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Fräulein Aino Laberenz (Vorschau)

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<strong>Aino</strong> <strong>Laberenz</strong><br />

Unser <strong>Fräulein</strong> <strong>Aino</strong> Labarenz ist<br />

eine der spannendsten Bühnen- und<br />

Kostümbildnerinnen der Republik.<br />

Auf diesen ersten Seiten zeigt sich die<br />

geborene Finnin schon einmal ganz<br />

privat.


Weitere Informationen über: Max Mara GmbH München Tel. 089/35 04 960<br />

Ingrid Jansen Modevertriebs GmbH Salzburg Tel. 0662/45 62 12<br />

Marco Bruhin & Co. Schlieren Tel. 044/73 22 020 (Max Mara Agenturen)<br />

MAXMARA.COM


Nr.11<br />

4<br />

5<br />

Nr.11


HUGO BOSS AG Phone +49 7123 940<br />

Liebe Leserinnen, liebe Leser,<br />

es kann einem schon etwas<br />

Angst und Bange werden, wenn<br />

man dieser Tage auf die Mode<br />

blickt. Bis auf wenige Ausnahmen<br />

regiert auf den Laufstegen<br />

die große Langeweile. Zwar<br />

unterliegt jede kreative Szene<br />

Zyklen, in denen mal mehr, mal<br />

weniger spannendes entsteht.<br />

Was mich aber besorgt: Ich<br />

kann nicht wirklich erkennen,<br />

woher die neue Impulse heute<br />

kommen sollen!<br />

Das Internet hat der Mode viel<br />

gegeben. Das ist so. Aber es hat<br />

auch zu einem grundlegend negativen<br />

Effekt geführt: Es lässt<br />

die Branche letztendlich zu<br />

dem werden, was ihr die Kritiker<br />

schon immer vorgeworfen<br />

haben: Zu einer sinnentleerten<br />

Hülle, in der die Selbstdarstellung<br />

des Publikums auf sozialen<br />

Netzwerken und Style Blogs das<br />

Wesentliche verdrängt. It-Girls<br />

und Blogger sind zu unseren<br />

neuen Ikonen geworden. Und<br />

das ist ein Problem.<br />

Die Mädchen werden von Designern<br />

mit Klamotten versorgt<br />

und dafür bezahlt, sich bei den<br />

<br />

die Bilder dann auf Instagram<br />

zu posten und mit lächerlichen<br />

Kommentaren wie „die neue<br />

Chanel-Show, Bombe“ und später:<br />

„Me and my Valentino. Just<br />

taking the helikopter to...“ zu<br />

versehen. Nebenher herrscht<br />

<br />

aller Gewalt auf einen Style<br />

Blog zu kommen, ziehen sich<br />

<br />

die Geisterbahn an. Dabei kann<br />

jeder meinetwegen seine „15<br />

minutes of fame“ haben. Wenn<br />

es aber zunehmend nur noch<br />

um das Label, nicht mehr um<br />

die Haltung geht, die ein Kleidungsstück<br />

vermitteln kann,<br />

dann werden diese Mädchen zu<br />

puren Sklaven der Marken, zu<br />

Getriebenen des Hypes.<br />

Egal, ob das nun nach „Alter<br />

Schule“ klingt: Ich wünsche<br />

mir die Zeit zurück, in der die<br />

Leute gebrannt und sich darum<br />

geprügelt haben, in die Shows<br />

zu kommen. Weil sie wirklich<br />

sehen wollten, was die Designer<br />

ihnen dort präsentieren. Die<br />

Zeit, in der man jeden Soundtrack<br />

haben wollte, der auf den<br />

Laufstegen lief, Magazine noch<br />

eigene Trends gesetzt und nicht<br />

nur 1 zu 1 kopiert haben. In der<br />

es um Dissidenz, um Haltung<br />

und um Schönheit ging. Ich<br />

wünsche mir die Zeit zurück,<br />

in der in der Branche ernsthaft<br />

über Kunst, Musik und Kultur<br />

diskutiert wurde, in der es um<br />

das einzelne Teil ging, den einen<br />

Song, das singuläre Ereignis,<br />

das Hier und das Jetzt.<br />

Die Mode, die wir lieben,<br />

braucht kreative Innovatoren.<br />

Was passiert, wenn die Suzy<br />

Menkes und Anna Wintours<br />

dieser Welt von der großen<br />

Bühne abgetreten sind? Wenn<br />

Schema F regiert?<br />

Die Aufgabe der Modebranche<br />

war es immer, als kulturelle<br />

Avantgarde Trends zu setzen.<br />

Dafür braucht man eine eigene<br />

Meinung, einen eigenen Kopf.<br />

Das wiederum scheint auch bei<br />

vielen Labels nicht mehr gefragt<br />

zu sein. Und damit kommen wir<br />

zum Kern des Problems:<br />

In den letzten Jahren haben sich<br />

in der Modewelt übermächtige<br />

Globalplayer gebildet. Traditionsmarken<br />

werden geschluckt<br />

und gnadenlos auf internationalen<br />

Markt und maximale<br />

<br />

und überall zu gefallen ist man<br />

nicht mehr bereit, Risiken einzugehen.<br />

Modestrecken, ehemals die<br />

identitätsstiftende Signatur der<br />

Magazine, dürfen oftmals nur<br />

noch komplett im Totallook fo-<br />

<br />

und Detail bleibt kein Raum.<br />

Kein Wunder also, das nichts<br />

Neues entsteht und die Hefte<br />

zunehmend wie PR-Wüsten<br />

aussehen, das PR-Agenturen<br />

ihren Kunden nur noch das<br />

sichere Ding, das Mainstream-Magazin<br />

als Werbekunden<br />

vorschlagen.<br />

Sind wirklich die Blogs und<br />

Streetstyle-Seiten die Antwort?<br />

Reichen Websites, auf denen<br />

ein Turnschuh auf den anderen<br />

folgt und klar ist, dass für jeden<br />

zweiten Post bezahlt wurde?<br />

Brauchen wir nicht vielleicht<br />

doch Medien mit eigener Meinungen<br />

und starken Inhalten?<br />

Medien, die kritisch und ehrlich<br />

berichten, die sich ihre Glaubhaftigkeit<br />

erhalten haben?<br />

So ein Magazin will und soll die<br />

<strong>Fräulein</strong> sein. Wir wollen Spaß<br />

haben und etwas schaffen,<br />

auf das wir stolz sein können.<br />

Wollen keine Standardlisten<br />

abarbeiten, sondern das Neue<br />

begrüßen und fördern. Ich weiß<br />

sehr wohl, dass es noch viele<br />

Blogs, PR-Agenturen und Magazine<br />

gibt, die sich ihrer Verantwortung<br />

bewusst sind und<br />

genau so denken wie wir. Aber<br />

ich sehe auch, dass es immer<br />

weniger werden. Wir sollten<br />

uns also Sorgen machen, aber<br />

nicht die Hoffnung verlieren.<br />

Ich wünsche Ihnen<br />

viel Spaß beim Lesen!<br />

Ihr Götz Offergeld<br />

Nr.11<br />

6<br />

7<br />

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Nr.11


Nr.11<br />

8<br />

9<br />

Nr.11


Illustration: Der Stör<br />

DIE ELEFANTENDOLMETSCHERIN<br />

Wie spricht man denn mit Elefanten?<br />

Eine Reise ins Herz von Afrika.<br />

S.100<br />

QUAL DER TIERE<br />

Ob Nahrungsmittel-. Unterhaltungs-<br />

oder Modeindustrie,<br />

überall leiden Tiere für unser<br />

Wohl. Wir müssen umdenken.<br />

S.128<br />

AINO LABERENZ<br />

ist das <strong>Fräulein</strong> der Ausgabe. Die<br />

Kostümbildnerin und Witwe von<br />

Christoph Schlingensief öffnet<br />

uns ihr Herz.<br />

S.60<br />

MARINA ABRAMOVIC<br />

ist eine besessene Kunst-Arbeiterin. Dass<br />

der Körper eine Waffe sein kann, verrät sie<br />

uns im Interview.<br />

S.92<br />

YVA<br />

<br />

eine der großen Frauen der<br />

Weimarer Republik. Sie<br />

verdient es, wiederentdeckt<br />

zu werden.<br />

S.50<br />

SUI HE<br />

hat kämpfen müssen. Jetzt<br />

gilt sie als neues Gesicht<br />

Asiens. Der Durchbruch!<br />

S.18


CONTRIBUTORS<br />

LISA KIRCHNER<br />

In ihren Illustrationen zum Horoskop sind<br />

Buchstaben mehr als ein paar Linien, schaut<br />

man genauer hin, dann eröffnen sie ganze<br />

Welten.<br />

MAJA HOOK hat gerade noch ihren Master<br />

verteidigt. In ihrer „ersten“ <strong>Fräulein</strong> hat sie gleich<br />

zwei Interviews. Glückwunsch!<br />

VANESSA OBRECHT<br />

Unsere liebste Schweizerin hat für uns ein tolles Interview<br />

mit der Designerin Angela Missoni geführt.<br />

Wir hoffen sehr, dich bald wieder öfter bei uns in<br />

der Redaktion zu sehen Vanessa.<br />

STEFAN ARMBRUSTER zeigt in<br />

seiner Modestrecke, dass die neuen Männer<br />

cool und selbstsicher sein können, ohne<br />

in überholten Rollen-Bildern hängen zu<br />

bleiben.<br />

MARTIN SIMONS hat<br />

kein Smartphone ist aber<br />

super smart wenn es um tolle<br />

Beiträge für unser Magazin<br />

geht. Seine Geschichte des<br />

<br />

sophisticated“.<br />

MARIO VILANOENA<br />

Karneval oder Streetstyle? Heute<br />

manchmal schwer zu unterscheiden.<br />

<br />

Streetstyles“ der Fashion Week 2013.<br />

SOLVEIG VIOLA machte <strong>Aino</strong> <strong>Laberenz</strong><br />

mit ihrem feinfühligen, humorvollen Styling noch<br />

schöner. Très jolie, très chic, très bien.<br />

MIRIAM SUTER führte ein sehr<br />

intimes und dabei humorvolles Interview<br />

mit der Performance-Künstlerin Marina<br />

Abramovic. Danke nach Aarau!<br />

MICHAEL OBERT<br />

Unser Reporter ohne Grenzen reiste<br />

diesmal für <strong>Fräulein</strong> nach Afrika und kam<br />

mit einer packenden Geschichte über<br />

eine eigenwillige Frau zurück, die uns tief<br />

berührte.<br />

LENIA HAUSER<br />

Simplizität kann viel stärker zuschlagen<br />

als wir oft denken. Bester Beweis: Die<br />

Illustration, die Master-Studentin Lenia<br />

für unser Rezept entworfen hat!<br />

ANNA CATHARINA GEBBERS<br />

sprach für uns mit unserem <strong>Fräulein</strong>n<br />

<strong>Aino</strong> <strong>Laberenz</strong>. Ausgeruht und klug -<br />

genau so wie wir es lieben.<br />

SABINE VOLZ Weil provokant<br />

und einfach anders als der<br />

Mainstream: Sabines Foto für unser<br />

Rezept zeigt...die nackte Wahrheit!<br />

ANJE JAGER gehört mit ihren Illustrationen<br />

zum ästhetischen Fundament von <strong>Fräulein</strong>.<br />

Erscheint dieses Heft ohne Anjes kunstvolle Zeichnungen<br />

würde eine Ära zu Ende gehen.<br />

ROBERT GRUNENBERG Erst wollte er<br />

ein Praktikum machen, dann lieber gleich als<br />

Fashion-Reporter anfangen. Das war die richtige<br />

Entscheidung. Stella McCartney entlockte er im<br />

Interview die schönsten Bekenntnisse.<br />

KATRIN FUNCKE hat für uns gewohnt<br />

stilsicher die Rubrik „Antifräulein“ illustriert.<br />

Fast zuviel der Ehre für Rihanna.<br />

MIRIAM MICHELON<br />

Bestes Beispiel einer Künstlerseele. Ihre Illustration<br />

für unsere Rubrik „Sachen gibt´s“ lassen<br />

Gänsehaut entstehen.<br />

IRINA GAVRICHS poetische Fotoserie<br />

einer durch Wien tanzenden Unbekannten, trifft<br />

ziemlich genau unsere Herbst-Stimmung. Ein<br />

<strong>Fräulein</strong>-Liebling dieser Ausgabe.<br />

LORENZ SCHRÖTER ist ein Partisan<br />

des deutschsprachigen Reportagejournalismus. Er<br />

hat die Welt gesehen, für Tempo und das Zeitmagazin<br />

geschrieben. Für <strong>Fräulein</strong> hat er einen so witzigen<br />

wie schlauen Essay über die zweitberühmteste<br />

Katze der Welt geschrieben.<br />

DER STÖR hat unser Inhaltsverzeichnis<br />

zu einem echten Kunstwerk<br />

gemacht. Was für ein schöner Start in<br />

die neue <strong>Fräulein</strong>!<br />

BERNAT BUSCATO<br />

Unser Fashion-Botschafter in New<br />

<br />

<strong>Fräulein</strong> Magazin. Styling on a global<br />

scale. Thanks a lot, Bernat.<br />

BEATRICE KITTELMANN<br />

Wir haben ja schon einige SchülerpraktikantInnen<br />

in der Redaktion gehabt, aber noch keine, die auf die<br />

Beatles, Joy Division und alte Hollywood-Klassiker<br />

steht. Hat Spaß gemacht Bea!<br />

HEIKO RICHARD<br />

gehört schon längst zur innersten <strong>Fräulein</strong>-Familie.<br />

5 Minuten hatte er Zeit, das<br />

<br />

genau den richtigen Moment erwischt.<br />

Unser Cartier-Bresson des Monats.<br />

ANDREAS STEINBRECHER<br />

Ain´t no rules, außer: In der Ruhe<br />

liegt die Kraft. Das Ergebnis: wunderschöne<br />

Illustrationen, die der frische<br />

Bachelor-Absolvent für unsere Essays<br />

gezeichnet hat.<br />

MARCEL SCHWIECKENRATH<br />

<br />

coole Portrait von Marla Blumenblatt.<br />

DAVID FISCHER ist ein Berliner Trickster<br />

vor dem Herren. Für die Titelgeschichte<br />

der <strong>Fräulein</strong> hat er uns eine großartige Fotostrecke<br />

mit <strong>Aino</strong> Labarenz gezaubert. Boom!<br />

MATTHIAS ZIEGLER<br />

begab sich mit Michael<br />

Obert auf die Spuren einer<br />

Elefanten-Dolmetscherin.<br />

Seine Fotos lassen uns in die<br />

Geschichte eintauchen wie in<br />

einen Film.


