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<strong>Aino</strong> <strong>Laberenz</strong><br />
Unser <strong>Fräulein</strong> <strong>Aino</strong> Labarenz ist<br />
eine der spannendsten Bühnen- und<br />
Kostümbildnerinnen der Republik.<br />
Auf diesen ersten Seiten zeigt sich die<br />
geborene Finnin schon einmal ganz<br />
privat.
Weitere Informationen über: Max Mara GmbH München Tel. 089/35 04 960<br />
Ingrid Jansen Modevertriebs GmbH Salzburg Tel. 0662/45 62 12<br />
Marco Bruhin & Co. Schlieren Tel. 044/73 22 020 (Max Mara Agenturen)<br />
MAXMARA.COM
Nr.11<br />
4<br />
5<br />
Nr.11
HUGO BOSS AG Phone +49 7123 940<br />
Liebe Leserinnen, liebe Leser,<br />
es kann einem schon etwas<br />
Angst und Bange werden, wenn<br />
man dieser Tage auf die Mode<br />
blickt. Bis auf wenige Ausnahmen<br />
regiert auf den Laufstegen<br />
die große Langeweile. Zwar<br />
unterliegt jede kreative Szene<br />
Zyklen, in denen mal mehr, mal<br />
weniger spannendes entsteht.<br />
Was mich aber besorgt: Ich<br />
kann nicht wirklich erkennen,<br />
woher die neue Impulse heute<br />
kommen sollen!<br />
Das Internet hat der Mode viel<br />
gegeben. Das ist so. Aber es hat<br />
auch zu einem grundlegend negativen<br />
Effekt geführt: Es lässt<br />
die Branche letztendlich zu<br />
dem werden, was ihr die Kritiker<br />
schon immer vorgeworfen<br />
haben: Zu einer sinnentleerten<br />
Hülle, in der die Selbstdarstellung<br />
des Publikums auf sozialen<br />
Netzwerken und Style Blogs das<br />
Wesentliche verdrängt. It-Girls<br />
und Blogger sind zu unseren<br />
neuen Ikonen geworden. Und<br />
das ist ein Problem.<br />
Die Mädchen werden von Designern<br />
mit Klamotten versorgt<br />
und dafür bezahlt, sich bei den<br />
<br />
die Bilder dann auf Instagram<br />
zu posten und mit lächerlichen<br />
Kommentaren wie „die neue<br />
Chanel-Show, Bombe“ und später:<br />
„Me and my Valentino. Just<br />
taking the helikopter to...“ zu<br />
versehen. Nebenher herrscht<br />
<br />
aller Gewalt auf einen Style<br />
Blog zu kommen, ziehen sich<br />
<br />
die Geisterbahn an. Dabei kann<br />
jeder meinetwegen seine „15<br />
minutes of fame“ haben. Wenn<br />
es aber zunehmend nur noch<br />
um das Label, nicht mehr um<br />
die Haltung geht, die ein Kleidungsstück<br />
vermitteln kann,<br />
dann werden diese Mädchen zu<br />
puren Sklaven der Marken, zu<br />
Getriebenen des Hypes.<br />
Egal, ob das nun nach „Alter<br />
Schule“ klingt: Ich wünsche<br />
mir die Zeit zurück, in der die<br />
Leute gebrannt und sich darum<br />
geprügelt haben, in die Shows<br />
zu kommen. Weil sie wirklich<br />
sehen wollten, was die Designer<br />
ihnen dort präsentieren. Die<br />
Zeit, in der man jeden Soundtrack<br />
haben wollte, der auf den<br />
Laufstegen lief, Magazine noch<br />
eigene Trends gesetzt und nicht<br />
nur 1 zu 1 kopiert haben. In der<br />
es um Dissidenz, um Haltung<br />
und um Schönheit ging. Ich<br />
wünsche mir die Zeit zurück,<br />
in der in der Branche ernsthaft<br />
über Kunst, Musik und Kultur<br />
diskutiert wurde, in der es um<br />
das einzelne Teil ging, den einen<br />
Song, das singuläre Ereignis,<br />
das Hier und das Jetzt.<br />
Die Mode, die wir lieben,<br />
braucht kreative Innovatoren.<br />
Was passiert, wenn die Suzy<br />
Menkes und Anna Wintours<br />
dieser Welt von der großen<br />
Bühne abgetreten sind? Wenn<br />
Schema F regiert?<br />
Die Aufgabe der Modebranche<br />
war es immer, als kulturelle<br />
Avantgarde Trends zu setzen.<br />
Dafür braucht man eine eigene<br />
Meinung, einen eigenen Kopf.<br />
Das wiederum scheint auch bei<br />
vielen Labels nicht mehr gefragt<br />
zu sein. Und damit kommen wir<br />
zum Kern des Problems:<br />
In den letzten Jahren haben sich<br />
in der Modewelt übermächtige<br />
Globalplayer gebildet. Traditionsmarken<br />
werden geschluckt<br />
und gnadenlos auf internationalen<br />
Markt und maximale<br />
<br />
und überall zu gefallen ist man<br />
nicht mehr bereit, Risiken einzugehen.<br />
Modestrecken, ehemals die<br />
identitätsstiftende Signatur der<br />
Magazine, dürfen oftmals nur<br />
noch komplett im Totallook fo-<br />
<br />
und Detail bleibt kein Raum.<br />
Kein Wunder also, das nichts<br />
Neues entsteht und die Hefte<br />
zunehmend wie PR-Wüsten<br />
aussehen, das PR-Agenturen<br />
ihren Kunden nur noch das<br />
sichere Ding, das Mainstream-Magazin<br />
als Werbekunden<br />
vorschlagen.<br />
Sind wirklich die Blogs und<br />
Streetstyle-Seiten die Antwort?<br />
Reichen Websites, auf denen<br />
ein Turnschuh auf den anderen<br />
folgt und klar ist, dass für jeden<br />
zweiten Post bezahlt wurde?<br />
Brauchen wir nicht vielleicht<br />
doch Medien mit eigener Meinungen<br />
und starken Inhalten?<br />
Medien, die kritisch und ehrlich<br />
berichten, die sich ihre Glaubhaftigkeit<br />
erhalten haben?<br />
So ein Magazin will und soll die<br />
<strong>Fräulein</strong> sein. Wir wollen Spaß<br />
haben und etwas schaffen,<br />
auf das wir stolz sein können.<br />
Wollen keine Standardlisten<br />
abarbeiten, sondern das Neue<br />
begrüßen und fördern. Ich weiß<br />
sehr wohl, dass es noch viele<br />
Blogs, PR-Agenturen und Magazine<br />
gibt, die sich ihrer Verantwortung<br />
bewusst sind und<br />
genau so denken wie wir. Aber<br />
ich sehe auch, dass es immer<br />
weniger werden. Wir sollten<br />
uns also Sorgen machen, aber<br />
nicht die Hoffnung verlieren.<br />
Ich wünsche Ihnen<br />
viel Spaß beim Lesen!<br />
Ihr Götz Offergeld<br />
Nr.11<br />
6<br />
7<br />
SHOP ONLINE HUGOBOSS.COM<br />
Nr.11
Nr.11<br />
8<br />
9<br />
Nr.11
Illustration: Der Stör<br />
DIE ELEFANTENDOLMETSCHERIN<br />
Wie spricht man denn mit Elefanten?<br />
Eine Reise ins Herz von Afrika.<br />
S.100<br />
QUAL DER TIERE<br />
Ob Nahrungsmittel-. Unterhaltungs-<br />
oder Modeindustrie,<br />
überall leiden Tiere für unser<br />
Wohl. Wir müssen umdenken.<br />
S.128<br />
AINO LABERENZ<br />
ist das <strong>Fräulein</strong> der Ausgabe. Die<br />
Kostümbildnerin und Witwe von<br />
Christoph Schlingensief öffnet<br />
uns ihr Herz.<br />
S.60<br />
MARINA ABRAMOVIC<br />
ist eine besessene Kunst-Arbeiterin. Dass<br />
der Körper eine Waffe sein kann, verrät sie<br />
uns im Interview.<br />
S.92<br />
YVA<br />
<br />
eine der großen Frauen der<br />
Weimarer Republik. Sie<br />
verdient es, wiederentdeckt<br />
zu werden.<br />
S.50<br />
SUI HE<br />
hat kämpfen müssen. Jetzt<br />
gilt sie als neues Gesicht<br />
Asiens. Der Durchbruch!<br />
S.18
CONTRIBUTORS<br />
LISA KIRCHNER<br />
In ihren Illustrationen zum Horoskop sind<br />
Buchstaben mehr als ein paar Linien, schaut<br />
man genauer hin, dann eröffnen sie ganze<br />
Welten.<br />
MAJA HOOK hat gerade noch ihren Master<br />
verteidigt. In ihrer „ersten“ <strong>Fräulein</strong> hat sie gleich<br />
zwei Interviews. Glückwunsch!<br />
VANESSA OBRECHT<br />
Unsere liebste Schweizerin hat für uns ein tolles Interview<br />
mit der Designerin Angela Missoni geführt.<br />
Wir hoffen sehr, dich bald wieder öfter bei uns in<br />
der Redaktion zu sehen Vanessa.<br />
STEFAN ARMBRUSTER zeigt in<br />
seiner Modestrecke, dass die neuen Männer<br />
cool und selbstsicher sein können, ohne<br />
in überholten Rollen-Bildern hängen zu<br />
bleiben.<br />
MARTIN SIMONS hat<br />
kein Smartphone ist aber<br />
super smart wenn es um tolle<br />
Beiträge für unser Magazin<br />
geht. Seine Geschichte des<br />
<br />
sophisticated“.<br />
MARIO VILANOENA<br />
Karneval oder Streetstyle? Heute<br />
manchmal schwer zu unterscheiden.<br />
<br />
Streetstyles“ der Fashion Week 2013.<br />
SOLVEIG VIOLA machte <strong>Aino</strong> <strong>Laberenz</strong><br />
mit ihrem feinfühligen, humorvollen Styling noch<br />
schöner. Très jolie, très chic, très bien.<br />
MIRIAM SUTER führte ein sehr<br />
intimes und dabei humorvolles Interview<br />
mit der Performance-Künstlerin Marina<br />
Abramovic. Danke nach Aarau!<br />
MICHAEL OBERT<br />
Unser Reporter ohne Grenzen reiste<br />
diesmal für <strong>Fräulein</strong> nach Afrika und kam<br />
mit einer packenden Geschichte über<br />
eine eigenwillige Frau zurück, die uns tief<br />
berührte.<br />
LENIA HAUSER<br />
Simplizität kann viel stärker zuschlagen<br />
als wir oft denken. Bester Beweis: Die<br />
Illustration, die Master-Studentin Lenia<br />
für unser Rezept entworfen hat!<br />
ANNA CATHARINA GEBBERS<br />
sprach für uns mit unserem <strong>Fräulein</strong>n<br />
<strong>Aino</strong> <strong>Laberenz</strong>. Ausgeruht und klug -<br />
genau so wie wir es lieben.<br />
SABINE VOLZ Weil provokant<br />
und einfach anders als der<br />
Mainstream: Sabines Foto für unser<br />
Rezept zeigt...die nackte Wahrheit!<br />
ANJE JAGER gehört mit ihren Illustrationen<br />
zum ästhetischen Fundament von <strong>Fräulein</strong>.<br />
Erscheint dieses Heft ohne Anjes kunstvolle Zeichnungen<br />
würde eine Ära zu Ende gehen.<br />
ROBERT GRUNENBERG Erst wollte er<br />
ein Praktikum machen, dann lieber gleich als<br />
Fashion-Reporter anfangen. Das war die richtige<br />
Entscheidung. Stella McCartney entlockte er im<br />
Interview die schönsten Bekenntnisse.<br />
KATRIN FUNCKE hat für uns gewohnt<br />
stilsicher die Rubrik „Antifräulein“ illustriert.<br />
Fast zuviel der Ehre für Rihanna.<br />
MIRIAM MICHELON<br />
Bestes Beispiel einer Künstlerseele. Ihre Illustration<br />
für unsere Rubrik „Sachen gibt´s“ lassen<br />
Gänsehaut entstehen.<br />
IRINA GAVRICHS poetische Fotoserie<br />
einer durch Wien tanzenden Unbekannten, trifft<br />
ziemlich genau unsere Herbst-Stimmung. Ein<br />
<strong>Fräulein</strong>-Liebling dieser Ausgabe.<br />
LORENZ SCHRÖTER ist ein Partisan<br />
des deutschsprachigen Reportagejournalismus. Er<br />
hat die Welt gesehen, für Tempo und das Zeitmagazin<br />
geschrieben. Für <strong>Fräulein</strong> hat er einen so witzigen<br />
wie schlauen Essay über die zweitberühmteste<br />
Katze der Welt geschrieben.<br />
DER STÖR hat unser Inhaltsverzeichnis<br />
zu einem echten Kunstwerk<br />
gemacht. Was für ein schöner Start in<br />
die neue <strong>Fräulein</strong>!<br />
BERNAT BUSCATO<br />
Unser Fashion-Botschafter in New<br />
<br />
<strong>Fräulein</strong> Magazin. Styling on a global<br />
scale. Thanks a lot, Bernat.<br />
BEATRICE KITTELMANN<br />
Wir haben ja schon einige SchülerpraktikantInnen<br />
in der Redaktion gehabt, aber noch keine, die auf die<br />
Beatles, Joy Division und alte Hollywood-Klassiker<br />
steht. Hat Spaß gemacht Bea!<br />
HEIKO RICHARD<br />
gehört schon längst zur innersten <strong>Fräulein</strong>-Familie.<br />
5 Minuten hatte er Zeit, das<br />
<br />
genau den richtigen Moment erwischt.<br />
Unser Cartier-Bresson des Monats.<br />
ANDREAS STEINBRECHER<br />
Ain´t no rules, außer: In der Ruhe<br />
liegt die Kraft. Das Ergebnis: wunderschöne<br />
Illustrationen, die der frische<br />
Bachelor-Absolvent für unsere Essays<br />
gezeichnet hat.<br />
MARCEL SCHWIECKENRATH<br />
<br />
coole Portrait von Marla Blumenblatt.<br />
DAVID FISCHER ist ein Berliner Trickster<br />
vor dem Herren. Für die Titelgeschichte<br />
der <strong>Fräulein</strong> hat er uns eine großartige Fotostrecke<br />
mit <strong>Aino</strong> Labarenz gezaubert. Boom!<br />
MATTHIAS ZIEGLER<br />
begab sich mit Michael<br />
Obert auf die Spuren einer<br />
Elefanten-Dolmetscherin.<br />
Seine Fotos lassen uns in die<br />
Geschichte eintauchen wie in<br />
einen Film.
Nr.11<br />
14<br />
15<br />
Nr.11
TALENT<br />
Text: Hendrik Lakeberg<br />
savages<br />
„HALT DIE KLAPPE, WELT“<br />
EINE SÄNGERIN, DIE MIT KURT COBAIN VERGLICHEN WIRD, KEINE SMARTPHONES<br />
AUF KONZERTEN, EIN MANIFEST AUF DEM COVER – DIE BAND SAVAGES HAT<br />
GROSSE ZIELE UND DAS DEBÜTALBUM DES JAHRES ABGELIEFERT.<br />
Im Endeffekt sind es jedes Jahr weltweit eine<br />
Handvoll Bands, die in den Kritikerlisten ganz<br />
oben stehen. Daran kann man erkennen, dass<br />
sich der globale Musikgeschmack immer stärker<br />
angleicht, aber man sieht auch jedes Mal<br />
aufs Neue, dass die Vorlieben der Kritiker andere<br />
sind als die des großen Publikums. Besonders<br />
gefeiert wurde von der Kritik in diesem Jahr zu<br />
Recht die Londoner Band Savages. Vier Frauen,<br />
deren Live-Performances vor allem durch die Sängerin<br />
Jehnny Beth eine atemberaubende Energie<br />
<br />
zu den interessantesten und mitreißendsten Platten<br />
des Jahres gehört. Jehnny Beth wurde sogar mit Nirvana-Frontmann<br />
Kurt Cobain verglichen. Musikalisch<br />
beziehen sich die Savages auf den Postpunk der frühen<br />
Achtziger und späten Siebziger, auf Bands wie The Slits,<br />
Joy Division, Wire zum Beispiel oder die große Punk-Ikone<br />
Patti Smith. Das tun andere auch,<br />
doch nur wenige nehmen ihre Musik<br />
so ernst und verfolgen sie so konsequent<br />
wie diese Band. In den kalten, wütenden<br />
und an den richtigen Stellen feinfühligen<br />
SILENCE YOURSELF von Savages ist das<br />
meistbeachtete Debütalbum des Jahres. In<br />
Deutschland spielt die Band am 23.11. in<br />
Hamburg und am 22.11. in Berlin.<br />
Texten steckt ein tiefes Verständnis davon,<br />
wie sich die Gegenwart anfühlt: deren Ner-<br />
schaftliche<br />
Druck, der von ihr ausgeht. Deshalb<br />
rufen Savages auf ihren Konzerten dazu auf, die<br />
Welt für ein, zwei Stunden auszuschließen, keine<br />
Smartphones zu benutzen, kein Instagram<br />
oder Facebook, keine Videoaufnahmen – nur der<br />
Moment und die Energie der Musik. Was wäre<br />
dies also für eine kluge Welt, wenn statt Katy Perry,<br />
Rihanna oder Miley Cyrus diese Band die Radios,<br />
Charts, Magazine und unsere Gedanken beschäftigen<br />
würde. Was Kritiker und auch wir an den Savages<br />
lieben, ist eine Behauptung: nämlich, dass Musik etwas<br />
bewirken kann, dass sie kathartisch sein und darüber<br />
hinaus ein Ziel geben kann. Welches das sein könnte,<br />
schreiben sie in ihrem Manifest, das auf das Frontcover<br />
ihrer Platte gedruckt ist: IF THE WORLD WOULD SHUT<br />
UP EVEN FOR A WHILE / PERHAPS<br />
WE WOULD START HEARING THE<br />
<br />
<br />
OURSELVES<br />
Nr.11<br />
Nr.11 16<br />
FOLLOW YOUR NATURE<br />
17<br />
SHOP MARC-O-POLO.COM<br />
Nr.11
DURCHBRUCH<br />
Text: Robert Grunenberg<br />
Foto: Heiko Richard<br />
sui he<br />
DAS CHINESISCHE<br />
TOPMODEL SUI HE<br />
HAT ES GESCHAFFT<br />
– SIE ZÄHLT ZU<br />
DEN AM MEISTEN<br />
FOTOGRAFIERTEN<br />
GESICHTERN DER<br />
MODEWELT UND<br />
DAS IN EINER<br />
BRANCHE, IN DER<br />
ASIATISCHE MODELS<br />
NOCH IMMER<br />
UNTERREPRÄSEN-<br />
TIERT SIND.<br />
Sui He schmunzelt mit fernöstlicher<br />
Zurückhaltung, wenn sie über ihre<br />
außergewöhnliche Modelkarriere<br />
sprechen soll. Seit zwei Jahren schießt<br />
die 23-jährige Chinesin raketengleich<br />
durch den Modekosmos: Magazincover,<br />
Runways, Exklusiverträge für<br />
riere<br />
wirk fast wie kuratiert. Doch Hes<br />
Geschichte ist anders als die der meisten<br />
Topmodels. Aus ihr wäre nämlich<br />
beinahe keins geworden.<br />
He wird 1989 in Wenzou, einem kleinen<br />
Dorf am Ostchinesischen Meer<br />
geboren. Die nächst größere Stadt ist<br />
Beijing, dort nimmt sie 2006 mit 17 Jahren<br />
an einem Model-Contest teil, den<br />
sie zu ihrer Überraschung gewinnt.<br />
„Ich war damals sehr schüchtern und<br />
hatte wenig Selbstvertrauen“, sagt He.<br />
Die Schüchternheit merkt man ihr<br />
heute nicht mehr an. Sie ist souverän,<br />
professionell und wirkt in sich ruhend.<br />
Doch bis hierhin war es ein steiniger<br />
Weg, sagt sie aufgeregt. Denn nach<br />
dem Model-Wettbewerb zündete ihre<br />
Karriere nicht so richtig. Sie arbeitet<br />
zunächst fünf Jahre in China ohne allzu<br />
viel zu tun zu haben. Das änderte sich<br />
<br />
2011 einen Vertrag mit einer renommierten<br />
Modelagentur unterzeichnete.<br />
„Ich wollte wissen, ob ich eine Chance<br />
im Ausland habe, in China war ich nur<br />
eine Nummer“, sagt sie. Die Chance<br />
bekam sie.<br />
Für die Winterkollektion 2011/12 eröffnet<br />
He als erstes chinesisches Model<br />
eine Ralph-Lauren-Show. Darauffolgend<br />
posiert sie in unzähligen Kampagnen,<br />
bekommt als erste Chinesin<br />
einen Exklusiv-Vertrag mit der japa-<br />
<br />
als zweites chinesisches Model eine<br />
Victoria-Secret-Show und wird 2013<br />
<br />
Gesicht der Mercedes-Benz Fashion<br />
Week Berlin gekürt.<br />
Mit dieser beeindruckenden Erfolgsserie<br />
ist He als chinesisches Model<br />
jedoch eine Ausnahme. Models mit<br />
afrikanischen, asiatischen und lateinamerikanischen<br />
Wurzeln werden<br />
immer noch unter der Kategorie „exotisch“<br />
verbucht. Dafür sprechen auch<br />
die Zahlen: Bei der vergangenen New<br />
<br />
83% der Models „weiß“, wohingegen es<br />
nur 9% asiatische Models gab. Wenngleich<br />
das Thema ‚ethnische Diversität’<br />
seit den letzten 15 Jahren zunehmend<br />
diskutiert wird, Erfolgsgeschichten<br />
wie die von He sind noch immer ein<br />
Novum.<br />
Paradoxerweise ändert der Durchbruch<br />
asiatischer Models im Westen<br />
auch das Schönheitsbild in Asien.<br />
International erfolgreich arbeitende<br />
Models aus China entsprechen wegen<br />
ihrer differenzierteren Looks weniger<br />
dem klassischen chinesischen Konzept<br />
der Makellosigkeit. So ziert Sui He heute<br />
das Cover der chinesischen „Vogue“,<br />
auf das sie es ohne ihre Karriere im<br />
Westen nicht geschafft hätte.<br />
Ihren Erfolg erklärt He jedoch nicht<br />
nur durch ihr Aussehen: „Ich stresse<br />
mich nicht, um noch höher und höher<br />
zu kommen. Ich versuche trotz harter<br />
Arbeit, immer natürlich zu bleiben.<br />
Das ist mein Geheimnis.“<br />
In Wenzhou, sechs Stunden von Beijing<br />
entfernt, träumte Sui He schon als Kind<br />
von der großen Karriere. Mit Kate Moss als<br />
Vorbild ist die 24-Jährige das erste<br />
chinesische Supermodel geworden.<br />
„ICH WOLLTE WISSEN, OB ICH<br />
EINE CHANCE IM AUSLAND<br />
HABE, IN CHINA WAR ICH<br />
NUR EINE NUMMER“<br />
Nr.11<br />
18<br />
19 Nr.11
ESSAY<br />
Text: Willy Katz<br />
Illustration: Andreas Steinbrecher<br />
kuratiertes leben<br />
Seit der Informationsüberschuss des<br />
Internets immer größer und bedrohlicher<br />
zu werden scheint, hat sich das<br />
„Kuratieren“ zum Zauberwort gemausert.<br />
Es werden Bilder, Klamotten, Konzerte,<br />
Kunst, es werden ganze Lebensstile<br />
kuratiert. Dabei sind<br />
Kuratoren Gatekeeper und Wirklichkeitskonstrukteure.<br />
Sie entscheiden im<br />
Austausch mit Zuschauern und Markt,<br />
was sichtbar gemacht wird, was in<br />
den Kanon und damit die Geschichte<br />
übergehen soll. Bisher waren sie in der<br />
Regel mal besser und mal schlechter<br />
bezahlte Kunstwissenschaftler, Galeristen,<br />
Blogger oder Start-up-Unternehmer.<br />
Das könnte sich nun ändern. Mit großem<br />
Pomp hat Apple vor Kurzem sein<br />
neues iPhone 5S präsentiert, was es<br />
nun auch, farblich zur Vernissage passend,<br />
im Champagner-Ton gibt. Natürlich<br />
ist die Kamera wieder besser<br />
als jemals zuvor, die Farben brillanter,<br />
der Blitz noch intelligenter. Doch die<br />
integrierte iSight Kamera hat auch<br />
eine neue Funktion, die womöglich die<br />
Art und Weise, wie wir uns erinnern,<br />
verändern wird: die Serienbildfunktion<br />
„Burst Mode“. Damit kann man in der<br />
APPLES LOGARITHMEN UND DU<br />
Sekunde bis zu zehn Bilder aufnehmen.<br />
Der Clou: das iPhone wählt daraus<br />
das beste aus. Automatisch.<br />
Einerseits kann man sich also freuen.<br />
Selbst wenn man auf einer Party<br />
ziemlich angeschossen die neue Fingerabdrucksperre<br />
überwunden und<br />
den Auslöser bedient hat, werden<br />
auf den perfekt ausgeleuchteten und<br />
<br />
Augen aufhaben und gut rüberkommen,<br />
wird sich am nächsten Morgen<br />
ein Facebook-, Twitter- oder Ins-<br />
<br />
(wenn es über IFTTT nicht längst<br />
automatisch online gestellt wurde).<br />
Diese automatisierte Hilfe bedeutet<br />
aber auch, dass das eigene Leben eben<br />
kuratiert wird, man im Sinne des Wortes<br />
„curare“ Apple Sorge tragen lässt,<br />
wie man in der parallelen Wirklichkeit<br />
der sozialen Netzwerke rüberkommt.<br />
Wenn aber zunehmend Maschinen<br />
oder Smartphones diese Auswahltätigkeit<br />
übernehmen, wenn die Selektion<br />
von Schönheit, von Norm, von Richtig<br />
und Falsch, von sichtbar und unsichtbar,<br />
global von Apples Logarithmen<br />
überformt wird, dann muss man sich<br />
wohl Sorgen machen.<br />
Der „Burst Mode“ mag nur eine unwesentliche<br />
Fotofunktion sein. Im Prinzip<br />
ist sie aber ein weiterer Schritt in die<br />
Richtung Wahlfreiheit, die ja nicht nur<br />
eine Anstrengung, sondern ein Grundrecht<br />
ist, an einen externen Dienstleister<br />
„auszusourcen“. Was wiederum<br />
den Kern unseres Wirtschaftssystems<br />
trifft, das Wahlfreiheit und Individualität<br />
dort am aggressivsten suggeriert,<br />
wo diese doch längst abgeschafft worden<br />
sind.<br />
Die freiwillige Abgabe der Wahl an einen<br />
Dienstleister ist dabei nicht nur<br />
demokratietheoretisch problematisch.<br />
Selbstbestimmt eine Entscheidungen<br />
zu treffen bedeutet Mündigkeit und<br />
Reife. Darauf zu verzichten bedeutet<br />
eine Infantilisierung, die zusammenpasst<br />
mit dem Phänomen, dass junge<br />
Frauen auf einmal wie Minni Maus<br />
sprechen und damit Feministinnen<br />
aller Orten in den Wahnsinn treiben.<br />
Außerdem symbolisiert die machtvolle<br />
Homogenisierung von Geschmack in<br />
der Apple-Welt, die immer sauber, perfekt<br />
und glücklich daherkommt, eine<br />
Leben, welches es so ja gar nicht gibt.<br />
Und wer erst einmal Kontrolle über die<br />
Erinnerung hat, der gestaltet auch die<br />
Gegenwart und Zukunft mit.<br />
Die Medien haben Welt natürlich noch<br />
nie 1:1 wiedergegeben. Immer gab es<br />
Genreregeln, Normen oder Tabus, die<br />
die Narration unserer Kulturen machtvoll<br />
bestimmt haben. Jede Erinnerung,<br />
die wir haben, ist zusammengesetzt<br />
aus älteren Wahrnehmungssplittern<br />
und nachträglicher Sozialisation. Aber<br />
dies sind die Spielregeln der Evolution,<br />
der Biologie, der neuronalen Disposition.<br />
Die Digitalisierung ist noch immer ein<br />
großes Versprechen. Ihre Geschichte<br />
ist im Fluss. Wir haben die Wahl, so die<br />
wahrscheinlich naive Hoffnung, ob sie<br />
von uns selbst oder von den Logarithmen<br />
der großen Internetunternehmen<br />
erzählt und erinnert werden soll.<br />
Nr.11<br />
20<br />
21
KURZGESCHICHTE<br />
A L S F I L M I S C H S T E R<br />
U N T E R D E N E W I G E N<br />
S T I L S TA N D A R D S S P I E LT<br />
D E R T R E N C H C O AT E I N E<br />
K L E I N E H A U P T R O L L E I N<br />
D I E S E R G E S C H I C H T E Ü B E R<br />
E I N E E R WA C H E N D E L I E B E<br />
U N D D A S S C H E I T E R N I M<br />
L E B E N – E I N A U S Z U G<br />
A U S D E M G E R A D E<br />
E R S C H I E N E N E N<br />
R O M A N „ D I E<br />
F R E I H E I T A M<br />
M O R G E N “ D E S<br />
F R Ä U L E I N - A U T O R S<br />
MARTIN SIMONS.<br />
Einmal sind sie nachmittags<br />
zum Kino verabredet. Als er sich<br />
ihrem vereinbarten Treffpunkt am<br />
Hackeschen Markt nähert, sieht<br />
er sie in ihrer dünnen Lederjacke<br />
regungslos im Eiswind stehen, als<br />
mache ihr die Kälte überhaupt nichts<br />
aus. Doch als er sie umarmt, spürt er,<br />
wie sie innerlich geschüttelt wird.<br />
»Wir lassen das Kino und kaufen dir<br />
warme Sachen.«<br />
»Es wird bald Frühling.«<br />
»In zwei Monaten.«<br />
»Eben, bald.«<br />
»Du brauchst<br />
einen Mantel.«<br />
»Auf keinen<br />
Fall.«<br />
Aber er<br />
akzeptiert<br />
kein Nein.<br />
Er kann<br />
ihren<br />
Anblick<br />
in<br />
völlig unzureichender Kleidung<br />
nicht mehr ertragen. Zunächst will<br />
sie davon nichts hören, sie könne<br />
Einkaufen nicht ausstehen, aber als<br />
er auf die jetzt teilweise um über<br />
die Hälfte reduzierten Preise für<br />
Winterkleidung verweist, folgt sie ihm<br />
zögernd in ein Geschäft. Zuvor legt sie<br />
ihre Regeln fest: »Zweihundert Euro,<br />
nicht mehr. Und wenn mir etwas nicht<br />
gefällt, wird darüber auch nicht weiter<br />
diskutiert.«<br />
Innerhalb des so eingeschränkten<br />
Angebots fällt die Wahl auf einen<br />
ultramarinblauen Trenchcoat, der<br />
nicht gefüttert ist, aber immerhin<br />
ihre Beine bis über die Knie bedeckt.<br />
Dazu erlaubt das Budget noch<br />
den Kauf eines himmelblauen<br />
Kaschmirschals. Beides zusammen<br />
steht ihr ausgezeichnet. Der Mantel<br />
verleiht ihrer schlanken Figur<br />
Anmut und Eleganz. Der Schal<br />
betont die feinen Züge ihres blassen<br />
Gesichts und harmoniert mit dem<br />
rötlichen Schimmer ihrer Haare.<br />
Mara betrachtet sich im Spiegel,<br />
<br />
schnell ziehender Wolkenschatten,<br />
ein kaum wahrnehmbares Lächeln<br />
auf ihrem Gesicht. Sie behält den<br />
Mantel sogleich an und lässt sich ihre<br />
Lederjacke vom Verkäufer in eine<br />
Tüte einpacken.<br />
Beim<br />
Verlassen des Ladens wird Mara von<br />
einem älteren Mann erkannt. Der<br />
Unbekannte berührt sie am Arm und<br />
sagt: »Das ist ja eine Überraschung.«<br />
Mara wird noch blasser, als sie<br />
sowieso schon ist, und sagt erst mal<br />
nichts. Es ist offensichtlich, dass ihr<br />
diese Begegnung in seinem Beisein<br />
nicht recht ist.<br />
»Ich habe Sie zu erreichen versucht.<br />
Wo waren Sie, wie geht es Ihnen?«<br />
Zu seiner Erleichterung erweist<br />
sich der Mann bloß als Maras<br />
ehemaliger Klassenlehrer. Er hat<br />
seine Schülerin seit dem Abitur<br />
nicht mehr gesehen. Aus dem<br />
Wenigen, das die beiden miteinander<br />
sprechen, erfährt er, dass Mara<br />
damals Jahrgangsbeste war und mit<br />
einem durch den Lehrer vermittelten<br />
Stipendium hätte studieren sollen.<br />
Doch irgendetwas ging schief. Der<br />
Lehrer zeigt sich von Maras reichlich<br />
vager Auskunft, die letzten Jahre<br />
mehr oder weniger auf Reisen im<br />
Ausland verbracht zu haben, wobei<br />
die Plan- und Richtungslosigkeit<br />
dieses ganzen Unternehmens klar<br />
aus ihren ausweichenden,<br />
verschleiernden<br />
Formulierungen spricht, sichtlich<br />
enttäuscht. Er gibt ihr zum Abschied<br />
seine Telefonnummer, damit sie ihn<br />
anruft, falls sie doch noch an ein<br />
Studium denken will, dafür sei es ja<br />
nicht zu spät.<br />
Auf dem Weg zurück schweigt<br />
Mara. Es ist klar, dass sie nicht über<br />
die Begegnung mit ihrem Lehrer<br />
sprechen will. Doch er kann seine<br />
nun einmal geweckte Neugier nicht<br />
bezwingen.<br />
»Warum hast du nicht studiert, wenn<br />
man dir sogar ein Stipendium<br />
gegeben hat?«<br />
»Ein<br />
Studium und ich haben einfach<br />
nicht zusammengepasst.«<br />
»Aber du hast es<br />
versucht?«<br />
»Dreimal.«<br />
»In Berlin?«<br />
»Ja.«<br />
»Und wo noch?«<br />
»Ist das wichtig?«<br />
Sie streicht ihm<br />
durchs Haar<br />
und<br />
küsst ihn. »Danke für den<br />
Mantel.«<br />
»Du wirkst<br />
darin<br />
unnahbar wie ein Filmstar.«<br />
»Nicht wahr, aber wer?«<br />
»Ich komme gerade nicht darauf.<br />
Jedenfalls aus einer legendär<br />
glamourösen Zeit. Frankreich oder<br />
Italien. Paris oder Rom. Irgendwann<br />
in den frühen Siebzigern.«<br />
»Schau, ich gehe sogar viel<br />
selbstbewusster.«<br />
Sie führt ihm ihren selbstbewussten<br />
Gang vor. Über ihr abgebrochenes<br />
Studium sprechen sie nicht mehr.<br />
Foto Heiko Richard<br />
Haare & Make-up Sonja Shenouda mit Produkten von MAC<br />
Model Celyn / Viva<br />
Assistent Lennart Etsiwah<br />
Martin Simons, Die Freiheit am Morgen, 349 Seiten,<br />
HOFFMANN UND CAMPE VERLAG, 19,99€<br />
Trenchcoat Alexander Wang<br />
über theoutnet.com, ca. 900 Euro<br />
Nr.11 Nr.11<br />
22 22<br />
23 23<br />
Nr.11 Nr.11
KUNST<br />
Text: Hendrik Lakeberg<br />
Foto: Courtesy Sprüth Magers<br />
NEUE<br />
FELDER<br />
STILL UND FERNAB<br />
