br />

Make-up KARA YOSHIMOTO BUA<br />

Maniküre ASHLIE JOHNSON/THE WALL GROUP<br />

Digital Operator GRAY HAMNER/MILK STUDIOS<br />

Foto-Assistenz JAVIER VILLEGAS, GUY LOWNDES<br />

Styling-Assistenz CATLIN MEYERS, BEAU BARELA<br />

Retusche OUTPUT<br />

Produktion SYLVIA FARAGO<br />

Produktion vor Ort WES OLSON/<br />

CONNECT THE DOTS,<br />

MEGHAN GALLAGHER/<br />

CONNECT THE DOTS<br />

Dank an MIAUHAUS L.A.


Fotos<br />

mert AlAs & mArcus piggott<br />

kArl templer<br />

styling


diese seite:<br />

mantel<br />

j. w. Anderson<br />

sonnenbrille<br />

generAl eyeweAr<br />

schuhe<br />

céline<br />

linke seite:<br />

kleid<br />

dAvid komA<br />

ohrringe<br />

givenchy by<br />

riccArdo tisci<br />

kette<br />

lynn bAn


diese seite:<br />

cape<br />

(spezialanfertigung)<br />

nicole miller<br />

Artelier<br />

rock & ärmel<br />

urstAdt swAn<br />

ohrringe<br />

givenchy by<br />

riccArdo tisci<br />

kette<br />

(von new york vintage)<br />

pierre cArdin<br />

ring<br />

lynn bAn<br />

linke seite:<br />

mantel & kleid<br />

fendi<br />

hut<br />

new york<br />

vintage<br />

kette<br />

vivekA bergström


diese seite:<br />

kleid<br />

hAkAAn<br />

visor<br />

AlexAnder mcqueen<br />

ohrringe<br />

givenchy by<br />

riccArdo tisci<br />

linke seite:<br />

kleid<br />

louis vuitton<br />

ohrringe<br />

givenchy by<br />

riccArdo tisci<br />

kette & armbänder<br />

kArry’o<br />

ärmel<br />

urstAdt swAn


diese seite:<br />

kleid<br />

miu miu<br />

ohrringe<br />

givenchy by<br />

riccArdo tisci<br />

rechte seite:<br />

mantel, kleid & top<br />

prAdA<br />

sonnenbrille<br />

(von general eyewear)<br />

ostrAnder<br />

ärmel<br />

urstAdt swAn<br />

ring<br />

lynn bAn


diese seite:<br />

cape & kapuze<br />

fAnnie schiAvoni<br />

kleid<br />

mArc jAcobs<br />

rechte seite:<br />

kleid, visor & gürtel<br />

AlexAnder mcqueen<br />

schuhe<br />

chAdo rAlph rucci<br />

Photographer<br />

Mert alas &<br />

Marcus Piggott/<br />

art PartNer<br />

Hair garreN For<br />

garreN NeW YorK<br />

Make-up lucia PieroNi<br />

For clé de Peau<br />

Beauté/streeters<br />

Manicure aNatole raiNeY/<br />

PreMier Hair aNd MaKeuP<br />

Models Frida gustaVssoN/<br />

iMg, NiMue sMit/NeXt<br />

casting MicHelle lee/Kcd, iNc.<br />

set design JacKi castelli<br />

Production lalalaNd<br />

digital imaging aNtoNio PiZZicHiNo/<br />

dtoucH NY<br />

stylist assistants eliN sVaHN,<br />

Jessica MYcocK, ellie caMPagNa<br />

Hair assistant FraNcis cataNese<br />

Make-up assistants lYNseY aleXaNder, daNiel Kolaric<br />

special thanks BlacK islaNd studios


Kreayshawn<br />

erst rappte sie, dass „Basic<br />

BitcHes” Gucci traGeN,<br />

daFür wäHNte MaN sie Bereits<br />

NewcOMeriN des jaHres Bei MtV.<br />

daNN wartete die welt jedOcH Fast<br />

Zwei jaHre auF das deBütalBuM der<br />

rapperiN. dOcH diese ZOG erst Mal aM<br />

jOiNt uNd traNK NOcH eiN Glas MilcH<br />

VON<br />

BONApArte<br />

FOtOs<br />

MAttHiAs VrieNs-McGrAtH<br />

styliNG<br />

seAN KNiGHt<br />

92<br />

Kleid & Gürtel<br />

tHe BlONds Ny<br />

sHirt<br />

BluMAriNe<br />

OHrriNGe<br />

dOlce & GABBANA<br />

Kette, MaNscHette & riNG<br />

tOM BiNNs<br />

wasserFlascHeNHalter & Kette<br />

(iN die Haare GeFlOcHteN)<br />

cHANel ViNtaGe<br />

GeseHeN Bei<br />

decAdes lOs ANGeles


Es war 2011, als Natassia Gail Zolot alias Kreayshawn<br />

zu einem Internet-Hit wurde. In dem Video Gucci<br />

Gucci lief sie samt pink glitzernden Minnie-Maus-<br />

Ohren und anderen unverzichtbaren Uten silien<br />

durch L. A., rappte angenehm ironiefrei davon, dass<br />

ihr die großen Modehäuser zu durchschnittlich seien,<br />

und drehte dabei auf ganz entzückende Weise ihre<br />

stechenden Zeigefinger in die Luft. Es dauerte etwa<br />

drei Millionen Klicks, bis sich Sony die ausgiebig<br />

tätowierte Tochter einer Punksängerin schnappte.<br />

Nachdem die 23-Jährige durch Europa getourt war<br />

und ein Video für die Red Hot Chili Peppers gedreht<br />

hatte, das dann aber nie veröffentlicht wurde, erschien<br />

ihr Albumdebüt, an dem unter anderem Diplo<br />

und Kid Cudi mitwirkten. Und da der Sänger der<br />

Band Bonaparte sich bestens mit ausgefallenen Kostümen,<br />

Punkbands und dem Musikbusiness im Allgemeinen<br />

auskennt, baten wir ihn, in L. A. anzurufen.<br />

Monsieur Bonaparte: Guten Tag, hier spricht<br />

Monsieur Bonaparte.<br />

Kreayshawn: Na, wie geht’s?<br />

Bonaparte: Gut! Ich bin gespannt, wie das hier<br />

wird. Ich weiß ja erst seit gestern, dass wir miteinander<br />

sprechen werden. Ich konnte leider in der Zeit<br />

nur ein paar deiner Lieder hören, die meisten sind<br />

auf YouTube bei uns in Deutschland von der Gema<br />

gesperrt worden. Oder deine Plattenfirma hat sie<br />

sperren lassen.<br />

Kreayshawn: Ja, ich konnte auch nur ein paar Sachen<br />

von dir hören.<br />

Bonaparte: Ah, aber du hast dir was angehört?<br />

Kreayshawn: Ja, ein paar Videos. Die fand ich<br />

ziemlich geil.<br />

Bonaparte: Cool, ich hab deine Songs gehört, die<br />

du mit Alex gemacht hast, weißt du? Boys Noize?<br />

Kreayshawn: Ja, klar.<br />

Bonaparte: Wir waren ein paar Jahre Nachbarn, er<br />

ist aber gerade ausgezogen. Habt ihr beide persönlich<br />

zusammengearbeitet?<br />

Kreayshawn: Ja, er kam ein paar Mal zu uns ins<br />

Studio.<br />

Bonaparte: Nach Los Angeles?<br />

Kreayshawn: Ja.<br />

Bonaparte: Cool. Die Verbindung ist mal mehr,<br />

mal weniger gut. Manchmal bist du weg.<br />

Kreayshawn: Hallo? Ja, keine Ahnung.<br />

Bonaparte: Egal, wie geht’s dir?<br />

Kreayshawn: Mir geht es gut. Was hast du heute so<br />

gemacht?<br />

Bonaparte: Ich liege im Bett, denn wir hatten heute<br />

einen Dreh für das Fernsehen, so eine Art Wohnzimmerkonzert.<br />

Kreayshawn: Wirklich? Das hört sich wahnsinnig<br />

an. Du bist in einem Wohnzimmer von fremden<br />

Menschen aufgetreten?<br />

Bonaparte: Ja, und sie hatten da so einen Globus,<br />

der eigentlich eine Bar war, also da waren Schnapsflaschen<br />

drin. Und das schon am Nachmittag.<br />

Kreayshawn: Wussten die, dass ihr kommt?<br />

Bonaparte: Ja, und sie haben auch Freunde eingeladen.<br />

Aber irgendwann stellte sich heraus, dass die<br />

dort gar nicht wirklich wohnen, sondern die haben<br />

einfach eine Wohnung von anderen Leuten geliehen.<br />

Hey, ich habe gelesen, dass du mal einen pinkfarbenen<br />

Mustang hattest. Stimmt das?<br />

Kreayshawn: Ja!<br />

Bonaparte: Hast du den noch?<br />

Kreayshawn: Nein, leider. Er ist irgendwann kaputtgegangen,<br />

und ich habe ihn dann für ungefähr<br />

40 Dollar verkauft.<br />

94<br />

“<br />

Der Mond beeinflusst<br />

die Meere, und unsere Körper<br />

bestehen auch zu<br />

90 Prozent aus Wasser<br />

”<br />

95<br />

korsett & helm<br />

mit pferdeschwanz<br />

the blonds ny<br />

höschen<br />

AmericAn AppArel<br />

schuhe<br />

isAbel mArAnt<br />

ring & manschette<br />

tom binns<br />

schuhe (an ihm)<br />

pumA


onApArte: Oh, das ist schade. Ich habe nämlich<br />

auch ein Auto aus den 60ern. Es sieht aus wie ein<br />

kleiner Rennwagen.<br />

kreAyshAwn: Ja? Was ist das für ein Auto?<br />

bonApArte: Ein alter Fiat von 1969. Ein italienischer<br />

Wagen, die sind super, weil sie sehr einfach zu<br />

reparieren sind.<br />

kreAyshAwn: Ah, das habe ich schon mal gehört.<br />

Sag mal, wann hast du Geburtstag?<br />

bonApArte: Geburtstag? Interessierst du dich etwa<br />

für Sternzeichen und willst jetzt rausbekommen, was<br />

für ein Typ ich bin?<br />

kreAyshAwn: Ja, ganz genau!<br />

bonApArte: Ich bin am 20. Oktober geboren.<br />

kreAyshAwn: Ah, dann bist du Waage? Ich auch!<br />

bonApArte: Wirklich?<br />

kreAyshAwn: Ja, ich bin am 24. September geboren!<br />

Wir haben das allerbeste Sternzeichen.<br />

bonApArte: Meinst du? Ich weiß nicht, es gibt ja<br />

eine Menge Leute, die meinen, daraus irgendwas<br />

he rauslesen zu können, ich habe das nie so richtig<br />

nachvollziehen können.<br />

kreAyshAwn: Ja, das verstehe ich. Aber ich sage dir,<br />

wir Waagen sind oft künstlerisch begabt und superkreativ.<br />

Wir arbeiten immer an etwas, uns fehlt es<br />

nicht an Inspiration, wir können einen Abfluss betrachten<br />

und irgendeine Idee daraus erspinnen. Weil<br />

wir immer voller Gedanken sind, immer voller Inspiration.<br />

bonApArte: Okay, das könnte vielleicht zutreffen.<br />

kreAyshAwn: Und wir sind recht streitlustig, oder<br />

zumindest scheint es so. Aber gleichzeitig versuchen<br />

wir, Situationen immer zu entschärfen.<br />

bonApArte: Na ja, das ist in diesem Gespräch bisher<br />

ja nicht so.<br />

kreAyshAwn: Waagen sind sehr diplomatisch.<br />

Wenn ein Freund ein Problem hat, sind Waagen die<br />

besten Gesprächspartner überhaupt. Wir sind gute<br />

Berater in allen Situationen, weil wir alles von beiden<br />

Seiten her betrachten können. Waagen haben die<br />

Gabe, sich in andere Menschen hineinversetzen zu<br />

können. Deswegen sind wir wirklich das beste Sternzeichen,<br />

glaub mir.<br />

bonApArte: (lacht) Ja, das hört sich immer ganz<br />

plausibel an, wenn man diese Charakterisierung so<br />

hört. Aber es fällt mir schwer, Menschen nur aufgrund<br />

ihres Geburtstages auf ihre Eigenschaften<br />

festzunageln. Man spricht jemandem damit ja oft<br />

auch Qualitäten ab. Aber das Lustige ist, es funktioniert<br />

immer. Man entdeckt immer einen Funken<br />

Wahrheit darin.<br />

kreAyshAwn: Eben. Ich mein, schau mal, die Planeten<br />

bewegen sich um die Erde, die verschiedenen<br />

Sternenbilder am Himmel, die immer wieder wechseln.<br />

Und der Mond beeinflusst die Meere, das ist<br />

doch alles sehr kraftvoll. Und unsere Körper bestehen<br />

auch zu 90 Prozent aus Wasser! Okay, ich gebe<br />

zu, das ist jetzt wirklich ganz schöner Hippiescheiß.<br />

bonApArte: (lacht) Na gut, die Sache mit dem Wasser<br />

könnte vielleicht stimmen. Wir sind ja beide auch<br />

Musiker, also könnte an der Kreativität von Waagen<br />

auch etwas dran sein. Wie geht es dir eigent lich so<br />

mit all den <strong>Interview</strong>s? Ich denke mir immer Geschichten<br />

aus, wenn ich allzu blöde Fragen gestellt<br />

bekomme. Gibt es Fragen, die du nicht mehr hören<br />

kannst?<br />

kreAyshAwn: Vielleicht die Frage danach, wie ich<br />

angefangen habe, Musik zu machen. Oder: „Oh, du<br />

kommst aus Kalifornien, wie ist das so?“ Ich meine,<br />

das ist doch eine komische Frage. Was soll ich denn<br />

da antworten? Ich weiß nicht, ich lebe schon mein<br />

„AnstAtt dAss<br />

mAn von mir Als<br />

musikerin spricht,<br />

nennt mAn<br />

mich eine weisse<br />

rApperin, die<br />

Auf frAuen steht.<br />

dAbei bin ich<br />

doch noch nicht<br />

mAl eine lesbe!”<br />

96<br />

ganzes Leben in Kalifornien und habe auch genauso<br />

lange mit Musik zu tun. Es ist schwer, eine gute Antwort<br />

zu geben, wenn die Frage schon so langweilig<br />

ist. Und bei dir?<br />

bonApArte: Ich werde immer wieder gefragt, warum<br />

meine Band Bonaparte heißt. Lustig ist doch,<br />

dass man selten nach der Musik gefragt wird. Ständig<br />

geht es um die Show, die Kostüme oder Sachen, die<br />

man mal gesagt oder getan hat. Dabei sind die Songs<br />

doch das Zentrum von allem. Ohne Songs keine<br />

Konzerte. Seit Jahren hat keiner mehr mit mir in<br />

Inter views über Musik gesprochen.<br />

kreAyshAwn: Das ist verrückt.<br />

bonApArte: Ja, aber jetzt rede ich gerade mit dir<br />

und muss zugeben, dass ich nicht weiß, wie dein<br />

Name ausgesprochen wird. Erst dachte ich, so wie<br />

creation.<br />

kreAyshAwn: Ja, klar. Daher kommt der Name.<br />

Aber die Betonung liegt auch auf „Shawn“.<br />

bonApArte: Okay. Danke. Und als ich mich im<br />

Inter net für das <strong>Interview</strong> vorbereiten wollte, bin ich<br />

vor allem auf ein paar nebensächliche Videos gestoßen,<br />

viele Fotos, aber nichts, wo ich wirklich viel<br />

über dich und deine Musik erfahren hätte. Also bin<br />

ich fast geneigt, dich auch zu fragen, wie du eigentlich<br />

zu der Musik gekommen bist.<br />

kreAyshAwn: (lacht) Ach, deswegen.<br />

bonApArte: Ich habe insgesamt mehr über deine<br />

Vorliebe für Milch und Marihuana gefunden.<br />

kreAyshAwn: Die Leute lieben eben Drama, das<br />

Drumherum und die Show. Mehr als alles andere.<br />

Einmal habe ich ein <strong>Interview</strong> gegeben, bei dem<br />

mich die Journalistin einen ganzen Tag begleitet hat.<br />

Ich habe sie mit zu dem Haus genommen, wo ich als<br />

Kind gewohnt habe, sie hat Leute kennengelernt, mit<br />

denen ich aufgewachsen bin.<br />

bonApArte: Das ist aber ziemlich persönlich.<br />

kreAyshAwn: Ja, und anstatt über das zu schreiben,<br />

was sie erlebt und gesehen hat, ging es in dem Artikel<br />

vor allem um Schwachsinn. Ich hätte die ganze Zeit<br />

über Scheiße, also über echte Kacke, gesprochen,<br />

hieß es. Sie hat darüber geschrieben, wie ich aufs Klo<br />

gehe, und nicht darüber, wie meine Nachbarschaft so<br />

ist. Ich glaube ja, dass die Leute an echten Sachen interessiert<br />

sind und nicht an Kacke.<br />

bonApArte: Da hätten sie doch was über die Person,<br />

die hinter Kreayshawn steckt, erfahren können! Aber<br />

warum ist das so? Warum interessiert die Leute die<br />

Verpackung mehr als der Inhalt?<br />

kreAyshAwn: Ich glaube, die ganze Industrie funktioniert<br />

so. Wenn du erst mal angefangen hast, <strong>Interview</strong>s<br />

zu geben, und die Leute im Internet schreiben,<br />

was sie über dich denken, hört es mehr und mehr auf,<br />

um deine Musik zu gehen. Es geht ums Image. Ich<br />

bin nicht der Typ dafür, man wird verkürzt dargestellt,<br />

und zum Schluss bist du eben die Verrückte,<br />

oder du gehst zum Schönheitschirurgen. Am liebsten<br />

würde ich manchmal das Gegenteil machen, mir den<br />

Kopf rasieren oder so.<br />

bonApArte: Das verstehe ich. Was ist denn die Frage,<br />

die dir bisher noch keiner gestellt hat?<br />

kreAyshAwn: Ich weiß nicht, da fällt mir so schnell<br />

nicht die eine Frage ein. Aber ständig werde ich gefragt,<br />

ob ich lesbisch bin oder auf Typen stehe, und<br />

langsam habe ich wirklich das Gefühl, dass ich jede<br />

einzelne Frage auf der ganzen Welt bereits beantwortet<br />

habe.<br />

bonApArte: Entschuldige, aber über diese Frage<br />

habe ich ebenso nachgedacht. Denn in Zusammenhang<br />

mit deinem Namen liest man oft: „Gelegenheitslesbe“<br />

… Ist das das genaue Wort?<br />

tunika<br />

jeAn pAul gAultier<br />

shorts<br />

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ring & manschette<br />

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zierkamm<br />

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gesehen bei<br />

decAdes los Angeles<br />

schuhe<br />

ruthie dAvis


KReAYSHAWN: Ja, Gelegenheitslesbe (lacht).<br />

BONAPARTe: Was bedeutet denn das? Wir haben<br />

Gays und Heteros in der Band, aber es redet keiner<br />

darüber. Seit wann bloß, wird die sexuelle Orientierung<br />

als Verkaufe genutzt?<br />

KReAYSHAWN: Keine Ahnung.<br />

BONAPARTe: Ich weiß nicht, wie es in den USA ist,<br />

aber ob du hier ein weißer oder ein schwarzer Rapper,<br />

eine Rapperin oder ein Mann bist, das macht<br />

nicht wirklich einen großen Unterschied.<br />

KReAYSHAWN: Ich glaube, bei uns ist es anders. So<br />

wie ich vorhin meinte, man kategorisiert dich. Es<br />

geht nicht darum, dass du ein Rapper bist. Erst heißt<br />

es ein weiblicher Rapper, dann eine weiße Rapperin<br />

und dann: oh, eine weiße, lesbische Rapperin! So etwas<br />

ist der Grund dafür, dass es immer weniger um<br />

die Musik geht. Anstatt dass man von mir als Musikerin<br />

spricht, nennt man mich eine weiße Rapperin,<br />

die auf Frauen steht. Dabei bin ich doch noch nicht<br />

mal eine Lesbe!<br />

BONAPARTe: (lacht) Wusstest du, dass es in Russland<br />

ein Gesetz gibt, das dir verbietet, Homosexualität in<br />

irgendeiner Weise zu unterstützen?<br />

KReAYSHAWN: Wirklich? Eigenartig.<br />

BONAPARTe: Ja, wir hatten allerdings merkwürdigerweise<br />

bei unseren Shows bisher keine Probleme.<br />

Aber wenn man so etwas hört, macht es vielleicht<br />

doch Sinn, über sexuelle Vorlieben zu sprechen. Nicht<br />

unbedingt in deinem Fall, wenn es schlicht nicht viel<br />

zu berichten gibt.<br />

KReAYSHAWN: Ja, da hast du recht. Ich meine, es ist<br />

mir egal, ob sie jetzt sagen, ich sei lesbisch oder nicht.<br />

Ich habe keine Lust, das öffentlich zu bestreiten.<br />

Und ich unterstütze Gays. Natürlich, ich bin in San<br />

Francisco aufgewachsen, da ist doch sowieso alles<br />

bunt durcheinandergemischt. Ich definiere mich über<br />

nichts als über mich selbst – Kreayshawn.<br />

BONAPARTe: Yeah!<br />

KReAYSHAWN: Es ist unglaublich, dass sich überhaupt<br />

jemand dafür interessiert, welche Hautfarbe<br />

oder Geschlecht du hast. Ich meine, es gibt sicher<br />

Orte in den USA, an denen das ein Thema ist, aber<br />

definitiv gehört es nicht zu meinem …<br />

KReAYSHAWNS AGeNTiN: Okay! Sorry, Leute, tut<br />

mir leid, wenn ich hier unterbreche, aber ihr müsst<br />

jetzt langsam fertig werden.<br />

BONAPARTe: Oh, jetzt schon?<br />

KReAYSHAWN: Ja, ich glaube, wir müssen jetzt aufhören.<br />

BONAPARTe: Oh, okay. Was hast du heute noch vor?<br />

KReAYSHAWN: Ich fahre gleich nach Little Tokyo,<br />

das ist so ein Viertel in Los Angeles, wo es lauter japanische<br />

Geschäfte gibt.<br />

BONAPARTe: Ah, da sind wir durchgefahren, als wir<br />

im März durch Amerika getourt sind. Und was hast<br />

du da vor?<br />

KReAYSHAWN: Ach, ich will in den Handyshop und<br />

mein Telefon ein wenig aufrüsten (kichert). Schlaf gut.<br />

Somethin ’bout kreay VON KReAYSHAWN<br />

eRSCHeiNT Bei SONY MUSiC<br />

Haare JOHN RUGGieRO/STARWORKS ARTiSTS<br />

MiT PRODUKTeN VON BUMBLe AND BUMBLe<br />

Make-up SAMUeL PAUL/JeD ROOT<br />

MiT PRODUKTeN VON ORLANe PARiS<br />

Maniküre MADeLiNe POOLe/<br />

NAiLiNG HOLLYWOOD<br />

MiT PRODUKTeN VON GiNGeR + Liz<br />

Produktion PeTeR McCLAFFeRTY<br />

Produktion vor Ort NiCK MAVAR/<br />

PeTeR McCLAFFeRTY<br />

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99<br />

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the cut comme<br />

des fuckdown<br />

gesehen bei ssur<br />

shorts & leggings<br />

blumArine<br />

schuhe (an beiden)<br />

pumA<br />

manschette & ring<br />

(linke hand)<br />

tom binns<br />

ohrringe & armbänder<br />

(rechte hand)<br />

privat<br />

tasche<br />

mcm


Naomi<br />

Campbell<br />

trifft<br />

jeff<br />

kooNs<br />

Foto: Craig McDean/Art + Commerce<br />

dieser Mann verkauft keine italienischen<br />

sportwagen in new Jersey.<br />

dieser Mann heisst Jeff koons und ist<br />

der popeye der aMerikanischen pop-art.<br />

seine kunst ist grell, glatt und glänzend.<br />

genau wie Jeff koons selbst<br />

linke seite: hulk elvis ii, 2007, hulk elvis, Öl auf leinwand<br />

diese seite: porträt craig Mcdean


Naomi Campbell: Ich mochte deine Ausstellung<br />

Popeye Series gerne, die du vor ein paar Jahren in<br />

London hattest.<br />

Jeff KooNs: Danke.<br />

Campbell: Wieso ausgerechnet Popeye?<br />

KooNs: Ich fühlte mich zu Popeye hingezogen. Vielleicht<br />

wegen meiner Eltern. Für diese Generation ist<br />

Popeye ein Symbol männlicher Kraft, analog zum<br />

Priapos in der griechischen Mythologie. Bei Popeye<br />

sorgt der Spinat für Stärke, in unserer Gesellschaft<br />

entspricht das der Kunst, die Transzendenz ins Leben<br />

bringt. Verstehst du, wie ich das meine? Ich mag die<br />

Parallelen, die Erhöhung der Empfindsamkeit. Kunst<br />

kann das leisten. Sie lehrt uns, zu fühlen und unsere<br />

Parameter zu justieren, sie hilft, engagierter zu leben.<br />

Campbell: Eines deiner Werke, Balloon Flower, wurde<br />

für zwölf Millionen Pfund verkauft. Ist solch ein<br />

Wert für dich ein Zeichen der Anerkennung oder rein<br />

akademischer Natur?<br />

KooNs: Ich werte das als Zeichen unserer Gesellschaft.<br />

Zumindest ein paar Menschen scheinen zu denken,<br />

dass meine Objekte diesen Preis wert und darüber<br />

hinaus im Sinne der Gesellschaft zu schützen seien –<br />

weil sie einen Wert für die Gesellschaft darstellen.<br />

Campbell: Wie exzessiv darf Kunst werden? Was<br />

treibt dich an? Deine berühmte Puppy-Skulptur, die<br />

du vor dem Guggenheim Museum in Bilbao errichtet<br />

hast, ist 13 Meter hoch. Und man braucht 25 Tonnen<br />

Erde und 70 000 Pflanzen, um sie zu erhalten.<br />

<strong>Interview</strong>-Verleger Peter Brant, der ebenfalls einen<br />

Puppy besitzt, kostet der Unterhalt der Skulptur im<br />

Jahr gerüchtweise knapp 100 000 Euro.<br />

KooNs: Damit Kunst funktioniert, muss man offen<br />

bleiben. Das gilt für jede Art der Kunst. Puppy<br />

entstand nach meiner Serie Made in Heaven. Ich beschäftigte<br />

mich eingehend mit Barock und Rokoko,<br />

irgendwann entdeckte ich diese gigantischen Blumen-<br />

Arrangements, die man im Norden Italiens und im<br />

Süden Deutschlands, in Bayern, findet. Da kam ich<br />

auf die Idee, ein lebendes Kunstwerk zu schaffen, eine<br />

Skulptur, die einen eigenen Lebenszyklus beheimatet,<br />

in diesem Fall den der Pflanzen. Und das ist gar nicht<br />

so einfach. Ursprünglich wollte ich Puppy im Winter<br />

bauen. Als gigantische Skulptur aus Eis. Das wäre<br />

zwar dann sehr temperaturabhängig gewesen. Aber<br />

ich dachte, dass es einfacher sei – man kennt ja diese<br />

Skulpturen, die in den Alpen in den Skiresorts rumstehen.<br />

Einfach ein bisschen Wasser draufsprühen,<br />

fertig. Kennst du diese Skulpturen?<br />

Campbell: Ja, klar.<br />

KooNs: Puppy wäre ein riesiger Eishund geworden.<br />

Aber da sich das Klima so rasant schnell ändert …<br />

Campbell: Bepflanzt du Peter Brants Puppy jede Saison<br />

aufs Neue?<br />

KooNs: Ich habe Peter und seine Familie darin unterrichtet,<br />

wie man Puppy pflegt. Er war immer ein<br />

großer Fan der Skulptur – und als er seinen eigenen<br />

„WeNN maN es so<br />

seheN möChte,<br />

War miChael<br />

JaCKsoN die Jesusfigur<br />

uNserer Zeit.<br />

er hat deN<br />

meNsCheN<br />

vergebeN uNd<br />

sie als das<br />

aNgeNommeN,<br />

Was sie siNd”<br />

Puppy kaufte, erarbeiteten wir ein Programm dafür.<br />

Ich bin mehrere Saisons vorbeigekommen und habe<br />

ihn mit Peter neu bepflanzt, alles wurde dokumentiert,<br />

und jetzt wissen sie, wie man alleine weitermacht.<br />

Eigentlich kann man auch gar nichts falsch machen.<br />

Wenn man hundert Schulkindern eine Hundezeichnung<br />

zum Ausmalen gibt: Alle sind unterschiedlich,<br />

aber alle sind auf ihre Art auch richtig.<br />

Campbell: Man kann also gar nichts falsch machen<br />

mit dem Riesenhund?<br />

KooNs: Ich sitze oft da, schaue mir irgendwelche<br />

Pläne an und stelle mir vor, ich wäre nicht involviert.<br />

Und denke dann oft: Wow, das ist toll, sie haben es<br />

fantastisch hinbekommen. Alles ist schön, wie es ist.<br />

Campbell: Ein anderes wichtiges Werk deiner Karriere<br />

ist die Skulptur Michael Jackson and Bubbles. Wie<br />

wichtig ist Humor als Schlüssel zu deiner Arbeit? Ich<br />

habe Bubbles nie getroffen …<br />

KooNs: … und ich habe Bubbles getroffen, aber nie<br />

Michael!<br />

Campbell: Den habe ich wiederum kennenlernen<br />

dürfen.<br />

KooNs: Yin und Yang, Naomi. Als ich die Skulptur<br />

anfertigte, war ich ziemlich eingeschüchtert vom<br />

überbordenden Talent, das Michael ausstrahlte. Er<br />

war so voller Energie und Leben, und das wollte ich<br />

mit der Skulptur einfangen. Genau das ist es, was ich<br />

eingangs meinte, als ich von der Erhöhung der Empfindsamkeit<br />

sprach. Das macht es leichter für Leute,<br />

sich, ihre Kultur und ihre Geschichte zu akzeptieren.<br />

Deswegen brauche ich diese spirituellen und autoritären<br />

Figuren – um den Menschen das Gefühl geben<br />

zu können, dass es okay ist. Wenn man es so sehen<br />

möchte, war Michael Jackson die Jesus-Figur unserer<br />

Zeit. Er hat den Menschen vergeben und sie als das<br />

angenommen, was sie sind.<br />

Campbell: Ich hätte nicht erwartet, dass du dich um<br />

das Wohlergehen deiner Mitmenschen so sehr sorgst.<br />

Dass du so sensibel ihnen gegenüber bist. Es ist schön,<br />

das zu hören.<br />

KooNs: Danke, Naomi. Es ist interessant: Die meisten<br />

Menschen schauen sich meine Kunst gern an und<br />

deuten sie auf eine bestimmte Weise. Wenn du mich<br />

fragst, ist sie vor allem eins: Sie kritisiert nicht, will auch<br />

nicht richten. Sie ist antikritisch. Auch wenn manch einer<br />

sie für oberflächlich hält, sie als Kitsch bezeichnet.<br />

Campbell: Ein Wort, das ich nicht mag.<br />

KooNs: Ich auch nicht. Schon der Gebrauch des<br />

Wortes alleine ist ein Urteil. Sie vergessen, was für ein<br />

mächtiges Medium Kunst ist. Kunst kann berauschen.<br />

Genau wie Alkohol. Deshalb fing ich auch an, mich<br />

mit Luxus und spiegelnden Oberflächen zu beschäftigen,<br />

mir gefällt die berauschende Wirkung. Genau<br />

wie der proletarische Aspekt daran. Auch auf die Gefahr<br />

hin, dass manche Leute es als irgendein doofes<br />

Bling-Bling abschreiben.<br />

Campbell: (lacht)<br />

Fotos: vorherige linke Seite: Privatsammlung, Courtesy Gagosian Gallery © Jeff Koons; diese linke Seite (3): Jeff Koons; diese rechte Seite: Rob McKeever, Privatsammlung, Courtesy Gagosian Gallery © Jeff Koons<br />

Linke seite: BaLLoon FLower (Magenta), 1995–2000, high chroMiuM stainLess steeL with transparent coLor coating; puppy, 1992,<br />

stainLess steeL, soiL, geotextiLe FaBric, internaL irrigation systeM, and Live FLowering pLants; MichaeL Jackson and BuBBLes, 1988, porceLain<br />

diese seite: popeye train (craB), 2008, popeye, ÖL auF Leinwand. nächste doppeLseite: tripLe eLvis, 2009, oiL on canvas<br />

102<br />

103


Koons: Hey, ich komme aus Pennsylvania. Mir geht<br />

es um Attraktion. Nicht viele Menschen in dieser Gegend<br />

haben eine Gartenkugel im Vorgarten liegen.<br />

Aus reflektierendem Glas!<br />

Campbell: Das haben wir in London auch nicht.<br />

Koons: Aber es gab sie im 19. Jahrhundert in<br />

Deutschland und Österreich. König Ludwig II. von<br />

Bayern setzte sich sehr für die Gartenkugeln ein.<br />

Einfach nur, um seinen Nachbarn einen schönen<br />

Anblick zu bieten.<br />

Campbell: Wirklich?<br />

Koons: So hörte ich.<br />

Campbell: Du hast in Chicago studiert. An derselben<br />

Schule wie Walt Disney und Orson Welles. Hast<br />

du auch einen Mann namens Barack Obama in der<br />

windy city getroffen?<br />

Koons: Nein, ich war ja nur mein letztes Schuljahr<br />

wirklich dort. Davor habe ich in Baltimore studiert.<br />

Dann bin ich nach Chicago gegangen, weil ich von<br />

Künstlern wie Ed Paschke und Jim Knott etwas über<br />

Ikonografie lernen wollte. Sie brachten mir bei, wie<br />

man fühlt und wie man andere Leute dazu bringt,<br />

etwas zu fühlen. Das ganze Vokabular. In Paschkes<br />

Bildern ist alles so unterschwellig angelegt wie<br />

antiquity 1, 2011, oil on Canvas<br />

bei den alten Meistern. Er entfernt nur später die<br />

Farbe, um dieses Flackern des Lichtes zu erzeugen.<br />

Jim Knotts Arbeiten beziehen sich mehr auf den<br />

dadais tischen Surrealismus. Eigentlich verhält es<br />

sich ähnlich wie bei Pop, wobei es sich mehr auf die<br />

persönliche Ikonografie bezieht und Pop mehr auf<br />

Objekten basiert. Irgendwann habe ich mich jedoch<br />

in Chicago gelangweilt und beschlossen, nach New<br />

York zu ziehen.<br />

Campbell: Dort hast du erst einmal als commodity<br />

trader an der Wall Street gearbeitet. Ist Kunst eine<br />

gute commodity?<br />

Koons: Ich bevorzuge die Vorstellung, dass Kunst<br />

eine Erfahrung ist. Sie ist sehr bedeutungsvoll, codiert,<br />

voller Informationen, wie das Internet oder<br />

eine Bibliothek. Sie hilft uns, lebendig zu bleiben.<br />

Deshalb finde ich es sehr schade, wenn der wirtschaftliche<br />

Aspekt zu sehr in den Mittelpunkt gerückt<br />

wird.<br />

Campbell: Dabei hast du schon als Kind deine gemalten<br />

Werke im Laden deines Vaters verkauft.<br />

Koons: Das stimmt. Er war Dekorateur und hatte<br />

einen Laden für Inneneinrichtung in Pennsylvania.<br />

Er war es, der meine ersten Bilder rahmte und im<br />

106<br />

Schaufenster ausstellte. Da war ich gerade mal neun<br />

Jahre alt.<br />

Campbell: Weißt du noch, für wie viel er dein erstes<br />

Bild verkauft hat?<br />

Koons: Ich glaube, es waren 900 Dollar.<br />

Campbell: Wow! 900 Dollar sind viel für einen<br />

Neunjährigen!<br />

Koons: Vielleicht waren es auch nur 300, aber ich<br />

denke, es waren 900.<br />

Campbell: Was hast du dir von dem Geld gekauft?<br />

Einen Popeye?<br />

Koons: Wir haben ein ziemlich beschauliches Leben<br />

gelebt. Aber wenn ich etwas wirklich wollte, bekam<br />

ich es. Auch den Popeye.<br />

Campbell: Du hast wirklich sehr jung angefangen.<br />

Koons: Ja, und mein Dad hätte viel bessere Bilder<br />

ausstellen können. Aber er wollte mich unterstützen.<br />

Später, als ich nach New York ging, war es Patrick<br />

Lamnon, der mein erstes erwachsenes Kunstwerk<br />

kaufte: den Hoover Celebrity Vacuum Cleaner, den ersten<br />

Hoover, den ich überhaupt gemacht habe. Lamnon<br />

ist leider schon gestorben, aber ich erinnere mich<br />

noch genau, wie er in mein Studio kam. Er sagte:<br />

„Weißt du, Jeff, als ich angefangen habe, ging ich von<br />

Tür zu Tür und habe Staubsauger verkauft.“<br />

Campbell: Er konnte deine Kunst mit seiner eigenen<br />

Erfahrung aufladen.<br />

Koons: Genau wie ich, schließlich habe ich auch damit<br />

gesaugt. Zudem mag ich die Reverenz, dass die<br />

reisenden Handelsvertreter eigentlich an der Frontlinie<br />

unserer Kultur arbeiten. Ich habe ebenfalls Dinge<br />

von Tür zu Tür verkauft.<br />

Campbell: Wirklich?<br />

Koons: Ja, als Kind bin ich durch die Viertel gezogen,<br />

um Geschenkpapier, Schleifchen und Schokolade<br />

zu verkaufen. Meine Eltern fuhren mich extra in<br />

andere Vororte und warteten dann am Auto, bis ich<br />

alles verkauft hatte. Ich habe es geliebt: an eine fremde<br />

Tür zu klopfen, ohne zu ahnen, wer gleich aufmacht<br />

– eine tolle Erfahrung. Man wusste ja nie, was<br />

kommt: Ist der Mensch attraktiv? Ist er freundlich?<br />

Oder schlampig? Bittet er dich rein? Oder ist das Sofa<br />

mit Plastikfolie überzogen?<br />

Campbell: Und du hast dein eigenes Geld verdient.<br />

Koons: Ja, und noch mehr gelernt. Über Produkte,<br />

über das Verkaufen an sich. Über mich und mein<br />

Selbstvertrauen. Und vor allem über Menschen und<br />

ihre Bedürfnisse. Davon profitiere ich noch heute.<br />

Campbell: Du hast oft gesagt, Salvador Dalí habe<br />

großen Einfluss auf deine Arbeit gehabt. Was inspiriert<br />

dich am meisten? Die Formen, die Farben oder<br />

allgemein die surrealistische Natur seines Werkes?<br />

Koons: Die surrealistische Natur. Dalí war der erste<br />

Künstler, den ich als Kind für mich entdeckte, der mir<br />

auf der Reise zu mir selbst beibrachte, was Kunst ist<br />

und was Kunst sein kann.<br />

Campbell: Wie hast du ihn entdeckt?<br />

Koons: Meine Eltern kauften mir ein großes Coffee-Table-Book,<br />

eine Werkschau. Und als ich 17 war,<br />

rief ich ihn an und fragte, ob ich ihn treffen dürfe.<br />

Er willigte sofort ein. Daraufhin besuchte ich ihn in<br />

seinem Hotel in New York, wir redeten über Kunst,<br />

er nahm mich mit in seine Ausstellung, erklärte mir<br />

die Bilder und posierte für Fotos. Salvador war ungemein<br />

großzügig.<br />

Campbell: Wow, das hat sicher großen Eindruck auf<br />

dich gemacht.<br />

Koons: Ja, ein Kid aus Baltimore, das den großen<br />

Dalí treffen darf! Dalí war so innovativ. Viel von dem,<br />

was später Pop-Art ausmachte, basiert auf seiner Arbeit.<br />

Die Idee, dass Maschinen Kunst fertigen, hatte<br />

Fotos: vorherige Doppelseite: ©Jeff Koons; diese linke Seite: © Jeff Koons; diese rechte Seite: Privatsammlung, Courtesy Gagosian Gallery © Jeff Koons<br />