Nr.11<br />

14<br />

15<br />

Nr.11


TALENT<br />

Text: Hendrik Lakeberg<br />

savages<br />

„HALT DIE KLAPPE, WELT“<br />

EINE SÄNGERIN, DIE MIT KURT COBAIN VERGLICHEN WIRD, KEINE SMARTPHONES<br />

AUF KONZERTEN, EIN MANIFEST AUF DEM COVER – DIE BAND SAVAGES HAT<br />

GROSSE ZIELE UND DAS DEBÜTALBUM DES JAHRES ABGELIEFERT.<br />

Im Endeffekt sind es jedes Jahr weltweit eine<br />

Handvoll Bands, die in den Kritikerlisten ganz<br />

oben stehen. Daran kann man erkennen, dass<br />

sich der globale Musikgeschmack immer stärker<br />

angleicht, aber man sieht auch jedes Mal<br />

aufs Neue, dass die Vorlieben der Kritiker andere<br />

sind als die des großen Publikums. Besonders<br />

gefeiert wurde von der Kritik in diesem Jahr zu<br />

Recht die Londoner Band Savages. Vier Frauen,<br />

deren Live-Performances vor allem durch die Sängerin<br />

Jehnny Beth eine atemberaubende Energie<br />

<br />

zu den interessantesten und mitreißendsten Platten<br />

des Jahres gehört. Jehnny Beth wurde sogar mit Nirvana-Frontmann<br />

Kurt Cobain verglichen. Musikalisch<br />

beziehen sich die Savages auf den Postpunk der frühen<br />

Achtziger und späten Siebziger, auf Bands wie The Slits,<br />

Joy Division, Wire zum Beispiel oder die große Punk-Ikone<br />

Patti Smith. Das tun andere auch,<br />

doch nur wenige nehmen ihre Musik<br />

so ernst und verfolgen sie so konsequent<br />

wie diese Band. In den kalten, wütenden<br />

und an den richtigen Stellen feinfühligen<br />

SILENCE YOURSELF von Savages ist das<br />

meistbeachtete Debütalbum des Jahres. In<br />

Deutschland spielt die Band am 23.11. in<br />

Hamburg und am 22.11. in Berlin.<br />

Texten steckt ein tiefes Verständnis davon,<br />

wie sich die Gegenwart anfühlt: deren Ner-<br />

schaftliche<br />

Druck, der von ihr ausgeht. Deshalb<br />

rufen Savages auf ihren Konzerten dazu auf, die<br />

Welt für ein, zwei Stunden auszuschließen, keine<br />

Smartphones zu benutzen, kein Instagram<br />

oder Facebook, keine Videoaufnahmen – nur der<br />

Moment und die Energie der Musik. Was wäre<br />

dies also für eine kluge Welt, wenn statt Katy Perry,<br />

Rihanna oder Miley Cyrus diese Band die Radios,<br />

Charts, Magazine und unsere Gedanken beschäftigen<br />

würde. Was Kritiker und auch wir an den Savages<br />

lieben, ist eine Behauptung: nämlich, dass Musik etwas<br />

bewirken kann, dass sie kathartisch sein und darüber<br />

hinaus ein Ziel geben kann. Welches das sein könnte,<br />

schreiben sie in ihrem Manifest, das auf das Frontcover<br />

ihrer Platte gedruckt ist: IF THE WORLD WOULD SHUT<br />

UP EVEN FOR A WHILE / PERHAPS<br />

WE WOULD START HEARING THE<br />

<br />

<br />

OURSELVES<br />

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Nr.11 16<br />

FOLLOW YOUR NATURE<br />

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Nr.11


DURCHBRUCH<br />

Text: Robert Grunenberg<br />

Foto: Heiko Richard<br />

sui he<br />

DAS CHINESISCHE<br />

TOPMODEL SUI HE<br />

HAT ES GESCHAFFT<br />

– SIE ZÄHLT ZU<br />

DEN AM MEISTEN<br />

FOTOGRAFIERTEN<br />

GESICHTERN DER<br />

MODEWELT UND<br />

DAS IN EINER<br />

BRANCHE, IN DER<br />

ASIATISCHE MODELS<br />

NOCH IMMER<br />

UNTERREPRÄSEN-<br />

TIERT SIND.<br />

Sui He schmunzelt mit fernöstlicher<br />

Zurückhaltung, wenn sie über ihre<br />

außergewöhnliche Modelkarriere<br />

sprechen soll. Seit zwei Jahren schießt<br />

die 23-jährige Chinesin raketengleich<br />

durch den Modekosmos: Magazincover,<br />

Runways, Exklusiverträge für<br />

riere<br />

wirk fast wie kuratiert. Doch Hes<br />

Geschichte ist anders als die der meisten<br />

Topmodels. Aus ihr wäre nämlich<br />

beinahe keins geworden.<br />

He wird 1989 in Wenzou, einem kleinen<br />

Dorf am Ostchinesischen Meer<br />

geboren. Die nächst größere Stadt ist<br />

Beijing, dort nimmt sie 2006 mit 17 Jahren<br />

an einem Model-Contest teil, den<br />

sie zu ihrer Überraschung gewinnt.<br />

„Ich war damals sehr schüchtern und<br />

hatte wenig Selbstvertrauen“, sagt He.<br />

Die Schüchternheit merkt man ihr<br />

heute nicht mehr an. Sie ist souverän,<br />

professionell und wirkt in sich ruhend.<br />

Doch bis hierhin war es ein steiniger<br />

Weg, sagt sie aufgeregt. Denn nach<br />

dem Model-Wettbewerb zündete ihre<br />

Karriere nicht so richtig. Sie arbeitet<br />

zunächst fünf Jahre in China ohne allzu<br />

viel zu tun zu haben. Das änderte sich<br />

<br />

2011 einen Vertrag mit einer renommierten<br />

Modelagentur unterzeichnete.<br />

„Ich wollte wissen, ob ich eine Chance<br />

im Ausland habe, in China war ich nur<br />

eine Nummer“, sagt sie. Die Chance<br />

bekam sie.<br />

Für die Winterkollektion 2011/12 eröffnet<br />

He als erstes chinesisches Model<br />

eine Ralph-Lauren-Show. Darauffolgend<br />

posiert sie in unzähligen Kampagnen,<br />

bekommt als erste Chinesin<br />

einen Exklusiv-Vertrag mit der japa-<br />

<br />

als zweites chinesisches Model eine<br />

Victoria-Secret-Show und wird 2013<br />

<br />

Gesicht der Mercedes-Benz Fashion<br />

Week Berlin gekürt.<br />

Mit dieser beeindruckenden Erfolgsserie<br />

ist He als chinesisches Model<br />

jedoch eine Ausnahme. Models mit<br />

afrikanischen, asiatischen und lateinamerikanischen<br />

Wurzeln werden<br />

immer noch unter der Kategorie „exotisch“<br />

verbucht. Dafür sprechen auch<br />

die Zahlen: Bei der vergangenen New<br />

<br />

83% der Models „weiß“, wohingegen es<br />

nur 9% asiatische Models gab. Wenngleich<br />

das Thema ‚ethnische Diversität’<br />

seit den letzten 15 Jahren zunehmend<br />

diskutiert wird, Erfolgsgeschichten<br />

wie die von He sind noch immer ein<br />

Novum.<br />

Paradoxerweise ändert der Durchbruch<br />

asiatischer Models im Westen<br />

auch das Schönheitsbild in Asien.<br />

International erfolgreich arbeitende<br />

Models aus China entsprechen wegen<br />

ihrer differenzierteren Looks weniger<br />

dem klassischen chinesischen Konzept<br />

der Makellosigkeit. So ziert Sui He heute<br />

das Cover der chinesischen „Vogue“,<br />

auf das sie es ohne ihre Karriere im<br />

Westen nicht geschafft hätte.<br />

Ihren Erfolg erklärt He jedoch nicht<br />

nur durch ihr Aussehen: „Ich stresse<br />

mich nicht, um noch höher und höher<br />

zu kommen. Ich versuche trotz harter<br />

Arbeit, immer natürlich zu bleiben.<br />

Das ist mein Geheimnis.“<br />

In Wenzhou, sechs Stunden von Beijing<br />

entfernt, träumte Sui He schon als Kind<br />

von der großen Karriere. Mit Kate Moss als<br />

Vorbild ist die 24-Jährige das erste<br />

chinesische Supermodel geworden.<br />

„ICH WOLLTE WISSEN, OB ICH<br />

EINE CHANCE IM AUSLAND<br />

HABE, IN CHINA WAR ICH<br />

NUR EINE NUMMER“<br />

Nr.11<br />

18<br />

19 Nr.11


ESSAY<br />

Text: Willy Katz<br />

Illustration: Andreas Steinbrecher<br />

kuratiertes leben<br />

Seit der Informationsüberschuss des<br />

Internets immer größer und bedrohlicher<br />

zu werden scheint, hat sich das<br />

„Kuratieren“ zum Zauberwort gemausert.<br />

Es werden Bilder, Klamotten, Konzerte,<br />

Kunst, es werden ganze Lebensstile<br />

kuratiert. Dabei sind<br />

Kuratoren Gatekeeper und Wirklichkeitskonstrukteure.<br />

Sie entscheiden im<br />

Austausch mit Zuschauern und Markt,<br />

was sichtbar gemacht wird, was in<br />

den Kanon und damit die Geschichte<br />

übergehen soll. Bisher waren sie in der<br />

Regel mal besser und mal schlechter<br />

bezahlte Kunstwissenschaftler, Galeristen,<br />

Blogger oder Start-up-Unternehmer.<br />

Das könnte sich nun ändern. Mit großem<br />

Pomp hat Apple vor Kurzem sein<br />

neues iPhone 5S präsentiert, was es<br />

nun auch, farblich zur Vernissage passend,<br />

im Champagner-Ton gibt. Natürlich<br />

ist die Kamera wieder besser<br />

als jemals zuvor, die Farben brillanter,<br />

der Blitz noch intelligenter. Doch die<br />

integrierte iSight Kamera hat auch<br />

eine neue Funktion, die womöglich die<br />

Art und Weise, wie wir uns erinnern,<br />

verändern wird: die Serienbildfunktion<br />

„Burst Mode“. Damit kann man in der<br />

APPLES LOGARITHMEN UND DU<br />

Sekunde bis zu zehn Bilder aufnehmen.<br />

Der Clou: das iPhone wählt daraus<br />

das beste aus. Automatisch.<br />

Einerseits kann man sich also freuen.<br />

Selbst wenn man auf einer Party<br />

ziemlich angeschossen die neue Fingerabdrucksperre<br />

überwunden und<br />

den Auslöser bedient hat, werden<br />

auf den perfekt ausgeleuchteten und<br />

<br />

Augen aufhaben und gut rüberkommen,<br />

wird sich am nächsten Morgen<br />

ein Facebook-, Twitter- oder Ins-<br />

<br />

(wenn es über IFTTT nicht längst<br />

automatisch online gestellt wurde).<br />

Diese automatisierte Hilfe bedeutet<br />

aber auch, dass das eigene Leben eben<br />

kuratiert wird, man im Sinne des Wortes<br />

„curare“ Apple Sorge tragen lässt,<br />

wie man in der parallelen Wirklichkeit<br />

der sozialen Netzwerke rüberkommt.<br />

Wenn aber zunehmend Maschinen<br />

oder Smartphones diese Auswahltätigkeit<br />

übernehmen, wenn die Selektion<br />

von Schönheit, von Norm, von Richtig<br />

und Falsch, von sichtbar und unsichtbar,<br />

global von Apples Logarithmen<br />

überformt wird, dann muss man sich<br />

wohl Sorgen machen.<br />

Der „Burst Mode“ mag nur eine unwesentliche<br />

Fotofunktion sein. Im Prinzip<br />

ist sie aber ein weiterer Schritt in die<br />

Richtung Wahlfreiheit, die ja nicht nur<br />

eine Anstrengung, sondern ein Grundrecht<br />

ist, an einen externen Dienstleister<br />

„auszusourcen“. Was wiederum<br />

den Kern unseres Wirtschaftssystems<br />

trifft, das Wahlfreiheit und Individualität<br />

dort am aggressivsten suggeriert,<br />

wo diese doch längst abgeschafft worden<br />

sind.<br />

Die freiwillige Abgabe der Wahl an einen<br />

Dienstleister ist dabei nicht nur<br />

demokratietheoretisch problematisch.<br />

Selbstbestimmt eine Entscheidungen<br />

zu treffen bedeutet Mündigkeit und<br />

Reife. Darauf zu verzichten bedeutet<br />

eine Infantilisierung, die zusammenpasst<br />

mit dem Phänomen, dass junge<br />

Frauen auf einmal wie Minni Maus<br />

sprechen und damit Feministinnen<br />

aller Orten in den Wahnsinn treiben.<br />

Außerdem symbolisiert die machtvolle<br />

Homogenisierung von Geschmack in<br />

der Apple-Welt, die immer sauber, perfekt<br />

und glücklich daherkommt, eine<br />

Leben, welches es so ja gar nicht gibt.<br />

Und wer erst einmal Kontrolle über die<br />

Erinnerung hat, der gestaltet auch die<br />

Gegenwart und Zukunft mit.<br />

Die Medien haben Welt natürlich noch<br />

nie 1:1 wiedergegeben. Immer gab es<br />

Genreregeln, Normen oder Tabus, die<br />

die Narration unserer Kulturen machtvoll<br />

bestimmt haben. Jede Erinnerung,<br />

die wir haben, ist zusammengesetzt<br />

aus älteren Wahrnehmungssplittern<br />

und nachträglicher Sozialisation. Aber<br />

dies sind die Spielregeln der Evolution,<br />

der Biologie, der neuronalen Disposition.<br />

Die Digitalisierung ist noch immer ein<br />

großes Versprechen. Ihre Geschichte<br />

ist im Fluss. Wir haben die Wahl, so die<br />

wahrscheinlich naive Hoffnung, ob sie<br />

von uns selbst oder von den Logarithmen<br />

der großen Internetunternehmen<br />

erzählt und erinnert werden soll.<br />

Nr.11<br />

20<br />

21


KURZGESCHICHTE<br />

A L S F I L M I S C H S T E R<br />

U N T E R D E N E W I G E N<br />

S T I L S TA N D A R D S S P I E LT<br />

D E R T R E N C H C O AT E I N E<br />

K L E I N E H A U P T R O L L E I N<br />

D I E S E R G E S C H I C H T E Ü B E R<br />

E I N E E R WA C H E N D E L I E B E<br />

U N D D A S S C H E I T E R N I M<br />

L E B E N – E I N A U S Z U G<br />

A U S D E M G E R A D E<br />

E R S C H I E N E N E N<br />

R O M A N „ D I E<br />

F R E I H E I T A M<br />

M O R G E N “ D E S<br />

F R Ä U L E I N - A U T O R S<br />

MARTIN SIMONS.<br />

Einmal sind sie nachmittags<br />

zum Kino verabredet. Als er sich<br />

ihrem vereinbarten Treffpunkt am<br />

Hackeschen Markt nähert, sieht<br />

er sie in ihrer dünnen Lederjacke<br />

regungslos im Eiswind stehen, als<br />

mache ihr die Kälte überhaupt nichts<br />

aus. Doch als er sie umarmt, spürt er,<br />

wie sie innerlich geschüttelt wird.<br />

»Wir lassen das Kino und kaufen dir<br />

warme Sachen.«<br />

»Es wird bald Frühling.«<br />

»In zwei Monaten.«<br />

»Eben, bald.«<br />

»Du brauchst<br />

einen Mantel.«<br />

»Auf keinen<br />

Fall.«<br />

Aber er<br />

akzeptiert<br />

kein Nein.<br />

Er kann<br />

ihren<br />

Anblick<br />

in<br />

völlig unzureichender Kleidung<br />

nicht mehr ertragen. Zunächst will<br />

sie davon nichts hören, sie könne<br />

Einkaufen nicht ausstehen, aber als<br />

er auf die jetzt teilweise um über<br />

die Hälfte reduzierten Preise für<br />

Winterkleidung verweist, folgt sie ihm<br />

zögernd in ein Geschäft. Zuvor legt sie<br />

ihre Regeln fest: »Zweihundert Euro,<br />

nicht mehr. Und wenn mir etwas nicht<br />

gefällt, wird darüber auch nicht weiter<br />

diskutiert.«<br />

Innerhalb des so eingeschränkten<br />

Angebots fällt die Wahl auf einen<br />

ultramarinblauen Trenchcoat, der<br />

nicht gefüttert ist, aber immerhin<br />

ihre Beine bis über die Knie bedeckt.<br />

Dazu erlaubt das Budget noch<br />

den Kauf eines himmelblauen<br />

Kaschmirschals. Beides zusammen<br />

steht ihr ausgezeichnet. Der Mantel<br />

verleiht ihrer schlanken Figur<br />

Anmut und Eleganz. Der Schal<br />

betont die feinen Züge ihres blassen<br />

Gesichts und harmoniert mit dem<br />

rötlichen Schimmer ihrer Haare.<br />

Mara betrachtet sich im Spiegel,<br />

<br />

schnell ziehender Wolkenschatten,<br />

ein kaum wahrnehmbares Lächeln<br />

auf ihrem Gesicht. Sie behält den<br />

Mantel sogleich an und lässt sich ihre<br />

Lederjacke vom Verkäufer in eine<br />

Tüte einpacken.<br />

Beim<br />

Verlassen des Ladens wird Mara von<br />

einem älteren Mann erkannt. Der<br />

Unbekannte berührt sie am Arm und<br />

sagt: »Das ist ja eine Überraschung.«<br />

Mara wird noch blasser, als sie<br />

sowieso schon ist, und sagt erst mal<br />

nichts. Es ist offensichtlich, dass ihr<br />

diese Begegnung in seinem Beisein<br />

nicht recht ist.<br />

»Ich habe Sie zu erreichen versucht.<br />

Wo waren Sie, wie geht es Ihnen?«<br />

Zu seiner Erleichterung erweist<br />

sich der Mann bloß als Maras<br />

ehemaliger Klassenlehrer. Er hat<br />

seine Schülerin seit dem Abitur<br />

nicht mehr gesehen. Aus dem<br />

Wenigen, das die beiden miteinander<br />

sprechen, erfährt er, dass Mara<br />

damals Jahrgangsbeste war und mit<br />

einem durch den Lehrer vermittelten<br />

Stipendium hätte studieren sollen.<br />

Doch irgendetwas ging schief. Der<br />

Lehrer zeigt sich von Maras reichlich<br />

vager Auskunft, die letzten Jahre<br />

mehr oder weniger auf Reisen im<br />

Ausland verbracht zu haben, wobei<br />

die Plan- und Richtungslosigkeit<br />

dieses ganzen Unternehmens klar<br />

aus ihren ausweichenden,<br />

verschleiernden<br />

Formulierungen spricht, sichtlich<br />

enttäuscht. Er gibt ihr zum Abschied<br />

seine Telefonnummer, damit sie ihn<br />

anruft, falls sie doch noch an ein<br />

Studium denken will, dafür sei es ja<br />

nicht zu spät.<br />

Auf dem Weg zurück schweigt<br />

Mara. Es ist klar, dass sie nicht über<br />

die Begegnung mit ihrem Lehrer<br />

sprechen will. Doch er kann seine<br />

nun einmal geweckte Neugier nicht<br />

bezwingen.<br />

»Warum hast du nicht studiert, wenn<br />

man dir sogar ein Stipendium<br />

gegeben hat?«<br />

»Ein<br />

Studium und ich haben einfach<br />

nicht zusammengepasst.«<br />

»Aber du hast es<br />

versucht?«<br />

»Dreimal.«<br />

»In Berlin?«<br />

»Ja.«<br />

»Und wo noch?«<br />

»Ist das wichtig?«<br />

Sie streicht ihm<br />

durchs Haar<br />

und<br />

küsst ihn. »Danke für den<br />

Mantel.«<br />

»Du wirkst<br />

darin<br />

unnahbar wie ein Filmstar.«<br />

»Nicht wahr, aber wer?«<br />

»Ich komme gerade nicht darauf.<br />

Jedenfalls aus einer legendär<br />

glamourösen Zeit. Frankreich oder<br />

Italien. Paris oder Rom. Irgendwann<br />

in den frühen Siebzigern.«<br />

»Schau, ich gehe sogar viel<br />

selbstbewusster.«<br />

Sie führt ihm ihren selbstbewussten<br />

Gang vor. Über ihr abgebrochenes<br />

Studium sprechen sie nicht mehr.<br />

Foto Heiko Richard<br />

Haare & Make-up Sonja Shenouda mit Produkten von MAC<br />

Model Celyn / Viva<br />

Assistent Lennart Etsiwah<br />

Martin Simons, Die Freiheit am Morgen, 349 Seiten,<br />

HOFFMANN UND CAMPE VERLAG, 19,99€<br />

Trenchcoat Alexander Wang<br />

über theoutnet.com, ca. 900 Euro<br />

Nr.11 Nr.11<br />

22 22<br />

23 23<br />

Nr.11 Nr.11


KUNST<br />

Text: Hendrik Lakeberg<br />

Foto: Courtesy Sprüth Magers<br />

NEUE<br />

FELDER<br />

STILL UND FERNAB<br />

VON SPEKTAKELN<br />

IST ROSEMARIE<br />

TROCKEL ZU EINER<br />

DER BEDEUTENDSTEN<br />

KÜNSTLERINNEN<br />

DER GEGENWART<br />

GEWORDEN.<br />

Man sollte dankbar für eine Künstlerin<br />

wie Rosemarie Trockel sein. Ohne großes<br />

Tamtam, ohne die Eitelkeitsallüren<br />

ihrer männlichen Kollegen, wurde sie<br />

zu einer der bedeutendsten Künstlerinnen<br />

überhaupt – sagen Ranglisten<br />

wie das Top 100 Ranking von Artfacts.<br />

net (Platz 13) oder der Kunstkompass,<br />

bei dem sie hinter Gerhard Richter und<br />

Bruce Naumann mittlerweile auf Platz<br />

drei steht – übrigens als erste Frau.<br />

Man kann solche Bemühungen Kunst<br />

und Künstler zu messen und in dubiose<br />

Ranglisten zu pressen, zu Recht<br />

kritisieren. Folgen sie im Prinzip doch<br />

auch nur dem männlich geprägten<br />

spektakelgierigen und spekulationshungrigen<br />

Kunstmarkt. Sich auf die<br />

Schulter klopfen, weil man einen echten<br />

Trockel gekauft hat, sollte man<br />

sich aber nicht nur, weil irgendwelche<br />

Best-of-Listen seinen Wert behaupten,<br />

sondern weil es Rosemarie Trockel erstaunlich<br />

insistierend schafft, immer<br />

wieder neue ästhetische Felder zu beackern.<br />

Dass ihr das gelingt, liegt daran,<br />

dass ihr Werk das Ergebnis eines Anliegens<br />

ist, einer grundlegenden, nicht<br />

müde werdenden Skepsis der Welt, der<br />

Gesellschaft, den Geschlechterrollen<br />

gegenüber von ihren Strickbildern, die<br />

sie berühmt gemacht haben, weil sie<br />

das Machodiktat des hemdsärmeligen<br />

Öl-Malers durchbrachen, über Installationen<br />

und Performances bis hin zu<br />

der feinen farbenfrohen Acrylmalerei,<br />

die sie gerade bei Sprüth Magers in<br />

mer<br />

neue Formen für ihre pointierten<br />

Gegenwartsanalysen.<br />

Bis heute ist es also nicht allein ihre Bekanntheit,<br />

sondern die Themenvielfalt,<br />

wegen der Kuratoren im kommenden<br />

Jahr mehr denn je ausstellen. Wegen<br />

der kletterte sie mit stiller Bestimmtheit<br />

auch an die Spitze der Kunstranglisten.<br />

Dass sie dort oben als erste Frau<br />

steht, muss für die Feministin Trockel<br />

trotz allem ein Triumph sein. Denn<br />

im Endeffekt geht es ihr – wie jedem<br />

guten Künstler – darum, die Welt zum<br />

Guten hin zu verändern. Im Werk hat<br />

sie das geschafft, ein bisschen ist es ihr<br />

auch in der Welt gelungen.<br />

Ausstellungen mit Beteiligung<br />

von Rosemarie Trockel:<br />

„The Unanswered Question –<br />

Iskele 2“, Tanas, Berlin, bis zum<br />

3. November<br />

Weitere Infos unter:<br />

www.spruethmagers.com<br />

und weitere<br />

Nr.11<br />

24<br />

25<br />

Nr.11


DER BLICK<br />

Bild: Filmstill aus “Blow Up” / MGM<br />

BUCH<br />

»DIE ZEIT DER UNSCHULD IST VORBEI«* – UNSERE BÜCHERTIPPS<br />

Vor Coco Chanel war die stark vom Surrealis-<br />

te<br />

Elsa Schiaparelli die wichtigste Modedesignerin<br />

ihrer Epoche. Patricia Volk beschreibt<br />

in dem so experimentellen wie berührenden<br />

Buch „Shocked“ die Obsession ihrer Mutter mit<br />

Schiaparelli und verwebt deren beider Erinnerungen<br />

mit ihren eigenen. Das Erinnern selbst<br />

wird so in all seiner Ambivalenz für den Leser<br />

greifbar.<br />

Patricia Volk „Shocked – My Mother, Schiaparelli,<br />

And Me“, Alfred A. Knopf New York, ca. $20.<br />

Schon 2012 erschienen, aber erst jetzt auf<br />

Deutsch übersetzt, erzählt die israelische Autorin<br />

Shani Boianjiu in „Das Volk der Ewigkeit<br />

kennt keine Angst“ vom komplizierten Coming<br />

of Age junger israelischer Frauen während des<br />

Militärdienstes. Ein unkonventioneller und<br />

<br />

und dabei eine Liebenserklärung an Boianjius<br />

Heimat Israel.<br />

Shani Boianjiu „Das Volk der Ewigkeit kennt<br />

keine Angst“, KiWi, 19,99€<br />

Nach „Chronic City“ (2009), seinem großem<br />

Upper-East-Side-Epos, spielt Jonathan<br />

Lethems „Dissident Gardens“ erneut in New<br />

<br />

eine alternde Kommunistin, die amerikanische<br />

Bürgerrechtsbewegung und die Subkultur im<br />

Greenwich Village ist eine melancholische Bestandaufnahme<br />

der amerikanischen Gegenkultur<br />

nach dem 2. Weltkrieg.<br />

Jonathan Lethem „Dissident Gardens“,<br />

Random House, 27,95$<br />

Joseph Roth war einer der berühmtesten Journalisten<br />

der Weimarer Republik. Seine Berliner<br />

Reportagen sind erfüllt von präzisen und<br />

schneidenden Beobachtungen aus der Perspektive<br />

des Flaneurs. Roth mochte Berlin nicht<br />

besonders. Uns wächst die Hauptstadt durch<br />

dieses Buch umso mehr ans Herz. Joseph Roth<br />

in Berlin – Ein Lesebuch für Spaziergänger,<br />

KiWi, Paperback, 8,95€<br />

VERUSCHKA GRÄFIN VON LEHNDORFF IN MICHELANGELO ANTONIONIS<br />

„BLOW UP“<br />

1. Various Artists - Saz Beat - Turkish Rock, Funk and Psychedelic Music of the<br />

1960s and 1970s LP (Corvo Records)<br />

2. Boards Of Canada - Tomorrow‘s Harvest LP (Warp Records)<br />

3. Felix Gebhard - Wise Words For Elmore Bubbles 12“-EP (33rpm Records)<br />

4. Akkord - Navigate 12“-EP (Houndstooth Records)<br />

<br />

Man sieht Veruschka, erstes deutsches Supermodel, gelangweilt in einem<br />

Fotostudio liegen. Dann kommt David Hemmings herein. Sie sagt, er habe sie<br />

warten lassen. Er nimmt seine Kamera und schließt die Tür. Was folgt, sind<br />

einige der berühmtesten Minuten der Filmgeschichte. Wie zwei lauernde<br />

Raubtiere umkreisen sich Lehndorff und Hemmings beim Fotoshoot. Kommen<br />

sich näher, umschlingen sich, lassen wieder voneinender ab. Auf dem<br />

Bild blickt Veruschka zu Beginn der Sequenz Richtung Hemmings Kamera.<br />

Sehnsuchtsvoll, distanziert, fordernd und abweisend zugleich. Wer einmal so<br />

geblickt hat, der kennt das Leben.<br />

10 PLATTEN FÜR DEN HERBST VON: ADEM MAHMUTOGLU<br />

Adem Mahmutoglu ist unser Lieblingsplattenhändler in der Hauptstadt. Sein 33rpm Store (mit angeschlossenem Label und Café) in der Kreuzberger Wrangelstraße<br />

95 ist ein absoluter Wohlfühlort. Und dabei aufregend und inspirierend für alle, die Musik, von Soul bis Techno, neu hören wollen. Hier sind seine 10<br />

Plattentipps für den Herbst:<br />

6. Marcos Valle - Previsão do Tempo LP (Light In The Attic Records)<br />

7. Mario Basanov - Closer 12“ (Best Kept Secret Records)<br />

8. Foxygen - We Are the 21st Century Ambassadors of Peace & Magic LP/CD<br />

(Island Records)<br />

9. John Coltrane - Olé LP (Music On Vinyl)<br />

10. Various Artists - Ferien Im Innenhof 12“-EP (33rpm Records)<br />

Susan Sontag war die Heroine der linken Kulturkritik.<br />

In ihren Tagebüchern fragt sie sich:<br />

„Was ist mein Radikalismus – der durch mein<br />

Temperament vorgegebene?“ Ihre Tagebuchaufzeichnungen<br />

schwingen zwischen Selbstbefragung,<br />

Analyse und Zweifel. Was wohl gilt, ist ihr<br />

Eintrag vom 19.12.65: „Ich vermeide Aussagen<br />

– will, dass jeder Betrachter seine eigene Erfahrung<br />

macht (Jasper).“ Machen wir gerne. Mit<br />

diesem wunderbaren Buch.<br />

*Susan Sontag „Ich schreibe um herauszufinden,<br />

was ich denke“ Tagebücher 1964 – 1980,<br />

Hanser, 20,99€<br />

Seit ihrem Debüt „Axolotl Roadkill“ und den<br />

hysterisch diskutierten Plagiatsvorwürfen ist<br />

Helene Hegemann eine öffentliche Figur. Mit<br />

„Jage zwei Tiger“ hat sie nun einen souveränen<br />

zweiten Roman abgeliefert. Zwar strengt die<br />

post-pubertäre Dissidenz von Hegemann auf<br />

die Dauer an. Am Ende ist sie einem aber eben<br />

doch viel lieber als das brave Erzählen, welches<br />

die deutsche Gegenwartsliteratur in Geiselhaft<br />

genommen hat.<br />

Helene Hegemann „ Jage zwei Tiger“,<br />

Hanser Berlin, 19,90€<br />

Die Amerikanische Fernseh-Serie „Orange is the<br />

New Black“ war diesen Sommer der große Coup<br />

<br />

Geschichte einer erfolgreichen Mittelstands-<br />

Amerikanerin, die wegen eines Jahre zurückliegenden<br />

Drogen-Kurier-Dienstes ins Gefängnis<br />

muss, beruht auf den gleichnamigen, äußerst<br />

<br />

Piper Kerman „Orange is the New Black: My Year<br />

in a Women´s Prison“, Spiegel & Grau, ca. $10<br />

Die Bedeutung von Mode erschließt sich für<br />

Kedves über ihren Kontext. Also spricht er darüber.<br />

Der Band „Talking Fashion“ versammelt<br />

Interviews, die der ehemalige Chefredakteur der<br />

„Spex“ zwischen 2005 und 2013 mit Akteuren<br />

des Mode-Betriebs geführt hat. Darunter Designer,<br />

Fotografen, Models und Theoretiker wie<br />

Jürgen Teller, Bernhard Willhelm oder Veruschka.<br />

Selten war ein Buch über die Fashion-Industrie<br />

so schlau und unterhaltsam wie dieses.<br />

Jan Kedves „Talking Fashion – Von Helmut Land<br />

bis RAF Simons“, Prestel, 24,95€<br />

Nr.11<br />

26<br />

27<br />

Nr.11


ESSAY<br />

Text: Lorenz Schröter<br />

Illustration: Andreas Steinbrecher<br />

lil bub<br />

MIKE BRIDAVSKY VERDIENT MIT SEINER KATZE VIELE MÄUSE<br />

Lil Bub ist ein zweijähriges Kätzchen,<br />

dem aufgrund eines genetischen Defekts<br />

stets die Zunge heraushängt.<br />

Niedlich streckt sie ihr Gesicht in die<br />

Kamera und ist berühmt. Es gibt einen<br />

Dokumentarfilm über Lil Bub &<br />

Friendz, der auf dem Tribeca Online<br />

Festival Premiere hatte, wo das Kätzchen<br />

dem Mitveranstalter Robert<br />

De Niro begegnete. Ja, der Robert De<br />

Niro. In diesem Film trifft Lil Bub<br />

andere weltberühmte Katzen, wie<br />

Keybord Cat und Grumpy Cat, die wie<br />

Lil Bub auch an Hyposomie leidet,<br />

also kleinwüchsig ist. Grumpy Cat<br />

hat einen missmutigen Gesichtsausdruck<br />

und macht Werbung für Frieskies,<br />

Keybord Cat trägt einen blauen<br />

Strampelanzug und kann nicht besonders<br />

gut Klavier spielen.<br />

All diese Katzen haben ihre Besitzer<br />

reich gemacht. Mike Bridavsky konnte<br />

dank Lil Bub sechs ausstehende<br />

Monatsmieten seines Musikstudios<br />

Russian Recordings bezahlen. Es gibt<br />

Katzenkalender, Youtube-Chanel,<br />

Postkarten, Streichel-Appointments<br />

auf Katzen-Filmfestivals mit zehntausend<br />

Zuschauern. Ja, zehntausend.<br />

Sie wurden Zeugen des Treffens der<br />

Nr.11<br />

beiden Katzendiven Grumpy Cat und<br />

Lil Bub. Die beiden lagen friedlich nebeneinander<br />

und die Fans twitterten<br />

tausendfach darüber.<br />

In ihrer Talkshow sitzt Lil Bub in einem<br />

Puppenstuben-Studio hinter einem<br />

Tisch und neben ihr wahlweise<br />

ein Meerschwein oder Whoopi Goldberg.<br />

Ja, die Whoopi Goldberg. Whoopi<br />

redet, Lil Bub wird untertitelt, das<br />

Meerschwein sagt erst mal nichts.<br />

PETA hat Lil Bub als Spokescat engagiert.<br />

Ihr Besitzer Mike Bridavsky<br />

– er trägt ein Tattoo von Lil Bub über<br />

den gesamten linken Rippenbogen<br />

– hat inzwischen einen Reiki-Kurs<br />

belegt, um mit elektromagnetischen<br />

Wellen die vielen genetischen Defekte<br />

seines Stars zu kurieren. Nur zur<br />

Erinnerung: Es ist eine Katze. Sie ist<br />

klein und wird es immer bleiben. Ihr<br />

hängt die Zunge raus. Mehr nicht.<br />

Aber sie ist kawaii. Süß auf Japanisch,<br />

eine ganze Niedlichkeitsästhetik-Industrie<br />

richtet sich danach aus, von<br />

Hello Kitty, der Katze ohne Mund, bis<br />

Lil Bub, der Katze ohne Unterkiefer.<br />

Die Biografie: Lil Bub’s Lil Book: The<br />

28<br />

Extraordinary Life of the Most Amazing<br />

Cat on „The Planet“ wurde von<br />

Penguin ersteigert. Die sogenannten<br />

LOLcats nehmen 30 Millionen Dollar<br />

jährlich ein. Mike Bridavsky arbeitet<br />

bis zu 90 Wochenstunden mit Lil Bub,<br />

70 000 Dollar hat er nach einem Jahr<br />

im Lil-Bub-Business an Tierheime<br />

gespendet. Cat ist nach Boobs der<br />

häufigste Suchbegriff im Netz.<br />

Warum ist das alles so? Der Psychologe<br />

Sam Gosling von der Universität<br />

Austin hat 4500 Menschen befragt, ob<br />

und wie sie sich als Hunde-Menschen<br />

oder als Katzen-Menschen empfänden,<br />

und welche Eigenschaften sie<br />

sich zuschreiben würden. Hunde-<br />

Menschen waren in der Mehrzahl<br />

(71 Prozent), sie waren sozialer und<br />

kontaktfreudiger, während Katzen-<br />

Menschen (41 Prozent, man kann anscheinend<br />

beides sein) eher kreativ,<br />

philosophisch, unkonventionell und<br />

neurotisch waren.<br />

Hunde bekommen mehr Weihnachtsgeschenke<br />

als Katzen. Mit einem<br />

Hund ist man dreimal erfolgreicher<br />

beim Ansprechen von Frauen. Frauen<br />

und gebildete Kreise ziehen Katzen<br />

vor. Hundemenschen sind reicher<br />

und haben ein besseres Liebesleben.<br />

Katzenmenschen lassen sich häufiger<br />

scheiden. Der Katzen-Parasit Toxoplasma<br />

gondii könnte Ursache für<br />

psychische Erkrankungen wie Schizophrenie<br />

sein. Es gibt eine ganze<br />

Reihe solcher Untersuchungen, wenn<br />

man genau hinsieht, sind die statistischen<br />

Unterschiede, ob also Katzenmenschen<br />

wirklich alle verrückt sind,<br />

Hundemenschen hingegen ein simpleres,<br />

sonniges Gemüt haben, jedoch<br />

nicht so wahnsinnig groß.<br />

In Lehrbüchern für Filmdramaturgie<br />

wird geraten, Katzen- und Hunde-<br />

Menschen als Antagonisten einzuführen,<br />

das heißt einen als Natur<br />

liebenden Familienmenschen, den<br />

anderen als spleenigen Einzelgänger<br />

zu entwerfen. Also Nerds, die sich<br />

Katzenvideos ansehen und Lil-Bub-<br />

Unterwäsche, Grumpy-Cat-Tassen,<br />

oder Piano-Cat-Iphone-Hüllen kaufen.<br />

Nur zur Erinnerung. Es handelt<br />

sich um eine kleine Katze, der die<br />

Zunge raushängt.<br />

www.roeckl.com


STIL<br />

BOYISH CHIC<br />

Wir lieben Labels wie Margiela nicht<br />

nur für ihren radikal-mutigen Look<br />

oder für ihre Recycling-Historie. Die<br />

„Antwerp Six“ stehen bis heute für<br />

eine revolutionäre, anarchistische<br />

Vision, eine Annäherung an Mode,<br />

die auch Make-Up Artistin Inge<br />

Grognard in den 80er Jahren in ihren<br />

Bann zog. Bis heute. Gemeinsam<br />

mit ihrem Mann – Fotograf Ronald<br />

Stoops – entwickelte sie mit ihren<br />

Werken eine Bildsprache, die<br />

schreit. Schreit vor Schönheit und<br />

Grazie, aber auch vor Brutalität und<br />

Destruktion. Leute zu inspirieren,<br />

das ist für sie das wichtigste, selbst,<br />

wenn manche Menschen ihre<br />

Arbeit beängstigt. Sie ist dunkel,<br />

aber eben sehr poetisch. In dieser<br />

Saison arbeitete sie u.a. als Make-<br />

Up Artistin für AF Vandevorst´s<br />

Fashion Show.<br />

Unverkennbarer Minimalismus.<br />

Wollblazer in Graunuancen.<br />

Von Helmut Lang,<br />

ca. $ 880<br />

Versneakt! Ein stilvoller Klassiker,<br />

der unsere Herzen höher schlagen<br />

lässt. von Saint Laurent, ca. 470 Euro<br />

Die besten Dialoge entstehen<br />

aus der Spannung zwischen<br />

Ihm und Ihr. Auch in<br />

der Mode. Diese Entdeckung<br />

verdanken wir natürlich in<br />

erster Linie der freien Kulturszene<br />

der 20er Jahre und<br />

seinem neuen, emanzipierten<br />

Frauenbild, in den 30er-Jahren<br />

dann u.a. Marlene Dietrich<br />

mit ihrer revolutionären<br />

Hose. Sicher verliehen auch<br />

die Kriegsjahre der Mode<br />

eine gewisse Strenge. Heute<br />

sind wir dankbar für die Desiger-Talente,<br />

die es schaffen,<br />

maskuline Elemente auf eine<br />

feminine Weise zu veredeln.<br />

Wie man das am elegantesten<br />

umsetzt, kann kaum einer<br />

besser als Stella McCartney.<br />

Im Fokus: Mäntel in XXL-Silhouette<br />

und Schulterpolstern.<br />

Das trägt die „starke“ und<br />

selbstbewusste <strong>Fräulein</strong> von<br />

heute.<br />

MAMAS LIEBLING<br />

Modische Stauraumwunder:<br />

Kinderwagen von Bugaboo, ca. 1040 Euro,<br />

Tasche von Bugaboo Kaviar Gauche, ca. 790 Euro;<br />

beides ist ab November über www.bugaboo.com<br />

erhältlich.<br />

Konkurrenz für die PS1-Bag. Flauschiger<br />

Hingucker aus Schafswolle.<br />

Von Proenza Schouler über<br />

net-a-porter.com, ca. 670 Euro<br />

Marry me! Alles andere als ein<br />

prolliges Statement. Brillantenring<br />

von Niessing. Preis auf Anfrage<br />

Nr.11<br />

30


STIL<br />

Unterschätzt! Eskimos kennen tatsächlich<br />

17 Wörter für die Farbe Weiß! Sie ist facettenreicher<br />

als man denkt. Besonders schön:<br />

das Kombinieren seiner Nuancen. Wir lieben<br />

Weiß für seine Cleanheit und haben<br />

uns verliebt in: dieses Kristall-Kunstwerk.<br />

Limited Edition-Kette von Zorya, ca. 640 Euro<br />

Ein <strong>Fräulein</strong>-Klassiker! Die weiße<br />

Bluse ist ein Muss im Kleiderschrank.<br />

Besonders edel: dieses<br />

Seiden-Modell von Chloé, über<br />

unger-fashion.com, ca. 640 Euro<br />

Westenliebling! Von der Avant-Garde inspiriert:<br />

Wir lieben sie für ihre scharfe Asymmetrie<br />

und ihre edle Lässigkeit. Diese<br />

Weste macht jedes Outfit zum Hingucker.<br />

Von Ellery, ca. $1515<br />

Die Olsen-Zwillinge haben Gespür<br />

für bequemen Chic: Diese<br />

Hose ist aus Loqué-Stoff und<br />

einem Woll-Seidenmix gefertigt.<br />

The Row, über net-a-porter.com,<br />

ca. £ 1110<br />

Die Kreationen von der französischen<br />

Designerin haben es uns angetan. Cleanes<br />

und auch ganz verspieltes Design<br />

sowie tolle Materialien. Aurélie Bidermann,<br />

über colettte.fr, ca. 720 Euro.<br />

Verfranst! Dieser Schal ist unser<br />

Kuschelliebling. Japanische<br />

Kreativität kennt keine Grenzen.<br />

Aus Mohairwolle, von Issey<br />

Miyake, über farfetch.com, ca.<br />

1315 Euro<br />

Liebe auf den ersten Blick: Fahrrad von Martone Cycling, ca. 900 Euro<br />

Immer noch der King unter den Prints: der Streifen. Am schönsten<br />

hierbei: weiche Pastellfarben und Ecru. Sehr stilvoll: Als cleane<br />

Mantelvariante. Kaum einer kann Dandy Details besser inszenieren<br />

als Dries Van Noten. Damit nicht nur unser Herz erwärmt<br />

wird, sondern auch unsere Lippen und Hände auf ihre Bedürfnisse<br />

kommen, haben wir Aesop-Pflege in der Tasche. Mantel Dries Van<br />

Noten, über mytheresa.com ca. 1075 Euro. Lippenpflege von Aesop, ca.<br />

25 Euro. Body-Balm von Aesop, ca. 30 Euro<br />

Das ist purer Pariser chic, ungezwungen und<br />

authentisch. Klar, dass da Isabel Marant ihre<br />

Finger mit ihm Spiel hatte. Die Königin der<br />

Wedge-Sneakers kreiert mit ihrer Mode französische<br />

Nonchalance, die wir lieben! Etwas<br />

Boho-Chic, viel edle Klassik und immer ein<br />

ganz besonderer Schriftzug der internationalen<br />

Designerin. Diese Stiefel treffen es exakt!<br />

Sehr bequem und fast schon Marant-obligatroisch:<br />

Der Wedge-Absatz. Super schön<br />

wirkt die Kombination aus Glatt- und Wildleder.<br />

Isabel Marant, über mytheresa.com,<br />

ca. 890 Euro.<br />

Social Media und das digitale<br />

Zeitalter sind Inspirationsquellen<br />

ihrer Kollektionen. Die türkische<br />

Designerin Arzu Kaprol glaubt<br />

an die Zukunft. Nostalgischen<br />

Vintage-Hype? Lehnt sie ab. Genau<br />

dieser ist für die Haute Couture<br />

Designerin nämlich ein Ergebnis<br />

zeitgeschichtlicher Zerrüttungen,<br />

die den Innovationswillen unserer<br />

<br />

2000 die Menschen an eine „Super-<br />

Future“ glaubten und sich im<br />

Enthusiasmus des Milleniums<br />

befanden, kam mit 9/11 der große<br />

Schock. Und dieser ließ eine<br />

Unsicherheit zurück, die man<br />

noch heute spürt, nicht nur in der<br />

Politik. Ein Blick in ihren Twitter<br />

Account inspirierte sie bei ihrer<br />

aktuellen Winterkollektion 2013/14.<br />

„Ich war manchmal schockiert,<br />

Leute zu sehen, die mit ihren<br />

1000 Followern ganz persönliche<br />

Ereignisse teilten, in Wirklichkeit<br />

aber zu Hause allein in sich<br />

hineinweinten.“ Die Waffe gegen<br />

diesen Gesellschaftstrend: Seine<br />

<br />

Und das hat sie: Ihr Maxi-Kleid,<br />

das aus 18 Metern Chiffon besteht,<br />

ist ein Ergebnis aus 4 Tagen Arbeit<br />

<br />

Niemals wird unser Herz für Jeans aufhören<br />

zu schlagen. Kein Trend, keine Saison, ein<br />

Klassiker, der immer passt, besonders schön<br />

als Skinny zu einem edlen Blazer. Mit perfekte<br />

Sitzform punktet diese Jeans von Citizens of<br />

Humanity, über unger-fashion, ca. 360 Euro<br />

Nr.11<br />

32<br />

33<br />

Nr.11


STIL<br />

STIL<br />

MODERNER KLASSIKER<br />

Vorhang auf für den Hauptakteur der<br />

1950er: Der geliebte Klassiker trifft auf Pariser<br />

Chic. Nicht nur an ihren berühmten Frauensmoking<br />

schafft es kaum einer heran. Auch diese<br />

Biker-Lederjacke von Saint Laurent Paris ist bestes<br />

Beispiel dafür, dass das französische Label unter Hedi<br />

Slimane noch heute stilprägend ist. Auch wenn in<br />

dieser Jacke ein wenig von Slimanes L.A. Rock-<br />

Chic steckt, schafft sie es auch ganz ohne<br />

„Bäm Bäm“ zu unseren Stilfavoriten.<br />

Über mytheresa.com, ca. 3750<br />

Euro.<br />

Geometrisches Schmuckstück mit<br />

„Nadelgriff“ von M2Malletier,<br />

ca. 875 Euro<br />

Liebling in Bonbonrosa aussehen: Girly-Look<br />

trifft auf maskuline XL-Silhouette.<br />

Von Rochas, ca. 1270 Euro<br />

WARUM LAUFEN<br />

WENN MAN<br />

TANZEN KANN?<br />

cettenreichtum<br />

sowie die Anziehungskraft<br />

und Ästhetik, die Balletttänzer<br />

verkörpern: Zwei Leidenschaften,<br />

die Fotograf Dane Shigati zu einem<br />

Kunst- und Blogprojekt gemacht hat,<br />

vor über 13 Jahren. Mittlerweile hat<br />

der gebürtige Hawaiianer 1100 Bilder<br />

in seinem Repertoire und über 470.000<br />

Follower auf seiner Projektseite. Seine<br />

Bilder prägen Gegensätze zwischen<br />

Filigranem und Markantem, zwischen<br />

Lautem und Leisem, zwischen Dynamischem<br />

und Statischem. Gegensätze,<br />

die fesselnde Momente entstehen<br />

lassen, wenn man seine überwiegend<br />

in Schwarz-Weiß gehaltene Fotogra-<br />

<br />

rouette<br />

vor einer U-Bahn in Midtown<br />

oder ein perfekter Spitzentanz auf der<br />

Brooklyn-Bridge: Was Shigati festhält,<br />

sind Momente, die das Herz und die<br />

Emotionen einer Ballerina suchen.<br />

Die Mehrheit der Tänzerinnen, die für<br />

ben<br />

für Companies wie das American<br />

Ballet Theater, das Boston Ballet, das<br />

Birmingham Royal Ballet, das Pennsyl-<br />

<br />

City Ballet getanzt.<br />

Wir lieben es schlicht, aber<br />

mit viel Liebe zum Detail!<br />

Schuhe von Peter Petrov,<br />

Preis auf Anfrage<br />

Für ihn bedeutet „Beauty“ mutig zu sein, einfach<br />

sein eigenes Ding durchzuziehen, egal was andere<br />

denken. Seit August ist Marc Jacobs Beautylinie<br />

exklusiv bei Sephora erhältlich.<br />

Nagellack „ Jezebel“ von Marc Jacobs‘, ca. $ 18<br />

Ultra-feminin lassen Designer – Carven allen voraus - die<br />

Farbpalette dieser Saison über den Laufsteg stolzieren.<br />

Doch ein zarter Puppen-Look braucht selbstbewusste<br />

Kontraste und die setzt sinnliches Kirschrot.<br />

<br />

Dinge, denen wir begegnen, intuitiv als neu und innovativ.<br />

Fälschlicherweise, wie Lilah Ramzi, Modegeschichts-Stu-<br />

veau.com<br />

aufdeckt! Ihre Gegenüberstellungen zeigen, wie<br />

-<br />

<br />

gegenüber von Tim Walker.<br />

35 Nr.11


Eine Hommage an eine Stadt und ihren<br />

unverwechselbaren Stil: Die „Paris Nouvelle<br />

Vague“-Kollektion widmet Cartier<br />

dem Glamour der französischen Haupt-<br />

se.<br />

Chic, kess und immer elegant – der Stil<br />

der Pariserin ist unverkennbar und doch<br />

facettenreich, genau wie die Kollektion.<br />

Ob die Extrovertierte, die Glamouröse,<br />

die Freche oder die Freigeistige: Jedes<br />

Schmuckstück richtet sich an eine ande-<br />

<br />

die abenteuer lustige Nachtschwärmerin<br />

steckt zum Beispiel in diesem gelbgoldenen<br />

Ring<br />

„La Pétillante“.<br />

Preis: ca. 7750 Euro<br />

Nr.11<br />

36<br />

37<br />

Nr.11


ANGEKOMMEN<br />

Interview: Vanessa Obrecht<br />

angela missoni<br />

SCHON IN DEN SECHZIGERN SASS SIE<br />

ALS KLEINES MÄDCHEN AUF DEN ERSTEN<br />

MODESCHAUEN IN MAILAND. TROTZDEM<br />

ENTSCHIED SICH ANGELA MISSONI<br />

ERST SPÄT, IN DAS TRADITIONSREICHE<br />

STRICKIMPERIUM IHRER ELTERN<br />

EINZUSTEIGEN.<br />

Sie saßen vor Kurzem in der Jury<br />

des renommierten Woolmark-<br />

Preises, der den Umgang junger<br />

Designer mit Merinowolle auszeichnet.<br />

Mit diesem Engagement<br />

unterstützen Sie junge Talente.<br />

Wer hat Sie in Ihren Anfängen als<br />

Designerin gefördert?<br />

AM: Mein Bruder und ich konnten uns<br />

frei entfalten und wurden dazu ermutigt,<br />

unseren Interessen zu folgen. Ich<br />

habe erst sehr spät, mit Mitte Dreißig,<br />

entschieden, in die Mode einzusteigen.<br />

Wir kamen aber alle zurück zum<br />

Familienunternehmen. Als meine Entscheidung<br />

gefallen war, haben mich<br />

meine Eltern und mein Bruder sehr<br />

unterstützt. Meine Mutter war großer<br />

Fan meiner ersten Kollektion und bat<br />

mich, die Hauptlinie von Missoni zu<br />

übernehmen. Ich hatte davor nie darüber<br />

nachgedacht. Ihrer Meinung nach<br />

waren meine Kreationen das, was die<br />

Marke brauchte. Ich habe selten ein Familienunternehmen<br />

gesehen, bei dem<br />

der Generationenwechsel so selbstverständlich<br />

abgelaufen ist. Meine<br />

Eltern hatten schon immer zahlreiche<br />

Interessen neben der Mode und hatten<br />

deshalb wahrscheinlich kein Problem<br />

loszulassen.<br />

Was war die wichtigste Lektion,<br />

die Sie in Sachen Design gelernt<br />

haben?<br />

AM: Alles, was ich weiß, habe ich<br />

durch die Arbeit meiner Eltern gelernt.<br />

Dieses Wissen scheint mir grenzenlos.<br />

Doch am wichtigsten ist die Erkenntnis,<br />

nie ein Mitläufer zu werden.<br />

Das Haus Missoni hat eine lange<br />

Tradition und ihre Defilees gleichen<br />

einer Familienparty, bei der<br />

Jung und Alt zusammenkommen,<br />

um gemeinsam die neue Kollektion<br />

zu feiern. Wie erklären Sie sich<br />

diese Atmosphäre?<br />

AM: Wir sind eine der ältesten Marken<br />

Italiens. Meine Eltern waren Mitbegründer<br />

der Modewochen Mailand und<br />

dementsprechend Teil der Camera Nazionale<br />

Della Moda Italiana. Wir trafen<br />

und kannten alle! Meine Erinnerungen<br />

reichen bis zu meinem vierten Lebensjahr<br />

zurück. Ich habe drei Generationen<br />

von Journalisten miterlebt! (Lacht)<br />

Vielleicht waren meine Eltern auch<br />

einfach sehr ungewöhnlich und unabhängig.<br />

Mit ihrem besonderen Blick<br />

auf die Welt kamen sie bei den meisten<br />

Designern gut an.<br />

Wollen Sie damit sagen, dass Missoni<br />

nie in einen Konkurrenzkampf<br />

verwickelt war?<br />

AM: Genau. Wir sind die Außenseiter.<br />

Das glauben wir Ihnen nicht.<br />

AM: (lacht) Natürlich nicht!<br />

Strickmode hat eine starke Tradition<br />

in Ihrem Unternehmen. Wolle<br />

ist vielfältig einsetzbar und kann<br />

auf verschiedenste Arten verarbeitet<br />

werden. Ist es für Sie das wichtigste<br />

Material?<br />

<br />

Generationen leben und schöpfen<br />

von diesem Wissen ...<br />

AM: Tradition ist wichtig um seinen<br />

Job zu kennen. Tradition bedeutet<br />

Wissen zu haben, das weitergegeben<br />

werden kann. Vielleicht bringt Italien<br />

deshalb so viele kreative Menschen<br />

hervor. Tradition ist in unserem Land<br />

immer noch ein wichtiger Teil der Gesellschaft.<br />

Auf welchen Säulen des Erfolgs ist<br />

die Marke Missoni aufgebaut?<br />

AM: Ich denke, dass meine Eltern einen<br />

Stil erfunden haben. Das geschieht<br />

sehr selten im Modebusiness. Ich kann<br />

mich also glücklich schätzen. In den<br />

18 Jahren als Creative Director konnte<br />

ich die Marke auf meine Weise weiterentwickeln.<br />

Am wichtigsten war dabei,<br />

dass ich nie Angst hatte, das Unternehmen<br />

zu erneuern. Meine Eltern waren<br />

<br />

In dieser Tradition sehe ich auch mich.<br />

Ich hatte nie Bedenken, die Marke zu<br />

erneuern und auf die Höhe der Zeit zu<br />

bringen.<br />

Das Modebusiness ist bekanntlich sehr<br />

hart. Hatten Sie je das Gefühl als Frau<br />

nicht bestehen zu können?<br />

M: Dieses Gefühl hatte ich nie. Ich glaube<br />

als Frau habe ich die Kraft, viel mehr<br />

als ein Mann zu schaffen. Ich kam als<br />

drittes Kind nach zwei Jungen auf die<br />

Welt. Als Mädchen musste ich immer<br />

kämpfen! (lacht). In meiner Familie<br />

waren die Frauen stets selbstständig,<br />

stark und spielten eine große Rolle in<br />

meinem Leben. Meine Mutter war Unternehmerin<br />

und arbeitete viel. Auch<br />

meine Groß- und Urgroßmutter waren<br />

Unternehmerinnen. Das sind vier Generationen!<br />

Obwohl sie ihre Männer<br />

an die Front geschickt haben, um beispielsweise<br />

Verhandlungen zu führen,<br />

waren sie die Stütze des Geschäfts. Ich<br />

bin in dem Wissen aufgewachsen, dass<br />

ich ganz normal arbeiten werde. Zweifel<br />

daran hatte ich nie.<br />

Gibt es Tage, an denen Sie trotzdem mit<br />

sich ringen und zweifeln?<br />

M: Ich arbeite am liebsten in einem<br />

harmonischen Ambiente. Leute, die<br />

vor einer Show backstage kommen<br />

oder uns gar einige Tage vorher besuchen,<br />

sind total erstaunt, wie ruhig<br />

es bei uns ist. Ich möchte nicht hysterisch<br />

sein und ich konnte immer mit<br />

starkem Druck umgehen. Natürlich<br />

sehe ich Menschen, die sich fürchterlich<br />

aufregen. Stress oder Erschöpfung<br />

fühle ich aber nicht. Ich kann eine<br />

Menge einstecken. Ich will damit nicht<br />

sagen, dass unser Job einfach ist. Er ist<br />

mit großen Strapazen verbunden und<br />

die Zeit läuft uns stets davon.<br />

Wie gehen Sie mit Ihrer Freizeit um?<br />

Ist Ihnen diese Zeit eher lästig oder<br />

können Sie sie genießen?<br />

M: Ach, da bin ich entspannt. Schon<br />

als meine Eltern ihre Kreationen präsentierten,<br />

sah ich Kollektionen, die<br />

erfolgreich, und solche, die weniger erfolgreich<br />

waren. Sie wissen aber, dass<br />

sich die Qualität Ihrer Arbeit im Endeffekt<br />

immer bezahlt machen wird. Das<br />

ist der Lauf der Dinge. Wenn Sie das<br />

verinnerlicht haben, dann werden Sie<br />

immer weitermachen.<br />

Der International Woolmark Prize<br />

sucht weltweit nach außergewöhnlichen<br />

jungen Designern, die besonders kreativ<br />

mit Wolle umgehen. Im Februar 2014 findet<br />

das Finale in Mailand statt.<br />

„ICH KAM ALS DRITTES KIND<br />

NACH ZWEI JUNGEN AUF DIE<br />

WELT. ALS MÄDCHEN MUSSTE<br />

ICH IMMER KÄMPFEN!“<br />

Nr.11<br />

38<br />

39<br />

Nr.11


FOTO<br />

Text: Hendrik Lakeberg<br />

SORRENTI<br />

Sie bringen fast zur gleichen Zeit einen<br />

opulenten Bildband heraus. Beide Bücher<br />

erscheinen im Steidl Verlag und<br />

sehen sich zum verwechseln ähnlich.<br />

Beide Fotografen gehören der gleichen<br />

Generation an. Sie haben ab den<br />

neunziger Jahren mit Grunge, Indie<br />

bewegung<br />

im Hintergrund die Ästhetik<br />

der Modemagazine und -Kampagnen<br />

geprägt und umgekrempelt. Beide<br />

setzten der verkünstelten Werbeästhetik<br />

der Achtziger einen natürlichen<br />

Look entgegen. Supermodels im<br />

Schlafanzug, nackt und frierend oder<br />

in irgendeiner anderen Pose, die sie in<br />

einem privaten Moment zeigen, in dem<br />

sie nicht immer nur perfekt und makellos<br />

schön aussehen, sondern auch<br />

mal verletzlich, hässlich oder schlicht:<br />

so wie man als nackter Mensch ohne<br />

Fotoretusche und Make-up eben aussieht.<br />

In beiden Büchern sieht man<br />

dem entsprechend auch eine Menge<br />

Brüste, Pimmel und Ärsche. Beide Bü-<br />

Mario Sorrenti, „Draw Blood for Proof“,<br />

erschienen bei SteidlDangin, 98,00 Euro<br />

TELLER<br />

cher sollen wirken wie zusammen gescrabbelte<br />

Tagebücher. Doch so ähnlich<br />

sich die Bilderwelten von Juergen Teller<br />

und Mario Sorrenti auf den ersten<br />

Blick sind, so erkennt man doch den<br />

Unterschied: Während Sorrenti hinter<br />

aller Rauheit einen Hang zu Romantik<br />

und Schönheit hat, zeigt sich Teller als<br />

der hemdsärmlige, krachlederne Bayer.<br />

Teller ist seinem Stil im Laufe der Jahre<br />

<br />

nach wie vor meistens analog und hat<br />

die Snapshot-Ästhetik in seinen Kampagnen<br />

für Céline, Vivienne Westwood<br />

und Marc Jacobs perfektioniert. Sorrenti<br />

hingegen hat sich angepasst. Seine<br />

zahlreichen Kampagnen bedienen<br />

<br />

die gut gemacht und schön, aber nicht<br />

mehr widerständig ist. Als wolle er dies<br />

kaschieren, ist Sorrentis Buch auch<br />

wesentlich großformatiger als das von<br />

Teller. Was kaum kaschiert: Besser gealtert<br />

ist auf jeden fall der Bayer.<br />

Juergen Teller, „WOO!“, erschienen bei<br />

Steidl, 40,00 Euro<br />

Nr.11<br />

40<br />

41<br />

Nr.11


AGENDA<br />

AMERIKA IM HERBST<br />

Für die kalten Tage: Unsere US-Serien-Highlights im Herbst!<br />

Masters of Sex (Showtime seit 29.9.)<br />

Masters of Sex erzählt die Anfänge der Sexualforschung<br />

in den amerikanischen 50er-Jahren durch<br />

William Masters und seine Kollegin Virginia Johnson.<br />

Zitat Masters (sic): „Warum würde eine Frau<br />

einen Orgasmus vortäuschen?“ Johnson: „Damit<br />

die Geschichte durch ist und sie sich wieder interessanteren<br />

Dingen zuwenden kann.“ Na, dann.<br />

The Blacklist (NBC)<br />

Eine FBI-Geschichte mit einem genialen Super-<br />

Verbrecher, der in Gefangenschaft mit einer jungen<br />

Agentin Psycho-Spiele spielt, das klingt verdammt<br />

nach „Schweigen der Lämmer“ und Hannibal. The<br />

Blacklist könnte aber dennoch süchtig machen.<br />

Wir sind gespannt.<br />

Brooklyn Nine-Nine (Fox)<br />

Haben wir auf eine „goofy“ Cop-Comedy aus New<br />

<br />

Jungs-Mädchen-Sprüchen? Finden wir es lustig,<br />

wenn ein etwas dicklicher Typ minutenlang daran<br />

<br />

Lieben wir „Brooklyn-Nine-Nine“, die Serie die all<br />

dies verbindet? Leider, ja.<br />

NEUES LAND IN SICHT<br />

Die wohl spannenste Theaterbaustelle der Republik wird diesen Herbst<br />

im Berliner Maxim Gorki Theater aufgemacht. Nachdem der langjährige<br />

Intendant Armin Petras nach Stuttgart gegangen ist, übernimmt die bisher<br />

am Kreuzberger Ballhaus Naunynstraße für ihr „postmigrantisches“ Theater<br />

gefeierte Shermin Langhoff zusammen mit Jens Hillje die Leitung. Ein Großteil<br />