VON SPEKTAKELN<br />
IST ROSEMARIE<br />
TROCKEL ZU EINER<br />
DER BEDEUTENDSTEN<br />
KÜNSTLERINNEN<br />
DER GEGENWART<br />
GEWORDEN.<br />
Man sollte dankbar für eine Künstlerin<br />
wie Rosemarie Trockel sein. Ohne großes<br />
Tamtam, ohne die Eitelkeitsallüren<br />
ihrer männlichen Kollegen, wurde sie<br />
zu einer der bedeutendsten Künstlerinnen<br />
überhaupt – sagen Ranglisten<br />
wie das Top 100 Ranking von Artfacts.<br />
net (Platz 13) oder der Kunstkompass,<br />
bei dem sie hinter Gerhard Richter und<br />
Bruce Naumann mittlerweile auf Platz<br />
drei steht – übrigens als erste Frau.<br />
Man kann solche Bemühungen Kunst<br />
und Künstler zu messen und in dubiose<br />
Ranglisten zu pressen, zu Recht<br />
kritisieren. Folgen sie im Prinzip doch<br />
auch nur dem männlich geprägten<br />
spektakelgierigen und spekulationshungrigen<br />
Kunstmarkt. Sich auf die<br />
Schulter klopfen, weil man einen echten<br />
Trockel gekauft hat, sollte man<br />
sich aber nicht nur, weil irgendwelche<br />
Best-of-Listen seinen Wert behaupten,<br />
sondern weil es Rosemarie Trockel erstaunlich<br />
insistierend schafft, immer<br />
wieder neue ästhetische Felder zu beackern.<br />
Dass ihr das gelingt, liegt daran,<br />
dass ihr Werk das Ergebnis eines Anliegens<br />
ist, einer grundlegenden, nicht<br />
müde werdenden Skepsis der Welt, der<br />
Gesellschaft, den Geschlechterrollen<br />
gegenüber von ihren Strickbildern, die<br />
sie berühmt gemacht haben, weil sie<br />
das Machodiktat des hemdsärmeligen<br />
Öl-Malers durchbrachen, über Installationen<br />
und Performances bis hin zu<br />
der feinen farbenfrohen Acrylmalerei,<br />
die sie gerade bei Sprüth Magers in<br />
mer<br />
neue Formen für ihre pointierten<br />
Gegenwartsanalysen.<br />
Bis heute ist es also nicht allein ihre Bekanntheit,<br />
sondern die Themenvielfalt,<br />
wegen der Kuratoren im kommenden<br />
Jahr mehr denn je ausstellen. Wegen<br />
der kletterte sie mit stiller Bestimmtheit<br />
auch an die Spitze der Kunstranglisten.<br />
Dass sie dort oben als erste Frau<br />
steht, muss für die Feministin Trockel<br />
trotz allem ein Triumph sein. Denn<br />
im Endeffekt geht es ihr – wie jedem<br />
guten Künstler – darum, die Welt zum<br />
Guten hin zu verändern. Im Werk hat<br />
sie das geschafft, ein bisschen ist es ihr<br />
auch in der Welt gelungen.<br />
Ausstellungen mit Beteiligung<br />
von Rosemarie Trockel:<br />
„The Unanswered Question –<br />
Iskele 2“, Tanas, Berlin, bis zum<br />
3. November<br />
Weitere Infos unter:<br />
www.spruethmagers.com<br />
und weitere<br />
Nr.11<br />
24<br />
25<br />
Nr.11
DER BLICK<br />
Bild: Filmstill aus “Blow Up” / MGM<br />
BUCH<br />
»DIE ZEIT DER UNSCHULD IST VORBEI«* – UNSERE BÜCHERTIPPS<br />
Vor Coco Chanel war die stark vom Surrealis-<br />
te<br />
Elsa Schiaparelli die wichtigste Modedesignerin<br />
ihrer Epoche. Patricia Volk beschreibt<br />
in dem so experimentellen wie berührenden<br />
Buch „Shocked“ die Obsession ihrer Mutter mit<br />
Schiaparelli und verwebt deren beider Erinnerungen<br />
mit ihren eigenen. Das Erinnern selbst<br />
wird so in all seiner Ambivalenz für den Leser<br />
greifbar.<br />
Patricia Volk „Shocked – My Mother, Schiaparelli,<br />
And Me“, Alfred A. Knopf New York, ca. $20.<br />
Schon 2012 erschienen, aber erst jetzt auf<br />
Deutsch übersetzt, erzählt die israelische Autorin<br />
Shani Boianjiu in „Das Volk der Ewigkeit<br />
kennt keine Angst“ vom komplizierten Coming<br />
of Age junger israelischer Frauen während des<br />
Militärdienstes. Ein unkonventioneller und<br />
<br />
und dabei eine Liebenserklärung an Boianjius<br />
Heimat Israel.<br />
Shani Boianjiu „Das Volk der Ewigkeit kennt<br />
keine Angst“, KiWi, 19,99€<br />
Nach „Chronic City“ (2009), seinem großem<br />
Upper-East-Side-Epos, spielt Jonathan<br />
Lethems „Dissident Gardens“ erneut in New<br />
<br />
eine alternde Kommunistin, die amerikanische<br />
Bürgerrechtsbewegung und die Subkultur im<br />
Greenwich Village ist eine melancholische Bestandaufnahme<br />
der amerikanischen Gegenkultur<br />
nach dem 2. Weltkrieg.<br />
Jonathan Lethem „Dissident Gardens“,<br />
Random House, 27,95$<br />
Joseph Roth war einer der berühmtesten Journalisten<br />
der Weimarer Republik. Seine Berliner<br />
Reportagen sind erfüllt von präzisen und<br />
schneidenden Beobachtungen aus der Perspektive<br />
des Flaneurs. Roth mochte Berlin nicht<br />
besonders. Uns wächst die Hauptstadt durch<br />
dieses Buch umso mehr ans Herz. Joseph Roth<br />
in Berlin – Ein Lesebuch für Spaziergänger,<br />
KiWi, Paperback, 8,95€<br />
VERUSCHKA GRÄFIN VON LEHNDORFF IN MICHELANGELO ANTONIONIS<br />
„BLOW UP“<br />
1. Various Artists - Saz Beat - Turkish Rock, Funk and Psychedelic Music of the<br />
1960s and 1970s LP (Corvo Records)<br />
2. Boards Of Canada - Tomorrow‘s Harvest LP (Warp Records)<br />
3. Felix Gebhard - Wise Words For Elmore Bubbles 12“-EP (33rpm Records)<br />
4. Akkord - Navigate 12“-EP (Houndstooth Records)<br />
<br />
Man sieht Veruschka, erstes deutsches Supermodel, gelangweilt in einem<br />
Fotostudio liegen. Dann kommt David Hemmings herein. Sie sagt, er habe sie<br />
warten lassen. Er nimmt seine Kamera und schließt die Tür. Was folgt, sind<br />
einige der berühmtesten Minuten der Filmgeschichte. Wie zwei lauernde<br />
Raubtiere umkreisen sich Lehndorff und Hemmings beim Fotoshoot. Kommen<br />
sich näher, umschlingen sich, lassen wieder voneinender ab. Auf dem<br />
Bild blickt Veruschka zu Beginn der Sequenz Richtung Hemmings Kamera.<br />
Sehnsuchtsvoll, distanziert, fordernd und abweisend zugleich. Wer einmal so<br />
geblickt hat, der kennt das Leben.<br />
10 PLATTEN FÜR DEN HERBST VON: ADEM MAHMUTOGLU<br />
Adem Mahmutoglu ist unser Lieblingsplattenhändler in der Hauptstadt. Sein 33rpm Store (mit angeschlossenem Label und Café) in der Kreuzberger Wrangelstraße<br />
95 ist ein absoluter Wohlfühlort. Und dabei aufregend und inspirierend für alle, die Musik, von Soul bis Techno, neu hören wollen. Hier sind seine 10<br />
Plattentipps für den Herbst:<br />
6. Marcos Valle - Previsão do Tempo LP (Light In The Attic Records)<br />
7. Mario Basanov - Closer 12“ (Best Kept Secret Records)<br />
8. Foxygen - We Are the 21st Century Ambassadors of Peace & Magic LP/CD<br />
(Island Records)<br />
9. John Coltrane - Olé LP (Music On Vinyl)<br />
10. Various Artists - Ferien Im Innenhof 12“-EP (33rpm Records)<br />
Susan Sontag war die Heroine der linken Kulturkritik.<br />
In ihren Tagebüchern fragt sie sich:<br />
„Was ist mein Radikalismus – der durch mein<br />
Temperament vorgegebene?“ Ihre Tagebuchaufzeichnungen<br />
schwingen zwischen Selbstbefragung,<br />
Analyse und Zweifel. Was wohl gilt, ist ihr<br />
Eintrag vom 19.12.65: „Ich vermeide Aussagen<br />
– will, dass jeder Betrachter seine eigene Erfahrung<br />
macht (Jasper).“ Machen wir gerne. Mit<br />
diesem wunderbaren Buch.<br />
*Susan Sontag „Ich schreibe um herauszufinden,<br />
was ich denke“ Tagebücher 1964 – 1980,<br />
Hanser, 20,99€<br />
Seit ihrem Debüt „Axolotl Roadkill“ und den<br />
hysterisch diskutierten Plagiatsvorwürfen ist<br />
Helene Hegemann eine öffentliche Figur. Mit<br />
„Jage zwei Tiger“ hat sie nun einen souveränen<br />
zweiten Roman abgeliefert. Zwar strengt die<br />
post-pubertäre Dissidenz von Hegemann auf<br />
die Dauer an. Am Ende ist sie einem aber eben<br />
doch viel lieber als das brave Erzählen, welches<br />
die deutsche Gegenwartsliteratur in Geiselhaft<br />
genommen hat.<br />
Helene Hegemann „ Jage zwei Tiger“,<br />
Hanser Berlin, 19,90€<br />
Die Amerikanische Fernseh-Serie „Orange is the<br />
New Black“ war diesen Sommer der große Coup<br />
<br />
Geschichte einer erfolgreichen Mittelstands-<br />
Amerikanerin, die wegen eines Jahre zurückliegenden<br />
Drogen-Kurier-Dienstes ins Gefängnis<br />
muss, beruht auf den gleichnamigen, äußerst<br />
<br />
Piper Kerman „Orange is the New Black: My Year<br />
in a Women´s Prison“, Spiegel & Grau, ca. $10<br />
Die Bedeutung von Mode erschließt sich für<br />
Kedves über ihren Kontext. Also spricht er darüber.<br />
Der Band „Talking Fashion“ versammelt<br />
Interviews, die der ehemalige Chefredakteur der<br />
„Spex“ zwischen 2005 und 2013 mit Akteuren<br />
des Mode-Betriebs geführt hat. Darunter Designer,<br />
Fotografen, Models und Theoretiker wie<br />
Jürgen Teller, Bernhard Willhelm oder Veruschka.<br />
Selten war ein Buch über die Fashion-Industrie<br />
so schlau und unterhaltsam wie dieses.<br />
Jan Kedves „Talking Fashion – Von Helmut Land<br />
bis RAF Simons“, Prestel, 24,95€<br />
Nr.11<br />
26<br />
27<br />
Nr.11
ESSAY<br />
Text: Lorenz Schröter<br />
Illustration: Andreas Steinbrecher<br />
lil bub<br />
MIKE BRIDAVSKY VERDIENT MIT SEINER KATZE VIELE MÄUSE<br />
Lil Bub ist ein zweijähriges Kätzchen,<br />
dem aufgrund eines genetischen Defekts<br />
stets die Zunge heraushängt.<br />
Niedlich streckt sie ihr Gesicht in die<br />
Kamera und ist berühmt. Es gibt einen<br />
Dokumentarfilm über Lil Bub &<br />
Friendz, der auf dem Tribeca Online<br />
Festival Premiere hatte, wo das Kätzchen<br />
dem Mitveranstalter Robert<br />
De Niro begegnete. Ja, der Robert De<br />
Niro. In diesem Film trifft Lil Bub<br />
andere weltberühmte Katzen, wie<br />
Keybord Cat und Grumpy Cat, die wie<br />
Lil Bub auch an Hyposomie leidet,<br />
also kleinwüchsig ist. Grumpy Cat<br />
hat einen missmutigen Gesichtsausdruck<br />
und macht Werbung für Frieskies,<br />
Keybord Cat trägt einen blauen<br />
Strampelanzug und kann nicht besonders<br />
gut Klavier spielen.<br />
All diese Katzen haben ihre Besitzer<br />
reich gemacht. Mike Bridavsky konnte<br />
dank Lil Bub sechs ausstehende<br />
Monatsmieten seines Musikstudios<br />
Russian Recordings bezahlen. Es gibt<br />
Katzenkalender, Youtube-Chanel,<br />
Postkarten, Streichel-Appointments<br />
auf Katzen-Filmfestivals mit zehntausend<br />
Zuschauern. Ja, zehntausend.<br />
Sie wurden Zeugen des Treffens der<br />
Nr.11<br />
beiden Katzendiven Grumpy Cat und<br />
Lil Bub. Die beiden lagen friedlich nebeneinander<br />
und die Fans twitterten<br />
tausendfach darüber.<br />
In ihrer Talkshow sitzt Lil Bub in einem<br />
Puppenstuben-Studio hinter einem<br />
Tisch und neben ihr wahlweise<br />
ein Meerschwein oder Whoopi Goldberg.<br />
Ja, die Whoopi Goldberg. Whoopi<br />
redet, Lil Bub wird untertitelt, das<br />
Meerschwein sagt erst mal nichts.<br />
PETA hat Lil Bub als Spokescat engagiert.<br />
Ihr Besitzer Mike Bridavsky<br />
– er trägt ein Tattoo von Lil Bub über<br />
den gesamten linken Rippenbogen<br />
– hat inzwischen einen Reiki-Kurs<br />
belegt, um mit elektromagnetischen<br />
Wellen die vielen genetischen Defekte<br />
seines Stars zu kurieren. Nur zur<br />
Erinnerung: Es ist eine Katze. Sie ist<br />
klein und wird es immer bleiben. Ihr<br />
hängt die Zunge raus. Mehr nicht.<br />
Aber sie ist kawaii. Süß auf Japanisch,<br />
eine ganze Niedlichkeitsästhetik-Industrie<br />
richtet sich danach aus, von<br />
Hello Kitty, der Katze ohne Mund, bis<br />
Lil Bub, der Katze ohne Unterkiefer.<br />
Die Biografie: Lil Bub’s Lil Book: The<br />
28<br />
Extraordinary Life of the Most Amazing<br />
Cat on „The Planet“ wurde von<br />
Penguin ersteigert. Die sogenannten<br />
LOLcats nehmen 30 Millionen Dollar<br />
jährlich ein. Mike Bridavsky arbeitet<br />
bis zu 90 Wochenstunden mit Lil Bub,<br />
70 000 Dollar hat er nach einem Jahr<br />
im Lil-Bub-Business an Tierheime<br />
gespendet. Cat ist nach Boobs der<br />
häufigste Suchbegriff im Netz.<br />
Warum ist das alles so? Der Psychologe<br />
Sam Gosling von der Universität<br />
Austin hat 4500 Menschen befragt, ob<br />
und wie sie sich als Hunde-Menschen<br />
oder als Katzen-Menschen empfänden,<br />
und welche Eigenschaften sie<br />
sich zuschreiben würden. Hunde-<br />
Menschen waren in der Mehrzahl<br />
(71 Prozent), sie waren sozialer und<br />
kontaktfreudiger, während Katzen-<br />
Menschen (41 Prozent, man kann anscheinend<br />
beides sein) eher kreativ,<br />
philosophisch, unkonventionell und<br />
neurotisch waren.<br />
Hunde bekommen mehr Weihnachtsgeschenke<br />
als Katzen. Mit einem<br />
Hund ist man dreimal erfolgreicher<br />
beim Ansprechen von Frauen. Frauen<br />
und gebildete Kreise ziehen Katzen<br />
vor. Hundemenschen sind reicher<br />
und haben ein besseres Liebesleben.<br />
Katzenmenschen lassen sich häufiger<br />
scheiden. Der Katzen-Parasit Toxoplasma<br />
gondii könnte Ursache für<br />
psychische Erkrankungen wie Schizophrenie<br />
sein. Es gibt eine ganze<br />
Reihe solcher Untersuchungen, wenn<br />
man genau hinsieht, sind die statistischen<br />
Unterschiede, ob also Katzenmenschen<br />
wirklich alle verrückt sind,<br />
Hundemenschen hingegen ein simpleres,<br />
sonniges Gemüt haben, jedoch<br />
nicht so wahnsinnig groß.<br />
In Lehrbüchern für Filmdramaturgie<br />
wird geraten, Katzen- und Hunde-<br />
Menschen als Antagonisten einzuführen,<br />
das heißt einen als Natur<br />
liebenden Familienmenschen, den<br />
anderen als spleenigen Einzelgänger<br />
zu entwerfen. Also Nerds, die sich<br />
Katzenvideos ansehen und Lil-Bub-<br />
Unterwäsche, Grumpy-Cat-Tassen,<br />
oder Piano-Cat-Iphone-Hüllen kaufen.<br />
Nur zur Erinnerung. Es handelt<br />
sich um eine kleine Katze, der die<br />
Zunge raushängt.<br />
www.roeckl.com
STIL<br />
BOYISH CHIC<br />
Wir lieben Labels wie Margiela nicht<br />
nur für ihren radikal-mutigen Look<br />
oder für ihre Recycling-Historie. Die<br />
„Antwerp Six“ stehen bis heute für<br />
eine revolutionäre, anarchistische<br />
Vision, eine Annäherung an Mode,<br />
die auch Make-Up Artistin Inge<br />
Grognard in den 80er Jahren in ihren<br />
Bann zog. Bis heute. Gemeinsam<br />
mit ihrem Mann – Fotograf Ronald<br />
Stoops – entwickelte sie mit ihren<br />
Werken eine Bildsprache, die<br />
schreit. Schreit vor Schönheit und<br />
Grazie, aber auch vor Brutalität und<br />
Destruktion. Leute zu inspirieren,<br />
das ist für sie das wichtigste, selbst,<br />
wenn manche Menschen ihre<br />
Arbeit beängstigt. Sie ist dunkel,<br />
aber eben sehr poetisch. In dieser<br />
Saison arbeitete sie u.a. als Make-<br />
Up Artistin für AF Vandevorst´s<br />
Fashion Show.<br />
Unverkennbarer Minimalismus.<br />
Wollblazer in Graunuancen.<br />
Von Helmut Lang,<br />
ca. $ 880<br />
Versneakt! Ein stilvoller Klassiker,<br />
der unsere Herzen höher schlagen<br />
lässt. von Saint Laurent, ca. 470 Euro<br />
Die besten Dialoge entstehen<br />
aus der Spannung zwischen<br />
Ihm und Ihr. Auch in<br />
der Mode. Diese Entdeckung<br />
verdanken wir natürlich in<br />
erster Linie der freien Kulturszene<br />
der 20er Jahre und<br />
seinem neuen, emanzipierten<br />
Frauenbild, in den 30er-Jahren<br />
dann u.a. Marlene Dietrich<br />
mit ihrer revolutionären<br />
Hose. Sicher verliehen auch<br />
die Kriegsjahre der Mode<br />
eine gewisse Strenge. Heute<br />
sind wir dankbar für die Desiger-Talente,<br />
die es schaffen,<br />
maskuline Elemente auf eine<br />
feminine Weise zu veredeln.<br />
Wie man das am elegantesten<br />
umsetzt, kann kaum einer<br />
besser als Stella McCartney.<br />
Im Fokus: Mäntel in XXL-Silhouette<br />
und Schulterpolstern.<br />
Das trägt die „starke“ und<br />
selbstbewusste <strong>Fräulein</strong> von<br />
heute.<br />
MAMAS LIEBLING<br />
Modische Stauraumwunder:<br />
Kinderwagen von Bugaboo, ca. 1040 Euro,<br />
Tasche von Bugaboo Kaviar Gauche, ca. 790 Euro;<br />
beides ist ab November über www.bugaboo.com<br />
erhältlich.<br />
Konkurrenz für die PS1-Bag. Flauschiger<br />
Hingucker aus Schafswolle.<br />
Von Proenza Schouler über<br />
net-a-porter.com, ca. 670 Euro<br />
Marry me! Alles andere als ein<br />
prolliges Statement. Brillantenring<br />
von Niessing. Preis auf Anfrage<br />
Nr.11<br />
30
STIL<br />
Unterschätzt! Eskimos kennen tatsächlich<br />
17 Wörter für die Farbe Weiß! Sie ist facettenreicher<br />
als man denkt. Besonders schön:<br />
das Kombinieren seiner Nuancen. Wir lieben<br />
Weiß für seine Cleanheit und haben<br />
uns verliebt in: dieses Kristall-Kunstwerk.<br />
Limited Edition-Kette von Zorya, ca. 640 Euro<br />
Ein <strong>Fräulein</strong>-Klassiker! Die weiße<br />
Bluse ist ein Muss im Kleiderschrank.<br />
Besonders edel: dieses<br />
Seiden-Modell von Chloé, über<br />
unger-fashion.com, ca. 640 Euro<br />
Westenliebling! Von der Avant-Garde inspiriert:<br />
Wir lieben sie für ihre scharfe Asymmetrie<br />
und ihre edle Lässigkeit. Diese<br />
Weste macht jedes Outfit zum Hingucker.<br />
Von Ellery, ca. $1515<br />
Die Olsen-Zwillinge haben Gespür<br />
für bequemen Chic: Diese<br />
Hose ist aus Loqué-Stoff und<br />
einem Woll-Seidenmix gefertigt.<br />
The Row, über net-a-porter.com,<br />
ca. £ 1110<br />
Die Kreationen von der französischen<br />
Designerin haben es uns angetan. Cleanes<br />
und auch ganz verspieltes Design<br />
sowie tolle Materialien. Aurélie Bidermann,<br />
über colettte.fr, ca. 720 Euro.<br />
Verfranst! Dieser Schal ist unser<br />
Kuschelliebling. Japanische<br />
Kreativität kennt keine Grenzen.<br />
Aus Mohairwolle, von Issey<br />
Miyake, über farfetch.com, ca.<br />
1315 Euro<br />
Liebe auf den ersten Blick: Fahrrad von Martone Cycling, ca. 900 Euro<br />
Immer noch der King unter den Prints: der Streifen. Am schönsten<br />
hierbei: weiche Pastellfarben und Ecru. Sehr stilvoll: Als cleane<br />
Mantelvariante. Kaum einer kann Dandy Details besser inszenieren<br />
als Dries Van Noten. Damit nicht nur unser Herz erwärmt<br />
wird, sondern auch unsere Lippen und Hände auf ihre Bedürfnisse<br />
kommen, haben wir Aesop-Pflege in der Tasche. Mantel Dries Van<br />
Noten, über mytheresa.com ca. 1075 Euro. Lippenpflege von Aesop, ca.<br />
25 Euro. Body-Balm von Aesop, ca. 30 Euro<br />
Das ist purer Pariser chic, ungezwungen und<br />
authentisch. Klar, dass da Isabel Marant ihre<br />
Finger mit ihm Spiel hatte. Die Königin der<br />
Wedge-Sneakers kreiert mit ihrer Mode französische<br />
Nonchalance, die wir lieben! Etwas<br />
Boho-Chic, viel edle Klassik und immer ein<br />
ganz besonderer Schriftzug der internationalen<br />
Designerin. Diese Stiefel treffen es exakt!<br />
Sehr bequem und fast schon Marant-obligatroisch:<br />
Der Wedge-Absatz. Super schön<br />
wirkt die Kombination aus Glatt- und Wildleder.<br />
Isabel Marant, über mytheresa.com,<br />
ca. 890 Euro.<br />
Social Media und das digitale<br />
Zeitalter sind Inspirationsquellen<br />
ihrer Kollektionen. Die türkische<br />
Designerin Arzu Kaprol glaubt<br />
an die Zukunft. Nostalgischen<br />
Vintage-Hype? Lehnt sie ab. Genau<br />
dieser ist für die Haute Couture<br />
Designerin nämlich ein Ergebnis<br />
zeitgeschichtlicher Zerrüttungen,<br />
die den Innovationswillen unserer<br />
<br />
2000 die Menschen an eine „Super-<br />
Future“ glaubten und sich im<br />
Enthusiasmus des Milleniums<br />
befanden, kam mit 9/11 der große<br />
Schock. Und dieser ließ eine<br />
Unsicherheit zurück, die man<br />
noch heute spürt, nicht nur in der<br />
Politik. Ein Blick in ihren Twitter<br />
Account inspirierte sie bei ihrer<br />
aktuellen Winterkollektion 2013/14.<br />
„Ich war manchmal schockiert,<br />
Leute zu sehen, die mit ihren<br />
1000 Followern ganz persönliche<br />
Ereignisse teilten, in Wirklichkeit<br />
aber zu Hause allein in sich<br />
hineinweinten.“ Die Waffe gegen<br />
diesen Gesellschaftstrend: Seine<br />
<br />
Und das hat sie: Ihr Maxi-Kleid,<br />
das aus 18 Metern Chiffon besteht,<br />
ist ein Ergebnis aus 4 Tagen Arbeit<br />
<br />
Niemals wird unser Herz für Jeans aufhören<br />
zu schlagen. Kein Trend, keine Saison, ein<br />
Klassiker, der immer passt, besonders schön<br />
als Skinny zu einem edlen Blazer. Mit perfekte<br />
Sitzform punktet diese Jeans von Citizens of<br />
Humanity, über unger-fashion, ca. 360 Euro<br />
Nr.11<br />
32<br />
33<br />
Nr.11
STIL<br />
STIL<br />
MODERNER KLASSIKER<br />
Vorhang auf für den Hauptakteur der<br />
1950er: Der geliebte Klassiker trifft auf Pariser<br />
Chic. Nicht nur an ihren berühmten Frauensmoking<br />
schafft es kaum einer heran. Auch diese<br />
Biker-Lederjacke von Saint Laurent Paris ist bestes<br />
Beispiel dafür, dass das französische Label unter Hedi<br />
Slimane noch heute stilprägend ist. Auch wenn in<br />
dieser Jacke ein wenig von Slimanes L.A. Rock-<br />
Chic steckt, schafft sie es auch ganz ohne<br />
„Bäm Bäm“ zu unseren Stilfavoriten.<br />
Über mytheresa.com, ca. 3750<br />
Euro.<br />
Geometrisches Schmuckstück mit<br />
„Nadelgriff“ von M2Malletier,<br />
ca. 875 Euro<br />
Liebling in Bonbonrosa aussehen: Girly-Look<br />
trifft auf maskuline XL-Silhouette.<br />
Von Rochas, ca. 1270 Euro<br />
WARUM LAUFEN<br />
WENN MAN<br />
TANZEN KANN?<br />
cettenreichtum<br />
sowie die Anziehungskraft<br />
und Ästhetik, die Balletttänzer<br />
verkörpern: Zwei Leidenschaften,<br />
die Fotograf Dane Shigati zu einem<br />
Kunst- und Blogprojekt gemacht hat,<br />
vor über 13 Jahren. Mittlerweile hat<br />
der gebürtige Hawaiianer 1100 Bilder<br />
in seinem Repertoire und über 470.000<br />
Follower auf seiner Projektseite. Seine<br />
Bilder prägen Gegensätze zwischen<br />
Filigranem und Markantem, zwischen<br />
Lautem und Leisem, zwischen Dynamischem<br />
und Statischem. Gegensätze,<br />
die fesselnde Momente entstehen<br />
lassen, wenn man seine überwiegend<br />
in Schwarz-Weiß gehaltene Fotogra-<br />
<br />
rouette<br />
vor einer U-Bahn in Midtown<br />
oder ein perfekter Spitzentanz auf der<br />
Brooklyn-Bridge: Was Shigati festhält,<br />
sind Momente, die das Herz und die<br />
Emotionen einer Ballerina suchen.<br />
Die Mehrheit der Tänzerinnen, die für<br />
ben<br />
für Companies wie das American<br />
Ballet Theater, das Boston Ballet, das<br />
Birmingham Royal Ballet, das Pennsyl-<br />
<br />
City Ballet getanzt.<br />
Wir lieben es schlicht, aber<br />
mit viel Liebe zum Detail!<br />
Schuhe von Peter Petrov,<br />
Preis auf Anfrage<br />
Für ihn bedeutet „Beauty“ mutig zu sein, einfach<br />
sein eigenes Ding durchzuziehen, egal was andere<br />
denken. Seit August ist Marc Jacobs Beautylinie<br />
exklusiv bei Sephora erhältlich.<br />
Nagellack „ Jezebel“ von Marc Jacobs‘, ca. $ 18<br />
Ultra-feminin lassen Designer – Carven allen voraus - die<br />
Farbpalette dieser Saison über den Laufsteg stolzieren.<br />
Doch ein zarter Puppen-Look braucht selbstbewusste<br />
Kontraste und die setzt sinnliches Kirschrot.<br />
<br />
Dinge, denen wir begegnen, intuitiv als neu und innovativ.<br />
Fälschlicherweise, wie Lilah Ramzi, Modegeschichts-Stu-<br />
veau.com<br />
aufdeckt! Ihre Gegenüberstellungen zeigen, wie<br />
-<br />
<br />
gegenüber von Tim Walker.<br />
35 Nr.11
Eine Hommage an eine Stadt und ihren<br />
unverwechselbaren Stil: Die „Paris Nouvelle<br />
Vague“-Kollektion widmet Cartier<br />
dem Glamour der französischen Haupt-<br />
se.<br />
Chic, kess und immer elegant – der Stil<br />
der Pariserin ist unverkennbar und doch<br />
facettenreich, genau wie die Kollektion.<br />
Ob die Extrovertierte, die Glamouröse,<br />
die Freche oder die Freigeistige: Jedes<br />
Schmuckstück richtet sich an eine ande-<br />
<br />
die abenteuer lustige Nachtschwärmerin<br />
steckt zum Beispiel in diesem gelbgoldenen<br />
Ring<br />
„La Pétillante“.<br />
Preis: ca. 7750 Euro<br />
Nr.11<br />
36<br />
37<br />
Nr.11
ANGEKOMMEN<br />
Interview: Vanessa Obrecht<br />
angela missoni<br />
SCHON IN DEN SECHZIGERN SASS SIE<br />
ALS KLEINES MÄDCHEN AUF DEN ERSTEN<br />
MODESCHAUEN IN MAILAND. TROTZDEM<br />
ENTSCHIED SICH ANGELA MISSONI<br />
ERST SPÄT, IN DAS TRADITIONSREICHE<br />
STRICKIMPERIUM IHRER ELTERN<br />
EINZUSTEIGEN.<br />
Sie saßen vor Kurzem in der Jury<br />
des renommierten Woolmark-<br />
Preises, der den Umgang junger<br />
Designer mit Merinowolle auszeichnet.<br />
Mit diesem Engagement<br />
unterstützen Sie junge Talente.<br />
Wer hat Sie in Ihren Anfängen als<br />
Designerin gefördert?<br />
AM: Mein Bruder und ich konnten uns<br />
frei entfalten und wurden dazu ermutigt,<br />
unseren Interessen zu folgen. Ich<br />
habe erst sehr spät, mit Mitte Dreißig,<br />
entschieden, in die Mode einzusteigen.<br />
Wir kamen aber alle zurück zum<br />
Familienunternehmen. Als meine Entscheidung<br />
gefallen war, haben mich<br />
meine Eltern und mein Bruder sehr<br />
unterstützt. Meine Mutter war großer<br />
Fan meiner ersten Kollektion und bat<br />
mich, die Hauptlinie von Missoni zu<br />
übernehmen. Ich hatte davor nie darüber<br />
nachgedacht. Ihrer Meinung nach<br />
waren meine Kreationen das, was die<br />
Marke brauchte. Ich habe selten ein Familienunternehmen<br />
gesehen, bei dem<br />
der Generationenwechsel so selbstverständlich<br />
abgelaufen ist. Meine<br />
Eltern hatten schon immer zahlreiche<br />
Interessen neben der Mode und hatten<br />
deshalb wahrscheinlich kein Problem<br />
loszulassen.<br />
Was war die wichtigste Lektion,<br />
die Sie in Sachen Design gelernt<br />
haben?<br />
AM: Alles, was ich weiß, habe ich<br />
durch die Arbeit meiner Eltern gelernt.<br />
Dieses Wissen scheint mir grenzenlos.<br />
Doch am wichtigsten ist die Erkenntnis,<br />
nie ein Mitläufer zu werden.<br />
Das Haus Missoni hat eine lange<br />
Tradition und ihre Defilees gleichen<br />
einer Familienparty, bei der<br />
Jung und Alt zusammenkommen,<br />
um gemeinsam die neue Kollektion<br />
zu feiern. Wie erklären Sie sich<br />
diese Atmosphäre?<br />
AM: Wir sind eine der ältesten Marken<br />
Italiens. Meine Eltern waren Mitbegründer<br />
der Modewochen Mailand und<br />
dementsprechend Teil der Camera Nazionale<br />
Della Moda Italiana. Wir trafen<br />
und kannten alle! Meine Erinnerungen<br />
reichen bis zu meinem vierten Lebensjahr<br />
zurück. Ich habe drei Generationen<br />
von Journalisten miterlebt! (Lacht)<br />
Vielleicht waren meine Eltern auch<br />
einfach sehr ungewöhnlich und unabhängig.<br />
Mit ihrem besonderen Blick<br />
auf die Welt kamen sie bei den meisten<br />
Designern gut an.<br />
Wollen Sie damit sagen, dass Missoni<br />
nie in einen Konkurrenzkampf<br />
verwickelt war?<br />
AM: Genau. Wir sind die Außenseiter.<br />
Das glauben wir Ihnen nicht.<br />
AM: (lacht) Natürlich nicht!<br />
Strickmode hat eine starke Tradition<br />
in Ihrem Unternehmen. Wolle<br />
ist vielfältig einsetzbar und kann<br />
auf verschiedenste Arten verarbeitet<br />
werden. Ist es für Sie das wichtigste<br />
Material?<br />
<br />
Generationen leben und schöpfen<br />
von diesem Wissen ...<br />
AM: Tradition ist wichtig um seinen<br />
Job zu kennen. Tradition bedeutet<br />
Wissen zu haben, das weitergegeben<br />
werden kann. Vielleicht bringt Italien<br />
deshalb so viele kreative Menschen<br />
hervor. Tradition ist in unserem Land<br />
immer noch ein wichtiger Teil der Gesellschaft.<br />
Auf welchen Säulen des Erfolgs ist<br />
die Marke Missoni aufgebaut?<br />
AM: Ich denke, dass meine Eltern einen<br />
Stil erfunden haben. Das geschieht<br />
sehr selten im Modebusiness. Ich kann<br />
mich also glücklich schätzen. In den<br />
18 Jahren als Creative Director konnte<br />
ich die Marke auf meine Weise weiterentwickeln.<br />
Am wichtigsten war dabei,<br />
dass ich nie Angst hatte, das Unternehmen<br />
zu erneuern. Meine Eltern waren<br />
<br />
In dieser Tradition sehe ich auch mich.<br />
Ich hatte nie Bedenken, die Marke zu<br />
erneuern und auf die Höhe der Zeit zu<br />
bringen.<br />
Das Modebusiness ist bekanntlich sehr<br />
hart. Hatten Sie je das Gefühl als Frau<br />
nicht bestehen zu können?<br />
M: Dieses Gefühl hatte ich nie. Ich glaube<br />
als Frau habe ich die Kraft, viel mehr<br />
als ein Mann zu schaffen. Ich kam als<br />
drittes Kind nach zwei Jungen auf die<br />
Welt. Als Mädchen musste ich immer<br />
kämpfen! (lacht). In meiner Familie<br />
waren die Frauen stets selbstständig,<br />
stark und spielten eine große Rolle in<br />
meinem Leben. Meine Mutter war Unternehmerin<br />