monkey train, 2007, hulk elvis,<br />

Öl auf leinwand<br />

„Bei PoPeye sorgt<br />

der sPinat für<br />

stärke, in unserer<br />

gesellschaft<br />

entsPricht das<br />

der kunst, die<br />

transzendenz ins<br />

leBen Bringt.<br />

kunst lehrt uns<br />

zu fühlen,<br />

sie hilft,<br />

engagierter zu<br />

leBen”<br />

107<br />

er 1958. Und als der Papst nach New York kam, nahm<br />

er ein Foto, das er in einer Zeitung gefunden hatte,<br />

vergrößerte es und malte Maria und ihr Kind in sein<br />

Ohr. Heute kann man das Bild in der Sammlung des<br />

Mets bewundern … Dalí experimentierte gerne, er las<br />

Wissenschaftszeitungen, interessierte sich für Illusionen<br />

und Mathematik.<br />

camPBell: Starb Dalí eigentlich in Amerika?<br />

koons: Nein, er verbrachte hier eine gewisse Zeit.<br />

Gestorben ist er in Spanien, in seinem Haus, soviel<br />

ich weiß …<br />

camPBell: Ich liebe dieses Haus. Mit den Eiern auf<br />

dem Dach.<br />

koons: Hast du auch den Garten gesehen? Und den<br />

Glaspavillon?<br />

camPBell: Nein, leider nicht. Ich hatte nicht genug<br />

Zeit. Wir standen nur davor. Mehr ging nicht, da wir<br />

eigentlich eine Titelgeschichte für Sports Illustrated<br />

schießen mussten.<br />

koons: Die Leute der Dalí Foundation erzählten<br />

mir, dass das Haus ohne Strom war, als Dalí einzog.<br />

camPBell: Ich habe gelesen, dass er viele Bilder von<br />

seinen Assistenten hat malen lassen. Du hast ja auch<br />

eine eigene Factory, um Dinge schneller umsetzen zu<br />

können.<br />

koons: Es ist aber nicht so, dass andere malen und<br />

ich nur vorbeikomme und unterschreibe. Es dauert<br />

einfach immens lange, ein großes Bild zu malen.<br />

Ich schaffe zwischen sechs und acht Bilder pro Jahr.<br />

Gleichzeitig arbeite ich an anderen Dingen, Skulpturen,<br />

Projekten. Ich könnte auch den ganzen Tag<br />

nur malen. Letztendlich geht es darum, ein System<br />

zu kontrollieren, in dem Dinge entstehen, die in ihrer<br />

Absolutheit so sind, als hätte ich sie selbst gemacht.<br />

camPBell: Eine ähnliche Arbeitsweise wie die von<br />

Andy Warhol. Hat er dich inspiriert?<br />

koons: Alles inspiriert, die ganze Welt um einen<br />

herum. Ed Paschke sagte damals in Chicago immer:<br />

„Junge, alles ist schon da, alles liegt ausgebreitet vor<br />

dir. Du musst es nur sehen.“<br />

camPBell: Deine Partnerin ist ebenfalls Künstlerin.<br />

Arbeitet ihr oft zusammen oder ist es besser, die Kreativität<br />

unabhängig voneinander auszuleben?<br />

koons: Unser ganzes Leben ist ein Zusammenspiel.<br />

Wir haben vor fünf Wochen unser sechstes Kind bekommen.<br />

camPBell: Oh mein Gott! Meine Glückwünsche!<br />

Das ist auch eine Form der Kunst!<br />

koons: Ja, ist es. Wir haben anfangs zusammen<br />

Schmuck designt, mittlerweile ist sie jedoch vor allem<br />

mit der Familie beschäftigt.<br />

camPBell: Haben die Kinder eine künstlerische Begabung?<br />

Hast du sie schon an deine Farbtöpfe gelassen?<br />

koons: Meine Tochter scheint sich eher für dein<br />

Metier zu interessieren. Sie ist sehr weiblich. Ihr<br />

Lieblingsbuch ist Shoe-La-La.<br />

camPBell: Ich kenne das Buch.<br />

koons: Ja? Es geht um ein junges Mädchen, das<br />

Schuhe und Shopping liebt. Genau wie meine Tochter.<br />

Sie kommt immer zu mir und zeigt mir irgendwelche<br />

Klamotten, die sie in Katalogen sieht. Daraus<br />

soll ich ihr dann vorlesen (lacht). Nein, meine Kinder<br />

sind sehr typische Kinder. Sie lieben die Familie, das<br />

Mädchen geht ins Ballett, die Jungs spielen Fußball.<br />

camPBell: Jeff, wer versteht Kunst eigentlich besser:<br />

Amerikaner oder Europäer?<br />

koons: Ach, Naomi, das ist …<br />

camPBell: … eine schwierige Frage, ich weiß.<br />

koons: Die Antwort fängt mit einer Gegenfrage an:<br />

Wie versteht der Mensch? Eine Spielart des Verstehens<br />

ist bewusstes Verstehen. Und im bewussten Verstehen<br />

von Kunst sind Europäer wahrscheinlich besser.<br />

Aber es gibt so viele Arten, Dinge zu verstehen,<br />

einzuordnen, zu fühlen … Was man mit Sicherheit jedoch<br />

festhalten kann, ist, dass Europa und Kunst eine<br />

gemeinsame Vergangenheit haben. Kunst wurde als<br />

politische Kraft benutzt, teilweise auch missbraucht.<br />

Beispielsweise von der Kirche.<br />

camPBell: Aber Kunst wird in Europa auch institutionell<br />

geehrt – du wurdest 2002 in die französische<br />

Ehrenlegion aufgenommen.<br />

koons: Ja, ich besitze einen Verdienstorden.<br />

camPBell: Ebenso wie Paul McCartney und David<br />

Bowie.<br />

koons: Ich verehre David Bowie wie kaum einen<br />

anderen Künstler des 20. Jahrhunderts. Er ist eine<br />

Gottheit, er ist Apollo. Und Paul McCartney, herrje,<br />

ich kann mich noch an den Auftritt der Beatles in<br />

der Ed Sullivan Show erinnern. Später, mit 16, hörte<br />

ich dann eher Led Zeppelin, Jimmy Page und Robert<br />

Plant. Damals träumte ich davon, ein interessantes<br />

Leben zu leben. Ich fuhr mit dem Auto durch die<br />

Gegend, hörte ihre Musik und malte mir die Zukunft<br />

aus. Als ich Robert Plant vor einem Jahr zum ersten<br />

Mal traf, sagte ich ihm, dass er mir beigebracht hat,<br />

zu fühlen. Heute kann man Musik gar nicht mehr so<br />

laut hören wie damals. Schon gar nicht in meinem<br />

Studio.<br />

camPBell: Weil heute alle ihre weißen Kopfhörer<br />

aufhaben?<br />

koons: Ja. Früher habe ich selber welche getragen,<br />

aber heute nervt mich das. Weil ich wissen und mitkriegen<br />

will, was um mich herum geschieht.<br />

camPBell: Deine Kunst ist sehr kostspielig. Die<br />

Celebration-Serie hat dich an den Rand des Bankrotts<br />

geführt. Was ist der größte Luxus, den du dir leistest,<br />

abgesehen von deiner Kunst?<br />

koons: Die Möglichkeit, Dinge einfach zu machen,<br />

sie einfach umzusetzen. Das gilt sowohl für<br />

die Kunst als auch für mein Leben. Meine Familie<br />

und ich besitzen eine Farm in Pennsylvania, die ich<br />

sehr liebe. Dort können meine Kinder wirklich frei<br />

sein, sie können rumrennen, ihrer Fantasie freien<br />

Lauf lassen. Das gönne ich mir. Dafür habe ich keine<br />

Sportwagen.<br />

camPBell: Aber einen großen Geländewagen, oder?<br />

koons: Ja, das schon.<br />

der künstler und das model: naomi camPBell Besuchte<br />

im sePtemBer 2012 Jeff koons in dessen new yorker factory


Kylie<br />

Minogue<br />

Als sie geboren wurde,<br />

brAnnte sAigon, zu mAdonnA<br />

tAnzte sie in der schuldisco,<br />

Als die zwillingstürme fielen,<br />

sAng sie lAlAlA,<br />

den refrAin ihres grössten hits.<br />

in diesem jAhr feiert KYlie<br />

minogue ihr bühnenjubiläum –<br />

und wir feiern sie mit einem<br />

schnellen ritt durch ihr leben:<br />

44 jAhre, 44 frAgen<br />

von<br />

jörg hArlAn rohleder<br />

fotos<br />

williAm bAKer<br />

Foto: Copyright Darenote


„wIr fuhren<br />

an der<br />

berühMtesten<br />

schwulenbar<br />

von sydney<br />

vorüber, und<br />

eIn freund rIef:<br />

‚oh, heute Ist<br />

KylIe-nIght’”<br />

1968<br />

IntervIew: Vietnam brannte, ebenso die Barrikaden<br />

in Paris, Berkeley, Berlin. Und im Mai kommt ein<br />

kleines Mädchen zur Welt.<br />

KylIe MInogue: Damals war es jedoch noch nicht<br />

so gemütlich in den Krankenhäusern wie heute. Zudem<br />

hatten meine Eltern kein Telefon, weswegen<br />

meine Mum erst einmal zur Telefonzelle rennen<br />

musste, um meinem Dad Bescheid zu sagen. Offen<br />

gestanden, ich weiß gar nicht, ob er überhaupt bei<br />

der Geburt dabei war. Jedenfalls gestand meine Mutter<br />

mir Jahre später, dass sie während der Schwangerschaft<br />

ziemlich viel transzendentale Meditation<br />

gemacht hatte. Eigentlich empfand ich meine Eltern<br />

immer als ziemlich spießig – rückblickend kann ich<br />

jedoch sagen: Ich war ein kleines Hippie-Baby. Geboren<br />

am 28. Mai 1968, um genau zu sein.<br />

IntervIew: Sie haben sich nie jünger gemacht?<br />

MInogue: Das Schicksal eines Kinderstars: Selbst<br />

wenn ich ein klein wenig bescheißen wollte, es ist einfach<br />

alles zu gut dokumentiert.<br />

IntervIew: Stimmt es, dass der Name Kylie in der<br />

Sprache der Aborigines Bumerang bedeutet?<br />

MInogue: So ist es. Und ja, es gefällt mir.<br />

1969<br />

IntervIew: Neil Armstrong stolpert als erster Mann<br />

über den Mond, Sie hingegen durch das Kinderzimmer<br />

in einem Vorort von Melbourne.<br />

MInogue: Sie werden es nicht glauben, aber es gibt<br />

Super-8-Aufnahmen, in denen ich als Einjährige vor<br />

unserem Schwarz-Weiß-Fernseher rumstakse, während<br />

auf dem Bildschirm Armstrong zu sehen ist.<br />

IntervIew: Wow.<br />

MInogue: Ja. Außerdem bin ich als Einjährige aus<br />

meinem Stuhl gefallen, voll auf den Kopf, woraufhin<br />

dieser blau anlief. Darüber machen sich heute noch<br />

alle in der Familie lustig.<br />

1970<br />

IntervIew: Die Australierin Germaine Greer veröffentlicht<br />

ihr Buch Der weibliche Eunuch – ein Standardwerk<br />

für Mädchen aus Melbourne, nehme ich an.<br />

MInogue: Das hoffe ich doch – auch wenn ich es<br />

selbst nie gelesen habe (lacht).<br />

1971<br />

IntervIew: Dannii Minogue kommt zur Welt. Mochten<br />

Sie Ihre kleine Schwester von Anfang an, oder<br />

fanden Sie es eher nervig, die Eltern zu teilen?<br />

MInogue: Dummerweise hatten wir ja noch einen<br />

Bruder, der zwischen uns lag. Und deshalb war ich<br />

schon nicht mehr die Chefin im Haus, als Dannii zur<br />

Welt kam. Nein, eigentlich war es klasse, als Kinder<br />

so eng beieinanderzuliegen. Auch wenn das für unsere<br />

Eltern sicher mehr Stress bedeutete.<br />

1972<br />

IntervIew: Stanley Kubricks Clockwork Orange feiert<br />

Premiere. Jahre später diente der Film als Inspiration<br />

für Ihre Fever-Tour. Mochten Sie den Film so sehr?<br />

MInogue: Mit drei? (lacht)<br />

IntervIew: Nein.<br />

MInogue: Natürlich ist der Film sehr brutal und<br />

herausfordernd. Was mich jedoch viel mehr an<br />

Clockwork Orange beeindruckt hat, war die ästhetische<br />

Vision. Der Film wird immer futuristisch bleiben,<br />

ähnlich wie Kraftwerk, es ist total egal, ob man<br />

ihn vor 30 Jahren, heute oder in 30 Jahren anschaut.<br />

Wer den Film einmal gesehen hat, wird niemals wieder<br />

Kubricks Bilder vergessen.<br />

1973<br />

IntervIew: 1973 fand das erste AC/DC-Konzert in<br />

Sydney statt. In gewisser Weise schließt sich hier und<br />

heute ein Kreis: die vergangenen 40 Jahre Aussie-Pop<br />

– AC/DC und Kylie Minogue.<br />

MInogue: Bei uns nennt man sie AKADEKA.<br />

IntervIew: Ach ja?<br />

MInogue: Ja, AKADEKA, so wird es ausgesprochen.<br />

Allerdings muss ich zu meiner Schande gestehen, dass<br />

ich noch nie auf einem Konzert der Jungs war.<br />

IntervIew: Warum nicht?<br />

MInogue: Ich weiß es nicht.<br />

1974<br />

IntervIew: Ihr erstes Jahr in der Schule. Wie muss<br />

man sich die Erstklässlerin Kylie vorstellen?<br />

MInogue: Ich war immer die Kleinste! Und musste<br />

deshalb bei den Klassenfotos immer ganz rechts in der<br />

ersten Reihe knien. Jedes Jahr! In jeder Klasse. Immer<br />

die Kleinste. Das war sehr demütigend. Allerdings<br />

kann ich mich noch an meine Stiefel im ersten Jahr<br />

erinnern: Sie waren weiß, aus Vinyl, mit Reißverschluss.<br />

Vorne, auf jedem Zeh, waren gelbe Smileys –<br />

das fanden alle unfassbar chic. Mein erstes Fashion-<br />

Statement!<br />

1975<br />

IntervIew: Der Vietnamkrieg endet, die Amerikaner<br />

stellen die Bombardierung Kambodschas ein, der Sueskanal<br />

wird wiedereröffnet. Wo waren Sie?<br />

MInogue: In der zweiten Klasse. An Fasching ging<br />

ich als Dosenmännchen.<br />

IntervIew: Wie geht das denn?<br />

MInogue: Meine Mutter half mir, ein Kostüm aus<br />

Alufolie und Pappe zu bauen, das mir dann umgeschnallt<br />

wurde. Ich konnte mich zwar kaum bewegen,<br />

sah aber sehr gut aus.<br />

1976<br />

IntervIew: Mein Geburtsjahr.<br />

MInogue: Ich hätte gratuliert, wenn ich es damals<br />

gewusst hätte!<br />

IntervIew: Ansonsten ist auch nicht wirklich viel<br />

passiert – Steve Jobs und Steve Wozniak gründeten<br />

eine Computerfirma namens Apple. Können Sie sich<br />

Ihr Leben ohne Apple vorstellen?<br />

MInogue: Ich würde einfach die Gerätschaften eines<br />

anderen Herstellers benutzen (lacht). Und das<br />

sage ich, deren erster Rechner selbstverständlich ein<br />

Apple war.<br />

1977<br />

IntervIew: In diesem Jahr fand die letzte Hinrichtung<br />

per Guillotine in Frankreich statt.<br />

MInogue: ERNSTHAFT?<br />

IntervIew: Vor 35 Jahren.<br />

MInogue: Wow. Das ist verrückt.<br />

1978<br />

IntervIew: Ihr zehnter Geburtstag. Sie waren mit<br />

Sicherheit das süßeste Mädchen auf dem Schulhof.<br />

Hatten Sie schon einen Freund?<br />

MInogue: Mit zehn? Nein! Aber danke für das Kompliment.<br />

IntervIew: Sie hatten keinen Verehrer?<br />

MInogue: Es gab einen Jungen, den ich mochte. Er<br />

gab mir meinen ersten Kuss. Leider kann ich mich<br />

nicht an seinen Namen erinnern – wir spielten damals<br />

immer Kuss-Fangen. Die anderen Mädchen waren<br />

ziemlich eifersüchtig, weil er nur mich küssen wollte …<br />

IntervIew: … und Sie haben seinen Namen vergessen?<br />

MInogue: Hey, er war nicht mein Freund!<br />

1979<br />

IntervIew: Während in Teheran die Revolution ausgerufen<br />

wird, steht die kleine Kylie erstmals für The<br />

Sullivans und Skyways vor der Kamera: Wie kam es<br />

dazu? Sie waren gerade mal elf!<br />

MInogue: Ich habe aber nicht darum gebettelt, das<br />

möchte ich festhalten. Eine Bekannte meiner Mutter<br />

suchte nach einem Mädchen für die Rolle in The Sullivans<br />

und fragte, ob Dannii eventuell zum Vorsprechen<br />

kommen könne. Da meine Mutter keinen Babysitter<br />

fand, nahm sie uns beide zum Casting mit.<br />

IntervIew: Und Sie stahlen Ihrer kleinen Schwester<br />

einfach die Show?<br />

MInogue: Wie bitte? Das war doch nicht meine<br />

Entscheidung!<br />

1980<br />

IntervIew: Die ersten Schecks aus dem Fernsehgeschäft<br />

landeten im Briefkasten, was haben Sie sich<br />

vom ersten selbst verdienten Geld gekauft?<br />

MInogue: Nichts. Mir wurde davon gar nichts gesagt!<br />

Ich bekam ja noch Taschengeld. Und das hätte<br />

den Kurs verdorben.<br />

IntervIew: Wie reagierten die Mitschüler auf Ihre<br />

neue Freizeitbeschäftigung?<br />

Foto: Copyright Darenote<br />

Minogue: Daran kann ich mich nicht mehr erinnern.<br />

Vielleicht haben sie es auch gar nicht mitbekommen,<br />

weil die Sendungen erst nach dem Wechsel<br />

auf die Oberschule ausgestrahlt wurden. Ich weiß es<br />

leider wirklich nicht.<br />

1981<br />

interview: „Ladies and gentlemen, rock ’n’ roll“ – am<br />

1. August dieses Jahres ging MTV auf Sendung.<br />

Minogue: (singt) I want my, I want my, I want my<br />

MTV.<br />

interview: Genau.<br />

Minogue: Das erste Musikvideo, an das ich mich erinnern<br />

kann, ist I Wanna Dance With Somebody von<br />

Whitney Houston. Ich dachte wirklich, sie sei ein Engel,<br />

das schönste Wesen, das ich jemals gesehen habe.<br />

Was für eine Frau! Diese Stimme! Eine Erleuchtung.<br />

1982<br />

interview: Eine New Yorker Göre, die sich Madonna<br />

nennt, singt Kaugummi kauend ihr erstes Lied.<br />

Erinnern Sie sich noch an Everybody?<br />

Minogue: Selbstverständlich. Aber das erste Mal,<br />

dass ich wirklich zu Madonna tanzte, war später. Holiday<br />

und Borderline waren Riesenhits bei uns in der<br />

Schuldisco. Und die war an sich schon das wichtigste<br />

gesellschaftliche Ereignis des Jahres, wie Sie sich sicher<br />

denken können.<br />

1983<br />

interview: Am 26. September 1983 wäre es beinahe<br />

um die Menschheit geschehen gewesen, doch der<br />

Sow jetgeneral Stanislaw Petrow behielt die Nerven.<br />

Der Bildschirm, vor dem Petrow saß, zeigte an, dass<br />

amerikanische Atomraketen auf dem Weg nach Moskau<br />

seien, das Protokoll verlangte von Petrow, den<br />

nuklearen Gegenschlag einzuleiten. Doch er verweigerte<br />

dies, da er an einen Computerfehler glaubte –<br />

womit er recht behalten sollte.<br />

Minogue: Oh mein Gott, dass wusste ich gar nicht.<br />

interview: Welche drei Dinge in Ihrem Leben hätten<br />

Sie in den folgenden 29 Jahren am meisten vermisst,<br />

wenn Petrow seinen Dienstanweisungen gefolgt<br />

und die Menschheit innerhalb der nächsten zwölf Minuten<br />

in einen nuklearen Krieg geführt hätte?<br />

Minogue: Sie haben mich in Sicherheit gewogen<br />

und jetzt kommt so etwas Tiefgründiges. Da kann ich<br />

ja nur banal antworten.<br />

interview: Bitte.<br />

Minogue: Das ist eine so schwierige Frage, so existenziell.<br />

Alles, was ich jetzt sage, klingt doof.<br />

interview: Okay, nennen Sie nur eins.<br />

Minogue: Leben.<br />

interview: Hm.<br />

Minogue: Familie.<br />

interview: Okay.<br />

Minogue: Liebe.<br />

interview: Gut.<br />

Minogue: Kokosnusswasser!<br />

1984<br />

interview: Sony und Philips bringen den ersten CD-<br />

Spieler auf den Markt.<br />

Minogue: Das war 1984?<br />

interview: Ja.<br />

Minogue: Damals hatte ich noch keinen CD-Player,<br />

so viel ist sicher. Ich weiß leider auch nicht mehr, wel-<br />

che meine erste CD war. Die erste Platte war irgendwas<br />

von den Jackson Five, daran erinnere ich mich.<br />

1985<br />

interview: Rainbow Warrior I, das Forschungsschiff<br />

der Umweltschutzorganisation Greenpeace, wird von<br />

französischen Agenten im Hafen von Auckland,<br />

Neuseeland, versenkt. Die Rainbow Warrior sollte<br />

eigentlich zum Mururoa-Atoll fahren, um gegen die<br />

dort stattfindenden französischen Atomtests zu protestieren.<br />

Minogue: Das hat in Australien jeder mitbekommen,<br />

der mediale Aufschrei war gigantisch.<br />

interview: Und? Ist die 17-jährige Kylie protestieren<br />

gegangen?<br />

Minogue: Nein, die genauen Zusammenhänge habe<br />

ich damals nicht verstanden. Es war aber auch eine<br />

andere Zeit. Die 17-Jährigen von heute denken viel<br />

komplexer. Wenn ich heute 17 wäre, würde ich dementsprechend<br />

reagieren. Weil ich wüsste, dass auch<br />

der Protest eines Einzelnen einen Unterschied macht.<br />

1986<br />

interview: Der große Durchbruch: Sie werden<br />

Charlene Mitchell in Neighbours.<br />

Minogue: Ein gutes Jahr.<br />

interview: Haben Sie noch Kontakt zu Jason Donovan?<br />

Minogue: Ach, Jason! Wir hätten eigentlich Especially<br />

For You dieses Jahr bei einem Reunion-Konzert<br />

im Hydepark singen sollen. Leider machte uns das<br />

Wetter in diesem schönen Land einen Strich durch<br />

die Rechnung.<br />

1987<br />

interview: Wie fühlte es sich an, Jason wiederzusehen?<br />

Immerhin heirateten Sie ihn 1987.<br />

Minogue: Ja, aber nur im Fernsehen! Darauf lege<br />

ich auch großen Wert. Dennoch war es toll, ihn nach<br />

so langer Zeit mal wieder zu sehen. Wir standen bei<br />

den Proben und da fiel uns auf, dass wir das Lied in<br />

den 80ern nie live gesungen hatten. Wo auch? Bei Top<br />

of the Pops musste man nur die Lippen bewegen …<br />

interview: Wahrscheinlich auch zu Locomotion, Ihrem<br />

ersten Hit, ebenfalls 1987. Wo waren Sie, als das<br />

Lied von null auf eins schoss?<br />

Minogue: In Melbourne, in der Küche meiner Eltern.<br />

interview: Sie haben damals noch bei den Eltern gewohnt?<br />

Minogue: Selbstverständlich! Ich war doch erst 19.<br />

Und so viel Geld bekamen wir bei Neighbours auch gar<br />

nicht. Also kaufte ich mir ein Auto, um pünktlich am<br />

Set zu sein, und wohnte dafür bei den Eltern. Wir saßen<br />