des Essembles ist neu. Repertoirestücke müssen erst entwickelt werden. Von<br />

dieser Nullstelle aus kann sich großartiges, junges Theater entwickeln.<br />

Ab 8. Nobember,<br />

Am Festungsgraben 2, 10117 Berlin<br />

DER NEUE BLICK<br />

Expanded Narration: Das neue<br />

Erzählen. B3 Biennale des bewegten<br />

Bildes: In Frankfurt/Main und<br />

Umland untersucht die B3 Biennale<br />

in Kooperation mit verschiedenen Institutionen<br />

die Potenziale des Bewegtbildes.<br />

Zu sehen (und machen) gibt es<br />

u.a. die Ausstellung „Fassbinder – Jetzt.<br />

Film und Videokunst“ (bis 01.06.14) im<br />

Deutschen Filmmuseum, einen Vortrag<br />

im Frankfurter Kunstverein über<br />

Erzählformen in Computerspielen,<br />

einen Urban Soundwalk sowie Workshops<br />

zur Entwicklung experimenteller,<br />

serieller Fernsehformate.<br />

30.10 – 3.11. 2013. Frankfurt/M<br />

und Umgebung<br />

V I D E O O N D E M A N D<br />

Anstatt in der Videothek um die Ecke werden Filme zunehmend online<br />

ausgeliehen. Man muss dazu aber nicht zu den Halsabschneidern von<br />

iTunes gehen. Hier unsere Alternativen.<br />

– Die Online-Videothek: Netflix ist die erste Payperview Online-<br />

Plattform, die eigenständig Serien produziert. Darunter so großartige<br />

wie House of Cards und Orange is the new black. Mit einem speziellen<br />

PlugIn für ca. 7€ im Monat auch in Deutschland zu sehen. Super für<br />

Einsteiger.<br />

– Ausgesucht: Mubi bietet für 4,99€ im Monat 30 Filme im Stream an.<br />

Jeden Tag fällt einer weg und ein neuer kommt dazu. Das Programm<br />

<br />

wirklich ausgesuchte Filme frei Haus vorgestellt. Eine Plattform für<br />

Fortgeschrittene.<br />

– Für Cineasten: FestivalScope <br />

dementsprechend reglementiert. Die Idee ist aber genial. Ist man aus<br />

der Film-Branche und akkreditiert, dann kann man die jeweils aktuellen<br />

Filme von Festivals auf der ganzen Welt sehen, lange bevor sie ins Kino<br />

kommen oder wieder verschwunden sind.<br />

N I C K C AV E<br />

Lange ließ er auf sich warten,<br />

nun kommt Nick Cave mit<br />

den Bad Seeds während der<br />

„Push the Sky Away“-Tour<br />

vom 10. – 13. November endlich<br />

wieder nach Deutschland.<br />

Das Eis der Hölle wird<br />

schmelzen, wenn sein Blues,<br />

Soul und Rock erklingt.<br />

Alle Bilder: Courtesy White Chapel Gallery London Foto: Maxim Gorki Theater / Esra Rotthoff<br />

SARAH LUCAS „SITUATION“<br />

Vielleicht ist es der männliche Blick,<br />

der den weiblichen Körper in Stücke<br />

sprengt. Auf diesen Gedanken kommt<br />

man, wenn man sich die künstlerischen<br />

Arbeiten von Sarah Lucas anschaut. In<br />

der bis zum 15. Dezember laufenden<br />

Ausstellung „Situation“ scheint in der<br />

Skulptur „Benny gets snookered #1“<br />

ein grotesk geformter Frauenunterleib<br />

von einem Stuhl zu rutschen, auf<br />

dem dieser ohnehin seltsam ungelenk<br />

sitzt. In „Nice Tits“ schwebt über zwei<br />

Beinen in High Heels eine Traube aus<br />

Brüsten. Durch ihre erste Solo-Show<br />

mit dem Titel „Penis Nailed to a Board“<br />

wurde Sarah Lucas 1992 zum Thema<br />

der englischen Boulevard-Presse<br />

und gehörte neben Damien Hirst<br />

<br />

British Artists, die mit ihrem grellen,<br />

provokanten Ausstellungen die Kunst<br />

der folgenden Dekade prägen sollten.<br />

Lucas‘ Skulpturen zeigen so gut wie nie<br />

Gesichter, dafür aber seltsam verzerrte<br />

Körper. Fast immer geht es um<br />

Geschlechtsorgane, als bestünde die<br />

Welt aus nichts anderem als Sex. Und<br />

schaut man sich die Massenmedien an,<br />

dann mag sie damit recht haben, denn<br />

es ist immer noch der männliche Blick,<br />

der sie dominiert und damit der Körper<br />

der Frau, der in ihrem Mittelpunkt<br />

<br />

sie sich mit einem Totenkopf zwischen<br />

den Beinen. Sie schaut freundlich,<br />

aber direkt in die Kamera. In diesem<br />

Blick liegen Trotz und Stolz – auf eine<br />

<br />

sie sich durch ihre Kunst von dem<br />

Unsinn entledigt, der uns umgibt.<br />

Sarah Lucas‘ „Situation“,<br />

White Chapel Gallery, London<br />

Nr.11<br />

42<br />

43<br />

Nr.11


AGENDA<br />

HOMMAGE ANS REISEN<br />

Louis Vuitton Pop Up Store: In<br />

Kollaboration mit dem kanadischen<br />

Medienunternehmer, Journalist und<br />

Designer Tyler Brulé und seinem<br />

Design-Team Winkreative hat Louis<br />

Vuitton in Paris einen Pop-up-Store<br />

eröffnet. Er zelebriert und symbolisiert<br />

die lange Geschichte an Gepäckdesign<br />

der „High-Fashion“-Marke.<br />

Zu kaufen gibt es Reiseaccessoires,<br />

angefangen von Koffern, Taschen,<br />

Louis Vuitton City Guides und auch<br />

Modesamples. Der Store bietet einen<br />

Reparaturservice sowie die Möglichkeit,<br />

die einzigartigen Produkte personalisieren<br />

zu lassen. Einen Einblick<br />

in die Kunst des Verpackens wird im<br />

Rahmen von Workshops angeboten.<br />

Bis 31. Dezember,<br />

22 Avenue Montaigne<br />

Paris<br />

ARCHETYPEN<br />

A Queen Within. Adorned Archetypes,<br />

Fashion and Chess: Ob<br />

<br />

Schach-Königin steht für Macht,<br />

Tradition, Freiheit und Unberechen-<br />

<br />

ihre Wirkungsmacht im kollektiven<br />

Unbewussten sowie archetypische<br />

Repräsentationsformen der<br />

Frau untersucht die Ausstellung „A<br />

Queen Within“. Künstlerisch umgesetzt<br />

wurde die unorthodoxe Idee<br />

von einem internationalen Team<br />

von Kuratoren, Mode-Insidern und<br />

Schachspielern anhand von Mode-<br />

men<br />

und Illustrationen. Zu sehen ist<br />

eine Sammlung teils extrem seltener<br />

Stücke der weltweit größten Privatkollektion<br />

von Alexander McQueen<br />

sowie Werke von Gianfranco Ferré,<br />

Gucci, Hussein Chalayan, Maison<br />

Martin Margiela und anderen.<br />

19. Oktober — 18. April 2014<br />

Saint Louis, Missouri, USA<br />

Nr.11<br />

44


DAS BILD<br />

Interview: Maja Hoock<br />

Zeichnung: Frauke Finsterwalder<br />

deutschland in<br />

der dunkelheit<br />

FRAUKE<br />

FINSTERWALDER<br />

WIDMET SICH IN<br />

IHREM DEBÜTFILM<br />

„FINSTERWORLD“<br />

DER BÜRGER-<br />

LICHEN DOPPEL-<br />

MORAL. FÜR<br />

UNSERE RUBRIK<br />

“DAS BILD”<br />

ZEICHNETE<br />

DIE ZWISCHEN<br />

AFRIKA UND<br />

DEUTSCHLAND<br />

PENDELNDE<br />

REGISSEURIN<br />

ZUM THEMA<br />

PANIK EINE<br />

RAUBKATZE<br />

UND SPRACH<br />

IM INTERVIEW<br />

ÜBER MACHT,<br />

ALTE MÄNNER<br />

UND DEN TOD!<br />

Sie haben einen gefährlichen Tiger<br />

mit Zähnen und Krallen gezeichnet,<br />

um „Panik“ darzustellen. Warum?<br />

Frauke Finsterwalder: Ich war als Abiturientin<br />

im indonesischen Dschungel.<br />

Nachts bin ich dort mit meinem Freund<br />

spazieren gegangen, obwohl mich die<br />

Einheimischen davor sehr gewarnt<br />

haben. Es war stockdunkel und wir<br />

hatten keine Taschenlampe. Plötzlich<br />

habe ich gehört, wie im Gebüsch eine<br />

sehr, sehr große Katze brüllt. Ein Tiger.<br />

Das war der panischste Moment in<br />

meinem Leben. Ich habe mir vor Angst<br />

in die Hose gemacht. Eine interessante<br />

Erfahrung, denn man kennt ja das<br />

Sprichwort „sich in die Hose machen“,<br />

aber das kann wirklich passieren.<br />

Hat sich mit dem Moment etwas<br />

für Sie geändert?<br />

FF: Ich habe seitdem diese Erfahrung<br />

einer Todespanik, was ich bis heute nie<br />

wieder erlebt habe. Außerdem habe<br />

ich gelernt, dass man in fremden Ländern<br />

besser sehr ernst nimmt, was die<br />

Einheimischen einem sagen.<br />

Sie leben einige Zeit im Jahr auf einer<br />

Insel in Kenia. Schon mal auf<br />

ein gefährliches Tier getroffen?<br />

FF: Es gibt dort die schrecklichsten<br />

Schlangen, die man sich vorstellen<br />

kann. Zum Beispiel die afrikanische<br />

Speikobra. Darauf habe ich mich, bevor<br />

ich dorthin gezogen bin, sehr gut<br />

vorbereitet, um eben nicht panisch zu<br />

reagieren, sollte ich auf so eine treffen.<br />

In Nairobi gibt es in einem Park eine<br />

Schlangengrube, da habe ich sie mir<br />

dann angesehen. Jetzt habe ich eigentlich<br />

keine Angst mehr, weil ich so darauf<br />

vorbereitet bin, dass es passieren<br />

könnte.<br />

Warum leben Sie dort?<br />

FF: Auf der Insel, auf der ich wohne,<br />

gibt es keine Supermärkte und keine<br />

Autos. Außer das vom Bürgermeister.<br />

Aber es hat einen Platten.<br />

terworld“<br />

wollten Sie sich mit<br />

Deutschland auseinandersetzen.<br />

Warum?<br />

FF: Ich bin auch im Ausland eine Deutsche,<br />

das kann ich nicht ändern und<br />

man bekommt das auch zu hören. Die<br />

Deutschen haben eben einen bestimmten<br />

Ruf … Mit den Afrikanern gibt es da<br />

eigentlich keine Probleme, aber in Kenia<br />

wohnen viele Engländer, die gerne<br />

sehr böse Witze über die Deutschen<br />

<br />

damit kein Problem, aber auf jeden Fall<br />

wird man ständig mit typisch deutschen<br />

Eigenschaften konfrontiert und<br />

fragt sich: Erfüllt man das Klischee,<br />

oder nicht?<br />

Es ist bekannt, dass man das Herkunftsland<br />

von Weitem klarer<br />

sieht. In „Finsterworld“ gibt es<br />

sehr bezeichnende Charaktere:<br />

Snobs, oberflächliche Karrieristen<br />

und Außenseiter, die sehr schlecht<br />

behandelt werden. Ist das eine Abrechnung<br />

mit der deutschen Gesellschaft?<br />

FF: Nein, ich will wirklich nicht mit<br />

jemandem abrechnen. Ich würde mir<br />

nicht erlauben wollen, die gesamte<br />

Gesellschaft zu kritisieren. Der Film<br />

heißt ja auch „Finsterworld“ und nicht<br />

„Deutschland“. Es ist vielmehr mein<br />

eigener, spezieller Blick auf gewisse<br />

Phänomene, die es in Deutschland<br />

gibt. Man kann sich als Zuschauer<br />

dann entscheiden, wie sehr man das<br />

für wahr hält, was man da sieht.<br />

Aber es gibt doch hier einige Phänomene,<br />

die es in anderen Ländern<br />

nicht gibt.<br />

FF: Ja. Der Film ist sicher auch ein Seitenhieb<br />

gegen das bigotte Bürgertum.<br />

Es geht mir nicht um „die Reichen“,<br />

sondern um die bürgerliche, vermeintlich<br />

aufgeklärte Welt, die alles weiß,<br />

gerne über den Holocaust spricht und<br />

auf der anderen Seite selbst faschistoide<br />

Verhaltensweisen an den Tag legt.<br />

Im Film ist da etwa der gebildete,<br />

versnobte Schüler, der Außenseiter<br />

quält, oder die Dokumentar-<br />

Filmerin, die sich am Elend armer<br />

Leute bereichert …<br />

<br />

weil es diese Mischung sonst nicht<br />

<br />

auf der einen Seite und auf der anderen<br />

Seite ein Verhalten, das dem überhaupt<br />

nicht gerecht wird. Das unterscheidet<br />

„Finsterworld“ auch ein bisschen von<br />

anderen Filmen: Das Bildungsbürger-<br />

lich<br />

nicht statt, obwohl gerade viele<br />

Filmemacher oder deren Eltern aus<br />

genau dieser Welt kommen. Es war<br />

also auch die Idee, etwas über Menschen<br />

zu erzählen, die auf Augenhöhe<br />

stehen, und nicht Menschen von oben<br />

herab zu kritisieren.<br />

Sie haben auch Ihre Erfahrungen<br />

mit unangenehmen Männern in<br />

dieser Welt gemacht …<br />

FF: Der Tiger, den ich gezeichnet habe,<br />

könnte für einen älteren Mann in einer<br />

Machtposition stehen. Ich hatte früher<br />

Angst, in der Arbeit Fahrstuhl zu fah-<br />

gen<br />

Chefs, die es öfter gibt, als man so<br />

glaubt. Da sind einige Dinge vorgefallen,<br />

als ich als Journalistin gearbeitet<br />

habe. Aber auch am Theater. Als Regisseurin<br />

ist mir das nicht mehr passiert,<br />

weil man sich untereinander wohl eher<br />

<br />

arbeite ich hauptsächlich mit jungen<br />

Männern zusammen, bei denen hat<br />

sich sowieso einiges geändert.<br />

Eine alte Frau liegt im Film im<br />

Heim-Bett und ist völlig alleine,<br />

weil ihr Sohn sie nicht besucht. Sie<br />

scheint Panik zu haben, vor der<br />

Einsamkeit und vor dem Tod. Ist<br />

Ihnen die Panik vor der Endlichkeit<br />

bekannt?<br />

FF: Das ist mir sehr bekannt, vor allem<br />

seit ich eine kleine Tochter habe. Seit<br />

ihrer Geburt denke ich sehr viel über<br />

den Tod nach. Wenn man dieses neue<br />

Leben sieht, wird einem die eigene<br />

Endlichkeit deutlicher bewusst. Außerdem<br />

habe ich viel mehr Angst beim<br />

<br />

wenn ich mich von ihr verabschiede,<br />

das ist jetzt das letzte Mal. Ich habe<br />

komische Paniken, die ich vorher nie<br />

hatte. Weil ich niemanden hatte, der so<br />

von mir abhängig ist.<br />

In Ihrem Film wird an einigen<br />

Stellen auch deutlich, dass es sich<br />

lohnt, seine Ängste zu überwinden.<br />

FF: Es lohnt sich, Risiken einzugehen,<br />

weil sonst die Ergebnisse von dem,<br />

was man tut, sehr beschränkt sind.<br />

Angst ist manchmal der größte Feind<br />

der Kreativität. Ich hatte wahnsinnige<br />

“ICH BEKAM<br />

PANIK, ALS NEBEN<br />

MIR EIN TIGER<br />

BRÜLLTE”<br />

<br />

zu machen. Er ist ein Risiko für mich,<br />

weil er sich in Sprache und Stil von vielen<br />

anderen Filmen in Deutschland unterscheidet<br />

und darum aneckt. Wenn<br />

ich nüchtern darüber nachdenken<br />

würde, hätte ich mich das sicher nicht<br />

getraut. Und so versuche ich eben, diese<br />

Ängste zu verdrängen, zu bekämpfen<br />

und drüberzuklettern.<br />

Sie haben in „Finsterworld“ auch<br />

eine Doku-Filmerin erfunden.<br />

Und diese bekommt auch Panik,<br />

aber nicht wegen einem ihrer Filme,<br />

sondern weil sich ihr Freund<br />

als Plüsch-Fetischist outet und im<br />

Bären-Kostüm vor ihr steht. Sie<br />

schreit und weint. Warum hat sie<br />

diese extreme Reaktion?<br />

FF: Es geht um Vertrauensbrüche. Sie<br />

fühlt sich betrogen. Der Schock ist also<br />

eher, dass etwas hinter dem Bekannten<br />

steckt, das man nicht kennt, ein<br />

Parallel-Leben. Weniger die Tatsache<br />

an sich. Ein Bären-Kostüm ist an sich<br />

ja nichts Schlimmes.<br />

Haben Sie mal Plüsch-Fetischisten<br />

im wahren Leben getroffen?<br />

FF: Ja. Die Leute nennen sich Furries.<br />

Alle Furries, die man im Film sieht, bis<br />

auf den von Ronald Zehrfeld gespielten<br />

Tom, sind das auch im wahren Leben.<br />

Es war ein langer Prozess, diese Leute<br />

dazu zu überreden, mitzumachen. Wir<br />

hatten nicht das Geld, um diese sehr<br />

teuren, besonderen Kostüme anzuschaffen.<br />

Unsere Praktikantin hat sich<br />

in spezielle Foren begeben und den<br />

Leuten über Wochen und Monate erklärt,<br />

dass wir uns nicht über sie lustig<br />

machen wollen. Und sie haben in ihren<br />

eigenen Kostümen mitgespielt. Es ist<br />

interessant, dass diese Bewegung gerade<br />

in Deutschland und den USA am<br />

größten ist, wo Umarmungen sehr untypisch<br />

sind. Anders als in Italien oder<br />

Afrika, wo ich lebe. Die Leute ziehen<br />

sich die Hülle eines Plüschtieres an,<br />

um umarmt werden zu können.<br />

Das Drehbuch für „Finsterworld“ schrieb<br />

Frauke Finsterwalder zusammen mit ihrem<br />

Mann, dem Schriftsteller Christian Kracht.<br />

Nr.11<br />

46<br />

47<br />

Nr.11


EIN TAG<br />

Text & Foto: Sina Braetz<br />

Es steht außer Frage, dass es eine unentdeckte Welt gibt. Das Problem ist, wie weit<br />

ist sie von Midtown entfernt und wie lange hat sie geöffnet? Wer könnte die feurige<br />

Liebe zu New York besser beschreiben als Woody Allen. Und wir teilen sie. Leidenschaftlich.<br />

Aus dem Aspahltdschungel kommen unsere liebsten <strong>Fräulein</strong>-Ikonen<br />

– ob Chloë Sevigny, Christina Kruse oder Patti Smith. Kaum eine Stadt hat so viel<br />

Inspirationskraft und Energie, gleich zu welcher Tageszeit. Diese Orte sollten unbedingt<br />

auf der Liste einer <strong>Fräulein</strong>-Leserin stehen.<br />

1 Manhattan. 10 am. Der Tag beginnt im trendigen Soho mit einem Latte Macchiato<br />

im „Café Select“ (212 Lafayette Street). 2 Außergewöhnlich schönes Lichtdesign<br />

gibt es in dem Store des deutschen Künstlers Ingo Maurer zu entdecken (89<br />

Grand Street). 3 Ein fast unberührtes Stück Erbe vom amerikanischen Künstler<br />

Donald Judd ist seit diesem Sommer der Öffentlichkeit zugänglich, im fünfstöckige<br />

Gebäude der „Judd Foundation“ (101 Spring Street). 4 Leckerste Gerichte und<br />

den besten „Mimosa“ gibt es im „Café Gitane“ (242 Mott Street).<br />

5 Im hippen East-Village ist eine Shopping-Tour im Consignment Store „Tokyo 7“<br />

(83 E 7th Street) der absolute Geheimtipp. 6 Relaxen ist angesagt in Brooklyns<br />

ältestem Badehaus mit Hockeythemen-Design: „The Russsian Bath on Neckroad“<br />

(1200 Gravesend Neckroad ) 7 <br />

Flea Market „Artists & Fleas“ (70 N 7th Street). 8 Im „Moma PS1“ (22-25 Jackson<br />

Avenue) gib es eine Vielfalt an zeitgenössischer Kultur zu entdecken. 9 Ein Fest<br />

für die Sinne ist ein Spaziergang durch den „Chelsea Market“. Unbedingt eine der<br />

süßen Sünden von „Ruthy´s Bakery“ probieren. 10 Appetizer seit 1914: Ein Stopp<br />

in der Lower Eastside bei „Russ & Daughters“ (179 E Houston Street) lohnt sich.<br />

11<br />

feinen „Hester Street Fair Market“ (seit 1895, Hester Ecke Essex Street). 12 Eine<br />

karibische Oase in Downtown: Im Restaurant „Miss Lily´s“ (132 West Houston<br />

Street) kann man jamaikanische Spezialitäten genießen und gleichzeitig den Reg-<br />

13<br />

Wo die Creme de la Creme ausgebildet wird, gibt es oft tolle Performances von<br />

Schülern zu sehen: „Juilliard School“ ( 60 Lincoln Center Plaza). 14 Wenn man<br />

das edle „Le Parker Meridien Hotel“ (119 W 56th street) betritt, glaubt man kaum,<br />

<br />

ist. 15 Eine der leckersten, japanischen Küchen und angesagtesten Restaurants:<br />

„MaisonO“ (98 Kenmare Street) 16 Hier trafen sich Größen wie Nat King Cole und<br />

noch heute lässt sich in Harlem´s aktuellem Anziehungspunkt guter Wein und<br />

toller Live-Jazz genießen: „Red Rooster“ ( 310 Lenox Avenue). 17 Bei diesem Panorama<br />

fühlt man sich winzig klein: Der Blick vom „Rockefeller Center“, perfekt<br />

um goodbye zu sagen.<br />

Nr.11<br />

48<br />

49 Nr.11


LEGENDE<br />

Fotos: Bildband „Yva – Photographien 1925 – 1938“ (2001, Das Verborgene Museum Berlin) / Rissmann<br />