und arbeitete viel. Auch<br />
meine Groß- und Urgroßmutter waren<br />
Unternehmerinnen. Das sind vier Generationen!<br />
Obwohl sie ihre Männer<br />
an die Front geschickt haben, um beispielsweise<br />
Verhandlungen zu führen,<br />
waren sie die Stütze des Geschäfts. Ich<br />
bin in dem Wissen aufgewachsen, dass<br />
ich ganz normal arbeiten werde. Zweifel<br />
daran hatte ich nie.<br />
Gibt es Tage, an denen Sie trotzdem mit<br />
sich ringen und zweifeln?<br />
M: Ich arbeite am liebsten in einem<br />
harmonischen Ambiente. Leute, die<br />
vor einer Show backstage kommen<br />
oder uns gar einige Tage vorher besuchen,<br />
sind total erstaunt, wie ruhig<br />
es bei uns ist. Ich möchte nicht hysterisch<br />
sein und ich konnte immer mit<br />
starkem Druck umgehen. Natürlich<br />
sehe ich Menschen, die sich fürchterlich<br />
aufregen. Stress oder Erschöpfung<br />
fühle ich aber nicht. Ich kann eine<br />
Menge einstecken. Ich will damit nicht<br />
sagen, dass unser Job einfach ist. Er ist<br />
mit großen Strapazen verbunden und<br />
die Zeit läuft uns stets davon.<br />
Wie gehen Sie mit Ihrer Freizeit um?<br />
Ist Ihnen diese Zeit eher lästig oder<br />
können Sie sie genießen?<br />
M: Ach, da bin ich entspannt. Schon<br />
als meine Eltern ihre Kreationen präsentierten,<br />
sah ich Kollektionen, die<br />
erfolgreich, und solche, die weniger erfolgreich<br />
waren. Sie wissen aber, dass<br />
sich die Qualität Ihrer Arbeit im Endeffekt<br />
immer bezahlt machen wird. Das<br />
ist der Lauf der Dinge. Wenn Sie das<br />
verinnerlicht haben, dann werden Sie<br />
immer weitermachen.<br />
Der International Woolmark Prize<br />
sucht weltweit nach außergewöhnlichen<br />
jungen Designern, die besonders kreativ<br />
mit Wolle umgehen. Im Februar 2014 findet<br />
das Finale in Mailand statt.<br />
„ICH KAM ALS DRITTES KIND<br />
NACH ZWEI JUNGEN AUF DIE<br />
WELT. ALS MÄDCHEN MUSSTE<br />
ICH IMMER KÄMPFEN!“<br />
Nr.11<br />
38<br />
39<br />
Nr.11
FOTO<br />
Text: Hendrik Lakeberg<br />
SORRENTI<br />
Sie bringen fast zur gleichen Zeit einen<br />
opulenten Bildband heraus. Beide Bücher<br />
erscheinen im Steidl Verlag und<br />
sehen sich zum verwechseln ähnlich.<br />
Beide Fotografen gehören der gleichen<br />
Generation an. Sie haben ab den<br />
neunziger Jahren mit Grunge, Indie<br />
bewegung<br />
im Hintergrund die Ästhetik<br />
der Modemagazine und -Kampagnen<br />
geprägt und umgekrempelt. Beide<br />
setzten der verkünstelten Werbeästhetik<br />
der Achtziger einen natürlichen<br />
Look entgegen. Supermodels im<br />
Schlafanzug, nackt und frierend oder<br />
in irgendeiner anderen Pose, die sie in<br />
einem privaten Moment zeigen, in dem<br />
sie nicht immer nur perfekt und makellos<br />
schön aussehen, sondern auch<br />
mal verletzlich, hässlich oder schlicht:<br />
so wie man als nackter Mensch ohne<br />
Fotoretusche und Make-up eben aussieht.<br />
In beiden Büchern sieht man<br />
dem entsprechend auch eine Menge<br />
Brüste, Pimmel und Ärsche. Beide Bü-<br />
Mario Sorrenti, „Draw Blood for Proof“,<br />
erschienen bei SteidlDangin, 98,00 Euro<br />
TELLER<br />
cher sollen wirken wie zusammen gescrabbelte<br />
Tagebücher. Doch so ähnlich<br />
sich die Bilderwelten von Juergen Teller<br />
und Mario Sorrenti auf den ersten<br />
Blick sind, so erkennt man doch den<br />
Unterschied: Während Sorrenti hinter<br />
aller Rauheit einen Hang zu Romantik<br />
und Schönheit hat, zeigt sich Teller als<br />
der hemdsärmlige, krachlederne Bayer.<br />
Teller ist seinem Stil im Laufe der Jahre<br />
<br />
nach wie vor meistens analog und hat<br />
die Snapshot-Ästhetik in seinen Kampagnen<br />
für Céline, Vivienne Westwood<br />
und Marc Jacobs perfektioniert. Sorrenti<br />
hingegen hat sich angepasst. Seine<br />
zahlreichen Kampagnen bedienen<br />
<br />
die gut gemacht und schön, aber nicht<br />
mehr widerständig ist. Als wolle er dies<br />
kaschieren, ist Sorrentis Buch auch<br />
wesentlich großformatiger als das von<br />
Teller. Was kaum kaschiert: Besser gealtert<br />
ist auf jeden fall der Bayer.<br />
Juergen Teller, „WOO!“, erschienen bei<br />
Steidl, 40,00 Euro<br />
Nr.11<br />
40<br />
41<br />
Nr.11
AGENDA<br />
AMERIKA IM HERBST<br />
Für die kalten Tage: Unsere US-Serien-Highlights im Herbst!<br />
Masters of Sex (Showtime seit 29.9.)<br />
Masters of Sex erzählt die Anfänge der Sexualforschung<br />
in den amerikanischen 50er-Jahren durch<br />
William Masters und seine Kollegin Virginia Johnson.<br />
Zitat Masters (sic): „Warum würde eine Frau<br />
einen Orgasmus vortäuschen?“ Johnson: „Damit<br />
die Geschichte durch ist und sie sich wieder interessanteren<br />
Dingen zuwenden kann.“ Na, dann.<br />
The Blacklist (NBC)<br />
Eine FBI-Geschichte mit einem genialen Super-<br />
Verbrecher, der in Gefangenschaft mit einer jungen<br />
Agentin Psycho-Spiele spielt, das klingt verdammt<br />
nach „Schweigen der Lämmer“ und Hannibal. The<br />
Blacklist könnte aber dennoch süchtig machen.<br />
Wir sind gespannt.<br />
Brooklyn Nine-Nine (Fox)<br />
Haben wir auf eine „goofy“ Cop-Comedy aus New<br />
<br />
Jungs-Mädchen-Sprüchen? Finden wir es lustig,<br />
wenn ein etwas dicklicher Typ minutenlang daran<br />
<br />
Lieben wir „Brooklyn-Nine-Nine“, die Serie die all<br />
dies verbindet? Leider, ja.<br />
NEUES LAND IN SICHT<br />
Die wohl spannenste Theaterbaustelle der Republik wird diesen Herbst<br />
im Berliner Maxim Gorki Theater aufgemacht. Nachdem der langjährige<br />
Intendant Armin Petras nach Stuttgart gegangen ist, übernimmt die bisher<br />
am Kreuzberger Ballhaus Naunynstraße für ihr „postmigrantisches“ Theater<br />
gefeierte Shermin Langhoff zusammen mit Jens Hillje die Leitung. Ein Großteil<br />
des Essembles ist neu. Repertoirestücke müssen erst entwickelt werden. Von<br />
dieser Nullstelle aus kann sich großartiges, junges Theater entwickeln.<br />
Ab 8. Nobember,<br />
Am Festungsgraben 2, 10117 Berlin<br />
DER NEUE BLICK<br />
Expanded Narration: Das neue<br />
Erzählen. B3 Biennale des bewegten<br />
Bildes: In Frankfurt/Main und<br />
Umland untersucht die B3 Biennale<br />
in Kooperation mit verschiedenen Institutionen<br />
die Potenziale des Bewegtbildes.<br />
Zu sehen (und machen) gibt es<br />
u.a. die Ausstellung „Fassbinder – Jetzt.<br />
Film und Videokunst“ (bis 01.06.14) im<br />
Deutschen Filmmuseum, einen Vortrag<br />
im Frankfurter Kunstverein über<br />
Erzählformen in Computerspielen,<br />
einen Urban Soundwalk sowie Workshops<br />
zur Entwicklung experimenteller,<br />
serieller Fernsehformate.<br />
30.10 – 3.11. 2013. Frankfurt/M<br />
und Umgebung<br />
V I D E O O N D E M A N D<br />
Anstatt in der Videothek um die Ecke werden Filme zunehmend online<br />
ausgeliehen. Man muss dazu aber nicht zu den Halsabschneidern von<br />
iTunes gehen. Hier unsere Alternativen.<br />
– Die Online-Videothek: Netflix ist die erste Payperview Online-<br />
Plattform, die eigenständig Serien produziert. Darunter so großartige<br />
wie House of Cards und Orange is the new black. Mit einem speziellen<br />
PlugIn für ca. 7€ im Monat auch in Deutschland zu sehen. Super für<br />
Einsteiger.<br />
– Ausgesucht: Mubi bietet für 4,99€ im Monat 30 Filme im Stream an.<br />
Jeden Tag fällt einer weg und ein neuer kommt dazu. Das Programm<br />
<br />
wirklich ausgesuchte Filme frei Haus vorgestellt. Eine Plattform für<br />
Fortgeschrittene.<br />
– Für Cineasten: FestivalScope <br />
dementsprechend reglementiert. Die Idee ist aber genial. Ist man aus<br />
der Film-Branche und akkreditiert, dann kann man die jeweils aktuellen<br />
Filme von Festivals auf der ganzen Welt sehen, lange bevor sie ins Kino<br />
kommen oder wieder verschwunden sind.<br />
N I C K C AV E<br />
Lange ließ er auf sich warten,<br />
nun kommt Nick Cave mit<br />
den Bad Seeds während der<br />
„Push the Sky Away“-Tour<br />
vom 10. – 13. November endlich<br />
wieder nach Deutschland.<br />
Das Eis der Hölle wird<br />
schmelzen, wenn sein Blues,<br />
Soul und Rock erklingt.<br />
Alle Bilder: Courtesy White Chapel Gallery London Foto: Maxim Gorki Theater / Esra Rotthoff<br />
SARAH LUCAS „SITUATION“<br />
Vielleicht ist es der männliche Blick,<br />
der den weiblichen Körper in Stücke<br />
sprengt. Auf diesen Gedanken kommt<br />
man, wenn man sich die künstlerischen<br />
Arbeiten von Sarah Lucas anschaut. In<br />
der bis zum 15. Dezember laufenden<br />
Ausstellung „Situation“ scheint in der<br />
Skulptur „Benny gets snookered #1“<br />
ein grotesk geformter Frauenunterleib<br />
von einem Stuhl zu rutschen, auf<br />
dem dieser ohnehin seltsam ungelenk<br />
sitzt. In „Nice Tits“ schwebt über zwei<br />
Beinen in High Heels eine Traube aus<br />
Brüsten. Durch ihre erste Solo-Show<br />
mit dem Titel „Penis Nailed to a Board“<br />
wurde Sarah Lucas 1992 zum Thema<br />
der englischen Boulevard-Presse<br />
und gehörte neben Damien Hirst<br />
<br />
British Artists, die mit ihrem grellen,<br />
provokanten Ausstellungen die Kunst<br />
der folgenden Dekade prägen sollten.<br />
Lucas‘ Skulpturen zeigen so gut wie nie<br />
Gesichter, dafür aber seltsam verzerrte<br />
Körper. Fast immer geht es um<br />
Geschlechtsorgane, als bestünde die<br />
Welt aus nichts anderem als Sex. Und<br />
schaut man sich die Massenmedien an,<br />
dann mag sie damit recht haben, denn<br />
es ist immer noch der männliche Blick,<br />
der sie dominiert und damit der Körper<br />
der Frau, der in ihrem Mittelpunkt<br />
<br />
sie sich mit einem Totenkopf zwischen<br />
den Beinen. Sie schaut freundlich,<br />
aber direkt in die Kamera. In diesem<br />
Blick liegen Trotz und Stolz – auf eine<br />
<br />
sie sich durch ihre Kunst von dem<br />
Unsinn entledigt, der uns umgibt.<br />
Sarah Lucas‘ „Situation“,<br />
White Chapel Gallery, London<br />
Nr.11<br />
42<br />
43<br />
Nr.11
AGENDA<br />
HOMMAGE ANS REISEN<br />
Louis Vuitton Pop Up Store: In<br />
Kollaboration mit dem kanadischen<br />
Medienunternehmer, Journalist und<br />
Designer Tyler Brulé und seinem<br />
Design-Team Winkreative hat Louis<br />
Vuitton in Paris einen Pop-up-Store<br />
eröffnet. Er zelebriert und symbolisiert<br />
die lange Geschichte an Gepäckdesign<br />
der „High-Fashion“-Marke.<br />
Zu kaufen gibt es Reiseaccessoires,<br />
angefangen von Koffern, Taschen,<br />
Louis Vuitton City Guides und auch<br />
Modesamples. Der Store bietet einen<br />
Reparaturservice sowie die Möglichkeit,<br />
die einzigartigen Produkte personalisieren<br />
zu lassen. Einen Einblick<br />
in die Kunst des Verpackens wird im<br />
Rahmen von Workshops angeboten.<br />
Bis 31. Dezember,<br />
22 Avenue Montaigne<br />
Paris<br />
ARCHETYPEN<br />
A Queen Within. Adorned Archetypes,<br />
Fashion and Chess: Ob<br />
<br />
Schach-Königin steht für Macht,<br />
Tradition, Freiheit und Unberechen-<br />
<br />
ihre Wirkungsmacht im kollektiven<br />
Unbewussten sowie archetypische<br />
Repräsentationsformen der<br />
Frau untersucht die Ausstellung „A<br />
Queen Within“. Künstlerisch umgesetzt<br />
wurde die unorthodoxe Idee<br />
von einem internationalen Team<br />
von Kuratoren, Mode-Insidern und<br />
Schachspielern anhand von Mode-<br />
men<br />
und Illustrationen. Zu sehen ist<br />
eine Sammlung teils extrem seltener<br />
Stücke der weltweit größten Privatkollektion<br />
von Alexander McQueen<br />
sowie Werke von Gianfranco Ferré,<br />
Gucci, Hussein Chalayan, Maison<br />
Martin Margiela und anderen.<br />
19. Oktober — 18. April 2014<br />
Saint Louis, Missouri, USA<br />
Nr.11<br />
44
DAS BILD<br />
Interview: Maja Hoock<br />
Zeichnung: Frauke Finsterwalder<br />
deutschland in<br />
der dunkelheit<br />
FRAUKE<br />
FINSTERWALDER<br />
WIDMET SICH IN<br />
IHREM DEBÜTFILM<br />
„FINSTERWORLD“<br />
DER BÜRGER-<br />
LICHEN DOPPEL-<br />
MORAL. FÜR<br />
UNSERE RUBRIK<br />
“DAS BILD”<br />
ZEICHNETE<br />
DIE ZWISCHEN<br />
AFRIKA UND<br />
DEUTSCHLAND<br />
PENDELNDE<br />
REGISSEURIN<br />
ZUM THEMA<br />
PANIK EINE<br />
RAUBKATZE<br />
UND SPRACH<br />
IM INTERVIEW<br />
ÜBER MACHT,<br />
ALTE MÄNNER<br />
UND DEN TOD!<br />
Sie haben einen gefährlichen Tiger<br />
mit Zähnen und Krallen gezeichnet,<br />
um „Panik“ darzustellen. Warum?<br />
Frauke Finsterwalder: Ich war als Abiturientin<br />
im indonesischen Dschungel.<br />
Nachts bin ich dort mit meinem Freund<br />
spazieren gegangen, obwohl mich die<br />
Einheimischen davor sehr gewarnt<br />
haben. Es war stockdunkel und wir<br />
hatten keine Taschenlampe. Plötzlich<br />
habe ich gehört, wie im Gebüsch eine<br />
sehr, sehr große Katze brüllt. Ein Tiger.<br />
Das war der panischste Moment in<br />
meinem Leben. Ich habe mir vor Angst<br />
in die Hose gemacht. Eine interessante<br />
Erfahrung, denn man kennt ja das<br />
Sprichwort „sich in die Hose machen“,<br />
aber das kann wirklich passieren.<br />
Hat sich mit dem Moment etwas<br />
für Sie geändert?<br />
FF: Ich habe seitdem diese Erfahrung<br />
einer Todespanik, was ich bis heute nie<br />
wieder erlebt habe. Außerdem habe<br />
ich gelernt, dass man in fremden Ländern<br />
besser sehr ernst nimmt, was die<br />
Einheimischen einem sagen.<br />
Sie leben einige Zeit im Jahr auf einer<br />
Insel in Kenia. Schon mal auf<br />
ein gefährliches Tier getroffen?<br />
FF: Es gibt dort die schrecklichsten<br />
Schlangen, die man sich vorstellen<br />
kann. Zum Beispiel die afrikanische<br />
Speikobra. Darauf habe ich mich, bevor<br />
ich dorthin gezogen bin, sehr gut<br />
vorbereitet, um eben nicht panisch zu<br />
reagieren, sollte ich auf so eine treffen.<br />
In Nairobi gibt es in einem Park eine<br />
Schlangengrube, da habe ich sie mir<br />
dann angesehen. Jetzt habe ich eigentlich<br />
keine Angst mehr, weil ich so darauf<br />
vorbereitet bin, dass es passieren<br />
könnte.<br />
Warum leben Sie dort?<br />
FF: Auf der Insel, auf der ich wohne,<br />
gibt es keine Supermärkte und keine<br />
Autos. Außer das vom Bürgermeister.<br />
Aber es hat einen Platten.<br />
terworld“<br />
wollten Sie sich mit<br />
Deutschland auseinandersetzen.<br />
Warum?<br />
FF: Ich bin auch im Ausland eine Deutsche,<br />
das kann ich nicht ändern und<br />
man bekommt das auch zu hören. Die<br />
Deutschen haben eben einen bestimmten<br />
Ruf … Mit den Afrikanern gibt es da<br />
eigentlich keine Probleme, aber in Kenia<br />
wohnen viele Engländer, die gerne<br />
sehr böse Witze über die Deutschen<br />
<br />
damit kein Problem, aber auf jeden Fall<br />
wird man ständig mit typisch deutschen<br />
Eigenschaften konfrontiert und<br />
fragt sich: Erfüllt man das Klischee,<br />
oder nicht?<br />
Es ist bekannt, dass man das Herkunftsland<br />
von Weitem klarer<br />
sieht. In „Finsterworld“ gibt es<br />
sehr bezeichnende Charaktere:<br />
Snobs, oberflächliche Karrieristen<br />
und Außenseiter, die sehr schlecht<br />
behandelt werden. Ist das eine Abrechnung<br />
mit der deutschen Gesellschaft?<br />
FF: Nein, ich will wirklich nicht mit<br />
jemandem abrechnen. Ich würde mir<br />
nicht erlauben wollen, die gesamte<br />
Gesellschaft zu kritisieren. Der Film<br />
heißt ja auch „Finsterworld“ und nicht<br />
„Deutschland“. Es ist vielmehr mein<br />
eigener, spezieller Blick auf gewisse<br />
Phänomene, die es in Deutschland<br />
gibt. Man kann sich als Zuschauer<br />
dann entscheiden, wie sehr man das<br />
für wahr hält, was man da sieht.<br />
Aber es gibt doch hier einige Phänomene,<br />
die es in anderen Ländern<br />
nicht gibt.<br />
FF: Ja. Der Film ist sicher auch ein Seitenhieb<br />
gegen das bigotte Bürgertum.<br />
Es geht mir nicht um „die Reichen“,<br />
sondern um die bürgerliche, vermeintlich<br />
aufgeklärte Welt, die alles weiß,<br />
gerne über den Holocaust spricht und<br />
auf der anderen Seite selbst faschistoide<br />
Verhaltensweisen an den Tag legt.<br />
Im Film ist da etwa der gebildete,<br />
versnobte Schüler, der Außenseiter<br />
quält, oder die Dokumentar-<br />
Filmerin, die sich am Elend armer<br />
Leute bereichert …<br />
<br />
weil es diese Mischung sonst nicht<br />
<br />
auf der einen Seite und auf der anderen<br />
Seite ein Verhalten, das dem überhaupt<br />
nicht gerecht wird. Das unterscheidet<br />
„Finsterworld“ auch ein bisschen von<br />
anderen Filmen: Das Bildungsbürger-<br />
lich<br />
nicht statt, obwohl gerade viele<br />
Filmemacher oder deren Eltern aus<br />
genau dieser Welt kommen. Es war<br />
also auch die Idee, etwas über Menschen<br />
zu erzählen, die auf Augenhöhe<br />
stehen, und nicht Menschen von oben<br />
herab zu kritisieren.<br />
Sie haben auch Ihre Erfahrungen<br />
mit unangenehmen Männern in<br />
dieser Welt gemacht …<br />
FF: Der Tiger, den ich gezeichnet habe,<br />
könnte für einen älteren Mann in einer<br />
Machtposition stehen. Ich hatte früher<br />
Angst, in der Arbeit Fahrstuhl zu fah-<br />
gen<br />
Chefs, die es öfter gibt, als man so<br />
glaubt. Da sind einige Dinge vorgefallen,<br />
als ich als Journalistin gearbeitet<br />
habe. Aber auch am Theater. Als Regisseurin<br />
ist mir das nicht mehr passiert,<br />
weil man sich untereinander wohl eher<br />
<br />
arbeite ich hauptsächlich mit jungen<br />
Männern zusammen, bei denen hat<br />
sich sowieso einiges geändert.<br />
Eine alte Frau liegt im Film im<br />
Heim-Bett und ist völlig alleine,<br />
weil ihr Sohn sie nicht besucht. Sie<br />
scheint Panik zu haben, vor der<br />
Einsamkeit und vor dem Tod. Ist<br />
Ihnen die Panik vor der Endlichkeit<br />
bekannt?<br />
FF: Das ist mir sehr bekannt, vor allem<br />
seit ich eine kleine Tochter habe. Seit<br />
ihrer Geburt denke ich sehr viel über<br />
den Tod nach. Wenn man dieses neue<br />
Leben sieht, wird einem die eigene<br />
Endlichkeit deutlicher bewusst. Außerdem<br />
habe ich viel mehr Angst beim<br />
<br />
wenn ich mich von ihr verabschiede,<br />
das ist jetzt das letzte Mal. Ich habe<br />
komische Paniken, die ich vorher nie<br />
hatte. Weil ich niemanden hatte, der so<br />
von mir abhängig ist.<br />
In Ihrem Film wird an einigen<br />
Stellen auch deutlich, dass es sich<br />
lohnt, seine Ängste zu überwinden.<br />
FF: Es lohnt sich, Risiken einzugehen,<br />
weil sonst die Ergebnisse von dem,<br />
was man tut, sehr beschränkt sind.<br />
Angst ist manchmal der größte Feind<br />
der Kreativität. Ich hatte wahnsinnige<br />
“ICH BEKAM<br />
PANIK, ALS NEBEN<br />
MIR EIN TIGER<br />
BRÜLLTE”<br />
<br />
zu machen. Er ist ein Risiko für mich,<br />
weil er sich in Sprache und Stil von vielen<br />
anderen Filmen in Deutschland unterscheidet<br />
und darum aneckt. Wenn<br />
ich nüchtern darüber nachdenken<br />
würde, hätte ich mich das sicher nicht<br />
getraut. Und so versuche ich eben, diese<br />
Ängste zu verdrängen, zu bekämpfen<br />
und drüberzuklettern.<br />
Sie haben in „Finsterworld“ auch<br />
eine Doku-Filmerin erfunden.<br />
Und diese bekommt auch Panik,<br />
aber nicht wegen einem ihrer Filme,<br />
sondern weil sich ihr Freund<br />
als Plüsch-Fetischist outet und im<br />
Bären-Kostüm vor ihr steht. Sie<br />
schreit und weint. Warum hat sie<br />
diese extreme Reaktion?<br />
FF: Es geht um Vertrauensbrüche. Sie<br />
fühlt sich betrogen. Der Schock ist also<br />
eher, dass etwas hinter dem Bekannten<br />
steckt, das man nicht kennt, ein<br />
Parallel-Leben. Weniger die Tatsache<br />
an sich. Ein Bären-Kostüm ist an sich<br />
ja nichts Schlimmes.<br />
Haben Sie mal Plüsch-Fetischisten<br />
im wahren Leben getroffen?<br />
FF: Ja. Die Leute nennen sich Furries.<br />
Alle Furries, die man im Film sieht, bis<br />
auf den von Ronald Zehrfeld gespielten<br />
Tom, sind das auch im wahren Leben.<br />
Es war ein langer Prozess, diese Leute<br />
dazu zu überreden, mitzumachen. Wir<br />
hatten nicht das Geld, um diese sehr<br />
teuren, besonderen Kostüme anzuschaffen.<br />
Unsere Praktikantin hat sich<br />
in spezielle Foren begeben und den<br />
Leuten über Wochen und Monate erklärt,<br />
dass wir uns nicht über sie lustig<br />
machen wollen. Und sie haben in ihren<br />
eigenen Kostümen mitgespielt. Es ist<br />
interessant, dass diese Bewegung gerade<br />
in Deutschland und den USA am<br />
größten ist, wo Umarmungen sehr untypisch<br />
sind. Anders als in Italien oder<br />
Afrika, wo ich lebe. Die Leute ziehen<br />
sich die Hülle eines Plüschtieres an,<br />
um umarmt werden zu können.<br />
Das Drehbuch für „Finsterworld“ schrieb<br />
Frauke Finsterwalder zusammen mit ihrem<br />
Mann, dem Schriftsteller Christian Kracht.<br />
Nr.11<br />
46<br />
47<br />
Nr.11
EIN TAG<br />
Text & Foto: Sina Braetz<br />
Es steht außer Frage, dass es eine unentdeckte Welt gibt. Das Problem ist, wie weit<br />
ist sie von Midtown entfernt und wie lange hat sie geöffnet? Wer könnte die feurige<br />
Liebe zu New York besser beschreiben als Woody Allen. Und wir teilen sie. Leidenschaftlich.<br />
Aus dem Aspahltdschungel kommen unsere liebsten <strong>Fräulein</strong>-Ikonen<br />
– ob Chloë Sevigny, Christina Kruse oder Patti Smith. Kaum eine Stadt hat so viel<br />
Inspirationskraft und Energie, gleich zu welcher Tageszeit. Diese Orte sollten unbedingt<br />
auf der Liste einer <strong>Fräulein</strong>-Leserin stehen.<br />
1 Manhattan. 10 am. Der Tag beginnt im trendigen Soho mit einem Latte Macchiato<br />
im „Café Select“ (212 Lafayette Street). 2 Außergewöhnlich schönes Lichtdesign<br />
gibt es in dem Store des deutschen Künstlers Ingo Maurer zu entdecken (89<br />
Grand Street). 3 Ein fast unberührtes Stück Erbe vom amerikanischen Künstler<br />
Donald Judd ist seit diesem Sommer der Öffentlichkeit zugänglich, im fünfstöckige<br />
Gebäude der „Judd Foundation“ (101 Spring Street). 4 Leckerste Gerichte und<br />
den besten „Mimosa“ gibt es im „Café Gitane“ (242 Mott Street).<br />
5 Im hippen East-Village ist eine Shopping-Tour im Consignment Store „Tokyo 7“<br />
(83 E 7th Street) der absolute Geheimtipp. 6 Relaxen ist angesagt in Brooklyns<br />
ältestem Badehaus mit Hockeythemen-Design: „The Russsian Bath on Neckroad“<br />
(1200 Gravesend Neckroad ) 7 <br />
Flea Market „Artists & Fleas“ (70 N 7th Street). 8 Im „Moma PS1“ (22-25 Jackson<br />
Avenue) gib es eine Vielfalt an zeitgenössischer Kultur zu entdecken. 9 Ein Fest<br />
für die Sinne ist ein Spaziergang durch den „Chelsea Market“. Unbedingt eine der<br />
süßen Sünden von „Ruthy´s Bakery“ probieren. 10 Appetizer seit 1914: Ein Stopp<br />
in der Lower Eastside bei „Russ & Daughters“ (179 E Houston Street) lohnt sich.<br />
11<br />
feinen „Hester Street Fair Market“ (seit 1895, Hester Ecke Essex Street). 12 Eine<br />
karibische Oase in Downtown: Im Restaurant „Miss Lily´s“ (132 West Houston<br />
Street) kann man jamaikanische Spezialitäten genießen und gleichzeitig den Reg-<br />
13<br />
Wo die Creme de la Creme ausgebildet wird, gibt es oft tolle Performances von<br />
Schülern zu sehen: „Juilliard School“ ( 60 Lincoln Center Plaza). 14 Wenn man<br />
das edle „Le Parker Meridien Hotel“ (119 W 56th street) betritt, glaubt man kaum,<br />
<br />
ist. 15 Eine der leckersten, japanischen Küchen und angesagtesten Restaurants:<br />
„MaisonO“ (98 Kenmare Street) 16 Hier trafen sich Größen wie Nat King Cole und<br />
noch heute lässt sich in Harlem´s aktuellem Anziehungspunkt guter Wein und<br />
toller Live-Jazz genießen: „Red Rooster“ ( 310 Lenox Avenue). 17 Bei diesem Panorama<br />
fühlt man sich winzig klein: Der Blick vom „Rockefeller Center“, perfekt<br />
um goodbye zu sagen.<br />
Nr.11<br />
48<br />
49 Nr.11
LEGENDE<br />
Fotos: Bildband „Yva – Photographien 1925 – 1938“ (2001, Das Verborgene Museum Berlin) / Rissmann<br />
Text: Ruben Donsbach<br />
ein leben<br />
für das bild<br />
DIE BERLINER FOTOGRAFIN ELSE ERNESTINE<br />
NEULÄNDER, KÜNSTLERNAME YVA, WAR<br />
EINE DER BERÜHMTESTEN DER WEIMARER<br />
REPUBLIK. SIE STAND FÜR EINEN NEUEN TYPUS<br />
SELBSTBEWUSSTER UND ERFOLGREICHER FRAUEN,<br />
WIE SIE ES IHN ERST NACH DEM ERSTEN<br />
WELTKRIEG GEBEN KONNTE. EIN RÜCKBLICK AUF<br />
EIN MODERNES WIE AKTUELLES WERK.<br />
<br />
Berlin-Kreuzbergs und eine der re-<br />
<br />
brodelnden Weimarer Republik. Die<br />
Sehnsucht der Berliner heute ist gerichtet<br />
auf dieses 20er-Jahre-Berlin.<br />
Auf seine Exzesse, seine künstlerische<br />
Promiskuität, seine Geschwindigkeit,<br />
<br />
den expressionistischen Malern am<br />
Potsdamer Platz und der Traumfabrik<br />
des Kinos in Babelsberg, gab in ihren<br />
Fotos den mannigfaltigen Reizen, Bildern,<br />
Sehnsüchten und Neurosen ihrer<br />
Zeit eine Form.<br />
Berühmt wurde sie mit kunstvollen<br />
„synoptischen“ Mehrfachbelichtungen,<br />
mit beinahe allegorischen Verdichtungen.<br />
Darunter ihr zusammen mit Heinz<br />
Hajek-Halke gestaltetes, kubistisches<br />
<br />
mit fast schon heiligem Ernst schauen,<br />
die Arme überschlagen, die Komposition<br />
in Kreise, Wellen und Winkel<br />
aufgelöst. Eine Heroine der Moderne.<br />
Die Bedeutung dieser maßgeblich von<br />
Man Ray entwickelten, technisch aufwendigen<br />
Montage-Technik kann man<br />
daran ermessen, dass Künstler wie der<br />
Surrealist Vinicio Paladini sie in eigene<br />
Werke integriert und so rekontextua-<br />
<br />
gut bekannt, wurde ausgestellt und für<br />
ihren Beitrag zur Foto- und Montagekunst<br />
gewürdigt. Heute erzielen Originale<br />
auf dem internationalen Kunstmarkt<br />
Höchstpreise.<br />
schäftsfrau.<br />
Sie besuchte ihre Kunden<br />
vor Ort statt in ihrem eigenen Atelier<br />
zu versauern. Sie erweiterte ihr<br />
Repertoire auf jede erdenkliche Form<br />
<br />
Produktdetails, Genremotive, Werbestrecken<br />
und Musikerportraits, denen<br />
viele Gruppen, wie zum Beispiel<br />
die Sisters G., berühmte Sängerinnen<br />
und Entertainerinnen der Zwanziger<br />
und Dreißiger, erst ihre mediale<br />
Identität verdankten. Reich wurde sie<br />
durch Arbeiten für Zeitschriften und<br />
die zahlreichen Berliner Illustrierten,<br />
mit Mode und Werbeaufnahmen<br />
oder Bildergeschichten und Rätseln,<br />
die etwa in Ullsteins Vorzeigemagazin<br />
„UHU“ oder „Die Dame“ erschienen<br />
und einem breiten Publikum bekannt<br />
waren. Auf diesen Bildern erscheint<br />
ein selbstbewusster Frauentyp, wie es<br />
ihn erst nach dem Ersten Weltkrieg<br />
ABENDS KAMEN DIE NEUEN<br />
KOLLEKTIONEN AUS DEN<br />
„SHOWROOMS“ DER HAUPTSTADT,<br />
DANN DIE MANNEQUINS. NACHTS<br />
WURDE FOTOGRAFIERT.<br />
Yva im Atelier des Bildhauers Hugo Lederer, 1930<br />
geben konnte, als neue Berufe und<br />
Ausbildungsmöglichkeiten offenstanden.<br />
Man sieht Frauen rauchend, als<br />
dominante Verführerin, in weiten Hosen<br />
vor dem Segeltörn oder als Akt<br />
mit orientalistischer Maske und Säbel<br />
tanzend. Eine Erotik, die sich deutlich<br />
<br />
ohne jedwede Unterwerfungsgesten<br />
an ein männliches Publikum. Neben<br />
einer Bildmontage über den Alltag von<br />
„Drillingen“ steht: „Lilli kocht, Cilli tippt<br />
und Hilli studiert, weil sie die Klügste<br />
ist.“ Ein Dreiklang der Emanzipati-<br />
<br />
zum gesellschaftlichen Aufstieg durch<br />
Bildung. Diesen Frauen steht die Welt<br />
<br />
selbst.<br />
In der Tradition des „Neuen Sehens“<br />
arbeitend, verband sie somit künstlerischen<br />
Ausdruck und kommerzielles<br />
Kalkül, belieferte den Markt und erhielt<br />
sich eine außerordentliche Qualität.<br />
Abends kamen die neuen Kollektionen<br />
aus den „Showrooms“ der Hauptstadt,<br />
dann die Mannequins. Nachts wurde<br />
<br />
wieder zurück in die Geschäfte. Tagsüber<br />
entwickelten ihre Mitarbeiter die<br />
Bilder und fertigten die Retuschen an,<br />
lieferten Kuriere die fertigen Fotos an<br />
die Bildredaktionen und Agenturen<br />
<br />
an der Beschleunigung der Metropole<br />
Berlin getakteter Betrieb, der zeitweise<br />
über 10 Mitarbeitern Arbeit und Ausbildungsmöglichkeiten<br />
gab. Darunter<br />
von 1936-38 dem später weltberühmten<br />
Helmut Newton, der seine Jahre<br />
<br />
Lebens“ bezeichnete. Zunächst in der<br />
Nr.11<br />
50<br />
51<br />
Nr.11
1938 MUSS YVA IHR ATELIER<br />
SCHLIESSEN, AB SEPTEMBER 1941<br />