alle in der Küche, im Radio lief Top Eight at Eight,<br />

eine Chartshow, bei der die Zuschauer anrufen konnten.<br />

Und mein Lied kam einfach nicht. Nachdem<br />

Platz acht bis vier durch waren, gab ich die Hoffnung<br />

auf, Popstar zu werden. Meine Mum nahm mich in<br />

den Arm und versuchte, mich zu trösten …<br />

interview: … und dann kam Locomotion schließlich<br />

doch noch – auf Platz eins!<br />

Minogue: Zudem war es das erste Mal, dass ich das<br />

Lied im Radio hörte. Ein Wahnsinnsgefühl.<br />

interview: Der Song rettete Sie davor, Schauspielerin<br />

zu werden.<br />

Minogue: Das ist frech! Die Musik hat mich der<br />

Schauspielerei gestohlen!<br />

1988<br />

interview: I Should Be So Lucky – ja, das waren Sie.<br />

Mochten Sie den Song eigentlich?<br />

Minogue: Nein. Überhaupt nicht. Zumindest am<br />

Anfang nicht.<br />

interview: Warum nicht?<br />

Minogue: Mein Manager und ich waren in London,<br />

um Stücke fürs Album rauszusuchen – und die Produzenten<br />

von Stock, Aitken & Waterman hatten<br />

schlichtweg vergessen, dass wir einen Termin im Studio<br />

hatten. Wir standen da mit leeren Händen. Die<br />

Produzenten schickten uns vor die Türe – und eine<br />

Viertelstunde später präsentierten sie I Should Be So<br />

Lucky. Angeblich haben sie das Stück komponiert,<br />

während wir vor der Tür warteten. In einer Viertelstunde!<br />

Ich wurde in die Aufnahmebox geschickt,<br />

lernte meine Zeilen, sang es runter. Fertig. Ob ich<br />

mich lucky gefühlt habe? Eher nicht.<br />

1989<br />

interview: Die Berliner Mauer fällt, der Kalte Krieg<br />

endet. Sie hatten 13 Top-Ten-Hits innerhalb von zwei<br />

Jahren in den britischen Charts. Einer davon war<br />

Espe cially For You.<br />

Minogue: Ja, schon wieder Jason. Damals waren wir<br />

zudem ein Paar. Ach, lange ist es her.<br />

interview: Bereuten Sie es jemals, Ihren Teenie-<br />

Prinzen ziehen gelassen zu haben? Muss sich Ihr<br />

Freund, das spanische Model Andres Velencoso, Sorgen<br />

machen?<br />

Minogue: Erscheint dieses <strong>Interview</strong> nur auf<br />

Deutsch? (lacht) Nein, Jason wird immer einen ganz<br />

speziellen Platz in meinem Herzen habe.<br />

1990<br />

interview: Den Rest des Herzens eroberte ein Jahr<br />

später bereits Michael Hutchence, der als Hobby damals<br />

gerne „Corrupting Kylie“ angab. War er es, der<br />

aus Kylie, dem Mädchen von nebenan, jene Kylie hervorzauberte,<br />

die Better The Devil You Know sang und<br />

erstmals sexy sein wollte?<br />

Minogue: Ja, das hat er immer gesagt. Aber glauben<br />

Sie mir: Michael war ebenso wenig nur der wilde bad<br />

boy, wie Kylie nur das unschuldige Mädchen von nebenan<br />

war. Wir haben uns irgendwo in der Mitte getroffen.<br />

Und trotzdem hat mit ihm die Verwandlung<br />

begonnen, das stimmt schon.<br />

1991<br />

interview: Ein blonder Schlacks aus Seattle fordert<br />

„Here we are now, entertain us“, zertrümmert seine<br />

Gitarre und wird zum Antihelden im Ringelpulli.<br />

Konnten Sie mit der Wut und dem Schmerz des Kurt<br />

Cobain etwas anfangen?<br />

Minogue: Ich habe ihn nie ganz verstanden, aber ich<br />

schätze seine rohe Energie und mochte die Lieder. Mein<br />

Leben war einfach das genaue Gegenteil von dem, was<br />

Grunge ausmachte. Meine Welt war das Elfenland.<br />

1992<br />

interview: Miley Cyrus wird geboren, Peking bekommt<br />

endlich einen McDonald’s, Whitney singt I<br />

Will Always Love You und Bill Clinton wird Präsident:<br />

Welches der vier Ereignisse hat die größte Auswirkung<br />

auf Ihr Leben?<br />

Minogue: Bill Clinton.<br />

110<br />

111


“<br />

Ich wurde in die Aufnahmebox<br />

geschickt, lernte meine Zeilen,<br />

sang sie runter. Fertig<br />

”<br />

Foto: Copyright Darenote


1993<br />

IntervIew: Der erste beutelfreie Staubsauger …<br />

MInogue: … der Dyson! Ja, ich besitze einen. Hab<br />

ich sofort gekauft.<br />

IntervIew: Und auch schon mal das Schlafzimmer<br />

damit selbst gesaugt?<br />

MInogue: Selbstverständlich. Was denken Sie eigentlich<br />

von mir?<br />

1994<br />

IntervIew: Where The Wild Roses Grow: Nick Cave<br />

schickt Sie als Wasserleiche Ophelia auf eine Reise<br />

und schenkt Ihnen mit dem Duett das, was man neudeutsch<br />

Street Credibility nennt. Im selben Jahr spielten<br />

Sie zudem im Film Street Fighter!<br />

MInogue: Ja, aber Nick verdanke ich tatsächlich<br />

mehr. He is the real deal, ein absoluter Gentleman<br />

und großer Künstler, der immer nach Neuem sucht.<br />

Die Tatsache, dass er mich als seine Partnerin aussuchte,<br />

mich in seine Welt einführte, war für viele<br />

eine große Überraschung.<br />

IntervIew: Für Sie auch?<br />

MInogue: Wir hatten sechs Jahre zuvor schon darüber<br />

gesprochen, etwas gemeinsam zu versuchen.<br />

Sonst hätte ich womöglich gedacht, er meint es ironisch<br />

und will mich veräppeln. So war es ein Ritterschlag.<br />

1995<br />

IntervIew: Der Football­Star O. J. Simpson rast in<br />

einem Jeep über die Highways von Los Angeles.<br />

MInogue: Bilder, die sich in mein Hirn eingebrannt<br />

haben. Ich saß wie festgenagelt vor dem Fernseher,<br />

obwohl ich vor diesem Nachmittag nicht einmal<br />

wusste, wer O. J. Simpson genau war. CNN war relativ<br />

neu in meinem Leben, und plötzlich das: eine Verfolgungsjagd<br />

wie in Hollywood, live im Fernsehen,<br />

gefilmt aus einem Hubschrauber. Live und doch in<br />

ständiger Wiederholung. Wow.<br />

1996<br />

IntervIew: Dolly, das Schaf, wird geklont.<br />

MInogue: Ohhh.<br />

IntervIew: Und eBay geht an den Start. Verraten Sie<br />

uns, was Sie zuletzt bei eBay ersteigert haben?<br />

MInogue: Nein.<br />

IntervIew: Aber Sie bieten mit?<br />

MInogue: Klar. Ich mag eBay zudem, weil es schön<br />

voyeuristisch ist. Man kann den Leuten quasi in Keller<br />

und Kleiderschrank schauen.<br />

IntervIew: Bieten Sie selbst – oder haben Sie Angst,<br />

dass die Leute die Ware nicht abschicken, wenn als<br />

Empfänger Kylie Minogue steht?<br />

MInogue: Ich lasse bieten. Und kaufe auch sonst<br />

gerne Sachen online.<br />

IntervIew: Darf man erfahren, wer für Sie online<br />

einkauft?<br />

MInogue: Nein, solche Informationen verrate ich<br />

nicht. Das verdirbt die Preise. Sorry.<br />

1997<br />

IntervIew: Das Album Impossible Princess erscheint.<br />

In Ihrer Autobiografie schreiben Sie, es gebe einen<br />

Kampf zwischen „Dance Kylie, Cute Kylie, Sex Kylie<br />

und Indie Kylie“. Welche Kylie hat gewonnen?<br />

MInogue: Hm.<br />

IntervIew: Welche Kylie sitzt heute vor mir?<br />

MInogue: Das wird sich bald zeigen. In mir fühle<br />

ich, dass der Rückkampf zu „Kylie: Rumble In The<br />

Jungle“ ansteht.<br />

IntervIew: Ach ja?<br />

MInogue: Sie müssen sich noch ein wenig gedulden.<br />

Aber ich verspreche Ihnen, vorher Bescheid zu geben.<br />

1998<br />

IntervIew: Impossible Princess wird in England nicht<br />

gerade wohlwollend aufgenommen, Virgin Radio verbannt<br />

es sogar, Sie fliegen heim nach Australien, wo<br />

das Album euphorisch gefeiert wird. Vor allem die<br />

Gay­Community hält Ihnen die Treue. Zum Dank<br />

treten Sie beim Sydney Gay and Lesbian Mardi Gras<br />

auf. Wie wird man eigentlich eine Schwulenikone?<br />

MInogue: Ich wurde adoptiert! Und das ist toll!<br />

IntervIew: In den 80ern gab es angeblich in den<br />

Schwulenbars von Sydney und Melbourne ziemlich<br />

berüchtigte Kylie­Nights. Waren Sie mal bei einer?<br />

MInogue: Ich durfte nicht.<br />

IntervIew: Warum denn nicht?<br />

MInogue: Mein Manager und ich fuhren irgendwann<br />

in den späten 80ern durch die Oxford Street in<br />

Sydney, wo damals die berühmteste Schwulenbar der<br />

Stadt war. Ein Freund, der mit im Auto saß, rief:<br />

„Oh, heute ist Kylie­Night!“ Ich fragte: „Wie bitte?“<br />

Daraufhin meinte mein Manager, dass ich da nicht<br />

hereindürfe. Und weil ich so ein unschuldiges Mädchen<br />

war, hörte ich auf ihn. Das bereue ich bis heute.<br />

Immerhin habe ich einmal in Melbourne ein paar<br />

Dragqueens gesehen, die auf Kylie machten.<br />

IntervIew: Und? Waren sie gut?<br />

MInogue: Ich glaube, in dem Moment war ich am<br />

wenigsten Kylie im gesamten Raum. Sie waren fabelhaft!<br />

1999<br />

IntervIew: Kurz vor dem Millennium verbrachten<br />

Sie etliche Monate auf Barbados und spielten die<br />

weibliche Hauptrolle in Shakespeares Der Sturm.<br />

Wie kam es denn zu diesem Engagement?<br />

MInogue: Ich war zuvor noch nie auf Barbados –<br />

und hatte nie Shakespeare gespielt. Mehr guter Gründe<br />

bedarf es nicht.<br />

2000<br />

IntervIew: Die Olympischen Spiele finden in Sydney<br />

statt: Kylie Minogue singt Dancing Queen: Von<br />

der Impossible Princess zur Dancing Queen in gerade<br />

mal drei Jahren – Prinz Charles muss gekocht haben<br />

vor Wut.<br />

MInogue: Das ist sehr lustig! (lacht)<br />

2001<br />

IntervIew: Der 11. September: Wo waren Sie, als die<br />

Zwillingstürme fielen?<br />

MInogue: Bei einem Radiosender in London, mitten<br />

in einem <strong>Interview</strong>. Das tatsächliche Ausmaß der<br />

Katastrophe sah ich erst, als wir wieder in unserer<br />

Limousine saßen. Dort gab es einen kleinen, ziemlich<br />

zerkratzten Monitor auf der Rückbank. Das<br />

werde ich nie vergessen.<br />

IntervIew: Es gibt Mitmenschen, die werden Ihren<br />

Hit Can’t Get You Out Of My Head niemals wieder aus<br />

dem Kopf bekommen. Dieses Lalala …<br />

114<br />

MInogue: … und ich verstehe nicht, warum so viele<br />

Leute immer nanana singen.<br />

IntervIew: Im Video tragen Sie ein ziemlich gewagtes<br />

Kleid, das wie durch Zauberhand Ihre Brüste<br />

notdürftig verdeckt. Verraten Sie uns den Trick?<br />

MInogue: Das könnte ich. Aber danach muss ich Sie<br />

leider erschießen.<br />

2002<br />

IntervIew: In Moulin Rouge gaben Sie Ihr Burlesque­Debüt<br />

als Schauspielerin. Wie burlesque ist<br />

Kylie Minogue?<br />

MInogue: Sehr. Vielleicht sogar zu viel.<br />

IntervIew: Sie sagten in einem früheren <strong>Interview</strong>,<br />

im Herzen seien Sie ein Showgirl.<br />

MInogue: Und ein Hippie­Mädchen. Aber ich mag<br />

es, Showgirl zu sein: die Haare, die langen Wimpern,<br />

das ganze Make­up.<br />

2003<br />

IntervIew: Saddam wurde aus seinem Loch geholt,<br />

die Amerikaner nannten French Fries plötzlich Freedom<br />

Fries …<br />

MInogue: … was ein schlechter Witz war. French<br />

Fries sind French Fries und ein French Kiss bleibt ein<br />

French Kiss.<br />

IntervIew: Im selben Jahr flog die Concorde zum<br />

letzten Mal.<br />

MInogue: Ich habe sie geliebt. Okay, sie war teuer,<br />

sie war laut, sie war eng. Aber der Moment, in dem<br />

der Pilot sagt: „Ladies and gentlemen, we are now supersonic.“<br />

Unvergesslich.<br />

2004<br />

IntervIew: Janet Jackson entblößt ihren Nippel beim<br />

Super Bowl, die Welt spricht von einem Nipplegate.<br />

Kann der Versuch, zu sexy sein zu wollen, eine Karriere<br />

zerstören?<br />

MInogue: In jedem Fall zerstört er jedwede Leidenschaft<br />

– und vielleicht auch die Karriere.<br />

2005<br />

MInogue: Das Jahr, in dem ich erfahren musste,<br />

dass ich Brustkrebs habe. Nicht das leichteste Jahr,<br />

wie Sie sich sicher vorstellen können.<br />

IntervIew: Vor allem für eine Frau, die so körperbetont<br />

auftritt wie Sie.<br />

MInogue: Die Krankheit ist für alle Frauen gleich<br />

schlimm. Sie steckt so tief in einem drin, im Körper,<br />

in der Weiblichkeit. Ich musste mir mein Selbstbewusstsein<br />

danach wieder sehr hart erarbeiten.<br />

2006<br />

IntervIew: Trotz der Erkrankung standen Sie zwölf<br />

Monate später wieder auf der Bühne.<br />

MInogue: Wenn ich mir das heute überlege, verstehe<br />

ich nicht, wie ich die Homecoming­Tour durchstehen<br />

konnte. Damals befahl mein Körper jedoch, es zu<br />

tun. Es war meine Bestimmung.<br />

IntervIew: Gehen Sie regelmäßig zur Vorsorge?<br />

MInogue: Selbstverständlich.<br />

2007<br />

IntervIew: Im Hafen von Melbourne wird eine Kylie<br />

aus Bronze errichtet, bei Madame Tussauds wird fei­<br />

Foto: Copyright Darenote<br />

erlich die vierte Kylie aus Wachs eingeweiht. Die einzige<br />

Person, von der es bis dato mehr Figuren aus<br />

Wachs gibt, ist Ihre Majestät, die Queen.<br />

Minogue: Und darauf bin ich sehr stolz.<br />

2008<br />

interview: Die Queen verleiht Ihnen den OBE, einen<br />

Orden für Ihre Dienste an der Musik.<br />

Minogue: Ja. Sie dürfen mich gerne Offizier Kylie<br />

nennen.<br />

interview: Glauben Sie an das englische Klassensystem?<br />

Minogue: Glauben ist vielleicht ein wenig hoch angesetzt.<br />

interview: Zumal Sie Australierin sind.<br />

Minogue: Richtig.<br />

interview: Dennoch wählten die Engländer Sie 2010<br />

zur wichtigsten Berühmtheit Großbritanniens.<br />

Minogue: Ja. Aber Großbritannien und Australien<br />

stehen sich auch sehr nahe. Da fällt mir gerade noch<br />

etwas zum Klassensystem ein: Grundsätzlich halte ich<br />

nichts davon. Aber ich liebe Downton Abbey. Die Serie<br />

ist fantastisch – ohne Klassensystem undenkbar.<br />

2009<br />

interview: Nach über 20 Jahren im Popgeschäft<br />

tourten Sie erstmals in Amerika. Warum haben Sie<br />

sich so lange damit Zeit gelassen?<br />

Minogue: Weil meine Shows so groß und so teuer<br />

geworden sind über die Jahre, dass es sich für die verhältnismäßig<br />

wenigen Kylie-Fans in Amerika nicht<br />

wirklich gelohnt hätte, mit der ganzen Produktion<br />

“Wie eine Frischzellenkur”<br />

anzureisen. 2008 haben wir es dennoch gemacht –<br />

und es war fantastisch.<br />

interview: Lesen Sie eigentlich, was in Blogs über<br />

Sie geschrieben wird?<br />

Minogue: Ich kann nicht anders.<br />

interview: 2009 tauchte nämlich erstmals auf, Sie<br />

hätten einen Bum-Lift, eine Po-Korrektur, machen<br />

lassen.<br />

Minogue: Das habe ich auch gelesen. Ich wusste gar<br />

nicht, dass es so etwas gibt.<br />

interview: Und?<br />

Minogue: Man braucht heute eigentlich für nichts<br />

mehr das Skalpell. Schönheitseingriffe im rechten<br />

Maße finde ich generell auch okay. Aber den Po?<br />

NEIN!<br />

2010<br />

interview: Das Jahr, in dem Sie durch Ihr achtes Album<br />

zur Aphrodite wurden.<br />

Minogue: Die Göttin der Liebe, eine tolle Frau ...<br />

interview: ... die ständig ihren Mann betrogen hat –<br />

mit anderen Göttern, sogar mit Normalsterblichen.<br />

Minogue: Diese Hexe! Ich verspreche, mich zu benehmen.<br />

interview: Aphrodites Eitelkeit war zudem schuld,<br />

dass 40 Jahre lang der Trojanische Krieg wütete.<br />

Minogue: Um eine tolle Frau lohnt es sich eben zu<br />

kämpfen.<br />

2011<br />

interview: Leos Carax bittet Sie, in seinem Film<br />

Holy Motors mitzuspielen. Später wird er sagen, Sie<br />

115<br />

seien der „Engel gewesen, den er brauchte“. Wie kam<br />

es zu dieser Zusammenarbeit?<br />

Minogue: Unsere gemeinsame Freundin Claire Denis<br />

schlug mich vor. Und die Zusammenarbeit war<br />

außergewöhnlich. Es fühlte sich gut an, wieder vor<br />

der Kamera zu stehen. Wie eine Frischzellenkur.<br />

interview: Haben Sie deswegen gleich noch die Rolle<br />

in Jack and Diane angenommen?<br />

Minogue: Vielleicht unterbewusst. Aber mein Part<br />

als Tara ist sehr klein. Wenn Sie nicht ganz genau aufpassen,<br />

übersehen Sie mich.<br />

interview: Das glaube ich nicht. Immerhin hat Tara<br />

ein Tête-à-Tête mit einem Teenagermädchen.<br />

Minogue: Mein ganzes Leben ist ein Tête-à-Tête.<br />

2012<br />

interview: 2012 heißt im internen Sprachgebrauch<br />

bei Ihnen nur K25.<br />

Minogue: 25 Jahre Kylie Minogue im Popgeschäft.<br />

Das feiern wir mit den Abbey Road Sessions, einem<br />

Best-of-Album mit Orchesterbegleitung, aufgenommen,<br />

wie der Name schon suggeriert, in den ehrwürdigen<br />

Abbey Road Studios. Nächstes Jahr wird es<br />

dann eine ganz neue Kylie geben. Sie dürfen gespannt<br />

sein!<br />

interview: Hätte Sie gedacht, dass Sie 25 Jahre in<br />

diesem Geschäft durchhalten?<br />

Minogue: Niemals.<br />

Das albuM The Abbey RoAd SeSSionS<br />

von Kylie Minogue ist geraDe erschienen


Ick owens<br />

& keMbrA PFAhLer<br />

Fotos<br />

zoË ghertner<br />

stYLIng<br />

MeL ottenberg<br />

116<br />

Mode & schMuck<br />

rIck owens<br />

herbst/wInter 2012/2013


Er ist dEr mEistEr dEs Luxus-Goth,<br />

siE ist EinE wirkLich EiGEnartiGE und<br />

GrossartiGE PErformancE-künstLErin:<br />

dEr modEdEsiGnEr rick owEns und<br />

kEmbrA PfAhLEr sPrEchEn übEr dEn<br />

GartEn von cLaudE monEt, das<br />

modEvErständnis von basquiat und<br />

divErsE sExuaLPraktikEn<br />

Porträt<br />

dusAn rELjin<br />

Sein Label ist vergleichsweise klein, seine Vision dunkel,<br />

sinnlich, postapokalyptisch, aber perfekt geschnitten<br />

und aus feinstem Leder oder Nerz. Rick Owens<br />

ist einer der meistkopierten Designer dieser Tage.<br />

Seine Furchtlosigkeit ist legendär, insofern ist Kembra<br />

Pfahler, eine alte Freundin, die perfekte Gesprächspartnerin<br />

für ihn.<br />

rick owEns: Oh, Gott. Wir skypen!<br />

kEmbra PfahLEr: Fühlt sich komisch an.<br />

owEns: Generation Technik!<br />

PfahLEr: Kannst du meine Wohnung sehen?<br />

owEns: Ja.<br />

PfahLEr: Leider ein totales Chaos. Ich hatte eine<br />

Augen entzündung. Ich glaube vom Analverkehr.<br />

owEns: Kriegt man davon eine Augenentzündung?<br />

PfahLEr: Keine Ahnung. Ich hatte echt lange Sex.<br />

Eine Stunde oder so …<br />

owEns: Wieso denn so lang? Warst du auf Crystal<br />

Meth?<br />

PfahLEr: Weiß ich gar nicht. Ich war jedenfalls echt<br />

stolz auf mich und fühlte mich sehr hart im Nehmen.<br />

60 Minuten!<br />

owEns: Mit dem Typen, von dem du schon mal erzählt<br />

hast?<br />

PfahLEr: Ja, das ist der Einzige, mit dem ich Sex<br />

habe …<br />

owEns: Wir nehmen das Gespräch auf, besser keinen<br />

Namen nennen!<br />

PfahLEr: Schon okay. Er heißt Ben.<br />

owEns: Das ist ja immer noch anonym genug.<br />

PfahLEr: Wir hatten uns lange nicht gesehen und<br />

sind dann in diesen Extremsport reingeraten. Ich<br />

habe es noch nie länger als zehn Minuten ausgehalten.<br />

owEns: Mir ist nicht ganz klar …<br />

PfahLEr: … in der passiven Rolle, meine ich!<br />

owEns: Ich habe nie verstanden, warum heterosexuelle<br />

Paare Analverkehr haben. Wenn ich die Wahl<br />

habe zwischen einem Hintern und einer Muschi,<br />

wähle ich die Muschi. Sie massiert dich viel besser.<br />

Jungs mit Muschi im Hintern, das wäre toll.<br />

PfahLEr: Frauen können vaginale Orgasmen haben.<br />

Extrem angenehm. Ich habe allerdings lange gebraucht,<br />

rauszubekommen, wie es funktioniert.<br />

owEns: Wahrscheinlich können nicht alle Frauen …<br />

PfahLEr: Ich kann Analorgasmen haben. Du auch.<br />

owEns: Ich kann mir vorstellen, dass man einen<br />

Anal... Also ich habe jedenfalls mal einen Typen gesehen,<br />

der gekommen ist, ohne sich zu berühren.<br />

PfahLEr: Na ja, das ist die alte Geschichte mit der<br />

Reibung. Aber ich habe für mich entdeckt, wie sehr<br />

ich den weiblichen Analorgasmus liebe. Das ist wie<br />

ein sehr glamouröser Kurzurlaub. Die ganze Rückseite<br />

deines Körpers öffnet sich. Dein hinteres Chakra.<br />

owEns: Sehr interessant. Ich hatte immer angenommen,<br />

bei heterosexuellem Analverkehr ginge es um<br />

Unterwerfung und Dominanz, also um Psychologie.<br />

PfahLEr: Oder um Schmerz. Der Mann, der die Frau<br />

118<br />

verletzt und ihr alles wegnimmt. In Wirklichkeit aber<br />

geht es um Orgasmen.<br />