Text: Ruben Donsbach<br />

ein leben<br />

für das bild<br />

DIE BERLINER FOTOGRAFIN ELSE ERNESTINE<br />

NEULÄNDER, KÜNSTLERNAME YVA, WAR<br />

EINE DER BERÜHMTESTEN DER WEIMARER<br />

REPUBLIK. SIE STAND FÜR EINEN NEUEN TYPUS<br />

SELBSTBEWUSSTER UND ERFOLGREICHER FRAUEN,<br />

WIE SIE ES IHN ERST NACH DEM ERSTEN<br />

WELTKRIEG GEBEN KONNTE. EIN RÜCKBLICK AUF<br />

EIN MODERNES WIE AKTUELLES WERK.<br />

<br />

Berlin-Kreuzbergs und eine der re-<br />

<br />

brodelnden Weimarer Republik. Die<br />

Sehnsucht der Berliner heute ist gerichtet<br />

auf dieses 20er-Jahre-Berlin.<br />

Auf seine Exzesse, seine künstlerische<br />

Promiskuität, seine Geschwindigkeit,<br />

<br />

den expressionistischen Malern am<br />

Potsdamer Platz und der Traumfabrik<br />

des Kinos in Babelsberg, gab in ihren<br />

Fotos den mannigfaltigen Reizen, Bildern,<br />

Sehnsüchten und Neurosen ihrer<br />

Zeit eine Form.<br />

Berühmt wurde sie mit kunstvollen<br />

„synoptischen“ Mehrfachbelichtungen,<br />

mit beinahe allegorischen Verdichtungen.<br />

Darunter ihr zusammen mit Heinz<br />

Hajek-Halke gestaltetes, kubistisches<br />

<br />

mit fast schon heiligem Ernst schauen,<br />

die Arme überschlagen, die Komposition<br />

in Kreise, Wellen und Winkel<br />

aufgelöst. Eine Heroine der Moderne.<br />

Die Bedeutung dieser maßgeblich von<br />

Man Ray entwickelten, technisch aufwendigen<br />

Montage-Technik kann man<br />

daran ermessen, dass Künstler wie der<br />

Surrealist Vinicio Paladini sie in eigene<br />

Werke integriert und so rekontextua-<br />

<br />

gut bekannt, wurde ausgestellt und für<br />

ihren Beitrag zur Foto- und Montagekunst<br />

gewürdigt. Heute erzielen Originale<br />

auf dem internationalen Kunstmarkt<br />

Höchstpreise.<br />

schäftsfrau.<br />

Sie besuchte ihre Kunden<br />

vor Ort statt in ihrem eigenen Atelier<br />

zu versauern. Sie erweiterte ihr<br />

Repertoire auf jede erdenkliche Form<br />

<br />

Produktdetails, Genremotive, Werbestrecken<br />

und Musikerportraits, denen<br />

viele Gruppen, wie zum Beispiel<br />

die Sisters G., berühmte Sängerinnen<br />

und Entertainerinnen der Zwanziger<br />

und Dreißiger, erst ihre mediale<br />

Identität verdankten. Reich wurde sie<br />

durch Arbeiten für Zeitschriften und<br />

die zahlreichen Berliner Illustrierten,<br />

mit Mode und Werbeaufnahmen<br />

oder Bildergeschichten und Rätseln,<br />

die etwa in Ullsteins Vorzeigemagazin<br />

„UHU“ oder „Die Dame“ erschienen<br />

und einem breiten Publikum bekannt<br />

waren. Auf diesen Bildern erscheint<br />

ein selbstbewusster Frauentyp, wie es<br />

ihn erst nach dem Ersten Weltkrieg<br />

ABENDS KAMEN DIE NEUEN<br />

KOLLEKTIONEN AUS DEN<br />

„SHOWROOMS“ DER HAUPTSTADT,<br />

DANN DIE MANNEQUINS. NACHTS<br />

WURDE FOTOGRAFIERT.<br />

Yva im Atelier des Bildhauers Hugo Lederer, 1930<br />

geben konnte, als neue Berufe und<br />

Ausbildungsmöglichkeiten offenstanden.<br />

Man sieht Frauen rauchend, als<br />

dominante Verführerin, in weiten Hosen<br />

vor dem Segeltörn oder als Akt<br />

mit orientalistischer Maske und Säbel<br />

tanzend. Eine Erotik, die sich deutlich<br />

<br />

ohne jedwede Unterwerfungsgesten<br />

an ein männliches Publikum. Neben<br />

einer Bildmontage über den Alltag von<br />

„Drillingen“ steht: „Lilli kocht, Cilli tippt<br />

und Hilli studiert, weil sie die Klügste<br />

ist.“ Ein Dreiklang der Emanzipati-<br />

<br />

zum gesellschaftlichen Aufstieg durch<br />

Bildung. Diesen Frauen steht die Welt<br />

<br />

selbst.<br />

In der Tradition des „Neuen Sehens“<br />

arbeitend, verband sie somit künstlerischen<br />

Ausdruck und kommerzielles<br />

Kalkül, belieferte den Markt und erhielt<br />

sich eine außerordentliche Qualität.<br />

Abends kamen die neuen Kollektionen<br />

aus den „Showrooms“ der Hauptstadt,<br />

dann die Mannequins. Nachts wurde<br />

<br />

wieder zurück in die Geschäfte. Tagsüber<br />

entwickelten ihre Mitarbeiter die<br />

Bilder und fertigten die Retuschen an,<br />

lieferten Kuriere die fertigen Fotos an<br />

die Bildredaktionen und Agenturen<br />

<br />

an der Beschleunigung der Metropole<br />

Berlin getakteter Betrieb, der zeitweise<br />

über 10 Mitarbeitern Arbeit und Ausbildungsmöglichkeiten<br />

gab. Darunter<br />

von 1936-38 dem später weltberühmten<br />

Helmut Newton, der seine Jahre<br />

<br />

Lebens“ bezeichnete. Zunächst in der<br />

Nr.11<br />

50<br />

51<br />

Nr.11


1938 MUSS YVA IHR ATELIER<br />

SCHLIESSEN, AB SEPTEMBER 1941<br />

WIRD DER JUDENSTERN PFLICHT.<br />

Friedrich-Wilhelm Straße 17 (heute<br />

Klingelhöferstraße) zwischen Charlottenburg<br />

und Tiergarten, ab 1930 in der<br />

Bleibtreustraße 17 und ab 1934 schließlich<br />

in der Schlüterstraße 45, im heutigen<br />

„Hotel Bogota“. Mit jedem Umzug<br />

<br />

waren es 14 Zimmer mit 2-geschössigem<br />

Eingangsbereich und Dachterrasse.<br />

Ein kleiner Palast. Unter den 430<br />

Berliner Fotostudios ihrer Zeit, von<br />

denen über 30% von Frauen geleitet<br />

<br />

bekanntesten und erfolgreichsten.<br />

Besucht man heute das von der Schließung<br />

bedrohte „Hotel Bogota“, eines<br />

der wohl historischsten Wohnhäuser<br />

Berlins, sieht man an den Wänden<br />

<br />

sie früher in den Berliner Illustrierten<br />

erschienen sind. Viele davon wurden<br />

eben hier, im heutigen „Bogota“, aufgenommen,<br />

entwickelt und retuschiert.<br />

Der Besitzer Joachim Rissmann führt<br />

durch diese Räume mit größtem Respekt.<br />

Rissmann ist ein Sammler, ein<br />

Fotoliebhaber. Ein melancholischer<br />

Intellektueller, dessen Herz diesem<br />

Ort gehört, der ihn erforscht und dokumentiert<br />

hat, der, spricht man ihn<br />

<br />

<br />

1934 in die Schlüterstraße zog, waren<br />

die Nazis längst an der Macht. Else<br />

Neuländer aber war Jüdin. Auf der<br />

Höhe ihrer Bekanntheit, frisch verheiratet<br />

mit dem 13 Jahre älteren und<br />

wohlhabenden Alfred Simon, bestens<br />

vernetzt in den Verlagen, hielt sie sich<br />

wohl für unangreifbar. Doch langsam<br />

wurden die Aufträge geringer, die großen<br />

Verlage wie Ullstein arisiert, erste<br />

Berufsverbote ausgesprochen. 1938<br />

<br />

September 1941 wird der Judenstern<br />

fach<br />

um. Wohnen bei Bekannten und<br />

Familie, schließlich in einer kleinen<br />

Pension. Ihr Mann wird zum Straßen-<br />

<br />

als Aushilfe in einem Röntgenlabor. Ein<br />

letzter Ausreiseversuch misslingt. Am<br />

1. Juni 1942 wird das Paar von der Gestapo<br />

verhaftet, am 13. Juni nach Osten<br />

deportiert. Vermutlich im KZ Majdanek<br />

(Lublin) wird Else Neuländer von<br />

Nazi-Schergen ermordet.<br />

<br />

Rissmann wiegt im Speisesaal des<br />

„Hotel Bogota“, in dem Goebbels früher<br />

entschied, welche Filme im Dritten<br />

Reich ins Kino kommen durften, leicht<br />

den Kopf. Blickt von irgendwo weither<br />

sein Gegenüber an. Sagt, es habe wohl<br />

an ihrem Mann gelegen, und schweigt<br />

dann.<br />

<br />

wie tragisch im Dritten Reich. Ihr Werk<br />

im Gegensatz zu dem von ihren Zeitgenossen<br />

wie dem Fotografen Umbo aber<br />

zum Glück in verschiedenen Archiven<br />

gesichert. Ihre Wiederentdeckung im<br />

Schatten von berühmten Fotografen<br />

wie ihrem Schüler Newton vielleicht<br />

nur aufgeschoben.<br />

tät.<br />

Ihre Frauenportraits könnten heute<br />

in jedem Magazin erscheinen, ihre<br />

Haltungen und Gesichtsausdrücke<br />

sind geprägt von äußerster Modernität.<br />

Sie spielt mit sozialen und Geschlechterrollen,<br />

mit heimlichen (sexuellen)<br />

Fantasien und materiellem Begehren.<br />

Äußert in ihrer Bildsprache die Gleichzeitigkeit<br />

der Ungleichzeitigkeit, wie<br />

sie dem digitalen Zeitalter innewohnt.<br />

Ihre Arbeit steht am Anbeginn des<br />

Vorrangs des Bilds vor dem Wort. Ein<br />

Sprechen in Bildern. Ein Montieren<br />

mische<br />

Mittel.<br />

Blickt man in die Medien heute, re-<br />

<br />

beobachtet man, wovon man sich verführen<br />

lässt, dann ist all dies schon angelegt<br />

in den Kompositionen von Else<br />

Neuländer.<br />

Mit großer Trauer blickt man zurück<br />

auf die deutsche Geschichte, auf das<br />

Berlin der 20er, denn man weiß allein<br />

<br />

„Yva – Photographien 1925 – 1938“ (2001,<br />

Das Verborgene Museum Berlin, nur noch<br />

antiquarisch zu erhalten) von Marion Beckers<br />

und Elisabeth Moortgat, denen der Autor<br />

dieses Textes Dank schuldet für Ihre Arbeit.<br />

Yva, Selbstportrait, Diethart Kerbs Archiv<br />

Nr.11<br />

52<br />

53<br />

Nr.11


SCHNITTMUSTER<br />

Interview: Sina Braetz<br />

„KLEIDUNG IST MIR EGAL“<br />

ALEX DAVIS BEVORZUGT FÜR IHR LABEL COBRA SOCIETY ACCESSOIRES STATT ANZIEH-<br />

SACHEN, WEIL DIE BESSERE GESCHICHTEN ERZÄHLEN. ZUM BEISPIEL ÜBER MAROKKO,<br />

WO DIE NEW YORKER DESIGNERIN INSPIRATION FINDET. VOR ALLEM IHRE STIEFEL UND<br />

SCHUHE SIND AUS DER FASHION-WELT NICHT MEHR WEGZUDENKEN.<br />

Ein Traum, ein Stiefel, ein Zebra und<br />

ein Land. So in etwa lässt sich die Geschichte<br />

des Accessoire Labels Cobra<br />

Socity herunterbrechen. Auf fast schon<br />

magische vier Wörter. Das, was die Designerin<br />

Alex Davis da kreiert, ist eine<br />

Hommage an handgefertigte, marokkanische<br />

Kunst. Die nordafrikanische<br />

Kultur ist die große Liebe der in New<br />

York lebenden Designerin. Und Accessoires.<br />

Aus diesen Passionen entwickelte<br />

sich ihr Label, für das sie mit Frauendörfern<br />

in Marokkos Atlas-Gebirge<br />

kooperiert. Ebenso wie mit talentierten<br />

Webern in anderen Regionen im Norden<br />

Afrikas. Für Alex Davis sind ihre<br />

Boots und Taschen Ausdruck von Femininität<br />

und Individualität. Aber auch<br />

von Ewigkeit, denn ihre Stiefel sollen<br />

nicht nur ein Begleiter für eine Saison<br />

sein. Beim Designen schätzt Davis die<br />

traditionelle „Goodyear Welt“-Technik,<br />

jede Sohle ihrer Boots ist bis zur Ferse<br />

handgenäht. Für unsere Schnittmuster-<br />

Rubrik hat sie uns ihren Lieblingsstiefel<br />

zur Verfügung gestellt. Wir geben<br />

zu, dieses Schnittmuster ist schwierig<br />

und kostspielig nachzumachen. Aber<br />

es kann inspirieren und vielleicht haben<br />

Sie einen Schumacher Ihres Vertrauens,<br />

mit dem Sie an einem eigenen<br />

Entwurf arbeiten können. Man weiß<br />

nie, vielleicht wird daraus eine Erfolgs-<br />

Geschichte, ähnlich der von Alex Davis.<br />

Frau Davis, Sie kommen gerade<br />

aus einem Meeting. Ging es da um<br />

Ihre neue Kollektion?<br />

Alex Davis: Im Grunde genommen ja.<br />

Wir hatten gerade ein Gespräch mit<br />

einer tollen Website, die bald meine<br />

Kollektion verkaufen wird.<br />

Interessant! Der Accessoire-Markt<br />

wächst aktuell sehr stark. Fast jedes<br />

Label hat heute eine Linie.<br />

Glauben Sie, dass die Menschen<br />

mehr für Accessoires ausgeben als<br />

früher?<br />

AD: Das ist schwierig zu sagen. Ich<br />

denke vor allem, dass die Menschen<br />

heute mehr Wert auf Qualität legen.<br />

Uns ist daher auch zeitloses Design<br />

wichtig. Meine Stiefel können nach 10<br />

Jahren immer noch getragen werden<br />

und genau darum geht es: Wir wollen,<br />

dass unsere Kunden das Gefühl haben,<br />

eine gute Investition gemacht zu haben.<br />

In Accessoires oder in Kleidung<br />

zu investieren, wo liegt der Unterschied<br />

für Sie?<br />

AD: Kleidung zu kaufen ist eine Notwendigkeit,<br />

Accessoires hingegen drücken<br />

viel mehr Feingefühl für Stil aus,<br />

stehen für Extravaganz und Originalität,<br />

für Kunst und Geschichte und auch<br />

fürs Reisen.<br />

Deshalb haben Sie sich auf Accessoires<br />

spezialisiert?<br />

AD: Ja! Kleidung ist mir egal, Acces-<br />

santer.<br />

Man kann mit ihnen viel besser<br />

Geschichten erzählen, mit Kleidung<br />

habe ich das nie geschafft. Deshalb<br />

wird Cobra Society auch nie eine richtige<br />

Ready-to-wear-Marke werden.<br />

Sie planen auch Kleidung zu entwerfen?<br />

AD: Ja, wir planen eine Kollaboration<br />

mit einer meiner Lieblings-Brands. Es<br />

geht dabei allerdings mehr um Outerwear,<br />

mehr kann ich aber dazu noch<br />

nicht sagen.<br />

Gibt es einen Tag, an dem Sie das<br />

Haus ohne Accessoires verlassen?<br />

AD: Nein, nie!<br />

Wie sieht denn ein normaler Tag<br />

für Sie aus?<br />

AD: Das hängt stark davon ab, in wel-<br />

<br />

ist zwar unser Hauptsitz, aber ich verbringe<br />

etwa die Hälfte des Jahres in<br />

Marokko, Italien und Spanien. Heute<br />

beispielsweise habe ich mit meinem<br />

Produktionschef in Marokko gesprochen,<br />

mit meinem Lederlieferanten in<br />

Italien und meiner Sneaker-Fabrik in<br />

Spanien. Mit einem Team an Luftfahrttechnikern<br />

von der Westküste habe ich<br />

ner<br />

Handtaschen besprochen, danach<br />

bin ich zu einer Ausstellungseröffnung<br />

gegangen und am Abend todmüde mit<br />

Mintschokoladen-Eis ins Bett gefallen.<br />

Mein Bett ist wirklich der Ort, an dem<br />

ich mich am liebsten aufhalte.<br />

Sie hatten ein Gespräch mit Luftfahrttechnikern<br />

für die Verschlüsse<br />

Ihrer Taschen? Was haben Sie<br />

besprochen?<br />

AD: Es gibt so viele Firmen, die kein<br />

Logo-Verschluss haben, der wirklich<br />

funktioniert. Die meisten kaufen<br />

vorgefertigte Verschlüsse und gravieren<br />

sie. Ich wollte einen individuellen<br />

Verschluss in Form meines Ze-<br />

„ICH FINDE, WIR SOLLTEN DIE<br />

TRADITIONELLE HANDWERKSKUNST VIEL<br />

MEHR SCHÄTZEN“<br />

bra-Kopf-Logos. Es war ein ziemlich<br />

langer und teurer Prozess, der sich<br />

aber gelohnt hat, denn die Mechanik<br />

und Verarbeitung eines guten Schlosses<br />

ist eine Wissenschaft für sich.<br />

Beschreiben Sie uns doch mal, wie<br />

Ihr Studio ausschaut!<br />

AD: Stellen Sie sich vor, Sie würden inmitten<br />

eines Bienenkorbs aufwachen,<br />

das trifft es ganz gut. Der Unterschied:<br />

Die Bienen tragen alle tolle Boots und<br />

großartige Haarschnitte. Und das<br />

Brummen ist Gelächter in Begleitung<br />

mit klingelnden Telefonen und Leute,<br />

die durcheinander sprechen.<br />

Wie arbeiten Sie, wenn Sie eine<br />

neue Kollektion beginnen, womit<br />

starten Sie?<br />

AD: Ich muss gestehen, dass ich den<br />

altmodischen Weg bevorzuge: Ich benutze<br />

Papier, Kleber, Stifte und natürlich<br />

eine gute Schere, was sehr wichtig<br />

ist. Das ist der erste Schritt. Danach<br />

weiß ich, in welche Richtung es gehen<br />

soll.<br />

Beginnen Sie beim Designen für<br />

gewöhnlich mit einem Schnittmuster?<br />

AD: Nein, eigentlich nicht. Aber ich gestalte<br />

Sachen, die in einer Produktion<br />

mit Schnittmustern umgesetzt werden<br />

können. Ich kenne meine klassischen<br />

Schnittmuster wie meine Westentasche,<br />

aber es hängt einfach stark von<br />

der Inspiration einer Kollektion ab.<br />

Für diese Saison ging es um Pilze und<br />

<br />

die Farbe einer Pilzwiese. Für meine<br />

Herbstkollektion 2012 begann ich mit<br />

einem einzigen Foto eines dänischen<br />

Leder- und Messingstuhls. Es gab aber<br />

auch Zeiten, in denen mehr symbolische<br />

Aspekte wie eine Meduse oder<br />

aber auch antike Münzen bestimmte<br />

Formen inspiriert haben.<br />

Ihre Inspirationsquellen variieren<br />

also stark?<br />

AD: Ja, es gibt keinen wirklichen Beginn,<br />

noch ein Ende für mich. Meine<br />

Inspiration entsteht aus einer kontinuierlichen<br />

Kollision von Ideen und<br />

Designs, die ich jede Saison in die Kol-<br />

<br />

Ihre Accessoires sind aber oft<br />

nordafrikanisch geprägt, was verbindet<br />

Sie mit Afrika?<br />

AD: Ich produziere alle meine orientalischen<br />

Teppiche in Marokko, deshalb<br />

bin ich dort sehr oft hingereist. Es ist<br />

ein Ort, dessen Menschen, Farben,<br />

Essen und Energie mich wahnsinnig<br />

inspirieren. Die Fähigkeiten der<br />

Menschen, die sie von Generation zu<br />

Generation weitergeben, sind faszinierend.<br />

Marokko ist ein Land, das von<br />

unglaublichen Charakteren und einer<br />

de,<br />

wir sollten die traditionelle Handwerkskunst<br />

viel mehr schätzen.<br />

Warum haben Sie genau diese<br />

Boots für uns ausgewählt?<br />

AD: Diese Stiefel sind der Grund, warum<br />

ich Cobra Society gestartet habe.<br />

Noch bevor ich mein Label gegründet<br />

habe, hatte ich sie in meinen Träumen<br />

gesehen. Overknee-Stiefel sind meine<br />

Favoriten und das handgewebte „Devil<br />

Eye Diamond“- Detail, mit dem ich die<br />

Vorderseite des Stiefels versehen habe,<br />

ist mein kultigstes Design von allen. Es<br />

steht für den Höhepunkt der Kraft und<br />

des Schutzes, das jeder, der in diese<br />

Stiefel steigt, spüren soll. Ich liebe, wie<br />

einen das Auge auf eine Achterbahnfahrt<br />

von Formen, Texturen und Bewegung<br />

mitnimmt. Ich habe jede Kollektion<br />

eine verschiedene Version des<br />

Diamant-Prints entworfen und werde<br />

das auch in Zukunft tun.<br />

Nr.11<br />

54<br />

55<br />

Nr.11


NR. 11<br />

COBRA SOCIETY<br />

Nr.11<br />

56<br />

57<br />

Nr.11


LEGENDE<br />

MADS<br />

MIKKELSEN<br />

OB ALS SERIENKILLER, BÖSEWICHT MIT<br />

EISERNEN KILLERAUGEN ODER IGOR<br />

STRAVINSKY – FÜR UNSERE AUTORIN<br />

IST MADS MIKKELSEN DER SEXIEST MAN<br />

ALIVE. BEI DEM GEDANKEN, WIE SICH DER<br />

EHEMALIGE TÄNZER IM BETT BEWEGEN<br />

KÖNNTE, VERLIERT SIE DEN VERSTAND.<br />

Diese Szene spielte sich auch noch nach ein paar<br />

Monaten in meinem Kopf ab, manchmal, einfach<br />

so, ganz ungewollt. Wie seine Hände sich bewegten,<br />

mit Leichtigkeit und gleichzeitig Perfektion.<br />

Dieser Mann wusste, was er tat. Wie er seinen<br />

Körper bewegte, wie seine Augen glühten – verdammte<br />

treibende Rhythmen zu einer hypnotischen<br />

Harmonik verschmelzen ließ. Hallelujah,<br />

schon allein die Vorstellung erregt mich jedes Mal<br />

aufs Neue. Und dann drehte er sich von seinem<br />

Piano um. Ein Blick, es war, als würde er direkt<br />

meine Klitoris treffen. Diese Augen drangen so<br />

tief in mich ein, dass ich fast durchdrehte. Obwohl<br />

ich Schnäuzer und eine 1920er-Nickelbrille nicht<br />

<br />

unfassbar sexy. Und als er so nah vor mir stand,<br />

dass ich seinen Atem auf meinem Hals spürte,<br />

war es aus mit mir. Ich knöpfte sein Kragenhemd<br />

auf, riss es ihm vom Leib und ehe ich irgendeinen<br />

<br />

übereinander her. Im selben Augenblick hörte<br />

ich neben mir ein lautes Schlürfen, schaute erschrocken<br />

zur Seite und sah, wie meine Freundin<br />

einen großen Schluck aus ihrem Proseccoglas<br />

nahm, auf ihrem roten Kinohocker hin und her<br />

rutschte. Gott, ich war fast wütend, als ich mich<br />

umblickte und feststellen musste, dass ich mir<br />

die Szene, die mir so wirklich vorkam, mit gierig<br />

auf die Leinwand glotzenden Kinobesuchern teilte.<br />

Ich wollte ihn ganz für mich! In diesem Moment<br />

war Mads Mikkelsen alias Igor Stravinski<br />

neben Coco Chanel mein Mann, ich wiederhole:<br />

MEINER. So bekloppt sich das anhören mag und<br />

es lag sicher nicht am Alkohol, denn den schüttete<br />

ich mir nach dem Film ernüchternd hinein und<br />

fragte mich: Mann, was ist eigentlich passiert mit<br />

unserer Zeit? Wo sind diese feurigen Affairen geblieben,<br />

diese Liebschaften, les Liaisons Dangereuses?<br />

Männer wie Mads Mikkelsen sind traurigerweise<br />

immer seltener geworden, Männer<br />

mit Charme und Sexappeal. Und noch viel wichtiger:<br />

Intellekt, denn es gibt nichts, ja wirklich gar<br />

nichts Attraktiveres als ein intelligenter, gebildeter,<br />

reifer Mann, der auch noch sexy aussieht, ein<br />

großartiger Schauspieler ist und dann auch noch<br />

– wie hinreißend ist das bitte – ein toller Ehemann<br />

und Vater von 2 Kindern ist. Mikkelsen ist<br />

eine Granate. Und klar, könnte ich jetzt weitermachen<br />

mit meinem Kopfkino, mir ausmalen, wie er<br />

vor mir sitzt auf seinem Ledersessel und mich<br />

mit seinem kalten, unnahbaren Blick als Dr. Hannibal<br />

Lecter, dem Kannibalen, abscannt oder...<br />

auszieht – auch wenn mir der Gedanke Gänsehaut<br />

über den Rücken jagen lässt. Dann sehe ich<br />

ihn als grausamen Le Ciffre in James Bond 007,<br />

wie er sein Pokerface aufsetzt und seine rechte,<br />

sinnliche Oberlippe, erbarmungslos hochzieht.<br />

Und auch da, mit eisernem Killerauge, sieht er<br />

sexy aus, ganz zu schweigen von seiner Rolle<br />

als kämpfender Tristan in „King Arthur“, bei der<br />

er Clive Owen alt aussehen lässt. Und um noch<br />

ein Sahnehäubchen draufzusetzen, das ich ja zu<br />

gerne mit einer Erdbeere von seiner Brust lecken<br />

würde: Er ist auch noch 8 Jahre professioneller<br />

Tänzer gewesen. Wie sexy ist das denn bitte? Ich<br />

meine, abgesehen von der Vorstellung, wie dieser<br />

Mann sich im Bett bewegen könnte. Da verliere<br />

ich völlig meinen Verstand.<br />

Text: Sina Braetz<br />

Foto: Heiko Richard<br />

Der dänische Schauspieler ist 1965 in Kopenhagen<br />

geboren. Seine Erfolgskarriere begann Mitte der<br />

90er-Jahre, seinen internationalen Durchbruch<br />

gelang ihm 2002 in „Für immer und ewig“. Mit den<br />

wichtigsten Filmpreisen Dänemarks wurde er 2004 für<br />

„The Pusher“ ausgezeichnet. Seine bekanntesten Rollen<br />

spielte er in „King Arthur“, „ James Bond 007“, „Coco<br />

Chanel & Igor Stravinsky“ und aktuell in Hannibal.<br />

Nr.11<br />

58<br />

59<br />

Nr.11


COVER<br />

AINO<br />

LABERENZ<br />

„ICH HABE NIE ANGST,<br />

DASS ICH ES NICHT SCHAFFE.“<br />

Fotos David Fischer<br />

Interview Anna-Catharina Gebbers<br />

Styling Solveig Viola<br />

Make-up Christian Fritzenwanker / perfectprops<br />

Kleid Bottega Veneta<br />

Weste <strong>Aino</strong>‘s Own<br />

Nr.11<br />

60<br />

61<br />

Nr.11


Ruhrperle <strong>Aino</strong> <strong>Laberenz</strong>. Aufgewachsen am Rande des Potts, gesegnet mit<br />

dem trockenen Humor und dem Pragmatismus der Region vereint die Anfang<br />

30-Jährige lässig die verschiedensten Rollen: Sie kümmert sich klug und weitblickend<br />

um den Nachlass ihres 2010 an Krebs verstorbenen Ehemannes Christoph<br />

Schlingensief – Deutschlands bekanntestem und vielfältigstem Künstler. Zielgerichtet<br />

organisiert sie die Weiterentwicklung des 2009 von Schlingensief und<br />

ihr initiierten Operndorfes in Burkina Faso, Afrika, einem der ärmsten Länder<br />

der Welt. Was zunächst wie eine Schnapsidee klingt („Braucht man Wagner für<br />

Hungernde?“, fragte die „Süddeutsche“ einmal), ist unter ihrer Führung zu einem<br />

funktionierenden und faszinierenden Entwicklungshilfeprojekt geworden, bei<br />

dem die Musik und die Kunst ein Ausweg aus der Armut aufzeigen sollen.<br />

Begonnen hat ihre berufliche Karriere als Kostümbildnerin. Dafür wurde sie<br />

2005 von der Zeitschrift „Theater heute“ ausgezeichnet. Dass sie schon in ihrer<br />

Schulzeit fotografierte und wir ihr die schönsten Fotos von Schlingensief und<br />

seinen Inszenierungen verdanken, ist bislang nur wenigen bekannt.<br />

Unsere Kuratorin Anna-Catharina Gebbers sprach mit <strong>Aino</strong> <strong>Laberenz</strong> über Kleidung<br />