WIRD DER JUDENSTERN PFLICHT.<br />
Friedrich-Wilhelm Straße 17 (heute<br />
Klingelhöferstraße) zwischen Charlottenburg<br />
und Tiergarten, ab 1930 in der<br />
Bleibtreustraße 17 und ab 1934 schließlich<br />
in der Schlüterstraße 45, im heutigen<br />
„Hotel Bogota“. Mit jedem Umzug<br />
<br />
waren es 14 Zimmer mit 2-geschössigem<br />
Eingangsbereich und Dachterrasse.<br />
Ein kleiner Palast. Unter den 430<br />
Berliner Fotostudios ihrer Zeit, von<br />
denen über 30% von Frauen geleitet<br />
<br />
bekanntesten und erfolgreichsten.<br />
Besucht man heute das von der Schließung<br />
bedrohte „Hotel Bogota“, eines<br />
der wohl historischsten Wohnhäuser<br />
Berlins, sieht man an den Wänden<br />
<br />
sie früher in den Berliner Illustrierten<br />
erschienen sind. Viele davon wurden<br />
eben hier, im heutigen „Bogota“, aufgenommen,<br />
entwickelt und retuschiert.<br />
Der Besitzer Joachim Rissmann führt<br />
durch diese Räume mit größtem Respekt.<br />
Rissmann ist ein Sammler, ein<br />
Fotoliebhaber. Ein melancholischer<br />
Intellektueller, dessen Herz diesem<br />
Ort gehört, der ihn erforscht und dokumentiert<br />
hat, der, spricht man ihn<br />
<br />
<br />
1934 in die Schlüterstraße zog, waren<br />
die Nazis längst an der Macht. Else<br />
Neuländer aber war Jüdin. Auf der<br />
Höhe ihrer Bekanntheit, frisch verheiratet<br />
mit dem 13 Jahre älteren und<br />
wohlhabenden Alfred Simon, bestens<br />
vernetzt in den Verlagen, hielt sie sich<br />
wohl für unangreifbar. Doch langsam<br />
wurden die Aufträge geringer, die großen<br />
Verlage wie Ullstein arisiert, erste<br />
Berufsverbote ausgesprochen. 1938<br />
<br />
September 1941 wird der Judenstern<br />
fach<br />
um. Wohnen bei Bekannten und<br />
Familie, schließlich in einer kleinen<br />
Pension. Ihr Mann wird zum Straßen-<br />
<br />
als Aushilfe in einem Röntgenlabor. Ein<br />
letzter Ausreiseversuch misslingt. Am<br />
1. Juni 1942 wird das Paar von der Gestapo<br />
verhaftet, am 13. Juni nach Osten<br />
deportiert. Vermutlich im KZ Majdanek<br />
(Lublin) wird Else Neuländer von<br />
Nazi-Schergen ermordet.<br />
<br />
Rissmann wiegt im Speisesaal des<br />
„Hotel Bogota“, in dem Goebbels früher<br />
entschied, welche Filme im Dritten<br />
Reich ins Kino kommen durften, leicht<br />
den Kopf. Blickt von irgendwo weither<br />
sein Gegenüber an. Sagt, es habe wohl<br />
an ihrem Mann gelegen, und schweigt<br />
dann.<br />
<br />
wie tragisch im Dritten Reich. Ihr Werk<br />
im Gegensatz zu dem von ihren Zeitgenossen<br />
wie dem Fotografen Umbo aber<br />
zum Glück in verschiedenen Archiven<br />
gesichert. Ihre Wiederentdeckung im<br />
Schatten von berühmten Fotografen<br />
wie ihrem Schüler Newton vielleicht<br />
nur aufgeschoben.<br />
tät.<br />
Ihre Frauenportraits könnten heute<br />
in jedem Magazin erscheinen, ihre<br />
Haltungen und Gesichtsausdrücke<br />
sind geprägt von äußerster Modernität.<br />
Sie spielt mit sozialen und Geschlechterrollen,<br />
mit heimlichen (sexuellen)<br />
Fantasien und materiellem Begehren.<br />
Äußert in ihrer Bildsprache die Gleichzeitigkeit<br />
der Ungleichzeitigkeit, wie<br />
sie dem digitalen Zeitalter innewohnt.<br />
Ihre Arbeit steht am Anbeginn des<br />
Vorrangs des Bilds vor dem Wort. Ein<br />
Sprechen in Bildern. Ein Montieren<br />
mische<br />
Mittel.<br />
Blickt man in die Medien heute, re-<br />
<br />
beobachtet man, wovon man sich verführen<br />
lässt, dann ist all dies schon angelegt<br />
in den Kompositionen von Else<br />
Neuländer.<br />
Mit großer Trauer blickt man zurück<br />
auf die deutsche Geschichte, auf das<br />
Berlin der 20er, denn man weiß allein<br />
<br />
„Yva – Photographien 1925 – 1938“ (2001,<br />
Das Verborgene Museum Berlin, nur noch<br />
antiquarisch zu erhalten) von Marion Beckers<br />
und Elisabeth Moortgat, denen der Autor<br />
dieses Textes Dank schuldet für Ihre Arbeit.<br />
Yva, Selbstportrait, Diethart Kerbs Archiv<br />
Nr.11<br />
52<br />
53<br />
Nr.11
SCHNITTMUSTER<br />
Interview: Sina Braetz<br />
„KLEIDUNG IST MIR EGAL“<br />
ALEX DAVIS BEVORZUGT FÜR IHR LABEL COBRA SOCIETY ACCESSOIRES STATT ANZIEH-<br />
SACHEN, WEIL DIE BESSERE GESCHICHTEN ERZÄHLEN. ZUM BEISPIEL ÜBER MAROKKO,<br />
WO DIE NEW YORKER DESIGNERIN INSPIRATION FINDET. VOR ALLEM IHRE STIEFEL UND<br />
SCHUHE SIND AUS DER FASHION-WELT NICHT MEHR WEGZUDENKEN.<br />
Ein Traum, ein Stiefel, ein Zebra und<br />
ein Land. So in etwa lässt sich die Geschichte<br />
des Accessoire Labels Cobra<br />
Socity herunterbrechen. Auf fast schon<br />
magische vier Wörter. Das, was die Designerin<br />
Alex Davis da kreiert, ist eine<br />
Hommage an handgefertigte, marokkanische<br />
Kunst. Die nordafrikanische<br />
Kultur ist die große Liebe der in New<br />
York lebenden Designerin. Und Accessoires.<br />
Aus diesen Passionen entwickelte<br />
sich ihr Label, für das sie mit Frauendörfern<br />
in Marokkos Atlas-Gebirge<br />
kooperiert. Ebenso wie mit talentierten<br />
Webern in anderen Regionen im Norden<br />
Afrikas. Für Alex Davis sind ihre<br />
Boots und Taschen Ausdruck von Femininität<br />
und Individualität. Aber auch<br />
von Ewigkeit, denn ihre Stiefel sollen<br />
nicht nur ein Begleiter für eine Saison<br />
sein. Beim Designen schätzt Davis die<br />
traditionelle „Goodyear Welt“-Technik,<br />
jede Sohle ihrer Boots ist bis zur Ferse<br />
handgenäht. Für unsere Schnittmuster-<br />
Rubrik hat sie uns ihren Lieblingsstiefel<br />
zur Verfügung gestellt. Wir geben<br />
zu, dieses Schnittmuster ist schwierig<br />
und kostspielig nachzumachen. Aber<br />
es kann inspirieren und vielleicht haben<br />
Sie einen Schumacher Ihres Vertrauens,<br />
mit dem Sie an einem eigenen<br />
Entwurf arbeiten können. Man weiß<br />
nie, vielleicht wird daraus eine Erfolgs-<br />
Geschichte, ähnlich der von Alex Davis.<br />
Frau Davis, Sie kommen gerade<br />
aus einem Meeting. Ging es da um<br />
Ihre neue Kollektion?<br />
Alex Davis: Im Grunde genommen ja.<br />
Wir hatten gerade ein Gespräch mit<br />
einer tollen Website, die bald meine<br />
Kollektion verkaufen wird.<br />
Interessant! Der Accessoire-Markt<br />
wächst aktuell sehr stark. Fast jedes<br />
Label hat heute eine Linie.<br />
Glauben Sie, dass die Menschen<br />
mehr für Accessoires ausgeben als<br />
früher?<br />
AD: Das ist schwierig zu sagen. Ich<br />
denke vor allem, dass die Menschen<br />
heute mehr Wert auf Qualität legen.<br />
Uns ist daher auch zeitloses Design<br />
wichtig. Meine Stiefel können nach 10<br />
Jahren immer noch getragen werden<br />
und genau darum geht es: Wir wollen,<br />
dass unsere Kunden das Gefühl haben,<br />
eine gute Investition gemacht zu haben.<br />
In Accessoires oder in Kleidung<br />
zu investieren, wo liegt der Unterschied<br />
für Sie?<br />
AD: Kleidung zu kaufen ist eine Notwendigkeit,<br />
Accessoires hingegen drücken<br />
viel mehr Feingefühl für Stil aus,<br />
stehen für Extravaganz und Originalität,<br />
für Kunst und Geschichte und auch<br />
fürs Reisen.<br />
Deshalb haben Sie sich auf Accessoires<br />
spezialisiert?<br />
AD: Ja! Kleidung ist mir egal, Acces-<br />
santer.<br />
Man kann mit ihnen viel besser<br />
Geschichten erzählen, mit Kleidung<br />
habe ich das nie geschafft. Deshalb<br />
wird Cobra Society auch nie eine richtige<br />
Ready-to-wear-Marke werden.<br />
Sie planen auch Kleidung zu entwerfen?<br />
AD: Ja, wir planen eine Kollaboration<br />
mit einer meiner Lieblings-Brands. Es<br />
geht dabei allerdings mehr um Outerwear,<br />
mehr kann ich aber dazu noch<br />
nicht sagen.<br />
Gibt es einen Tag, an dem Sie das<br />
Haus ohne Accessoires verlassen?<br />
AD: Nein, nie!<br />
Wie sieht denn ein normaler Tag<br />
für Sie aus?<br />
AD: Das hängt stark davon ab, in wel-<br />
<br />
ist zwar unser Hauptsitz, aber ich verbringe<br />
etwa die Hälfte des Jahres in<br />
Marokko, Italien und Spanien. Heute<br />
beispielsweise habe ich mit meinem<br />
Produktionschef in Marokko gesprochen,<br />
mit meinem Lederlieferanten in<br />
Italien und meiner Sneaker-Fabrik in<br />
Spanien. Mit einem Team an Luftfahrttechnikern<br />
von der Westküste habe ich<br />
ner<br />
Handtaschen besprochen, danach<br />
bin ich zu einer Ausstellungseröffnung<br />
gegangen und am Abend todmüde mit<br />
Mintschokoladen-Eis ins Bett gefallen.<br />
Mein Bett ist wirklich der Ort, an dem<br />
ich mich am liebsten aufhalte.<br />
Sie hatten ein Gespräch mit Luftfahrttechnikern<br />
für die Verschlüsse<br />
Ihrer Taschen? Was haben Sie<br />
besprochen?<br />
AD: Es gibt so viele Firmen, die kein<br />
Logo-Verschluss haben, der wirklich<br />
funktioniert. Die meisten kaufen<br />
vorgefertigte Verschlüsse und gravieren<br />
sie. Ich wollte einen individuellen<br />
Verschluss in Form meines Ze-<br />
„ICH FINDE, WIR SOLLTEN DIE<br />
TRADITIONELLE HANDWERKSKUNST VIEL<br />
MEHR SCHÄTZEN“<br />
bra-Kopf-Logos. Es war ein ziemlich<br />
langer und teurer Prozess, der sich<br />
aber gelohnt hat, denn die Mechanik<br />
und Verarbeitung eines guten Schlosses<br />
ist eine Wissenschaft für sich.<br />
Beschreiben Sie uns doch mal, wie<br />
Ihr Studio ausschaut!<br />
AD: Stellen Sie sich vor, Sie würden inmitten<br />
eines Bienenkorbs aufwachen,<br />
das trifft es ganz gut. Der Unterschied:<br />
Die Bienen tragen alle tolle Boots und<br />
großartige Haarschnitte. Und das<br />
Brummen ist Gelächter in Begleitung<br />
mit klingelnden Telefonen und Leute,<br />
die durcheinander sprechen.<br />
Wie arbeiten Sie, wenn Sie eine<br />
neue Kollektion beginnen, womit<br />
starten Sie?<br />
AD: Ich muss gestehen, dass ich den<br />
altmodischen Weg bevorzuge: Ich benutze<br />
Papier, Kleber, Stifte und natürlich<br />
eine gute Schere, was sehr wichtig<br />
ist. Das ist der erste Schritt. Danach<br />
weiß ich, in welche Richtung es gehen<br />
soll.<br />
Beginnen Sie beim Designen für<br />
gewöhnlich mit einem Schnittmuster?<br />
AD: Nein, eigentlich nicht. Aber ich gestalte<br />
Sachen, die in einer Produktion<br />
mit Schnittmustern umgesetzt werden<br />
können. Ich kenne meine klassischen<br />
Schnittmuster wie meine Westentasche,<br />
aber es hängt einfach stark von<br />
der Inspiration einer Kollektion ab.<br />
Für diese Saison ging es um Pilze und<br />
<br />
die Farbe einer Pilzwiese. Für meine<br />
Herbstkollektion 2012 begann ich mit<br />
einem einzigen Foto eines dänischen<br />
Leder- und Messingstuhls. Es gab aber<br />
auch Zeiten, in denen mehr symbolische<br />
Aspekte wie eine Meduse oder<br />
aber auch antike Münzen bestimmte<br />
Formen inspiriert haben.<br />
Ihre Inspirationsquellen variieren<br />
also stark?<br />
AD: Ja, es gibt keinen wirklichen Beginn,<br />
noch ein Ende für mich. Meine<br />
Inspiration entsteht aus einer kontinuierlichen<br />
Kollision von Ideen und<br />
Designs, die ich jede Saison in die Kol-<br />
<br />
Ihre Accessoires sind aber oft<br />
nordafrikanisch geprägt, was verbindet<br />
Sie mit Afrika?<br />
AD: Ich produziere alle meine orientalischen<br />
Teppiche in Marokko, deshalb<br />
bin ich dort sehr oft hingereist. Es ist<br />
ein Ort, dessen Menschen, Farben,<br />
Essen und Energie mich wahnsinnig<br />
inspirieren. Die Fähigkeiten der<br />
Menschen, die sie von Generation zu<br />
Generation weitergeben, sind faszinierend.<br />
Marokko ist ein Land, das von<br />
unglaublichen Charakteren und einer<br />
de,<br />
wir sollten die traditionelle Handwerkskunst<br />
viel mehr schätzen.<br />
Warum haben Sie genau diese<br />
Boots für uns ausgewählt?<br />
AD: Diese Stiefel sind der Grund, warum<br />
ich Cobra Society gestartet habe.<br />
Noch bevor ich mein Label gegründet<br />
habe, hatte ich sie in meinen Träumen<br />
gesehen. Overknee-Stiefel sind meine<br />
Favoriten und das handgewebte „Devil<br />
Eye Diamond“- Detail, mit dem ich die<br />
Vorderseite des Stiefels versehen habe,<br />
ist mein kultigstes Design von allen. Es<br />
steht für den Höhepunkt der Kraft und<br />
des Schutzes, das jeder, der in diese<br />
Stiefel steigt, spüren soll. Ich liebe, wie<br />
einen das Auge auf eine Achterbahnfahrt<br />
von Formen, Texturen und Bewegung<br />
mitnimmt. Ich habe jede Kollektion<br />
eine verschiedene Version des<br />
Diamant-Prints entworfen und werde<br />
das auch in Zukunft tun.<br />
Nr.11<br />
54<br />
55<br />
Nr.11
NR. 11<br />
COBRA SOCIETY<br />
Nr.11<br />
56<br />
57<br />
Nr.11
LEGENDE<br />
MADS<br />
MIKKELSEN<br />
OB ALS SERIENKILLER, BÖSEWICHT MIT<br />
EISERNEN KILLERAUGEN ODER IGOR<br />
STRAVINSKY – FÜR UNSERE AUTORIN<br />
IST MADS MIKKELSEN DER SEXIEST MAN<br />
ALIVE. BEI DEM GEDANKEN, WIE SICH DER<br />
EHEMALIGE TÄNZER IM BETT BEWEGEN<br />
KÖNNTE, VERLIERT SIE DEN VERSTAND.<br />
Diese Szene spielte sich auch noch nach ein paar<br />
Monaten in meinem Kopf ab, manchmal, einfach<br />
so, ganz ungewollt. Wie seine Hände sich bewegten,<br />
mit Leichtigkeit und gleichzeitig Perfektion.<br />
Dieser Mann wusste, was er tat. Wie er seinen<br />
Körper bewegte, wie seine Augen glühten – verdammte<br />
treibende Rhythmen zu einer hypnotischen<br />
Harmonik verschmelzen ließ. Hallelujah,<br />
schon allein die Vorstellung erregt mich jedes Mal<br />
aufs Neue. Und dann drehte er sich von seinem<br />
Piano um. Ein Blick, es war, als würde er direkt<br />
meine Klitoris treffen. Diese Augen drangen so<br />
tief in mich ein, dass ich fast durchdrehte. Obwohl<br />
ich Schnäuzer und eine 1920er-Nickelbrille nicht<br />
<br />
unfassbar sexy. Und als er so nah vor mir stand,<br />
dass ich seinen Atem auf meinem Hals spürte,<br />
war es aus mit mir. Ich knöpfte sein Kragenhemd<br />
auf, riss es ihm vom Leib und ehe ich irgendeinen<br />
<br />
übereinander her. Im selben Augenblick hörte<br />
ich neben mir ein lautes Schlürfen, schaute erschrocken<br />
zur Seite und sah, wie meine Freundin<br />
einen großen Schluck aus ihrem Proseccoglas<br />
nahm, auf ihrem roten Kinohocker hin und her<br />
rutschte. Gott, ich war fast wütend, als ich mich<br />
umblickte und feststellen musste, dass ich mir<br />
die Szene, die mir so wirklich vorkam, mit gierig<br />
auf die Leinwand glotzenden Kinobesuchern teilte.<br />
Ich wollte ihn ganz für mich! In diesem Moment<br />
war Mads Mikkelsen alias Igor Stravinski<br />
neben Coco Chanel mein Mann, ich wiederhole:<br />
MEINER. So bekloppt sich das anhören mag und<br />
es lag sicher nicht am Alkohol, denn den schüttete<br />
ich mir nach dem Film ernüchternd hinein und<br />
fragte mich: Mann, was ist eigentlich passiert mit<br />
unserer Zeit? Wo sind diese feurigen Affairen geblieben,<br />
diese Liebschaften, les Liaisons Dangereuses?<br />
Männer wie Mads Mikkelsen sind traurigerweise<br />
immer seltener geworden, Männer<br />
mit Charme und Sexappeal. Und noch viel wichtiger:<br />
Intellekt, denn es gibt nichts, ja wirklich gar<br />
nichts Attraktiveres als ein intelligenter, gebildeter,<br />
reifer Mann, der auch noch sexy aussieht, ein<br />
großartiger Schauspieler ist und dann auch noch<br />
– wie hinreißend ist das bitte – ein toller Ehemann<br />
und Vater von 2 Kindern ist. Mikkelsen ist<br />
eine Granate. Und klar, könnte ich jetzt weitermachen<br />
mit meinem Kopfkino, mir ausmalen, wie er<br />
vor mir sitzt auf seinem Ledersessel und mich<br />
mit seinem kalten, unnahbaren Blick als Dr. Hannibal<br />
Lecter, dem Kannibalen, abscannt oder...<br />
auszieht – auch wenn mir der Gedanke Gänsehaut<br />
über den Rücken jagen lässt. Dann sehe ich<br />
ihn als grausamen Le Ciffre in James Bond 007,<br />
wie er sein Pokerface aufsetzt und seine rechte,<br />
sinnliche Oberlippe, erbarmungslos hochzieht.<br />
Und auch da, mit eisernem Killerauge, sieht er<br />
sexy aus, ganz zu schweigen von seiner Rolle<br />
als kämpfender Tristan in „King Arthur“, bei der<br />
er Clive Owen alt aussehen lässt. Und um noch<br />
ein Sahnehäubchen draufzusetzen, das ich ja zu<br />
gerne mit einer Erdbeere von seiner Brust lecken<br />
würde: Er ist auch noch 8 Jahre professioneller<br />
Tänzer gewesen. Wie sexy ist das denn bitte? Ich<br />
meine, abgesehen von der Vorstellung, wie dieser<br />
Mann sich im Bett bewegen könnte. Da verliere<br />
ich völlig meinen Verstand.<br />
Text: Sina Braetz<br />
Foto: Heiko Richard<br />
Der dänische Schauspieler ist 1965 in Kopenhagen<br />
geboren. Seine Erfolgskarriere begann Mitte der<br />
90er-Jahre, seinen internationalen Durchbruch<br />
gelang ihm 2002 in „Für immer und ewig“. Mit den<br />
wichtigsten Filmpreisen Dänemarks wurde er 2004 für<br />
„The Pusher“ ausgezeichnet. Seine bekanntesten Rollen<br />
spielte er in „King Arthur“, „ James Bond 007“, „Coco<br />
Chanel & Igor Stravinsky“ und aktuell in Hannibal.<br />
Nr.11<br />
58<br />
59<br />
Nr.11
COVER<br />
AINO<br />
LABERENZ<br />
„ICH HABE NIE ANGST,<br />
DASS ICH ES NICHT SCHAFFE.“<br />
Fotos David Fischer<br />
Interview Anna-Catharina Gebbers<br />
Styling Solveig Viola<br />
Make-up Christian Fritzenwanker / perfectprops<br />
Kleid Bottega Veneta<br />
Weste <strong>Aino</strong>‘s Own<br />
Nr.11<br />
60<br />
61<br />
Nr.11
Ruhrperle <strong>Aino</strong> <strong>Laberenz</strong>. Aufgewachsen am Rande des Potts, gesegnet mit<br />
dem trockenen Humor und dem Pragmatismus der Region vereint die Anfang<br />
30-Jährige lässig die verschiedensten Rollen: Sie kümmert sich klug und weitblickend<br />
um den Nachlass ihres 2010 an Krebs verstorbenen Ehemannes Christoph<br />
Schlingensief – Deutschlands bekanntestem und vielfältigstem Künstler. Zielgerichtet<br />
organisiert sie die Weiterentwicklung des 2009 von Schlingensief und<br />
ihr initiierten Operndorfes in Burkina Faso, Afrika, einem der ärmsten Länder<br />
der Welt. Was zunächst wie eine Schnapsidee klingt („Braucht man Wagner für<br />
Hungernde?“, fragte die „Süddeutsche“ einmal), ist unter ihrer Führung zu einem<br />
funktionierenden und faszinierenden Entwicklungshilfeprojekt geworden, bei<br />
dem die Musik und die Kunst ein Ausweg aus der Armut aufzeigen sollen.<br />
Begonnen hat ihre berufliche Karriere als Kostümbildnerin. Dafür wurde sie<br />
2005 von der Zeitschrift „Theater heute“ ausgezeichnet. Dass sie schon in ihrer<br />
Schulzeit fotografierte und wir ihr die schönsten Fotos von Schlingensief und<br />
seinen Inszenierungen verdanken, ist bislang nur wenigen bekannt.<br />
Unsere Kuratorin Anna-Catharina Gebbers sprach mit <strong>Aino</strong> <strong>Laberenz</strong> über Kleidung<br />
als Schutz, die Donut-Vorliebe ihres Mannes und was sie in Afrika gelernt<br />
hat.<br />
Kleid Bottega Veneta<br />
Body Prada<br />
Wie lange haben Sie heute zum Anziehen<br />
gebraucht?<br />
<strong>Aino</strong> <strong>Laberenz</strong>: Ganz kurz, ich kann<br />
nicht genau sagen, wie viele Minuten,<br />
aber ich bin eine Schnell-Anzieherin.<br />
Kann ein Kleidungsstück wie ein<br />
Kostüm unterstützen oder schützen?<br />
AL: Natürlich ist es etwas vollkommen<br />
anderes, ob ich jemanden für die Bühne<br />
oder mich selbst anziehe und ob ich<br />
mich privat oder für die Öffentlichkeit<br />
kleide. Ja, es gibt Sachen, in denen ich<br />
mich sicher fühle – das ist allerdings<br />
extrem stimmungsabhängig. Und das<br />
hat mit der Bühne nichts zu tun. Denn<br />
bei den Kostümen geht es mir gerade<br />
nicht um Alltagsstimmungen und Realismus.<br />
Aber ebenso wie die Kleidung<br />
im Alltag können Kostüme für den<br />
Schauspieler wirklich einen Schutz<br />
oder vielmehr eine Hilfestellung darstellen.<br />
Zusätzlich zu den Alltagsrollen,<br />
die wir alle spielen, haben Sie verschiedene<br />
öffentliche Rollen. Wie<br />
wirkt sich das auf Ihre Art sich zu<br />
kleiden aus?<br />
AL: Vielleicht liegt es gerade daran,<br />
dass ich aus dem Kostümbereich komme,<br />
dass ich keine Lust habe, mir einen<br />
Anzug anzuziehen, wenn ich einen<br />
Termin im Auswärtigen Amt wahr-<br />
<br />
würde ich mich nie so verkleiden, dass<br />
mein Aussehen nichts mehr mit mir zu<br />
tun hat. Da gehe ich in einer Jeans hin,<br />
die ich mag, weil ich das bin. Das heißt<br />
allerdings nicht, dass ich bei Terminen<br />
in Afrika wegen der Hitze einfach im<br />
Unterhemd aufkreuze. Für Burkina<br />
Faso ist tatsächlich eine Kiste mit Kleidung<br />
entstanden, die sich zum Beispiel<br />
durch angenehme Stoffe auszeichnet.<br />
Neben Ihrer Arbeit als Kostümund<br />
Bühnenbildnerin verwalten<br />
Sie den Nachlass Ihres 2010 verstorbenen<br />
Ehemannes Christoph<br />
Schlingensief. Sie haben im<br />
vergangenen Jahr ein Buch mit<br />
Schlingensiefs Gedanken herausgegeben<br />
und gemeinsam mit Susanne<br />
Gaensheimer eine Arbeit<br />
von Christoph für den Deutschen<br />
Pavillon adaptiert, nachdem er<br />
gestorben war. Seitdem arbeiten<br />
Sie mit Kuratoren zusammen, die<br />
Ausstellungen mit seinen Werken<br />
entwickeln. Wie empfinden Sie das<br />
Eintauchen in diese unterschiedlichen<br />
kulturellen Bereiche?<br />
AL: Die Unterschiede sind vor allem<br />
strukturell sehr groß. Die Arbeit am<br />
Buch war neu und wahnsinnig spannend<br />
für mich, da ich nur mit Text<br />
arbeiten konnte und nicht visuell.<br />
Obwohl ich umgekehrt für Kostüme<br />
auch visuelle Ideen mit Hilfe von Texten<br />
sammle, die in meinem Kopf Bilder<br />
entstehen lassen. Vor dem Schreiben<br />
hatte ich großen Respekt. Aber ich<br />
konnte mich ja an Christoph und seine<br />
Texte halten. Außerdem hatte ich<br />
Erfahrungen gesammelt, da ich schon<br />
vor seinem Tod gemeinsam mit ihm<br />
geschrieben habe. Dennoch war das<br />
„VIELLEICHT LIEGT ES GERADE DARAN,<br />
DASS ICH AUS DEM KOSTÜMBEREICH<br />
KOMME, ABER ICH HABE KEINE LUST,<br />
MIR EINEN ANZUG ANZUZIEHEN, WENN<br />
ICH EINEN TERMIN IM AUSWÄRTIGEN<br />
AMT WAHRNEHME.“<br />
Buch verdammt schwer, weil es so sehr<br />
Christophs Sprache war und ich eine<br />
große Verantwortung ihm gegenüber<br />
gespürt habe. Die Endgültigkeit eines<br />
gedruckten Buches mit all den möglichen<br />
Fehlern hat mir Angst gemacht.<br />
Christoph hat seine Perspektiven mitunter<br />
stark verändert: Auch wenn ich<br />
ihn so gut kenne, könnte ich nie sagen,<br />
wie er heute seine Meinung zu aktuellen<br />
Themen formulieren würde. Auch<br />
bezüglich des Operndorfs trage ich<br />
eine große Verantwortung, aber die<br />
Entscheidungen entwickle ich vor Ort<br />
und in einem Team. Und ich habe nie<br />
Angst, dass ich es nicht schaffe. Nach<br />
Christophs Tod ist es immer mehr zu<br />
meinem eigenen Projekt geworden.<br />
Und im Gegensatz zum Buch oder<br />
zum Pavillon frage ich mich nicht, ob<br />
ich ihm gerecht werde. In Afrika geht<br />
es um ganz konkrete Bedürfnisse von<br />
Menschen und darum, sich darauf einzulassen.<br />
Das Operndorf ist ja mehr als<br />
ein Projekt. Es ist vor allem ein Prozess,<br />
an dessen Ende die Autonomie<br />
des Dorfes und seiner Bewohner steht.<br />
Wie unterscheiden sich Theater,<br />
Buchbranche und Kunstwelt in<br />
den Umgangsformen?<br />
AL: Im Theater gibt es klarere Hierarchien:<br />
der Regisseur, der Betrieb<br />
Nr.11<br />
62<br />
63<br />
Nr.11
Dries Van Noten<br />
des Hauses, Ausstatter, Schauspieler.<br />
Das ist kein demokratisches Arbeiten.<br />
Trotzdem ist es schwierig, das zu verallgemeinern.<br />
Aber natürlich steht der<br />
Regisseur nach außen für das, was am<br />
Schluss auf der Bühne steht. Er trägt<br />
die Verantwortung. Soweit ich das beurteilen<br />
kann, geht es in der Bildenden<br />
Kunst hingegen mehr um den Künstler,<br />
also um den Produzenten selbst. Und<br />
gleichzeitig gibt es andere Hierarchien,<br />
lauter einzelne Egos, seien es Sammler<br />
oder Kuratoren. Aber das mögen Pauschalurteile<br />
sein.<br />
Welche Rolle spielt Kleidung dabei?<br />
AL: Von außen betrachtet geht es im<br />
Theater vielleicht nicht so modisch<br />
zu. Aber zugespitzt könnte man sagen:<br />
Am Kleidungsstil erkennt man, ob jemand<br />
Dramaturg oder Maskenbildner<br />
ist. Wenn im Theaterumfeld der Rollkragenpullover<br />
fast uniform als Kennzeichen<br />
für intellektuelles Denken<br />
gilt, dann dient in der Kunstszene der<br />
besonders ausgefallene Kleidungsstil<br />
als Beleg für die eigene Einzigartigkeit.<br />
Die Filmwelt zeichnet sich durch<br />
den Glamour des roten Teppichs aus<br />
– selbst in der für den deutschen Film<br />
typischen, abgeschwächten Form. Das<br />
ist beispielsweise interessant an Christoph:<br />
Er hat sich auf all diesen Parketts<br />
bewegt, aber letztlich war er immer<br />
Christoph. Er hat sich nie durch Kleider<br />
dargestellt oder hat sich Kleider-Codes<br />
aufzwingen lassen. Damit meine ich<br />
nicht, dass er in Kleidungsfragen weiß<br />
Gott wie authentisch war – er hat sich<br />
einfach nicht darum gekümmert.<br />
Wie entwickeln Sie Ihre Theaterund<br />
Filmkostüme?<br />
AL: In der Anfangsphase einer Probe<br />
beobachte ich vor allem. Dabei<br />
sammele ich erst einmal: Ich lese den<br />
Text, spreche mit dem Regisseur und<br />
dem Team, komme dadurch auf einen<br />
Film oder eine Musik, sehe das Bühnenbild,<br />
entwickle eine Richtung für<br />
die Kostüme. Mitunter habe ich allerdings<br />
sogar von bestimmten Kostümen<br />
oder Kostümelementen von Anfang an<br />
eine klare Vorstellung. Vieles entsteht<br />
dennoch erst im Laufe der Probenprozesse,<br />
während ich den Schauspielern<br />
zusehe. Ich brauche den Menschen. Ich<br />
muss ihn sehen, ich muss ihn hören,<br />
ich muss ein Gefühl für ihn aufbauen.<br />
Das hat nichts damit zu tun, wie<br />
er sich er sich privat kleidet, sondern<br />
worin sein Zugang zur Rolle besteht.<br />
Schauspieler neigen dazu, sich dem<br />
Klischee vom sensiblen, einfühlenden<br />
Künstler hinzugeben und dies bis zur<br />
<br />
Masken- und Kostümbildner als buchstäblich<br />
hautnahes Umfeld direkt ab.<br />
Der Job besteht manchmal zu 70-80<br />
% aus psychologischer Betreuung, das<br />
Ankleiden erfolgt dann fast nebenbei.<br />
Aber ich liebe es eben auch, etwas<br />
in dieser Interaktion gemeinsam zu<br />
entwickeln – eben weil ich kein kompletter<br />
Konzept-Mensch bin, der von<br />
vornherein eine Idee hat, die einfach<br />
jemandem übergestülpt wird. Dennoch<br />
mag ich es, auf der Bühne Absurditäten<br />
herzustellen, bei denen es nicht um<br />
die psychologische Entwicklung der<br />
Figur geht.<br />
Wie wird aus einer Ideensammlung<br />
der Entwurf ?<br />
AL: Ich gehe vor allem intuitiv vor. Gerade,<br />
wenn ich in kürzester Zeit etwas<br />
herstellen muss oder Vorgaben für die<br />
Werkstätten machen muss, funktioniert<br />
meine Intuition perfekt. Das ist<br />
eine Form der Überforderung, die ich<br />
sehr gern mag. Und bei Prozessen,<br />
die über mehrere Wochen oder Monate<br />
laufen, versuche ich mir das zu<br />
erhalten. Nichts fände ich schlimmer,<br />
als alles immer weiter zu perfektionieren,<br />
aufeinander abzustimmen und ein<br />
ausgefuchstes System zu präsentieren.<br />
„WENN ICH MICH DAS STÄNDIG FRAGEN<br />
WÜRDE, WAS CHRISTOPH DENKT, DANN<br />
WÜRDE ICH IHM HINTERHERLAUFEN UND<br />
IRGENDWANN WAHNSINNIG WERDEN.“<br />
Ich mag die subtile, lebendige und<br />
humorvolle Narration durch Kostü-<br />
<br />
sogar Christoph erst nach vielen Vor-<br />
<br />
Farben oder Stoffe bei verschiedenen<br />
Figuren in verschiedenen Szenen<br />
wiederholten und so eine eigene Logik<br />
jenseits des eigentlichen Stückes<br />
entfalteten. So erzähle ich manchmal<br />
eigene Geschichten: Bei Christophs<br />
Stück „Eine Kirche der Angst vor dem<br />
Fremden in mir“ gab es eine Ordensgruppe,<br />
die Donut-artige Dutts auf<br />
der Stirn hatten und die man als Auge<br />
Gottes hätte interpretieren können. Es<br />
waren aber Donuts, weil Christoph so<br />
gerne Donuts aß.<br />
Welchen Einfluss hat Mode auf<br />
Ihre Kostüme?<br />
AL: Ich interessiere mich total für<br />
Mode! Ob ich nun gerade auf dem allerneuesten<br />
Stand der Schauen bin,<br />
kommt allerdings darauf an, wie sehr<br />