owEns: Aber dich interessiert das stärker als die<br />

meisten Frauen. Du warst da immer offen.<br />

PfahLEr: Ich wollte einfach wissen, was die ganzen<br />

schwulen Männer daran so toll finden. Ich werde<br />

noch ein bisschen weiterforschen.<br />

owEns: Das finde ich sehr gut.<br />

PfahLEr: Aber in Maßen. Schließlich habe ich auch<br />

noch meine Kunst. Im Oktober habe ich wegen Halloween<br />

wahnsinnig viel zu tun. Die ganzen Shows. Ich<br />

trage kein Make­up, aber tu einfach so, als ob.<br />

owEns: Ganz ehrlich: Du siehst fantastisch aus.<br />

PfahLEr: Echt?<br />

owEns: Wir sind beide 50 Jahre alt, oder?<br />

PfahLEr: Ich bin 51.<br />

owEns: Ich werde im November 51. Für unser Alter<br />

sehen wir beide gut aus, finde ich.<br />

PfahLEr: Total. Du siehst großartig aus.<br />

owEns: Und du bist super fuckable. Buttfuckable (lacht).<br />

Wie lange kennen wir uns? Eigentlich gar nicht so<br />

lang. Vielleicht zehn oder zwölf Jahre …<br />

PfahLEr: Ryan Robin hat uns in den 90ern vorgestellt.<br />

Das war in einem Goth­Club, in dem ich aufgetreten<br />

bin. Ich balancierte auf Bowlingkugeln und<br />

sang Lieder von Celine Dion. Ich war ganz allein,<br />

hatte meine Band nicht dabei, und Ryan sagte: „Hier<br />

ist jemand Wichtiges, den du treffen musst.“<br />

owEns: Ich erinnere mich noch genau, wie du vor<br />

dem Club auf einem Sportwagen getanzt hast. Das<br />

Auto war rot mit einem weißen Streifen, und du warst<br />

blau angemalt. Und komplett nackt. Du hast einfach<br />

immer genau das Richtige gemacht. Und du bist immer<br />

auf den Punkt, was Grafik betrifft. Du auf dem<br />

Auto, das war wirklich ein schöner Anblick.<br />

PfahLEr: Ich habe das Gefühl, ich bin eher eine<br />

Extrem dekorateurin als eine Künstlerin. Ich habe<br />

mehr gemeinsam mit Martha Stewart als mit …<br />

owEns: Marina Abramovic?<br />

PfahLEr: Genau. Ich bin keine große Theoretikerin.<br />

Natürlich habe ich ein paar Alltagsphilosophien, aber<br />

kein theoretisches Konstrukt, das meiner Kunst zugrunde<br />

liegt. Ich will nur etwas Schönes erschaffen.<br />

owEns: Glaubst du, dass deine Arbeit die Schönheit<br />

feiert? Das sehe ich jedenfalls darin.<br />

PfahLEr: Vor allem macht sie einen Wahnsinnsspaß.<br />

Aber so wird es dir mit deiner tollen Mode ja auch<br />

gehen. Ich fand deine Inszenierung mit dem Schaum<br />

groß artig. Diese Ecstasy­Ibiza­Kulisse, die wie Schnee<br />

aussah!<br />

owEns: Schaum ist ein viel zu selten eingesetztes<br />

Material.<br />

PfahLEr: Absolut. Das sah so gut aus. Der Schaum<br />

hätte eine Metapher für so viele Dinge sein können!<br />

Um auf deine Frage zurückzukommen: Ich komme<br />

aus Los Angeles und bin deshalb ohne echte, mythologische<br />

Schönheit aufgewachsen. Klar haben wir den<br />

Ozean und die Berge. Aber eigentlich bestand mein<br />

Leben darin, am Sonntag zu McDonald’s zu gehen<br />

und am Dienstag zu Taco Bell. Und Kleider musste<br />

ich mir bei Sears kaufen. Ich habe mich nach einem<br />

Leben gesehnt, das reicher an Schönheit ist. Das hätte<br />

ich vielleicht auch in Los Angeles haben können, aber<br />

ich musste meinen eigenen Weg finden.<br />

owEns: Hast du eigentlich studiert?<br />

PfahLEr: 1987 war ich an der School of Visual Arts in<br />

New York. Ich war erst 17, und meine Mitschüler hießen<br />

Keith Haring und Jean­Michel Basquiat … Moment,<br />

ich muss mal eben ans Telefon … (wimmelt die<br />

Anruferin ab) … Das war die Frau, die das Vaginabild<br />

von mir verkauft hat, da musste ich rangehen.<br />

Owens: Das ist schon ein bisschen her, oder?<br />

Pfahler: Ja, aber wir haben gestern telefoniert, es<br />

ging um was ganz anderes. – Also, ich habe ungefähr<br />

zwei Jahre an der SVA studiert und die Jungs, der<br />

Künstler Tom Sachs war auch dabei, waren ein paar<br />

Jahre über mir. Die waren schon ein bisschen berühmt<br />

und haben mich immer wegen meines California-Punk-Looks<br />

aufgezogen. Der war damals noch<br />

nicht so angesagt. Ich war nur fünf Jahre jünger als<br />

die, aber es fühlte sich an wie 20 Jahre.<br />

Owens: Wie sah dein Look denn genau aus?<br />

Pfahler: Krankenhauskittel, falsch rum getragen<br />

und sehr kurz abgeschnitten. Krasses Augen-Make-up<br />

und, äh, eigentlich insgesamt sehr wenig Kleidung.<br />

Die standen damals auf den Cocktailkleider-Look aus<br />

den 50ern. Die mochten es ein bisschen kultivierter,<br />

und mein Look machte es allen etwas zu leicht. Ein<br />

echtes beach girl eben.<br />

Owens: Warst du blond damals?<br />

Pfahler: Nein. Ich hatte schwarze Haare.<br />

Owens: Wann hast du angefangen, sie zu färben?<br />

Pfahler: In der Schule. An der Santa Monica High<br />

School. Eine meiner Lehrerinnen war Mary Heilmann,<br />

eine wunderbare Künstlerin. Jahre später waren<br />

wir auf der gleichen Whitney Biennial vertreten.<br />

Mit dieser Frau, für die ich mal gearbeitet habe!<br />

Owens: Du hattest also auch eine Verbindung zu der<br />

akademischen Kunstwelt. Du stellst deine Arbeit dar,<br />

als sei sie sehr ausgedacht und selbst gemacht, aber<br />

tatsächlich ist sie sehr durchdacht.<br />

Pfahler: Ich bin auf eigene Faust nach Deutschland,<br />

Wien und Italien gefahren, weil unsere Kunstgeschichtskurse<br />

so langweilig waren.<br />

Owens: Immer nur Theorie, das hat mich auch<br />

wahnsinnig gemacht. Alles musste abstrahiert werden,<br />

bevor irgendeiner die Basis verstanden hatte.<br />

Pfahler: Es gibt eine Phase in der Geschichte der<br />

Menschheit, die so rasant ist wie eine Achterbahnfahrt<br />

in Disneyland. Kurz nach der industriellen Revolution<br />

wurde die Filmkamera erfunden und die<br />

Elektrizität. Und es war toll, das alles zu lernen, indem<br />

ich mir die Kunst anschaute, die damals produziert<br />

wurde. In Wien zum Beispiel …<br />

Owens: Ich war noch nie in Wien. Verrückt, oder?<br />

Hole ich nach, versprochen.<br />

Pfahler: Wahrscheinlich wirst du es lieben.<br />

Owens: Ich liebe die Architektur von Joseph Hoffmann.<br />

Und Klimt.<br />

Pfahler: Oh, Gott. Ich liebe den Klimt-Look.<br />

Owens: Die Models in meiner letzten Show hatten<br />

Klimt-Haare.<br />

Pfahler: Total.<br />

Owens: Und auch bei den Schnitten habe ich überlegt,<br />

wie ich Klimt-Kleider machen kann, die trotzdem<br />

absolut modern aussehen. Zu diesem <strong>Interview</strong><br />

werden die Bilder gezeigt, die du mit deiner Freundin<br />

Zoë und der Hole Gallery gemacht hast, im Garten<br />

von Giverny. Ich habe schon wieder vergessen, ob<br />

man das Gi-verny oder Dschi-verny ausspricht?<br />

Pfahler: Ich glaube Gi-verny. Das ist der Garten von<br />

Claude Monet. Er hatte sich dieses kleine Grundstück<br />

außerhalb von Paris gekauft und drehte in seinem<br />

Garten durch. Er ließ sich Blumen und Tiere aus der<br />

ganzen Welt schicken und behandelte seine Pflanzen<br />

wie Skulpturen. Er hatte im Garten eine japanische<br />

Brücke, den Seerosenteich, dessen reflektierende<br />

Ober fläche auf seinen berühmtesten Bildern zu sehen<br />

ist. Evie Day, eine Freundin von mir, hatte mich dorthin<br />

eingeladen, und in Giverny lernte ich den Impressionismus<br />

kennen. Evie sollte in Giverny für die Versailles<br />

Foundation eine Arbeit realisieren und sie<br />

„das autO war<br />

rOt Mit eineM<br />

weissen streifen,<br />

und du warst<br />

blau anGeMalt<br />

und nacKt.<br />

ein schöner<br />

anblicK”<br />

sagte: „Kembra würde sehr gut hierherpassen.“ Sie<br />

interessierte der Gegensatz zwischen dem Garten und<br />

einer Anti-Natur-Person wie mir.<br />

Owens: Die Fotos sind unglaublich. Diese schwarze<br />

Figur auf der Brücke in Monets Garten, das ist einfach<br />

perfekt. Du trägst Pink. Oder bist du blau?<br />

Pfahler: Drei verschiedene Schattierungen von Rot<br />

und Pink. Wir haben drei verschiedene Motive mit<br />

einer seltsamen orange-tomatigen Farbe gemacht.<br />

Owens: Du siehst sehr gut darauf aus.<br />

Pfahler: Die Foundation hatte erst mal Bedenken,<br />

weil ich nackt sein würde. Aber nackt ist man, wenn<br />

man die Beine spreizt und seine Vagina zeigt. In<br />

Giverny allerdings war ich angemalt, das milderte die<br />

Nacktheit ab. Die Gärtner waren total glücklich, mich<br />

zu sehen, und wollten Fotos machen. Am Ende waren<br />

sogar die Leute von der Foundation beruhigt.<br />

Owens: Weil sie zugeben mussten, dass das Resultat<br />

wunderschön ist.<br />

Pfahler: Ja, Evie ist eine echte Künstlerin. Wer hätte<br />

gedacht, dass ich mich jemals für den Impressionismus<br />

interessieren könnte? Sie hat mir erklärt, wie<br />

Monet die Spiegelungen im Wasser zu jeder Tageszeit<br />

und bei jedem Wetter beobachtet hat. Monets Art, die<br />

Welt zu betrachten, war so … impressionistisch! Mit<br />

dem Begriff haben ihn seine Kollegen verspottet –<br />

und er hat ihn einfach angenommen.<br />

Owens: Was ich selbst bei meiner Arbeit versuche<br />

und was ich an dir so schätze: Du betrachtest dich immer<br />

wieder aus einem anderen Blickwinkel und entdeckst<br />

neue Dinge innerhalb der von dir geschaffenen<br />

Welt. Deine letzte Performance in Watermill war<br />

wunderschön. Und etwas total Neues.<br />

Pfahler: Sehr viele Schwänze. Überall. Das gab es<br />

noch nie bei mir. Alle waren total perplex und meinten:<br />

„Was soll das denn jetzt? Du bist doch für Vaginas<br />

zuständig!“ Wie du weißt, haben wir das Future<br />

Feminism Movement ins Leben gerufen. Mein Ziel<br />

ist es, gerade als Feministin total pro Penis zu sein.<br />

Owens: Wie aufmerksam und höflich von dir!<br />

Pfahler: Außerdem besteht meine Band zur Hälfte<br />

aus Jungs. Und die Hälfte meiner Kooperationspartner<br />

sind Männer. Es fühlte sich einfach unfair an,<br />

wenn ich mich nur um Vaginas kümmere.<br />

Owens: Du lädst die Männer ein mitzumachen?<br />

Pfahler: Die Leute waren sehr glücklich, diesen riesigen<br />

Schwanz auf der Bühne zu sehen. Der war so<br />

119<br />

groß, dass er eher wie das Raumschiff von Aliens aussah.<br />

Meine neueste Show heißt Fuck Island …<br />

Owens: Worum geht’s da eigentlich?<br />

Pfahler: Um Schwänze. Ein Element ist ein großer<br />

Schwanz auf einer achteckigen Bühne. Hast du mal<br />

Bilder aus dem Schwarzwald in Deutschland gesehen,<br />

von der Walpurgisnacht? Da tanzen Hexen um ein<br />

großes Feuer, das eigentlich ein Phallussymbol ist. Ich<br />

wollte da immer mal hingehen, aber das Publikum besteht<br />

aus unheimlichen, religiösen Typen – da habe<br />

ich keine Lust drauf. Aber um noch mal auf die Bilder<br />

mit Evie in Giverny zurückzukommen: Das war eine<br />

meiner Lieblingsarbeiten. Ich wollte unbedingt, dass<br />

du Teil dieses Projekts bist, weil dieser impressionistische<br />

Garten so großmütterlich und lieb ist, dass ich<br />

den Kontrast mit deiner Mode wollte. Die sehen toll<br />

aus in dieser Umgebung, oder?<br />

Owens: Hm.<br />

Pfahler: Wie Außerirdische in einem audiovisuellen<br />

Garten.<br />

Owens: Weißt du schon, was als Nächstes kommt?<br />

Pfahler: Ich kümmere mich weiter um den Future<br />

Feminism, die unbeliebteste Bewegung aller Zeiten.<br />

Owens: Die klingt doch ganz reizvoll …<br />

Pfahler: Die Leute in den USA, vor allem in New<br />

York, haben eine Riesenangst, ihrer eigenen Karriere<br />

zu schaden. Oder ihren Aussichten, noch mehr Geld<br />

zu verdienen. Sich mit etwas so Haarigem, Leidenschaftlichem<br />

und 70er-Jahre-haftem wie Feminismus<br />

gemein zu machen, löst bei ihnen die Angst aus, dass<br />

keiner ihnen mehr einen Job geben oder mit ihnen<br />

Sex haben will.<br />

Owens: Ich wäre sehr gern einer der Feministen in<br />

deiner Bewegung. Kann ich irgendwo unterschreiben?<br />

Pfahler: Du hast mich ohnehin schon wahnsinnig<br />

unterstützt. Nicht sehr viele Menschen stehen voll<br />

und ganz hinter The Voluptuous Horror Of Karen<br />

Black. Vielleicht insgesamt vier.<br />

Owens: Ein paar mehr sind es schon, glaube ich.<br />

Und ich bin dabei, weil du jeden einzelnen Tag die<br />

Schönheit feierst.<br />

Pfahler: Wir haben neulich auch mal wieder mit<br />

dem Playboy gearbeitet. Komisch, oder?<br />

Owens: Ihr habt ja auch eine lange gemeinsame Geschichte.<br />

Diese eine Figur von dir mit den hohen Stiefeln<br />

war doch ursprünglich aus dem Playboy.<br />

Pfahler: Der Femlin, richtig. Eine Kombination aus<br />

Wednesday und Morticia Adams, Elvira, Vampiria –<br />

eine Ode an alle dunkelhaarigen Frauen. In der Playboy-Produktion<br />

bin ich so eine Art Mötley-Crüe-<br />

Model, nackt auf dem Pooltisch und mit diesen klassischen<br />

Posen. Die werden demnächst veröffentlicht.<br />

Owens: Toll. Dann kann ich sie ja endlich sehen. Ich<br />

glaube, insgeheim wollen wir alle Karen-Black-Mädchen<br />

sein. Ich jedenfalls.<br />

Pfahler: Sehr gern. Jeder darf mitmachen. Aber das<br />

Outfit ist nicht ganz leicht zu tragen. Nicht so wie bei<br />

deiner Kleidung, die man einfach anzieht, und alles ist<br />

perfekt und passt.<br />

Owens: Ich will jetzt etwas Rotes entwerfen. Ich<br />

sehe dich gerade vor einem roten Hintergrund.<br />

Pfahler: Das ist Ziegelrot. Das ganze Haus ist ziegelrot.<br />

Owens: Wieso „Ziegelrot“?<br />

Pfahler: Das nennt man einfach so. Das ist … (Stille)<br />

Owens: Oh. Ich glaube, du bist weg.<br />

stylist assistant lauren snyder<br />

Model KeMbra Pfahler<br />

(the vOluPtuOus hOrrOr Of Karen blacK)<br />

location the hOle Gallery,<br />

shOt durinG KeMbra’s exhibitiOn


Jessica S.<br />

Fotos<br />

steven PAn<br />

styling<br />

kAren kAiser<br />

122<br />

diese seite:<br />

Mantel<br />

viktor & rolF<br />

toP<br />

dries vAn noten<br />

rollkragenPUllover<br />

MiU MiU<br />

kragen<br />

eleven objects<br />

oHrringe<br />

dior<br />

recHte seite:<br />

jacke<br />

bAlenciAgA by<br />

nicolAs gHesqUière<br />

kragen<br />

eleven objects<br />

Hose<br />

céline<br />

scHUHe<br />

bAlly<br />

oHrringe<br />

dAvid yUrMAn


linke SeiTe:<br />

Top<br />

givenchy by<br />

riccArdo TiSci<br />

rock & hoSe<br />

louiS vuiTTon<br />

kragen (SpezialanferTigung)<br />

hwA c pArk STudio<br />

Schuhe<br />

prAdA<br />

ring<br />

de beerS<br />

ohrringe<br />

vAn cleef & ArpelS<br />

dieSe SeiTe:<br />

Top<br />

boTTegA veneTA<br />

hoSe<br />

giorgio ArmAni<br />

rollkragenpullover<br />

miu miu<br />

kragen<br />

eleven objecTS<br />

uhr<br />

dior<br />

ring miT Schwarzen und<br />

weiSSen diamanTen<br />

cArrerA y carrerA<br />

ring miT<br />

verSchiedenen edelSTeinen<br />

dAvid yurmAn<br />

125


photographer sTeven pan/managemenT+arTisTs<br />

hair riTa marmor/sTreeTers<br />

make-up kaoru okubo/managemenT+arTisTs<br />

manicure gina viviano/<br />

arTisTs by TimoThy priano<br />

props roberT sumrell<br />

model jessica sTam/img<br />

photo assistants paul park, Trevor smiTh<br />

stylist assistant julia chu<br />

casting piergiorgio del moro/sTreeTers<br />

production sTacee roberT/<br />

managemenT+arTisTs<br />

126<br />

diese seiTe:<br />

kleid<br />

dolce & gAbbAnA<br />

kragen<br />

(spezialanferTigung)<br />

hwA c pArk sTudio<br />

ohrringe<br />

r.j. graziano<br />

ringe & broschen<br />

vAn cleef & Arpels<br />

rechTe seiTe:<br />

manTel, uhr,<br />

ohrringe & ringe<br />

chAnel<br />

hose<br />

bAlmAin<br />

kragen & schuhe<br />

miu miu<br />

kragen miT pailleTTen<br />

eleven objecTs


Heike<br />

MakatscH<br />

von<br />

LeyLA PiedAyesh<br />

fotos<br />

giAmPAoLo sgurA<br />

styLing<br />

kLAus stockhAusen<br />

Ja, heike makatsch ist ein star,<br />

so modern, unaufgeregt<br />

und erfoLgreich, wie sich<br />

deutschLand heute gerne sieht.<br />

sie dreht fiLme, sPieLt theater,<br />

ist gefragte werbebotschafterin.<br />

aber wer redet schon gerne<br />

über die arbeit? aLso unterhieLten<br />

sich heike mAkAtsch und ihre<br />

freundin LeyLa Piedayesh Lieber<br />

über buffaLo boots, knutschende<br />

Paare und die sehnsucht<br />

nach einer Zigarette<br />

kLeid<br />

emiLio Pucci


LeyLa Piedayesh: Heike, wie geht es dir? Wir sehen<br />

uns ja kaum noch. Was hast du in der letzten Zeit gemacht?<br />

heike Makatsch: Im Moment ist es bei mir gerade<br />

ziemlich viel. Seit drei Wochen lebe ich in so einem<br />

ausgeklügelten System, auf das ich ziemlich stolz bin:<br />

morgens alle anziehen, dann die Kinder mit dem<br />

Fahrrad zur Kita bringen, anschließend das Fahrrad<br />

wechseln, dann damit zum Bahnhof …<br />

Piedayesh: Mit dem Rad? Also dazu wäre ich zu faul,<br />

ich würde ein Taxi nehmen.<br />

Makatsch: Das denkst du, aber dann steckst du eine<br />

halbe Stunde im Stau. Sonst würde ich natürlich auch<br />

ein Taxi nehmen, aber das funktioniert nicht. Also<br />

holpere ich mit dem Rad über all die Baustellen, die<br />

auch mit dem Rad kaum zu bewältigen sind, sitze<br />

dann um zehn vor neun im Zug, fahre nach Leipzig,<br />

mache meine Faust-Proben …<br />

Piedayesh: Um zehn vor neun? Sag mal, wann stehst<br />

du denn da auf? Um halb sieben?<br />

Makatsch: So ungefähr.<br />

Piedayesh: Zwei Kinder anzuziehen ist nämlich<br />

überhaupt nicht so einfach.<br />

Makatsch: Nein, das ist nicht so einfach. Und sie<br />

dann auch noch wohlbehütet abzugeben und so zu<br />

tun, als wäre man überhaupt nicht gestresst. Jedenfalls<br />

probe ich dann in Leipzig vier, fünf Stunden und nehme<br />

kurz vor drei den Zug zurück. Um vier bin ich<br />

dann wieder in Berlin und hole die Kinder ab. Danach<br />

hab ich manchmal noch ein paar kleinere Termine.<br />

Das mache ich jeden Tag. Und zweimal die Woche<br />

werde ich vom Bahnhof abgeholt und habe noch einen<br />

halben Drehtag …<br />

Piedayesh: In Leipzig?<br />

Makatsch: Nein, in Berlin. Ich drehe doch diesen<br />

Film mit Dieter <strong>Halle</strong>rvorden. Ach ja, und dann hatte<br />

ich in Leipzig noch die Wiederaufnahme von Krieg<br />

und Frieden, dieser 6-Stunden-Inszenierung. So sieht<br />

das Leben bei mir im Moment aus. Und bei dir?<br />

Piedayesh: Ich war gerade in Paris.<br />

Makatsch: Wie war’s?<br />

Piedayesh: Ach, Paris ist natürlich immer wieder<br />

schön. Aber mir ist da wieder aufgefallen, in was für<br />

einer uniformierten Zeit wir eigentlich leben. Du<br />

läufst durch die Straßen, und alle sehen gleich aus. Es<br />

gibt ungefähr sieben Modeketten, bei denen alle kaufen,<br />

also sehen auch alle Leute gleich aus. Das ist ein<br />

bisschen traurig.<br />

Makatsch: Aber bei uns sehen doch auch alle gleich<br />

aus. Vielleicht liegt es nur an der Blase, in der ich im<br />

Berliner Osten lebe, aber ich finde, dass die Mädchen<br />

hier schon alle so aussehen wie kleine Ladys. Es gibt<br />

auch kaum noch subkulturelle Strömungen. Es gibt<br />

keine Ökos, keine Mods, keine Punks, keine Gruftis,<br />

ich meine, die gibt es vielleicht noch, aber die haben<br />

keine Bedeutung mehr. Alle sehen aus wie Mango und<br />

H&M.<br />

Piedayesh: Was hast du denn getragen, als du jung<br />

warst?<br />

Makatsch: Gute Frage. Ich habe verschiedene Phasen<br />

durchgemacht. Eine Zeit lang war ich Mod, weil<br />

ich so von der Musik der 60er geprägt war. Ich hatte<br />

diese Miniröcke an, Lidstriche, spitze Schuhe …<br />

Piedayesh: So ein richtiges Mod-Mädchen warst du?<br />

Makatsch: Ja.<br />

Piedayesh: Süß. Hast du auch einen Parka angehabt,<br />

einen mit Kapuze?<br />

Makatsch: Ja, und dann hing ich auf einer Vespa<br />

drauf.<br />

Piedayesh: Und Paul Weller hast du gehört?!<br />

Makatsch: Ja, Paul Weller auch.<br />

