Cicero Der Dichter-Punk (Vorschau)
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Salon<br />
Porträt<br />
Heilandzack, ein TotENBEtt<br />
Sibylle Lewitscharoff erhält den Georg-Büchner-Preis. In ihrem famosen Werk treten<br />
Menschen auf und Engel, schwäbische Krämerseelen und bulgarische Hallodris<br />
Von AlexANDER Kissler<br />
Foto: Jürgen Bauer [M]<br />
Romifiziert sei sie. Wieder einmal.<br />
Wie vor elf Jahren, als sie<br />
in der Heiligen Stadt für den Roman<br />
„Montgomery“ recherchierte. Nun<br />
sitzt Sibylle Lewitscharoff im Garten der<br />
Villa Massimo, wo die Deutsche Akademie<br />
Rom beheimatet ist. <strong>Der</strong> Chor der<br />
Grillen steigert sich zum Crescendo, der<br />
Wind hält Siesta, die hartnäckigste aller<br />
römischen Fliegen umkreist den Tisch.<br />
Nebenan, in der Atelierwohnung, ihrer<br />
Stipendiatenbleibe für ein Jahr, feilt sie<br />
gleich an der Rede zum Büchner-Preis,<br />
der ihr am 26. Oktober verliehen wird.<br />
Und an dem Krimi „Killmousky“, einem<br />
„Zwischenstückchen“. Und sammelt<br />
Ideen für das nächste Romanprojekt:<br />
In einen Kongress der Dante-Forscher<br />
fahren himmlische Zungen nieder. Ein<br />
veritables Pfingstwunder zu Rom, im<br />
21. Jahrhundert.<br />
Sibylle Lewitscharoffs erzählerische<br />
Welt ist von Engeln und Menschen bevölkert,<br />
von Schlaflosigkeiten und Träumen<br />
und sonderbaren Todesfällen, von<br />
Vätern, die sich aus dem Staub machen,<br />
Heiligen, die am Leben abprallen, und<br />
immer von viel Aberwitz und einer großen<br />
Dosis Stuttgart-Degerloch. Dort kam<br />
Lewitscharoff 1954 zur Welt, dort ließ<br />
sie 2003 ihren Montgomery herstammen,<br />
diesen sonderbaren Filmproduzenten. Er<br />
will in Rom „Jud Süß“ verfilmen und fällt<br />
dabei zurück in die Kuttel- und Gaisburger-Marsch-Tage<br />
der Kindheit – o du<br />
„Blitzsauberkeit“! Natürlich war auch der<br />
Held des folgenden Romans „Consummatus“,<br />
der Deutschlehrer und Jenseitserforscher<br />
und Alt-Rock-and-Roller Ralph<br />
Zimmermann, mit Schwabenschläue gesegnet:<br />
„Wenn ich zurückrechne, komme<br />
ich wie Heidegger auf 15 Geliebte.“<br />
Ruckweise fällt Lewitscharoff ins<br />
Schwäbische, sobald Herzinniges berührt<br />
wird. Dann sagt sie im schattenarmen<br />
Garten der Villa „Maikäferle“ oder „der<br />
Kerle“. In den Romanen lockert sie den<br />
Acker des Dialekts behutsam. „Heilandzack“,<br />
rufen die Figuren, wenn sie sich<br />
wundern. „Apostoloff“ erzählt gar auf<br />
burlesken Pfaden die eigene Lebensgeschichte.<br />
Ein streitfreudiges Stuttgarter<br />
Schwesternpaar fährt nach Sofia, um die<br />
Überreste nach Deutschland ausgewanderter<br />
Bulgaren der Heimaterde zurückzugeben.<br />
Bulgarien aber ist ein „lächerliches<br />
Land“, hässlich überall.<br />
Lewitscharoff war elf Jahre alt, als<br />
der bulgarische Vater, ein Arzt, sich das<br />
Leben nahm. In „Apostoloff“ erscheint er<br />
als Mann mit dem Strick, „im Innersten<br />
verkorkst“. Damals, sagt sie, begann das<br />
familiäre Elend. Die schwäbische Mutter<br />
stand allein da und mittellos. Sibylle fing<br />