als Schutz, die Donut-Vorliebe ihres Mannes und was sie in Afrika gelernt<br />

hat.<br />

Kleid Bottega Veneta<br />

Body Prada<br />

Wie lange haben Sie heute zum Anziehen<br />

gebraucht?<br />

<strong>Aino</strong> <strong>Laberenz</strong>: Ganz kurz, ich kann<br />

nicht genau sagen, wie viele Minuten,<br />

aber ich bin eine Schnell-Anzieherin.<br />

Kann ein Kleidungsstück wie ein<br />

Kostüm unterstützen oder schützen?<br />

AL: Natürlich ist es etwas vollkommen<br />

anderes, ob ich jemanden für die Bühne<br />

oder mich selbst anziehe und ob ich<br />

mich privat oder für die Öffentlichkeit<br />

kleide. Ja, es gibt Sachen, in denen ich<br />

mich sicher fühle – das ist allerdings<br />

extrem stimmungsabhängig. Und das<br />

hat mit der Bühne nichts zu tun. Denn<br />

bei den Kostümen geht es mir gerade<br />

nicht um Alltagsstimmungen und Realismus.<br />

Aber ebenso wie die Kleidung<br />

im Alltag können Kostüme für den<br />

Schauspieler wirklich einen Schutz<br />

oder vielmehr eine Hilfestellung darstellen.<br />

Zusätzlich zu den Alltagsrollen,<br />

die wir alle spielen, haben Sie verschiedene<br />

öffentliche Rollen. Wie<br />

wirkt sich das auf Ihre Art sich zu<br />

kleiden aus?<br />

AL: Vielleicht liegt es gerade daran,<br />

dass ich aus dem Kostümbereich komme,<br />

dass ich keine Lust habe, mir einen<br />

Anzug anzuziehen, wenn ich einen<br />

Termin im Auswärtigen Amt wahr-<br />

<br />

würde ich mich nie so verkleiden, dass<br />

mein Aussehen nichts mehr mit mir zu<br />

tun hat. Da gehe ich in einer Jeans hin,<br />

die ich mag, weil ich das bin. Das heißt<br />

allerdings nicht, dass ich bei Terminen<br />

in Afrika wegen der Hitze einfach im<br />

Unterhemd aufkreuze. Für Burkina<br />

Faso ist tatsächlich eine Kiste mit Kleidung<br />

entstanden, die sich zum Beispiel<br />

durch angenehme Stoffe auszeichnet.<br />

Neben Ihrer Arbeit als Kostümund<br />

Bühnenbildnerin verwalten<br />

Sie den Nachlass Ihres 2010 verstorbenen<br />

Ehemannes Christoph<br />

Schlingensief. Sie haben im<br />

vergangenen Jahr ein Buch mit<br />

Schlingensiefs Gedanken herausgegeben<br />

und gemeinsam mit Susanne<br />

Gaensheimer eine Arbeit<br />

von Christoph für den Deutschen<br />

Pavillon adaptiert, nachdem er<br />

gestorben war. Seitdem arbeiten<br />

Sie mit Kuratoren zusammen, die<br />

Ausstellungen mit seinen Werken<br />

entwickeln. Wie empfinden Sie das<br />

Eintauchen in diese unterschiedlichen<br />

kulturellen Bereiche?<br />

AL: Die Unterschiede sind vor allem<br />

strukturell sehr groß. Die Arbeit am<br />

Buch war neu und wahnsinnig spannend<br />

für mich, da ich nur mit Text<br />

arbeiten konnte und nicht visuell.<br />

Obwohl ich umgekehrt für Kostüme<br />

auch visuelle Ideen mit Hilfe von Texten<br />

sammle, die in meinem Kopf Bilder<br />

entstehen lassen. Vor dem Schreiben<br />

hatte ich großen Respekt. Aber ich<br />

konnte mich ja an Christoph und seine<br />

Texte halten. Außerdem hatte ich<br />

Erfahrungen gesammelt, da ich schon<br />

vor seinem Tod gemeinsam mit ihm<br />

geschrieben habe. Dennoch war das<br />

„VIELLEICHT LIEGT ES GERADE DARAN,<br />

DASS ICH AUS DEM KOSTÜMBEREICH<br />

KOMME, ABER ICH HABE KEINE LUST,<br />

MIR EINEN ANZUG ANZUZIEHEN, WENN<br />

ICH EINEN TERMIN IM AUSWÄRTIGEN<br />

AMT WAHRNEHME.“<br />

Buch verdammt schwer, weil es so sehr<br />

Christophs Sprache war und ich eine<br />

große Verantwortung ihm gegenüber<br />

gespürt habe. Die Endgültigkeit eines<br />

gedruckten Buches mit all den möglichen<br />

Fehlern hat mir Angst gemacht.<br />

Christoph hat seine Perspektiven mitunter<br />

stark verändert: Auch wenn ich<br />

ihn so gut kenne, könnte ich nie sagen,<br />

wie er heute seine Meinung zu aktuellen<br />

Themen formulieren würde. Auch<br />

bezüglich des Operndorfs trage ich<br />

eine große Verantwortung, aber die<br />

Entscheidungen entwickle ich vor Ort<br />

und in einem Team. Und ich habe nie<br />

Angst, dass ich es nicht schaffe. Nach<br />

Christophs Tod ist es immer mehr zu<br />

meinem eigenen Projekt geworden.<br />

Und im Gegensatz zum Buch oder<br />

zum Pavillon frage ich mich nicht, ob<br />

ich ihm gerecht werde. In Afrika geht<br />

es um ganz konkrete Bedürfnisse von<br />

Menschen und darum, sich darauf einzulassen.<br />

Das Operndorf ist ja mehr als<br />

ein Projekt. Es ist vor allem ein Prozess,<br />

an dessen Ende die Autonomie<br />

des Dorfes und seiner Bewohner steht.<br />

Wie unterscheiden sich Theater,<br />

Buchbranche und Kunstwelt in<br />

den Umgangsformen?<br />

AL: Im Theater gibt es klarere Hierarchien:<br />

der Regisseur, der Betrieb<br />

Nr.11<br />

62<br />

63<br />

Nr.11


Dries Van Noten<br />

des Hauses, Ausstatter, Schauspieler.<br />

Das ist kein demokratisches Arbeiten.<br />

Trotzdem ist es schwierig, das zu verallgemeinern.<br />

Aber natürlich steht der<br />

Regisseur nach außen für das, was am<br />

Schluss auf der Bühne steht. Er trägt<br />

die Verantwortung. Soweit ich das beurteilen<br />

kann, geht es in der Bildenden<br />

Kunst hingegen mehr um den Künstler,<br />

also um den Produzenten selbst. Und<br />

gleichzeitig gibt es andere Hierarchien,<br />

lauter einzelne Egos, seien es Sammler<br />

oder Kuratoren. Aber das mögen Pauschalurteile<br />

sein.<br />

Welche Rolle spielt Kleidung dabei?<br />

AL: Von außen betrachtet geht es im<br />

Theater vielleicht nicht so modisch<br />

zu. Aber zugespitzt könnte man sagen:<br />

Am Kleidungsstil erkennt man, ob jemand<br />

Dramaturg oder Maskenbildner<br />

ist. Wenn im Theaterumfeld der Rollkragenpullover<br />

fast uniform als Kennzeichen<br />

für intellektuelles Denken<br />

gilt, dann dient in der Kunstszene der<br />

besonders ausgefallene Kleidungsstil<br />

als Beleg für die eigene Einzigartigkeit.<br />

Die Filmwelt zeichnet sich durch<br />

den Glamour des roten Teppichs aus<br />

– selbst in der für den deutschen Film<br />

typischen, abgeschwächten Form. Das<br />

ist beispielsweise interessant an Christoph:<br />

Er hat sich auf all diesen Parketts<br />

bewegt, aber letztlich war er immer<br />

Christoph. Er hat sich nie durch Kleider<br />

dargestellt oder hat sich Kleider-Codes<br />

aufzwingen lassen. Damit meine ich<br />

nicht, dass er in Kleidungsfragen weiß<br />

Gott wie authentisch war – er hat sich<br />

einfach nicht darum gekümmert.<br />

Wie entwickeln Sie Ihre Theaterund<br />

Filmkostüme?<br />

AL: In der Anfangsphase einer Probe<br />

beobachte ich vor allem. Dabei<br />

sammele ich erst einmal: Ich lese den<br />

Text, spreche mit dem Regisseur und<br />

dem Team, komme dadurch auf einen<br />

Film oder eine Musik, sehe das Bühnenbild,<br />

entwickle eine Richtung für<br />

die Kostüme. Mitunter habe ich allerdings<br />

sogar von bestimmten Kostümen<br />

oder Kostümelementen von Anfang an<br />

eine klare Vorstellung. Vieles entsteht<br />

dennoch erst im Laufe der Probenprozesse,<br />

während ich den Schauspielern<br />

zusehe. Ich brauche den Menschen. Ich<br />

muss ihn sehen, ich muss ihn hören,<br />

ich muss ein Gefühl für ihn aufbauen.<br />

Das hat nichts damit zu tun, wie<br />

er sich er sich privat kleidet, sondern<br />

worin sein Zugang zur Rolle besteht.<br />

Schauspieler neigen dazu, sich dem<br />

Klischee vom sensiblen, einfühlenden<br />

Künstler hinzugeben und dies bis zur<br />

<br />

Masken- und Kostümbildner als buchstäblich<br />

hautnahes Umfeld direkt ab.<br />

Der Job besteht manchmal zu 70-80<br />

% aus psychologischer Betreuung, das<br />

Ankleiden erfolgt dann fast nebenbei.<br />

Aber ich liebe es eben auch, etwas<br />

in dieser Interaktion gemeinsam zu<br />

entwickeln – eben weil ich kein kompletter<br />

Konzept-Mensch bin, der von<br />

vornherein eine Idee hat, die einfach<br />

jemandem übergestülpt wird. Dennoch<br />

mag ich es, auf der Bühne Absurditäten<br />

herzustellen, bei denen es nicht um<br />

die psychologische Entwicklung der<br />

Figur geht.<br />

Wie wird aus einer Ideensammlung<br />

der Entwurf ?<br />

AL: Ich gehe vor allem intuitiv vor. Gerade,<br />

wenn ich in kürzester Zeit etwas<br />

herstellen muss oder Vorgaben für die<br />

Werkstätten machen muss, funktioniert<br />

meine Intuition perfekt. Das ist<br />

eine Form der Überforderung, die ich<br />

sehr gern mag. Und bei Prozessen,<br />

die über mehrere Wochen oder Monate<br />

laufen, versuche ich mir das zu<br />

erhalten. Nichts fände ich schlimmer,<br />

als alles immer weiter zu perfektionieren,<br />

aufeinander abzustimmen und ein<br />

ausgefuchstes System zu präsentieren.<br />

„WENN ICH MICH DAS STÄNDIG FRAGEN<br />

WÜRDE, WAS CHRISTOPH DENKT, DANN<br />

WÜRDE ICH IHM HINTERHERLAUFEN UND<br />

IRGENDWANN WAHNSINNIG WERDEN.“<br />

Ich mag die subtile, lebendige und<br />

humorvolle Narration durch Kostü-<br />

<br />

sogar Christoph erst nach vielen Vor-<br />

<br />

Farben oder Stoffe bei verschiedenen<br />

Figuren in verschiedenen Szenen<br />

wiederholten und so eine eigene Logik<br />

jenseits des eigentlichen Stückes<br />

entfalteten. So erzähle ich manchmal<br />

eigene Geschichten: Bei Christophs<br />

Stück „Eine Kirche der Angst vor dem<br />

Fremden in mir“ gab es eine Ordensgruppe,<br />

die Donut-artige Dutts auf<br />

der Stirn hatten und die man als Auge<br />

Gottes hätte interpretieren können. Es<br />

waren aber Donuts, weil Christoph so<br />

gerne Donuts aß.<br />

Welchen Einfluss hat Mode auf<br />

Ihre Kostüme?<br />

AL: Ich interessiere mich total für<br />

Mode! Ob ich nun gerade auf dem allerneuesten<br />

Stand der Schauen bin,<br />

kommt allerdings darauf an, wie sehr<br />

ich gerade in meiner Arbeit stecke.<br />

Und für manche Designer interessiere<br />

ich mich mehr als für andere. Als ich<br />

tümgeschmack<br />

viel strikter daran orientiert.<br />

Heute spielt es für meine Arbeit<br />

keine Rolle, ob ich beispielsweise<br />

privat Samt mag oder nicht. Und umgekehrt<br />

lehne ich heute sowohl für die<br />

Bühne wie für das Private nichts mehr<br />

kategorisch ab. Moiré-Stoff hasse ich,<br />

aber dennoch kann es sein, dass ich<br />

ihn irgendwann auf der Bühne einsetze,<br />

weil er dort in einem bestimmten<br />

Zusammenhang für mich funktioniert.<br />

Wie entscheidest Sie sich für Stoffe<br />

und wie finden Sie sie?<br />

AL: Wenn ich weiß, welchen Eindruck<br />

ich erwecken will, mache ich mich gezielt<br />

auf die Suche. Aus Erfahrung weiß<br />

ich, welches Material sich wie verhält.<br />

Manchmal stelle ich verschiedene<br />

Kostüme aus dem gleichen Material in<br />

unterschiedlicher Zusammenstellung<br />

her, etwa aus mal mehr, mal weniger<br />

dichten Lagen von Tüll. Oder ich brau-<br />

<br />

Beweglichkeit benötige. Wenn man die<br />

wiederum gegen den Strich näht, dann<br />

de<br />

die Materialien ganz unterschiedlich:<br />

Über Großhändler, die ich gerne<br />

besuche, oder durch Kataloge, aus<br />

denen ich bestelle. Wenn ich beispielsweise<br />

Herrenstoffe in guter Qualität<br />

suche, dann schaue ich am liebsten in<br />

den Katalogen in England. Es gibt da<br />

ein paar Knaller-Hersteller. Insgesamt<br />

nimmt da aber leider zurzeit die Zahl<br />

der Muster und Farben ab. Manchmal<br />

ten.<br />

Oder ich arbeite auch mit Materialien,<br />

die ich zweckentfremde und viel-<br />

<br />

– das mag ich ganz besonders.<br />

Wie sind Sie überhaupt zum Kostüm<br />

gekommen?<br />

AL: Kostümbild war nie mein großes<br />

Ziel, sondern hat sich eher einfach<br />

ergeben. Ich bin mit der Theater- und<br />

Wagner-Leidenschaft meiner Eltern<br />

aufgewachsen. Mein erstes Schulpraktikum<br />

war am Theater bei der<br />

<br />

die vielen Handwerker unter einem<br />

Dach und das ganze Gewusel hinter<br />

der Bühne. Direkt nach der Schule<br />

habe ich dann in Bayreuth als „Blaues<br />

Mädchen“ gearbeitet, das als Einlasspersonal<br />

ab der Generalprobe in<br />

Nr.11<br />

64<br />

65<br />

Nr.11


Shirt Odeeh<br />

Rock Odeeh<br />

Schuhe Miu Miu<br />

Nr.11<br />

66<br />

67<br />

Nr.11


„ICH HATTE NIE EINEN TRAUMBERUF<br />

ODER WOLLTE DRINGEND HEIRATEN.<br />

DAS IST EINFACH ALLES PASSIERT.“<br />

jeder Aufführung sitzt. Daher kannte<br />

ich die Wagner-Opern inhaltlich und<br />

musikalisch fast besser als Christoph,<br />

der seinen Opern-Zugang vor allem<br />

über den Film und über Nietzsche entwickelte.<br />

Direkt nach der Schule habe<br />

ich ein oder zwei Semester Kunstgeschichte<br />

studiert und wollte in der Zeit<br />

meine Mappe für die Kunsthochschule<br />

vorbereiten. Ich wollte nach Antwerpen<br />

in den Bereich Kostüm. Bei dem<br />

Theaterpraktikum, das ich für die Bewerbungsunterlagen<br />

absolviert habe,<br />

durfte ich allerdings gleich assistieren<br />

und hab dann das Assistenzjahr voll<br />

gemacht. Als sie mich am Schauspielhaus<br />

Zürich nahmen, hatte sich mein<br />

Weg entschieden. Die Arbeit mit einem<br />

haptischen Material hat mich immer<br />

viel mehr gereizt als nur die reine The-<br />

<br />

seit meiner Schulzeit und liebe das fast<br />

unmerklich verrutschte Bild, das sich<br />

situativ ergibt.<br />

Fotografieren Sie noch?<br />

<br />

etwas abgelegt. Für Christoph habe ich<br />

<br />

aber selbst nicht so sehr im Fokus und<br />

konnte daher beispielsweise in Afrika<br />

spielerischer mit dem Medium umgehen.<br />

Diese Ruhe fehlt mir heute, genauso<br />

wie die Anlässe, die Christoph mir<br />

bot. Das vermisse ich sehr.<br />

Wir hatten kurz über das<br />

Operndorf in Afrika gesprochen,<br />

das Sie nach Christoph Schlingensiefs<br />

Tod weiterführen. In einer<br />

gerade veröffentlichen Lernstandserhebung<br />

der UNESCO liegt die<br />

Schule im Operndorf sehr weit<br />

vorne. In diesem Jahr nehmen Sie<br />

den Bau der Krankenstation ab.<br />

Im Herbst wird das Festival au Désert<br />

im Operndorf gastieren, und<br />

es wird irgendwann eine eigene<br />

Bühne entstehen. Kunst fließt dort<br />

in alle Bereiche ein. Die Kinder<br />

lernen offenbar besser durch den<br />

zusätzlichen Kunstunterricht und<br />

die zahlreichen Film-, Theater-,<br />

Tanz- und Musikworkshops. Darin<br />

finden sich viele Parallelen zu<br />

Joseph Beuys Gedanken, dass in jedem<br />

Menschen ein Künstler steckt,<br />

der nur gefördert werden muss.<br />

AL: Wir schotten Kunst nicht vom Leben<br />

ab, sie gehört bei uns zu allem dazu.<br />

Und es gibt Bereiche, die vordergründig<br />

gar nichts mit Kunst zu tun haben.<br />

Nicht nur, weil das Operndorf in Afrika<br />

liegt, sondern auch, weil ich mich mit<br />

ganz anderen Sachen beschäftigen<br />

muss. Mit Rechtsfragen, dem Bildungssystem,<br />

hygienischen Richtlinien. Die<br />

Kunst scheint dabei zunächst nicht<br />

relevant. Die Grenzen zwischen Alltagsleben<br />

und Kunst sind aber tatsäch-<br />

<br />

<br />

im Allgemeinen oder Entwicklungszusammenarbeit<br />

im Besonderen schwierig,<br />

das Operndorf in wenigen Worten<br />

zu beschreiben. Natürlich sind die Einrichtung<br />

einer Schule und einer Krankenstation<br />

keine Kunst im eigentlichen<br />

Sinn, sie sind es aber dann, wenn man<br />

das Operndorf als die Soziale Plastik<br />

versteht, die auch Christoph im Kopf<br />

hatte. In der Realität des Operndorfes<br />

ist die Kunst allgegenwärtig, im Lehrangebot<br />

der Schule genauso wie in den<br />

täglichen Veranstaltungen. Gleichzeitig<br />

wird Kunst dadurch ganz alltäglich<br />

und normal. Das Operndorf ist deshalb<br />

kein Freilichtmuseum, man muss<br />

hier keinen Kunstraum behaupten.<br />

Die Kunst wird von den Menschen vor<br />

Ort mit gelebt, ohne dass man sie reklamieren<br />

muss. Die Atmosphäre und<br />

der Zugang sind anders und direkter,<br />

als wenn man das Operndorf auf Zeit<br />

inszenieren würde. Wir sind aber hier<br />

auf keiner Bühne, sondern holen die<br />

Kunst von der Bühne runter, damit sie<br />

merkt, dass sie ohne Anschluss ans Leben<br />

keinen Sinn macht.<br />

Das Operndorf steht unter dem<br />

Motto „Von Afrika lernen“: Was lernen<br />

Sie persönlich von Afrika?<br />

AL: Abgesehen davon, dass ich in eine<br />

völlig andere Kultur eintauche, macht<br />

es mir Spaß, dass ich dort lerne, mich<br />

extrem zurückzunehmen. Ich weiß<br />

in Deutschland so wenig von dem<br />

dortigen Leben, dass ich vor Ort erst<br />

mal alles mitgebrachte, unbrauchbare<br />

Wissen beiseite schieben kann. d.h.<br />

nicht, dass man nicht automatisch<br />

das mitbringt, woher man kommt und<br />

auf einmal Afrikaner wird. Es ist aber<br />

das Einlassen auf etwas Fremdes. Ein<br />

weiterer Effekt, den Christoph erzielen<br />

wollte, ist die Erkenntnis dessen, wie<br />

voreingenommen unsere Wahrnehmung<br />

von Afrika ist. Denn das Afrika,<br />

von dem wir uns durch die von uns<br />

produzierten Bildern erzählen, unterscheidet<br />

sich erheblich von dem Afrika,<br />

wie es die Afrikaner sehen. Ich hab oft<br />

die Erfahrung gemacht, dass man sich<br />

von diesem von „uns“ festgelegtem<br />

Bild erst mal befreien muss. Und nach<br />

dem wir so viel von der afrikanischen<br />

Kunst für unsere Kultur geklaut und<br />

verwurstet haben, wollen wir jetzt die<br />

eigenen Bilder der Burkinabé sehen.<br />

Denn: Obwohl das Operndorf viele<br />

von Christophs Themen zuspitzt, war<br />

es sein Ziel, dass er und wir dort im<br />

Endeffekt nur Zuschauer sind. Heute<br />

bin ich viel entspannter geworden, was<br />

die Kritik am Operndorf angeht. Denn<br />

ich weiß mittlerweile, dass es funktioniert<br />

– vollkommen unabhängig davon,<br />

ob man das in Deutschland als falsche<br />

Entwicklungshilfe oder was auch immer<br />

bezeichnet. Ich mag nichts mehr<br />

rechtfertigen.<br />

Würde sich Christoph Schlingensief<br />

in diesem Stadium noch für<br />

das Projekt engagieren?<br />

AL: Darum geht es für mich beim<br />

Operndorf nicht mehr. Ich muss damit<br />

leben, dass er nicht mehr da ist. Wenn<br />

ich mich das ständig fragen würde,<br />

dann würde ich ihm hinterherlaufen<br />

und irgendwann wahnsinnig werden.<br />

Aber natürlich ist Christoph permanent<br />

bei mir durch unsere Bindung.<br />

Hast du dich ich daran gewöhnt,<br />

das Operndorf in der Öffentlichkeit<br />

zu präsentieren?<br />

AL: Geändert hat sich vor allem, dass<br />

ich gelernt habe in der Öffentlichkeit<br />

zu reden. Ich traue mir jetzt viel mehr<br />

zu. Und vor dem Hintergrund der Entscheidungen,<br />

die ich in Afrika oder für<br />

Christophs Werk vertreten muss, relativieren<br />

sich viele andere Dinge. Aber<br />

zu meinem Glück stehe ich bei meiner<br />

Arbeit nie selbst als Person im Mittelpunkt,<br />

sondern die Dinge, über die ich<br />

rede. Und das Gute ist, dass man mich<br />

jenseits dieses Kontextes oft gar nicht<br />

erkennt.<br />

Würden Sie sich gerne manchmal<br />

einfach zurückziehen können?<br />

AL: Das ist eine der Fragen, die ich mir<br />

<br />

ich Sachen, die ich machen will – Kostüme,<br />

Bühnenbilder, genauso wie das<br />

Operndorf oder das Buch. Auf der anderen<br />

Seite neige ich dazu, mich selbst<br />

zurückzustellen, ohne es zu merken.<br />

Das merke ich daran, dass ich unruhig<br />

werde. Durch Christoph habe ich viel<br />

lernen dürfen, durch seinen Tod habe<br />

ich vieles lernen müssen. Ich habe<br />

dann allerdings auch Dinge geschafft,<br />

die ich mir selber nie zugetraut habe.<br />

Jetzt merke ich, dass ich diese für meine<br />

tägliche Arbeit so wichtigen Erfahrungen<br />

noch einmal anders umsetzen<br />

möchte und dafür einen neuen, vollkommen<br />

anderen Input bräuchte. Den<br />

fände ich jedoch nicht, indem ich mich<br />

zurückziehen, sondern eher durch<br />

neue Herausforderungen.<br />

Wissen Sie, was Sie in 20 Jahren<br />

machen werden?<br />

AL: Nee! Das habe ich auch noch nie<br />

gekonnt. Ich hatte nie einen Traumberuf<br />

oder wollte dringend heiraten. Das<br />

ist einfach alles passiert.<br />

Mehr Infos zum Operndorf in Burkina<br />

Faso hier:<br />

www.operndorf-afrika.com<br />

Und hier kann man spenden: Festspielhaus<br />

Afrika, Kontonr. 11 28 578, BLZ 100<br />

701 24, Deutsche Bank Berlin.<br />

Die Kuratorin, Publizistin, Philosophin<br />

und Kulturproduzentin Anna-Catharina<br />

Gebbers, die dieses Gespräch für uns<br />

führte, arbeitet aktuell zusammen mit<br />

Klaus Biesenbach und Susanne Pfeffer an<br />

der gemeinsam kuratierten Ausstellung<br />

„Christoph Schlingensief“. Die Retrospektive<br />

wandert nach ihrer Premiere am<br />

30.11.2013 in den Kunst-Werken, Berlin,<br />

im Frühjahr 2014 ans MoMA PS1 in New<br />

York.<br />

Kleid Bottega Veneta<br />

Weste <strong>Aino</strong>‘s Own<br />

Nr.11<br />

68<br />

69<br />

Nr.11


„Seen quite a bit in my twenty-three years / I’ve been manic<br />

depressive and I’ve spat a few tears“<br />

– Dexys Midnight Runners<br />

Fotos Stefan Armbruster<br />

Styling Götz Offergeld und Sina Braetz<br />

Model Baptiste Radufe / Success Paris<br />

Hugo by Hugo Boss<br />

Nr.11<br />

70<br />

71<br />

Nr.11


Nr.11<br />

72<br />

73<br />

Nr.11


Nr.11<br />

74<br />

75<br />

Nr.11


S W<br />

I N G<br />

Bluse Jil Sander<br />

Rock Miu Miu<br />

Y<br />

“I’M NOT MESSY, I’M BUSY”<br />

FRANCES HA<br />

C<br />

I<br />

T<br />

Fotos Irina Gavrich<br />

Haare & Make-up Anna Wagner / Monika Leuthner<br />

Styling Max Märzinger / Monika Leuthner<br />

Model Helena Palle<br />

Assistenz Alice Fadeeva<br />

Nr.11<br />

76


Bluse COS<br />

Hose Ute Ploier<br />

Schuhe COS<br />

Brille Damir Doma / Mykita<br />

Bluse Natures of Conflict<br />

Rock Sonia by Sonia Rykiel<br />

Schuhe L‘F<br />

Nr.11<br />

78<br />

79<br />

Nr.11


Bluse COS<br />

Rock Strenesse<br />

Schuhe Giuseppe Zanotti<br />

Nr.11<br />

80<br />

81<br />

Nr.11


Bluse Second Hotel<br />

Rock Wood Wood<br />

Schuhe COS<br />

Bluse Burberry Brit<br />

Rock Jil Sander<br />

Schuhe Madleine<br />

Nr.11<br />

82<br />

83<br />

Nr.11


Jacke Acne at Mr Porter<br />

Hemd John Smedley<br />

Hose Burberry<br />

Fotos Neil Gavin<br />

Styling Ruth Higginbotham<br />

Styling Assistenz Alice Burnfield<br />

Assistenz Colin Michael Simmons<br />

Haare Gary Gill for Emotive Using Wella Professionals Care & Syle & SP For Men Haar-Assistenz Jayne Dempsey<br />