„Wenn Man in<br />

PrenzLauer berg<br />

heruMLäuft,<br />

sieht Man vor<br />

aLLeM gestresste<br />

eLtern Mit<br />

ihren kindern.<br />

die koMMen<br />

nicht Mehr zuM<br />

knutschen”<br />

kleid<br />

gucci 131<br />

Piedayesh: Klar, was sonst? Und was kam nach der<br />

Mod-Phase?<br />

Makatsch: Weil meine erste große Liebe so aussah<br />

wie Axl Rose, ging es dann ein wenig in die Guns-N’-<br />

Roses-Richtung. Das heißt: viele Tücher und Ketten,<br />

so ein bisschen Sleaze-Rock-mäßig – oh Gott, oh<br />

Gott, oh Gott!<br />

Piedayesh: Und dann?<br />

Makatsch: Dann wurde ich erwachsen. Obwohl die<br />

Leute ja behaupten, dass ich ein Girlie gewesen sei.<br />

Piedayesh: Du warst das Vorzeige-Girlie, mit T-<br />

Shirts und engen Jeans …<br />

Makatsch: Ja, T-Shirts mit Aufdruck …<br />

Piedayesh: Die T-Shirts waren auch ein bisschen<br />

bauchfrei und relativ eng und hatten die Rolling-<br />

Stones-Zunge drauf.<br />

Makatsch: Zum Beispiel. Aber das haben damals<br />

doch alle getragen, oder?<br />

Piedayesh: Je nachdem, was für eine Figur die hatten,<br />

haben die das getragen, ja.<br />

Makatsch: Und was warst du?<br />

Piedayesh: Ich war Popper.<br />

Makatsch: Deswegen auch die Bundfaltenhosen.<br />

Piedayesh: Ja, ich war schon immer gern schnieke<br />

angezogen. Ich hatte Jetset-Sweatshirts an und Pullover,<br />

die man sich um den Arsch gebunden hat.<br />

Makatsch: Ich dachte, die hat man sich über die<br />

Schulter gebunden?<br />

Piedayesh: Das haben die Spießer gemacht. Ich habe<br />

sie lieber um den Arsch getragen, ist ja klar. Und dann<br />

ging ich über in dieses Baggy-Dasein mit Vans und<br />

solchen Sachen. Und als junges, kleines Mädchen hatte<br />

ich Sachen von Esprit an.<br />

Makatsch: Das hatte ich auch. Mit zwölf etwa.<br />

Piedayesh: Wobei, mit zwölf kam ja schon Nena mit<br />

ihren Miniröcken aus Sweatshirt-Stoff.<br />

Makatsch: Du meinst diese Stufen-Miniröcke?<br />

Piedayesh: Genau! Nena war übrigens mein erstes<br />

Konzert.<br />

Makatsch: Mein erstes war Shakin’ Stevens.<br />

Piedayesh: Nein!<br />

Makatsch: Doch! Da bin ich mit meiner Mutter gewesen,<br />

da war ich erst neun. Vor Aufregung bin ich<br />

beinah in Ohnmacht gefallen und hatte solche Bauchschmerzen,<br />

dass ich mich auf eine Bank legen musste,<br />

während Shakin’ Stevens vorne auf der Bühne gerockt<br />

hat oder wie man das nennen möchte. Das hat mich<br />

damals sehr geärgert. Und ich weiß heute noch, dass<br />

ich eine hellblaue Hose und ein hellblaues T-Shirt anhatte.<br />

Und dazu diese Schuhe von Buffalo, die an der<br />

Seite ein Zeichen hatten. Kennst du die?<br />

Piedayesh: Na klar kenne ich die. Ich bin in Wiesbaden<br />

aufgewachsen, von dort kommen Buffalo Boots<br />

doch her.<br />

Makatsch: Die waren wie Turnschuhe, halbhoch<br />

und mit diesem Zeichen an der Seite.<br />

Piedayesh: Die hatte ich in allen Farben.<br />

Makatsch: Ich auch! Die waren toll. Die sind immer<br />

noch toll.<br />

Piedayesh: Aber die sieht man nicht mehr.<br />

Makatsch: Die würde ich heute noch anziehen …<br />

Oh je, wenn die Leute das lesen, was wir hier reden,<br />

denken die, wir wären total oberflächliche Ziegen.<br />

Piedayesh: Nein, überhaupt nicht. Wir sind in den<br />

80ern aufgewachsen, und da war Fashion, ach, das<br />

war ja eigentlich gar keine Fashion, da war die<br />

Kleidung …<br />

Makatsch: … da war die Kleidung Teil der Identitätsfindung.<br />

Piedayesh: Da hat man sich auch das Geld zusammengespart,<br />

wenn man irgendetwas haben wollte.


“<br />

Nach Guns N’ Roses wurde<br />

ich erwachsen. Obwohl die Leute ja<br />

behaupten, dass ich ein Girlie war<br />

”<br />

kleid<br />

Tom Ford<br />

möbel<br />

FirmA loNdoN<br />

20Th CeNTUrY deSiGN


Makatsch: Absolut. Meine Tochter bekommt jetzt<br />

zwei Euro Taschengeld in der Woche. Neulich, als<br />

wir auf dem Flohmarkt waren, hatte sie ihr Geld dabei<br />

und ist zielstrebig auf ein altes Dirndl zugegangen,<br />

das sogar ihre Größe hatte. Das hat sie von zehn auf<br />

sechs Euro runtergehandelt, und das war das erste<br />

Stück, das sie sich selbst gekauft hat. Ich musste es ihr<br />

noch etwas ausbessern, und jetzt zieht sie es zu Hause<br />

immer voller Stolz an – ich hoffe, nur zu Hause.<br />

Piedayesh: Ach, nein, ich finde ein Dirndl auch draußen<br />

super. Mit einer Jeansjacke oder so …<br />

Makatsch: Aber damals war das, was man anhatte,<br />

auch immer wahnsinnig stark mit der Musik verquickt,<br />

die man gehört hat. Wahrscheinlich ist das<br />

heute immer noch so. Nur kann ich das nicht so genau<br />

sagen, ich bin da einfach raus.<br />

Piedayesh: Klar, das war mit der Musik verbunden.<br />

Ich war ja auch nicht nur äußerlich Popper.<br />

Makatsch: Du hast Wham! gehört?<br />

Piedayesh: Ja, Wham! und Kool & The Gang.<br />

Makatsch: Bei uns in Düsseldorf gab es damals so<br />

eine Bhagwan-Disco …<br />

Piedayesh: … die gab es bei uns auch.<br />

Makatsch: Man würde es nicht denken, weil sich<br />

Bhagwan ja so barfuß anhört, aber das war der Popper-Treff<br />

überhaupt. Bei euch auch?<br />

Piedayesh: Nein, bei uns war das ziemlich sektenmäßig.<br />

Ich weiß noch, wie ich da mit 15, 13 oder 14<br />

reingegangen bin und alle so rot gekleidet waren.<br />

Makatsch: Nein, bei uns war das anders. Da lief<br />

dann so The Look Of Love von ABC …<br />

Piedayesh: Herrlich. Und Illusion?<br />

Beide: (singen) „It’s just an illusion, ha, ha, ha, haha.“<br />

Piedayesh: Das höre ich heute immer noch gern,<br />

wenn es irgendwo läuft. Das Rockigste, was ich gehört<br />

habe, waren vielleicht die Rolling Stones.<br />

Makatsch: Meine größten Helden waren ja die<br />

Beat les und dann drumherum alles aus den 60ern:<br />

The Who, Kinks, Yardbirds. Und dann habe ich auch<br />

viel Punk gehört, Bands wie Hüsker Dü oder 999.<br />

Piedayesh: Bist du auch auf Konzerte gegangen?<br />

Makatsch: Ja, ich war dauernd auf Konzerten und<br />

überhaupt sehr nachtlebig unterwegs. Ich war zwar<br />

immer auf Kirschsaft, aber schon sehr früh in der<br />

Altstadt aus und mit 14, 15 auch im Ratinger Hof<br />

und so. Aber dann kamen die Guns N’ Roses, und es<br />

ging ein bisschen bergab. Ich weiß noch, wie ich mit<br />

meinem damaligen Freund, der so aussah wie Axl<br />

Rose, auf dem einzigen Guns-N’-Roses-Konzert in<br />

Mannheim war, bei der Use Your Illusion-Tour. Das<br />

war so 1990.<br />

Piedayesh: 1990 – ging es da nicht schon so langsam<br />

mit Elektro los?<br />

Makatsch: Ja, bei den anderen vielleicht, aber nicht<br />

bei mir.<br />

Piedayesh: 1990 hatte ich mir, glaube ich, gerade die<br />

Haare feuerrot gefärbt und mir noch mal Christiane F.<br />

durchgelesen.<br />

Makatsch: Ich hatte mir mit Crazy Colors die Haare<br />

so rot wie Paprikaschoten gefärbt.<br />

Piedayesh: Crazy Colors sind ja heutzutage auch<br />

wieder sehr beliebt.<br />

Makatsch: Ja, aber heute sind die Farben eher ausgewaschen,<br />

damals hatte man sie lieber kräftig und<br />

satt. Jedenfalls: Damals gab es viel Nachtleben.<br />

Piedayesh: Wenn ich jetzt an die Zeit zurückdenke,<br />

in der ich angefangen habe, auszugehen, frage ich<br />

mich, wie es wohl ist, wenn meine Tochter in dem Alter<br />

ist. Meine Kleine ist jetzt vier, das ist also auch nur<br />

noch zehn, zwölf Jahre hin. Ich meine, ich bin so ein<br />

Schisser, dass ich schon bei der Vorstellung, sie mal<br />

„ich haBe den<br />

Rauch iMMeR so<br />

halB ausgeBlasen<br />

und dann wiedeR<br />

eingesogen.<br />

das waR teil MeineR<br />

PeRsönlichkeit.<br />

und als ich dann<br />

aufhöRen wollte,<br />

Meinte eine<br />

fReundin zu MiR:<br />

,hM, dann Bist du<br />

aBeR nicht MehR<br />

die gleiche’”<br />

134<br />

alleine auf die Straße zu lassen, es mit der Angst zu<br />

tun bekomme. Geht dir das auch so?<br />

Makatsch: Nein, das geht mir nicht so. Ich bin zwar<br />

auch eine ziemliche Glucke, aber ich habe nicht so<br />

viel Angst.<br />

Piedayesh: Vor allem frage ich mich, wie es denn<br />

später sein wird, wenn sie um zwölf zu Hause sein<br />

muss und dann um halb eins immer noch nicht da<br />

ist?<br />

Makatsch: Bist du denn immer pünktlich zu Hause<br />

gewesen?<br />

Piedayesh: Ich bin ja sehr streng erzogen worden<br />

und durfte eigentlich nie etwas. Aber wenn ich ausnahmsweise<br />

doch mal was durfte, hab ich es immer<br />

gleich übertrieben und bin erst viel zu spät zu Hause<br />

gewesen.<br />

Makatsch: Ich durfte auch nicht so viel. Bis ich 18<br />

war, musste ich immer die letzte Bahn nehmen, die<br />

ging um acht Minuten nach eins. Das war also nicht<br />

so wahnsinnig locker. Mein Freund durfte nie bei mir<br />

schlafen. Und ich glaube, ich würde es ähnlich halten<br />

mit meiner Tochter.<br />

Piedayesh: Aber wir leben doch heute in einer ganz<br />

anderen Zeit. Ich weiß gar nicht, ob das überhaupt<br />

funktionieren würde.<br />

Makatsch: Ich glaube, dass man den Kindern einfach<br />

einen Schutzraum bieten muss. Ich habe später<br />

mal meine Mutter gefragt, warum denn nie mein<br />

Freund bei mir übernachten durfte, und sie meinte:<br />

„Na ja, wenn du mit deinem Freund was machen<br />

wolltest, dann hast du das ja sowieso gemacht, da hätte<br />

ich gar nichts gegen machen können. Aber für den<br />

Fall, dass du das nicht wolltest, sollte dir das Verbot<br />

einen Schutzraum bieten. Du konntest sagen: ,Nein,<br />

ich will jetzt nicht! Nein, ich muss nach Hause!‘ Du<br />

konntest damit alles auf mich schieben.“ Dadurch<br />

war ich als 16-Jährige nicht so sehr der Situation ausgeliefert.<br />

Das war mir allerdings damals natürlich<br />

nicht klar.<br />

Piedayesh: Bei mir waren die Verbote so kategorisch,<br />

dass ich sie nicht als Unterstützung verstanden habe,<br />

sondern als etwas, das alles in mir erstickt hat. Ich<br />

fand das nicht so cool.<br />

Makatsch: Allerdings war ich, glaube ich, auch ein<br />

wahnsinnig liebes Kind. Meine Mutter sagt immer, es<br />

habe mit mir nie Probleme gegeben. Das sagt die immer<br />

zu mir. Ich denke dann: Das muss mein Problem<br />

gewesen sein.<br />

Piedayesh: Dass du so nett warst?<br />

Makatsch: Ja.<br />

Piedayesh: Wann hast du rebelliert?<br />

Makatsch: In den letzten fünf Jahren.<br />

Piedayesh: Oh, jetzt erst. Ich denke, irgendwie muss<br />

man immer rebellieren.<br />

Makatsch: Ja, sicher. Dass ich so angepasst war,<br />

hing auch damit zusammen, dass ich so eng mit meinen<br />

Eltern war. Die waren ja auch so jung und so cool.<br />

Es gab da einfach nur wenig Widerstand, gegen den<br />

ich mich hätte auflehnen müssen.<br />

Piedayesh: Bei mir war das anders. Ich kam aus dem<br />

konservativen Iran plötzlich nach Deutschland in eine<br />

freie Gesellschaft …<br />

Makatsch: Wann war das?<br />

Piedayesh: 1979, da war ich neun.<br />

Makatsch: Ach, da warst du ja schon groß. Das<br />

muss ja ein Kulturschock gewesen sein?<br />

(Sie schauen zum Pärchen am Tisch gegenüber.)<br />

Makatsch: Die sind nur am Knutschen da drüben,<br />

nur am Knutschen.<br />

Piedayesh: Ja, Frischverliebte sind toll. Manchmal<br />

nerven sie allerdings auch …<br />

Kleid<br />

CAlViN KleiN<br />

COlleCTiON<br />

gelbgOldArmreif<br />

miT diAmANTeN<br />

TiffANy & CO.<br />

TApeTe<br />

HermèS


kleid<br />

giorgio ArmAni<br />

gelbgoldArmreif<br />

mit diAmAnten<br />

tiffAny & Co.<br />

MAKATSCH: Aber guck mal, die sind total verknallt!<br />

PIEDAyESH: Süß! In Paris hab ich auch an jeder Ecke<br />

ein frisch verliebtes Pärchen gesehen, das nur geknutscht<br />

hat. Fand ich herrlich.<br />

MAKATSCH: Du meinst Pärchen, die dort ihren Honeymoon<br />

verbracht haben? Oder waren die aus Paris?<br />

PIEDAyESH: So sehr bin ich denen jetzt nicht auf die<br />

Pelle gerückt, ich bin ja nur an denen vorbeigegangen.<br />

Und da sie geknutscht haben, weiß ich auch<br />

nicht, in welcher Sprache sie gesprochen haben. Die<br />

haben sich verständigt in der internationalen Sprache<br />

der Liebe. In Berlin sieht man übrigens nicht so oft<br />

knutschende Paare.<br />

MAKATSCH: Nein. Wenn man zum Beispiel in Prenzlauer<br />

Berg herumläuft, sieht man vor allem gestresste<br />

Eltern mit ihren Kindern. Die kommen nicht mehr<br />

zum Knutschen.<br />

PIEDAyESH: Stimmt, die haben das Knutschen schon<br />

hinter sich, die schieben nur noch.<br />

(starkes Husten)<br />

MAKATSCH: Oh, was ist da los?<br />

PIEDAyESH: Ich habe zu viel geraucht.<br />

MAKATSCH: Rauchst du wieder?<br />

PIEDAyESH: Ja, ich habe wieder angefangen zu rauchen,<br />

und jetzt will ich wieder anfangen, damit aufzuhören.<br />

MAKATSCH: Wie viele waren es denn heute?<br />

PIEDAyESH: Erst eine.<br />

MAKATSCH: Das ist ja nicht so viel.<br />

PIEDAyESH: Ja, aber wenn ich ein Glas Wein trinken<br />

würde, käme die zweite, die dritte, vierte, fünfte.<br />

MAKATSCH: Ja, aber trotzdem denke ich manchmal,<br />

dass Rauchen auch eine schöne Sache ist. Ich rauche ja<br />

nicht mehr.<br />

PIEDAyESH: Du hast mal geraucht?<br />

MAKATSCH: Ja, das kannst du dir bestimmt nicht vorstellen,<br />

oder? Ich war mal eine Starkraucherin, vor<br />

zehn Jahren. Ein, zwei Packungen am Tag hab ich<br />

gebraucht.<br />

PIEDAyESH: Ein, zwei Packungen?! Das ist viel.<br />

MAKATSCH: Ich hatte da auch so eine bestimmte<br />

Technik. Ich habe den Rauch immer so halb aus geblasen<br />

und dann wieder eingesogen. Das hat viel Spaß<br />

gemacht. Das war auch Teil meiner Persönlichkeit.<br />

Und als ich dann aufhören wollte, meinte eine Freundin<br />

zu mir: „Hm, dann bist du aber nicht mehr die<br />

Gleiche.“<br />

PIEDAyESH: Wie nett.<br />

MAKATSCH: Das hat mich damals schwer getroffen.<br />

Ich habe seitdem jedenfalls keine Zigarette mehr angerührt.<br />

Aber ich weiß, dass das Rauchen immer noch<br />

ein alter Freund ist, den ich manchmal vermisse.<br />

PIEDAyESH: Aber lass uns doch noch mal über deinen<br />

Beruf sprechen. In was für Filmen würdest du eigentlich<br />

gerne mal spielen?<br />

MAKATSCH: Ach, in so Dramen, wo alle völlig aufgelöst<br />

aus dem Kino kommen und unter Schluchzen<br />

sagen: „Dieser Film hat gerade mein Leben erzählt,<br />

aber auf eine ganz andere Weise.“ (lacht)<br />

PIEDAyESH: Also ich würde ja gerne in einem Almodóvar­Film<br />

mitspielen, diese großen Tragödien.<br />

MAKATSCH: Bei mir wären das einerseits so Michael­<br />

Haneke­Filme, aber auf der anderen Seite auch Filme<br />

mit Ben Stiller.<br />

PIEDAyESH: Du meinst Komödien?<br />

MAKATSCH: Ja.<br />

PIEDAyESH: Aber findet man Ben Stiller wirklich richtig<br />

lustig?<br />

MAKATSCH: Ja! Zoolander musst du dir anschauen.<br />

Kennst du Zoolander?<br />

PIEDAyESH: Nein.<br />

„BIS ICH 18 WAR,<br />

MUSSTE ICH<br />

IMMER DIE LETzTE<br />

BAHN NEHMEN,<br />

DIE gINg UM<br />

ACHT MINUTEN<br />

NACH EINS.<br />

MEIN FREUND<br />

DURFTE NIE BEI MIR<br />

SCHLAFEN. ICH<br />

gLAUBE, ICH<br />

WüRDE ES äHNLICH<br />

HALTEN MIT<br />

MEINER TOCHTER”<br />

137<br />

MAKATSCH: Einer der wichtigsten Filme überhaupt:<br />

„This is Hansel, he is so hot right now! Hansel is so<br />

hot right now!“ Ich weiß gar nicht, wie oft ich den<br />

Film gesehen habe.<br />

PIEDAyESH: Hast du überhaupt schon mal Komödien<br />

gespielt?<br />

MAKATSCH: Ja, am Anfang meines schauspielerischen<br />

Schaffens. Und damals wurden mir eigentlich<br />

auch nur Komödien angeboten. Aber das waren dann<br />

oft Komödien, die nur eine Replik auf eine andere<br />

Komödie waren – oft am Reißbrett entworfen und<br />

auch nicht besonders gut geschrieben. Und weil ich<br />

mir selbst am liebsten Dramen ansehe, habe ich versucht,<br />

das irgendwie zu durchbrechen, was zur Folge<br />

hatte, dass mir heute gar keine Komödien mehr angeboten<br />

werden. Aber ich würde gerne mal wieder<br />

eine drehen.<br />

PIEDAyESH: Das kennst du wahrscheinlich auch, dass<br />

du manchmal ein Buch liest und dich so sehr mit dem<br />

Protagonisten identifizierst, dass du denkst: Mensch,<br />

das hätte ich auch gerne erlebt! Bei welchem Buch<br />

war das bei dir zuletzt so?<br />

MAKATSCH: Wahrscheinlich bei Vom Winde verweht.<br />

PIEDAyESH: Oh, nein.<br />

MAKATSCH: Die Geschichte hätte ich vielleicht nicht<br />

gerne selber erlebt, aber das Buch habe ich gelesen, als<br />

ich 14 war, und damals war ich in den falschen Jungen<br />

verliebt und mit dem richtigen zusammen.<br />

PIEDAyESH: Hahaha. Als ich die Biografie von Fassbinder<br />

gelesen habe, dachte ich: Mit dem hätte ich<br />

gerne mal zusammengearbeitet. Ich fand das so zerstörerisch,<br />

diese Welt, die sie sich geschaffen haben.<br />

Völlig unglaublich, wie die drauf waren.<br />

MAKATSCH: Ja, solche zerstörerischen Sachen findet<br />

man irgendwie immer attraktiv.<br />

PIEDAyESH: Ja, total.<br />

MAKATSCH: Weil es auch so lebendig wirkt, so von<br />

beiden Seiten zu brennen. Gehst du eigentlich noch<br />

zum Yoga? Wir haben noch gar nicht über unsere<br />

Yoga­Leidenschaft gesprochen.<br />

PIEDAyESH: Dabei haben wir uns doch beim Yoga<br />

kennengelernt. Damals war ich ja noch 20 Kilo<br />

schwerer.<br />

MAKATSCH: Das kann man sich heute gar nicht mehr<br />

vorstellen. Du sahst aus wie so eine iranische Mutti.<br />

PIEDAyESH: Hahaha!<br />

MAKATSCH: Und, gehst du noch zum Yoga?<br />

PIEDAyESH: Ja, wenn ich es schaffe, gehe ich dreimal<br />

die Woche, immer morgens. Erst bringe ich die Kleine<br />

in die Kita, und dann geht es los. Morgens ist Yoga<br />

super.<br />

MAKATSCH: Würde ich auch gern machen. Aber gerade<br />

geht es nicht. Ich war auch schon so richtig muskulös<br />

geworden, aber das ist jetzt wieder weg. Aber<br />

wenn sich im November der ganze Stress ein wenig<br />

gelegt hat, gehe ich wieder hin.<br />

Mein Faust MIT HEIKE MAKATSCH<br />

HAT AM 15. NOVEMBER IM CENTRALTHEATER<br />

LEIPzIg PREMIERE. DORT LäUFT DERzEIT MIT IHR<br />

AUCH DAS STüCK Krieg und Frieden,<br />

BEIDE IN DER REgIE VON SEBASTIAN HARTMANN<br />

IM FERNSEHEN IST HEIKE MAKATSCH<br />

NEBEN MARK WASCHKE AM 28. NOVEMBER<br />

IN DEM FILM sechzehneichen VON<br />

HENDRIK HANDLOEgTEN zU SEHEN<br />

Haare & Make-up STELLI.EU MIT PRODUKTEN VON<br />

L’ORÉAL PARIS UND TOM FORD COSMETICS<br />

Props IRINA KROMAyER<br />

Foto-Assistenz ANgELA IMPROTA, VIKTOR EBELL<br />

Digital Operator gIULIANO CARPARELLI<br />

Styling-Assistenz CAROLINE LEMBLÉ<br />

Haare- & Make-up-Assistenz MANUELA KOPP<br />

Props-Assistenz EMILIE BRUNER<br />

Produktion FRANK SEIDLITz, DOROTHEA FIEDLER<br />

Dank an DELIgHT STUDIOS BERLIN<br />

UND FIRMA LONDON BERLIN


fotoAlbuM<br />

fotoalbum<br />

More pASSion, 2010, red neon<br />

Tracey emin<br />

Running naked, 2011, C-PRint<br />

Sie Scheut Sich nicht, öffentlich<br />

über Abtreibung und AnAlverkehr<br />

zu Sprechen, Stellte ihr verSiffteS bett<br />

inS MuSeuM und kennt Auch<br />

SonSt kAuM SchAM, ihr innerSteS<br />

nAch AuSSen zu kehren.<br />

doch SelbSt trAceY eMin wird iM Alter<br />

etwAS ruhiger. wenige wochen,<br />

bevor ihre Arbeiten in frAnkfurt<br />

gezeigt werden, SprAchen wir Mit der<br />

künStlerin über einige wichtige werke<br />

von<br />

Jörg hArlAn rohleder<br />

More pASSion ein neon-Schriftzug, den ich für die downing Street no. 10 Angefertigt<br />

hAbe. er hängt iM erSten Stock iM gAng vor deM terrAcottA-ziMMer. wie eS dAzu kAM?<br />

preMierMiniSter cAMeron nAhM Mich bei eineM AbendeSSen beiSeite und Meinte, er hätte<br />

gerne etwAS, dAS der Altehrwürdigen no. 10 ein biSSchen kAnte verleiht. etwAS Anrüchig<br />