ich gerade in meiner Arbeit stecke.<br />
Und für manche Designer interessiere<br />
ich mich mehr als für andere. Als ich<br />
tümgeschmack<br />
viel strikter daran orientiert.<br />
Heute spielt es für meine Arbeit<br />
keine Rolle, ob ich beispielsweise<br />
privat Samt mag oder nicht. Und umgekehrt<br />
lehne ich heute sowohl für die<br />
Bühne wie für das Private nichts mehr<br />
kategorisch ab. Moiré-Stoff hasse ich,<br />
aber dennoch kann es sein, dass ich<br />
ihn irgendwann auf der Bühne einsetze,<br />
weil er dort in einem bestimmten<br />
Zusammenhang für mich funktioniert.<br />
Wie entscheidest Sie sich für Stoffe<br />
und wie finden Sie sie?<br />
AL: Wenn ich weiß, welchen Eindruck<br />
ich erwecken will, mache ich mich gezielt<br />
auf die Suche. Aus Erfahrung weiß<br />
ich, welches Material sich wie verhält.<br />
Manchmal stelle ich verschiedene<br />
Kostüme aus dem gleichen Material in<br />
unterschiedlicher Zusammenstellung<br />
her, etwa aus mal mehr, mal weniger<br />
dichten Lagen von Tüll. Oder ich brau-<br />
<br />
Beweglichkeit benötige. Wenn man die<br />
wiederum gegen den Strich näht, dann<br />
de<br />
die Materialien ganz unterschiedlich:<br />
Über Großhändler, die ich gerne<br />
besuche, oder durch Kataloge, aus<br />
denen ich bestelle. Wenn ich beispielsweise<br />
Herrenstoffe in guter Qualität<br />
suche, dann schaue ich am liebsten in<br />
den Katalogen in England. Es gibt da<br />
ein paar Knaller-Hersteller. Insgesamt<br />
nimmt da aber leider zurzeit die Zahl<br />
der Muster und Farben ab. Manchmal<br />
ten.<br />
Oder ich arbeite auch mit Materialien,<br />
die ich zweckentfremde und viel-<br />
<br />
– das mag ich ganz besonders.<br />
Wie sind Sie überhaupt zum Kostüm<br />
gekommen?<br />
AL: Kostümbild war nie mein großes<br />
Ziel, sondern hat sich eher einfach<br />
ergeben. Ich bin mit der Theater- und<br />
Wagner-Leidenschaft meiner Eltern<br />
aufgewachsen. Mein erstes Schulpraktikum<br />
war am Theater bei der<br />
<br />
die vielen Handwerker unter einem<br />
Dach und das ganze Gewusel hinter<br />
der Bühne. Direkt nach der Schule<br />
habe ich dann in Bayreuth als „Blaues<br />
Mädchen“ gearbeitet, das als Einlasspersonal<br />
ab der Generalprobe in<br />
Nr.11<br />
64<br />
65<br />
Nr.11
Shirt Odeeh<br />
Rock Odeeh<br />
Schuhe Miu Miu<br />
Nr.11<br />
66<br />
67<br />
Nr.11
„ICH HATTE NIE EINEN TRAUMBERUF<br />
ODER WOLLTE DRINGEND HEIRATEN.<br />
DAS IST EINFACH ALLES PASSIERT.“<br />
jeder Aufführung sitzt. Daher kannte<br />
ich die Wagner-Opern inhaltlich und<br />
musikalisch fast besser als Christoph,<br />
der seinen Opern-Zugang vor allem<br />
über den Film und über Nietzsche entwickelte.<br />
Direkt nach der Schule habe<br />
ich ein oder zwei Semester Kunstgeschichte<br />
studiert und wollte in der Zeit<br />
meine Mappe für die Kunsthochschule<br />
vorbereiten. Ich wollte nach Antwerpen<br />
in den Bereich Kostüm. Bei dem<br />
Theaterpraktikum, das ich für die Bewerbungsunterlagen<br />
absolviert habe,<br />
durfte ich allerdings gleich assistieren<br />
und hab dann das Assistenzjahr voll<br />
gemacht. Als sie mich am Schauspielhaus<br />
Zürich nahmen, hatte sich mein<br />
Weg entschieden. Die Arbeit mit einem<br />
haptischen Material hat mich immer<br />
viel mehr gereizt als nur die reine The-<br />
<br />
seit meiner Schulzeit und liebe das fast<br />
unmerklich verrutschte Bild, das sich<br />
situativ ergibt.<br />
Fotografieren Sie noch?<br />
<br />
etwas abgelegt. Für Christoph habe ich<br />
<br />
aber selbst nicht so sehr im Fokus und<br />
konnte daher beispielsweise in Afrika<br />
spielerischer mit dem Medium umgehen.<br />
Diese Ruhe fehlt mir heute, genauso<br />
wie die Anlässe, die Christoph mir<br />
bot. Das vermisse ich sehr.<br />
Wir hatten kurz über das<br />
Operndorf in Afrika gesprochen,<br />
das Sie nach Christoph Schlingensiefs<br />
Tod weiterführen. In einer<br />
gerade veröffentlichen Lernstandserhebung<br />
der UNESCO liegt die<br />
Schule im Operndorf sehr weit<br />
vorne. In diesem Jahr nehmen Sie<br />
den Bau der Krankenstation ab.<br />
Im Herbst wird das Festival au Désert<br />
im Operndorf gastieren, und<br />
es wird irgendwann eine eigene<br />
Bühne entstehen. Kunst fließt dort<br />
in alle Bereiche ein. Die Kinder<br />
lernen offenbar besser durch den<br />
zusätzlichen Kunstunterricht und<br />
die zahlreichen Film-, Theater-,<br />
Tanz- und Musikworkshops. Darin<br />
finden sich viele Parallelen zu<br />
Joseph Beuys Gedanken, dass in jedem<br />
Menschen ein Künstler steckt,<br />
der nur gefördert werden muss.<br />
AL: Wir schotten Kunst nicht vom Leben<br />
ab, sie gehört bei uns zu allem dazu.<br />
Und es gibt Bereiche, die vordergründig<br />
gar nichts mit Kunst zu tun haben.<br />
Nicht nur, weil das Operndorf in Afrika<br />
liegt, sondern auch, weil ich mich mit<br />
ganz anderen Sachen beschäftigen<br />
muss. Mit Rechtsfragen, dem Bildungssystem,<br />
hygienischen Richtlinien. Die<br />
Kunst scheint dabei zunächst nicht<br />
relevant. Die Grenzen zwischen Alltagsleben<br />
und Kunst sind aber tatsäch-<br />
<br />
<br />
im Allgemeinen oder Entwicklungszusammenarbeit<br />
im Besonderen schwierig,<br />
das Operndorf in wenigen Worten<br />
zu beschreiben. Natürlich sind die Einrichtung<br />
einer Schule und einer Krankenstation<br />
keine Kunst im eigentlichen<br />
Sinn, sie sind es aber dann, wenn man<br />
das Operndorf als die Soziale Plastik<br />
versteht, die auch Christoph im Kopf<br />
hatte. In der Realität des Operndorfes<br />
ist die Kunst allgegenwärtig, im Lehrangebot<br />
der Schule genauso wie in den<br />
täglichen Veranstaltungen. Gleichzeitig<br />
wird Kunst dadurch ganz alltäglich<br />
und normal. Das Operndorf ist deshalb<br />
kein Freilichtmuseum, man muss<br />
hier keinen Kunstraum behaupten.<br />
Die Kunst wird von den Menschen vor<br />
Ort mit gelebt, ohne dass man sie reklamieren<br />
muss. Die Atmosphäre und<br />
der Zugang sind anders und direkter,<br />
als wenn man das Operndorf auf Zeit<br />
inszenieren würde. Wir sind aber hier<br />
auf keiner Bühne, sondern holen die<br />
Kunst von der Bühne runter, damit sie<br />
merkt, dass sie ohne Anschluss ans Leben<br />
keinen Sinn macht.<br />
Das Operndorf steht unter dem<br />
Motto „Von Afrika lernen“: Was lernen<br />
Sie persönlich von Afrika?<br />
AL: Abgesehen davon, dass ich in eine<br />
völlig andere Kultur eintauche, macht<br />
es mir Spaß, dass ich dort lerne, mich<br />
extrem zurückzunehmen. Ich weiß<br />
in Deutschland so wenig von dem<br />
dortigen Leben, dass ich vor Ort erst<br />
mal alles mitgebrachte, unbrauchbare<br />
Wissen beiseite schieben kann. d.h.<br />
nicht, dass man nicht automatisch<br />
das mitbringt, woher man kommt und<br />
auf einmal Afrikaner wird. Es ist aber<br />
das Einlassen auf etwas Fremdes. Ein<br />
weiterer Effekt, den Christoph erzielen<br />
wollte, ist die Erkenntnis dessen, wie<br />
voreingenommen unsere Wahrnehmung<br />
von Afrika ist. Denn das Afrika,<br />
von dem wir uns durch die von uns<br />
produzierten Bildern erzählen, unterscheidet<br />
sich erheblich von dem Afrika,<br />
wie es die Afrikaner sehen. Ich hab oft<br />
die Erfahrung gemacht, dass man sich<br />
von diesem von „uns“ festgelegtem<br />
Bild erst mal befreien muss. Und nach<br />
dem wir so viel von der afrikanischen<br />
Kunst für unsere Kultur geklaut und<br />
verwurstet haben, wollen wir jetzt die<br />
eigenen Bilder der Burkinabé sehen.<br />
Denn: Obwohl das Operndorf viele<br />
von Christophs Themen zuspitzt, war<br />
es sein Ziel, dass er und wir dort im<br />
Endeffekt nur Zuschauer sind. Heute<br />
bin ich viel entspannter geworden, was<br />
die Kritik am Operndorf angeht. Denn<br />
ich weiß mittlerweile, dass es funktioniert<br />
– vollkommen unabhängig davon,<br />
ob man das in Deutschland als falsche<br />
Entwicklungshilfe oder was auch immer<br />
bezeichnet. Ich mag nichts mehr<br />
rechtfertigen.<br />
Würde sich Christoph Schlingensief<br />
in diesem Stadium noch für<br />
das Projekt engagieren?<br />
AL: Darum geht es für mich beim<br />
Operndorf nicht mehr. Ich muss damit<br />
leben, dass er nicht mehr da ist. Wenn<br />
ich mich das ständig fragen würde,<br />
dann würde ich ihm hinterherlaufen<br />
und irgendwann wahnsinnig werden.<br />
Aber natürlich ist Christoph permanent<br />
bei mir durch unsere Bindung.<br />
Hast du dich ich daran gewöhnt,<br />
das Operndorf in der Öffentlichkeit<br />
zu präsentieren?<br />
AL: Geändert hat sich vor allem, dass<br />
ich gelernt habe in der Öffentlichkeit<br />
zu reden. Ich traue mir jetzt viel mehr<br />
zu. Und vor dem Hintergrund der Entscheidungen,<br />
die ich in Afrika oder für<br />
Christophs Werk vertreten muss, relativieren<br />
sich viele andere Dinge. Aber<br />
zu meinem Glück stehe ich bei meiner<br />
Arbeit nie selbst als Person im Mittelpunkt,<br />
sondern die Dinge, über die ich<br />
rede. Und das Gute ist, dass man mich<br />
jenseits dieses Kontextes oft gar nicht<br />
erkennt.<br />
Würden Sie sich gerne manchmal<br />
einfach zurückziehen können?<br />
AL: Das ist eine der Fragen, die ich mir<br />
<br />
ich Sachen, die ich machen will – Kostüme,<br />
Bühnenbilder, genauso wie das<br />
Operndorf oder das Buch. Auf der anderen<br />
Seite neige ich dazu, mich selbst<br />
zurückzustellen, ohne es zu merken.<br />
Das merke ich daran, dass ich unruhig<br />
werde. Durch Christoph habe ich viel<br />
lernen dürfen, durch seinen Tod habe<br />
ich vieles lernen müssen. Ich habe<br />
dann allerdings auch Dinge geschafft,<br />
die ich mir selber nie zugetraut habe.<br />
Jetzt merke ich, dass ich diese für meine<br />
tägliche Arbeit so wichtigen Erfahrungen<br />
noch einmal anders umsetzen<br />
möchte und dafür einen neuen, vollkommen<br />
anderen Input bräuchte. Den<br />
fände ich jedoch nicht, indem ich mich<br />
zurückziehen, sondern eher durch<br />
neue Herausforderungen.<br />
Wissen Sie, was Sie in 20 Jahren<br />
machen werden?<br />
AL: Nee! Das habe ich auch noch nie<br />
gekonnt. Ich hatte nie einen Traumberuf<br />
oder wollte dringend heiraten. Das<br />
ist einfach alles passiert.<br />
Mehr Infos zum Operndorf in Burkina<br />
Faso hier:<br />
www.operndorf-afrika.com<br />
Und hier kann man spenden: Festspielhaus<br />
Afrika, Kontonr. 11 28 578, BLZ 100<br />
701 24, Deutsche Bank Berlin.<br />
Die Kuratorin, Publizistin, Philosophin<br />
und Kulturproduzentin Anna-Catharina<br />
Gebbers, die dieses Gespräch für uns<br />
führte, arbeitet aktuell zusammen mit<br />
Klaus Biesenbach und Susanne Pfeffer an<br />
der gemeinsam kuratierten Ausstellung<br />
„Christoph Schlingensief“. Die Retrospektive<br />
wandert nach ihrer Premiere am<br />
30.11.2013 in den Kunst-Werken, Berlin,<br />
im Frühjahr 2014 ans MoMA PS1 in New<br />
York.<br />
Kleid Bottega Veneta<br />
Weste <strong>Aino</strong>‘s Own<br />
Nr.11<br />
68<br />
69<br />
Nr.11
„Seen quite a bit in my twenty-three years / I’ve been manic<br />
depressive and I’ve spat a few tears“<br />
– Dexys Midnight Runners<br />
Fotos Stefan Armbruster<br />
Styling Götz Offergeld und Sina Braetz<br />
Model Baptiste Radufe / Success Paris<br />
Hugo by Hugo Boss<br />
Nr.11<br />
70<br />
71<br />
Nr.11
Nr.11<br />
72<br />
73<br />
Nr.11
Nr.11<br />
74<br />
75<br />
Nr.11
S W<br />
I N G<br />
Bluse Jil Sander<br />
Rock Miu Miu<br />
Y<br />
“I’M NOT MESSY, I’M BUSY”<br />
FRANCES HA<br />
C<br />
I<br />
T<br />
Fotos Irina Gavrich<br />
Haare & Make-up Anna Wagner / Monika Leuthner<br />
Styling Max Märzinger / Monika Leuthner<br />
Model Helena Palle<br />
Assistenz Alice Fadeeva<br />
Nr.11<br />
76
Bluse COS<br />
Hose Ute Ploier<br />
Schuhe COS<br />
Brille Damir Doma / Mykita<br />
Bluse Natures of Conflict<br />
Rock Sonia by Sonia Rykiel<br />
Schuhe L‘F<br />
Nr.11<br />
78<br />
79<br />
Nr.11
Bluse COS<br />
Rock Strenesse<br />
Schuhe Giuseppe Zanotti<br />
Nr.11<br />
80<br />
81<br />
Nr.11
Bluse Second Hotel<br />
Rock Wood Wood<br />
Schuhe COS<br />
Bluse Burberry Brit<br />
Rock Jil Sander<br />
Schuhe Madleine<br />
Nr.11<br />
82<br />
83<br />
Nr.11
Jacke Acne at Mr Porter<br />
Hemd John Smedley<br />
Hose Burberry<br />
Fotos Neil Gavin<br />
Styling Ruth Higginbotham<br />
Styling Assistenz Alice Burnfield<br />
Assistenz Colin Michael Simmons<br />
Haare Gary Gill for Emotive Using Wella Professionals Care & Syle & SP For Men Haar-Assistenz Jayne Dempsey<br />
Make-up Louise Dartford / Stella Creative using Melvita<br />
Models Saveja at FM / Angus at Models 1 / Tommy Lee at Models 1<br />
<br />
Wollmantel Carven<br />
Schuhe Burberry<br />
<br />
Jeans Topman<br />
Rollkragen Pullover John Smedley at Mr Porter<br />
Mantel Richard Anderson<br />
Blazer Carven<br />
Schuhe Burberry<br />
Nr.11<br />
84<br />
85<br />
Nr.11
Hut TktktktWylde<br />
Pullover Tktktkt Cucinelli<br />
Hut TktktktWylde<br />
Pullover Tktktkt Cucinelli<br />
Rollkragen-Shirt Camilla and Marc<br />
Mantel Ganni<br />
Rock Carven<br />
Schuhe Chloe<br />
Oberteil Camilla and Marc<br />
Rock Prada<br />
Schuhe Burberry<br />
Nr.11<br />
86<br />
87<br />
Nr.11
Prada<br />
Burberry<br />
Schuhe Loake<br />
Nr.11<br />
88<br />
89<br />
Nr.11
Mantel Burberry<br />
Sie trägt<br />
Mantelkleid Simone Rocha<br />
Schuhe Burberry<br />
Er trägt<br />
Hemd Ben Sherman<br />
Mantel Richard Anderson<br />
Jeans Topman<br />
Schuhe Burberry<br />
Nr.11<br />
90<br />
91<br />
Nr.11
PORTRAIT<br />
MARINA<br />
ABRAMOVIC<br />
IHR RADIKALER UMGANG MIT IHREM KÖRPER MACHTE DIE GEBÜRTIGE SERBIN ZUR<br />
BERÜHMTESTEN KÜNSTLERIN DER WELT. EIN GESPRÄCH ÜBER SEX IM ALTER, MODE UND<br />
DIE NASE VON BRIGITTE BARDOT.<br />
Fotos Irina Gavrich<br />
Interview Miriam Suter & Ruben Donsbach<br />
Styling Sara Dunn<br />
Nr.11<br />
92<br />
93<br />
Nr.11
Givenchy<br />
Givenchy<br />
Maximum angelangt: Ob Lärm oder Informationsüberschuss,<br />
jede Form von<br />
Umweltbelastung ist hier am stärks-<br />
<br />
375.000 selbsternannte Künstler, die<br />
alle irgendetwas produzieren. Das ist<br />
doch völliger Wahnsinn.<br />
Sie sagen in „The Artist is present“,<br />
dass viele Menschen und Kritiker<br />
Sie früher „wahnsinnig“ genannt<br />
haben. Wie weit liegen „Wahnsinn“<br />
und „Normalität“ auseinander?<br />
MA: Ich glaube, jede neue Idee kann<br />
für die Gesellschaft erst einmal wahnsinnig<br />
wirken. Denken Sie an die<br />
Vorstellung von der Erde als einer<br />
Scheibe, von der man am Rand runterfallen<br />
könnte. Und dann kam Galilei<br />
transportieren, deshalb arbeite ich bei<br />
meinen Performances viel mit Gefühlen<br />
und provoziere heftige Reaktionen<br />
bei meinem Publikum.<br />
Dann lassen Sie uns über Gefühle<br />
sprechen. Fangen wir mit der Liebe<br />
an.<br />
MA: Liebe ist unglaublich wichtig. Mit<br />
meiner Performance im MoMA wollte<br />
ich jedem, der sich mir gegenüber<br />
setzt, bedingungslose Liebe geben.<br />
Wir lieben immer nur unter gewissen<br />
Bedingungen und auch nur bestimmte<br />
Leute. Was, wenn diese Menschen uns<br />
verlassen oder sterben? Dann fallen<br />
wir in ein Loch. Es ist so wichtig, bedingungslose<br />
Liebe geben zu können,<br />
selbst seine Feinde zu lieben. Das ist<br />
„ICH BIN EINE<br />
KRIEGERIN“<br />
Marina Abramovic ist in einer Familie<br />
von jugoslawischen Partisanen aufgewachsen.<br />
Ihr Vater war ein Kriegsheld,<br />
der Großvater Patriarch der<br />
serbisch-orthodoxen-Kirche. Das hat<br />
sie ganz schön widerständig gemacht.<br />
Gegen sich selber wie gegen andere.<br />
Abramovic arbeitete als Malerin und<br />
Autorin. Berühmt geworden aber ist<br />
sie mit ihren extremen Performances,<br />
bei denen sie immer wieder an die<br />
Grenzen körperlicher Belastbarkeit<br />
gegangen ist. Sie ließ sich vom Publikum<br />
die Haut aufritzen, schlug Höhlen<br />
in einen Steinbruch oder kämmte sich<br />
stundenlang die Haare. Der endgültige<br />
Durchbruch gelang ihr mit der Performance<br />
„The artist is present“ im Museum<br />
of Modern Art (14. März - 31. Mai<br />
2010) in New York. Mit Unterbrechungen<br />
saß Abramovic in 721 Stunden<br />
1565 Menschen gegenüber, darunter<br />
Lady Gaga, mit der sie kooperiert,<br />
Klaus Biesenbach und Björk. Sie hielt<br />
ihren Blicken stand und schwieg,<br />
während ihre Gegenüber in Tränen<br />
ausbrachen oder sogar aggressiv<br />
wurden. Marina Abramovic erhielt für<br />
ihr Werk zahlreiche Auszeichnungen,<br />
darunter 1997 den Goldenen Löwen<br />
auf der Biennale in Venedig. Letztes<br />
Jahr wurde sie zum Ehrenmitglied der<br />
Royal Academy of Arts gewählt. Ein<br />
Gespräch über die Lust an der Kunst,<br />
den eigenen Körper und die Nase von<br />
Brigitte Bardot.<br />
<strong>Fräulein</strong>: Frau Abramovic, in der<br />
Dokumentation The Artist is present<br />
sieht man, wie intensiv Menschen<br />
auf Sie reagieren. Manchen<br />
kommen die Tränen, andere werden<br />
wütend, wiederum andere reißen<br />
sich die Kleider vom Leib. Wie<br />
machen Sie das?<br />
Marina Abramovic: Diese Arbeit war<br />
auch für mich eine sehr intensive Erfahrung.<br />
Mit der Retrospektive im<br />
MoMA, in deren Kontext The artist is<br />
present entstand, wollte ich gewissermaßen<br />
endlich Mainstream werden.<br />
Ich wollte zeigen, worin mein Beitrag<br />
zur Performance-Kunst der letzten 40<br />
Jahre bestanden hat. Durch die Retrospektive<br />
bin ich nun zur öffentlichen<br />
Figur geworden. In den letzten Wochen<br />
war ich auf 7 Magazin-Titeln. Das ist<br />
doch unglaublich.<br />
Sie haben jetzt auf jeden Fall die<br />
Aufmerksamkeit der Mainstream-Medien.<br />
Wie fühlt sich das an?<br />
MA: Für mich ist das sehr gut. Bis<br />
zu diesem kommerziellen Erfolg hat<br />
es gedauert, ich mache ja schon sehr<br />
lange Kunst. Aber hätte ich so einen<br />
Durchbruch mit 35 gehabt, wäre das<br />
wohl ein Desaster für mein Ego gewesen.<br />
Heute kann ich versuchen<br />
etwas in unserer Gesellschaft zu bewegen<br />
und zu verändern. Es geht mir<br />
nicht um meine Eitelkeit, sondern um<br />
Glaubwürdigkeit.<br />
Immer mehr Menschen treffen<br />
sich online in den sozialen Netzwerken.<br />
Haben Sie den Eindruck,<br />
dass Ihr Erfolg auch daher kommt,<br />
dass es das Bedürfnis nach der<br />
Präsenz des Körpers gibt?<br />
MA: Absolut! Unser größtes Problem<br />
ist meiner Meinung nach die „Technologie“.<br />
Sie wurde erfunden, um uns<br />
Zeit zu ersparen. In Wahrheit aber<br />
kostet sie uns (Lebens-)Zeit. Sie hat<br />
die menschliche Interaktion aus unseren<br />
Leben verdrängt. Doch wir brauchen<br />
diesen Kontakt, haben verlernt,<br />
unsere iPhones und Blackberrys zur<br />
Seite zu legen und Zeit mit uns selbst<br />
zu verbringen. Darum ging es auch bei<br />
meiner Performance im MoMA, um<br />
Interaktion.<br />
Es schien fast so, als habe Ihre Performance<br />
einen beinahe „sakralen“<br />
Raum geschaffen, zu dem die<br />
Menschen gepilgert sind.<br />
MA: Es ist sehr bedeutend, in welchem<br />
Kontext man arbeitet. Und dieser<br />
Kontext ist für mich die Kultur. Kultur<br />
beinhaltet aber die verschiedensten<br />
Dinge: Wissenschaft, Technologie, das<br />
Spirituelle und natürlich die Kunst! Ich<br />
interessiere mich sehr wenig für mich<br />
selbst. Mein Körper ist vielmehr ein<br />
Werkzeug, ein Kommunikationsmittel.<br />
Der Künstler muss der Gesellschaft<br />
dienen. Er muss begreifen, wo es Probleme<br />
gibt, und Lösungen vorschlagen<br />
oder zumindest Fragen aufwerfen, die<br />
es zu beantworten gilt.<br />
Der Künstler ist also ein Problemlöser?<br />
MA: Ja, ein Künstler sollte sich dort<br />
aufhalten, wo es problematisch und<br />
<br />
seit 2005 wohne, hat niemand Zeit.<br />
Der Stress ist auf einem absoluten<br />
und sagte: nein, es ist eine Kugel. Das<br />
kam erst einmal nicht so gut an. Es<br />
galt als wahnsinnig. Sein Wahnsinn<br />
wurde aber irgendwann zur Wahrheit.<br />
Die Kunst muss in die Zukunft denken<br />
und Künstler benötigen eine Intuition,<br />
die es ihnen erlaubt Dinge zu sehen,<br />
die anderen Menschen womöglich erst<br />
einmal nicht auffallen. Anders als Wissenschaftler<br />
haben Künstler natürlich<br />
keine „Beweise“, zumindest nicht im<br />
klassischen Sinne.<br />
Ganz zu Beginn Ihrer Karriere<br />
wollten Sie Malerin werden. Wie<br />
sind Sie zur Performance gekommen?<br />
MA: Das war keine rationale Entscheidung,<br />
es ist einfach so passiert. Ich<br />
habe ständig Wolken gemalt, lag oft<br />
im Gras und schaute mir den Himmel<br />
an. Eines Tages tauchten wie aus dem<br />
Nichts Jet-Flugzeuge auf und hinterließen<br />
da ihre Spuren. Das hat mich dazu<br />
inspiriert, etwas Bewegtes zu machen,<br />
weg von dem Eindimensionalen der<br />
Malerei. In diesem Moment bin ich mir<br />
meiner enormen künstlerischen Freiheit<br />
bewusst geworden.<br />
Was ist eigentlich die „message“<br />
Ihrer Arbeiten?<br />
MA: Ich will den Leuten zeigen, wie<br />
wichtig es ist, seinen Geist freizulassen.<br />
Diese Botschaft ist sehr schwer zu<br />
zwar ein sehr buddhistischer, aber<br />
dabei auch sehr sinnlicher Gedanke.<br />
Liebe erzeugt so viel Leiden, wir müssen<br />
also versuchen sie irgendwie zu<br />
abstrahieren.<br />
Bei Ihren extremen Arbeiten haben<br />
Sie bestimmt oft Schmerzen,<br />
wie gehen Sie damit um?<br />
MA: Liebe, Schmerz und Tod sind<br />
die Grundelemente von Künstlern<br />
und ihrer Arbeit. Ich habe sehr viele<br />
schmerzhafte Erfahrungen vor, mit<br />
meinem und durch mein Publikum<br />
gemacht. Weil ich ihnen zeigen wollte:<br />
Wenn ich es kann, dann könnt ihr es<br />
auch. Wenn man Angst vor Schmerz<br />
hat, muss man sich damit konfrontieren.<br />
Nur so kann man diese Angst hinter<br />
sich lassen und dem Schmerz, egal<br />
ob physisch oder psychisch, gelassen<br />
entgegentreten.<br />
Wann haben Sie sich zum ersten<br />
Mal absichtlich selber verletzt?<br />
MA: Da könnte ich Millionen von Geschichten<br />
erzählen. Als Teenie hasste<br />
ich meine Nase, ich wollte eine Stupsnase<br />
wie Brigitte Bardot. Jedes Mal<br />
wenn ich meiner Mutter erzählte, dass<br />
ich eine Operation will, hat sie mich ins<br />
Gesicht geschlagen. Also habe ich alle<br />
meine ausgeschnittenen und gesammelten<br />
Bilder von Brigitte Bardot genommen,<br />
bin ins Schlafzimmer meiner<br />
Eltern und habe mich auf die scharfen<br />
Kanten ihres Bettes fallen gelassen. Sie<br />
haben mich ins Spital gebracht und ich<br />
hoffte, sie würden meine Nase nun anpassen.<br />
Leider habe ich sie beim Sturz<br />
verfehlt und nur mein Kinn getroffen.<br />
All das Blut für nichts! (lacht) Ende<br />
der Story, und hier bin ich, immer noch<br />
mit meiner „old big nose“. Heute bin<br />
ich sehr glücklich damit.<br />
Lady Gaga hat vor Kurzem in einem<br />
Interview gesagt, dass Sie<br />
ihr gezeigt hätten, wie man seine<br />
Grenzen als Frau erweitert, dass<br />
Sie wirklich „grenzenlos“ und ein<br />
Vorbild seien. Ist Ihnen dieser Status<br />
eigentlich bewusst?<br />
MA: Sehen sie, ich war noch nie so<br />
glücklich in meinem Leben wie jetzt<br />
gerade. Ich werde bald 67 Jahre alt,<br />
Nr.11<br />
94<br />
95<br />
Nr.11
Bluse Costume National<br />
Hose Givenchy<br />
PORTRAIT<br />
bin Single und fühle mich frei. Ich<br />
muss keinerlei Kompromisse mehr<br />
eingehen. Ich mache die Arbeit, auf<br />
die ich wirklich Lust habe. Ich wache<br />
um 6 Uhr morgens auf wie ein Krieger.<br />
Ich bin gut trainiert und diszipliniert.<br />
Diese Energie muss genetisch bedingt<br />
sein. Alle meine Mitarbeiter sind jünger<br />
als ich, machen aber immer früher<br />
schlapp. Ich glaube, jeder Mensch hat<br />
eine Mission und ich bin sehr glücklich<br />
darüber, diese Mission schon so früh in<br />
meinem Leben gefunden zu haben. Die<br />
Kunst!<br />
Sie sagen, dass ein Künstler wie ein<br />
Krieger sein muss?<br />
MA: Absolut. Dennoch muss er seine<br />
Schwächen offenbaren.<br />
Sie wirken sehr stark und fokussiert<br />
in Ihren Arbeiten. Woher<br />
kommt diese Willenskraft?<br />
MA: Meine Arbeit ist meine Leidenschaft,<br />
ich wollte immer nur das, keine<br />
Kinder, keine Familie, nur Künstlerin<br />
sein. Meine Eltern waren Partisanen<br />
im Zweiten Weltkrieg, von ihnen habe<br />
ich enorme Disziplin gelernt und dass<br />
man für seinen Traum auch Opfer<br />
bringen muss. Denn wenn du deine<br />
Kraft sparsam einsetzt, erreichst du<br />
nichts. Du musst dich bedingungslos<br />
aufgeben, „that’s it“.<br />
Sind Sie eigentlich zufrieden mit<br />
Ihrem Körper? Bei Ihren Performances<br />
sind Sie ja oft komplett<br />
nackt.<br />
MA: Ich bin im Grunde meines Herzens<br />
sehr unsicher und unglaublich schüchtern.<br />
Mit meinem Körper bin ich überhaupt<br />
nicht zufrieden, ich denke oft, ich<br />
bin zu fett. Ich würde mich auch nie vor<br />
meinen Freunden ausziehen. Während<br />
der Performances ist das aber ganz anders.<br />
Wenn ich performe, dann benutze<br />
ich meinen Körper als Instrument,<br />
ich denke dann gar nicht daran, dass<br />
ich nackt bin. Ich brauche diese Trennung<br />
von Privatem und Arbeiten.<br />
„ALS KIND WOLLTE ICH EINE<br />
STUPSNASE WIE BRIGITTE<br />
BARDOT“<br />
Miss Abramovic, wenn wir halb so<br />
alt wären wie Sie und so gut aussähen,<br />
wären wir mehr als zufrieden!<br />
MA: (Lacht) Hahaha das ist sehr süß,<br />
danke! Wissen Sie, erst letztens habe<br />
ich überlegt: Oh Gott, in ein paar Jahren<br />
bin ich 70, das ging so schnell!<br />
Darum ist mir mein Körper eigentlich<br />
egal, ich denke nur daran, was ich noch<br />
erreichen will. Ich gebe Kurse für junge<br />
Künstler und will mein Film-Institut<br />
eröffnen, das wird 2000 Leuten einen<br />
Arbeitsplatz ermöglichen. Aber das<br />
braucht so viel Zeit, wie soll ich das nur<br />
alles schaffen? Davor habe ich Angst.<br />
Haben Sie Angst vor dem Tod?<br />
MA: Nein! Obwohl, das ist gelogen.<br />
Aber „Ja“ wäre auch gelogen. Der Tod<br />
ist ein Teil vom Leben, ich habe ja sogar<br />
ein Theaterstück darüber geschrieben<br />
(„The Life and Death of Marina<br />
Abramovic“), wo ich jeden einzelnen<br />
Tag während der Eröffnungsszene 40<br />
Minuten in einem Sarg sterbe. Und<br />
ich denke jedes Mal, oh mein Gott, wie<br />
ist es denn, wenn ich wirklich sterbe?<br />
Selbst im Flugzeug habe ich Riesenschiss,<br />
wenn es Turbulenzen gibt<br />
(lacht). Ich hoffe einfach, ich werde<br />
keine Wut mehr in mir tragen, wenn es<br />
so weit ist.<br />
Lassen Sie uns über Feminismus<br />
reden. Würden Sie sich selber als<br />
Feministin bezeichnen?<br />
MA: Eigentlich mag ich gar nicht mehr<br />
darüber reden. Natürlich bin ich dafür,<br />
dass Frauen die gleichen Rechte haben<br />
wie Männer. Aber ich fühlte mich als<br />
Frau immer gleichberechtigt, wenn<br />
nicht sogar mächtiger als Männer. Ich<br />
meine, Frauen können Kinder gebären,<br />
neues Leben schenken. Das ist ein riesiger<br />
Vorteil. Und ich hasse, was aus<br />
dem Feminismus in der Kunst geworden<br />
ist. Ich denke nicht, dass die Kunstwelt<br />
oder irgendeine Welt überhaupt<br />
<br />
männlich, queer, puerto-ricanisch oder<br />
sonst etwas. Es gibt gute oder schlechte<br />
Arbeit. Aber es gibt schon einen<br />
Grund, warum es viel mehr männliche<br />
als weibliche erfolgreiche Künstler<br />
gibt: Frauen sind nicht so sehr bereit,<br />
sich völlig für die Kunst aufzuopfern.<br />
Frauen wollen Kinder und Liebe und<br />
einen Mann und Familie haben UND<br />
Künstler sein und das ist nicht möglich.<br />
Ich würde mich also nicht als Feministin<br />
bezeichnen, sondern schlicht als<br />
Künstlerin. Aber genug jetzt mit dem<br />
ernsten Kram. Stellen Sie mir doch<br />
noch eine private Frage zum Schluss.<br />
Eine private Frage unsererseits?<br />
MA: Ja, genau. Kommen Sie noch einmal<br />
aus Ihrer Routine heraus, stellen<br />
Sie mir eine Frage, die nicht normal<br />
ist. Eine Frage, die Sie normalerweise<br />