Make-up Louise Dartford / Stella Creative using Melvita<br />

Models Saveja at FM / Angus at Models 1 / Tommy Lee at Models 1<br />

<br />

Wollmantel Carven<br />

Schuhe Burberry<br />

<br />

Jeans Topman<br />

Rollkragen Pullover John Smedley at Mr Porter<br />

Mantel Richard Anderson<br />

Blazer Carven<br />

Schuhe Burberry<br />

Nr.11<br />

84<br />

85<br />

Nr.11


Hut TktktktWylde<br />

Pullover Tktktkt Cucinelli<br />

Hut TktktktWylde<br />

Pullover Tktktkt Cucinelli<br />

Rollkragen-Shirt Camilla and Marc<br />

Mantel Ganni<br />

Rock Carven<br />

Schuhe Chloe<br />

Oberteil Camilla and Marc<br />

Rock Prada<br />

Schuhe Burberry<br />

Nr.11<br />

86<br />

87<br />

Nr.11


Prada<br />

Burberry<br />

Schuhe Loake<br />

Nr.11<br />

88<br />

89<br />

Nr.11


Mantel Burberry<br />

Sie trägt<br />

Mantelkleid Simone Rocha<br />

Schuhe Burberry<br />

Er trägt<br />

Hemd Ben Sherman<br />

Mantel Richard Anderson<br />

Jeans Topman<br />

Schuhe Burberry<br />

Nr.11<br />

90<br />

91<br />

Nr.11


PORTRAIT<br />

MARINA<br />

ABRAMOVIC<br />

IHR RADIKALER UMGANG MIT IHREM KÖRPER MACHTE DIE GEBÜRTIGE SERBIN ZUR<br />

BERÜHMTESTEN KÜNSTLERIN DER WELT. EIN GESPRÄCH ÜBER SEX IM ALTER, MODE UND<br />

DIE NASE VON BRIGITTE BARDOT.<br />

Fotos Irina Gavrich<br />

Interview Miriam Suter & Ruben Donsbach<br />

Styling Sara Dunn<br />

Nr.11<br />

92<br />

93<br />

Nr.11


Givenchy<br />

Givenchy<br />

Maximum angelangt: Ob Lärm oder Informationsüberschuss,<br />

jede Form von<br />

Umweltbelastung ist hier am stärks-<br />

<br />

375.000 selbsternannte Künstler, die<br />

alle irgendetwas produzieren. Das ist<br />

doch völliger Wahnsinn.<br />

Sie sagen in „The Artist is present“,<br />

dass viele Menschen und Kritiker<br />

Sie früher „wahnsinnig“ genannt<br />

haben. Wie weit liegen „Wahnsinn“<br />

und „Normalität“ auseinander?<br />

MA: Ich glaube, jede neue Idee kann<br />

für die Gesellschaft erst einmal wahnsinnig<br />

wirken. Denken Sie an die<br />

Vorstellung von der Erde als einer<br />

Scheibe, von der man am Rand runterfallen<br />

könnte. Und dann kam Galilei<br />

transportieren, deshalb arbeite ich bei<br />

meinen Performances viel mit Gefühlen<br />

und provoziere heftige Reaktionen<br />

bei meinem Publikum.<br />

Dann lassen Sie uns über Gefühle<br />

sprechen. Fangen wir mit der Liebe<br />

an.<br />

MA: Liebe ist unglaublich wichtig. Mit<br />

meiner Performance im MoMA wollte<br />

ich jedem, der sich mir gegenüber<br />

setzt, bedingungslose Liebe geben.<br />

Wir lieben immer nur unter gewissen<br />

Bedingungen und auch nur bestimmte<br />

Leute. Was, wenn diese Menschen uns<br />

verlassen oder sterben? Dann fallen<br />

wir in ein Loch. Es ist so wichtig, bedingungslose<br />

Liebe geben zu können,<br />

selbst seine Feinde zu lieben. Das ist<br />

„ICH BIN EINE<br />

KRIEGERIN“<br />

Marina Abramovic ist in einer Familie<br />

von jugoslawischen Partisanen aufgewachsen.<br />

Ihr Vater war ein Kriegsheld,<br />

der Großvater Patriarch der<br />

serbisch-orthodoxen-Kirche. Das hat<br />

sie ganz schön widerständig gemacht.<br />

Gegen sich selber wie gegen andere.<br />

Abramovic arbeitete als Malerin und<br />

Autorin. Berühmt geworden aber ist<br />

sie mit ihren extremen Performances,<br />

bei denen sie immer wieder an die<br />

Grenzen körperlicher Belastbarkeit<br />

gegangen ist. Sie ließ sich vom Publikum<br />

die Haut aufritzen, schlug Höhlen<br />

in einen Steinbruch oder kämmte sich<br />

stundenlang die Haare. Der endgültige<br />

Durchbruch gelang ihr mit der Performance<br />

„The artist is present“ im Museum<br />

of Modern Art (14. März - 31. Mai<br />

2010) in New York. Mit Unterbrechungen<br />

saß Abramovic in 721 Stunden<br />

1565 Menschen gegenüber, darunter<br />

Lady Gaga, mit der sie kooperiert,<br />

Klaus Biesenbach und Björk. Sie hielt<br />

ihren Blicken stand und schwieg,<br />

während ihre Gegenüber in Tränen<br />

ausbrachen oder sogar aggressiv<br />

wurden. Marina Abramovic erhielt für<br />

ihr Werk zahlreiche Auszeichnungen,<br />

darunter 1997 den Goldenen Löwen<br />

auf der Biennale in Venedig. Letztes<br />

Jahr wurde sie zum Ehrenmitglied der<br />

Royal Academy of Arts gewählt. Ein<br />

Gespräch über die Lust an der Kunst,<br />

den eigenen Körper und die Nase von<br />

Brigitte Bardot.<br />

<strong>Fräulein</strong>: Frau Abramovic, in der<br />

Dokumentation The Artist is present<br />

sieht man, wie intensiv Menschen<br />

auf Sie reagieren. Manchen<br />

kommen die Tränen, andere werden<br />

wütend, wiederum andere reißen<br />

sich die Kleider vom Leib. Wie<br />

machen Sie das?<br />

Marina Abramovic: Diese Arbeit war<br />

auch für mich eine sehr intensive Erfahrung.<br />

Mit der Retrospektive im<br />

MoMA, in deren Kontext The artist is<br />

present entstand, wollte ich gewissermaßen<br />

endlich Mainstream werden.<br />

Ich wollte zeigen, worin mein Beitrag<br />

zur Performance-Kunst der letzten 40<br />

Jahre bestanden hat. Durch die Retrospektive<br />

bin ich nun zur öffentlichen<br />

Figur geworden. In den letzten Wochen<br />

war ich auf 7 Magazin-Titeln. Das ist<br />

doch unglaublich.<br />

Sie haben jetzt auf jeden Fall die<br />

Aufmerksamkeit der Mainstream-Medien.<br />

Wie fühlt sich das an?<br />

MA: Für mich ist das sehr gut. Bis<br />

zu diesem kommerziellen Erfolg hat<br />

es gedauert, ich mache ja schon sehr<br />

lange Kunst. Aber hätte ich so einen<br />

Durchbruch mit 35 gehabt, wäre das<br />

wohl ein Desaster für mein Ego gewesen.<br />

Heute kann ich versuchen<br />

etwas in unserer Gesellschaft zu bewegen<br />

und zu verändern. Es geht mir<br />

nicht um meine Eitelkeit, sondern um<br />

Glaubwürdigkeit.<br />

Immer mehr Menschen treffen<br />

sich online in den sozialen Netzwerken.<br />

Haben Sie den Eindruck,<br />

dass Ihr Erfolg auch daher kommt,<br />

dass es das Bedürfnis nach der<br />

Präsenz des Körpers gibt?<br />

MA: Absolut! Unser größtes Problem<br />

ist meiner Meinung nach die „Technologie“.<br />

Sie wurde erfunden, um uns<br />

Zeit zu ersparen. In Wahrheit aber<br />

kostet sie uns (Lebens-)Zeit. Sie hat<br />

die menschliche Interaktion aus unseren<br />

Leben verdrängt. Doch wir brauchen<br />

diesen Kontakt, haben verlernt,<br />

unsere iPhones und Blackberrys zur<br />

Seite zu legen und Zeit mit uns selbst<br />

zu verbringen. Darum ging es auch bei<br />

meiner Performance im MoMA, um<br />

Interaktion.<br />

Es schien fast so, als habe Ihre Performance<br />

einen beinahe „sakralen“<br />

Raum geschaffen, zu dem die<br />

Menschen gepilgert sind.<br />

MA: Es ist sehr bedeutend, in welchem<br />

Kontext man arbeitet. Und dieser<br />

Kontext ist für mich die Kultur. Kultur<br />

beinhaltet aber die verschiedensten<br />

Dinge: Wissenschaft, Technologie, das<br />

Spirituelle und natürlich die Kunst! Ich<br />

interessiere mich sehr wenig für mich<br />

selbst. Mein Körper ist vielmehr ein<br />

Werkzeug, ein Kommunikationsmittel.<br />

Der Künstler muss der Gesellschaft<br />

dienen. Er muss begreifen, wo es Probleme<br />

gibt, und Lösungen vorschlagen<br />

oder zumindest Fragen aufwerfen, die<br />

es zu beantworten gilt.<br />

Der Künstler ist also ein Problemlöser?<br />

MA: Ja, ein Künstler sollte sich dort<br />

aufhalten, wo es problematisch und<br />

<br />

seit 2005 wohne, hat niemand Zeit.<br />

Der Stress ist auf einem absoluten<br />

und sagte: nein, es ist eine Kugel. Das<br />

kam erst einmal nicht so gut an. Es<br />

galt als wahnsinnig. Sein Wahnsinn<br />

wurde aber irgendwann zur Wahrheit.<br />

Die Kunst muss in die Zukunft denken<br />

und Künstler benötigen eine Intuition,<br />

die es ihnen erlaubt Dinge zu sehen,<br />

die anderen Menschen womöglich erst<br />

einmal nicht auffallen. Anders als Wissenschaftler<br />

haben Künstler natürlich<br />

keine „Beweise“, zumindest nicht im<br />

klassischen Sinne.<br />

Ganz zu Beginn Ihrer Karriere<br />

wollten Sie Malerin werden. Wie<br />

sind Sie zur Performance gekommen?<br />

MA: Das war keine rationale Entscheidung,<br />

es ist einfach so passiert. Ich<br />

habe ständig Wolken gemalt, lag oft<br />

im Gras und schaute mir den Himmel<br />

an. Eines Tages tauchten wie aus dem<br />

Nichts Jet-Flugzeuge auf und hinterließen<br />

da ihre Spuren. Das hat mich dazu<br />

inspiriert, etwas Bewegtes zu machen,<br />

weg von dem Eindimensionalen der<br />

Malerei. In diesem Moment bin ich mir<br />

meiner enormen künstlerischen Freiheit<br />

bewusst geworden.<br />

Was ist eigentlich die „message“<br />

Ihrer Arbeiten?<br />

MA: Ich will den Leuten zeigen, wie<br />

wichtig es ist, seinen Geist freizulassen.<br />

Diese Botschaft ist sehr schwer zu<br />

zwar ein sehr buddhistischer, aber<br />

dabei auch sehr sinnlicher Gedanke.<br />

Liebe erzeugt so viel Leiden, wir müssen<br />

also versuchen sie irgendwie zu<br />

abstrahieren.<br />

Bei Ihren extremen Arbeiten haben<br />

Sie bestimmt oft Schmerzen,<br />

wie gehen Sie damit um?<br />

MA: Liebe, Schmerz und Tod sind<br />

die Grundelemente von Künstlern<br />

und ihrer Arbeit. Ich habe sehr viele<br />

schmerzhafte Erfahrungen vor, mit<br />

meinem und durch mein Publikum<br />

gemacht. Weil ich ihnen zeigen wollte:<br />

Wenn ich es kann, dann könnt ihr es<br />

auch. Wenn man Angst vor Schmerz<br />

hat, muss man sich damit konfrontieren.<br />

Nur so kann man diese Angst hinter<br />

sich lassen und dem Schmerz, egal<br />

ob physisch oder psychisch, gelassen<br />

entgegentreten.<br />

Wann haben Sie sich zum ersten<br />

Mal absichtlich selber verletzt?<br />

MA: Da könnte ich Millionen von Geschichten<br />

erzählen. Als Teenie hasste<br />

ich meine Nase, ich wollte eine Stupsnase<br />

wie Brigitte Bardot. Jedes Mal<br />

wenn ich meiner Mutter erzählte, dass<br />

ich eine Operation will, hat sie mich ins<br />

Gesicht geschlagen. Also habe ich alle<br />

meine ausgeschnittenen und gesammelten<br />

Bilder von Brigitte Bardot genommen,<br />

bin ins Schlafzimmer meiner<br />

Eltern und habe mich auf die scharfen<br />

Kanten ihres Bettes fallen gelassen. Sie<br />

haben mich ins Spital gebracht und ich<br />

hoffte, sie würden meine Nase nun anpassen.<br />

Leider habe ich sie beim Sturz<br />

verfehlt und nur mein Kinn getroffen.<br />

All das Blut für nichts! (lacht) Ende<br />

der Story, und hier bin ich, immer noch<br />

mit meiner „old big nose“. Heute bin<br />

ich sehr glücklich damit.<br />

Lady Gaga hat vor Kurzem in einem<br />

Interview gesagt, dass Sie<br />

ihr gezeigt hätten, wie man seine<br />

Grenzen als Frau erweitert, dass<br />

Sie wirklich „grenzenlos“ und ein<br />

Vorbild seien. Ist Ihnen dieser Status<br />

eigentlich bewusst?<br />

MA: Sehen sie, ich war noch nie so<br />

glücklich in meinem Leben wie jetzt<br />

gerade. Ich werde bald 67 Jahre alt,<br />

Nr.11<br />

94<br />

95<br />

Nr.11


Bluse Costume National<br />

Hose Givenchy<br />

PORTRAIT<br />

bin Single und fühle mich frei. Ich<br />

muss keinerlei Kompromisse mehr<br />

eingehen. Ich mache die Arbeit, auf<br />

die ich wirklich Lust habe. Ich wache<br />

um 6 Uhr morgens auf wie ein Krieger.<br />

Ich bin gut trainiert und diszipliniert.<br />

Diese Energie muss genetisch bedingt<br />

sein. Alle meine Mitarbeiter sind jünger<br />

als ich, machen aber immer früher<br />

schlapp. Ich glaube, jeder Mensch hat<br />

eine Mission und ich bin sehr glücklich<br />

darüber, diese Mission schon so früh in<br />

meinem Leben gefunden zu haben. Die<br />

Kunst!<br />

Sie sagen, dass ein Künstler wie ein<br />

Krieger sein muss?<br />

MA: Absolut. Dennoch muss er seine<br />

Schwächen offenbaren.<br />

Sie wirken sehr stark und fokussiert<br />

in Ihren Arbeiten. Woher<br />

kommt diese Willenskraft?<br />

MA: Meine Arbeit ist meine Leidenschaft,<br />

ich wollte immer nur das, keine<br />

Kinder, keine Familie, nur Künstlerin<br />

sein. Meine Eltern waren Partisanen<br />

im Zweiten Weltkrieg, von ihnen habe<br />

ich enorme Disziplin gelernt und dass<br />

man für seinen Traum auch Opfer<br />

bringen muss. Denn wenn du deine<br />

Kraft sparsam einsetzt, erreichst du<br />

nichts. Du musst dich bedingungslos<br />

aufgeben, „that’s it“.<br />

Sind Sie eigentlich zufrieden mit<br />

Ihrem Körper? Bei Ihren Performances<br />

sind Sie ja oft komplett<br />

nackt.<br />

MA: Ich bin im Grunde meines Herzens<br />

sehr unsicher und unglaublich schüchtern.<br />

Mit meinem Körper bin ich überhaupt<br />

nicht zufrieden, ich denke oft, ich<br />

bin zu fett. Ich würde mich auch nie vor<br />

meinen Freunden ausziehen. Während<br />

der Performances ist das aber ganz anders.<br />

Wenn ich performe, dann benutze<br />

ich meinen Körper als Instrument,<br />

ich denke dann gar nicht daran, dass<br />

ich nackt bin. Ich brauche diese Trennung<br />

von Privatem und Arbeiten.<br />

„ALS KIND WOLLTE ICH EINE<br />

STUPSNASE WIE BRIGITTE<br />

BARDOT“<br />

Miss Abramovic, wenn wir halb so<br />

alt wären wie Sie und so gut aussähen,<br />

wären wir mehr als zufrieden!<br />

MA: (Lacht) Hahaha das ist sehr süß,<br />

danke! Wissen Sie, erst letztens habe<br />

ich überlegt: Oh Gott, in ein paar Jahren<br />

bin ich 70, das ging so schnell!<br />

Darum ist mir mein Körper eigentlich<br />

egal, ich denke nur daran, was ich noch<br />

erreichen will. Ich gebe Kurse für junge<br />

Künstler und will mein Film-Institut<br />

eröffnen, das wird 2000 Leuten einen<br />

Arbeitsplatz ermöglichen. Aber das<br />

braucht so viel Zeit, wie soll ich das nur<br />

alles schaffen? Davor habe ich Angst.<br />

Haben Sie Angst vor dem Tod?<br />

MA: Nein! Obwohl, das ist gelogen.<br />

Aber „Ja“ wäre auch gelogen. Der Tod<br />

ist ein Teil vom Leben, ich habe ja sogar<br />

ein Theaterstück darüber geschrieben<br />

(„The Life and Death of Marina<br />

Abramovic“), wo ich jeden einzelnen<br />

Tag während der Eröffnungsszene 40<br />

Minuten in einem Sarg sterbe. Und<br />

ich denke jedes Mal, oh mein Gott, wie<br />

ist es denn, wenn ich wirklich sterbe?<br />

Selbst im Flugzeug habe ich Riesenschiss,<br />

wenn es Turbulenzen gibt<br />

(lacht). Ich hoffe einfach, ich werde<br />

keine Wut mehr in mir tragen, wenn es<br />

so weit ist.<br />

Lassen Sie uns über Feminismus<br />

reden. Würden Sie sich selber als<br />

Feministin bezeichnen?<br />

MA: Eigentlich mag ich gar nicht mehr<br />

darüber reden. Natürlich bin ich dafür,<br />

dass Frauen die gleichen Rechte haben<br />

wie Männer. Aber ich fühlte mich als<br />

Frau immer gleichberechtigt, wenn<br />

nicht sogar mächtiger als Männer. Ich<br />

meine, Frauen können Kinder gebären,<br />

neues Leben schenken. Das ist ein riesiger<br />

Vorteil. Und ich hasse, was aus<br />

dem Feminismus in der Kunst geworden<br />

ist. Ich denke nicht, dass die Kunstwelt<br />

oder irgendeine Welt überhaupt<br />

<br />

männlich, queer, puerto-ricanisch oder<br />

sonst etwas. Es gibt gute oder schlechte<br />

Arbeit. Aber es gibt schon einen<br />

Grund, warum es viel mehr männliche<br />

als weibliche erfolgreiche Künstler<br />

gibt: Frauen sind nicht so sehr bereit,<br />

sich völlig für die Kunst aufzuopfern.<br />

Frauen wollen Kinder und Liebe und<br />

einen Mann und Familie haben UND<br />

Künstler sein und das ist nicht möglich.<br />

Ich würde mich also nicht als Feministin<br />

bezeichnen, sondern schlicht als<br />

Künstlerin. Aber genug jetzt mit dem<br />

ernsten Kram. Stellen Sie mir doch<br />

noch eine private Frage zum Schluss.<br />

Eine private Frage unsererseits?<br />

MA: Ja, genau. Kommen Sie noch einmal<br />

aus Ihrer Routine heraus, stellen<br />

Sie mir eine Frage, die nicht normal<br />

ist. Eine Frage, die Sie normalerweise<br />

nicht stellen würden.<br />

Na gut... Stimmt es denn, dass Liebe<br />

und Sex mit dem Alter besser<br />

und schöner werden?<br />

MA: (lacht). Das ist eine gute Frage!<br />

Es ist ja wirklich unglaublich, dass wir<br />

uns überhaupt noch verlieben! Verstehen<br />

Sie, man ist nicht mehr in Eile,<br />

man nimmt sich seine Zeit. Das ist der<br />

Unterschied. Nicht schlecht. Ich habe<br />

dieses Manifest geschrieben, in dem<br />

heißt es an einer Stelle, der Künstler<br />

muss erotisch sein. Denn das ist die<br />

Energie unseres Körpers. Die sexuelle<br />

Energie. Man muss sie in den Griff bekommen,<br />

um nicht für Hass und Krieg<br />

anfällig zu sein. Es ist übrigens lustig,<br />

dass sie mich bisher gar nicht zu Mode<br />

befragt haben. Immerhin schreiben Sie<br />

für ein Modemagazin. Die Sache ist, ich<br />

liebe Mode wirklich sehr. Und ich schäme<br />

mich nicht, in Modekampagnen<br />

von Givenchy aufzutreten, ihnen mein<br />

Gesicht zu leihen.<br />

Was lieben Sie an der Mode?<br />

MA: Nun, die Art und Weise, wie gute<br />

Designer Mode herstellen, ist genau<br />

so, wie gute Künstler Kunst machen.<br />

Da geht es wieder darum, das Original<br />

zu sein, darum, keine bestehenden<br />

Systeme zu kopieren. Es gibt da sehr<br />

interessante Leute. Wie auch immer,<br />

die Mädels werden Sie dafür umbringen,<br />

nicht mehr Mode-Fragen gestellt<br />

zu haben!<br />

In der Kleinstadt Hudson, 2 Stunden außerhalb<br />

von New York City, entsteht zur Zeit das<br />

Marina Abramovic Institute (MAI). Es soll ein<br />

Experimentierfeld für verschiedene Formen<br />

der Performance-Kunst und Selbsterfahrung<br />

werden und wurde von Abramovic als ihr<br />

„Erbe“ an die Nachwelt angekündigt.<br />

Nr.11<br />

96<br />

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Nr.11


DER KÖRPER<br />

Interview: Maja Hoock<br />

Foto: Marcel Schwickerath<br />

M A R L A B L U M E N B L AT T S P I E LT M I T I H R E M K Ö R P E R U N D<br />

W E I S S G E N A U , W I E S I E I H N E I N S E T Z E N K A N N . D I E<br />

WIENERIN TANZTE ERST BALLETT, DANN EROTISCHES<br />

C A B A R E T I N L A S V E G A S U N D PA R I S . J E T Z T S I N G T S I E<br />

ZWEIDEUTIGEN 50ER-JAHRE-ROCK´-N´-ROLL IN BERLIN.<br />

Sie haben jahrelang im Erotik-Cabaret<br />

„Crazy Horse“ in Paris und<br />

Las Vegas getanzt. Auch Ihre Musikvideos<br />

sind sehr sexy. Wie viel<br />

Macht besitzt der weibliche Körper?<br />

Marla Blumenblatt: Unheimlich viel,<br />

das zeigt schon die Geschichte. Mächtige<br />

Politiker verfielen schönen Frauen<br />

wie Marilyn Monroe und präsentierten<br />

sie an ihrer Seite. Ich selbst<br />

habe in meiner Arbeit oft erfahren,<br />

wie mächtig der weibliche Körper<br />

ist. Jede Frau sollte sich ihrer Waffen<br />

bewusst sein, dann kann sie sie auch<br />

einsetzen. Das funktioniert auch über<br />

die Kleidung, sei es nun eine leichte<br />

Bluse, die etwas erahnen lässt, oder<br />

ein Bleistiftrock, der die Formen des<br />

Pos nachzeichnet.<br />

Verraten Sie uns einen Ihrer Verführungs-Tricks?<br />

MB: Anmut ist die beste Verführungskünstlerin.<br />

Es ist sehr wirkungsvoll,<br />

wenn man ab und zu gezielt etwas<br />

durchblitzen lässt, bei dem sich die<br />

Männer nicht sicher sein können,<br />

was es bedeutet, aber doch denken,<br />

„wow, das war jetzt irgendwie erotisch“.<br />

Etwa eine Geste oder eine<br />

Bemerkung. Männer sind Jäger. Gibt<br />

man ihnen nicht gleich alles, dann<br />

bekommen sie das Gefühl, zu eroberern.<br />

In meinen Liedern spiele ich<br />

auch mit dieser Zweideutigkeit.<br />

Ihr aktuelles Album heißt „Immer<br />

die Boys“. Was sind Boys und was<br />

Männer?<br />

MB: Männer können auch Boys sein,<br />

im Kopf. Sie sind lieb, süß und unreif.<br />

Ich bevorzuge Männer.<br />

Was macht Männer so faszinierend?<br />

Alles. Sie sind megagefährlich und<br />

brechen Herzen. Und sie können dich<br />

in den siebten Himmel transportieren,<br />

so schnell (sie schnippt mit dem<br />

Finger). Sie sind einfach so schön.<br />

Das heißt aber nicht, dass nur ein<br />

„schöner Mann“ schön ist. Er muss<br />

kein Model sein, sondern meinetwegen<br />

auch klein und dick oder groß<br />

und schlaksig, wenn er nur die richtigen<br />

Worte wählt und sie ernst meint.<br />

Sie singen auch vom Verlassenwerden.<br />

Wie würden Sie das Gefühl in<br />

Worte fassen?<br />

MB: Wenn ich verlassen werde, fühlt<br />

sich das eklig an und verursacht große<br />

Schmerzen. Bei Liebeskummer<br />

esse ich gar nichts mehr und trinke<br />

nur noch Kaffee. Äußerlich merkt<br />

man mir aber nichts an, denn ich neige<br />

dazu, mich in solchen Situationen<br />

besonders schön anzuziehen, zu frisieren<br />

und zu schminken. Die Leute<br />

sagen dann, „Du siehst aber gut aus“<br />

und innerlich ist es das genaue Gegenteil.<br />

Fürchterlich, eine Katas-trophe.<br />

Es braucht viel Zeit, bis diese<br />

Wunden wieder zuwachsen.<br />

Sie sagen von sich, dass Sie sich<br />

von einer „kleinen Ballettmaus“<br />

zu einer „Femme fatale“ entwickelt<br />

haben. Wie ist das passiert?<br />

MB: Ich flog vor ein paar Jahren nach<br />

Paris, um meinen damaligen Freund<br />

zu besuchen. Es gab ein Vortanzen<br />

im Cabaret „Crazy Horse“ und ich bin<br />

einfach hingegangen. Sie haben mich<br />

sofort genommen und zwei Tage später<br />

habe ich da angefangen. Beim Ballett<br />

musste ich die liebe Kleine sein,<br />

die bloß nicht aufmuckt. Dort war es<br />

plötzlich das genaue Gegenteil. Die<br />

Frauen, die schon jahrelang dort arbeiteten,<br />

waren eine große Hilfe. Sie<br />

kitzelten alles aus mir heraus und<br />

wussten genau, welche Knöpfe sie<br />

drücken mussten.<br />

Was haben diese Frauen gesagt?<br />

MB: Sie meinten, „stell dir vor, Du<br />

hast Sex auf der Bühne“. Ich war<br />

komplett schockiert (stößt einen hellen<br />

Ton aus). Ich dachte dann auf der<br />

Bühne an meinen damaligen Freund.<br />

Das hat funktioniert. Diese Arbeit hat<br />

mir sehr viel über mich selbst beigebracht:<br />

Wie muss ich mit dem Publikum<br />

spielen, wann habe ich sie an der<br />

Angel?<br />

Wie kann man sich so einen Tanz<br />

vorstellen?<br />

MB: In „La Cage“ geht es zum Beispiel<br />

um eine Frau, die sehr lange von<br />

den Männern ferngehalten wurde,<br />

sich nach ihnen sehnt und aus ihrem<br />

Käfig will. Mit jedem Körperteil<br />

musste ich zeigen, wie sehr ich dafür<br />

brenne. Du musst dich verzehren<br />

nach diesem sexuellen Akt, der nie<br />

stattfindet. Obszön darf das Ganze<br />

aber nicht werden, die Grenzen sind<br />

da sehr schmal. Manchmal hängt es<br />

von einer einzigen Bewegung ab. Dita<br />

von Teese macht das sehr gut. Wenn<br />

man elegant ist, kann man kaum ins<br />

Vulgäre abrutschen.<br />

Sie spielen mit dem Stil der 50er-<br />

Jahre. Wäre Ihnen diese Zeit nicht<br />

viel zu prüde gewesen?<br />

MB: Ja, das stimmt. Ich genieße es<br />

zwar, dass ich diese Kleider tragen<br />

kann, und ich mag Umgangsformen,<br />

wie wenn der Mann der Frau die Türe<br />

öffnet und sie auf ein Getränk einlädt.<br />

Aber ich hätte damals sicher nicht so<br />

einfach im Cabaret tanzen können.<br />

Haben Sie manchmal auch den<br />

Wunsch, sich zu verstecken?<br />

MB: Privat schon, als Gegenpol. Ich<br />

bin dann zu Hause oder gehe in den<br />

Park nebenan, ziehe mir lange Röcke<br />

über, ein Tuch auf die Haare und eine<br />

Sonnenbrille auf die Nase. Wenn man<br />

sich immer stark exponiert, Energie<br />

ausschüttet und präsent ist, braucht<br />

man auch die Zeit, in der man diese<br />

Energie wieder auffüllt. Sonst brennt<br />

man aus.<br />

Wie war Ihr Körpergefühl mit 14<br />

Jahren im Vergleich zu heute?<br />

MB: Ich habe mich total geschämt,<br />

als ich in die Pubertät gekommen bin.<br />

„MÄNNER SIND<br />

MEGAGEFÄHRLICH<br />

UND BRECHEN HERZEN“<br />

Ich hatte Probleme damit, dass ich<br />

einen Busen bekommen habe, und<br />

fühlte mich überhaupt nicht wohl<br />

damit. Ich dachte nur, „Oh Gott, alles<br />

wächst!“ Dann habe ich riesige Pullover,<br />

weite Hosen und Tops, die den<br />

Busen wegdrücken, angezogen, damit<br />

man ja nichts sieht. Das hatte sicher<br />

auch etwas mit dem Ballett zu tun.<br />

Es war dort nicht erwünscht, Frau<br />

zu werden und Kurven zu bekommen.<br />

Deswegen blühe ich jetzt wahrscheinlich<br />

so auf.<br />

Maria Blumenblatt wuchs in Wien auf, wo<br />

sie auf dem Konservatorium Ballett lernte.<br />

Später tanzte sie im „Crazy Horse“ in Paris.<br />

Mittlerweile lebt sie in Berlin und nahm mit<br />

„Immer die Boys“ eine wunderbare Platte mit<br />

krachiger, deutschsprachiger Beatmusik auf.<br />

Nr.11<br />

98<br />

99<br />

Nr.11


Text Michael Obert<br />

Fotos Matthias Ziegler<br />

Nr.11<br />

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Nr.11


REPORTAGE<br />

Seit zwanzig Jahren erforscht die amerikanische<br />

Biologin Andrea Turkalo im zentralafrikanischen<br />

Dschungel das Sozialverhalten von Waldelefanten.<br />

Jetzt arbeitet sie an einem Wörterbuch der<br />

Elefantensprache.<br />

Wie Gespenster tauchen sie im Dickicht<br />

auf und verharren eine Weile<br />

reglos an der Grenze zwischen der<br />

Finsternis des Urwalds und dem satten<br />

Grün der Lichtung; dann heben sie ihre<br />

Rüssel und treten durch die Wand aus<br />

Lianen, Flechten und Mahagoni-Bäumen.<br />

Es scheint, als atme der Dschungel<br />

die Elefanten hinaus ins Licht.<br />

Seit Stunden liegt Andrea Turkalo am<br />

Waldrand auf der Lauer. Ihr dunkelblaues<br />

Hemd ist feucht vom tropischen<br />

Morgen, Dornen und Samenkapseln<br />

nisten in ihrem zurückgesteckten<br />

<br />

kantige Gesicht, über die Expeditionstasche<br />

kriecht eine große Spinne,<br />

vielleicht giftig, doch Andrea Turkalo<br />

hat jetzt nur noch Augen für die Elefanten.<br />

Sie gibt verzückte Laute von<br />

sich und sagt Sätze wie: „Da ist Joseph,<br />

den habe ich über ein Jahr nicht mehr<br />

gesehen.“ Oder: „Phyllis ist schon wieder<br />

schwanger.“ Oder: „Gleich macht<br />

Stumpy seinen Handstand.“<br />

Seit 20 Jahren erforscht die amerikanische<br />

Biologin auf der Dzanga Bai, einer<br />

entlegenen Lichtung im Regenwald der<br />

Zentralafrikanischen Republik, das<br />

Sozialverhalten von Waldelefanten.<br />

Die 59-Jährige, die von den Pygmäen<br />

na ti djoko – Elefantenmutter – genannt<br />

wird, ist nicht nur die weltweit<br />

führende Expertin für die bedrohten<br />

Dickhäuter, sondern auch ihr Schutzengel,<br />

ihre Anwältin, ihre Lebensversicherung.<br />

Und bald wird sie auch ihre<br />

Dolmetscherin sein. Denn seit einiger<br />

Zeit arbeitet Andrea Turkalo an einem<br />

Wörterbuch der Waldelefantensprache.<br />

In ihrem weltweit einzigartigen Forschungsprojekt<br />

hat die Biologin Erstaunliches<br />

beobachtet: Waldelefanten<br />

bedienen sich für ihre Lautsprache<br />

verschiedener Rufe, um sich zum Beispiel<br />

gegenseitig vor Gefahren zu warnen,<br />

sich zu begrüßen, zu streiten, zu<br />

<br />

für Elefantisch also? „Ich bin nicht<br />

Doktor Doolittle“, sagt die Wissenschaftlerin<br />

und lacht. „Ich will nicht<br />

mit den Tieren reden, sondern wissen,<br />

worüber sie sich unterhalten. Eines<br />

Tages könnte ihr Überleben davon abhängen.“<br />

Sechs Meter unter ihrer hölzernen<br />

Plattform, die wie eine Loge über der<br />

Lichtung thront, ziehen jetzt gut fünfzig<br />

Waldelefanten über die Dzanga Bai<br />

<br />

den Ohren, trompeten. Kälber traben<br />

über die Wiesen, balgen sich, schütteln<br />

ausgelassen die Köpfe und stoßen<br />

spitze Schreie aus. Ein Baby, keine<br />

zwei Monate alt und noch etwas tapsig,<br />

steht unter dem Bauch der Mutter, im<br />

Schatten ihres gewaltigen Körpers, und<br />

saugt an ihren Milchzitzen.<br />

Andrea Turkalo kennt die meisten von<br />

ihnen. In den vergangenen zwei Jahrzehnten<br />

hat die Biologin – unterstützt<br />

tion<br />

Society – über 4000 Elefanten einen<br />

Namen gegeben und für jedes Tier<br />

eine Karteikarte mit individuellen Erkennungsmerkmalen<br />

angelegt: Länge<br />

und Form der Stoßzähne, Narben und<br />

Risse in den Ohrlappen, Beschaffenheit<br />

der Schwanzquaste. Heute braucht sie<br />

ihre Steckbriefe nur noch selten. Rund<br />

1000 Elefanten trifft sie regelmäßig.<br />

„Ich erkenne sie an ihren Gesichtern<br />

oder an der Art, wie sie gehen“, sagt<br />

sie, „ich erkenne sie, wie ich Menschen<br />

erkenne.“<br />

Jahrzehntelang konnten sich Biologen<br />

glücklich schätzen, überhaupt einen<br />

Waldelefanten zu Gesicht zu bekommen.<br />

Sie mussten sich darauf beschränken,<br />

Futterpfade und Dung zu<br />

untersuchen. Mit einer Schulterhöhe<br />

von zweieinhalb Metern und einem<br />

Gewicht von bis zu vier Tonnen war<br />

der Waldelefant lange Zeit das größte<br />

Geheimnis des zentralafrikanischen<br />

Dschungels – bis Andrea Turkalo 1990<br />

ihr Forschungscamp an der Dzanga<br />

Bai aufschlug.<br />

Nirgendwo sonst am Äquator versammeln<br />

sich Tag für Tag so viele Waldelefanten<br />

wie auf dieser Lichtung, die<br />

nur wenig größer ist als ein Fußballfeld.<br />

Angelockt vom mineralienreichen<br />

Schlamm, stoßen an diesem Morgen<br />

rund 100 Tiere ihre Rüssel durch die<br />

weiche Sandschicht in den Wasserlöchern,<br />

blasen lautstark Luft aus und<br />

rühren im Morast, um die dort vorhandenen<br />

Salze zu lösen und sie genüsslich<br />

zu schlürfen. So ergänzen sie ihre<br />

Blätternahrung und halten ihr Immun-<br />

<br />

„Damals schlief ich dort unten im Zelt“,<br />

erinnert sich Andrea Turkalo an ihre<br />

Ankunft vor 20 Jahren und zeigt auf<br />

eine Stelle, die gerade von einer Elefantenherde<br />

umlagert wird. Mit einem<br />

Spezialgewehr entnahm sie Hautproben<br />

für einen DNA-Test und beendete<br />

einen jahrelangen Wissenschaftsstreit.<br />

Denn erst ihr genetischer Vergleich<br />

mit dem Savannenelefanten belegte<br />

einwandfrei, dass Loxodonta africana<br />

cyclotis eine eigene Art ist, die sich<br />

schon vor Millionen von Jahren abgetrennt<br />

hat.<br />

Der Waldelefant ist der am wenigsten<br />

bekannte Dickhäuter der Welt. Und<br />

er ist anders. Als Arbeitselefant verweigert<br />

er den Dienst, im Zoo lässt er<br />

sich schwer halten. Sein Vetter in der<br />

Savanne frisst überwiegend Gras, der<br />

Waldelefant ernährt sich lieber von<br />

Blättern, Zweigen, Rinde und Früchten.<br />

Er ist deutlich kleiner und hat rundere<br />

Ohren, seine relativ dünnen Stoßzähne<br />

verlaufen auffallend gerade und parallel<br />

zueinander, um sich im Dickicht<br />

nicht zu verheddern; ihr besonders<br />

hartes Elfenbein ist nicht weiß, sondern<br />

gelblich bis rosa. Und für eine<br />

bessere Balance auf dem weichen<br />

Dschungelboden besitzt er an den Vorderfüßen<br />

fünf, an den Hinterfüßen vier<br />

Zehen – je eine mehr als der Savannenelefant.<br />

Nur jeder Dritte der rund 500<br />

000 afrikanischen Dickhäuter ist ein<br />

Waldelefant. Auf der Roten Liste ist er<br />

als „gefährdet“ eingestuft.<br />

Andrea Turkalo schaut durch ihr<br />

Fernglas. Draußen auf der Dzanga Bai<br />

hat Stumpy seinen Auftritt. Der kleingewachsene<br />

Elefantenbulle konzentriert<br />

sich kurz, geht vorne in die Knie,<br />

schwingt den Hintern hoch und rudert<br />

mit dem Rüssel, bis er sein Gleichge-<br />

<br />

mit dem Schwanz, als grüße er Andrea<br />

Turkalo. „Gut gemacht“, freut sie sich.<br />

„Stumpy ist einer von den ganz Schlauen.“<br />

Am liebsten würde sie klatschen. Weil<br />

sie die Elefanten nicht aufschrecken<br />

will, sucht sich ihr Enthusiasmus andere<br />

Ventile. Ihre Augen strahlen; nie<br />

stehen sie still, ständig wandert ihr<br />

Blick über die Lichtung, neugierig,<br />

wach. „Waldelefanten sind Persönlichkeiten<br />

wie wir“, sagt die Biologin; auf<br />

der Bai heben die Tiere wachsam den<br />

Rüssel. „Manche sind nett, andere aggressiv<br />

oder melancholisch, der eine ist<br />

total verblödet, der nächste ein Genie.“<br />

Unter den Kühen gibt es wahre Altruistinnen:<br />

Sie säugen Junge, obwohl<br />

sie nicht mit ihnen verwandt sind.<br />

Andere sind keine guten Mütter und<br />

lassen ihre Jungen verwahrlosen.<br />

Waldelefanten können auch grausam<br />

sein. Manche Bullen treten Waisen,<br />

stoßen sie herum oder traktieren sie<br />

mit den Stoßzähnen. Selbst Vergewaltigungen<br />

kommen vor. „Zwischen den<br />

Kühen gibt es mehr Toleranz“, erklärt<br />

<br />

ein Weibchen mit den Ohren. „Die Bullen<br />

wollen alles für sich selbst haben,<br />

zwischen ihnen herrscht eine strenge<br />

Hierarchie.“<br />

Tag für Tag ist Andrea Turkalo zu Fuß<br />

im Regenwald unterwegs, in einer<br />

Welt, in der Malaria, Lepra, Cholera<br />

und Augenwürmer grassieren und<br />

sich kleine Fliegen mit Vorliebe in die<br />

Zehen fressen, bis nur noch eitrige<br />

Stümpfe übrig sind. Wilderer, Versorgungsengpässe,<br />

monatelange Isolation.<br />

<br />

schrie sie die Männer so lange an, bis<br />

sie verstört davonliefen. Einmal suchte<br />

Andrea Turkalo im Wald ein stilles<br />

Örtchen, da bäumte sich direkt neben<br />

ihr eine schwarze Kobra auf. „Wenn die<br />

dich beißt, dann bye-bye!“ Sie blieb mit<br />

heruntergelassenen Hosen in der Hocke.<br />

Bis die Giftschlange sich beruhigte<br />

und verzog.<br />

Am gefährlichsten jedoch sind ausgerechnet<br />

jene Tiere, denen die Leidenschaft<br />

der Forscherin gilt. Vor den<br />

Elefanten haben selbst die Pygmäen,<br />

die als Jäger und Sammler die Wälder<br />

kennen wie niemand sonst, einen gehörigen<br />

Respekt. Sie stehen still und<br />

unsichtbar im Dickicht, bis man fast<br />

auf sie stößt – dann geraten sie in Panik<br />

und greifen an. „Du rennst um dein<br />

Leben“, sagt Andrea Turkalo. „Wenn du<br />

hinfällst, ist es vorbei.“<br />

Bisher ist ihr nichts passiert. Auch weil<br />

sie ausgesprochen vorsichtig ist: „Ich<br />

liebe Elefanten, aber trauen darf man<br />

ihnen nicht.“ Viele haben schlimme<br />

Erfahrungen mit Menschen gemacht.<br />

Stumpy zum Beispiel. Auf den ersten<br />

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REPORTAGE<br />

Blick sieht seine Zirkusnummer lustig<br />

aus, doch sie erzählt eine traurige<br />

Geschichte: Der Elefant muss in den<br />

Handstand gehen, um mit dem Kopf<br />

tief einzutauchen, weil er am Grund<br />

der Wasserlöcher sonst nicht an die<br />

lebenswichtigen Mineralien kommt.<br />

Stumpy – wörtlich „Stümpfchen“ –<br />

fehlt das Ende des Rüssels. Eine Drahtschlinge<br />

von Wilderern hat ihm ein<br />

beträchtliches Stück abgerissen.<br />

Auf der Lichtung ist es niemals still.<br />

Ununterbrochen grollen die Elefanten,<br />

sie knurren, brummen, grunzen, pfeifen,<br />

ächzen, kreischen und trompeten,<br />

-<br />

<br />

– ein Sammelsurium aus fremden<br />

Lauten, die einen geheimen Code zu<br />

enthalten scheinen, so etwas wie den<br />

Schlüssel zum Wesen des Regenwalds.<br />

Ihn für das Wörterbuch der Elefantensprache<br />

zu knacken, ist eine echte<br />

Herausforderung. „Wir können die<br />

Tiere nicht einfach fragen: Was hast<br />

du gesagt?“ Deshalb schneidet Andrea<br />

Turkalo die Unterhaltungen der Elefan-<br />

<br />

vergleicht beide Quellen miteinander.<br />

„Weil ich die Tiere sehr gut kenne, weiß<br />

ich, was die einzelnen sozialen Situationen<br />

bedeuten und kann die jeweiligen<br />

Laute zuordnen und interpretieren.“<br />

<br />

welcher Elefant gerade spricht und<br />

wo er sich aufhält, hat die Forscherin<br />

neun Mikrofone um die Lichtung herum<br />

platziert. Die Laute der Elefanten<br />

erreichen den jeweiligen Rekorder mit<br />

einer minimalen Zeitverzögerung, so<br />

kann Andrea Turkalo ihren Ursprung<br />

und damit das sprechende Tier lokalisieren.<br />

Waldelefanten sehen schlecht und verlassen<br />

sich deshalb auf ihr feines Gehör.<br />

Das Elefanten-Abc unterscheidet<br />

sich oft nur durch feinste Nuancen, die<br />

dann aber einen anderen Sinn ergeben.<br />

„Darin ist die Elefantensprache der unseren<br />

sehr ähnlich“, sagt Andrea Turkalo,<br />

zeigt hinaus auf die Lichtung und<br />

übersetzt sozusagen simultan: Mit einem<br />

lauten Kollern protestiert der junge<br />

Richard, als seine Mutter ihn wegstößt.<br />

Baby Jacqueline entlässt einen<br />

schrillen Schrei, weil es an die Zitzen<br />

der Mutter will. Die alte Leonore sucht<br />

ihr Kalb mit einem Laut, der wie das<br />

Schnurren einer riesigen Katze klingt.<br />

Und direkt unter dem Hochsitz gibt<br />

Franky, ein stattlicher Bulle, ein sehr<br />

tiefes Grollen von sich. Es ist kaum zu<br />

vernehmen, dafür deutlich spürbar –<br />

das Holz vibriert. Turkalo: „Franky ist<br />

paarungsbereit.“<br />

<br />

Elefantenbabys und nahm die traumatisierten<br />

Rufe der Herde auf. Wieder<br />

und wieder stießen die Tiere den Kadaver<br />

mit dem Rüssel an, als versuchten<br />

sie, das Baby ins Leben zurückzuholen;<br />

schließlich zogen sie in einer langen<br />

Reihe an ihm vorbei. Drei Tage lang.<br />

„Es war wie eine Trauerprozession”,<br />

erinnert sich Andrea Turkalo. „Elefanten<br />

kennen den Tod, er erschüttert sie.<br />

Elefanten sind hoch emotionale Tiere.”<br />

Dass die 1952 in der amerikanischen<br />

Industriestadt Taunton, Massachusetts<br />

geborene Tochter eines ukrainischen<br />

Gefängniswärters und einer schotti-<br />

wäldern<br />

im Innersten Afrikas gelandet<br />

ist, bezeichnet sie heute als ein Versehen.<br />

1978 schreibt sie sich als freiwillige<br />

Helferin des amerikanischen Peace<br />

Corps in Tunesien ein. Kurz vor ihrer<br />

Abreise lernt sie Michael Fay kennen,<br />

den amerikanischen Naturschützer,<br />

der später weltberühmt wird, als er<br />

in 455 Tagen zu Fuß das Kongobecken<br />

durchquert, um die ökologische Situation<br />

der Region zu erkunden. Die beiden<br />

heiraten im tunesischen Karthago<br />

„Man darf nicht zu sehr an den Elefanten hängen,<br />

sonst ist man bald ein emotionales Wrack.“<br />

und ziehen in die Zentralafrikanische<br />

Republik, wo Fay im damals noch artenreichen<br />

Gounda St. Floris Nationalpark<br />

eine Stelle antritt.<br />

Hier muss Andrea Turkalo mit ansehen,<br />

wie Reiterhorden aus dem benachbarten<br />

Sudan grausame Jagd auf<br />

Elefanten machen. Den mit Speeren<br />

zu Fall gebrachten Tieren schneiden<br />

sie die Rüssel ab und lassen sie<br />

in der Savanne verbluten, um ihnen<br />

dann die Stoßzähne herauszubrechen.<br />

„Elefanten, mit denen wir praktisch<br />

zusammen lebten, die wir Tag und<br />

Nacht beobachteten“, erinnert sich<br />

<br />

das Wasser Sonnenlicht auf die Elefantenbäuche.<br />

„Und plötzlich lagen<br />

sie aufgebläht in der sengenden Hitze,<br />

Hunderte von ihnen – das hat mich für<br />

immer verändert.“<br />

1990 fängt sie bei der Umweltstiftung<br />

WWF im Schutzgebiet Dzanga Sangha<br />

an, dem größten intakten Regenwald<br />

der Zentralafrikanischen Republik. Ein<br />

Bürojob. Zum Ausgleich beobachtet sie<br />

am Wochenende Tiere auf der Dzanga<br />

Bai. Bald erkennt sie einzelne Elefanten<br />

wieder. „Ich begriff, dass sie Identitäten<br />

haben, Charakterzüge, Beziehungen,<br />

Gefühle – ein ganzes Leben“, sagt<br />

sie, während der Wind den würzigen<br />

Geruch aufgewühlten Schlamms zum<br />

Hochstand heraufträgt. „Das war der<br />

Haken, von dem ich nicht mehr loskam.“<br />

Ihre Ehe hielt nicht. Fay ging in den<br />

benachbarten Kongo, um ein Gorillaschutzprojekt<br />

aufzubauen. Andrea<br />

Turkalo blieb. „Ich bin süchtig“, sagt<br />

sie, schaut durch das Fernglas und<br />

trägt ihre Beobachtungen in ein Notizbuch<br />

ein. „Süchtig nach Elefanten.“<br />

Im Dickicht, keine Stunde zu Fuß von<br />

der Lichtung entfernt, vibriert an diesem<br />

Nachmittag eine schwarze Wolke:<br />

Myriaden von Fliegen. Ihr Summen<br />

ist ohrenbetäubend. Maden bedecken<br />

die Stämme und Blätter. Es sieht aus,<br />

als pulsiere die Vegetation. Andrea<br />

Turkalo zieht ein Tuch vor Mund und<br />

Nase. Der Gestank ist unerträglich. Der<br />

Anblick ebenso: Aus dem Gesicht des<br />

toten Elefanten sind die Stoßzähne herausgerissen,<br />

riesige Fleischstücke aus<br />

seinem Körper geschnitten.<br />

Winky! Andrea Turkalo kannte den<br />

Elefanten seit 20 Jahren. Ein großer<br />

Bulle mit anderthalb Meter langen<br />

Stoßzähnen. In der Trockenzeit tauchte<br />

er zur Brautschau aus den Wäldern<br />

auf. Man konnte die Uhr nach ihm<br />

stellen. Wenn er auf die Bai trat, sagte<br />

jeder: „Wow, it‘s Winky!“<br />

Wie versteinert steht Andrea Turkalo<br />

vor dem Kadaver, sagt minutenlang<br />

kein Wort, wirkt verloren im Regenwald.<br />

Ihr Gesicht bleibt hinter dem<br />

Tuch verborgen. Was mag jetzt in ihr<br />

vorgehen? Wut? Ohnmacht? Oder<br />

weint sie? Fliegen umwogen das Aas.<br />

Irgendwo schreit ein Vogel. „Man darf<br />

nicht zu sehr an den Elefanten hängen“,<br />

sagt sie schließlich leise. „Sonst<br />

ist man bald ein emotionales Wrack.“<br />

Die hohe Zahl der Elefanten, die täglich<br />

die Dzanga Bai aufsuchen, täuscht<br />

leicht darüber hinweg, dass ihre Art<br />

stark bedroht ist. Ihr Lebensraum<br />

schrumpft. Ein Großteil der Regenwälder<br />

im Kongobecken wurde abgeholzt.<br />

Direkt außerhalb des Nationalparks<br />

steigen dunkle Rauchwolken auf, unter<br />

denen Urwaldriesen zu Möbelholz und<br />

Holzkohle verarbeitet werden (9289.<br />

jpg). Und nach Angaben des WWF landen<br />

in West- und Zentralafrika jedes<br />

Jahr über eine Million Tonnen Fleisch<br />

von illegal gejagten, seltenen Tieren im<br />

Kochtopf. Darunter viele Waldelefanten.<br />

Die Zentralafrikanische Republik gehört<br />

zu den ärmsten Ländern der Welt.<br />

Fast die Hälfte der Einwohner leidet an<br />

Unterernährung. Jeder zehnte Säugling<br />

stirbt. Abends kommen die Wilderer<br />

aus dem Wald in ihre Dörfer, geschützte<br />

Waldantilopen, Schildkröten, Schlangen<br />

auf dem Rücken verschnürt, die<br />

Flinte am langen Arm. Fleisch. Weiter<br />

reicht der Horizont des Elends nicht.<br />

Auch der illegale Handel mit Elfenbein<br />

steigt sprunghaft an. In einem Container<br />

in Andrea Turkalos Camp sind<br />

eine ganze Reihe gewilderter Stoßzähne<br />

sichergestellt. „Ohne das Schutzgebiet<br />

gäbe es auf der Bai keine Elefanten<br />

<br />

Winkys Kadaver abzuwenden. Im Rest<br />

der Zentralafrikanischen Republik<br />

sind Waldelefanten so gut wie ausge-<br />

<br />

2500 einen vergleichsweise sicheren<br />

Lebensraum.<br />

Nicht zuletzt durch das Forschungscamp,<br />

das die meisten Wilderer abschreckt.<br />

Andrea Turkalo und ihr<br />

Team sind die Augen und Ohren des<br />

Regenwalds, eine Art Lebensversicherung<br />

für die Elefanten. 35 mit Kalaschnikows<br />

bewaffnete Wildhüter in<br />

Tarnuniformen und 21 Fährtenleser<br />

patrouillieren sieben Tage die Woche<br />

rund um die Uhr zu Fuß durch den<br />

Dschungel. Trotzdem musste Winky<br />

sterben.<br />

Auf dem Rückweg herrscht bedrücktes<br />

Schweigen. Andrea Turkalos Camp<br />

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REPORTAGE<br />

liegt auf einer kleinen Lichtung ganz<br />

in der Nähe der Dzanga Bai. Sie hat<br />

es in den Neunzigerjahren selbst gebaut:<br />

drei einfache Holzhäuser mit<br />

Palmdächern, Buschküche, Proviantlager,<br />

Labor, ein kleiner Pavillon mit<br />

Zementboden, auf dem Steine liebevoll<br />

zu Ornamenten angeordnet sind. Ein<br />

Brunnen sorgt für Trinkwasser. Sonnenkollektoren<br />

liefern Strom. Im Garten<br />

wachsen Auberginen und Tomaten.<br />

Rund um das Camp schließt sich der<br />

Regenwald wie eine senkrechte Wand;<br />

durch die Baumkronen hangeln Mangabe-Affen<br />

mit weißen Backenbärten<br />

und langen Schwänzen.<br />

„Ich liebe es, morgens hier aufzuwachen“,<br />

sagt Frau Turkalo an der Tür<br />

zu ihrem Haus, „nur Vogelstimmen,<br />

eine Welt, die ganz allmählich lebendig<br />

wird.“ Drinnen: ein Bett mit Mückennetz,<br />

ein Tisch, ein Stuhl, an einer<br />

Bambusstange hängen Kleider. Ein<br />

Dutzend Bücher, ein paar alte Ausga-<br />

<br />

Dorf liegt am anderen Ende einer oft<br />

überschwemmten Waldpiste, zwei<br />

Stunden entfernt. Andrea Turkalos<br />

einzige Nachbarn sind die drei Pygmäen,<br />

die sie als Fährtenleser unterstützen.<br />

Ihr Boyfriend Andrew, ein weißer<br />

Zimbabwer, veranstaltet Fotosafaris im<br />

ostafrikanischen Tansania. Mehr als<br />

zweimal im Jahr sehen sie sich nicht.<br />

„Ich brauche meinen Raum“, sagt<br />

Andrea Turkalo; vor ihrem Fenster<br />

uen<br />

Schwingen. „Allein kann ich klarer<br />

denken.“<br />

Klassische Lebensentwürfe bedeuten<br />

ihr nicht viel: „Kinder sind das Ende<br />

der Freiheit. Kinder kann jeder haben.<br />

Selbst Ameisen haben welche.“ Sie<br />

habe nach etwas Individuellerem, etwas<br />

Kreativerem gesucht – und es auf<br />

der Dzanga Bai gefunden. Die Rettung<br />

der Waldelefanten? „Es ist wohl eher<br />

so, dass sie mich gerettet haben“, sagt<br />

sie und lacht. „Sie geben meinem Leben<br />

einen Sinn.“<br />

Vermisst sie nicht trotzdem hin und<br />

wieder die Zivilisation? „Ich würde<br />

gerne einmal sechs Monate lang nur<br />

<br />

ich immer sehen wollte.“<br />

Tatsächlich verbringt die Wissenschaftlerin<br />

mehr Zeit vor einem Bildschirm,<br />

als ihr lieb ist. Denn die Rufe<br />

der Elefanten, die zu den deutlich vernehmbaren<br />

Stimmen des Regenwalds<br />

rund um die Dzanga Bai gehören,<br />

machen nur einen kleinen Teil ihrer<br />

Sprache aus. Erst vor ein paar Jahren<br />

fand man heraus, dass sie sich hauptsächlich<br />

auf ultratiefen Frequenzen<br />

verständigen, die weit unterhalb des<br />

menschlichen Hörvermögens liegen.<br />

„Solche Infraschalllaute dringen kilometerweit<br />

durch die dichte Vegetation“,<br />

erklärt Andrea Turkalo in ihrem<br />

Labor, einem Bretterverschlag gleich<br />

neben der Kochhütte. „So koordinieren<br />

die Elefanten ihre Wanderungen und<br />

stellen sicher, dass sie sich im Wald<br />

nicht verlieren.“<br />

Um auch die elefantösen Ferngespräche<br />

in ihr Wörterbuch aufzunehmen,<br />

macht Andrea Turkalo diese mithilfe<br />

einer Spezialsoftware als Spektrogramme<br />

auf einem Monitor sichtbar<br />

und vergleicht, wie die oszillierenden<br />

Pegel strukturiert sind. Verschiedene<br />

Rufe haben verschiedene Strukturen.<br />

Und damit verschiedene Bedeutungen.<br />

„Let´s play Elvira, Sweety and Miss Lonelyheart.“<br />

Andrea Turkalo klickt auf<br />

ihrem Laptop eine Audiodatei an. Ein<br />

schen<br />

ertönt. „Drei Weibchen treffen<br />

sich nach langer Zeit auf der Lichtung<br />

wieder“, sagt die Elefanten-Linguistin<br />

und spielt die dazugehörige Videoaufnahme<br />

ein. „Sie rennen aufeinander zu<br />

und begrüßen sich innig.“ Kein Blutvergießen<br />

also. Nur ein überschwängliches<br />

Hallo.<br />

Mit Andrea Turkalos Wörterbuch<br />

könnte der Schutz der bedrohten Tiere<br />

bald einen wichtigen Schritt vorankommen.<br />

„Die meisten Elefanten können<br />

wir im dichten Regenwald nicht<br />

sehen“, erklärt die Biologin, „wenn wir<br />

ihre Sprache verstehen, wissen wir<br />

trotzdem, was dort draußen vor sich<br />

geht.“ Auf Basis ihres Wörterbuchs<br />

entwickelt sie gemeinsam mit den<br />

renommierten Verhaltensforschern<br />

der Cornell University im Bundes-<br />

ring-Programm,<br />

eine Art Frühwarnsystem,<br />

damit Wissenschaftler und<br />

Anti-Wilderer-Patrouillen rechtzeitig<br />

auf kritische Situationen reagieren<br />

können. Läge Andrea Turkalos Wörterbuch<br />

schon vor – vielleicht hätte<br />

Stumpy dann noch seinen Rüssel und<br />

Winky wäre noch am Leben.<br />

Draußen gerät plötzlich das Dickicht<br />

in Bewegung. Bambusstangen bersten.<br />

Äste krachen. Insekten sirren davon.<br />

Gleich darauf stehen sechs Elefanten<br />

im Camp: Ailanthie mit einer Abordnung<br />

ihrer Großfamilie. Ihre sanft wirkenden<br />

braunen Augen mit den langen<br />

Wimpern stehen in starkem Kontrast<br />

zu ihrer beängstigenden Körperfülle.<br />

Ihr blasender Atem, das hölzerne<br />

Malmen der Backenzähne. Keine fünf<br />

Meter entfernt, steht Andrea Turkalo<br />

unter dem offenen Pavillon. Nur ihre<br />

Augen bewegen sich, weit geöffnet,<br />

leuchtend – in diesem Moment, so<br />

scheint es, will die Forscherin nichts<br />

wissen, sie will nur schauen und staunen.<br />

„Es ist immer noch so aufregend<br />

<br />

Tag erlebe ich etwas, was mich mehr<br />

mit diesen Tieren verbindet.“<br />

Hinter dem Proviantlager hebt Ailanthie<br />

noch einmal ihren Rüssel, setzt<br />

einen Dunghaufen vor die Küche und<br />

gibt ein lang gezogenes Grollen von<br />

sich, so tief und kräftig, dass einem das<br />

Zwerchfell vibriert; dann schließt sich<br />

der Dschungel um die Elefanten. „Das<br />

Wörterbuch steckt noch in den Kinderschuhen“,<br />

sagt Andrea Turkalo, und im<br />

Dschungel wird es plötzlich still. „Ich<br />

muss noch eine Weile bleiben. 15 Jahre.<br />

Mindestens.“<br />

Sie lauscht hinaus in den Abend. Zikaden.<br />

Grillen. Vogelstimmen. Die Elefanten<br />

sind nicht mehr zu hören. Was<br />

nicht bedeutet, dass sie nicht trotzdem<br />

miteinander sprechen.<br />

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SO STELL‘ ICH MIR DIE LIEBE VOR<br />

Text und Foto: Sherry Hormann<br />

DIE ZÄRTLICHKEIT<br />

DES BLICKS<br />

„ L I E B E I S T A U F B R U C H , H Ä R T E U N D S A N F T H E I T “ , S C H R E I B T D I E R E G I S S E U R I N<br />