SexuelleS wAr nicht drin – und „Mehr leidenSchAft” kAnn nie SchAden!<br />

138<br />

Fotos: © the artist, Courtesy Lehmann Maupin; Ben Westoby, © the artist, Courtesy white cube<br />

Schauen Sie sich meinen Hintern an! 2000 fotografiert, ein Jahrzehnt später veröffentlicht. Dieses Bild entstand<br />

um fünf Uhr in der Früh. Matt filmte mich, während ich die Brick Lane und ein paar Seitenstraßen runterrannte.<br />

Nackt. Danach trieben wir es auf einem Dach.<br />

Sie waren also noch wach?<br />

Selbstverständlich! Wir waren verrückt. Heute bin ich das nicht mehr. Zumal ich niemanden mehr an meiner Seite weiß, mit<br />

dem ich bis zum Sonnenaufgang wach sein könnte.<br />

Tracey Emin, die Queen of British Popo Art.<br />

Dabei hege ich seit jeher den Verdacht, dass ich im Ausland ernster genommen werde als in Großbritannien.<br />

Wie kommen Sie darauf? Sie leuchten in der Downing Street, sind Professorin an der Royal Academy of Arts,<br />

haben Ihr Land bei der Biennale in Venedig vertreten, waren für den Turner-Preis nominiert.<br />

Aber ich habe den Turner-Preis nicht gewonnen. Als es eine Ausstellung aller Turner-Preis-Gewinner in der Tate gab, dachten<br />

die Leute fälschlicherweise, mein Raum dort sei Teil der Ausstellung.<br />

Immerhin haben Sie einen eigenen Raum in der Tate. Come on!<br />

Trotzdem fällt es Museen schwer, meine Arbeiten anzukaufen. Denken Sie nur an My Bed: Ein Museum, das das Bett besitzen<br />

will, braucht eine Gefrierkammer. Sonst verrottet es. Andere Werke sind den Gremien zu explizit – sie scheuen sich, Wandteppiche<br />

mit Sprüchen wie „Wir sehen uns Live-Abtreibungen im Fernsehen an“ aufzuhängen. Unterstützt wird der Widerstand<br />

durch die englischen Medien: Mein Beitrag in Venedig – international bekam ich Bestnoten, in England lästerte die<br />

Presse dennoch. Das schmerzt. Ich mag Teil der Popkultur sein, Teil des Londoner Establishments, aber für den Geschmack<br />

einiger britischer Kunstkritiker bin ich zu sehr Mainstream. In Amerika tue ich mich ähnlich schwer wie in England: Deshalb<br />

freue ich mich auch auf meine Ausstellung in Buenos Aires. Ich erobere den Kontinent vom Süden her.<br />

Sind einem nörgelnde Kritiker nicht irgendwann egal? Zur großen Retrospektive in Ihrer Heimatstadt Margate<br />

kamen 170 000 Besucher, Ihre Autobiografie ist Teil des britischen Schulkanons.<br />

Gegen Kritik ist man ja nie immun. Die Ausstellung in Margate war toll – welcher Künstler bekommt schon die Chance, es<br />

seiner alten Heimatstadt zu Lebzeiten heimzuzahlen? Mehr als 170 000 Besucher, die Hälfte davon unter 25 Jahre alt. Das<br />

finde ich toll. Und ja, die Schüler lesen Strangeland im Unterricht. Darauf bin ich sehr stolz. Deswegen kichern jetzt ab und<br />

zu irgendwelche Teenies, wenn sie mich sehen. Da heißt es dann: „Oha, schaut, das ist Tracey!“<br />

139


fotoalbum<br />

fotoalbum<br />

A<br />

Cunt<br />

a cunt is a rose is a cunt, 2000,<br />

monoprint<br />

is a Rose is a Cunt. Eine eindeutige Zeichnung. Was gibt es da zu erklären? Ich habe das Wort „Cunt“<br />

nicht erfunden: Henry Miller schrieb einst: „Sie hat spanische Augen, einen englischen Mund und eine internationale<br />

Cunt.“ So oder so ähnlich. Brillant, wie ich finde.<br />

Der „New Yorker“ hat Ihrem geradezu inflationären Gebrauch des Wortes Cunt<br />

eine Abhandlung gewidmet. Das Fazit: Cunt ist eine Unabhängigkeitserklärung des Feminismus.<br />

Aber auch der Werktitel ist ein ziemlich schlagkräftiger Satz für eine Frau,<br />

die sich bis zum dritten Lebensjahr weigerte, überhaupt ein Wort zu sprechen.<br />

Das stimmt nur bedingt. Mein erster Satz lautete tatsächlich: „Schau. Apfel.“ Ich war drei. Und „Schau. Apfel“ habe ich vor<br />

Mummy oder Daddy gesagt. Aber mein Zwillingsbruder und ich hatten eine Geheimsprache. Und die habe ich sehr wohl vor<br />

meinem dritten Geburtstag gesprochen.<br />

Sie arbeiten eindrucksvoll mit Sprache. Sätze wie „With you I can breathe“, „If I have to be honest I’d rather not be painting“<br />

oder „The first cigarette of the day always makes me want to s---.“ brennen sich ein.<br />

„With you I can breathe“ ist schön, nicht wahr? Er stammt von der neuen, ruhigeren, lebensbejahenden Tracey. Die beiden<br />

anderen entstanden in meiner wilden Zeit in den Neunzigern. Sie wollen gar nicht wissen, was genau da war. Okay, bevor Sie<br />

nachfragen: Ich habe mich 1996 splitternackt für 14 Tage in ein Zimmer sperren lassen, alleine, nur ich, meine Farben und die<br />

Leinwände.<br />

Geht es darum zu schocken?<br />

Ich provoziere manchmal, aber ich will nicht schocken. Es gibt eben Leute, die halten so ziemlich alles für schockierend. Die<br />

zählen, wie oft ich „Fuck“ oder „Cunt“ verwende. Aber jetzt hat mich der New Yorker ja anscheinend rehabilitiert.<br />

Und der Spruch: „Free and really wet“?<br />

Handelt davon, dass man wieder und wieder kommt. Ein brillantes Motto, finden Sie nicht?<br />

140<br />

Fotos: Stephen White, © Tracey Emin, Courtesy White Cube; Carl Freedman<br />

the Shop, bethnal Green<br />

Ach, das war vor fast 20 Jahren. Sarah Lucas und ich, vor unserem Laden in Bethnal Green. Der Laden hieß<br />

The Shop, eine gute Zeit.<br />

Einer Ihrer Verkaufsschlager war ein Aschenbecher, den das Konterfei von Damien Hirst zierte.<br />

Ja, der kam gut an. Damien fand ihn auch lustig. Wenn Sie ihn heute sehen würden, würden Sie Damien auf dem Aschenbecher<br />

nicht erkennen.<br />

Stört es Sie, dass Damien und andere Young British Artists in Auktionsergebnissen erfolgreicher sind als Sie?<br />

Nein. Ich arbeite mit einfachen Materialien und beschränke mich nicht in der Form. Ich zeichne auf Papier, male auf Leinwand,<br />

arbeite mit Film, Neon, Skulpturen, Textilien. Ich bin Künstlerin. Ich bin kreativ und kann mit allem arbeiten. Die<br />

meisten Künstler sind gut in einer Disziplin, in einer Richtung, mit einer Idee. Damit erzielen sie höhere Auktionsergebnisse<br />

als ich. Aber das interessiert mich nicht. Ich verkaufe genug. Und meine Warteliste ist lang.<br />

Die Ausstellung in der Frankfurter Schirn, bei der Ihre Arbeiten ab November zu sehen sind,<br />

trägt den Titel „Privat“. Ist das für jemanden wie Sie – zumal in Zeiten von Facebook – nicht ein obsoletes Konzept?<br />

Einige Theorieschaffende beschwören bereits das Zeitalter der Post-Privacy.<br />

Ich war und bin nicht bei Facebook. Was soll ich da? Facebook ist nicht intim. Das gestrige Mahl, ein neues Kleid, die schicke<br />

Reise – das hat nichts mit Intimität zu tun. Facebook ist allenfalls gut, um zu spionieren, was Freunde und Exfreunde gerade<br />

so treiben. Ich bin Künstlerin und gewähre ausgewählte Einblicke in mein Privatleben. Aber: Wer mein Bett sehen will, muss<br />

ins Museum gehen. Googeln Sie mich! Sie werden vermeintlich intime Details finden. Aber kaum etwas über die Privatperson<br />

Tracey Emin.<br />

141


fotoalbum<br />

fotoalbum<br />

my bed, 1998, mixed media<br />

mad tracey from margate. everyone’s been there, 1997, appliquéd blanket fabric<br />

from clothing provided by friends<br />

Mad Tracey from Margate. Ja, ein Teil der Serie ist eine alte Matratze, die ich eigentlich wegwerfen wollte,<br />

das aber nicht konnte, da manche Leute wissen, wo ich wohne. Also brachte ich sie in mein Atelier, um<br />

sie dort loszuwerden. Sie lag also da rum, ich legte Zeugs darauf ab und als ich die Ausstellung in Margate<br />

vorbereitete, dachte ich plötzlich: Hey, das ist das perfekte Objekt für Margate. Interessant ist, dass die<br />

Matratze am Rand überall Flecken hat. Die Flecken sind nicht nachträglich entstanden, sondern auf natürliche Weise. Vielleicht<br />

ein Zeichen meiner Unausgeglichenheit, eine Metapher für Leben oder Liebe. Das Zentrum scheint unbefleckt, alles<br />

deutet auf die Extreme hin. Ein anderes Exponat der Ausstellung war diese blaue Wolldecke, bestickt mit Erinnerungen<br />

meiner Jugend. An einer Stelle steht: „Oh mein Gott, du weinst“, an einer anderen „Jedes Mal, wenn ich an einem Dunkin’<br />

Donuts vorbeikomme, denke ich an dich.“ Die Buchstaben habe ich aus Kleiderspenden ausgeschnitten, die mir Freunde und<br />

Bekannte gegeben haben.<br />

Ihre Kindheit in Margate war nicht gerade sonnig. In Ihrer Autobiografie „Strangeland“ schreiben Sie verschwommen<br />

von sexuellem Missbrauch durch einen Freund der Familie, von der Vergewaltigung durch einen älteren Jungen,<br />

als Sie zwölf waren, später dann von der Rebellin Tracey, die Sex als Ausdrucksform, ihren Körper als Waffe begreift.<br />

War es schmerzhaft, nach Margate zurückzukehren?<br />

Ich habe versucht, die Erinnerungen auszublenden. Aber das ist mir nur teilweise gelungen. Außerdem war das Wetter beschissen.<br />

Dann musste ich noch mit dem olympischen Feuer durch Margate laufen – da fühlte ich mich wieder wie das Schulmädchen,<br />

das dem Bus hinterherrennt.<br />

Mit 15 beendeten Sie die Schule, um nach London zu ziehen.<br />

Ihr Gepäck bestand aus einer Tasche Klamotten, 20 Pfund und zwei Alben von David Bowie.<br />

Anfangs wohnte ich bei einer Freundin, später in einem besetzten Haus. Die meisten Mitbewohner studierten Mode oder<br />

Kunst an der Saint Martins. Es waren Hausbesetzer, ja, aber sie waren gebildet und wollten etwas verändern. Da merkte ich,<br />

dass in meinem Leben etwas fehlt, etwas, das ich auch möchte. Also fing ich an zu lesen, mich zu bilden, aufzuholen.<br />

… und auf der Überholspur zu leben. Erinnern Sie sich, wann Sie das erste Mal den Spitznamen „Mad Tracey“ hörten?“<br />

Den verpasste mir die Presse irgendwann im Zuge der Berichterstattung über die Young British Artists. Ich war eben „Crazy<br />

Tracey“.<br />

Nein, niemals.<br />

Hätten Sie gedacht, dass Sie 2012 noch erleben würden?<br />

142<br />

Fotos: Stephen White, © Tracey Emin, Courtesy White Cube; Prudence Cuming Associates Ltd., © the artist, Courtesy The Saatchi Gallery, London<br />

Mein Bett. Neben dem Zelt wahrscheinlich mein bekanntestes Werk. Wenn ich mir das anschaue, weiß ich,<br />

dass ich eigentlich aufhören könnte.<br />

Wie meinen Sie das?<br />

Na ja, andere Künstler versuchen ein Leben lang, ein relevantes Werk, eine Mona Lisa, zu erschaffen. Ich habe zwei. Mein<br />

Bett und mein Zelt. Und kann mich sehr glücklich schätzen.<br />

Auch darüber, dass – im Gegensatz zu Damien Hirsts Haien in Formaldehyd – Ihr Bett im fortgeschrittenen Alter nicht tropft.<br />

Nein, das tut es nicht (lacht).<br />

„My Bed“ besteht aus dem Bett, dazu gehören aber auch: leere Wodkaflaschen, diverse Flecken nicht näher bestimmter Körperflüssigkeiten,<br />

Kippenstummel, aufgerissene Kondompackungen. Die offensichtliche Frage lautet: Wie sieht Tracey Emins Bett heute aus?<br />

Es ist ein wenig zerwühlt. Darauf liegen/stehen: ein iPad, mein BlackBerry, das Buch, das ich gerade lese, ein Teepott mit Earl<br />

Grey, Grapefruitsaft, Honig. Da ich gerade in Los Angeles aufgewacht bin, in einem Hotel direkt am Strand, ist das nicht<br />

wirklich typisch. Aber die Aussicht ist fantastisch. Ich sehe den Pazifik, Wellen, die an den Strand rollen, Palmen, Nebelschleier,<br />

die sich gerade lüften, dahinter einen kristallklaren blauen Himmel, Sonne.<br />

Das kommt darauf an, wie Sie das meinen (lacht).<br />

Finden Sie es komisch, wenn ich Ihnen sage, dass ich jede Nacht mit Ihnen schlafe?<br />

In meinem Schlafzimmer hängt ein Selbstporträt von Ihnen. Und ich schlafe vorzüglich damit.<br />

Um welches Selbstporträt handelt es sich?<br />

Sie stehen in der Mitte des Bildes, sind nackt, gezeichnet in schnellen Strichen. Es ist signiert.<br />

Die Jahreszahl steht darauf. Ansonsten nichts.<br />

Eigentlich muss der Titel des Bildes irgendwo verzeichnet stehen. Jede meiner Zeichnungen trägt einen Namen. Ich will Sie<br />

nicht beunruhigen, aber Ihr Bild klingt wie eine Fälschung. Vielleicht kann ich mich auch nicht an ein unbetiteltes Selbstporträt<br />

erinnern, da ich mehr als 2 000 Zeichnungen veröffentlicht habe. Zeichnungen gehen schnell: Für die meisten brauche<br />

ich kaum mehr eine halbe Minute. Schicken Sie mir das Bild: Es wäre ein Jammer, wenn Sie jeden Morgen neben einer gefälschten<br />

Tracey Emin aufwachen (lacht).<br />

143


fotoalbum<br />

fotoalbum<br />

EvEryonE I HavE EvEr SlEpt WItH 1963–1995, 1995, applIquEd tEnt,<br />

mattrESS and lIgHt<br />

How it feels, 1996, single screen projection and sound (sHot on Hi8 transferred to dVd),<br />

duration: 22 minutes 33 seconds<br />

Mein Zelt. Das muss ja in der Auswahl sein. Sie werden jetzt fragen, ob es schlimm ist, dass es in einem<br />

Feuer zerstört wurde, aber das ist es nicht. Am selben Tag sind 70 Kinder bei einem Selbstmordanschlag<br />

in einer Schule in Afghanistan umgekommen. 70 tote Kinder. Das ist schlimm.<br />

Charles Saatchi wollte das Zelt für seine Sammlung erwerben.<br />

Sie haben abgelehnt. Warum?<br />

Am Ende war es seins. Aber nicht, weil ich es ihm verkauft habe. Er hat das Zelt über Umwege erstanden. Die ersten acht<br />

Jahre hat er überhaupt kein Werk von mir bekommen. Aus dem einfachen Grund, weil Charles geholfen hat, Margaret Thatcher<br />

ins Amt zu heben. Und diese Frau hat weiß Gott vielen Menschen großes Leid zugefügt.<br />

Im Inneren des Zeltes haben Sie die Namen aller Personen notiert, mit denen Sie Ihr Bett geteilt haben.<br />

Insgesamt sind das 102 Namen.<br />

Das war der Stand damals. Heute ist es so, dass ich seit drei Jahren keine ernsthafte Beziehung mehr gehabt habe.<br />

Warum finden Sie keinen Partner?<br />

Weil Männer Angst haben vor Frauen, die Geld haben, die oben mitspielen. Ich bin unabhängig und kann jederzeit in ein<br />

Flugzeug steigen und abhauen. Außerdem finden es Männer nicht attraktiv, wenn eine Frau ihnen keine Kinder gebären kann.<br />

Vielleicht finden manche Männer auch die Vorstellung,<br />

nach dem Verkehr zu einem Kunstwerk verarbeitet zu werden, abschreckend.<br />

Oder die durchaus explizite Sprache, über die wir vorher geredet haben.<br />

Nein, es liegt am Geld, glauben Sie mir. Ich weiß, wovon ich spreche. Meine Bekannten haben längst aufgegeben, mich zu<br />

verkuppeln. Ich suche heute ja auch etwas anderes als früher: Ich suche jemanden, der mich intellektuell liebt, mit dem ich<br />

angeregte Unterhaltungen führen kann, der mit mir ein Buch liest, das Feuer anzündet, gutes Essen genießt, mit mir spazieren<br />

geht und für mich da ist. Einen Seelenverwandten, Freund, Beschützer. Wie gesagt: Früher wollte ich raus aufs stürmische<br />

Meer, heute sehne ich mich nach einem sicheren Hafen. Ich werde im nächsten Jahr 50 Jahre alt, befinde mich in der Menopause<br />

und habe keine Lust mehr, jeden Tag in den Arsch gefickt zu werden.<br />

144<br />

Fotos: © the artist, Courtesy white cube; © Tracey Emin, Courtesy White Cube<br />

Eine Szene aus How it feels, einem 22-minütigen Film, der sehr wichtig für mich war, in dem ich die Abtreibung<br />

meiner Zwillinge thematisiere. Es gibt Leute, die behaupten, ich hätte mit How it feels schocken wollen,<br />

was grundlegend falsch ist. Ich wollte damit niemandem Schuld zuweisen. Wir leben nach wie vor in einer<br />

Welt, in der Frauen montagmorgens aufwachen, zur Abtreibung gehen und Dienstag wieder zur Arbeit<br />

kommen. Als wäre nichts geschehen. Über eine Abtreibung spricht man nicht. Es bleibt ein Tabu. Und das ist ein verdammter<br />

Skandal. Man hat acht Wochen Zeit – und muss die Entscheidung alleine treffen. Ich denke, keine Frau möchte abtreiben.<br />

Bereuen Sie die Abtreibung?<br />

Ich habe früher gesagt, die Abtreibung sei ein Fehler. Aber sie war der beste Fehler meines Lebens. Heute bin ich froh darüber,<br />

keine Kinder zu haben. Ich wäre eine beschissene Mutter. Das merke ich schon an meiner Rolle als Patentante.<br />

Wie kommen Sie darauf, dass Sie keine gute Mutter gewesen wären?<br />

Ich hätte gerne Kinder gehabt. Aber dafür braucht man die richtige Person zur richtigen Zeit. Einen Menschen, den man<br />

wirklich liebt. Und den habe ich in den infrage kommenden Jahren nie getroffen. Jetzt ist es zu spät. Vielleicht war es für mich<br />

einfach nicht vorgesehen. Mittlerweile denke ich, dass beides ohnehin nicht gegangen wäre. Ich hätte mich entscheiden müssen:<br />

Kunst oder Kinder. Alles oder nichts.<br />

Ihre Kunst ist seit ein paar Jahren weniger grell als noch in den 90ern. Ist die durchgeknallte Tracey Emin ein wenig<br />

zur Ruhe gekommen? Sie tauchen nicht mehr betrunken im Fernsehen auf, Liebe, Schmerz und Erotik bleiben Ihre Themen,<br />

den triebhaften Sex hingegen scheinen Sie ein wenig runtergedimmt zu haben.<br />

Das stimmt. Der Trieb ist schwächer geworden. Dafür gibt es eine ziemlich banale biologische Erklärung: Ich befinde mich<br />

in der Menopause. Mein Sextrieb ist einfach nicht mehr der einer 20-Jährigen. Und was die Farben angeht: Irgendwann, so<br />

um 2003, ist mir aufgefallen, wie kreischend bunt meine Kunst eigentlich ist. So bunt, dass mir davon geradezu schlecht wurde.<br />

Also wählte ich dezentere Farben, änderte meine Palette. Jetzt wirken meine Arbeiten reifer. Okay, sie sind immer noch<br />

total unreif, aber wenigstens sehen sie ansprechender aus.<br />

Älter schon. Aber nicht unbedingt erwachsen.<br />

Sind Sie als Mensch reifer geworden?<br />

Haben Sie eigentlich jemals einen Therapeuten besucht?<br />

Ja. Aber noch besser sind <strong>Interview</strong>s. Deswegen rede ich heute mit Ihnen.<br />