nicht stellen würden.<br />
Na gut... Stimmt es denn, dass Liebe<br />
und Sex mit dem Alter besser<br />
und schöner werden?<br />
MA: (lacht). Das ist eine gute Frage!<br />
Es ist ja wirklich unglaublich, dass wir<br />
uns überhaupt noch verlieben! Verstehen<br />
Sie, man ist nicht mehr in Eile,<br />
man nimmt sich seine Zeit. Das ist der<br />
Unterschied. Nicht schlecht. Ich habe<br />
dieses Manifest geschrieben, in dem<br />
heißt es an einer Stelle, der Künstler<br />
muss erotisch sein. Denn das ist die<br />
Energie unseres Körpers. Die sexuelle<br />
Energie. Man muss sie in den Griff bekommen,<br />
um nicht für Hass und Krieg<br />
anfällig zu sein. Es ist übrigens lustig,<br />
dass sie mich bisher gar nicht zu Mode<br />
befragt haben. Immerhin schreiben Sie<br />
für ein Modemagazin. Die Sache ist, ich<br />
liebe Mode wirklich sehr. Und ich schäme<br />
mich nicht, in Modekampagnen<br />
von Givenchy aufzutreten, ihnen mein<br />
Gesicht zu leihen.<br />
Was lieben Sie an der Mode?<br />
MA: Nun, die Art und Weise, wie gute<br />
Designer Mode herstellen, ist genau<br />
so, wie gute Künstler Kunst machen.<br />
Da geht es wieder darum, das Original<br />
zu sein, darum, keine bestehenden<br />
Systeme zu kopieren. Es gibt da sehr<br />
interessante Leute. Wie auch immer,<br />
die Mädels werden Sie dafür umbringen,<br />
nicht mehr Mode-Fragen gestellt<br />
zu haben!<br />
In der Kleinstadt Hudson, 2 Stunden außerhalb<br />
von New York City, entsteht zur Zeit das<br />
Marina Abramovic Institute (MAI). Es soll ein<br />
Experimentierfeld für verschiedene Formen<br />
der Performance-Kunst und Selbsterfahrung<br />
werden und wurde von Abramovic als ihr<br />
„Erbe“ an die Nachwelt angekündigt.<br />
Nr.11<br />
96<br />
97<br />
Nr.11
DER KÖRPER<br />
Interview: Maja Hoock<br />
Foto: Marcel Schwickerath<br />
M A R L A B L U M E N B L AT T S P I E LT M I T I H R E M K Ö R P E R U N D<br />
W E I S S G E N A U , W I E S I E I H N E I N S E T Z E N K A N N . D I E<br />
WIENERIN TANZTE ERST BALLETT, DANN EROTISCHES<br />
C A B A R E T I N L A S V E G A S U N D PA R I S . J E T Z T S I N G T S I E<br />
ZWEIDEUTIGEN 50ER-JAHRE-ROCK´-N´-ROLL IN BERLIN.<br />
Sie haben jahrelang im Erotik-Cabaret<br />
„Crazy Horse“ in Paris und<br />
Las Vegas getanzt. Auch Ihre Musikvideos<br />
sind sehr sexy. Wie viel<br />
Macht besitzt der weibliche Körper?<br />
Marla Blumenblatt: Unheimlich viel,<br />
das zeigt schon die Geschichte. Mächtige<br />
Politiker verfielen schönen Frauen<br />
wie Marilyn Monroe und präsentierten<br />
sie an ihrer Seite. Ich selbst<br />
habe in meiner Arbeit oft erfahren,<br />
wie mächtig der weibliche Körper<br />
ist. Jede Frau sollte sich ihrer Waffen<br />
bewusst sein, dann kann sie sie auch<br />
einsetzen. Das funktioniert auch über<br />
die Kleidung, sei es nun eine leichte<br />
Bluse, die etwas erahnen lässt, oder<br />
ein Bleistiftrock, der die Formen des<br />
Pos nachzeichnet.<br />
Verraten Sie uns einen Ihrer Verführungs-Tricks?<br />
MB: Anmut ist die beste Verführungskünstlerin.<br />
Es ist sehr wirkungsvoll,<br />
wenn man ab und zu gezielt etwas<br />
durchblitzen lässt, bei dem sich die<br />
Männer nicht sicher sein können,<br />
was es bedeutet, aber doch denken,<br />
„wow, das war jetzt irgendwie erotisch“.<br />
Etwa eine Geste oder eine<br />
Bemerkung. Männer sind Jäger. Gibt<br />
man ihnen nicht gleich alles, dann<br />
bekommen sie das Gefühl, zu eroberern.<br />
In meinen Liedern spiele ich<br />
auch mit dieser Zweideutigkeit.<br />
Ihr aktuelles Album heißt „Immer<br />
die Boys“. Was sind Boys und was<br />
Männer?<br />
MB: Männer können auch Boys sein,<br />
im Kopf. Sie sind lieb, süß und unreif.<br />
Ich bevorzuge Männer.<br />
Was macht Männer so faszinierend?<br />
Alles. Sie sind megagefährlich und<br />
brechen Herzen. Und sie können dich<br />
in den siebten Himmel transportieren,<br />
so schnell (sie schnippt mit dem<br />
Finger). Sie sind einfach so schön.<br />
Das heißt aber nicht, dass nur ein<br />
„schöner Mann“ schön ist. Er muss<br />
kein Model sein, sondern meinetwegen<br />
auch klein und dick oder groß<br />
und schlaksig, wenn er nur die richtigen<br />
Worte wählt und sie ernst meint.<br />
Sie singen auch vom Verlassenwerden.<br />
Wie würden Sie das Gefühl in<br />
Worte fassen?<br />
MB: Wenn ich verlassen werde, fühlt<br />
sich das eklig an und verursacht große<br />
Schmerzen. Bei Liebeskummer<br />
esse ich gar nichts mehr und trinke<br />
nur noch Kaffee. Äußerlich merkt<br />
man mir aber nichts an, denn ich neige<br />
dazu, mich in solchen Situationen<br />
besonders schön anzuziehen, zu frisieren<br />
und zu schminken. Die Leute<br />
sagen dann, „Du siehst aber gut aus“<br />
und innerlich ist es das genaue Gegenteil.<br />
Fürchterlich, eine Katas-trophe.<br />
Es braucht viel Zeit, bis diese<br />
Wunden wieder zuwachsen.<br />
Sie sagen von sich, dass Sie sich<br />
von einer „kleinen Ballettmaus“<br />
zu einer „Femme fatale“ entwickelt<br />
haben. Wie ist das passiert?<br />
MB: Ich flog vor ein paar Jahren nach<br />
Paris, um meinen damaligen Freund<br />
zu besuchen. Es gab ein Vortanzen<br />
im Cabaret „Crazy Horse“ und ich bin<br />
einfach hingegangen. Sie haben mich<br />
sofort genommen und zwei Tage später<br />
habe ich da angefangen. Beim Ballett<br />
musste ich die liebe Kleine sein,<br />
die bloß nicht aufmuckt. Dort war es<br />
plötzlich das genaue Gegenteil. Die<br />
Frauen, die schon jahrelang dort arbeiteten,<br />
waren eine große Hilfe. Sie<br />
kitzelten alles aus mir heraus und<br />
wussten genau, welche Knöpfe sie<br />
drücken mussten.<br />
Was haben diese Frauen gesagt?<br />
MB: Sie meinten, „stell dir vor, Du<br />
hast Sex auf der Bühne“. Ich war<br />
komplett schockiert (stößt einen hellen<br />
Ton aus). Ich dachte dann auf der<br />
Bühne an meinen damaligen Freund.<br />
Das hat funktioniert. Diese Arbeit hat<br />
mir sehr viel über mich selbst beigebracht:<br />
Wie muss ich mit dem Publikum<br />
spielen, wann habe ich sie an der<br />
Angel?<br />
Wie kann man sich so einen Tanz<br />
vorstellen?<br />
MB: In „La Cage“ geht es zum Beispiel<br />
um eine Frau, die sehr lange von<br />
den Männern ferngehalten wurde,<br />
sich nach ihnen sehnt und aus ihrem<br />
Käfig will. Mit jedem Körperteil<br />
musste ich zeigen, wie sehr ich dafür<br />
brenne. Du musst dich verzehren<br />
nach diesem sexuellen Akt, der nie<br />
stattfindet. Obszön darf das Ganze<br />
aber nicht werden, die Grenzen sind<br />
da sehr schmal. Manchmal hängt es<br />
von einer einzigen Bewegung ab. Dita<br />
von Teese macht das sehr gut. Wenn<br />
man elegant ist, kann man kaum ins<br />
Vulgäre abrutschen.<br />
Sie spielen mit dem Stil der 50er-<br />
Jahre. Wäre Ihnen diese Zeit nicht<br />
viel zu prüde gewesen?<br />
MB: Ja, das stimmt. Ich genieße es<br />
zwar, dass ich diese Kleider tragen<br />
kann, und ich mag Umgangsformen,<br />
wie wenn der Mann der Frau die Türe<br />
öffnet und sie auf ein Getränk einlädt.<br />
Aber ich hätte damals sicher nicht so<br />
einfach im Cabaret tanzen können.<br />
Haben Sie manchmal auch den<br />
Wunsch, sich zu verstecken?<br />
MB: Privat schon, als Gegenpol. Ich<br />
bin dann zu Hause oder gehe in den<br />
Park nebenan, ziehe mir lange Röcke<br />
über, ein Tuch auf die Haare und eine<br />
Sonnenbrille auf die Nase. Wenn man<br />
sich immer stark exponiert, Energie<br />
ausschüttet und präsent ist, braucht<br />
man auch die Zeit, in der man diese<br />
Energie wieder auffüllt. Sonst brennt<br />
man aus.<br />
Wie war Ihr Körpergefühl mit 14<br />
Jahren im Vergleich zu heute?<br />
MB: Ich habe mich total geschämt,<br />
als ich in die Pubertät gekommen bin.<br />
„MÄNNER SIND<br />
MEGAGEFÄHRLICH<br />
UND BRECHEN HERZEN“<br />
Ich hatte Probleme damit, dass ich<br />
einen Busen bekommen habe, und<br />
fühlte mich überhaupt nicht wohl<br />
damit. Ich dachte nur, „Oh Gott, alles<br />
wächst!“ Dann habe ich riesige Pullover,<br />
weite Hosen und Tops, die den<br />
Busen wegdrücken, angezogen, damit<br />
man ja nichts sieht. Das hatte sicher<br />
auch etwas mit dem Ballett zu tun.<br />
Es war dort nicht erwünscht, Frau<br />
zu werden und Kurven zu bekommen.<br />
Deswegen blühe ich jetzt wahrscheinlich<br />
so auf.<br />
Maria Blumenblatt wuchs in Wien auf, wo<br />
sie auf dem Konservatorium Ballett lernte.<br />
Später tanzte sie im „Crazy Horse“ in Paris.<br />
Mittlerweile lebt sie in Berlin und nahm mit<br />
„Immer die Boys“ eine wunderbare Platte mit<br />
krachiger, deutschsprachiger Beatmusik auf.<br />
Nr.11<br />
98<br />
99<br />
Nr.11
Text Michael Obert<br />
Fotos Matthias Ziegler<br />
Nr.11<br />
100<br />
101<br />
Nr.11
REPORTAGE<br />
Seit zwanzig Jahren erforscht die amerikanische<br />
Biologin Andrea Turkalo im zentralafrikanischen<br />
Dschungel das Sozialverhalten von Waldelefanten.<br />
Jetzt arbeitet sie an einem Wörterbuch der<br />
Elefantensprache.<br />
Wie Gespenster tauchen sie im Dickicht<br />
auf und verharren eine Weile<br />
reglos an der Grenze zwischen der<br />
Finsternis des Urwalds und dem satten<br />
Grün der Lichtung; dann heben sie ihre<br />
Rüssel und treten durch die Wand aus<br />
Lianen, Flechten und Mahagoni-Bäumen.<br />
Es scheint, als atme der Dschungel<br />
die Elefanten hinaus ins Licht.<br />
Seit Stunden liegt Andrea Turkalo am<br />
Waldrand auf der Lauer. Ihr dunkelblaues<br />
Hemd ist feucht vom tropischen<br />
Morgen, Dornen und Samenkapseln<br />
nisten in ihrem zurückgesteckten<br />
<br />
kantige Gesicht, über die Expeditionstasche<br />
kriecht eine große Spinne,<br />
vielleicht giftig, doch Andrea Turkalo<br />
hat jetzt nur noch Augen für die Elefanten.<br />
Sie gibt verzückte Laute von<br />
sich und sagt Sätze wie: „Da ist Joseph,<br />
den habe ich über ein Jahr nicht mehr<br />
gesehen.“ Oder: „Phyllis ist schon wieder<br />
schwanger.“ Oder: „Gleich macht<br />
Stumpy seinen Handstand.“<br />
Seit 20 Jahren erforscht die amerikanische<br />
Biologin auf der Dzanga Bai, einer<br />
entlegenen Lichtung im Regenwald der<br />
Zentralafrikanischen Republik, das<br />
Sozialverhalten von Waldelefanten.<br />
Die 59-Jährige, die von den Pygmäen<br />
na ti djoko – Elefantenmutter – genannt<br />
wird, ist nicht nur die weltweit<br />
führende Expertin für die bedrohten<br />
Dickhäuter, sondern auch ihr Schutzengel,<br />
ihre Anwältin, ihre Lebensversicherung.<br />
Und bald wird sie auch ihre<br />
Dolmetscherin sein. Denn seit einiger<br />
Zeit arbeitet Andrea Turkalo an einem<br />
Wörterbuch der Waldelefantensprache.<br />
In ihrem weltweit einzigartigen Forschungsprojekt<br />
hat die Biologin Erstaunliches<br />
beobachtet: Waldelefanten<br />
bedienen sich für ihre Lautsprache<br />
verschiedener Rufe, um sich zum Beispiel<br />
gegenseitig vor Gefahren zu warnen,<br />
sich zu begrüßen, zu streiten, zu<br />
<br />
für Elefantisch also? „Ich bin nicht<br />
Doktor Doolittle“, sagt die Wissenschaftlerin<br />
und lacht. „Ich will nicht<br />
mit den Tieren reden, sondern wissen,<br />
worüber sie sich unterhalten. Eines<br />
Tages könnte ihr Überleben davon abhängen.“<br />
Sechs Meter unter ihrer hölzernen<br />
Plattform, die wie eine Loge über der<br />
Lichtung thront, ziehen jetzt gut fünfzig<br />
Waldelefanten über die Dzanga Bai<br />
<br />
den Ohren, trompeten. Kälber traben<br />
über die Wiesen, balgen sich, schütteln<br />
ausgelassen die Köpfe und stoßen<br />
spitze Schreie aus. Ein Baby, keine<br />
zwei Monate alt und noch etwas tapsig,<br />
steht unter dem Bauch der Mutter, im<br />
Schatten ihres gewaltigen Körpers, und<br />
saugt an ihren Milchzitzen.<br />
Andrea Turkalo kennt die meisten von<br />
ihnen. In den vergangenen zwei Jahrzehnten<br />
hat die Biologin – unterstützt<br />
tion<br />
Society – über 4000 Elefanten einen<br />
Namen gegeben und für jedes Tier<br />
eine Karteikarte mit individuellen Erkennungsmerkmalen<br />
angelegt: Länge<br />
und Form der Stoßzähne, Narben und<br />
Risse in den Ohrlappen, Beschaffenheit<br />
der Schwanzquaste. Heute braucht sie<br />
ihre Steckbriefe nur noch selten. Rund<br />
1000 Elefanten trifft sie regelmäßig.<br />
„Ich erkenne sie an ihren Gesichtern<br />
oder an der Art, wie sie gehen“, sagt<br />
sie, „ich erkenne sie, wie ich Menschen<br />
erkenne.“<br />
Jahrzehntelang konnten sich Biologen<br />
glücklich schätzen, überhaupt einen<br />
Waldelefanten zu Gesicht zu bekommen.<br />
Sie mussten sich darauf beschränken,<br />
Futterpfade und Dung zu<br />
untersuchen. Mit einer Schulterhöhe<br />
von zweieinhalb Metern und einem<br />
Gewicht von bis zu vier Tonnen war<br />
der Waldelefant lange Zeit das größte<br />
Geheimnis des zentralafrikanischen<br />
Dschungels – bis Andrea Turkalo 1990<br />
ihr Forschungscamp an der Dzanga<br />
Bai aufschlug.<br />
Nirgendwo sonst am Äquator versammeln<br />
sich Tag für Tag so viele Waldelefanten<br />
wie auf dieser Lichtung, die<br />
nur wenig größer ist als ein Fußballfeld.<br />
Angelockt vom mineralienreichen<br />
Schlamm, stoßen an diesem Morgen<br />
rund 100 Tiere ihre Rüssel durch die<br />
weiche Sandschicht in den Wasserlöchern,<br />
blasen lautstark Luft aus und<br />
rühren im Morast, um die dort vorhandenen<br />
Salze zu lösen und sie genüsslich<br />
zu schlürfen. So ergänzen sie ihre<br />
Blätternahrung und halten ihr Immun-<br />
<br />
„Damals schlief ich dort unten im Zelt“,<br />
erinnert sich Andrea Turkalo an ihre<br />
Ankunft vor 20 Jahren und zeigt auf<br />
eine Stelle, die gerade von einer Elefantenherde<br />
umlagert wird. Mit einem<br />
Spezialgewehr entnahm sie Hautproben<br />
für einen DNA-Test und beendete<br />
einen jahrelangen Wissenschaftsstreit.<br />
Denn erst ihr genetischer Vergleich<br />
mit dem Savannenelefanten belegte<br />
einwandfrei, dass Loxodonta africana<br />
cyclotis eine eigene Art ist, die sich<br />
schon vor Millionen von Jahren abgetrennt<br />
hat.<br />
Der Waldelefant ist der am wenigsten<br />
bekannte Dickhäuter der Welt. Und<br />
er ist anders. Als Arbeitselefant verweigert<br />
er den Dienst, im Zoo lässt er<br />
sich schwer halten. Sein Vetter in der<br />
Savanne frisst überwiegend Gras, der<br />
Waldelefant ernährt sich lieber von<br />
Blättern, Zweigen, Rinde und Früchten.<br />
Er ist deutlich kleiner und hat rundere<br />
Ohren, seine relativ dünnen Stoßzähne<br />
verlaufen auffallend gerade und parallel<br />
zueinander, um sich im Dickicht<br />
nicht zu verheddern; ihr besonders<br />
hartes Elfenbein ist nicht weiß, sondern<br />
gelblich bis rosa. Und für eine<br />
bessere Balance auf dem weichen<br />
Dschungelboden besitzt er an den Vorderfüßen<br />
fünf, an den Hinterfüßen vier<br />
Zehen – je eine mehr als der Savannenelefant.<br />
Nur jeder Dritte der rund 500<br />
000 afrikanischen Dickhäuter ist ein<br />
Waldelefant. Auf der Roten Liste ist er<br />
als „gefährdet“ eingestuft.<br />
Andrea Turkalo schaut durch ihr<br />
Fernglas. Draußen auf der Dzanga Bai<br />
hat Stumpy seinen Auftritt. Der kleingewachsene<br />
Elefantenbulle konzentriert<br />
sich kurz, geht vorne in die Knie,<br />
schwingt den Hintern hoch und rudert<br />
mit dem Rüssel, bis er sein Gleichge-<br />
<br />
mit dem Schwanz, als grüße er Andrea<br />
Turkalo. „Gut gemacht“, freut sie sich.<br />
„Stumpy ist einer von den ganz Schlauen.“<br />
Am liebsten würde sie klatschen. Weil<br />
sie die Elefanten nicht aufschrecken<br />
will, sucht sich ihr Enthusiasmus andere<br />
Ventile. Ihre Augen strahlen; nie<br />
stehen sie still, ständig wandert ihr<br />
Blick über die Lichtung, neugierig,<br />
wach. „Waldelefanten sind Persönlichkeiten<br />
wie wir“, sagt die Biologin; auf<br />
der Bai heben die Tiere wachsam den<br />
Rüssel. „Manche sind nett, andere aggressiv<br />
oder melancholisch, der eine ist<br />
total verblödet, der nächste ein Genie.“<br />
Unter den Kühen gibt es wahre Altruistinnen:<br />
Sie säugen Junge, obwohl<br />
sie nicht mit ihnen verwandt sind.<br />
Andere sind keine guten Mütter und<br />
lassen ihre Jungen verwahrlosen.<br />
Waldelefanten können auch grausam<br />
sein. Manche Bullen treten Waisen,<br />
stoßen sie herum oder traktieren sie<br />
mit den Stoßzähnen. Selbst Vergewaltigungen<br />
kommen vor. „Zwischen den<br />
Kühen gibt es mehr Toleranz“, erklärt<br />
<br />
ein Weibchen mit den Ohren. „Die Bullen<br />
wollen alles für sich selbst haben,<br />
zwischen ihnen herrscht eine strenge<br />
Hierarchie.“<br />
Tag für Tag ist Andrea Turkalo zu Fuß<br />
im Regenwald unterwegs, in einer<br />
Welt, in der Malaria, Lepra, Cholera<br />
und Augenwürmer grassieren und<br />
sich kleine Fliegen mit Vorliebe in die<br />
Zehen fressen, bis nur noch eitrige<br />
Stümpfe übrig sind. Wilderer, Versorgungsengpässe,<br />
monatelange Isolation.<br />
<br />
schrie sie die Männer so lange an, bis<br />
sie verstört davonliefen. Einmal suchte<br />
Andrea Turkalo im Wald ein stilles<br />
Örtchen, da bäumte sich direkt neben<br />
ihr eine schwarze Kobra auf. „Wenn die<br />
dich beißt, dann bye-bye!“ Sie blieb mit<br />
heruntergelassenen Hosen in der Hocke.<br />
Bis die Giftschlange sich beruhigte<br />
und verzog.<br />
Am gefährlichsten jedoch sind ausgerechnet<br />
jene Tiere, denen die Leidenschaft<br />
der Forscherin gilt. Vor den<br />
Elefanten haben selbst die Pygmäen,<br />
die als Jäger und Sammler die Wälder<br />
kennen wie niemand sonst, einen gehörigen<br />
Respekt. Sie stehen still und<br />
unsichtbar im Dickicht, bis man fast<br />
auf sie stößt – dann geraten sie in Panik<br />
und greifen an. „Du rennst um dein<br />
Leben“, sagt Andrea Turkalo. „Wenn du<br />
hinfällst, ist es vorbei.“<br />
Bisher ist ihr nichts passiert. Auch weil<br />
sie ausgesprochen vorsichtig ist: „Ich<br />
liebe Elefanten, aber trauen darf man<br />
ihnen nicht.“ Viele haben schlimme<br />
Erfahrungen mit Menschen gemacht.<br />
Stumpy zum Beispiel. Auf den ersten<br />
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Nr.11
REPORTAGE<br />
Blick sieht seine Zirkusnummer lustig<br />
aus, doch sie erzählt eine traurige<br />
Geschichte: Der Elefant muss in den<br />
Handstand gehen, um mit dem Kopf<br />
tief einzutauchen, weil er am Grund<br />
der Wasserlöcher sonst nicht an die<br />
lebenswichtigen Mineralien kommt.<br />
Stumpy – wörtlich „Stümpfchen“ –<br />
fehlt das Ende des Rüssels. Eine Drahtschlinge<br />
von Wilderern hat ihm ein<br />
beträchtliches Stück abgerissen.<br />
Auf der Lichtung ist es niemals still.<br />
Ununterbrochen grollen die Elefanten,<br />
sie knurren, brummen, grunzen, pfeifen,<br />
ächzen, kreischen und trompeten,<br />
-<br />
<br />
– ein Sammelsurium aus fremden<br />
Lauten, die einen geheimen Code zu<br />
enthalten scheinen, so etwas wie den<br />
Schlüssel zum Wesen des Regenwalds.<br />
Ihn für das Wörterbuch der Elefantensprache<br />
zu knacken, ist eine echte<br />
Herausforderung. „Wir können die<br />
Tiere nicht einfach fragen: Was hast<br />
du gesagt?“ Deshalb schneidet Andrea<br />
Turkalo die Unterhaltungen der Elefan-<br />
<br />
vergleicht beide Quellen miteinander.<br />
„Weil ich die Tiere sehr gut kenne, weiß<br />
ich, was die einzelnen sozialen Situationen<br />
bedeuten und kann die jeweiligen<br />
Laute zuordnen und interpretieren.“<br />
<br />
welcher Elefant gerade spricht und<br />
wo er sich aufhält, hat die Forscherin<br />
neun Mikrofone um die Lichtung herum<br />
platziert. Die Laute der Elefanten<br />
erreichen den jeweiligen Rekorder mit<br />
einer minimalen Zeitverzögerung, so<br />
kann Andrea Turkalo ihren Ursprung<br />
und damit das sprechende Tier lokalisieren.<br />
Waldelefanten sehen schlecht und verlassen<br />
sich deshalb auf ihr feines Gehör.<br />
Das Elefanten-Abc unterscheidet<br />
sich oft nur durch feinste Nuancen, die<br />
dann aber einen anderen Sinn ergeben.<br />
„Darin ist die Elefantensprache der unseren<br />
sehr ähnlich“, sagt Andrea Turkalo,<br />
zeigt hinaus auf die Lichtung und<br />
übersetzt sozusagen simultan: Mit einem<br />
lauten Kollern protestiert der junge<br />
Richard, als seine Mutter ihn wegstößt.<br />
Baby Jacqueline entlässt einen<br />
schrillen Schrei, weil es an die Zitzen<br />
der Mutter will. Die alte Leonore sucht<br />
ihr Kalb mit einem Laut, der wie das<br />
Schnurren einer riesigen Katze klingt.<br />
Und direkt unter dem Hochsitz gibt<br />
Franky, ein stattlicher Bulle, ein sehr<br />
tiefes Grollen von sich. Es ist kaum zu<br />
vernehmen, dafür deutlich spürbar –<br />
das Holz vibriert. Turkalo: „Franky ist<br />
paarungsbereit.“<br />
<br />
Elefantenbabys und nahm die traumatisierten<br />
Rufe der Herde auf. Wieder<br />
und wieder stießen die Tiere den Kadaver<br />
mit dem Rüssel an, als versuchten<br />
sie, das Baby ins Leben zurückzuholen;<br />
schließlich zogen sie in einer langen<br />
Reihe an ihm vorbei. Drei Tage lang.<br />
„Es war wie eine Trauerprozession”,<br />
erinnert sich Andrea Turkalo. „Elefanten<br />
kennen den Tod, er erschüttert sie.<br />
Elefanten sind hoch emotionale Tiere.”<br />
Dass die 1952 in der amerikanischen<br />
Industriestadt Taunton, Massachusetts<br />
geborene Tochter eines ukrainischen<br />
Gefängniswärters und einer schotti-<br />
wäldern<br />
im Innersten Afrikas gelandet<br />
ist, bezeichnet sie heute als ein Versehen.<br />
1978 schreibt sie sich als freiwillige<br />
Helferin des amerikanischen Peace<br />
Corps in Tunesien ein. Kurz vor ihrer<br />
Abreise lernt sie Michael Fay kennen,<br />
den amerikanischen Naturschützer,<br />
der später weltberühmt wird, als er<br />
in 455 Tagen zu Fuß das Kongobecken<br />
durchquert, um die ökologische Situation<br />
der Region zu erkunden. Die beiden<br />
heiraten im tunesischen Karthago<br />
„Man darf nicht zu sehr an den Elefanten hängen,<br />
sonst ist man bald ein emotionales Wrack.“<br />
und ziehen in die Zentralafrikanische<br />
Republik, wo Fay im damals noch artenreichen<br />
Gounda St. Floris Nationalpark<br />
eine Stelle antritt.<br />
Hier muss Andrea Turkalo mit ansehen,<br />
wie Reiterhorden aus dem benachbarten<br />
Sudan grausame Jagd auf<br />
Elefanten machen. Den mit Speeren<br />
zu Fall gebrachten Tieren schneiden<br />
sie die Rüssel ab und lassen sie<br />
in der Savanne verbluten, um ihnen<br />
dann die Stoßzähne herauszubrechen.<br />
„Elefanten, mit denen wir praktisch<br />
zusammen lebten, die wir Tag und<br />
Nacht beobachteten“, erinnert sich<br />
<br />
das Wasser Sonnenlicht auf die Elefantenbäuche.<br />
„Und plötzlich lagen<br />
sie aufgebläht in der sengenden Hitze,<br />
Hunderte von ihnen – das hat mich für<br />
immer verändert.“<br />
1990 fängt sie bei der Umweltstiftung<br />
WWF im Schutzgebiet Dzanga Sangha<br />
an, dem größten intakten Regenwald<br />
der Zentralafrikanischen Republik. Ein<br />
Bürojob. Zum Ausgleich beobachtet sie<br />
am Wochenende Tiere auf der Dzanga<br />
Bai. Bald erkennt sie einzelne Elefanten<br />
wieder. „Ich begriff, dass sie Identitäten<br />
haben, Charakterzüge, Beziehungen,<br />
Gefühle – ein ganzes Leben“, sagt<br />
sie, während der Wind den würzigen<br />
Geruch aufgewühlten Schlamms zum<br />
Hochstand heraufträgt. „Das war der<br />
Haken, von dem ich nicht mehr loskam.“<br />
Ihre Ehe hielt nicht. Fay ging in den<br />
benachbarten Kongo, um ein Gorillaschutzprojekt<br />
aufzubauen. Andrea<br />
Turkalo blieb. „Ich bin süchtig“, sagt<br />
sie, schaut durch das Fernglas und<br />
trägt ihre Beobachtungen in ein Notizbuch<br />
ein. „Süchtig nach Elefanten.“<br />
Im Dickicht, keine Stunde zu Fuß von<br />
der Lichtung entfernt, vibriert an diesem<br />
Nachmittag eine schwarze Wolke:<br />
Myriaden von Fliegen. Ihr Summen<br />
ist ohrenbetäubend. Maden bedecken<br />
die Stämme und Blätter. Es sieht aus,<br />
als pulsiere die Vegetation. Andrea<br />
Turkalo zieht ein Tuch vor Mund und<br />
Nase. Der Gestank ist unerträglich. Der<br />
Anblick ebenso: Aus dem Gesicht des<br />
toten Elefanten sind die Stoßzähne herausgerissen,<br />
riesige Fleischstücke aus<br />
seinem Körper geschnitten.<br />
Winky! Andrea Turkalo kannte den<br />
Elefanten seit 20 Jahren. Ein großer<br />
Bulle mit anderthalb Meter langen<br />
Stoßzähnen. In der Trockenzeit tauchte<br />
er zur Brautschau aus den Wäldern<br />
auf. Man konnte die Uhr nach ihm<br />
stellen. Wenn er auf die Bai trat, sagte<br />
jeder: „Wow, it‘s Winky!“<br />
Wie versteinert steht Andrea Turkalo<br />
vor dem Kadaver, sagt minutenlang<br />
kein Wort, wirkt verloren im Regenwald.<br />
Ihr Gesicht bleibt hinter dem<br />
Tuch verborgen. Was mag jetzt in ihr<br />
vorgehen? Wut? Ohnmacht? Oder<br />
weint sie? Fliegen umwogen das Aas.<br />
Irgendwo schreit ein Vogel. „Man darf<br />
nicht zu sehr an den Elefanten hängen“,<br />
sagt sie schließlich leise. „Sonst<br />
ist man bald ein emotionales Wrack.“<br />
Die hohe Zahl der Elefanten, die täglich<br />
die Dzanga Bai aufsuchen, täuscht<br />
leicht darüber hinweg, dass ihre Art<br />
stark bedroht ist. Ihr Lebensraum<br />
schrumpft. Ein Großteil der Regenwälder<br />
im Kongobecken wurde abgeholzt.<br />
Direkt außerhalb des Nationalparks<br />
steigen dunkle Rauchwolken auf, unter<br />
denen Urwaldriesen zu Möbelholz und<br />
Holzkohle verarbeitet werden (9289.<br />
jpg). Und nach Angaben des WWF landen<br />
in West- und Zentralafrika jedes<br />
Jahr über eine Million Tonnen Fleisch<br />
von illegal gejagten, seltenen Tieren im<br />
Kochtopf. Darunter viele Waldelefanten.<br />
Die Zentralafrikanische Republik gehört<br />
zu den ärmsten Ländern der Welt.<br />
Fast die Hälfte der Einwohner leidet an<br />
Unterernährung. Jeder zehnte Säugling<br />
stirbt. Abends kommen die Wilderer<br />
aus dem Wald in ihre Dörfer, geschützte<br />
Waldantilopen, Schildkröten, Schlangen<br />
auf dem Rücken verschnürt, die<br />
Flinte am langen Arm. Fleisch. Weiter<br />
reicht der Horizont des Elends nicht.<br />
Auch der illegale Handel mit Elfenbein<br />
steigt sprunghaft an. In einem Container<br />
in Andrea Turkalos Camp sind<br />
eine ganze Reihe gewilderter Stoßzähne<br />
sichergestellt. „Ohne das Schutzgebiet<br />
gäbe es auf der Bai keine Elefanten<br />
<br />
Winkys Kadaver abzuwenden. Im Rest<br />
der Zentralafrikanischen Republik<br />
sind Waldelefanten so gut wie ausge-<br />
<br />
2500 einen vergleichsweise sicheren<br />
Lebensraum.<br />
Nicht zuletzt durch das Forschungscamp,<br />
das die meisten Wilderer abschreckt.<br />
Andrea Turkalo und ihr<br />
Team sind die Augen und Ohren des<br />
Regenwalds, eine Art Lebensversicherung<br />
für die Elefanten. 35 mit Kalaschnikows<br />
bewaffnete Wildhüter in<br />
Tarnuniformen und 21 Fährtenleser<br />
patrouillieren sieben Tage die Woche<br />
rund um die Uhr zu Fuß durch den<br />
Dschungel. Trotzdem musste Winky<br />
sterben.<br />
Auf dem Rückweg herrscht bedrücktes<br />
Schweigen. Andrea Turkalos Camp<br />
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Nr.11
REPORTAGE<br />
liegt auf einer kleinen Lichtung ganz<br />
in der Nähe der Dzanga Bai. Sie hat<br />
es in den Neunzigerjahren selbst gebaut:<br />
drei einfache Holzhäuser mit<br />
Palmdächern, Buschküche, Proviantlager,<br />
Labor, ein kleiner Pavillon mit<br />
Zementboden, auf dem Steine liebevoll<br />
zu Ornamenten angeordnet sind. Ein<br />
Brunnen sorgt für Trinkwasser. Sonnenkollektoren<br />
liefern Strom. Im Garten<br />
wachsen Auberginen und Tomaten.<br />
Rund um das Camp schließt sich der<br />
Regenwald wie eine senkrechte Wand;<br />
durch die Baumkronen hangeln Mangabe-Affen<br />
mit weißen Backenbärten<br />
und langen Schwänzen.<br />
„Ich liebe es, morgens hier aufzuwachen“,<br />
sagt Frau Turkalo an der Tür<br />
zu ihrem Haus, „nur Vogelstimmen,<br />
eine Welt, die ganz allmählich lebendig<br />
wird.“ Drinnen: ein Bett mit Mückennetz,<br />
ein Tisch, ein Stuhl, an einer<br />
Bambusstange hängen Kleider. Ein<br />
Dutzend Bücher, ein paar alte Ausga-<br />
<br />
Dorf liegt am anderen Ende einer oft<br />