S H E R R Y H O R M A N N , A L S W I R S I E N A C H E I N E M T E X T Z U M T H E M A L I E B E B AT E N .<br />

A L S B E B I L D E R U N G G A B S I E U N S E I N F O T O V O N I H R E R T O C H T E R , A U F D E M S I E<br />

IN DER SALZWÜSTE VON UTAH DAS SPRINGEN ENTDECKT.<br />

Kann man für die Beschreibung so<br />

unterschiedlicher Gefühle ein und<br />

dasselbe Wort verwenden? Liebe ist:<br />

aus der Bahn geworfen zu werden.<br />

Das Unerwartete passiert. Erstürmt<br />

einen, leise oder rasch, unbemerkt,<br />

unabdinglich, auch versteckt, verhalten<br />

und doch nimmt es einen in<br />

Besitz. Geht unter die Haut, in die<br />

Nerven, die Gedanken. Malt einen<br />

Notenschlüssel über den Körper, die<br />

Melodie von Glück. Angekommen<br />

sein. Zuhause. Leichtigkeit. Für wie<br />

lange? Für die Zeit, die es währt. „Ne<br />

me quitte pas“ von Nina Simone. Wie<br />

lange? Wie lange noch? Ist es leichter<br />

verliebt zu sein als zu lieben? Braucht<br />

die Liebe sich auf, verbrennt sie? Irrt<br />

sie? Sie schmerzt. Sie fordert. Sie<br />

ist Projektion und sprengt doch die<br />

selbst so klar vorgezeichneten Grenzen.<br />

Sie macht keinen Halt vor dem,<br />

was nicht geht. Sie schert sich nichts<br />

und bleibt ehrlich. Ehrlich. Liebe ist<br />

ein täglich neuer Aufbruch. Poesie<br />

und Härte. Radikalität und Sanftheit.<br />

Weinen. Lachen. Humor. Humor.<br />

Humor. „Tuesdays with Morrie“ von<br />

Mitch Albom: „The most important<br />

thing in life is to learn how to give out<br />

love, and let it come in.“<br />

Liebe als wärst du vorher nie verletzt<br />

worden. Der Geruch von Regen auf<br />

heißem Asphalt. Barfuß im morgendlichen<br />

Tau durchs Gras streifen. Stille<br />

nach dem Glück. Sagen, was man<br />

denkt ohne Angst. Aufgefangen werden<br />

durch die Zärtlichkeit des Blicks.<br />

Durchdrungen von Herz - die Abgründe<br />

genauso umarmend wie die<br />

Höhen. Sich trauen. Erkannt zu werden<br />

durch den anderen, da, wo man<br />

„AUGEN. HAUT.<br />

LIPPEN. ATEM SANFT.<br />

REGELMÄSSIG, HEFTIGER.<br />

BEIM SCHLAFEN, BEIM<br />

WACHEN, HERZ-POCHEN.“<br />

sich selbst noch gar nicht kennt. Sich<br />

zurückziehen können, Raum schaffen,<br />

atmen. Wieder zurückkommen,<br />

da sein, sein. Das Lächeln im Alltag.<br />

„The way we were“ mit Barbra Streisand<br />

und Robert Redford. Entdecken.<br />

Den anderen sein lassen. Eifersucht.<br />

Erotik auch im Alltag. Schönheit.<br />

Unsicherheit im Zusammensein -<br />

die Tür zum Entdecken. Wild. Dann<br />

in den Jahren, dauert sie länger die<br />

Liebe, das Staunen über die Vertrautheit.<br />

„Wenn die Gondeln Trauer<br />

tragen“, eine Hymne an die Liebe im<br />

Liebesakt, der Lebensakt wird. Liebe<br />

ist die komplizierteste und schwierigste<br />

und schönste Sache der Welt.<br />

Blätterrauschen. Joan Didion „Das<br />

Jahr magischen Denkens“. Liebe ist<br />

ein immerwährendes Ereignis. Freier<br />

Fall. Augen. Haut. Lippen. Atem sanft.<br />

Regelmäßig, heftiger. Beim Schlafen<br />

beim Wachen, Herz pochen. Atemlos.<br />

Nicht auf einen Kaktus setzen<br />

oder doch?<br />

<br />

vor einer Nachricht“: „Das war keine<br />

Liebe auf den ersten Blick, habe dich<br />

lange vorher geliebt, bevor ich dich<br />

kannte, habe dich auch rückwärts geliebt,<br />

noch bevor es mich überhaupt<br />

gab, denn ich wurde erst ich, als ich<br />

dich traf.“<br />

Die Regisseurin Sherry Hormann dreht<br />

unter anderem den Film „Wüstenblume“<br />

und zuletzt zusammen mit ihrem<br />

Ehemann, dem Kameramann Michael<br />

Ballhaus, das Drama „3096 Tage“. Gerade<br />

arbeitet sie an einem Drehbuch. Es ist<br />

eine Liebesgeschichte.<br />

Nr.11<br />

108<br />

109<br />

Nr.11


EINE STIMME<br />

Protokoll: Ruben Donsbach<br />

FRAUEN AN DIE MACHT<br />

Anke Domscheit-Berg ist eine echte Kämpferin. Sie engagiert sich zusammen mit ihrem Mann Daniel für Digitale Bürgerrechte<br />

und neue Formen gesellschaftlicher Beteiligung, war bei der Bundestagswahl Spitzenkandidatin der Piraten in<br />

Brandenburg, tritt in Talkshows und auf Demonstrationen auf. Außerdem ist die ehemalige Spitzenmanagerin bei<br />

Microsoft und McKinsey eine Streiterin für Frauenrechte. Ein sehr persönlicher Bericht über ihre Erfahrungen als Ostdeutsche<br />

im wiedervereinigten Deutschland, alleinerziehende Mütter und die Notwendigkeit einer Quote.<br />

Meine Mutter arbeitete als Kunstwissenschaftlerin<br />

im Bezirk Frankfurt/<br />

Oder und war für freischaffende,<br />

angewandte Künstler zuständig. Ich<br />

begleitete sie oft auf ihren Touren,<br />

vielfach in den Oderbruch. Die Leute<br />

dort lebten sehr bescheiden, hatten<br />

aber einen unbegrenzten Grad an<br />

Freiheit. So ein Leben schien mir sehr<br />

erstrebenswert. Also studierte ich angewandte<br />

Kunst. Direkt in mein letztes<br />

Studienjahr kam dann die Wende.<br />

Danach war Kunst das absolut<br />

Brotloseste, was man hätte machen<br />

können. Zudem wurde weder mein<br />

Studium noch mein Stipendiumsantrag<br />

im Westen anerkannt. Also zog<br />

ich nach Frankfurt/Main, um dort<br />

erst einmal ein paar Jahre zu arbeiten<br />

<br />

zu können. Ich dachte an romanische<br />

Sprachen, meinen zweiten großen<br />

Traum. Beim Arbeitsamt hieß es, das<br />

sei genauso brotlos wie Kunst. Außer<br />

ich würde Wirtschaft anhängen. Über<br />

Umwege begann ich in Bad Homburg<br />

Internationale Betriebswirtschaft mit<br />

Französisch und Spanisch zu studieren.<br />

Die Wende hat mir diese Option<br />

ermöglicht. Allerdings wäre ich ohne<br />

die Wiedervereinigung wahrscheinlich<br />

glückliche Künstlerin im Oderbruch<br />

geworden. So geht das manchmal.<br />

Im Januar 1997 habe ich dann angefangen<br />

zu arbeiten, das war, als sich<br />

die Internetblase so langsam aufblähte.<br />

Ich konnte reisen und internationale<br />

Projekte machen. Bis ich 2000 (?)<br />

dann mein Kind bekam. Nach sechs<br />

Monaten wollte ich wieder arbeiten.<br />

Das konnten die gar nicht nachvollziehen.<br />

Die meisten Frauen sind nach<br />

der Schwangerschaft entweder erst<br />

nach drei Jahren wieder gekommen<br />

<br />

oder gleich zu Hause geblieben. In<br />

der Firma war ich auf einmal nicht<br />

mehr existent. Für mich als Ossi war<br />

das ein Schock. Meine eigenen Chefs<br />

haben mir ständig erzählt, mein Kind<br />

würde asozial werden, wenn ich nicht<br />

pausenlos für es da wäre. Kindergarten<br />

ginge ja gar nicht. Eine Mutter<br />

bräuchte keine Karriere, sondern gehöre<br />

nach Hause zum Kind. Und das<br />

noch in den Jahren 2001, 2002, 2003.<br />

Das war steinzeitlich, ein massiver<br />

Druck von allen Seiten. Von Männern<br />

wie Frauen.<br />

Obwohl ich die besten Bewertungen<br />

bekam, wurde ich nicht mehr befördert.<br />

Und wenn man in einer Unternehmensberatung<br />

zwei Jahre lang<br />

<br />

raus. Das nennt man „Up or Out“. Es<br />

ging also um meine Existenz.<br />

Ich weiß von 16 Millionen Einwohnern<br />

der DDR, dass sie weder asozial<br />

geworden sind noch schwere<br />

Schäden erlitten haben, nur weil sie<br />

in den Kindergarten gegangen sind<br />

und ihre Mütter gearbeitet haben.<br />

Darum bin ich froh, die DDR-Sozialisation<br />

bekommen zu haben. Ich<br />

<br />

Zum Sozialismus gehört nun mal die<br />

Gleichberechtigung von Mann und<br />

<br />

oder Engels, dass sich die Entwicklungshöhe<br />

einer Gesellschaft daran<br />

erkennen lässt, wie gleichberechtigt<br />

die Geschlechter sind.<br />

„MÄNNER GEHEN<br />

NICHT ZUR ARBEIT<br />

UND SAGEN, HEUTE<br />

DISKRIMINIERE ICH<br />

MAL EINE FRAU“<br />

Es waren dann drei Dinge, die es mir<br />

ermöglicht haben, in dieser Situation<br />

weiterzumachen. Ich hatte die Kompetenz,<br />

denn ich war sehr gut ausgebildet.<br />

Ich war relativ charmant. Und<br />

ich war penetrant. Das ist sehr wichtig.<br />

Man darf sich nicht geschlagen<br />

geben. Also habe ich angefangen über<br />

die Rolle der Frau in der Gesellschaft<br />

und speziell der Wirtschaft nachzudenken.<br />

Ich habe gemerkt, wie auf<br />

die schwächsten Glieder einer Firma,<br />

Frauen mit Kind, die größten Risiken<br />

und Lasten übertragen wurden. Vielmehr<br />

wurden nicht nur Frauen mit<br />

Kind, sondern Frauen generell unterdurchschnittlich<br />

oder gar nicht beför-<br />

<br />

sie waren und welch guten Ratings<br />

sie bekommen hatten.<br />

Ich wollte wissen, warum das so ist,<br />

bin in Frauennetzwerke gegangen<br />

und habe Forschung betrieben, habe<br />

Nächte, Wochenenden, Urlaube damit<br />

verbracht auf Konferenzen zu<br />

gehen, Studien zu lesen. Bald habe<br />

ich gesehen, dass man die Namen,<br />

die Branchen, die Chefs austauschen<br />

kann, es sind immer wieder<br />

die gleichen Geschichten, die Frauen<br />

erzählen. Es ist sehr wichtig zu begreifen,<br />

das es mannigfaltige Gründe<br />

dafür gibt, warum so wenige Frauen<br />

in Führungspositionen gelangen. Die<br />

berühmt-berüchtigte gläserne Decke<br />

besteht aus den verschiedensten<br />

Bausteinen verschiedener Dicke,<br />

Stärke und Konsistenz. Dir Gründe<br />

für mangelnde Aufstiegschancen<br />

bei Frauen liegen bei den Kollegen,<br />

den Chefs, in den Bildungssystemen<br />

oder den Marketingabteilungen von<br />

Konsumgüterproduzenten, die Rollenbilder<br />

etablieren. Und da alle diese<br />

Felder zusammen das Problem sind,<br />

kann man es nicht an einer Stelle beheben.<br />

Man muss vielmehr überall<br />

ran.<br />

Erstens an die (Steuer-)Gesetzgebung,<br />

die Männer und Frauen<br />

unterschiedlich behandelt. Das<br />

Ehegattensplitting, die kostenlose<br />

Mitversicherung und das bekloppte<br />

Betreuungsgeld müssen weg. Wenn<br />

man will, das Männer und Frauen<br />

gleiche Möglichkeiten haben, muss<br />

man das gesetzlich untermauern.<br />

Zweitens Kinderbetreuung. Kinder<br />

halten einfach mehr Frauen als Männer<br />

davon ab, vernünftig zu arbeiten.<br />

Das kann ich als einzelne Frau<br />

<br />

Sohn Jakob 2 Jahre alt war, hatte ich<br />

ein großartiges Jobangebot aus München.<br />

Und ich habe das aus dem einen<br />

Grund ausgeschlossen, weil es<br />

dort keine adäquate Kinderbetreuung<br />

für Kinder unter drei Jahren gab. Und<br />

dann wird man noch als Rabenmutter<br />

angekräht aus jeder Ecke. Das<br />

brauche ich nicht. Ich wohnte damals<br />

in Berlin-Mitte und es gab Kindergärten,<br />

die hatten von 6-18 Uhr auf. Ich<br />

konnte mich an meinem freien Tag<br />

mit Frauen auf dem Spielplatz über<br />

spannende Dinge unterhalten. Wir<br />

hatten da keine Windelgespräche.<br />

Ein weiterer Faktor ist das sogenannte<br />

Old-Boys-Network (da sind<br />

natürlich auch jüngere Boys dabei):<br />

Wer kommt aus welchen Familien,<br />

wo spielt der Vater mit wem auf dem<br />

Golfplatz zusammen? Das vererbt<br />

sich dann auf die Söhne. Die wenigen<br />

Frauen, die man in Deutschland in<br />

<br />

Töchter, Ehefrauen oder Witwen – ob<br />

<br />

familiär vererbt. Da schafft es dann<br />

eine Frau, wenn grade kein Mann zu<br />

Hand war. In der Regel aber sind es<br />

bestehende soziale Netzwerke aus einer<br />

gehobenen, sozialen Schicht, die<br />

sich die Vorstands- und Aufsichtsratsplätze<br />

zuschieben. So wirkt das<br />

berühmte soziale Kapital.<br />

Damit verbunden ist ein weiteres<br />

Phänomen: Das Prinzip der homo-sozialen<br />

Reproduktion. Auf<br />

Deutsch ausgedrückt: Auswahl nach<br />

dem Ähnlichkeitsprinzip. Rein soziologisch<br />

ist es so, dass Menschen,<br />

männlich wie weiblich, Vertrauen<br />

haben bzw. am wenigsten Angst haben<br />

vor Menschen, die ihnen ähnlich<br />

sind. Das kann das Aussehen, die Generation,<br />

die soziale Schicht, die geo-<br />

<br />

das Geschlecht ist ein ganz starker<br />

Faktor. Und wenn ein bald emeritierter<br />

60-jähriger Manager überlegt,<br />

wer sein geeigneter Nachfolger sei,<br />

schaut er in die Zeitschrift „Capital“<br />

und sieht ältere Herren mit Schlips<br />

und Anzug. Er imaginiert sich selbst<br />

vor 20 Jahren und wählt danach aus.<br />

Das passiert oft sogar unabsichtlich.<br />

Männer gehen nicht zur Arbeit und<br />

sagen, heute diskriminiere ich mal<br />

eine Frau. Trotzdem gibt es dieses<br />

prägende Bild im Kopf, das hat die<br />

Forschung längst bewiesen. Indem<br />

man zum Beispiel Entscheidungsträgern<br />

identische Lebensläufe, mal<br />

mit Frauen, mal mit Männern, vorgelegt<br />

und sie gefragt hat, ob sie diese<br />

Menschen für kompetent halten oder<br />

nicht. Wenn es um eine Führungsaufgabe<br />

ging, dann hielten Männer<br />

durch die Bank weg andere Männer<br />

für geeigneter. Diese Experimente hat<br />

man sogar weitergetrieben. Man hat<br />

nur Frauen genommen, den gleichen<br />

Namen, aber andere Fotos. Je maskuliner<br />

und strenger die Frau aussieht,<br />

desto kompetenter. Je weiblicher und<br />

nach allgemeiner Meinung sinnlicher,<br />

desto inkompetenter. Bei denselben<br />

Lebensläufen!<br />

Die letzte Ebene ist die Frau selber.<br />

Frauen verhalten sich durch ihre Sozialisierung<br />

in denselben Situationen<br />

„ICH<br />

WERDE<br />

KEINE<br />

150<br />

JAHRE<br />

WARTEN,<br />

BIS SICH<br />

ETWAS<br />

ÄNDERT“<br />

oftmals anders als Männer. Sie reden,<br />

sie beurteilen ihre eigene Leistung<br />

anders bzw. eine gleichwertige Leistung<br />

schlechter als Männer, die ihre<br />

Leistung in der Regel überbewerten.<br />

Frauen reden weniger, sie reden leiser,<br />

schneller und sie verwenden<br />

mehr Konjunktive, stellen in Meetings<br />

mehr Fragen. Dieser Art zu kommunizieren<br />

wird oftmals als inkompetent<br />

interpretiert. Dann heißt es, sie<br />

weiß nicht, was sie will, ist führungsschwach,<br />

fragt zu viel, hat keine Ahnung.<br />

Ich war selber ein Mäuschen.<br />

Ich weiß, wie es dann läuft. Einem<br />

wird gesagt, du musst selbstbewusster<br />

auftreten, lauter sprechen, grade<br />

stehen. In dem Moment, wo man das<br />

macht, bekommt man ein zweites Label.<br />

Und zwar: du bist aggressiv, du<br />

bist karrieregeil, du gehst über Leichen.<br />

Es gibt Studien, die belegen: Als<br />

Frau in einer Führungsstelle gilt man<br />

entweder als inkompetent oder als<br />

unsympathisch. Da gibt es fast nichts<br />

dazwischen. Das ist bei Männern<br />

völlig anders. Das gleiche Verhalten<br />

gilt hier als durchsetzungsstark. Es<br />

ist sogar so, das Frauen ab einem<br />

gewissen Einkommenslevel keinen<br />

Mann mehr abbekommen. Weil die<br />

alle Angst haben vor einem. Das ist<br />

für Frauen schwer zu ertragen.<br />

Also muss man, viertens, Netzwerke<br />

knüpfen. Zum Beispiel Netzwerken<br />

von weiblichen Führungskräften. Es<br />

geht darum, sich sichtbar zu machen.<br />

Dass man auf Veranstaltungen als<br />

Sprecher auftaucht, dass man sich<br />

meldet, wenn es darum geht, intern<br />

Projekte vorzustellen. Oder dass man,<br />

wenn einem ein Kunde schreibt, wie<br />

zufrieden er mit der eigenen Arbeit<br />

gewesen ist, zurückruft und sagt, ich<br />

freue mich riesig über dieses Lob,<br />

und wer sich noch freuen würde,<br />

das ist mein Chef-Chef! Denn wenn<br />

man besonders gut ist, dann will der<br />

direkte Vorgesetzte oft gar nicht, dass<br />

man seinen Job verlässt. Weil man<br />

eine Gefahr darstellt oder mit einem<br />

dann die stärkste Kraft in einem Bereich<br />

verschwindet. Man muss nach<br />

rechts und nach links wie nach ganz<br />

oben sichtbar sein. Dafür muss man<br />

selbst sorgen. Man muss also verste-<br />

<br />

lernen mit den Dingen umzugehen,<br />

was man nicht ändern kann.<br />

Es gibt natürlich auch hier Fortschritt.<br />

Man sieht das an Erwerbsquoten, an<br />

der Nachfrage nach Kinderbetreuung<br />

auch für kleinere Kinder, selbst<br />

in süddeutschen Ländern. Auch innerhalb<br />

der Familien, aufseiten der<br />

Männer, haben sich Einstellungen<br />

verändert. Auch Männer wollen zu<br />

Hause sein und ihre Kinder sehen.<br />

Das ist nicht die Regel, aber es wird<br />

besser. Ich kenne noch Zeiten, wo<br />

Männer gelogen haben, wenn sie ihr<br />

Kind aus der KITA holen wollten, die<br />

sagten dann, sie müssen das Auto<br />

aus der Werkstatt abholen. Sie hatten<br />

Angst, sie wären sonst die Weicheier.<br />

Letztendlich wird die Frauen-Quote<br />

eine notwendige Krücke sein. Die<br />

Leute, die sich darüber aufregen, sind<br />

dieselben, die eine Quote für Ober-<br />

, Niederbayer und Franken haben.<br />

Alle haben überall Quoten. Christina<br />

Schröder ist damals nur wegen<br />

Quoten in ihr Familien-Ministeramt<br />

gekommen ist: jung, weiblich aus<br />

Hessen.<br />

Ich bin für alles, was von alleine und<br />

freiwillig funktioniert. Aber wenn das<br />

System immer wieder versagt, dann<br />

braucht es das richtige Instrument.<br />

Ich werde nicht noch einmal 150 Jahre<br />

warten, bis sich was ändert.<br />

Anke Domscheit-Berg war Mitglied der<br />

Grünen und ist 2012 der Piratenpartei<br />

beigetreten. Sie engagiert sich für Frauenrechte,<br />

arbeitete als Strategie-Beraterin bei<br />

McKinsey und als Lobbyisten für Microsoft<br />

Deutschland. Ihr Buch „Mauern einreißen!“<br />

erscheint im Januar 2014.<br />

Nr.11<br />

110<br />

111<br />

Nr.11


STREETSTYLE<br />

Text: Sina Braetz<br />

Fotos: Mario Villanueva<br />

WORST<br />

STREETSTYLES<br />

DIE SCHLIMMSTEN LOOKS DER FASHION WEEK<br />

„All my shit designers!“ Mode hat<br />

Macht. Ist Macht. Schon immer. Und<br />

steht – klar, ganz fern von romantischen<br />

Vorstellungen - letztendlich<br />

für: Geld! Und Geld wiederum heißt<br />

Ansehen, Ruhm, Leute zum Reden<br />

bringen. „I told that bitch, Versace.“<br />

Ein Tyga oder Drake rappt davon nicht<br />

nur, sondern lebt es. Und das sind<br />

nur zwei Beispiele. Dafür, dass Labels<br />

Hip Hop Lyrics erreicht haben. Mode<br />

gewinnt immer mehr an Dynamik<br />

<br />

Persönlichkeiten, Altersgruppen oder<br />

Gesellschaftsschichten. Was heute auf<br />

den Straßen passiert, das hat Relevanz<br />

wie nie zuvor, für Designer, Magazine,<br />

aber auch für Individuen. Phänomen:<br />

Blogosphäre, Instagram, Tumblr und<br />

Co. Welche Marke trage ich heute und<br />

überhaupt, wie viel Likes zählte mein<br />

<br />

noch revolutionär war, wenn ein Designer<br />

wie Marc Jacobs für Perry Ellis<br />

eine Grunge Kollektion entwarf, ist es<br />

heute ganz normal, dass selbst High<br />

End Label wie Versace oder Prada sich<br />

von der Straße inspirieren lassen. Und<br />

dort gilt: auffallen! Ob stilvoll oder weniger<br />

oder auch: gar nicht, ja manchmal<br />

einfach völlig geschmacklos und<br />

peinlich. Da wir im Netz zugeschüttet<br />

werden von den trendigsten und extravagantesten<br />

Looks, haben wir uns<br />

mal gedacht: Warum werfen wir nicht<br />

einmal einen Blick auf die schlechtesten<br />

Street Looks? Und von denen gibt<br />

es nämlich so einige auf den Fashion<br />

Weeks zu sehen. Et voilà, das ist das<br />

Ergebnis: Worst of Fashion Week 2013.<br />

Nr.11<br />

112<br />

113<br />

Nr.11


ANTIFRÄULEIN<br />

Text: Wäis Kiani<br />

Illustration: Katrin Funcke<br />

A L L E V E R G Ö T T E R N R I H A N N A – A U C H W I R B E W U N D E R T E N D E N<br />

C O M E T E N H A F T E N A U F S T I E G D E S 2 5 - J Ä H R I G E N P O P S TA R S A U S<br />

B A R B A D O S . D O C H A L S S I E A N F I N G I H R E N N A C K T E N A R S C H<br />

A U F I N S TA G R A M Z U P O S T E N U N D S I C H V O N I H R E M E X - F R E U N D<br />

G R Ü N U N D B L A U S C H L A G E N L I E S S , O H N E I H N A B Z U S E R V I E R E N ,<br />

WAR ES VORBEI MIT DEM RESPEKT.<br />

Unser heutiges Anti-<strong>Fräulein</strong> ist hochtalentiert,<br />

megaerfolgeich und DER<br />

Superstar im Musik-Business. Sie ist<br />

auch eine Stilikone, ein Supergirl und<br />

das Vorbild von Millionen junger und<br />

nicht mehr ganz so junger Mädchen<br />

sowie Muse und Model einiger großer<br />

Designer. Die Rede ist von Popdiva<br />

Rihanna, die sich gerade auf ihrer „Diamond<br />

World Tour“ in Thailand, EM-<br />

PRESS nennen und von Elefanten und<br />

armen kleinen Äffchen huldigen lässt.<br />

Rihanna ist mehr als nur ein Superstar,<br />

37 Millionen verkaufte Alben, sieben<br />

Grammy-Awards und mit 25 Jahren<br />

bereits mehr Chart-Erfolge als Madonna.<br />

Sogar Rihannas Parfüm „Reb’l<br />

<br />

Zeit das meistverkaufte Promi-Parfüm.<br />

Damit stellte Rihanna sogar Justin Biebers<br />

Verkaufsschlager „Someday“ in<br />

den Schatten.<br />

Im letzten Jahr feierte die Sängerin<br />

ihr Kino-Debüt, mit dem Streifen<br />

„Battleship“. Besser kann es also für<br />

Klein-Rihanna aus Barbados nicht laufen.<br />

Alle vergötterten sie, bis sie plötzlich<br />

begann, auf der Bühne und ihrer<br />

Instagram Site Badgalriri ihren nackten<br />

Arsch bei jeder Gelegenheit vorzuzeigen,<br />

mit wilden Tieren in Thailand<br />

zu posieren, wobei man den Tieren<br />

eindeutig ansehen konnte, dass sie mit<br />

Gewalt gefügig gemacht worden sind,<br />

über ihre Erlebnisse in Sexclubs detailliert<br />

zu berichten, jeden Schwarzen als<br />

Nigga zu bezeichnen und eine eindeutig<br />

sexuell eingefärbte Freundschaft zu<br />

Topmodel Cara Delevingne, das Mädchen,<br />

das ohne Licht, Make-up und<br />

Hochglanz-ChiChi aussieht wie ein<br />

White-Trash-Tomboy mit Wollmütze<br />

und Sneakerboots, öffentlich zu zeigen.<br />

Auch wenn 60% davon zielsicher angelegte<br />

PR ist, weil ein echter Rockstar<br />

Skandale braucht und pubertäre Teenies<br />

genau das sehen wollen, um sie<br />

den<br />

wir sie plötzlich abstoßend und<br />

uncool.<br />

Sie, die der halben Welt alles vormachen<br />

kann, einen Status der Immunität<br />

erreicht hat und dadurch grenzenlose<br />

Freiheit genießt, hat eine falsche<br />

Richtung eingeschlagen. Männliche<br />

Rockstars dürfen mit zehn Groupies<br />

gleichzeitig Sex im Whirlpool haben<br />

und anschließend das ganze Hotel anzünden.<br />

Weibliche Superstars können<br />

zwar auch machen, was sie wollen,<br />

aber wir wollen nicht dabei zusehen.<br />

Natürlich wagt niemand etwas zu sagen,<br />

denn zusammen mit ihr werden<br />

viele Menschen immer reicher und<br />

reicher, sie kann inzwischen sogar singen<br />

und sie ist schlau: sie weiß, gerade<br />

nervige Werbung ist die wirksamste<br />

und am Ende ist ja alles Kunst, Riri ist<br />

ein Kunstwerk.<br />

Und Kunst versteht nicht jeder. Aber<br />

Kunst hin oder her, wer unter seine Instagram-Bilder<br />

„Cash“ „Pussy“ und „Money“<br />

schreibt, ist kein bisschen <strong>Fräulein</strong>,<br />

sondern ein echter Rüpel.<br />

Ein <strong>Fräulein</strong> steckt sich öffentlich keine<br />

Joints zwischen die dicken Lippen und<br />

nuckelt nicht stundenlang an Bongs,<br />

legt nicht ihre Hand für die Kameras<br />

der Welt auf den nackten Hintern ihrer<br />

Freundin und sagt nicht über sie: „She’s<br />

<br />

I’ve taken her off the market. We call<br />

<br />

wifey means? It’s like your other half.<br />

Like when you get married, like, that’s<br />

your wife!“<br />

Ein <strong>Fräulein</strong> packt sich nicht in den<br />

<br />

von ihrem Freund, also von Chris Brown,<br />

dermaßen vermöbelt zu werden,<br />

dass die Welt sich Sorgen über<br />

ihr blaues Auge machen muss.<br />

Ein <strong>Fräulein</strong> will nicht von „Sticks and<br />

Stones“ geschlagen werden und räkelt<br />

sich nicht im „California Kingbed“. Und<br />

ein <strong>Fräulein</strong> trägt IMMER einen BH<br />

unterm Chanelkostüm.<br />

Ein <strong>Fräulein</strong> mietet sich auch nicht<br />

<br />

Million Euro, um dort vor den Augen<br />

der Öffentlichkeit Partys und Orgien<br />

mit ihren Freunden an der Cote d‘Azur<br />

zu feiern.<br />

Was sollen wir sagen? Ein <strong>Fräulein</strong><br />

wird auf ein Schiff eingeladen, sitzt<br />

im Bikini im Schatten und freut sich<br />

über ein Glas Champagner. Aber andererseits<br />

ist sie erst 25 und hat schon<br />

mehr Alben verkauft als Madonna, siehe<br />

oben. Wir würden es doch genauso<br />

machen. Aber wir wären nicht mit dem<br />

doppelkinnigen, Schiel-Gesicht Cara<br />

Delevingne befreundet. Aber das ist<br />

eine andere Geschichte.<br />

„WER UNTER SEINE<br />

ISTAGRAM-BILDER<br />

„CASH“ „PUSSY“<br />

UND „MONEY“<br />

SCHREIBT, IST KEIN<br />

BISSCHEN FRÄULEIN,<br />

SONDERN EIN<br />

ECHTER RÜPEL“<br />

Nr.11<br />

114<br />

115<br />

Nr.11


FEIERABEND<br />

Interview: Robert Grunenberg<br />

„WIR SIND ALLE TIERE“<br />

EINE BEGEGNUNG MIT<br />

STELLA<br />

MCCARTNEY<br />

„ES GIBT KEINE<br />

STRATEGIE.<br />

ICH ARBEITE<br />

INTUITIV“<br />

Man hat es als Tochter nicht leicht,<br />

aus dem Schatten von einem Beatle<br />

zu treten. Stella McCartney hat es geschafft.<br />

Schon mit 15 Jahren ging sie<br />

nach Paris und arbeitete bei Christian<br />

Lacroix, nach dem Studium löste sie<br />

Karl Lagerfeld im Hause Chloé ab, um<br />

zwei Jahre später ihr eigenes Label zu<br />

gründen. Heute führt sie ein unabhängiges<br />

Modehaus, das für Highstreet<br />

Fashion mit Umweltbewusstsein steht.<br />

Ein Treffen im Rahmen des Designer<br />

for Tomorrow Awards (DfT) in Berlin.<br />

Frau McCartney, Sie kommen relativ<br />

oft nach Berlin. Was gefällt<br />

Ihnen an der Stadt?<br />

Stella McCartney: Jedes Mal, wenn<br />

ich nach Berlin komme, bin ich überrascht:<br />

Alle fahren Fahrrad. Diese Art<br />

sich in der Stadt zu bewegen gefällt<br />

mir. Das Stadtleben ist so präsent,<br />

man spürt in der Luft eine anregende<br />

Mischung aus Straßenkultur und Jugendgeist.<br />

Das zeigt sich auch in der<br />

Art, wie hier Kleidung getragen wird.<br />

Geht es in der Mode nicht genau<br />

darum, „Wie“ man Sachen trägt<br />

und erst in zweiter Linie „Was“?<br />

SM: Ja, das ist die Basis für alles, was<br />

ich tue. Dabei geht es um die Idee,<br />

dass man jedes Kleidungsstück nehmen<br />

kann und etwas Eigenes daraus<br />

macht. Man selbst macht es besonders,<br />

relevant und cool. Mit der richtigen<br />

Einstellung zu Mode kannst du<br />

zeigen, wer du bist.<br />

Was hat Sie daran gereizt, beim<br />

Designers for Tomorrow Award<br />

als Patronin zu fungieren?<br />

SM: Am DfT gefällt mir, dass sich junge<br />

Designer aus ganz Europa bewerben<br />

können. Dass man der nächsten<br />

Generation eine Plattform gibt, um<br />

sich zu zeigen und der Modewelt zu<br />

sagen: Seht her, hier bin ich. Die Gewinner<br />

erhalten eine Langzeitförderung,<br />

die sie bei den ersten Schritten<br />

ins Modegeschäft begleitet.<br />

Inwiefern glauben Sie, dass derartige<br />

Förderinitiativen tatsächlich<br />

helfen, sich in der Modewelt<br />

durchzusetzen?<br />

SM: Jede Erfahrung in der Modeindustrie<br />

ist wichtig, gleich ob sie<br />

primär gut oder schlecht ist. Zum<br />

Beispiel nahmen alle fünf Finalisten<br />

während des DfT an einem Panel teil,<br />

wo sie vor unzähligen Journalisten<br />

Fragen zu ihren Kollektionen gestellt<br />

bekamen. Damit muss man erst mal<br />

umgehen lernen und sich selbst die<br />

Frage stellen: Inwiefern bin ich kreativ,<br />

was ist mir wichtig und wofür<br />

stehe ich mit meiner Mode ein? Stellt<br />

man sich diese Fragen gründlich,<br />

dann kann man mit einem guten Gefühl<br />

seine Sache vertreten.<br />

Was machen Sie, wenn Sie selbst<br />

in einer kreativen Sackgasse landen?<br />

SM: Ist der Druck einer neuen Kollektion<br />

zu groß und ich weiß nicht<br />

weiter, dann höre ich einfach auf. Ich<br />

mache zum Beispiel keine Reise nach<br />

Ägypten zu den Pyramiden und dann<br />

gibt es in der nächsten Saison eine<br />

„Kleopatra-Kollektion“. Es gibt keine<br />

Strategie, ich arbeite letztlich sehr intuitiv.<br />

Erst danach setze ich mich mit<br />

meinem Team zusammen und wir<br />

denken nach, tauschen uns aus.<br />

Ihre erste Kollektion zeigten Sie<br />

1995 als Abschlussarbeit am renommierten<br />

Central Saint Martins<br />

College in London. Was war<br />

Ihr außergewöhnlichstes Erlebnis<br />

am CSM?<br />

SM: Während des Studiums hing ich<br />

meistens mit den Bildhauern rum,<br />

weil es dort die süßesten Jungs gab.<br />

<br />

Seminaren wie besessen über ein<br />

Thema debattierte. Ich erinnere mich<br />

an einen Nachmittag, wo es um einen<br />

bestimmten Blauton ging. Eine<br />

Kunststudentin, die heute sehr erfolgreich<br />

ist, hatte diesen Blauton für<br />

sich beansprucht. Sie gestaltete ihre<br />

gesamte Ausstellung damit und verpackte<br />

ihre Arbeiten, sodass sie niemand<br />

sehen konnte. Wir fanden das<br />

damals ziemlich albern. Doch eigentlich<br />

war sie clever und uns voraus.<br />

Denn heute geht es mir ähnlich, ich<br />

will auch nicht, dass jemand meine<br />

Farben der neuen Kollektion kennt.<br />

Wenn Sie jetzt noch mal an Ihre<br />

erste Kollektion von 1995 im Vergleich<br />

zu heute denken, was ist<br />

ähnlich wie damals, was ist anders?<br />

SM: Konstant ist die Art, wie ich<br />

schneider. Das geht zurück auf meine<br />

Ausbildung beim Herrenschneider<br />

Edvard Sexton in der Savile Row in<br />

London. Daher kommt meine Leidenschaft<br />

für männliche Schnitte an<br />

Frauen. Meine ersten Arbeiten aus<br />

den 90ern entsprachen nicht den angesagten<br />

Modetrends – damals war<br />

alles weich, dekonstruiert und stark<br />

durch den japanischen Minimalis-<br />

<br />

hatten eine sehr britische Attitüde,<br />

sie waren wohl strukturiert und sehr<br />

männlich. Das ist auch bis heute so<br />

geblieben, nur dass ich es variiere.<br />

Zudem arbeite ich auch heute noch<br />

mit Strickkleidung und humorvollen<br />

Drucken. Die Unterschiede zur ersten<br />

Kollektion sind also vielmehr Präzisionen<br />

von Techniken, Konzepten und<br />

Materialien, die ich schon damals<br />

hatte.<br />

Ihre Arbeiten können aber auch<br />

sehr feminin, schick und sexy<br />

sein. Haben Sie eine besondere<br />

Idee von Weiblichkeit?<br />

SM: Es ist einfach eine Show zu machen,<br />

die kühl und männlich ist. Es<br />

ist wichtig, dass man trotzdem einen<br />

Sinn für das Weibliche in allen Kon-<br />

<br />

dass sich Frauen wohlfühlen. Mein<br />

Design ist ein Spiel aus Verdecken<br />

und Offenlegen, beides hilft, damit<br />

sich Frauen attraktiver fühlen. Beim<br />

Bekleiden passiert emotional und<br />

psychologisch ganz viel.<br />

In Ihren Kollektionen verwenden<br />

Sie keine Materialien wie Pelz<br />

und Leder. Trotzdem sind Ihre<br />

Designs und Werbeanzeigen voller<br />

Tier-Referenzen. Was interessiert<br />

Sie an der Tierwelt?<br />

SM: Wir sind alle Tiere. Unsere Gefühle<br />

und unsere Identität werden<br />

stärker von Instinkten bestimmt, als<br />

wir manchmal realisieren. Riechen,<br />

Schmecken und Berühren, diese<br />

sen<br />

unsere Entscheidungen – auch<br />

ästhetisch. In meinen Kollektionen<br />

<br />

ohne dabei echte Tierhaut zu verwenden.<br />

Bei meinen Handtaschen reproduziere<br />

ich z.B. die Hautstruktur<br />

von Python-Schlangen durch Drucke.<br />

Dabei verweise ich auf lebendige Tiere,<br />

etwa auf die Art, wie sich Schlan-<br />

<br />

nicht sehr inspirierend.<br />

Produzieren Sie deshalb auch besonders<br />

„grün“ und nachhaltig?<br />

<br />

Image als Eco-Mode kommt daher,<br />

dass wir kein Leder und keinen Pelz<br />

verarbeiten und unsere Materialien<br />

ohne PVC herstellen. Doch auch wir<br />

sind nicht perfekt, deshalb ersetzen<br />

wir jede Saison konventionelle<br />

Produktionsformen durch neue ressourcenschonende<br />

Verfahren. Diese<br />

Saison haben wir zum Beispiel ein<br />

<br />

Taschen vorgestellt, nächste Saison<br />

arbeiten wir mit wasserschonenden<br />

Bleichungsprozessen.<br />

Neben der „grünen“ Entwicklung<br />

in der Modeindustrie reagieren<br />

Sie auch auf die Umwälzungen im<br />

Online-Bereich, wie Modeblogs<br />

oder Crowdsourcing?<br />

SM: Crowdsourcing nutzen wir im<br />

medialen Bereich, kreativ arbeiten<br />

wir sehr traditionell. Wir setzen uns<br />

zusammen, kreieren, analysieren<br />

und debattieren. Wir gehen nicht<br />

online und suchen nach Communities,<br />

die einen neuen Stil bewerben.<br />

Insgesamt versuche ich so wenig wie<br />

möglich online zu sein, besonders in<br />

meiner Freizeit.<br />

Und was machen Sie, um abzuschalten,<br />

wie sieht Ihr Feierabend<br />

aus?<br />

SM: Wenn ich nach Hause komme,<br />

dann bin ich zuallererst Mutter und<br />

Ehefrau. Am Wochenende fahre ich<br />

mit der Familie raus aufs Land: Ich<br />

reite mein Pferd, beobachte die Natur<br />

und die Jahreszeiten. Das hilft<br />

mir sehr, runterzukommen. Denn<br />

den Kopf ausschalten, das fällt mir<br />

schwer. Etwas, das ich noch lernen<br />

muss.<br />

Stella McCartney wurde 1971 in London geboren<br />

und studierte dort am Central Saint<br />

Martins College of Art and Design. 2 Jahre<br />

nach ihrem Abschluss holte Chloé die Tochter<br />

des Ex-Beatle Paul McCartney als Chefdesignerin<br />

nach Paris. 2001 gründete sie ihr<br />

eigenes Label und stieg in die Gucci Group<br />

mit ein. Sie ist mit mehr als 16 Flagship-Stores<br />

weltweit präsent.<br />

Nr.11<br />

116<br />

117<br />

Nr.11


REZEPT<br />

Illustration: Lenia Hauser<br />

Foto: Sabine Volz<br />

Nr.11<br />

118<br />

119<br />

Nr.11


DAS TRAGE ICH FÜR DIE EWIGKEIT<br />

Protokoll: Willy Katz<br />

STERBEN IST<br />

ALLGEGENWÄRTIG<br />

I N G A H U M P E I S T H E U T E V O R A L L E M F Ü R I H R B A N D - P R O J E K T 2 R A U M W O H N U N G<br />

B E K A N N T, D A S S I E Z U S A M M E N M I T I H R E M F R E U N D T O M M I E C K A R T G E G R Ü N D E T<br />

HAT. SCHON WÄHREND DER 80ER-JAHRE WAR SIE TEIL DER WEST-BERLINER<br />

N E U E N D E U T S C H E N W E L L E , U N T E R A N D E R E M M I T I H R E R S C H W E S T E R A N N E T T E B E I<br />