145<br />

die ausstellung privat ist<br />

Vom 1.11.2012 bis 3.2.2013<br />

in der frankfurter scHirn zu seHen,<br />

tracey emin. how it feels<br />

Vom 16.11.2012 bis 25.2.2013 im malba –<br />

museo de arte latinoamericano<br />

de buenos aires


kurzgeschichte<br />

Die Legende<br />

der guten Männer<br />

von<br />

dAvid vAnn<br />

Fotos<br />

ChristiAn Werner<br />

Ausgewählt von<br />

JAn Brandt<br />

UnderCover 16 (London, 2012)<br />

“<br />

Sie waren wie die Zirkusse,<br />

die in unsere Stadt kamen. Sie packten<br />

aus und verschwanden wieder<br />

146”<br />

Einmal stand ich in einem Hain am Ende eines Sees<br />

und hörte um mich herum hundert Kügelchen durch<br />

die Blätter rieseln wie Regen, so sanft, dass ich eins<br />

mit der Zunge hätte auffangen können. Dann der<br />

Donner über dem Wasser, Johns Schrei, der Schrei<br />

meiner Mutter, die wedelnden Arme. Ich streckte die Hände aus und<br />

wartete auf den nächsten. Die Luft war so dünn geworden, dass jede<br />

Entfernung aufgehoben schien, als könnte ich alles – die Blätter, eine<br />

Uferlinie, roten Flanell, Felder, den Horizont – mit zwei Fingern<br />

aufpicken. Das Schwirren und Ächzen von Wildentenflügeln wurde<br />

stärker, dann schwächer. Obwohl ich nicht getroffen war, taumelte<br />

ich nach hinten, achtete darauf, dass mich meine herbeihastende<br />

Mutter sah, und fiel in den Matsch. Zum ersten Mal erfuhr ich einen<br />

Gewehrschuss vom anderen Ende her.<br />

John Laine wollte mich nicht erschießen. Er war mit meiner<br />

Mutter zusammen und versuchte, sich bei mir einzuschmeicheln. Er<br />

hatte mich weiter seitlich postiert, hinter einigen Rohrkolben, aber<br />

ich war auf allen vieren vorgekrochen, durch Matsch und Weizenstoppeln,<br />

und hatte mich aufgerichtet, als ich die dumpfe Explosion<br />

von Entenflügeln auf Wasser hörte. John konnte mich erst gesehen<br />

haben, als sein Finger den Abzug schon wieder freigab.<br />

Am Boden war mir, als käme das Rufen und Platschen aus allen<br />

Richtungen. Dann sickerte mir der Matsch in die Ohren. Ich starrte<br />

leer in den grauen Himmel. Daran werde ich mich erinnern, dachte<br />

ich. Heute ist Samstag, der achte November. Ich bin dreizehn. Sogar<br />

meine Knöchel sinken ein.<br />

Als die Hände meiner Mutter mich aus dem Matsch zerrten,<br />

musste ich lächeln, und das verriet mich. Ich landete mit einem nassen<br />

Klatschen.<br />

„Du Rotzbraten“, sagte meine Mutter. Dann lachte sie. Dann<br />

lachte John, erleichtert, dass er mich nicht umgebracht hatte. Er war<br />

Polizist, das hätte nicht so gut ausgesehen.<br />

Meine Mutter warf eine Handvoll Matsch nach ihm; wie eine<br />

Wunde breitete der sich über sein rotes Flanellhemd aus. Sie warf<br />

sich rückwärts neben mich in den Matsch und fing an zu weinen.<br />

Das war der Anfang vom Ende für John. Er wusste es noch nicht, als<br />

er dort nervös lächelnd stand, unsicher, ob meine Mutter nun tatsächlich<br />

weinte, aber er war auf dem Abmarsch. Ich blinzelte ihn<br />

einäugig an und konnte beinahe sehen, wie er verschwand.<br />

Meine Mutter war nach der Scheidung mehrere Jahre mit einem<br />

Mann zusammen gewesen, aber nichts hielt lange, seit sich<br />

mein Vater umgebracht hatte. Die neuen Männer waren mehr oder<br />

weniger wie die Zirkusse, die in unsere Stadt kamen. Sie zogen<br />

rasch ein und packten alles aus, was sie hatten, als wollten sie bleiben.<br />

Sie lockten uns mit knallbunten Sachen – Blumen, Ballons,<br />

ferngesteuerten Rennautos –, vollführten Tricks mit ihren Bärten<br />

und Händen, gaben uns komische Namen wie Knirps oder mein<br />

kleiner Kürbis, Ding Dong und Apfelstrudel und brüllten uns Tag<br />

und Nacht ihre Geschichten ins Gesicht. Dann verschwanden sie,<br />

und nichts blieb zurück, nicht mal eine Erwähnung, als hätten wir<br />

sie uns bloß ausgedacht.<br />

John war nur einer in einer langen Reihe. Angel war sein wichtigster<br />

Vorgänger. Als meine Mutter Angels Namen nannte, dachte<br />

ich, sie habe „on hell“ gesagt. Das fand ich toll, die Vorstellung, dass<br />

man auf der Hölle sein konnte, ohne drinzustecken, wie „nur zu<br />

Besuch“ bei Monopoly. Mit Angel fuhren wir in den Sierras Ski,<br />

d östen am Kamin, „erlebten“ die Oper und waren insgesamt besser<br />

angezogen. Unter dem ganzen Glitzer jedoch war meine Mutter<br />

noch dieselbe. Ohne Vorwarnung, soweit ich es mitbekommen habe,<br />

servierte sie Angel an einem späten Dienstagnachmittag nach knapp<br />

zweieinhalb Monaten ab. Am Telefon. Im Gegensatz zu sonst weinte<br />

sie allerdings. Ich auch, aber nicht, weil Angel mir fehlte.<br />

Leonard war der Nächste. Er war im Sommer an der Reihe.<br />

Was für ein hässlicher Mann, dachte ich, als ich ihn kennenlernte. Er<br />

war Astrologe und erklärte mir, mein Jupiter in der Venus bedeute,<br />

dass ich von der Liebe Großes zu erwarten habe. In der Männerwahl<br />

147<br />

meiner Mutter konnte ich überhaupt kein Muster entdecken. Angel<br />

und Leonard hätten unterschiedlicher nicht sein können.<br />

„Männer“, sagte meine Mutter, „stecken voller Überraschungen.<br />

Sie sind immer anders, als man denkt.“ In mir entstand die Vorstellung,<br />

dass alle Männer verkleidet seien, dass jeder von ihnen irgendwo<br />

hinten einen Reißverschluss habe. Dann dämmerte mir,<br />

dass auch ich eines Tages ein Mann sein würde, und das mit dem<br />

Reißverschluss kam mir fragwürdig vor.<br />

Meine Mutter und ich hatten beide unsere Gewohnheiten. Sie<br />

unterrichtete an der Highschool, unternahm lange Spaziergänge<br />

durch die umliegenden Naturschutzgebiete, las Detektivromane<br />

und verschwand hin und wieder mit spärlichen Erklärungen wie<br />

„Ich brauche ein paar Tage für mich“ oder „Ich besuche eine<br />

Freundin“.<br />

„Was für eine Freundin?“, fragte ich dann.<br />

„Eben“, antwortete sie.<br />

Ich löffelte vor dem Fernseher Eis, machte einigermaßen meine<br />

Hausaufgaben und schlich mich nachts mit dem Gewehr meines Vaters<br />

raus, um auf Straßenlaternen zu schießen. Innerhalb eines halben<br />

Jahres hatte ich ganze Viertel ausgeknipst, und nach der Reparatur<br />

noch einmal.<br />

Nichts fand ich schöner als die blauweiße Explosion einer Laterne<br />

im Fadenkreuz. Das Geräusch – der Knall, fast ein Röhren,<br />

dann Stille, dann Glasregen – kam erst, nachdem jedes Teilchen und<br />

jeder Splitter davongesegelt oder nebelglitzernd durch die Luft gewirbelt<br />

war.<br />

John Laine war außergewöhnlich, weil er mehr als drei Monate<br />

überdauerte. Selbst der Tag am See hatte ihn nicht beirrt. Es war<br />

völlig offen, wie lange er bleiben würde.<br />

Obwohl ich erst dreizehn war, brachte mir John in seinem Pickup<br />

– „Silberkugel“ nannte er ihn – Autofahren bei und ließ mich<br />

über Schotterstraßen durch ganz Sonoma County brettern. Wenn<br />

wir an einem Polizeikollegen vorbeikamen, winkten wir. Ich erinnere<br />

mich an Weingärten im späten September, wie sie bei hundert<br />

Meilen pro Stunde in verwaschenem Lila, Rot und Grün wie Algenflicken<br />

auf einem überwucherten Meer vorbeiwischten. John sagte<br />

mit einer Stimme, die auch dann noch ruhig blieb, wenn die Reifen<br />

wie Seife unter uns wegrutschten, ich sei ein Naturtalent. Er sagte,<br />

eines Tages würde ich vielleicht sogar ein guter Polizist werden.<br />

John hatte dunkle Koteletten, mit denen er auf- und abwackeln<br />

konnte. Er stamme von einem Baum ab, erzählte er uns, als wir ihn<br />

fragten, wo er her sei. „Und davor?“, fragte ich. Er kniff mir mit<br />

seinen rauen Fingern in die Nase und sagte, ich solle ins Bett gehen.<br />

Ich saß mit ihm und meiner Mutter auf der Couch. Grinsend streckte<br />

sie beide Daumen Richtung Schlafzimmer.<br />

Als meine Mutter mit John Schluss machte, auf ebenjener<br />

Couch, während ich mich in der Küche herumdrückte und durch die<br />

Jalousien der Tür spähte, sagte er „okay“ und hielt weiter ihre Hand.<br />

Ohne Streit war meine Mutter ganz ratlos. Mein Vater hatte sie belogen<br />

und betrogen, sodass sie ihn anbrüllen konnte. Aber bei John<br />

gab es für uns beide nur die schmerzliche Erkenntnis, dass wir ihn<br />

eigentlich bei uns behalten wollten.<br />

Nach John kam Emmet. Das war im Januar, als meine Mutter<br />

von Legoland und Ruhm träumte. Mit Emmets Hilfe schleppte sie<br />

den Esstisch ins Wohnzimmer und montierte die Verlängerungsplatten,<br />

dann bat sie um Ruhe. Sie hatte beim Motorland Magazine<br />

angefragt, ob sie an einem Artikel über unseren Ausflug nach Legoland<br />

in Dänemark interessiert seien, und wider Erwarten war die<br />

Antwort positiv ausgefallen. Jeden Abend saß sie vor ihren Notizen<br />

und 35-mm-Dias, während Emmet und ich brav auf der Wohnzimmercouch<br />

saßen, wo er Louis-L’Amour-Western las und ich Hausaufgaben<br />

machte.<br />

Emmet erzählte uns immer wieder, wer er war. Und dauernd<br />

änderte es sich. Eine Woche war er in Sandpoint, Idaho, aufgewachsen,<br />

die nächste in Red Bluff, Kalifornien. Schulterzuckend behauptete<br />

er dann, sein Gedächtnis werde besser, sonst nichts. Und wenn


kurzgeschichte<br />

man ihn im Schlaf aufscheuchte, wie ich einmal, wurden seine Behauptungen<br />

noch wilder.<br />

„Mittenwald“, seufzte er und schob den Kopf weiter in die<br />

Ecke. Ich hatte ihn um halb fünf Uhr morgens hinten in unserer<br />

Abstellkammer gefunden, um den Staubsauger gewickelt, unterm<br />

Kopf unsere alten Vorhänge. „Geht nicht anders, ich bin aus Mittenwald.<br />

Kleinstadt gleich hier im Norden. Viele Brände.“ Er hatte die<br />

Abstellkammer mit dem Zimmer meiner Mutter verwechselt, da war<br />

ich mir sicher. Ich konnte das nachempfinden. Vor Jahren hatte ich<br />

dieselbe Abstellkammer mit dem Klo verwechselt und in die Ecke<br />

gepinkelt, in der er jetzt lag, und beim Versuch zu spülen zwei alte<br />

Röcke meiner Mutter runtergerissen.<br />

„Das Unmögliche wird wahr“, hatte meine Mutter an einem der<br />

ersten Legoland-Abende zu uns gesagt. Sie trug ihren lila Velours-<br />

Morgenrock und hob tatsächlich die Hände empor.<br />

Emmet und ich lächelten uns an. Übertreibungen lagen ihm.<br />

Auf den Dias meiner Mutter war ich mit einem dänischen Mädchen<br />

zu sehen, das sie damals im August mitsamt seinem alleinstehenden<br />

Vater in Beschlag genommen hatte. Es war reine Berechnung<br />

gewesen: Meine Mutter wusste, dass ein potenzieller Zeitschriftenartikel<br />

zwei Kinder und beide Elternteile enthalten musste. Dieses<br />

Mädchen hatte einen blonden Pferdeschwanz und sehr große Augen.<br />

Auch ihre Stirn war ungewöhnlich breit. Meine Mutter nannte sie<br />

Helga, weil wir uns beide ihren Namen nicht merken konnten.<br />

Helga und ich fuhren Lego-Autos, hielten Lego-Führerscheine<br />

hoch, segelten in Lego-Booten am Lego-Mount-Rushmore vorbei<br />

und erschossen einander mit Wildwest-Lego-Revolvern. Auf dem<br />

Lieblingsdia meiner Mutter türmten sich zwanzig oder dreißig Lego-Pferde<br />

und Lego-Männer auf der Veranda eines Lego-Schlosses,<br />

und ein sehr großer echter Gärtner kam mit einem Rasenmäher angerückt.<br />

Helga und ich lugten über je einen Flügel des Schlosses.<br />

Irgendwas an dem Bild entzückte meine Mutter. Es mochte sie an<br />

das schmucke kleine Europa erinnern, aber all diese Männer, wie sie<br />

mal eben mit ihren Pferden dort abgeladen worden waren, hatten<br />

auch ihren Reiz. Hinweise gab es reichlich, wenn Emmet sie denn<br />

hätte wahrnehmen wollen.<br />

Gegen Ende der Emmet-Phase stieß ich weiter in die Hügel<br />

vor, schoss aus dichtem Unterholz und erledigte aus vierhundert<br />

Metern Entfernung meine erste Ampel. Über das Survivalist Magazine<br />

hatte ich mir ein Umbau-Kit bestellt, mit dem ich 32er-Patronen<br />

aus der 300er-Magnum meines Vaters abfeuern konnte. Die<br />

Patronen waren für Straßenlaternen ideal, weil sie leiser waren und<br />

sogar für Feuerwerkskörper gehalten werden konnten. Bei den Ampeln<br />

allerdings stieg ich auf großes Kaliber um. Der Schuss hallte<br />

glasklar von der anderen Seite des Tals wider, Meilen entfernt.<br />

Drei Kugeln prallten irgendwo aufs Pflaster, bevor ich eine rote<br />

Ampel erwischte. An der Tankstelle rannten die Leute in Deckung,<br />

duckten sich hinter Säulen und Autos, einige boten mir dabei ihren<br />

Rücken dar. Keiner wusste, woher die Schüsse kamen. Ich war zu<br />

weit weg.<br />

Die Ampel schwang an ihrem Kabel, das rote Licht war jetzt<br />

silbern. Ich roch Schwefel und hörte Hunde jaulen und Sirenen auf<br />

der anderen Talseite. Im Fadenkreuz beobachtete ich einen Streifenwagen,<br />

der mit quietschenden Reifen stoppte, und ich fragte mich,<br />

ob John drinsaß.<br />

Pat war der Mann, der immer lachte. Gefolgt von einer Wolke<br />

Amway-Aftershave lachte er sich zu einer Tür herein und zur anderen<br />

wieder hinaus. Soweit ich mich erinnere, fand Pat selbst die<br />

Trennung lustig.<br />

Merril wohnte nebenan. Ein paar Monate, nachdem seine<br />

Frau ihn verlassen hatte, kam er mit Gemüse aus seinem Garten<br />

und ging erst drei Tage später wieder nach Hause. Hinten war<br />

seine Glasschiebetür die ganze Zeit offen, also ging ich in sein<br />

Haus und machte eine Bestandsaufnahme; ich öffnete sogar den<br />

Billigsafe und notierte mir, wie viel Geld er vorrätig hatte. Unter<br />

seinem Bett fand ich Ausgaben von Playboy und The Joy of Sex. Aus<br />

148<br />

seinem Medizinschränkchen schloss ich, dass er unter Hämorrhoiden<br />

und Herpes litt, Ellbogenprobleme hatte und Zahnfleischbluten.<br />

Ich sah Fotos von seinen Kindern – inzwischen erwachsen<br />

und aus dem Haus – und fand sogar den Grund für seine Scheidung.<br />

Seine Frau Carolyn Somers, geborene Alexander, hatte ein<br />

halbes Jahr zuvor in einem Brief alles akribisch festgehalten. Merril<br />

hatte sich selbst dabei gefilmt, wie er mit der Freundin einer<br />

seiner Töchter schlief, und das Video dann jahrelang rumliegen<br />

lassen. Alise, die Freundin der Tochter, war damals erst fünfzehn.<br />

Ich sah mir sogar das Video an. Merril hatte es noch immer nicht<br />

entsorgt.<br />

Meine Mutter entsorgte Merril, als er sich eines Abends weigerte,<br />

nach Hause zu gehen. Es war schon spät. Sie schlug ihn sogar,<br />

mit einem Keramikfrosch, den meine Tante aus Neuseeland<br />

mitgebracht hatte. Dann rief sie die Polizei, erwirkte tags darauf<br />

eine einstweilige Verfügung, und er ließ uns in Ruhe.<br />

In diesem Sommer nahm ich Merril an einigen Wochenendnachmittagen,<br />

an denen er sich auf seiner Liege sonnte, vom Badfenster<br />

meiner Mutter aus mit der 300er-Magnum ins Visier. Ich konnte den<br />

wabbeligen Bauch sehen und sogar die dünnen blauen Venen in seinen<br />

Armen. Wie hätte es ausgesehen, wenn ich abgedrückt hätte? Als<br />

ich einmal in Johns Pick-up mit neunzig Meilen eine Taube überfahren<br />

hatte, sah ich im Rückspiegel eine Wolke aus Federn.<br />

Meine Mutter war von der ganzen Geschichte mit Merril entmutigt.<br />

Er hatte von Familie geredet und von Verantwortung und<br />

dass er sich bei ihr wieder fühlte wie in der Highschool, und sie war<br />

dabei, ihm Glauben zu schenken. Ich erwähnte Alise nicht. Meine<br />

Mutter weinte neben mir auf der Wohnzimmercouch und sagte, Angel<br />

und John fehlten ihr immer noch.<br />

„Und dein Vater“, fügte sie hinzu. Da weinten wir beide. Nach<br />

einer Weile wirkte allerdings selbst das komisch.<br />

„Was für ein dummer, dummer Mann“, sagte meine Mutter<br />

lachend.<br />

„Du heiratest nie wieder“, sagte ich.<br />

Sie starrte durch die Glasschiebetür. „Hallo?“, sagte sie. „Nach<br />

alledem?“<br />

“<br />

Dann rief sie die Polizei,<br />

erwirkte tags darauf<br />

eine einstweilige Verfügung,<br />

und er ließ uns in Ruhe<br />

”<br />

Im Spätsommer, nach Merril, als meine Mutter gerade mit niemandem<br />

zusammen war, als es nur uns beide gab, brach ich in unser<br />

Haus ein. Mein Schlüssel hing in der Schule in meinem Spind. Wir<br />

hatten keinen Ersatz mehr unter der Fußmatte, und meine Mutter<br />

kam selten vor sechs oder sieben nach Hause. Ich prüfte alle Fenster<br />

und Türen, und da nichts offen war, nahm ich einen flachen grauen<br />

Stein aus unserem Garten und warf ihn durchs Badfenster. Ich drehte<br />

den Knauf, drückte die Scheibe nach innen und kroch hinein.<br />

Zuerst ging ich ins Elternschlafzimmer. Ich fand sechzehn<br />

Tüten im Schrank, mit allem Möglichen von Klassenarbeiten über<br />

Kleidung bis Ersatzbatterien. Die unvermeidlichen Ringe steckten<br />

in Schuhen, in Nylonstrümpfe gewickelt. Einen Safe gab es nur als<br />

Kinderspielzeug, auf dessen Boden deutlich die Zahlenkombination<br />

stand. BHs und Schlüpfer hingen an Wäscheklammern, aber<br />

Krawatten gab es nicht, also war dies eindeutig ein Zimmer ohne<br />

Männer.<br />

Im Bad hing eine lila Zahnbürste an der Wand. Das Diaphragma<br />

im Schränkchen neben dem Waschbecken war eine Neuigkeit.<br />

Die Zähne dieser Frau waren morsch, oder sie knirschte im Schlaf,<br />

denn im selben Schränkchen lagen Sensodyne-Zahnpasta und eine<br />

Plastikschiene für die Nacht.<br />

Diese Frau hatte nirgendwo Fotos hängen oder stehen, also war<br />

schwer zu sagen, ob sie Familie hatte. Im anderen Schlafzimmer hing<br />

eine Tapete mit Bambusmuster, sogar an der Decke. In der Ecke gab<br />

es ein Aquarium mit ausgeschaltetem Licht und ein Plakat, das 250<br />

Hai-Arten aufführte. Das Hai-Plakat und die über den Fußboden<br />

verstreuten kleinen Sets mit weißer Fruit-of-the-Loom-Unterwäsche<br />

legten nahe, dass in diesem Zimmer ein oder mehrere<br />

Jungs wohnten. Das eine Paar Wanderstiefel im Schrank und das<br />

eine Paar Fußballstollenschuhe grenzten es auf einen Jungen ein.<br />

Die Waffen in seinem Schrank – ein Browning-Gewehr Kaliber .22,<br />

ein .30-30-Winchester-Karabiner, eine 300er-Winchester-Magnum<br />

mit Zielfernrohr, eine Winchester Model-25-Pumpgun Kaliber .12,<br />

ein Sheridan-Blue-Streak-Luftgewehr und eine Ruger-44er-Magnum-Pistole<br />

– waren schwer zu erklären. Wo hatte er die alle her?<br />

Die Ablagerung von Karbon in der Patronenkammer der<br />

300er-Magnum deutete darauf hin, dass die Waffe häufig benutzt<br />

wurde, vielleicht sogar vor Kurzem. Der Holzklotz unter seinem<br />

Bett mit lauter Löchern, die nicht ganz durchgingen, ließen vermuten,<br />

dass er die 22er nicht nur abgefeuert, sondern vielleicht<br />

sogar im Haus abgefeuert hatte. Die Kiste mit Playboy, Penthouse,<br />

Hustler und Schundromanen mit Nur-für-Erwachsene-Aufklebern<br />

ließ darauf schließen, dass dieser Junge irgendwie pervers war, und<br />

dass er in derselben Kiste so viele Bilder von seinem Vater aufbewahrte,<br />

aber keines auf seinem Schreibtisch oder an der Wand<br />

hatte, war auch verquer.<br />

Undercover 9 (Berlin, 2012)<br />

149<br />

Einige Zeit nachdem ich in der Kiste gewühlt hatte, lud ich die<br />

.12-Kaliber meines Vaters und zerschoss fast alle Fenster und Türen.<br />

Das war ziemlich extrem, wie mir hinterher klar wurde. Ich<br />

leerte zweieinhalb Munitionskisten, bevor ich fertig war; vor allem<br />

die Haustür brauchte etliche Ladungen – eine pro Scharnier und<br />

noch zwei, um sie auszuhebeln. Die Glasschiebetür in unserem<br />

Wohnzimmer war mit Abstand das Schönste. Ich pustete ein kleines<br />

Loch in die Mitte, etwa so groß wie eine Halbdollarmünze. Einen<br />

Augenblick herrschte vollkommene Stille, dann fing das Glas an zu<br />

beben. Es zitterte und schlackerte von oben bis unten, das Glas bog<br />

sich in Wellen, dann zersprang es in eine Milliarde Fasern.<br />

John Laine war der einzige Mann, der ein zweites Mal in unser<br />

Leben trat. Als ich vorne auf der Veranda auf die Streifenwagen<br />

wartete, hoffte ich, er würde in einem sitzen, und so war es auch.<br />

Sein Partner und er saßen im vierten Wagen. Quietschend hielten<br />

sie auf unserem Bordstein, rissen die Türen auf und zielten mit ihren<br />

Pistolen auf mich, wie die anderen vorher auch. Ich war unbewaffnet<br />

und kooperationsbereit, wusste aber nicht recht, was ich<br />

machen sollte. Mir sagte ja keiner was. Ich erwartete ein Megafon,<br />

aber die starrten mich bloß an.<br />

Ich winkte. „John“, sagte ich. Hier war er also, praktisch frei<br />

Haus geliefert.<br />

AUs dem AmerikAnischen englisch<br />

von miriAm mAndelkow.<br />

diese kUrzgeschichte erscheint<br />

exklUsiv in IntervIew.<br />

im April kAm dAvid vAnns romAn<br />

DIe UnermesslIchkeIt Bei sUhrkAmp herAUs.<br />

Fotos AUs der serie UnDercover von<br />

christiAn werner – mehr AUF IntervIew.De.<br />

weitere ArBeiten AUs UnDercover sind<br />

vom 18.11.–9.12. im AUsstellUngs rAUm<br />

grosse Bären in Berlin zU sehen<br />

(grossebaeren.worDpress.com)


PARTY<br />

PARTY<br />

Auftritt von Tourist<br />

FOTOS<br />

LUKAS VON MONKIEWITSCH<br />

INTERVIEW-<br />

PARTY,<br />

FACTORY<br />

KÖLN<br />

Marc Comes und Kerstin-Anna Berger<br />

DJ Tobias Thomas<br />

Daniel Hug und Eva Gödel<br />

Michelle Elie und Joerg Koch<br />

Von links: Chris Koch, Hendrik Simon, Nicholas Cintrón,<br />

Francesca Bendixen, Thea Barkhoff, Rayan Odyll<br />

„<strong>Interview</strong>“-Cover und „<strong>Interview</strong>“-Gründer<br />