zu schreiben an, den ersten Roman mit<br />
16, eine „vertrackte südamerikanische<br />
Jesus-Geschichte, eine Auseinandersetzung<br />
mit dem Tod des Vaters“, der Kristo<br />
geheißen und durch diesen Namen und<br />
diese Tat den Namen Jesu „eigentlich beschmutzt<br />
hatte“. Zeitgleich begann „das<br />
sehr fromme Kind, das ich war“, seine<br />
trotzkistische Trotzphase. Sie fühlte sich<br />
linksradikal, ehe die Weltliteratur sie rettete.<br />
„Ich las Flaubert, Kafka, dann Musil<br />
und Proust und merkte: Die Welt ist nicht<br />
so simpel, wie es diese allzu starke Form<br />
der Idiotisierung vorgaukelte.“<br />
Überhaupt solle Literatur „unser<br />
Menschenbild verfeinern“. Gerade so<br />
habe sie eine zivilisierende Wirkung.<br />
„Mich hat sie stabilisiert in meinen charakterlichen<br />
Anlagen und meine Verstörung<br />
gemindert.“ Wenngleich sie jedes<br />
Buch, kaum geschrieben, erst einmal für<br />
verdorben halte, hofft sie auf eine solche<br />
Wirkung auch für andere. Die „noble<br />
Aufgabe der Kunst“, sagte sie 2011<br />
in ihrer Frankfurter Poetikvorlesung,<br />
sei es, „wenigstens eine Ahnung davon<br />
aufblitzen zu lassen, was essenziell gut,<br />
was schön, was wahr sein könnte in uns<br />
selbst und in der Welt, in der wir leben“.<br />
Zuletzt war die Geschichte des Philosophen<br />
Hans Blumenberg in „Blumenberg“<br />
der Vordergrund einer, wie sie sagt,<br />
„Heiligenlegende“. Blumenberg ist bei ihr<br />
ein Mann im Gehäuse, dem ein Löwe erscheint,<br />
ein Einzelgänger, der den „Absolutismus<br />
der Wirklichkeit“ verwirft.<br />
„Blumenberg ist eine Gegenfigur zu all<br />
jenen, die in ihrer Betriebsamkeit gar<br />
nichts mehr sehen.“ <strong>Der</strong> bibelkundige<br />
Asket teilt Lewitscharoffs Unbehagen<br />
an der „Wegwerftendenz“ der Moderne.<br />
Er schätzt wie sie die Tradition als jenen<br />
Teich, in dem sich baden muss, wer wahrhaft<br />
kreativ sein will: „Wer“, sagte sie<br />
ebenfalls in der Frankfurter Vorlesung,<br />
„wer den Wunsch hegt, seriös zu schreiben<br />
und sich nicht mit Leidenschaft, ja,<br />
mit Haut und Haaren, der Tradition ausliefert,<br />
der steht als ein ziemlich armes<br />
Würstchen da, dem Affentheater des<br />
Zeitgeschmacks völlig ausgeliefert.“<br />
Am Abend sitzen wir im Ristorante.<br />
<strong>Der</strong> Grillenchor schläft, ein Ventilator<br />
pfeift, da beginnt sie zu fabulieren, unterbrochen<br />
vom typisch lewitscharoffschen<br />
Lachen, einem salvenartigen Überfall<br />
des Gemüts auf die Stimmbänder. Sie<br />
erzählt vom Jahr, das sie einst in Paris<br />
verbrachte, und dem anderen in Brasilien<br />
und von den drei Monaten auf dem Amazonas.<br />
In einer Hängematte lag sie, am<br />
Bug des Schiffes, und fühlte sich wunderbar<br />
leicht und eins werden mit dem Strom<br />
und mit den Bäumen, die vorüberzogen.<br />
Nichts fehlte. Doch das ist lange her und<br />
eine ganz andere Geschichte.<br />
AlexANDER Kissler leitet den Salon.<br />
Er traf Sibylle Lewitscharoff in Rom zum<br />
ersten Mal. Ihre Bücher mag er, weil sie<br />
Humor und Geist wunderbar verbinden<br />
117<br />
<strong>Cicero</strong> – 10.2013