D E N N E O N B A B I E S . W I R H A B E N I N G A H U M P E F Ü R U N S E R E R U B R I K „ D A S T R A G I C H<br />

F Ü R D I E E W I G K E I T “ G E F R A G T, W O M I T S I E B E E R D I G T W E R D E N M Ö C H T E . S I E WÄ H LT E<br />

IHRE KINDERDECKE, DIE WIDER ALLEN ERWARTUNGEN ZAHLREICHE UMZÜGE<br />

Ü B E R S TA N D E N H AT.<br />

„DIE SEHNSUCHT<br />

NACH DEM TOD<br />

IST DIE KRANKHEIT<br />

DER JUGEND“<br />

In den 80er-Jahren gab es in der<br />

deutschen Musikszene dieses Kokettieren<br />

mit dem Tod. Da alles andere<br />

unsicher war, schien er als das einzig<br />

nahe<br />

so etwas wie eine Sehnsucht. Das<br />

ist vielleicht die Krankheit der Jugend.<br />

Auch mir ging es ein wenig so. Ich war<br />

mir selbst und anderen gegenüber sehr<br />

kritisch, sehr ungnädig. Aber ich habe<br />

gelernt, dass dieses „Als wär’s das letzte<br />

Mal“, von dem die Band Deutsch<br />

Amerikanische Freundschaft (DAF)<br />

sang, auch ein Höhepunkt ist, den man<br />

mitten im Leben haben kann. Das zu<br />

begreifen ist sehr wichtig. Ich hatte<br />

nämlich lange Zeit große Angst vor<br />

dem Tod. Weniger vor meinem eigenen<br />

als vor dem der Menschen, die ich liebe.<br />

Um dem zu begegnen setzte ich mich<br />

seit einer Weile mit dem Buddhismus<br />

auseinander, der weniger eine Religion<br />

als vielmehr eine Meditations-Praxis<br />

ist. Für mich ist das regelrechte Forschungsarbeit.<br />

Ich forsche, wie sich<br />

meine Wahrnehmungsfähigkeit verändert.<br />

Früher interessierten mich der<br />

Club, Rausch und Ekstase. Im Moment<br />

geht es mir viel eher um das Fühlen,<br />

Spüren, Erleben und Erinnern.Ich bin<br />

übrigens erstaunt darüber, wie man<br />

manchmal von Erinnerungen regelrecht<br />

überfallen wird, wenn man sich<br />

denn für sie öffnet. Wenn ich heute an<br />

meine Kindheit denke, mein Vater war<br />

Konditor, erinnere ich mich noch gut<br />

an den Duft von warmen Backblechen.<br />

Auch das ist nicht mehr. Aber es bleibt<br />

mir doch unheimlich präsent und damit<br />

lebendig. Als Kind war ich das erste<br />

Mal mit dem Tod konfrontiert, als bei<br />

uns im Haus eine Nachbarin starb. Zu<br />

der bin ich früher immer hingerannt.<br />

Nachts klopfte jemand ans Fenster und<br />

sagte, dass die Tante gestorben sei. Das<br />

hat bei mir aber komischerweise überhaupt<br />

nichts ausgelöst. Ich habe das<br />

einfach so hingenommen. Ich wusste<br />

ja, sie war sehr alt und sehr krank. Das<br />

war viel schwieriger, als meine Eltern<br />

gestorben sind. Das ist dann schon<br />

schockierend und ein richtiger Einschnitt.<br />

Da wird man wirklich erwachsen.<br />

Mit meinem Partner Tommi Eckart<br />

spreche ich seit einer Weile sehr viel<br />

über den Tod in all seinen möglichen<br />

Formen. Manchmal fragt der eine, wie<br />

willst du begraben werden? Und dann<br />

sagt der andere, „ist mir egal“ oder „in<br />

einer Urne“. So ganz pragmatisch. Das<br />

ist von der Tagesform abhängig. Darum<br />

geht es mir aber gar nicht so sehr.<br />

Wir beide üben eine Meditationspraxis,<br />

bei der man lernt, was man zu tun hat,<br />

wenn man stirbt. Gleichzeitig geht es<br />

darum zu begreifen, das jeder Moment,<br />

den man miteinander verbringt, unheimlich<br />

wertvoll ist. Ich glaube, dieses<br />

Bewusstsein über den Tod erhöht die<br />

Lebensqualität unheimlich. Denn je<br />

furchtloser man vor dem Tod wird, so<br />

furchtloser wird man auch im Leben.<br />

Diese Meditationsübung heißt Phowa.<br />

Man kann sie ab einem gewissen, fortgeschrittenen<br />

Niveau erlernen. Meine<br />

ursprüngliche Angst vor dem Tod habe<br />

„DEN LETZTEN MOMENT<br />

IN DIESEM LEBEN MÖCHTE<br />

ICH IN DEN ARMEN VON<br />

TOMMI VERBRINGEN“<br />

ich dadurch viel besser in den Griff bekommen.<br />

Ich glaube, man stirbt halt in<br />

jedem Moment. Eine Zelle stirbt, der<br />

ganze Körper vergeht. Sterben ist allgegenwärtig<br />

und verliert dadurch seinen<br />

Schrecken für mich, ist doch auch<br />

die Geburt überall präsent.Womöglich<br />

trifft man sich einmal wieder irgendwo.<br />

Wenn, dann aber vermutlich in einer<br />

anderen Form. Wie, kann ich natürlich<br />

nicht sagen. Dass sich da aber irgendeine<br />

Energieform erhält, dass man die<br />

spüren kann, das hängt damit zusammen,<br />

wie man sich geistig oder mental<br />

entwickelt. Denke ich heute an den<br />

Tod, dann gibt es bei mir natürlich den<br />

Willen zu überleben. Das ist Evolution.<br />

Aber sollte er kommen, das weiß ich<br />

ganz sicher, dann möchte ich meinen<br />

letzten Moment in diesem Leben in den<br />

Armen von Tommi verbringen. Ins Grab<br />

würde ich meine Kinderdecke mitnehmen.<br />

Die habe ich von meinen Eltern<br />

bekommen. Es gibt ein paar alte Fotos,<br />

auf denen man die mit mir sehen kann.<br />

Als ich darüber nachgedacht habe, was<br />

ich bis in alle Ewigkeit tragen möchte,<br />

habe ich erst an ein Kleidungsstück<br />

gedacht. Und im Schrank tauchte dann<br />

plötzlich diese Decke auf. Es ist mir ein<br />

völliges Rätsel, wie sie die vielen Umzüge<br />

überleben konnte. So eine Decke<br />

steht für Schutz, für den ersten Schutz,<br />

den man bekommt im Leben. Sie repräsentiert<br />

dieses sehr Zerbrechliche, das<br />

man als Baby nunmal hat. Das ist die<br />

etwas runtergerockte Decke von einem<br />

armen Kind. Auf mich hat diese Decke<br />

mit diesem schönen Grün noch immer<br />

eine beruhigende Wirkung.<br />

Das neue Album von 2Raumwohnung,<br />

„Achtung fertig“, ist bei Universal Music<br />

erschienen. Der Track „Als wärs das letzte<br />

Mal“ von DAF ist auf dem großartigen<br />

Album „Alles ist gut“ (1981) zu finden.<br />

Nr.11<br />

120<br />

121<br />

Nr.11


HOROSKOP<br />

Illustration: Lisa Kirchner - ALL THAT YAY<br />

FINDEN SIE EIN NEUES ICH<br />

DIESER HERBST WÄRMT VON INNEN HERAUS. DEN MEISTEN STERNZEICHEN GEHT<br />

E S G U T. E S K O M M T D I E Z E I T D E R G R O S S E N E N T S C H E I D U N G E N U N D D E R K L E I N E N<br />

FREUDEN. STEINBÖCKE SOLLTEN DEN OBERSTEN KNOPF IHRER PRADA-BLUSE LÖSEN,<br />

W I D D E R H E D G E F O N D M A N A G E R I N N E N W E R D E N U N D S C H Ü T Z E N U N B E D I N G T E I N E<br />

BADEWANNE BESITZEN. DIES UND VIELES MEHR IM NEUEN FRÄULEIN HOROSKOP.<br />

WIDDER<br />

21. März - 20. April<br />

Hoppla, hier kommt das Über-Ich!<br />

An Selbstbewusstsein wird es Ihnen<br />

in den kommenden Monaten nicht<br />

mangeln. Das gönnen wir Ihnen, aber<br />

versuchen Sie Ihre überkochende<br />

Energie zu kanalisieren. Wagen<br />

Sie eine Mutprobe. Baden Sie an<br />

ungewöhnlichen Orten, im Becken des<br />

Hamburger Hafens zum Beispiel. Am<br />

besten nachts, das kühlt ab. Bringen<br />

Sie Ihre Beziehung auf Vordermann,<br />

<br />

Starten Sie Ihre Karriere oder geben<br />

Sie ihr einen neuen Schwung. Ob als<br />

Bücherwurm, Hedgefond-Managerin<br />

oder Rockmusikerin, wichtig ist uns<br />

nur: Machen Sie was draus.<br />

STIER<br />

21. April - 20. Mai<br />

Sie haben in den letzten Wochen gedacht,<br />

dass sie eigentlich Feuerwehrfrau<br />

hätten werden sollen, richtig? Es<br />

brennt an allen Ecken und Enden. Von<br />

überall her prasseln Anfragen und Anforderungen<br />

auf Sie ein. Wir geben Ihnen<br />

folgenden tröstlichen Aphorismus<br />

mit auf den Weg: Druck, Druck, Druck,<br />

nur so entsteht ein Diamant! Außerdem:<br />

Gegen November meinen es die<br />

Sterne besser. Sie können Ihr Leben<br />

wieder selbst in die Hand nehmen.<br />

Lassen Sie sich von Ihrem Partner in<br />

jeglicher (Zwinker) Hinsicht verwöhnen<br />

und die anderen Quälgeister ausnahmsweise<br />

mal etwas für Sie tun.<br />

ZWILLING<br />

21. Mai - 21. Juni<br />

Es gibt Phasen, in denen man die Welt<br />

durchschaut: das Leben, die Liebe, den<br />

Beruf – wie Neo in der Matrix eben.<br />

Im Flirten entwickeln Sie einen Killerinstinkt,<br />

in Konferenzen haben sie<br />

<br />

Freundinnen und Freunden schlecht<br />

geht, landen Ihre Ratschläge punktgenau.<br />

Sie erwarten jetzt wohl nun einen<br />

Twist, irgendeinen Abgrund. Aber wir<br />

müssen Sie enttäuschen, bei Ihnen ist<br />

alles gut. Und dass wir Selbstüberschätzung,<br />

übersteigerte Eitelkeit oder<br />

Größenwahn auf das Schärfste verurteilen,<br />

sollte Ihnen ja klar sein.<br />

KREBS<br />

22. Juni - 22. Juli<br />

Etwas skeptisch schauen wir in dieser<br />

Ausgabe in die Sterne: Warum sind die<br />

denn so wohlgestimmt?! Es ist doch<br />

Herbst! Selbst den meist betrübten<br />

Krebsen geht es blendend. Sie treten<br />

in eine Phase der großen Entscheidungen<br />

und des neuen Glücks ein. Sie sind<br />

schon seit Monaten verliebt? Dann<br />

wagen Sie den ersten Schritt. Auch in<br />

Bezug auf Ihr Aussehen läuft es super:<br />

Noch nie haben Ihnen High Heels besser<br />

gestanden, haben Sie Ihre Klamotten<br />

so sicher kombiniert. Investieren<br />

Sie in Ihre Garderobe. Was Sie sich<br />

jetzt kaufen, werden Sie auch Jahre<br />

später noch tragen können.<br />

LÖWE<br />

23. Juli - 23. August<br />

Ein Wildpferd, das sind Sie. Manchmal<br />

galoppieren Sie allerdings etwas<br />

zu schnell los. Manchmal verläuft Ihr<br />

Leben ein bisschen zu unruhig, zu<br />

unentschlossen. Das ist im Prinzip<br />

nicht schlimm, denn so erlangt man<br />

Lebensklugheit, um die Sie andere<br />

bald beneiden werden. Dennoch: Es<br />

ist wichtig, dass Sie auch Verbindlichkeiten<br />

eingehen. Seien Sie gütig und<br />

einfühlsam. Vor allem aber, genießen<br />

Sie die Herbstsonne, wie sie durch die<br />

goldenen Blätter der Bäume fällt und<br />

Ihnen zeigt, wie schön es sein kann,<br />

lebendig zu sein. Das rückt so manches<br />

ins richtige Verhältnis.<br />

JUNGFRAU<br />

24. August - 23. September<br />

Werden Sie bloß nicht ungeduldig!<br />

Rütteln Sie nicht an dem Schicksal,<br />

dass die Sterne für Sie vorgesehen<br />

haben. Das ist nämlich tadellos. It’s<br />

time to chill, Sister! Die kommenden<br />

Wochen werden im Zeichen des Sex<br />

nießen<br />

Sie die Experimentierfreude<br />

Ihres Partners. Im Beruf zahlt es sich<br />

aus, dass Sie sich jahrelang im Verzicht<br />

geübt haben. Es ist, als hätten Sie einen<br />

<br />

wohlig warm um Sie herum und das<br />

Schlechte an Ihnen vorbei. Und Sie, Sie<br />

<br />

dem Guten entgegen.<br />

WAAGE<br />

24. September - 23. Oktober<br />

Ihr umwerfender Charme, Ihre Stärke<br />

lässt Sie von innen heraus leuchten.<br />

Passen Sie nur auf, dass Sie sich nicht<br />

selber überstrahlen. Entspannen Sie<br />

sich. Ernten Sie die Früchte Ihrer Saat.<br />

Entwerfen Sie sich gedanklich Inseln,<br />

Paläste, prachtvolle Königreiche. Malen<br />

Sie sich aus, wie diese Orte Wirklichkeit<br />

werden und wie gut es Ihnen<br />

an diesen gehen könnte. Und dann<br />

schauen Sie in Ihren Alltag, auf Ihr Leben<br />

und suchen Sie auch dort die Orte,<br />

an denen Sie glücklich sind. Sie werden<br />

<br />

Schutz und ein Quell großer Kraft sein.<br />

SKORPION<br />

24. Oktober - 22. November<br />

Sie stecken mitten in einem Übergang.<br />

Passen Sie auf, dass Sie sich dabei<br />

nicht verfransen! Es könnte etwa sein,<br />

<br />

und sich Möglichkeiten zur Veränderung<br />

auftun. Eine mittelgroße Ernsthaftigkeit<br />

kehrt in Ihr Leben ein. Ist<br />

das ein Grund, sich Sorgen zu machen?<br />

Jein. Sie drohen nicht in existentielle<br />

Lebenskrisen zu schlittern. Hören Sie<br />

aber nicht auf zu kämpfen. Bewahren<br />

Sie sich ihre direkte Art. Besinnen Sie<br />

sich auf Ihre Ziele. Tauchen Sie ein in<br />

die großen Epen des Hollywood-Kinos,<br />

denn die haben fast immer ein Happy<br />

End.<br />

Nr.11<br />

122<br />

123<br />

Nr.11


RÄTSEL<br />

Illustrationen: Anje Jager<br />

DIE FRÄULEIN TRAGEN WILL,<br />

10 TASCHEN UND 5 FEHLER, DIE ZU FINDEN SIND!<br />

SCHÜTZE<br />

23. November - 21. Dezember<br />

<br />

nicht viel mehr in Ihren Gedanken.<br />

Wir begrüßen das. Folgen Sie dem<br />

Flow der Hormone. Aber, bitte, lassen<br />

Sie doch den ein oder anderen One-<br />

Night-Stand mal ausfallen, nur weil der<br />

Typ Ihnen gerade an der Bar erzählt<br />

hat, dass er um 1000 Ecken Michael<br />

Fassbender kennt oder einen schönen<br />

Kaschmir-Pulli trägt. Sie sind eine stilvolle<br />

Person, wählen Sie also auch Ihre<br />

Partner mit Bedacht. Uns ist klar, dass<br />

Sie das jetzt nicht hören wollen, aber:<br />

es gibt noch etwas anderes als Sex.<br />

Essen zum Beispiel, das macht auch<br />

Spaß.<br />

STEINBOCK<br />

22. Dezember - 20. Januar<br />

Sie sind Kraftwerk-Fan und würden<br />

am liebsten in einer Bauhaus-Wohnung<br />

leben? Sie lieben die harten Kontraste<br />

von Céline und die Steifheit von<br />

Prada und schütteln den Kopf über die<br />

wirren Affären Ihrer Freundinnen? Ok,<br />

lassen wir das. Sie haben Ihr Leben<br />

im Griff. Das ist toll. Nutzen Sie jedoch<br />

die kommenden Monate, um das Genießen<br />

zu üben. Kaufen Sie sich ein<br />

körperumschmeichelndes Kleid von<br />

Alaia oder einen engen, sanften Wollpullover.<br />

Verlieben Sie sich einfach um<br />

mal wieder zu spüren, wie schön sich<br />

das anfühlt. Seien Sie einfach mal ein<br />

bisschen weicher.<br />

WASSERMANN<br />

21. Januar - 19. Februar<br />

Sie sprudeln über vor kreativen Einfällen,<br />

aber Sie haben das Problem, dass<br />

Sie sich viel zu sehr von außen leiten<br />

lassen. Sie sind toll, verstecken Sie<br />

sich nicht hinter Kollegen oder Ihrem<br />

Partner. Die Zeit, dass Sie freundlich lächeln,<br />

während sich andere mit Ihren<br />

Ideen schmücken, ist vorbei. Stehen<br />

Sie auf für Ihr Recht auf Erfolg. Fahren<br />

Sie ruhig mal die Ellenbogen aus, und<br />

drängen Sie sich an die Front. Lassen<br />

Sie sich nicht unterkriegen. Am Ende,<br />

da sind wir uns sicher, werden Sie einen<br />

erfolgreichen Herbst erleben, in<br />

dem Sie sich völlig neu kennenlernen.<br />

FISCHE<br />

20. Februar - 20. März<br />

Der Wind rüttelt an den Fenstern, die<br />

Temperaturen sinken unter null. Das<br />

alles macht Ihnen nichts aus. Es sind<br />

die kleinen Freuden, die Ihnen reichen.<br />

<br />

zärtlicher Kuss Ihres Partners, bevor<br />

Sie ins Büro fahren. Wir denken aber,<br />

dass Sie ein bisschen aufpassen sollten.<br />

Zu viel cocooning tut nicht gut, zu<br />

viel Liebe macht einen faul und träge.<br />

Vielleicht sind wir auch nur neidisch.<br />

Nur beschweren Sie sich hinterher<br />

nicht, dass wir Sie nicht gewarnt hätten,<br />

wenn Ihre Freundinnen sie nicht<br />

mehr auf eine Kneipentour mitnehmen.<br />

Nr.11<br />

124<br />

125<br />

Nr.11


IMPRESSUM<br />

<strong>Fräulein</strong> ist eine<br />

Off One’s Rocker Ltd. Produktion<br />

mit Redaktionssitz:<br />

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Chefredakteur und Kreativdirektor<br />

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Götz Offergeld<br />

Stellvertretender Chefredakteur<br />

Hendrik Lakeberg<br />

Creative Consultant<br />

Aoife Wasser<br />

Art Direktion<br />

Andreas Kuschner<br />

Redaktion<br />

Redaktionsleitung<br />

Anna Klusmeier<br />

International Fashion Editor<br />

Bernat Buscato<br />

Mode & Beauty<br />

Sina Braetz<br />

<br />

Leo Saraniecki<br />

Kultur und Politik<br />

Ruben Donsbach<br />

Schlussredaktion<br />

Eckart Eisenblätter<br />

Praktikantin<br />

Beatrice Kittelmann<br />

Fotografen<br />

Courtesy Sprüth Magers, David Fischer, Heiko<br />

Richard , Irina Gavrich, Marcel Schwickerath,<br />

Mario Vilanoena, Matthias Ziegler, Neil Gavin,<br />

Pamela Berkovich, Sabine Volz, Sherry Hormann,<br />

Stefan Armbruster, Toni Nüsse<br />

Illustratoren<br />

Anna Catharina Gebbers, Andreas Steinbrecher,<br />

Anje Jager, Der Stör, Frauke Finsterwalder, Katrin<br />

Funcke, Lenia Hauser, Lisa Kirchner, Miriam<br />

Michelon<br />

Autoren<br />

Anna-Catharina Gebbers, Lorenz Schröter, Maja<br />

Hook, Martin Simons, Michael Obert, Miriam<br />

Suter, Mirna Funk, Robert Grunenberg, Sherry<br />

Hormann, Vanessa Obrecht, Verena Reygers,<br />

Wäis Kiani, Willy Katz<br />

Styling<br />

Max Märzinger , Monika Leuthner,<br />

Ruth Higginbotham, Sara Dunn, Solveig Viola<br />

Verlag<br />

Off Ones Rocker Publishing Ltd.<br />

Kurfürstenstraße 31-32<br />

10785 Berlin<br />

Telefon: +49 (0)30 2888 40 43<br />

Fax: +49 (0)30 2888 40 44<br />

info@fraeulein-magazin.com<br />

Herausgeber: Götz Offergeld<br />

Verlagsleiter: Hannes von Matthey<br />

Idee und Konzept: Götz Offergeld<br />

Vertrieb<br />

BPV Medien Vertrieb GmbH & Co. KG<br />

Römerstr. 90<br />

79618 Rheinfelden<br />

www.bpv-medien.com<br />

Druckerei<br />

Dierichs Druck+Media GmbH & Co. KG<br />

Frankfurter Str. 168<br />

34121 Kassel<br />

www.ddm.de<br />

Cover<br />

Foto: David Fischer<br />

<br />

Anzeigenverkauf:<br />

Nielsen 1 (Hamburg, Berlin, Schleswig-Holstein,<br />

Niedersachsen)<br />

Dirk Struwe, Medienvermarktung e.K.<br />

Poelchaukamp 8, 22301 Hamburg<br />

Telefon: +49 (0)40 280 580 80<br />

Fax: +49 (0)40 280 580 89<br />

d.struwe@struwe-media.de<br />

Nielsen 2 ( Nordrhein-Westfalen)<br />

Andreas Fuchs, Medienservice + Beratung<br />

Vereinsstr. 20, 41472 Neuss<br />

Telefon: +49 (0)2131 406 370<br />

Fax: +49 (0)2131 406 3710<br />

kontakt@medienservice-und-beratung.de<br />

Nielsen 3a (Hessen, R heinland Pfalz, Saarland)<br />

Weipert GmbH<br />

Palais Kronberg, Frankfurter Str. 111,<br />

61476 Kronberg<br />

Telefon: +49 (0)6173 3250 970<br />

Fax: +49 (0)6173 3259 140<br />

helmujun@weipert-net.de<br />

Nielsen 3b (Baden-Württemberg)<br />

Nielsen 4 (Bayern)<br />

Bruno Marrenbach, MMS Marrenbach<br />

Medien-Service<br />

Lachenmeyerstr. 25, 81827 München<br />

Telefon: +49 (0)89 430 88 555<br />

Fax: +49 (0)89 430 88 556<br />

info@mms-marrenbach.de<br />

Nach<br />

der Wahl<br />

ist in<br />

HÄNDLERVERZEICHNIS<br />

A<br />

Acne<br />

www.acnestudios.com<br />

Aesop<br />

www.aesop.com<br />

Alaia<br />

www.theoutnet.com<br />

Alexander Wang<br />

www.alexanderwang.com<br />

Aperlei<br />

www.aperlaiparis.com<br />

Aurélie Bidermann<br />

www.aureliebidermann.com<br />

B<br />

Ben Sherman<br />

www.bensherman.com<br />

Bottega Veneta<br />

www.bottegaveneta.com<br />

Brian Atwood<br />

www.brianatwood.com<br />

Bugaboo<br />

www.bugaboo.com<br />

Burberry<br />

de.burberry.com<br />

C<br />

Camilla and Marc<br />

www.camillaandmarc.com<br />

Cartier<br />

www.cartier.de<br />

Carven<br />

www.carven.com<br />

Casadei<br />

www.casadei.com<br />

Chloé<br />

www.chloe.com<br />

Christian Louboutin<br />

www.christianlouboutin.com<br />

Citizen of Humanity<br />

www.citizensofhumanity.com<br />

COS<br />

www.cosstores.com<br />

Costume National<br />

www.costumenational.com<br />

D<br />

Damir Doma / Mykita<br />

www.mykita.com<br />

Dries van Noten<br />

www.driesvannoten.be<br />

E<br />

Ellery<br />

www.elleryland.com<br />

Etro<br />

www.etro.com<br />

F<br />

farfetch.com<br />

www.farfetch.com<br />

G<br />

Ganni<br />

www.ganni.dk<br />

Giuseppe Zanotti<br />

www.giuseppezanottidesign.<br />

com<br />

Givenchy<br />

www.givenchy.com<br />

H<br />

Helmut Lang<br />

www.helmutlang.com<br />

Hugo by Hugo Boss<br />

www.hugoboss.com<br />

I<br />

Isabel Marant<br />

www.isabelmarant.com<br />

Issey Miyake<br />

www.isseymiyake.com<br />

J<br />

Jil Sander<br />

www.jilsander.com<br />

John Smedley<br />

www.johnsmedley.com<br />

L<br />

L’F<br />

www.lfunisex.it<br />

Loake<br />

www.loake.co.uk<br />

M<br />

M2Malletier<br />

www.m2malletier.com<br />

Marni<br />

www.marni.com<br />

Martone Cycling<br />

www.martonecycling.com<br />

Miu Miu<br />

www.miumiu.com<br />

mytheresa.com<br />

www.mytheresa.com<br />

N<br />

<br />

<br />

net-a-porter.com<br />

www.net-a-porter.com<br />

O<br />

Odeeh<br />

www.odeeh.com<br />

P<br />

Peter Petrov<br />

www.petarpetrov.com<br />

Prada<br />

www.prada.com<br />

R<br />

Richard Anderson<br />

www.richardandersonltd.com<br />

Rokit<br />

www.rokit.co.uk<br />

S<br />

Saint Laurent Paris<br />

www.ysl.com<br />

Sergio Rossi<br />

www.sergiorossi.com<br />

Simone Rocha<br />

www.simonerocha.com<br />

Sonia Rykiel<br />

www.soniarykiel.com<br />

Strenesse<br />

www.strenesse.com<br />

T<br />

The Row<br />

www.therow.com<br />

theoutnet.com<br />

www.theoutnet.com<br />

Topman<br />

de.topman.com<br />

U<br />

unger-fashion.com<br />

www.unger-fashion.com<br />

Ute Ploier<br />

www.uteploier.com<br />

V<br />

Von Rochas<br />

www.rochas.com<br />

W<br />

Wood Wood<br />

www.woodwood.dk<br />

Z<br />

Zorya<br />

www.zorya.eu<br />

der taz.<br />

10 Wochen<br />

taz für<br />

10 Euro<br />

taz.de/wahlabo<br />

Nr.11<br />

126


SACHEN GIBT ES<br />

Illustrationen: Miriam Michelon<br />

WOFÜR WIR<br />

TIERE QUÄLEN<br />

Alleine in Deutschland wurden 2012 knapp drei Millionen<br />

Ratten, Kaninchen, Fische, Primaten und Vögel für<br />

Versuche in der Medizin- Chemie- und Beautyindustrie<br />

herangezogen - und dabei oftmals gequält und getötet.<br />

Tendenz steigend. Weltweit könnten es über 100 Millionen<br />

Tiere sein. Während die Lebensmittelindustrie die Märkte<br />

mit billigem Fleisch überschwemmt und edle Pelze wieder<br />

in Mode kommen, müssen wir uns die Frage stellen, ob<br />

der weltweite Umgang mit Tieren noch unseren ethischen<br />

Standards entspricht? Ob es unser Wohlstand und unsere<br />

Gesundheit wert ist, derart fatal in die Schöpfung einzugreifen?<br />

Die folgenden Beispiele geben nur einen kleinen<br />

Eindruck davon, welche Gräuel Tieren tagtäglich von<br />

Menschen angetan werden.<br />

- Deutschland entwickelt sich langsam<br />

teur.<br />

In unseren Schlachthöfen werden<br />

bis zu 27.000 Tiere pro Stunde getötet<br />

und jährlich über 5,6 Millionen Tonnen<br />

<br />

Millionen Hühner werden zur Fleischgewinnung<br />

gehalten. Das Filet bleibt<br />

meist für die deutschen Haushalte. Der<br />

Rest wird zerkleinert exportiert. Etwa<br />

nach Afrika.<br />

- Durch Überzüchtung zur besseren<br />

Fleischgewinnung stellen sich bei<br />

manchen „Fleischrassen“ (i.e. weißblaue<br />

Belgier Rinder) zunehmend<br />

Gendefekte ein, die sogenannte „Muskelhypertrophie“.<br />

Das Skelett und die<br />

inneren Organe halten der Muskelmasse<br />

nicht mehr stand. Die Tiere<br />

kollabieren unter ihren deformierten<br />

Gelenken.<br />

- Des Weiteren werden in den Mastbetrieben<br />

im „Millisekunden-Takt“<br />

(SZ) männliche Küken geschreddert,<br />

Schweinen die Ringelschwänze abgeschnitten,<br />

damit sie sich diese nicht<br />

gegenseitig unter Stress abbeißen,<br />

Kaninchen werden gar zu Kannibalen,<br />

Kühe „trauern“ nächtelang um die ihnen<br />

abgenommenen Kälber, von denen<br />

in Deutschland jedes Jahr über 340.000<br />

geschlachtet werden.<br />

- Seit 2004 dürfen fertige Kosmetikprodukte<br />

in der EU nicht mehr an<br />

Tieren getestet werden, seit 11. März<br />

2013 ist der Verkauf von an Tieren entwickelten<br />

Kosmetika untersagt. Dennoch<br />

stieg die Zahl der Tierversuche<br />

in der EU zuletzt wieder an. Viele der<br />

Produkte werden einfach im Ausland<br />

vertrieben.<br />

- Bei den Tier-Tests sind starke Verätzungen<br />

und Verbrennungen Normalität.<br />

So werden schleimhautreizende<br />

Stoffe an Kaninchen getestet, der sogenannte<br />

Draize-Test. Dabei sind schon<br />

seit den 80-er Jahren alternative Verfahren<br />

mit Zellkulturen und bebrüteten<br />

Hühnereiern bekannt.<br />

- Nerzöl aus Nerzkadavern in Shampoos,<br />

Haarkuren oder Cremes, Mustelaöl<br />

oder Minkoil genannt, ist für die<br />

Kosmetikbranche eine wichtige Substanz.<br />

Trotz vieler Skandale und Debatten<br />

sind zudem bis heute oftmals<br />

zermuste Tierhäute, zermahlende<br />

Tierknochen und sogar Plazenta in<br />

Antiaging-Cremes enthalten.<br />

- Seit den 1960er-Jahren werden Orcas (Schwertwale) oftmals<br />

als Jungtiere gefangen und in Aquarien ausgestellt. Ihr<br />

außergwöhnliches soziales Verhalten sowie ihre komplexe<br />

Jagdtechnik und Kommunikation wurden von Experten wie<br />

Glen Martin als „Manifestation von Kultur“ beschrieben.<br />

Aufgrund von Stressfaktoren wie kleinen Schwimmbecken<br />

und andauernder Trainingsroutine wurden manchen Orcas<br />

starke Neurosen attestiert. Manche der Tiere sind verstümmelt.<br />

Immer wieder kommt es zu tödlichen Unfällen mit<br />

<br />

32 davon wurden in der Gefangenschaft geboren.<br />

Nr.11<br />

128


www.cartier.de + 49 89 55984-221

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