überschwemmten Waldpiste, zwei<br />
Stunden entfernt. Andrea Turkalos<br />
einzige Nachbarn sind die drei Pygmäen,<br />
die sie als Fährtenleser unterstützen.<br />
Ihr Boyfriend Andrew, ein weißer<br />
Zimbabwer, veranstaltet Fotosafaris im<br />
ostafrikanischen Tansania. Mehr als<br />
zweimal im Jahr sehen sie sich nicht.<br />
„Ich brauche meinen Raum“, sagt<br />
Andrea Turkalo; vor ihrem Fenster<br />
uen<br />
Schwingen. „Allein kann ich klarer<br />
denken.“<br />
Klassische Lebensentwürfe bedeuten<br />
ihr nicht viel: „Kinder sind das Ende<br />
der Freiheit. Kinder kann jeder haben.<br />
Selbst Ameisen haben welche.“ Sie<br />
habe nach etwas Individuellerem, etwas<br />
Kreativerem gesucht – und es auf<br />
der Dzanga Bai gefunden. Die Rettung<br />
der Waldelefanten? „Es ist wohl eher<br />
so, dass sie mich gerettet haben“, sagt<br />
sie und lacht. „Sie geben meinem Leben<br />
einen Sinn.“<br />
Vermisst sie nicht trotzdem hin und<br />
wieder die Zivilisation? „Ich würde<br />
gerne einmal sechs Monate lang nur<br />
<br />
ich immer sehen wollte.“<br />
Tatsächlich verbringt die Wissenschaftlerin<br />
mehr Zeit vor einem Bildschirm,<br />
als ihr lieb ist. Denn die Rufe<br />
der Elefanten, die zu den deutlich vernehmbaren<br />
Stimmen des Regenwalds<br />
rund um die Dzanga Bai gehören,<br />
machen nur einen kleinen Teil ihrer<br />
Sprache aus. Erst vor ein paar Jahren<br />
fand man heraus, dass sie sich hauptsächlich<br />
auf ultratiefen Frequenzen<br />
verständigen, die weit unterhalb des<br />
menschlichen Hörvermögens liegen.<br />
„Solche Infraschalllaute dringen kilometerweit<br />
durch die dichte Vegetation“,<br />
erklärt Andrea Turkalo in ihrem<br />
Labor, einem Bretterverschlag gleich<br />
neben der Kochhütte. „So koordinieren<br />
die Elefanten ihre Wanderungen und<br />
stellen sicher, dass sie sich im Wald<br />
nicht verlieren.“<br />
Um auch die elefantösen Ferngespräche<br />
in ihr Wörterbuch aufzunehmen,<br />
macht Andrea Turkalo diese mithilfe<br />
einer Spezialsoftware als Spektrogramme<br />
auf einem Monitor sichtbar<br />
und vergleicht, wie die oszillierenden<br />
Pegel strukturiert sind. Verschiedene<br />
Rufe haben verschiedene Strukturen.<br />
Und damit verschiedene Bedeutungen.<br />
„Let´s play Elvira, Sweety and Miss Lonelyheart.“<br />
Andrea Turkalo klickt auf<br />
ihrem Laptop eine Audiodatei an. Ein<br />
schen<br />
ertönt. „Drei Weibchen treffen<br />
sich nach langer Zeit auf der Lichtung<br />
wieder“, sagt die Elefanten-Linguistin<br />
und spielt die dazugehörige Videoaufnahme<br />
ein. „Sie rennen aufeinander zu<br />
und begrüßen sich innig.“ Kein Blutvergießen<br />
also. Nur ein überschwängliches<br />
Hallo.<br />
Mit Andrea Turkalos Wörterbuch<br />
könnte der Schutz der bedrohten Tiere<br />
bald einen wichtigen Schritt vorankommen.<br />
„Die meisten Elefanten können<br />
wir im dichten Regenwald nicht<br />
sehen“, erklärt die Biologin, „wenn wir<br />
ihre Sprache verstehen, wissen wir<br />
trotzdem, was dort draußen vor sich<br />
geht.“ Auf Basis ihres Wörterbuchs<br />
entwickelt sie gemeinsam mit den<br />
renommierten Verhaltensforschern<br />
der Cornell University im Bundes-<br />
ring-Programm,<br />
eine Art Frühwarnsystem,<br />
damit Wissenschaftler und<br />
Anti-Wilderer-Patrouillen rechtzeitig<br />
auf kritische Situationen reagieren<br />
können. Läge Andrea Turkalos Wörterbuch<br />
schon vor – vielleicht hätte<br />
Stumpy dann noch seinen Rüssel und<br />
Winky wäre noch am Leben.<br />
Draußen gerät plötzlich das Dickicht<br />
in Bewegung. Bambusstangen bersten.<br />
Äste krachen. Insekten sirren davon.<br />
Gleich darauf stehen sechs Elefanten<br />
im Camp: Ailanthie mit einer Abordnung<br />
ihrer Großfamilie. Ihre sanft wirkenden<br />
braunen Augen mit den langen<br />
Wimpern stehen in starkem Kontrast<br />
zu ihrer beängstigenden Körperfülle.<br />
Ihr blasender Atem, das hölzerne<br />
Malmen der Backenzähne. Keine fünf<br />
Meter entfernt, steht Andrea Turkalo<br />
unter dem offenen Pavillon. Nur ihre<br />
Augen bewegen sich, weit geöffnet,<br />
leuchtend – in diesem Moment, so<br />
scheint es, will die Forscherin nichts<br />
wissen, sie will nur schauen und staunen.<br />
„Es ist immer noch so aufregend<br />
<br />
Tag erlebe ich etwas, was mich mehr<br />
mit diesen Tieren verbindet.“<br />
Hinter dem Proviantlager hebt Ailanthie<br />
noch einmal ihren Rüssel, setzt<br />
einen Dunghaufen vor die Küche und<br />
gibt ein lang gezogenes Grollen von<br />
sich, so tief und kräftig, dass einem das<br />
Zwerchfell vibriert; dann schließt sich<br />
der Dschungel um die Elefanten. „Das<br />
Wörterbuch steckt noch in den Kinderschuhen“,<br />
sagt Andrea Turkalo, und im<br />
Dschungel wird es plötzlich still. „Ich<br />
muss noch eine Weile bleiben. 15 Jahre.<br />
Mindestens.“<br />
Sie lauscht hinaus in den Abend. Zikaden.<br />
Grillen. Vogelstimmen. Die Elefanten<br />
sind nicht mehr zu hören. Was<br />
nicht bedeutet, dass sie nicht trotzdem<br />
miteinander sprechen.<br />
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SO STELL‘ ICH MIR DIE LIEBE VOR<br />
Text und Foto: Sherry Hormann<br />
DIE ZÄRTLICHKEIT<br />
DES BLICKS<br />
„ L I E B E I S T A U F B R U C H , H Ä R T E U N D S A N F T H E I T “ , S C H R E I B T D I E R E G I S S E U R I N<br />
S H E R R Y H O R M A N N , A L S W I R S I E N A C H E I N E M T E X T Z U M T H E M A L I E B E B AT E N .<br />
A L S B E B I L D E R U N G G A B S I E U N S E I N F O T O V O N I H R E R T O C H T E R , A U F D E M S I E<br />
IN DER SALZWÜSTE VON UTAH DAS SPRINGEN ENTDECKT.<br />
Kann man für die Beschreibung so<br />
unterschiedlicher Gefühle ein und<br />
dasselbe Wort verwenden? Liebe ist:<br />
aus der Bahn geworfen zu werden.<br />
Das Unerwartete passiert. Erstürmt<br />
einen, leise oder rasch, unbemerkt,<br />
unabdinglich, auch versteckt, verhalten<br />
und doch nimmt es einen in<br />
Besitz. Geht unter die Haut, in die<br />
Nerven, die Gedanken. Malt einen<br />
Notenschlüssel über den Körper, die<br />
Melodie von Glück. Angekommen<br />
sein. Zuhause. Leichtigkeit. Für wie<br />
lange? Für die Zeit, die es währt. „Ne<br />
me quitte pas“ von Nina Simone. Wie<br />
lange? Wie lange noch? Ist es leichter<br />
verliebt zu sein als zu lieben? Braucht<br />
die Liebe sich auf, verbrennt sie? Irrt<br />
sie? Sie schmerzt. Sie fordert. Sie<br />
ist Projektion und sprengt doch die<br />
selbst so klar vorgezeichneten Grenzen.<br />
Sie macht keinen Halt vor dem,<br />
was nicht geht. Sie schert sich nichts<br />
und bleibt ehrlich. Ehrlich. Liebe ist<br />
ein täglich neuer Aufbruch. Poesie<br />
und Härte. Radikalität und Sanftheit.<br />
Weinen. Lachen. Humor. Humor.<br />
Humor. „Tuesdays with Morrie“ von<br />
Mitch Albom: „The most important<br />
thing in life is to learn how to give out<br />
love, and let it come in.“<br />
Liebe als wärst du vorher nie verletzt<br />
worden. Der Geruch von Regen auf<br />
heißem Asphalt. Barfuß im morgendlichen<br />
Tau durchs Gras streifen. Stille<br />
nach dem Glück. Sagen, was man<br />
denkt ohne Angst. Aufgefangen werden<br />
durch die Zärtlichkeit des Blicks.<br />
Durchdrungen von Herz - die Abgründe<br />
genauso umarmend wie die<br />
Höhen. Sich trauen. Erkannt zu werden<br />
durch den anderen, da, wo man<br />
„AUGEN. HAUT.<br />
LIPPEN. ATEM SANFT.<br />
REGELMÄSSIG, HEFTIGER.<br />
BEIM SCHLAFEN, BEIM<br />
WACHEN, HERZ-POCHEN.“<br />
sich selbst noch gar nicht kennt. Sich<br />
zurückziehen können, Raum schaffen,<br />
atmen. Wieder zurückkommen,<br />
da sein, sein. Das Lächeln im Alltag.<br />
„The way we were“ mit Barbra Streisand<br />
und Robert Redford. Entdecken.<br />
Den anderen sein lassen. Eifersucht.<br />
Erotik auch im Alltag. Schönheit.<br />
Unsicherheit im Zusammensein -<br />
die Tür zum Entdecken. Wild. Dann<br />
in den Jahren, dauert sie länger die<br />
Liebe, das Staunen über die Vertrautheit.<br />
„Wenn die Gondeln Trauer<br />
tragen“, eine Hymne an die Liebe im<br />
Liebesakt, der Lebensakt wird. Liebe<br />
ist die komplizierteste und schwierigste<br />
und schönste Sache der Welt.<br />
Blätterrauschen. Joan Didion „Das<br />
Jahr magischen Denkens“. Liebe ist<br />
ein immerwährendes Ereignis. Freier<br />
Fall. Augen. Haut. Lippen. Atem sanft.<br />
Regelmäßig, heftiger. Beim Schlafen<br />
beim Wachen, Herz pochen. Atemlos.<br />
Nicht auf einen Kaktus setzen<br />
oder doch?<br />
<br />
vor einer Nachricht“: „Das war keine<br />
Liebe auf den ersten Blick, habe dich<br />
lange vorher geliebt, bevor ich dich<br />
kannte, habe dich auch rückwärts geliebt,<br />
noch bevor es mich überhaupt<br />
gab, denn ich wurde erst ich, als ich<br />
dich traf.“<br />
Die Regisseurin Sherry Hormann dreht<br />
unter anderem den Film „Wüstenblume“<br />
und zuletzt zusammen mit ihrem<br />
Ehemann, dem Kameramann Michael<br />
Ballhaus, das Drama „3096 Tage“. Gerade<br />
arbeitet sie an einem Drehbuch. Es ist<br />
eine Liebesgeschichte.<br />
Nr.11<br />
108<br />
109<br />
Nr.11
EINE STIMME<br />
Protokoll: Ruben Donsbach<br />
FRAUEN AN DIE MACHT<br />
Anke Domscheit-Berg ist eine echte Kämpferin. Sie engagiert sich zusammen mit ihrem Mann Daniel für Digitale Bürgerrechte<br />
und neue Formen gesellschaftlicher Beteiligung, war bei der Bundestagswahl Spitzenkandidatin der Piraten in<br />
Brandenburg, tritt in Talkshows und auf Demonstrationen auf. Außerdem ist die ehemalige Spitzenmanagerin bei<br />
Microsoft und McKinsey eine Streiterin für Frauenrechte. Ein sehr persönlicher Bericht über ihre Erfahrungen als Ostdeutsche<br />
im wiedervereinigten Deutschland, alleinerziehende Mütter und die Notwendigkeit einer Quote.<br />
Meine Mutter arbeitete als Kunstwissenschaftlerin<br />
im Bezirk Frankfurt/<br />
Oder und war für freischaffende,<br />
angewandte Künstler zuständig. Ich<br />
begleitete sie oft auf ihren Touren,<br />
vielfach in den Oderbruch. Die Leute<br />
dort lebten sehr bescheiden, hatten<br />
aber einen unbegrenzten Grad an<br />
Freiheit. So ein Leben schien mir sehr<br />
erstrebenswert. Also studierte ich angewandte<br />
Kunst. Direkt in mein letztes<br />
Studienjahr kam dann die Wende.<br />
Danach war Kunst das absolut<br />
Brotloseste, was man hätte machen<br />
können. Zudem wurde weder mein<br />
Studium noch mein Stipendiumsantrag<br />
im Westen anerkannt. Also zog<br />
ich nach Frankfurt/Main, um dort<br />
erst einmal ein paar Jahre zu arbeiten<br />
<br />
zu können. Ich dachte an romanische<br />
Sprachen, meinen zweiten großen<br />
Traum. Beim Arbeitsamt hieß es, das<br />
sei genauso brotlos wie Kunst. Außer<br />
ich würde Wirtschaft anhängen. Über<br />
Umwege begann ich in Bad Homburg<br />
Internationale Betriebswirtschaft mit<br />
Französisch und Spanisch zu studieren.<br />
Die Wende hat mir diese Option<br />
ermöglicht. Allerdings wäre ich ohne<br />
die Wiedervereinigung wahrscheinlich<br />
glückliche Künstlerin im Oderbruch<br />
geworden. So geht das manchmal.<br />
Im Januar 1997 habe ich dann angefangen<br />
zu arbeiten, das war, als sich<br />
die Internetblase so langsam aufblähte.<br />
Ich konnte reisen und internationale<br />
Projekte machen. Bis ich 2000 (?)<br />
dann mein Kind bekam. Nach sechs<br />
Monaten wollte ich wieder arbeiten.<br />
Das konnten die gar nicht nachvollziehen.<br />
Die meisten Frauen sind nach<br />
der Schwangerschaft entweder erst<br />
nach drei Jahren wieder gekommen<br />
<br />
oder gleich zu Hause geblieben. In<br />
der Firma war ich auf einmal nicht<br />
mehr existent. Für mich als Ossi war<br />
das ein Schock. Meine eigenen Chefs<br />
haben mir ständig erzählt, mein Kind<br />
würde asozial werden, wenn ich nicht<br />
pausenlos für es da wäre. Kindergarten<br />
ginge ja gar nicht. Eine Mutter<br />
bräuchte keine Karriere, sondern gehöre<br />
nach Hause zum Kind. Und das<br />
noch in den Jahren 2001, 2002, 2003.<br />
Das war steinzeitlich, ein massiver<br />
Druck von allen Seiten. Von Männern<br />
wie Frauen.<br />
Obwohl ich die besten Bewertungen<br />
bekam, wurde ich nicht mehr befördert.<br />
Und wenn man in einer Unternehmensberatung<br />
zwei Jahre lang<br />
<br />
raus. Das nennt man „Up or Out“. Es<br />
ging also um meine Existenz.<br />
Ich weiß von 16 Millionen Einwohnern<br />
der DDR, dass sie weder asozial<br />
geworden sind noch schwere<br />
Schäden erlitten haben, nur weil sie<br />
in den Kindergarten gegangen sind<br />
und ihre Mütter gearbeitet haben.<br />
Darum bin ich froh, die DDR-Sozialisation<br />
bekommen zu haben. Ich<br />
<br />
Zum Sozialismus gehört nun mal die<br />
Gleichberechtigung von Mann und<br />
<br />
oder Engels, dass sich die Entwicklungshöhe<br />
einer Gesellschaft daran<br />
erkennen lässt, wie gleichberechtigt<br />
die Geschlechter sind.<br />
„MÄNNER GEHEN<br />
NICHT ZUR ARBEIT<br />
UND SAGEN, HEUTE<br />
DISKRIMINIERE ICH<br />
MAL EINE FRAU“<br />
Es waren dann drei Dinge, die es mir<br />
ermöglicht haben, in dieser Situation<br />
weiterzumachen. Ich hatte die Kompetenz,<br />
denn ich war sehr gut ausgebildet.<br />
Ich war relativ charmant. Und<br />
ich war penetrant. Das ist sehr wichtig.<br />
Man darf sich nicht geschlagen<br />
geben. Also habe ich angefangen über<br />
die Rolle der Frau in der Gesellschaft<br />
und speziell der Wirtschaft nachzudenken.<br />
Ich habe gemerkt, wie auf<br />
die schwächsten Glieder einer Firma,<br />
Frauen mit Kind, die größten Risiken<br />
und Lasten übertragen wurden. Vielmehr<br />
wurden nicht nur Frauen mit<br />
Kind, sondern Frauen generell unterdurchschnittlich<br />
oder gar nicht beför-<br />
<br />
sie waren und welch guten Ratings<br />
sie bekommen hatten.<br />
Ich wollte wissen, warum das so ist,<br />
bin in Frauennetzwerke gegangen<br />
und habe Forschung betrieben, habe<br />
Nächte, Wochenenden, Urlaube damit<br />
verbracht auf Konferenzen zu<br />
gehen, Studien zu lesen. Bald habe<br />
ich gesehen, dass man die Namen,<br />
die Branchen, die Chefs austauschen<br />
kann, es sind immer wieder<br />
die gleichen Geschichten, die Frauen<br />
erzählen. Es ist sehr wichtig zu begreifen,<br />
das es mannigfaltige Gründe<br />
dafür gibt, warum so wenige Frauen<br />
in Führungspositionen gelangen. Die<br />
berühmt-berüchtigte gläserne Decke<br />
besteht aus den verschiedensten<br />
Bausteinen verschiedener Dicke,<br />
Stärke und Konsistenz. Dir Gründe<br />
für mangelnde Aufstiegschancen<br />
bei Frauen liegen bei den Kollegen,<br />
den Chefs, in den Bildungssystemen<br />
oder den Marketingabteilungen von<br />
Konsumgüterproduzenten, die Rollenbilder<br />
etablieren. Und da alle diese<br />
Felder zusammen das Problem sind,<br />
kann man es nicht an einer Stelle beheben.<br />
Man muss vielmehr überall<br />
ran.<br />
Erstens an die (Steuer-)Gesetzgebung,<br />
die Männer und Frauen<br />
unterschiedlich behandelt. Das<br />
Ehegattensplitting, die kostenlose<br />
Mitversicherung und das bekloppte<br />
Betreuungsgeld müssen weg. Wenn<br />
man will, das Männer und Frauen<br />
gleiche Möglichkeiten haben, muss<br />
man das gesetzlich untermauern.<br />
Zweitens Kinderbetreuung. Kinder<br />
halten einfach mehr Frauen als Männer<br />
davon ab, vernünftig zu arbeiten.<br />
Das kann ich als einzelne Frau<br />
<br />
Sohn Jakob 2 Jahre alt war, hatte ich<br />
ein großartiges Jobangebot aus München.<br />
Und ich habe das aus dem einen<br />
Grund ausgeschlossen, weil es<br />
dort keine adäquate Kinderbetreuung<br />
für Kinder unter drei Jahren gab. Und<br />
dann wird man noch als Rabenmutter<br />
angekräht aus jeder Ecke. Das<br />
brauche ich nicht. Ich wohnte damals<br />
in Berlin-Mitte und es gab Kindergärten,<br />
die hatten von 6-18 Uhr auf. Ich<br />
konnte mich an meinem freien Tag<br />
mit Frauen auf dem Spielplatz über<br />
spannende Dinge unterhalten. Wir<br />
hatten da keine Windelgespräche.<br />
Ein weiterer Faktor ist das sogenannte<br />
Old-Boys-Network (da sind<br />
natürlich auch jüngere Boys dabei):<br />
Wer kommt aus welchen Familien,<br />
wo spielt der Vater mit wem auf dem<br />
Golfplatz zusammen? Das vererbt<br />
sich dann auf die Söhne. Die wenigen<br />
Frauen, die man in Deutschland in<br />
<br />
Töchter, Ehefrauen oder Witwen – ob<br />
<br />
familiär vererbt. Da schafft es dann<br />
eine Frau, wenn grade kein Mann zu<br />
Hand war. In der Regel aber sind es<br />
bestehende soziale Netzwerke aus einer<br />
gehobenen, sozialen Schicht, die<br />
sich die Vorstands- und Aufsichtsratsplätze<br />
zuschieben. So wirkt das<br />
berühmte soziale Kapital.<br />
Damit verbunden ist ein weiteres<br />
Phänomen: Das Prinzip der homo-sozialen<br />
Reproduktion. Auf<br />
Deutsch ausgedrückt: Auswahl nach<br />
dem Ähnlichkeitsprinzip. Rein soziologisch<br />
ist es so, dass Menschen,<br />
männlich wie weiblich, Vertrauen<br />
haben bzw. am wenigsten Angst haben<br />
vor Menschen, die ihnen ähnlich<br />
sind. Das kann das Aussehen, die Generation,<br />
die soziale Schicht, die geo-<br />
<br />
das Geschlecht ist ein ganz starker<br />
Faktor. Und wenn ein bald emeritierter<br />
60-jähriger Manager überlegt,<br />
wer sein geeigneter Nachfolger sei,<br />
schaut er in die Zeitschrift „Capital“<br />
und sieht ältere Herren mit Schlips<br />
und Anzug. Er imaginiert sich selbst<br />
vor 20 Jahren und wählt danach aus.<br />
Das passiert oft sogar unabsichtlich.<br />
Männer gehen nicht zur Arbeit und<br />
sagen, heute diskriminiere ich mal<br />
eine Frau. Trotzdem gibt es dieses<br />
prägende Bild im Kopf, das hat die<br />
Forschung längst bewiesen. Indem<br />
man zum Beispiel Entscheidungsträgern<br />
identische Lebensläufe, mal<br />
mit Frauen, mal mit Männern, vorgelegt<br />
und sie gefragt hat, ob sie diese<br />
Menschen für kompetent halten oder<br />
nicht. Wenn es um eine Führungsaufgabe<br />
ging, dann hielten Männer<br />
durch die Bank weg andere Männer<br />
für geeigneter. Diese Experimente hat<br />
man sogar weitergetrieben. Man hat<br />
nur Frauen genommen, den gleichen<br />
Namen, aber andere Fotos. Je maskuliner<br />
und strenger die Frau aussieht,<br />
desto kompetenter. Je weiblicher und<br />
nach allgemeiner Meinung sinnlicher,<br />
desto inkompetenter. Bei denselben<br />
Lebensläufen!<br />
Die letzte Ebene ist die Frau selber.<br />
Frauen verhalten sich durch ihre Sozialisierung<br />
in denselben Situationen<br />
„ICH<br />
WERDE<br />
KEINE<br />
150<br />
JAHRE<br />
WARTEN,<br />
BIS SICH<br />
ETWAS<br />
ÄNDERT“<br />
oftmals anders als Männer. Sie reden,<br />
sie beurteilen ihre eigene Leistung<br />
anders bzw. eine gleichwertige Leistung<br />
schlechter als Männer, die ihre<br />
Leistung in der Regel überbewerten.<br />
Frauen reden weniger, sie reden leiser,<br />
schneller und sie verwenden<br />
mehr Konjunktive, stellen in Meetings<br />
mehr Fragen. Dieser Art zu kommunizieren<br />
wird oftmals als inkompetent<br />
interpretiert. Dann heißt es, sie<br />
weiß nicht, was sie will, ist führungsschwach,<br />
fragt zu viel, hat keine Ahnung.<br />
Ich war selber ein Mäuschen.<br />
Ich weiß, wie es dann läuft. Einem<br />
wird gesagt, du musst selbstbewusster<br />
auftreten, lauter sprechen, grade<br />
stehen. In dem Moment, wo man das<br />
macht, bekommt man ein zweites Label.<br />
Und zwar: du bist aggressiv, du<br />
bist karrieregeil, du gehst über Leichen.<br />
Es gibt Studien, die belegen: Als<br />
Frau in einer Führungsstelle gilt man<br />
entweder als inkompetent oder als<br />
unsympathisch. Da gibt es fast nichts<br />
dazwischen. Das ist bei Männern<br />
völlig anders. Das gleiche Verhalten<br />
gilt hier als durchsetzungsstark. Es<br />
ist sogar so, das Frauen ab einem<br />
gewissen Einkommenslevel keinen<br />
Mann mehr abbekommen. Weil die<br />
alle Angst haben vor einem. Das ist<br />
für Frauen schwer zu ertragen.<br />
Also muss man, viertens, Netzwerke<br />
knüpfen. Zum Beispiel Netzwerken<br />
von weiblichen Führungskräften. Es<br />
geht darum, sich sichtbar zu machen.<br />
Dass man auf Veranstaltungen als<br />
Sprecher auftaucht, dass man sich<br />
meldet, wenn es darum geht, intern<br />
Projekte vorzustellen. Oder dass man,<br />
wenn einem ein Kunde schreibt, wie<br />
zufrieden er mit der eigenen Arbeit<br />
gewesen ist, zurückruft und sagt, ich<br />
freue mich riesig über dieses Lob,<br />
und wer sich noch freuen würde,<br />
das ist mein Chef-Chef! Denn wenn<br />
man besonders gut ist, dann will der<br />
direkte Vorgesetzte oft gar nicht, dass<br />
man seinen Job verlässt. Weil man<br />
eine Gefahr darstellt oder mit einem<br />
dann die stärkste Kraft in einem Bereich<br />
verschwindet. Man muss nach<br />
rechts und nach links wie nach ganz<br />
oben sichtbar sein. Dafür muss man<br />
selbst sorgen. Man muss also verste-<br />
<br />
lernen mit den Dingen umzugehen,<br />
was man nicht ändern kann.<br />
Es gibt natürlich auch hier Fortschritt.<br />
Man sieht das an Erwerbsquoten, an<br />
der Nachfrage nach Kinderbetreuung<br />
auch für kleinere Kinder, selbst<br />
in süddeutschen Ländern. Auch innerhalb<br />
der Familien, aufseiten der<br />
Männer, haben sich Einstellungen<br />
verändert. Auch Männer wollen zu<br />
Hause sein und ihre Kinder sehen.<br />
Das ist nicht die Regel, aber es wird<br />
besser. Ich kenne noch Zeiten, wo<br />
Männer gelogen haben, wenn sie ihr<br />
Kind aus der KITA holen wollten, die<br />
sagten dann, sie müssen das Auto<br />
aus der Werkstatt abholen. Sie hatten<br />
Angst, sie wären sonst die Weicheier.<br />
Letztendlich wird die Frauen-Quote<br />
eine notwendige Krücke sein. Die<br />
Leute, die sich darüber aufregen, sind<br />
dieselben, die eine Quote für Ober-<br />
, Niederbayer und Franken haben.<br />
Alle haben überall Quoten. Christina<br />
Schröder ist damals nur wegen<br />
Quoten in ihr Familien-Ministeramt<br />
gekommen ist: jung, weiblich aus<br />
Hessen.<br />
Ich bin für alles, was von alleine und<br />
freiwillig funktioniert. Aber wenn das<br />
System immer wieder versagt, dann<br />
braucht es das richtige Instrument.<br />
Ich werde nicht noch einmal 150 Jahre<br />
warten, bis sich was ändert.<br />
Anke Domscheit-Berg war Mitglied der<br />
Grünen und ist 2012 der Piratenpartei<br />
beigetreten. Sie engagiert sich für Frauenrechte,<br />
arbeitete als Strategie-Beraterin bei<br />
McKinsey und als Lobbyisten für Microsoft<br />
Deutschland. Ihr Buch „Mauern einreißen!“<br />
erscheint im Januar 2014.<br />
Nr.11<br />
110<br />
111<br />
Nr.11
STREETSTYLE<br />
Text: Sina Braetz<br />
Fotos: Mario Villanueva<br />
WORST<br />
STREETSTYLES<br />
DIE SCHLIMMSTEN LOOKS DER FASHION WEEK<br />
„All my shit designers!“ Mode hat<br />
Macht. Ist Macht. Schon immer. Und<br />
steht – klar, ganz fern von romantischen<br />
Vorstellungen - letztendlich<br />
für: Geld! Und Geld wiederum heißt<br />
Ansehen, Ruhm, Leute zum Reden<br />
bringen. „I told that bitch, Versace.“<br />
Ein Tyga oder Drake rappt davon nicht<br />
nur, sondern lebt es. Und das sind<br />
nur zwei Beispiele. Dafür, dass Labels<br />
Hip Hop Lyrics erreicht haben. Mode<br />
gewinnt immer mehr an Dynamik<br />
<br />
Persönlichkeiten, Altersgruppen oder<br />
Gesellschaftsschichten. Was heute auf<br />
den Straßen passiert, das hat Relevanz<br />
wie nie zuvor, für Designer, Magazine,<br />
aber auch für Individuen. Phänomen:<br />
Blogosphäre, Instagram, Tumblr und<br />
Co. Welche Marke trage ich heute und<br />
überhaupt, wie viel Likes zählte mein<br />
<br />
noch revolutionär war, wenn ein Designer<br />
wie Marc Jacobs für Perry Ellis<br />
eine Grunge Kollektion entwarf, ist es<br />
heute ganz normal, dass selbst High<br />
End Label wie Versace oder Prada sich<br />
von der Straße inspirieren lassen. Und<br />
dort gilt: auffallen! Ob stilvoll oder weniger<br />
oder auch: gar nicht, ja manchmal<br />
einfach völlig geschmacklos und<br />
peinlich. Da wir im Netz zugeschüttet<br />
werden von den trendigsten und extravagantesten<br />
Looks, haben wir uns<br />
mal gedacht: Warum werfen wir nicht<br />
einmal einen Blick auf die schlechtesten<br />
Street Looks? Und von denen gibt<br />
es nämlich so einige auf den Fashion<br />
Weeks zu sehen. Et voilà, das ist das<br />
Ergebnis: Worst of Fashion Week 2013.<br />
Nr.11<br />
112<br />
113<br />
Nr.11
ANTIFRÄULEIN<br />
Text: Wäis Kiani<br />
Illustration: Katrin Funcke<br />
A L L E V E R G Ö T T E R N R I H A N N A – A U C H W I R B E W U N D E R T E N D E N<br />
C O M E T E N H A F T E N A U F S T I E G D E S 2 5 - J Ä H R I G E N P O P S TA R S A U S<br />
B A R B A D O S . D O C H A L S S I E A N F I N G I H R E N N A C K T E N A R S C H<br />
A U F I N S TA G R A M Z U P O S T E N U N D S I C H V O N I H R E M E X - F R E U N D<br />
G R Ü N U N D B L A U S C H L A G E N L I E S S , O H N E I H N A B Z U S E R V I E R E N ,<br />
WAR ES VORBEI MIT DEM RESPEKT.<br />
Unser heutiges Anti-<strong>Fräulein</strong> ist hochtalentiert,<br />
megaerfolgeich und DER<br />
Superstar im Musik-Business. Sie ist<br />
auch eine Stilikone, ein Supergirl und<br />
das Vorbild von Millionen junger und<br />
nicht mehr ganz so junger Mädchen<br />
sowie Muse und Model einiger großer<br />
Designer. Die Rede ist von Popdiva<br />
Rihanna, die sich gerade auf ihrer „Diamond<br />
World Tour“ in Thailand, EM-<br />
PRESS nennen und von Elefanten und<br />
armen kleinen Äffchen huldigen lässt.<br />
Rihanna ist mehr als nur ein Superstar,<br />
37 Millionen verkaufte Alben, sieben<br />
Grammy-Awards und mit 25 Jahren<br />
bereits mehr Chart-Erfolge als Madonna.<br />
Sogar Rihannas Parfüm „Reb’l<br />
<br />
Zeit das meistverkaufte Promi-Parfüm.<br />
Damit stellte Rihanna sogar Justin Biebers<br />
Verkaufsschlager „Someday“ in<br />
den Schatten.<br />
Im letzten Jahr feierte die Sängerin<br />
ihr Kino-Debüt, mit dem Streifen<br />
„Battleship“. Besser kann es also für<br />
Klein-Rihanna aus Barbados nicht laufen.<br />
Alle vergötterten sie, bis sie plötzlich<br />
begann, auf der Bühne und ihrer<br />
Instagram Site Badgalriri ihren nackten<br />
Arsch bei jeder Gelegenheit vorzuzeigen,<br />
mit wilden Tieren in Thailand<br />
zu posieren, wobei man den Tieren<br />
eindeutig ansehen konnte, dass sie mit<br />
Gewalt gefügig gemacht worden sind,<br />
über ihre Erlebnisse in Sexclubs detailliert<br />
zu berichten, jeden Schwarzen als<br />
Nigga zu bezeichnen und eine eindeutig<br />
sexuell eingefärbte Freundschaft zu<br />
Topmodel Cara Delevingne, das Mädchen,<br />
das ohne Licht, Make-up und<br />
Hochglanz-ChiChi aussieht wie ein<br />
White-Trash-Tomboy mit Wollmütze<br />
und Sneakerboots, öffentlich zu zeigen.<br />
Auch wenn 60% davon zielsicher angelegte<br />
PR ist, weil ein echter Rockstar<br />
Skandale braucht und pubertäre Teenies<br />
genau das sehen wollen, um sie<br />
den<br />
wir sie plötzlich abstoßend und<br />
uncool.<br />
Sie, die der halben Welt alles vormachen<br />
kann, einen Status der Immunität<br />
erreicht hat und dadurch grenzenlose<br />
Freiheit genießt, hat eine falsche<br />
Richtung eingeschlagen. Männliche<br />
Rockstars dürfen mit zehn Groupies<br />
gleichzeitig Sex im Whirlpool haben<br />
und anschließend das ganze Hotel anzünden.<br />
Weibliche Superstars können<br />
zwar auch machen, was sie wollen,<br />
aber wir wollen nicht dabei zusehen.<br />
Natürlich wagt niemand etwas zu sagen,<br />
denn zusammen mit ihr werden<br />
viele Menschen immer reicher und<br />
reicher, sie kann inzwischen sogar singen<br />
und sie ist schlau: sie weiß, gerade<br />
nervige Werbung ist die wirksamste<br />
und am Ende ist ja alles Kunst, Riri ist<br />
ein Kunstwerk.<br />
Und Kunst versteht nicht jeder. Aber<br />
Kunst hin oder her, wer unter seine Instagram-Bilder<br />
„Cash“ „Pussy“ und „Money“<br />
schreibt, ist kein bisschen <strong>Fräulein</strong>,<br />
sondern ein echter Rüpel.<br />
Ein <strong>Fräulein</strong> steckt sich öffentlich keine<br />
Joints zwischen die dicken Lippen und<br />
nuckelt nicht stundenlang an Bongs,<br />