Inky Timez, Sängerin von Tourist<br />

Claudia Hornemann und Bernd Runge<br />

Auf einer großen Leinwand jagte Andy Warhol<br />

seinen Hund, sämt liche Cover der deutschen<br />

<strong>Interview</strong> waren von der englischen Künstlerin<br />

Hattie Stewart veredelt worden. Das Publikum<br />

war rheinländisch-eklektisch: von Birgit<br />

Schrowange (RTL) bis Rosemarie Trockel<br />

(Galerie Sprüth Magers)<br />

Rosemarie Trockel, Mike Meiré und Monika Sprüth<br />

Kunst von Hattie Stewart<br />

Max Mayer und Johannes Wohnseifer<br />

150<br />

Anja Schwing und Stephanie Fresle<br />

Die Factory von Meiré und Meiré<br />

151


PARTY<br />

Diane von Furstenberg, Christian Louboutin, Olivier Zahm<br />

PARTY<br />

Poppy Delevingne und Peter Dundas<br />

Cyprien Gaillard<br />

Xerxes Cook und Erika Kurihara<br />

Ellen von Unwerth<br />

SOME<br />

NIGHTS<br />

IN PARIS<br />

FOTOS<br />

MAXIME BALLESTEROS<br />

Ania Rubik<br />

Haider Ackermann<br />

Vanessa Bruno und Elizabeth von Guttman<br />

Isabell de Hillerin<br />

Giancarlo Giammetti und Carine Roitfeld<br />

„Black tie and smokey eyes” lautete<br />

der Dresscode für die Party der<br />

Partys, auf der Smokey-Eye-Expertin<br />

Carine Roitfeld ihre Kollektion für<br />

die Beauty-Marke MAC vor stellte.<br />

Fast ebenso schillernd und<br />

weniger förmlich: die Party zum<br />

20. Geburtstag des Magazins Purple<br />

Elena Perminova<br />

Gaspar Noé<br />

Ricardo Perna Cabibbo und Claudio Cortini<br />

Arizona Muse<br />

152<br />

Valentino Garavani<br />

Derek Blasberg und Natalia Vodianova<br />

153<br />

Louis-Marie de Castelbajac


PARTY<br />

André Saraiva<br />

Johann Haehling von Lanzenauer<br />

und Dunja Kara<br />

ANDRÉ<br />

SARAIVA &<br />

INTERVIEW,<br />

HAMBURG<br />

Zur Vernissage bei Circle Culture<br />

in Hamburg kam der Künstler, Clubbetreiber<br />

und Lebemann selbstver -<br />

ständlich mit Spraydose – auch wenn<br />

seine sehr aktiven Zeiten schon ein<br />

wenig zurückliegen<br />

Stefan Mentz und Jessica Joffe<br />

Maurice Gourdault-Montagne und Emmanuel de Bayser<br />

Rosa Merino Claros und Debbie Walice<br />

Von rechts: Josef Voelk,<br />

Lionel Richie und<br />

Emmanuel de Bayser<br />

Niki Pauls und Martin Turansky<br />

THE<br />

CORNER<br />

BERLIN<br />

Zwei Anlässe, eine Party: The Corner<br />

eröffnete, manche sagen: endlich, ihren<br />

Herrenshop, <strong>Interview</strong> feierte seine<br />

Oktober- Ausgabe. Überraschungsgast<br />

Lionel Richie (All Night Long) zeigte<br />

sich ebenso erfreut wie der französische<br />

Botschafter Maurice Gourdault-Montagne<br />

Marie Louise Stoffel und Caroline von Linsingen<br />

FOTOS<br />

MAXIME BALLESTEROS<br />

Jörg Rohleder, Anja Schwing und Joerg Koch<br />

Judith Guckler und Rainer Metz<br />

Lionel Richie<br />

Anja Schwing, Petra Fladenhofer und Stephanie Fresle<br />

FOTOS<br />

KARL ANTON KOENIGS<br />

Hili Ingenhoven und Sakia Axt<br />

Bent Angelo Jensen<br />

Belvedere-Barkeeper<br />

Exzellente Zeitschriftenauswahl in The Corner


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156<br />

Datum<br />

Unterschrift


FLASHBACK, NOVEMBER 1998<br />

F LA S H B A C K<br />

WHAM!BAM!<br />

PAM!<br />

WENN MAN DIE SINUSKURVE DER 90ER-JAHRE<br />

IN EINER PERSON DARSTELLEN MÜSSTE,<br />

FIELE DIE WAHL NICHT SCHWER:<br />

PAMELA ANDERSON RETTET IM ROTEN<br />

BADEANZUG DIE FERNSEHNACHMITTAGE DES<br />

KUSCHELJAHRZEHNTS QUASI IM ALLEINGANG.<br />

SIE SETZTE MIT DER COMICVERFILMUNG<br />

BARB WIRE MASSSTÄBE UND IST DER<br />

BESTE BEWEIS, DASS MAN EINE<br />

AMERIKANISCHE IKONE WERDEN KANN,<br />

WENN MAN IN HOTPANTS UND HIGH HEELS<br />

DURCH HOLLYWOOD STAKST<br />

“Meine Oma hört<br />

den Polizeifunk ab”<br />

INTERVIEW<br />

HAL RUBENSTEIN<br />

FOTOS<br />

DAVID LACHAPELLE<br />

158<br />

HAL RUBENSTEIN: Alle, denen ich erzählt habe, dass<br />

ich Sie heute interviewen würde, haben gesagt: „Wow!<br />

Wir lieben Pamela, sie ist so cool.“<br />

PAMELA ANDERSON: „… aber sie hat immer Ärger!“<br />

Ich finde es natürlich immer sehr lustig, so etwas zu<br />

hören. Man realisiert ja gar nicht, dass die Leute wissen,<br />

wer man ist. Es wird alles irgendwie surreal nach<br />

all den Coverfotos und <strong>Interview</strong>s. Ich<br />

habe aber mittlerweile kapiert, dass nur<br />

die Journalisten schlechte Dinge über<br />

mich erzählen, insbesondere diejenigen,<br />

die mich nicht persönlich treffen konnten<br />

und sich was ausdenken müssen. Allerdings<br />

habe ich bisher keinen getroffen, der mir irgendwelche<br />

Gemeinheiten ins Gesicht gesagt hätte.<br />

RUBENSTEIN: Kurz bevor Barb Wire 1996 herauskam,<br />

habe ich ein Foto von Ihnen ganz ohne Make-up gesehen<br />

und dachte: Wow, sie ist wirklich hübsch.<br />

ANDERSON: Oh …<br />

RUBENSTEIN: Dann sah ich den Film und dachte …<br />

ANDERSON: Aaaahhhhh!!! (lacht)<br />

RUBENSTEIN: … warum macht sie das nur?<br />

ANDERSON: Es sollte ursprünglich gar nicht so aussehen.<br />

Als ich den Comic sah, auf dem der Film basiert,<br />

dachte ich: Oh Gott, die sitzt in Lederkluft auf<br />

einem Motorrad, mit dieser riesigen Frisur, glamourös<br />

und völlig hysterisch. Das bin ich! Der Film sollte<br />

einen dunklen Humor haben und sehr comichaft werden.<br />

Kurz bevor die Produktion begann, war ich in<br />

Cannes, um Werbung zu machen. Es gab sehr viel<br />

Aufmerksamkeit, und Polygram, die den Film finanzierten,<br />

merkten, dass die Sache vielleicht größer wird<br />

als gedacht. Sie haben daraufhin versucht, das Ganze<br />

kommerzieller zu gestalten: mehr Action, weniger<br />

Ironie, ein anderer Regisseur. Das Drehbuch wurde<br />

Millionen Mal geändert. Das war sehr anstrengend<br />

für mich, weil all das meinem Bauchgefühl widersprach.<br />

All die Ironie, das Augenzwinkernde, war weg.<br />

Dennoch hat er eine kleine Fangemeinde von unterschiedlichsten<br />

Leuten. Ich kenne eine Menge Dragqueens,<br />

die sich wie ich in Barb Wire anziehen.<br />

RUBENSTEIN: Sind Sie mit Ihren alten Baywatch-Folgen<br />

zufriedener?<br />

ANDERSON: Ich habe nie eine davon gesehen.<br />

RUBENSTEIN: Sie haben sich nie Ihre eigene Serie angeschaut?<br />

ANDERSON: Nein, ich sehe mich selbst nicht gerne<br />

im Fernsehen.<br />

RUBENSTEIN: Warum nicht?<br />

ANDERSON: Ob Sie es glauben oder nicht, Tommy<br />

geht es genauso. Ich hätte ihm nie erlaubt, auch nur<br />

eine Folge zu gucken. Einmal habe ich mir einen kleinen<br />

Teil angeschaut und bin fast ohnmächtig geworden.<br />

Ich war nie besonders zufrieden mit meinen Arbeiten,<br />

andererseits bereue ich auch nichts. Es waren<br />

gute Erfahrungen, und ich habe sehr davon profitiert!<br />

Wirklich sehr. Aber hätte ich noch Baywatch-Partys<br />

veranstalten und meine Freunde einladen sollen, mit<br />

mir gemeinsam alle Folgen zu sehen?<br />

RUBENSTEIN: Ich habe gehört, Sie seien Executive<br />

Producer bei V.I.P., wollen aber nicht, dass das öffentlich<br />

wird, weil Sie glauben, man würde Sie auslachen.<br />

ANDERSON: Ganz genau.<br />

RUBENSTEIN: Mir können Sie davon erzählen, ich<br />

werde nicht lachen! (lacht)<br />

ANDERSON: Nach dem, wie es bei Barb Wire gelaufen<br />

ist, wollte ich unbedingt bei den kreativen Prozessen<br />

Mitspracherecht haben. Ich war an allem beteiligt<br />

– von der Anstellung von Produktdesignern<br />

Foto: David LaChapelle für <strong>Interview</strong> Magazine, November 1998<br />

159<br />

CRASH, BOOM, BANG …


F LA S H B A C K<br />

FlashbAck<br />

… WHAM, BAM, PAM!<br />

und Artdirektoren bis hin zum Casting. Ich habe eine<br />

genaue Vorstellung davon, was ich spielen will und<br />

was im Fernsehen meiner Meinung nach fehlt. Ich liebe<br />

Serien wie Bezaubernde Jeannie oder Gilligans Insel<br />

– verrückt, leicht und unterhaltend. V.I.P. ist bunt und<br />

hell und alle tragen verrückte Klamotten.<br />

RUBENSTEIN: Also ein komplett anderes Image als<br />

das, was Sie als Ehefrau von Tommy Lee und Darstellerin<br />

in Barb Wire haben, das ja recht düster ist.<br />

ANDERSON: Ich weiß. Das hat mit mir gar nichts zu<br />

tun. Ich war immer ein sehr positiver Mensch, ein unendlicher<br />

Optimist. Selbst mein Bruder, der meine<br />

Website betreut, der mein bester Freund ist und mich<br />

besser kennt als jeder andere, ruft mich an und fragt,<br />

ob alles in Ordnung sei, wenn mal wieder in irgendeiner<br />

Zeitung steht, dass ich heroinabhängig sei. Und er<br />

weiß, dass ich total gegen Drogen bin. Aber ich muss<br />

darüber lachen. Ich meine, wer hätte gedacht, dass es<br />

in so kurzer Zeit so abgeht? Es ist ja nicht so, dass ich<br />

schon wahnsinnig viel gemacht hätte. Und ich glaube<br />

nicht, dass ich in irgendwas bisher sonderlich erfolgreich<br />

war.<br />

RUBENSTEIN: Baywatch war erfolgreich.<br />

ANDERSON: Ich habe aber nur Baywatch, Hör mal,<br />

wer da hämmert, Barb Wire und V.I.P. gemacht. Das ist<br />

doch nicht viel. Aber ab und an picken sich die Medien<br />

eben einen raus. Allerdings dachte ich, die Freude<br />

daran würde sich irgendwann abnutzen.<br />

RUBENSTEIN: Und tut sie das?<br />

ANDERSON: Es ist, als wären überall, wo ich auftauche,<br />

Paparazzi. Hallo, ich gehe doch nur in den<br />

Supermarkt! Aber da warten sie auch schon.<br />

RUBENSTEIN: Akzeptieren Sie das als Teil Ihres neuen<br />

Lebens oder sind Sie verletzt?<br />

ANDERSON: Es gibt verschiedene Phasen. Als ich im<br />

neunten Monat schwanger war, wollte ich spazieren<br />

gehen, wurde von Paparazzi verfolgt und fing letztendlich<br />

an, mit einem zu raufen. Sie treffen dich<br />

manchmal so schutzlos. Einmal war ich mit meinen<br />

Kindern am Strand, und ein Jeep fuhr sehr schnell<br />

rückwärts auf uns zu und überfuhr dabei fast andere<br />

Kinder, nur um ein Foto von mir und meinen Kids zu<br />

bekommen. Es muss Grenzen geben. Ich verstehe,<br />

dass sie einen Job machen, und es gibt auch Fotografen,<br />

die sich professionell bewegen, aber andere fahren<br />

über rote Ampeln oder in der falschen Richtung<br />

durch Einbahnstraßen, total bizarr.<br />

RUBENSTEIN: Was kriegen Ihre Kinder davon mit?<br />

ANDERSON: Sie sehen mich manchmal im Fernsehen.<br />

„Da ist Mami!“ Aber für sie ist noch jede blonde<br />

Frau im Fernsehen ihre Mami.<br />

RUBENSTEIN: Wollten Sie als Kind eigentlich Hollywoodstar<br />

werden?<br />

ANDERSON: Nein. Ich habe das damals nicht als Beruf<br />

verstanden oder etwas, das ich eines Tages machen<br />

könnte. Ich hatte die Vorstellung, dass ein Schauspieler<br />

auch Schauspielerkinder hat und die zusammen in<br />

einer Art Kommune leben.<br />

RUBENSTEIN: Wann haben Sie realisiert, dass Schauspielerei<br />

eine Möglichkeit für Sie sein könnte?<br />

ANDERSON: Als ich im Playboy war und dann nach<br />

L.A. gezogen bin. Ich habe Leute kennengelernt, die<br />

mir ganz ähnlich waren und die auch in dem Business<br />

arbeiteten.<br />

RUBENSTEIN: Was war eigentlich Ihre erste Reaktion,<br />

als der Playboy anfragte?<br />

ANDERSON: Ich habe damals gerade eine Freundin<br />

bei einer Modenschau besucht, als sie mich gefragt<br />

haben. Ich habe Nein gesagt und dachte, die würden<br />

spinnen. Aber als sie mich ein zweites Mal fragten und<br />

dieses Mal für den Titel, dachte ich, für das Cover<br />

muss man ja nicht nackt sein. Und ein Cover bedeutet,<br />

bekannt zu werden. Aber mein damaliger Freund<br />

war ziemlich sauer. Der hat mir die Fotos verboten,<br />

also habe ich es aus Trotz gemacht. Ich meine, was<br />

auch immer, es hat Spaß gemacht.<br />

RUBENSTEIN: Machen Sie immer das, was man Ihnen<br />

verbietet?<br />

ANDERSON: Nicht immer. Aber jeder muss sein Leben<br />

selbst leben, und jemandem etwas aufzuzwingen<br />

– ich mag das nicht.<br />

RUBENSTEIN: Bietet Ihnen Hollywood mehr oder weniger<br />

Freiheit, als Sie vorher hatten?<br />

ANDERSON: Oh, mehr. Ich mache das ja hauptberuflich,<br />

ich bin alleinerziehende Mutter und ich bin sehr<br />

unabhängig. Ich verdiene genügend Geld, um mich<br />

um meine Kinder und mich selbst zu kümmern. Ich<br />

brauche niemanden.<br />

RUBENSTEIN: Glauben Sie wirklich, dass Sie niemanden<br />

brauchen?<br />

ANDERSON: Na ja, das ändert sich gerade. Langsam.<br />

RUBENSTEIN: Liegt es daran, dass man in den vergangenen<br />

Jahren dermaßen in Ihr Privatleben eingedrungen<br />

ist?<br />

ANDERSON: Was ich durchgemacht habe, hat mich<br />

nur stärker gemacht, wie alles, was man überlebt. Ich<br />

habe gelernt, Geduld zu haben und meine Person von<br />

all dem Müll nicht beeinflussen zu lassen. Man kann<br />

alles durchstehen, wenn man darauf vertraut, dass<br />

eben alles aus einem Grund passiert.<br />

RUBENSTEIN: Glauben Sie wirklich daran, dass all diese<br />

ungewollte Aufmerksamkeit ein Segen war?<br />

ANDERSON: Ich bin mir nicht ganz sicher, was ein<br />

Segen ist, aber ich fühle mich recht glücklich.<br />

RUBENSTEIN: Haben Sie jemals Schauspielunterricht<br />

genommen?<br />

ANDERSON: Nein, aber das sollte ich wohl mal machen.<br />

RUBENSTEIN: Warum denken Sie das?<br />

ANDERSON: Weil es ein Handwerk ist, und man sollte<br />

an der Beherrschung seines Handwerks arbeiten.<br />

Foto: David LaChapelle für <strong>Interview</strong> Magazine, November 1998<br />

Gerade jetzt, wo ich angefangen habe, das Schauspielerdasein<br />

zu genießen. Am Anfang habe ich durch die<br />

Arbeit gelernt. Und glücklicherweise habe ich ein gutes<br />

Gedächtnis, ich muss nur einmal auf meinen Text<br />

schauen. Aber ich habe mir nie viele Gedanken darüber<br />

gemacht, und allmählich merke ich, dass ich das<br />

mittlerweile ja alles ganz schön ernsthaft betreibe.<br />

Rubenstein: Sind Sie eigentlich jemals bedroht worden?<br />

AndeRson: Ich hatte mal einen Stalker, aber ich<br />

habe gute Bodyguards. Es hält mich auch nicht davon<br />

ab, Dinge allein zu machen.<br />

Rubenstein: Jetzt, wo Sie ein Single sind.<br />

AndeRson: Genau, ich mag das. Ich habe nun zwei<br />

und nicht mehr drei Kinder. Das ist viel einfacher.<br />

Rubenstein: Wie meinen Sie das?<br />

AndeRson: Ich habe nicht noch einen Dritten, der<br />

um meine Aufmerksamkeit buhlt.<br />

Rubenstein: Wusste Tommy nicht richtig, wie man<br />

ein guter Vater ist?<br />

AndeRson: Ich glaube, er wollte wirklich ein guter<br />

Vater sein, und er mochte die Vorstellung, Kinder zu<br />

haben. Er liebt sie auch. Aber ich glaube, es hat ihm<br />

ein wenig die Lust genommen, dass ich den Kindern<br />

so viel Aufmerksamkeit geschenkt habe und letztlich<br />

wenig für ihn übrig blieb. Ich glaube, er hatte eine Art<br />

Babyblues.<br />

Rubenstein: Sobald man Kinder hat, dreht sich die<br />

Welt nur noch um sie.<br />

AndeRson: Unsere Beziehung fing sehr intensiv<br />

und verrückt an, weil wir selbst wie zwei Kinder waren.<br />

Wir waren total verknallt. Das hatte nichts mit<br />

Alkohol oder Drogen zu tun, wir waren einfach sehr<br />

leidenschaftlich. Aber genau diese Leidenschaft empfand<br />

ich dann auch für meine Kinder. Es überwältigt<br />

mich, wie sehr ich Brandon und Dylan liebe. Sie zu<br />

beobachten, sie zu umsorgen, von ihnen zu lernen.<br />

Brandon ist jetzt schon so klug.<br />

Rubenstein: Und Tommy konnte diese Konkurrenz<br />

nicht aushalten. Läuft es denn jetzt besser mit ihm?<br />

AndeRson: Nein, es läuft überhaupt nicht gut. Wir<br />

werden sehen. Ich wünschte einfach, er könnte begreifen,<br />

was mit uns geschehen ist. Aber wenn er über<br />

die Vergangenheit, über uns spricht, frage ich mich,<br />

über wen er da eigentlich genau spricht.<br />

Rubenstein: Leugnet er immer noch, dass er Sie<br />

misshandelt hat?<br />

AndeRson: Es gibt eine Menge Verleugnung, ja. Ich<br />

dachte, es würde sich vielleicht ändern, aber nein.<br />

Rubenstein: Haben Sie mit ihm gesprochen, seit er<br />

die Haftstrafe dafür abgesessen hat?<br />

AndeRson: Nein, nur mit seinem Therapeuten.<br />

Tommy redet gerade nicht mit mir.<br />

Rubenstein: Setzt er sich denn mit all dem auseinander?<br />

AndeRson: Ich habe keine Ahnung, wo er mit seinem<br />

Kopf ist. Ich fürchte, er ist in einem erschreckenden<br />

Zustand. Das ist nicht gut, wer weiß, was noch<br />

passiert. Ich habe ihm eine Nachricht hinterlassen,<br />

dass ich wirklich froh bin, dass er so viel gelernt hat,<br />

gelesen hat und dass es nur besser werden kann. Und<br />

dass sich nichts an unserer Beziehung ändern würde,<br />

nur weil er gerade nicht mit mir sprechen will und es<br />

ihm schlecht geht. Und ich wollte ihm sagen, dass ich<br />

ihn unterstützen werde und ihn für immer liebe. Aber<br />

mit dem Abstand zwischen uns kann er diese Liebe<br />

nicht verstehen. Er sagt, dass ich entweder mit ihm<br />

verheiratet bin oder er mich hassen würde. Wenn ich<br />

mich scheiden lassen würde, will er nie wieder mit mir<br />

sprechen. Für Tommy gibt es nur ganz oder gar nicht.<br />

Wenn jemand aus seinem Leben tritt, versucht er alles,<br />

um diese Person zu hassen und nur das Negative<br />

an ihr zu sehen. Er hat nie etwas Nettes über seine<br />

Exfrau gesagt. Ich kenne dieses Muster, das ist seine<br />

Art, sich selbst zu schützen.<br />

Rubenstein: Aber es ist nicht so, dass Heather Locklear<br />

ihn oder Sie öffentlich schlechtmacht, oder?<br />

AndeRson: Nein. Ich habe sie nie kennengelernt,<br />

aber sie scheint sehr nett zu sein. Und sie hat sich weiterentwickelt,<br />

sie ist glücklich in ihrem Leben, da bin<br />

ich mir sicher.<br />

Rubenstein: Ich weiß nicht, wie ernst Ihre Beziehung<br />

zu Kelly Slater ist, aber haben Sie Angst, dass<br />

Sie beide nun wieder so von der Presse verfolgt werden<br />

wie Sie und Tommy damals?<br />

AndeRson: Es setzt dich auf jeden Fall ganz schön<br />

unter Druck. Und Kelly ist der letzte Mensch auf der<br />

Welt, der unter meinem Lifestyle leiden sollte. Ich<br />

habe eine Menge Respekt vor ihm und davor, wie er<br />

sein Leben lebt. In diesem Moment gibt es nichts zu<br />

unserer Beziehung zueinander zu sagen. Es ist nicht<br />

so wie mit Tommy. Ich hatte oft das Gefühl, ich müsste<br />

Tommy verteidigen, weil die Leute ein falsches Bild<br />

von ihm hatten, wohingegen Kelly für sich selbst<br />

steht. Er muss nicht von mir verteidigt werden.<br />

Rubenstein: Aber Ihrer beider Welten sind so unterschiedlich.<br />

AndeRson: Nicht wirklich, nicht unser privates<br />

Leben.<br />

Rubenstein: Aber ist er sich bewusst, wie schnell Ihres<br />

außer Kontrolle geraten kann?<br />

AndeRson: Er kennt mich ja schon eine Weile. Er<br />

weigerte sich allerdings, mit mir zu sprechen, als ich<br />

verheiratet war …<br />

Rubenstein: Warum?<br />

AndeRson: Oh, während der Ehe hatte ich gar keine<br />

männlichen Freunde.<br />

Rubenstein: War Tommy Lee so eifersüchtig?<br />

AndeRson: Wir verbrachten jede Minute miteinander,<br />

24 Stunden am Tag, 7 Tage die Woche. So war es<br />

einfach. Deswegen habe ich mich auch bei Kelly entschuldigt.<br />

Weil es mir leid tat, wie das alles gelaufen<br />

ist. Und er findet es okay. Er versteht. Jetzt habe ich<br />

ihm gesagt, dass ich ihn nie wieder verlassen werde –<br />

und er antwortete: „Das hast du nie.“ Gleichzeitig<br />

fühle ich mich noch nicht bereit, eine neue Beziehung<br />

anzufangen. Noch nicht. Unsere Freundschaft ist sehr<br />

eng. Wir lieben uns. Er unterstützt mich. Er weiß,<br />

wer ich bin, und lässt sich von dem ganzen Bohei<br />

nicht abschrecken.<br />

Rubenstein: Er glaubt also nicht alles, was in den<br />

Zeitungen über Sie geschrieben steht?<br />

AndeRson: Nein, aber meine Oma tut das, sie kauft<br />

jedes dieser Schundblätter. Aber sie besitzt auch einen<br />

Scanner, um den Polizeifunk auf Vancouver Island abzuhören.<br />

Sie will einfach all die Gerüchte kennen, jedes<br />

noch so kleine Detail. Sie will alles über jeden<br />

wissen. Einmal rief sie meinen Vater an und behauptete,<br />

ich sei auf einer Hochzeit auf der Queen Mary<br />

gewesen und hätte das ganze Buffet leer gegessen.<br />

Daraufhin rief mein Dad mich an und fragte: „Pamela,<br />

stimmt das?“ „Klar, Dad“, meinte ich, „abgesehen<br />

davon, dass ich nie auf der Queen Mary war, nie eine<br />

Hochzeit auf der Queen Mary besucht habe und nie<br />

an Buffets esse.“ Und wissen Sie, was mein Vater daraufhin<br />

zu mir sagte?<br />

Rubenstein: Nein, erzählen Sie es mir!<br />

AndeRson: Sein Kommentar lautete: „Ich finde, das<br />

ist kein angemessenes Verhalten.“ Er hat mir nicht<br />

geglaubt! Mir, seiner Tochter! Leider glaubt mein<br />

Dad, wie so viele Leute, alles, was irgendwo gedruckt<br />

steht. Einfach nur, weil es gedruckt da steht. Was gedruckt<br />

wird, ist die Wahrheit.<br />

Rubenstein: Ist der Ruhm das wert?<br />

AndeRson: In derlei Kategorien denke ich nicht.<br />

Mein Leben ist, was es ist. Tag für Tag. Meine beste<br />

Freundin arbeitet in der Zulassungsstelle für Fahrzeuge<br />

in Victoria auf Vancouver Island. Und auch in ihrem<br />

Job gibt es gute und schlechte Seiten. Alles ist<br />

irgendwie relativ. Und alles ist ein Drama, wenn Sie<br />

verstehen, was ich damit meine. Es mag sein, dass<br />

mehr Menschen denken, sie würden mein Leben<br />

durchschauen, aber ihr Leben kann ebenso schmerzhaft<br />

für sie sein.<br />

Rubenstein: Aber Sie haben sich nun mal nicht dazu<br />

entschlossen, bei der Zulassungsstelle zu arbeiten.<br />

AndeRson: Aber das, was ich mache, habe ich ebenso<br />

wenig geplant. Eigentlich dachte ich, es hört halt<br />

irgendwann auf. Ich hatte keinen Schimmer, dass es<br />

von solch einer Dauer sein würde.<br />

Rubenstein: Es ist nicht unüblich, dass Schauspieler,<br />

die über Nacht große Anerkennung erfahren, plötzlich<br />

von Selbstzweifeln geplagt werden. Wachen Sie<br />

manchmal nachts im kalten Schweiß gebadet auf?<br />

AndeRson: Ich lasse mich davon nicht verrückt<br />

machen, nein. Was die Presse schreibt, ist ohnehin<br />

surreal für mich. Einfach, weil darin ein Monster erschaffen<br />

wird. Das hat mit meinem eigentlichen Leben<br />

nichts zu tun, mit dem Leben, dass ich zu Hause<br />

mit meinen Kindern führe. Das ist sehr einfach und<br />

bereitet mir Freude. Große Freude! Ich lasse mein<br />

Privatleben nicht von meinem öffentlichen Leben beeinflussen.<br />

Rubenstein: Was erwarten Sie von Ihrer neuen Sendung,<br />

von V.I.P.? Einen Emmy? Oder Angebote für<br />

Filmrollen?<br />

AndeRson: Wer weiß? Alles, was mit meiner Karriere<br />

zu tun hat – wenn man es denn so nennen möchte<br />

–, liegt außerhalb meiner Kontrolle. Ich habe keine<br />

Kontrolle über gar nichts. Es wird wie immer sein:<br />

Die Show wird gesendet, die Besprechungen werden<br />

furchtbar sein, Kritiker zerreißen sie …<br />

Rubenstein: Glauben Sie wirklich?<br />

AndeRson: Klar, auf jeden Fall. Es ist schließlich<br />

keine Hochkultur.<br />

Rubenstein: Na ja, Baywatch wurde anfangs auch<br />

zerrissen …<br />

AndeRson: … und wird es immer noch. Dennoch<br />

ist es ein großer Hit.<br />

Rubenstein: Genau wie Xena und Hercules.<br />

AndeRson: Exakt, und die sind geradezu hysterisch!<br />

Weil sie einfach nur gut unterhalten und gar nicht<br />

mehr wollen. Dementsprechend haben wir jetzt eine<br />

groß angelegte Action­Show konzipiert. Es gibt Drama,<br />

Glamour und scharfzüngigen Humor – und ich,<br />

mittendrin, auf High Heels und in Hotpants, springe<br />

von Hochhäusern, während hinter mir irgendwelche<br />

Bomben hochgehen.<br />

Rubenstein: Okay, aber hatten Sie nicht eben erwähnt,<br />

dass Sie das schauspielerische Handwerk nun<br />

von der Pike auf erlernen wollen? Glauben Sie, dass<br />

die Industrie Sie irgendwann als Schauspielerin ernst<br />

nehmen wird, wenn Sie High Heels und Hotpants<br />

tragen?<br />

AndeRson: Ich BIN eine Schauspielerin. Auch in<br />

High Heels und Hotpants (lacht). Damit verdiene ich<br />

mein Geld. Und es amüsiert mich. Mir ist egal, was<br />

die Leute denken, ob sie es mögen oder nicht. Hauptsache,<br />

ich habe Spaß!<br />

160<br />

161


Foto: David LaChapelle für <strong>Interview</strong> Magazine, November 1998<br />

<strong>Interview</strong>- Cover, November 1998<br />

DIE NÄCHSTE AUSGABE<br />

VON INTERVIEW<br />

ERSCHEINT AM<br />

30. NOVEMBER 2012<br />

162<br />

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