legt nicht ihre Hand für die Kameras<br />
der Welt auf den nackten Hintern ihrer<br />
Freundin und sagt nicht über sie: „She’s<br />
<br />
I’ve taken her off the market. We call<br />
<br />
wifey means? It’s like your other half.<br />
Like when you get married, like, that’s<br />
your wife!“<br />
Ein <strong>Fräulein</strong> packt sich nicht in den<br />
<br />
von ihrem Freund, also von Chris Brown,<br />
dermaßen vermöbelt zu werden,<br />
dass die Welt sich Sorgen über<br />
ihr blaues Auge machen muss.<br />
Ein <strong>Fräulein</strong> will nicht von „Sticks and<br />
Stones“ geschlagen werden und räkelt<br />
sich nicht im „California Kingbed“. Und<br />
ein <strong>Fräulein</strong> trägt IMMER einen BH<br />
unterm Chanelkostüm.<br />
Ein <strong>Fräulein</strong> mietet sich auch nicht<br />
<br />
Million Euro, um dort vor den Augen<br />
der Öffentlichkeit Partys und Orgien<br />
mit ihren Freunden an der Cote d‘Azur<br />
zu feiern.<br />
Was sollen wir sagen? Ein <strong>Fräulein</strong><br />
wird auf ein Schiff eingeladen, sitzt<br />
im Bikini im Schatten und freut sich<br />
über ein Glas Champagner. Aber andererseits<br />
ist sie erst 25 und hat schon<br />
mehr Alben verkauft als Madonna, siehe<br />
oben. Wir würden es doch genauso<br />
machen. Aber wir wären nicht mit dem<br />
doppelkinnigen, Schiel-Gesicht Cara<br />
Delevingne befreundet. Aber das ist<br />
eine andere Geschichte.<br />
„WER UNTER SEINE<br />
ISTAGRAM-BILDER<br />
„CASH“ „PUSSY“<br />
UND „MONEY“<br />
SCHREIBT, IST KEIN<br />
BISSCHEN FRÄULEIN,<br />
SONDERN EIN<br />
ECHTER RÜPEL“<br />
Nr.11<br />
114<br />
115<br />
Nr.11
FEIERABEND<br />
Interview: Robert Grunenberg<br />
„WIR SIND ALLE TIERE“<br />
EINE BEGEGNUNG MIT<br />
STELLA<br />
MCCARTNEY<br />
„ES GIBT KEINE<br />
STRATEGIE.<br />
ICH ARBEITE<br />
INTUITIV“<br />
Man hat es als Tochter nicht leicht,<br />
aus dem Schatten von einem Beatle<br />
zu treten. Stella McCartney hat es geschafft.<br />
Schon mit 15 Jahren ging sie<br />
nach Paris und arbeitete bei Christian<br />
Lacroix, nach dem Studium löste sie<br />
Karl Lagerfeld im Hause Chloé ab, um<br />
zwei Jahre später ihr eigenes Label zu<br />
gründen. Heute führt sie ein unabhängiges<br />
Modehaus, das für Highstreet<br />
Fashion mit Umweltbewusstsein steht.<br />
Ein Treffen im Rahmen des Designer<br />
for Tomorrow Awards (DfT) in Berlin.<br />
Frau McCartney, Sie kommen relativ<br />
oft nach Berlin. Was gefällt<br />
Ihnen an der Stadt?<br />
Stella McCartney: Jedes Mal, wenn<br />
ich nach Berlin komme, bin ich überrascht:<br />
Alle fahren Fahrrad. Diese Art<br />
sich in der Stadt zu bewegen gefällt<br />
mir. Das Stadtleben ist so präsent,<br />
man spürt in der Luft eine anregende<br />
Mischung aus Straßenkultur und Jugendgeist.<br />
Das zeigt sich auch in der<br />
Art, wie hier Kleidung getragen wird.<br />
Geht es in der Mode nicht genau<br />
darum, „Wie“ man Sachen trägt<br />
und erst in zweiter Linie „Was“?<br />
SM: Ja, das ist die Basis für alles, was<br />
ich tue. Dabei geht es um die Idee,<br />
dass man jedes Kleidungsstück nehmen<br />
kann und etwas Eigenes daraus<br />
macht. Man selbst macht es besonders,<br />
relevant und cool. Mit der richtigen<br />
Einstellung zu Mode kannst du<br />
zeigen, wer du bist.<br />
Was hat Sie daran gereizt, beim<br />
Designers for Tomorrow Award<br />
als Patronin zu fungieren?<br />
SM: Am DfT gefällt mir, dass sich junge<br />
Designer aus ganz Europa bewerben<br />
können. Dass man der nächsten<br />
Generation eine Plattform gibt, um<br />
sich zu zeigen und der Modewelt zu<br />
sagen: Seht her, hier bin ich. Die Gewinner<br />
erhalten eine Langzeitförderung,<br />
die sie bei den ersten Schritten<br />
ins Modegeschäft begleitet.<br />
Inwiefern glauben Sie, dass derartige<br />
Förderinitiativen tatsächlich<br />
helfen, sich in der Modewelt<br />
durchzusetzen?<br />
SM: Jede Erfahrung in der Modeindustrie<br />
ist wichtig, gleich ob sie<br />
primär gut oder schlecht ist. Zum<br />
Beispiel nahmen alle fünf Finalisten<br />
während des DfT an einem Panel teil,<br />
wo sie vor unzähligen Journalisten<br />
Fragen zu ihren Kollektionen gestellt<br />
bekamen. Damit muss man erst mal<br />
umgehen lernen und sich selbst die<br />
Frage stellen: Inwiefern bin ich kreativ,<br />
was ist mir wichtig und wofür<br />
stehe ich mit meiner Mode ein? Stellt<br />
man sich diese Fragen gründlich,<br />
dann kann man mit einem guten Gefühl<br />
seine Sache vertreten.<br />
Was machen Sie, wenn Sie selbst<br />
in einer kreativen Sackgasse landen?<br />
SM: Ist der Druck einer neuen Kollektion<br />
zu groß und ich weiß nicht<br />
weiter, dann höre ich einfach auf. Ich<br />
mache zum Beispiel keine Reise nach<br />
Ägypten zu den Pyramiden und dann<br />
gibt es in der nächsten Saison eine<br />
„Kleopatra-Kollektion“. Es gibt keine<br />
Strategie, ich arbeite letztlich sehr intuitiv.<br />
Erst danach setze ich mich mit<br />
meinem Team zusammen und wir<br />
denken nach, tauschen uns aus.<br />
Ihre erste Kollektion zeigten Sie<br />
1995 als Abschlussarbeit am renommierten<br />
Central Saint Martins<br />
College in London. Was war<br />
Ihr außergewöhnlichstes Erlebnis<br />
am CSM?<br />
SM: Während des Studiums hing ich<br />
meistens mit den Bildhauern rum,<br />
weil es dort die süßesten Jungs gab.<br />
<br />
Seminaren wie besessen über ein<br />
Thema debattierte. Ich erinnere mich<br />
an einen Nachmittag, wo es um einen<br />
bestimmten Blauton ging. Eine<br />
Kunststudentin, die heute sehr erfolgreich<br />
ist, hatte diesen Blauton für<br />
sich beansprucht. Sie gestaltete ihre<br />
gesamte Ausstellung damit und verpackte<br />
ihre Arbeiten, sodass sie niemand<br />
sehen konnte. Wir fanden das<br />
damals ziemlich albern. Doch eigentlich<br />
war sie clever und uns voraus.<br />
Denn heute geht es mir ähnlich, ich<br />
will auch nicht, dass jemand meine<br />
Farben der neuen Kollektion kennt.<br />
Wenn Sie jetzt noch mal an Ihre<br />
erste Kollektion von 1995 im Vergleich<br />
zu heute denken, was ist<br />
ähnlich wie damals, was ist anders?<br />
SM: Konstant ist die Art, wie ich<br />
schneider. Das geht zurück auf meine<br />
Ausbildung beim Herrenschneider<br />
Edvard Sexton in der Savile Row in<br />
London. Daher kommt meine Leidenschaft<br />
für männliche Schnitte an<br />
Frauen. Meine ersten Arbeiten aus<br />
den 90ern entsprachen nicht den angesagten<br />
Modetrends – damals war<br />
alles weich, dekonstruiert und stark<br />
durch den japanischen Minimalis-<br />
<br />
hatten eine sehr britische Attitüde,<br />
sie waren wohl strukturiert und sehr<br />
männlich. Das ist auch bis heute so<br />
geblieben, nur dass ich es variiere.<br />
Zudem arbeite ich auch heute noch<br />
mit Strickkleidung und humorvollen<br />
Drucken. Die Unterschiede zur ersten<br />
Kollektion sind also vielmehr Präzisionen<br />
von Techniken, Konzepten und<br />
Materialien, die ich schon damals<br />
hatte.<br />
Ihre Arbeiten können aber auch<br />
sehr feminin, schick und sexy<br />
sein. Haben Sie eine besondere<br />
Idee von Weiblichkeit?<br />
SM: Es ist einfach eine Show zu machen,<br />
die kühl und männlich ist. Es<br />
ist wichtig, dass man trotzdem einen<br />
Sinn für das Weibliche in allen Kon-<br />
<br />
dass sich Frauen wohlfühlen. Mein<br />
Design ist ein Spiel aus Verdecken<br />
und Offenlegen, beides hilft, damit<br />
sich Frauen attraktiver fühlen. Beim<br />
Bekleiden passiert emotional und<br />
psychologisch ganz viel.<br />
In Ihren Kollektionen verwenden<br />
Sie keine Materialien wie Pelz<br />
und Leder. Trotzdem sind Ihre<br />
Designs und Werbeanzeigen voller<br />
Tier-Referenzen. Was interessiert<br />
Sie an der Tierwelt?<br />
SM: Wir sind alle Tiere. Unsere Gefühle<br />
und unsere Identität werden<br />
stärker von Instinkten bestimmt, als<br />
wir manchmal realisieren. Riechen,<br />
Schmecken und Berühren, diese<br />
sen<br />
unsere Entscheidungen – auch<br />
ästhetisch. In meinen Kollektionen<br />
<br />
ohne dabei echte Tierhaut zu verwenden.<br />
Bei meinen Handtaschen reproduziere<br />
ich z.B. die Hautstruktur<br />
von Python-Schlangen durch Drucke.<br />
Dabei verweise ich auf lebendige Tiere,<br />
etwa auf die Art, wie sich Schlan-<br />
<br />
nicht sehr inspirierend.<br />
Produzieren Sie deshalb auch besonders<br />
„grün“ und nachhaltig?<br />
<br />
Image als Eco-Mode kommt daher,<br />
dass wir kein Leder und keinen Pelz<br />
verarbeiten und unsere Materialien<br />
ohne PVC herstellen. Doch auch wir<br />
sind nicht perfekt, deshalb ersetzen<br />
wir jede Saison konventionelle<br />
Produktionsformen durch neue ressourcenschonende<br />
Verfahren. Diese<br />
Saison haben wir zum Beispiel ein<br />
<br />
Taschen vorgestellt, nächste Saison<br />
arbeiten wir mit wasserschonenden<br />
Bleichungsprozessen.<br />
Neben der „grünen“ Entwicklung<br />
in der Modeindustrie reagieren<br />
Sie auch auf die Umwälzungen im<br />
Online-Bereich, wie Modeblogs<br />
oder Crowdsourcing?<br />
SM: Crowdsourcing nutzen wir im<br />
medialen Bereich, kreativ arbeiten<br />
wir sehr traditionell. Wir setzen uns<br />
zusammen, kreieren, analysieren<br />
und debattieren. Wir gehen nicht<br />
online und suchen nach Communities,<br />
die einen neuen Stil bewerben.<br />
Insgesamt versuche ich so wenig wie<br />
möglich online zu sein, besonders in<br />
meiner Freizeit.<br />
Und was machen Sie, um abzuschalten,<br />
wie sieht Ihr Feierabend<br />
aus?<br />
SM: Wenn ich nach Hause komme,<br />
dann bin ich zuallererst Mutter und<br />
Ehefrau. Am Wochenende fahre ich<br />
mit der Familie raus aufs Land: Ich<br />
reite mein Pferd, beobachte die Natur<br />
und die Jahreszeiten. Das hilft<br />
mir sehr, runterzukommen. Denn<br />
den Kopf ausschalten, das fällt mir<br />
schwer. Etwas, das ich noch lernen<br />
muss.<br />
Stella McCartney wurde 1971 in London geboren<br />
und studierte dort am Central Saint<br />
Martins College of Art and Design. 2 Jahre<br />
nach ihrem Abschluss holte Chloé die Tochter<br />
des Ex-Beatle Paul McCartney als Chefdesignerin<br />
nach Paris. 2001 gründete sie ihr<br />
eigenes Label und stieg in die Gucci Group<br />
mit ein. Sie ist mit mehr als 16 Flagship-Stores<br />
weltweit präsent.<br />
Nr.11<br />
116<br />
117<br />
Nr.11
REZEPT<br />
Illustration: Lenia Hauser<br />
Foto: Sabine Volz<br />
Nr.11<br />
118<br />
119<br />
Nr.11
DAS TRAGE ICH FÜR DIE EWIGKEIT<br />
Protokoll: Willy Katz<br />
STERBEN IST<br />
ALLGEGENWÄRTIG<br />
I N G A H U M P E I S T H E U T E V O R A L L E M F Ü R I H R B A N D - P R O J E K T 2 R A U M W O H N U N G<br />
B E K A N N T, D A S S I E Z U S A M M E N M I T I H R E M F R E U N D T O M M I E C K A R T G E G R Ü N D E T<br />
HAT. SCHON WÄHREND DER 80ER-JAHRE WAR SIE TEIL DER WEST-BERLINER<br />
N E U E N D E U T S C H E N W E L L E , U N T E R A N D E R E M M I T I H R E R S C H W E S T E R A N N E T T E B E I<br />
D E N N E O N B A B I E S . W I R H A B E N I N G A H U M P E F Ü R U N S E R E R U B R I K „ D A S T R A G I C H<br />
F Ü R D I E E W I G K E I T “ G E F R A G T, W O M I T S I E B E E R D I G T W E R D E N M Ö C H T E . S I E WÄ H LT E<br />
IHRE KINDERDECKE, DIE WIDER ALLEN ERWARTUNGEN ZAHLREICHE UMZÜGE<br />
Ü B E R S TA N D E N H AT.<br />
„DIE SEHNSUCHT<br />
NACH DEM TOD<br />
IST DIE KRANKHEIT<br />
DER JUGEND“<br />
In den 80er-Jahren gab es in der<br />
deutschen Musikszene dieses Kokettieren<br />
mit dem Tod. Da alles andere<br />
unsicher war, schien er als das einzig<br />
nahe<br />
so etwas wie eine Sehnsucht. Das<br />
ist vielleicht die Krankheit der Jugend.<br />
Auch mir ging es ein wenig so. Ich war<br />
mir selbst und anderen gegenüber sehr<br />
kritisch, sehr ungnädig. Aber ich habe<br />
gelernt, dass dieses „Als wär’s das letzte<br />
Mal“, von dem die Band Deutsch<br />
Amerikanische Freundschaft (DAF)<br />
sang, auch ein Höhepunkt ist, den man<br />
mitten im Leben haben kann. Das zu<br />
begreifen ist sehr wichtig. Ich hatte<br />
nämlich lange Zeit große Angst vor<br />
dem Tod. Weniger vor meinem eigenen<br />
als vor dem der Menschen, die ich liebe.<br />
Um dem zu begegnen setzte ich mich<br />
seit einer Weile mit dem Buddhismus<br />
auseinander, der weniger eine Religion<br />
als vielmehr eine Meditations-Praxis<br />
ist. Für mich ist das regelrechte Forschungsarbeit.<br />
Ich forsche, wie sich<br />
meine Wahrnehmungsfähigkeit verändert.<br />
Früher interessierten mich der<br />
Club, Rausch und Ekstase. Im Moment<br />
geht es mir viel eher um das Fühlen,<br />
Spüren, Erleben und Erinnern.Ich bin<br />
übrigens erstaunt darüber, wie man<br />
manchmal von Erinnerungen regelrecht<br />
überfallen wird, wenn man sich<br />
denn für sie öffnet. Wenn ich heute an<br />
meine Kindheit denke, mein Vater war<br />
Konditor, erinnere ich mich noch gut<br />
an den Duft von warmen Backblechen.<br />
Auch das ist nicht mehr. Aber es bleibt<br />
mir doch unheimlich präsent und damit<br />
lebendig. Als Kind war ich das erste<br />
Mal mit dem Tod konfrontiert, als bei<br />
uns im Haus eine Nachbarin starb. Zu<br />
der bin ich früher immer hingerannt.<br />
Nachts klopfte jemand ans Fenster und<br />
sagte, dass die Tante gestorben sei. Das<br />
hat bei mir aber komischerweise überhaupt<br />
nichts ausgelöst. Ich habe das<br />
einfach so hingenommen. Ich wusste<br />
ja, sie war sehr alt und sehr krank. Das<br />
war viel schwieriger, als meine Eltern<br />
gestorben sind. Das ist dann schon<br />
schockierend und ein richtiger Einschnitt.<br />
Da wird man wirklich erwachsen.<br />
Mit meinem Partner Tommi Eckart<br />
spreche ich seit einer Weile sehr viel<br />
über den Tod in all seinen möglichen<br />
Formen. Manchmal fragt der eine, wie<br />
willst du begraben werden? Und dann<br />
sagt der andere, „ist mir egal“ oder „in<br />
einer Urne“. So ganz pragmatisch. Das<br />
ist von der Tagesform abhängig. Darum<br />
geht es mir aber gar nicht so sehr.<br />
Wir beide üben eine Meditationspraxis,<br />
bei der man lernt, was man zu tun hat,<br />
wenn man stirbt. Gleichzeitig geht es<br />
darum zu begreifen, das jeder Moment,<br />
den man miteinander verbringt, unheimlich<br />
wertvoll ist. Ich glaube, dieses<br />
Bewusstsein über den Tod erhöht die<br />
Lebensqualität unheimlich. Denn je<br />
furchtloser man vor dem Tod wird, so<br />
furchtloser wird man auch im Leben.<br />
Diese Meditationsübung heißt Phowa.<br />
Man kann sie ab einem gewissen, fortgeschrittenen<br />
Niveau erlernen. Meine<br />
ursprüngliche Angst vor dem Tod habe<br />
„DEN LETZTEN MOMENT<br />
IN DIESEM LEBEN MÖCHTE<br />
ICH IN DEN ARMEN VON<br />
TOMMI VERBRINGEN“<br />
ich dadurch viel besser in den Griff bekommen.<br />
Ich glaube, man stirbt halt in<br />
jedem Moment. Eine Zelle stirbt, der<br />
ganze Körper vergeht. Sterben ist allgegenwärtig<br />
und verliert dadurch seinen<br />
Schrecken für mich, ist doch auch<br />
die Geburt überall präsent.Womöglich<br />
trifft man sich einmal wieder irgendwo.<br />
Wenn, dann aber vermutlich in einer<br />
anderen Form. Wie, kann ich natürlich<br />
nicht sagen. Dass sich da aber irgendeine<br />
Energieform erhält, dass man die<br />
spüren kann, das hängt damit zusammen,<br />
wie man sich geistig oder mental<br />
entwickelt. Denke ich heute an den<br />
Tod, dann gibt es bei mir natürlich den<br />
Willen zu überleben. Das ist Evolution.<br />
Aber sollte er kommen, das weiß ich<br />
ganz sicher, dann möchte ich meinen<br />
letzten Moment in diesem Leben in den<br />
Armen von Tommi verbringen. Ins Grab<br />
würde ich meine Kinderdecke mitnehmen.<br />
Die habe ich von meinen Eltern<br />
bekommen. Es gibt ein paar alte Fotos,<br />
auf denen man die mit mir sehen kann.<br />
Als ich darüber nachgedacht habe, was<br />
ich bis in alle Ewigkeit tragen möchte,<br />
habe ich erst an ein Kleidungsstück<br />
gedacht. Und im Schrank tauchte dann<br />
plötzlich diese Decke auf. Es ist mir ein<br />
völliges Rätsel, wie sie die vielen Umzüge<br />
überleben konnte. So eine Decke<br />
steht für Schutz, für den ersten Schutz,<br />
den man bekommt im Leben. Sie repräsentiert<br />
dieses sehr Zerbrechliche, das<br />
man als Baby nunmal hat. Das ist die<br />
etwas runtergerockte Decke von einem<br />
armen Kind. Auf mich hat diese Decke<br />
mit diesem schönen Grün noch immer<br />
eine beruhigende Wirkung.<br />
Das neue Album von 2Raumwohnung,<br />
„Achtung fertig“, ist bei Universal Music<br />
erschienen. Der Track „Als wärs das letzte<br />
Mal“ von DAF ist auf dem großartigen<br />
Album „Alles ist gut“ (1981) zu finden.<br />
Nr.11<br />
120<br />
121<br />
Nr.11
HOROSKOP<br />
Illustration: Lisa Kirchner - ALL THAT YAY<br />
FINDEN SIE EIN NEUES ICH<br />
DIESER HERBST WÄRMT VON INNEN HERAUS. DEN MEISTEN STERNZEICHEN GEHT<br />
E S G U T. E S K O M M T D I E Z E I T D E R G R O S S E N E N T S C H E I D U N G E N U N D D E R K L E I N E N<br />
FREUDEN. STEINBÖCKE SOLLTEN DEN OBERSTEN KNOPF IHRER PRADA-BLUSE LÖSEN,<br />
W I D D E R H E D G E F O N D M A N A G E R I N N E N W E R D E N U N D S C H Ü T Z E N U N B E D I N G T E I N E<br />
BADEWANNE BESITZEN. DIES UND VIELES MEHR IM NEUEN FRÄULEIN HOROSKOP.<br />
WIDDER<br />
21. März - 20. April<br />
Hoppla, hier kommt das Über-Ich!<br />
An Selbstbewusstsein wird es Ihnen<br />
in den kommenden Monaten nicht<br />
mangeln. Das gönnen wir Ihnen, aber<br />
versuchen Sie Ihre überkochende<br />
Energie zu kanalisieren. Wagen<br />
Sie eine Mutprobe. Baden Sie an<br />
ungewöhnlichen Orten, im Becken des<br />
Hamburger Hafens zum Beispiel. Am<br />
besten nachts, das kühlt ab. Bringen<br />
Sie Ihre Beziehung auf Vordermann,<br />
<br />
Starten Sie Ihre Karriere oder geben<br />
Sie ihr einen neuen Schwung. Ob als<br />
Bücherwurm, Hedgefond-Managerin<br />
oder Rockmusikerin, wichtig ist uns<br />
nur: Machen Sie was draus.<br />
STIER<br />
21. April - 20. Mai<br />
Sie haben in den letzten Wochen gedacht,<br />
dass sie eigentlich Feuerwehrfrau<br />
hätten werden sollen, richtig? Es<br />
brennt an allen Ecken und Enden. Von<br />
überall her prasseln Anfragen und Anforderungen<br />
auf Sie ein. Wir geben Ihnen<br />
folgenden tröstlichen Aphorismus<br />
mit auf den Weg: Druck, Druck, Druck,<br />
nur so entsteht ein Diamant! Außerdem:<br />
Gegen November meinen es die<br />
Sterne besser. Sie können Ihr Leben<br />
wieder selbst in die Hand nehmen.<br />
Lassen Sie sich von Ihrem Partner in<br />
jeglicher (Zwinker) Hinsicht verwöhnen<br />
und die anderen Quälgeister ausnahmsweise<br />
mal etwas für Sie tun.<br />
ZWILLING<br />
21. Mai - 21. Juni<br />
Es gibt Phasen, in denen man die Welt<br />
durchschaut: das Leben, die Liebe, den<br />
Beruf – wie Neo in der Matrix eben.<br />
Im Flirten entwickeln Sie einen Killerinstinkt,<br />
in Konferenzen haben sie<br />
<br />
Freundinnen und Freunden schlecht<br />
geht, landen Ihre Ratschläge punktgenau.<br />
Sie erwarten jetzt wohl nun einen<br />
Twist, irgendeinen Abgrund. Aber wir<br />
müssen Sie enttäuschen, bei Ihnen ist<br />
alles gut. Und dass wir Selbstüberschätzung,<br />
übersteigerte Eitelkeit oder<br />
Größenwahn auf das Schärfste verurteilen,<br />
sollte Ihnen ja klar sein.<br />
KREBS<br />
22. Juni - 22. Juli<br />
Etwas skeptisch schauen wir in dieser<br />
Ausgabe in die Sterne: Warum sind die<br />
denn so wohlgestimmt?! Es ist doch<br />
Herbst! Selbst den meist betrübten<br />
Krebsen geht es blendend. Sie treten<br />
in eine Phase der großen Entscheidungen<br />
und des neuen Glücks ein. Sie sind<br />
schon seit Monaten verliebt? Dann<br />
wagen Sie den ersten Schritt. Auch in<br />
Bezug auf Ihr Aussehen läuft es super:<br />
Noch nie haben Ihnen High Heels besser<br />
gestanden, haben Sie Ihre Klamotten<br />
so sicher kombiniert. Investieren<br />
Sie in Ihre Garderobe. Was Sie sich<br />
jetzt kaufen, werden Sie auch Jahre<br />
später noch tragen können.<br />
LÖWE<br />
23. Juli - 23. August<br />
Ein Wildpferd, das sind Sie. Manchmal<br />
galoppieren Sie allerdings etwas<br />
zu schnell los. Manchmal verläuft Ihr<br />
Leben ein bisschen zu unruhig, zu<br />
unentschlossen. Das ist im Prinzip<br />
nicht schlimm, denn so erlangt man<br />
Lebensklugheit, um die Sie andere<br />
bald beneiden werden. Dennoch: Es<br />
ist wichtig, dass Sie auch Verbindlichkeiten<br />
eingehen. Seien Sie gütig und<br />
einfühlsam. Vor allem aber, genießen<br />
Sie die Herbstsonne, wie sie durch die<br />
goldenen Blätter der Bäume fällt und<br />
Ihnen zeigt, wie schön es sein kann,<br />
lebendig zu sein. Das rückt so manches<br />
ins richtige Verhältnis.<br />
JUNGFRAU<br />
24. August - 23. September<br />
Werden Sie bloß nicht ungeduldig!<br />
Rütteln Sie nicht an dem Schicksal,<br />
dass die Sterne für Sie vorgesehen<br />
haben. Das ist nämlich tadellos. It’s<br />
time to chill, Sister! Die kommenden<br />
Wochen werden im Zeichen des Sex<br />
nießen<br />
Sie die Experimentierfreude<br />
Ihres Partners. Im Beruf zahlt es sich<br />
aus, dass Sie sich jahrelang im Verzicht<br />
geübt haben. Es ist, als hätten Sie einen<br />
<br />
wohlig warm um Sie herum und das<br />
Schlechte an Ihnen vorbei. Und Sie, Sie<br />
<br />
dem Guten entgegen.<br />
WAAGE<br />
24. September - 23. Oktober<br />
Ihr umwerfender Charme, Ihre Stärke<br />
lässt Sie von innen heraus leuchten.<br />
Passen Sie nur auf, dass Sie sich nicht<br />
selber überstrahlen. Entspannen Sie<br />
sich. Ernten Sie die Früchte Ihrer Saat.<br />
Entwerfen Sie sich gedanklich Inseln,<br />
Paläste, prachtvolle Königreiche. Malen<br />
Sie sich aus, wie diese Orte Wirklichkeit<br />
werden und wie gut es Ihnen<br />
an diesen gehen könnte. Und dann<br />
schauen Sie in Ihren Alltag, auf Ihr Leben<br />
und suchen Sie auch dort die Orte,<br />
an denen Sie glücklich sind. Sie werden<br />
<br />
Schutz und ein Quell großer Kraft sein.<br />
SKORPION<br />
24. Oktober - 22. November<br />
Sie stecken mitten in einem Übergang.<br />
Passen Sie auf, dass Sie sich dabei<br />
nicht verfransen! Es könnte etwa sein,<br />
<br />
und sich Möglichkeiten zur Veränderung<br />
auftun. Eine mittelgroße Ernsthaftigkeit<br />
kehrt in Ihr Leben ein. Ist<br />
das ein Grund, sich Sorgen zu machen?<br />
Jein. Sie drohen nicht in existentielle<br />
Lebenskrisen zu schlittern. Hören Sie<br />
aber nicht auf zu kämpfen. Bewahren<br />
Sie sich ihre direkte Art. Besinnen Sie<br />
sich auf Ihre Ziele. Tauchen Sie ein in<br />
die großen Epen des Hollywood-Kinos,<br />
denn die haben fast immer ein Happy<br />
End.<br />
Nr.11<br />
122<br />
123<br />
Nr.11
RÄTSEL<br />
Illustrationen: Anje Jager<br />
DIE FRÄULEIN TRAGEN WILL,<br />
10 TASCHEN UND 5 FEHLER, DIE ZU FINDEN SIND!<br />
SCHÜTZE<br />
23. November - 21. Dezember<br />
<br />
nicht viel mehr in Ihren Gedanken.<br />
Wir begrüßen das. Folgen Sie dem<br />
Flow der Hormone. Aber, bitte, lassen<br />
Sie doch den ein oder anderen One-<br />
Night-Stand mal ausfallen, nur weil der<br />
Typ Ihnen gerade an der Bar erzählt<br />
hat, dass er um 1000 Ecken Michael<br />
Fassbender kennt oder einen schönen<br />
Kaschmir-Pulli trägt. Sie sind eine stilvolle<br />
Person, wählen Sie also auch Ihre<br />
Partner mit Bedacht. Uns ist klar, dass<br />
Sie das jetzt nicht hören wollen, aber:<br />
es gibt noch etwas anderes als Sex.<br />
Essen zum Beispiel, das macht auch<br />
Spaß.<br />
STEINBOCK<br />
22. Dezember - 20. Januar<br />
Sie sind Kraftwerk-Fan und würden<br />
am liebsten in einer Bauhaus-Wohnung<br />
leben? Sie lieben die harten Kontraste<br />
von Céline und die Steifheit von<br />
Prada und schütteln den Kopf über die<br />
wirren Affären Ihrer Freundinnen? Ok,<br />
lassen wir das. Sie haben Ihr Leben<br />
im Griff. Das ist toll. Nutzen Sie jedoch<br />
die kommenden Monate, um das Genießen<br />
zu üben. Kaufen Sie sich ein<br />
körperumschmeichelndes Kleid von<br />
Alaia oder einen engen, sanften Wollpullover.<br />
Verlieben Sie sich einfach um<br />
mal wieder zu spüren, wie schön sich<br />
das anfühlt. Seien Sie einfach mal ein<br />
bisschen weicher.<br />
WASSERMANN<br />
21. Januar - 19. Februar<br />
Sie sprudeln über vor kreativen Einfällen,<br />
aber Sie haben das Problem, dass<br />
Sie sich viel zu sehr von außen leiten<br />
lassen. Sie sind toll, verstecken Sie<br />
sich nicht hinter Kollegen oder Ihrem<br />
Partner. Die Zeit, dass Sie freundlich lächeln,<br />
während sich andere mit Ihren<br />
Ideen schmücken, ist vorbei. Stehen<br />
Sie auf für Ihr Recht auf Erfolg. Fahren<br />
Sie ruhig mal die Ellenbogen aus, und<br />
drängen Sie sich an die Front. Lassen<br />
Sie sich nicht unterkriegen. Am Ende,<br />
da sind wir uns sicher, werden Sie einen<br />
erfolgreichen Herbst erleben, in<br />
dem Sie sich völlig neu kennenlernen.<br />
FISCHE<br />
20. Februar - 20. März<br />
Der Wind rüttelt an den Fenstern, die<br />
Temperaturen sinken unter null. Das<br />
alles macht Ihnen nichts aus. Es sind<br />
die kleinen Freuden, die Ihnen reichen.<br />
<br />
zärtlicher Kuss Ihres Partners, bevor<br />
Sie ins Büro fahren. Wir denken aber,<br />
dass Sie ein bisschen aufpassen sollten.<br />
Zu viel cocooning tut nicht gut, zu<br />
viel Liebe macht einen faul und träge.<br />
Vielleicht sind wir auch nur neidisch.<br />
Nur beschweren Sie sich hinterher<br />
nicht, dass wir Sie nicht gewarnt hätten,<br />
wenn Ihre Freundinnen sie nicht<br />
mehr auf eine Kneipentour mitnehmen.<br />
Nr.11<br />
124<br />
125<br />
Nr.11
IMPRESSUM<br />
<strong>Fräulein</strong> ist eine<br />
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Creative Consultant<br />
Aoife Wasser<br />
Art Direktion<br />
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Redaktion<br />
Redaktionsleitung<br />
Anna Klusmeier<br />
International Fashion Editor<br />
Bernat Buscato<br />
Mode & Beauty<br />
Sina Braetz<br />
<br />
Leo Saraniecki<br />
Kultur und Politik<br />
Ruben Donsbach<br />
Schlussredaktion<br />
Eckart Eisenblätter<br />
Praktikantin<br />
Beatrice Kittelmann<br />
Fotografen<br />
Courtesy Sprüth Magers, David Fischer, Heiko<br />
Richard , Irina Gavrich, Marcel Schwickerath,<br />
Mario Vilanoena, Matthias Ziegler, Neil Gavin,<br />
Pamela Berkovich, Sabine Volz, Sherry Hormann,<br />
Stefan Armbruster, Toni Nüsse<br />
Illustratoren<br />
Anna Catharina Gebbers, Andreas Steinbrecher,<br />
Anje Jager, Der Stör, Frauke Finsterwalder, Katrin<br />
Funcke, Lenia Hauser, Lisa Kirchner, Miriam<br />
Michelon<br />
Autoren<br />
Anna-Catharina Gebbers, Lorenz Schröter, Maja<br />
Hook, Martin Simons, Michael Obert, Miriam<br />
Suter, Mirna Funk, Robert Grunenberg, Sherry<br />
Hormann, Vanessa Obrecht, Verena Reygers,<br />
Wäis Kiani, Willy Katz<br />
Styling<br />
Max Märzinger , Monika Leuthner,<br />
Ruth Higginbotham, Sara Dunn, Solveig Viola<br />
Verlag<br />
Off Ones Rocker Publishing Ltd.<br />
Kurfürstenstraße 31-32<br />
10785 Berlin<br />
Telefon: +49 (0)30 2888 40 43<br />
Fax: +49 (0)30 2888 40 44<br />
info@fraeulein-magazin.com<br />
Herausgeber: Götz Offergeld<br />
Verlagsleiter: Hannes von Matthey<br />
Idee und Konzept: Götz Offergeld<br />
Vertrieb<br />
BPV Medien Vertrieb GmbH & Co. KG<br />
Römerstr. 90<br />
79618 Rheinfelden<br />
www.bpv-medien.com<br />
Druckerei<br />
Dierichs Druck+Media GmbH & Co. KG<br />
Frankfurter Str. 168<br />
34121 Kassel<br />
www.ddm.de<br />
Cover<br />
Foto: David Fischer<br />
<br />
Anzeigenverkauf:<br />
Nielsen 1 (Hamburg, Berlin, Schleswig-Holstein,<br />
Niedersachsen)<br />
Dirk Struwe, Medienvermarktung e.K.<br />
Poelchaukamp 8, 22301 Hamburg<br />
Telefon: +49 (0)40 280 580 80<br />
Fax: +49 (0)40 280 580 89<br />
d.struwe@struwe-media.de<br />
Nielsen 2 ( Nordrhein-Westfalen)<br />
Andreas Fuchs, Medienservice + Beratung<br />
Vereinsstr. 20, 41472 Neuss<br />
Telefon: +49 (0)2131 406 370<br />
Fax: +49 (0)2131 406 3710<br />
kontakt@medienservice-und-beratung.de<br />
Nielsen 3a (Hessen, R heinland Pfalz, Saarland)<br />
Weipert GmbH<br />
Palais Kronberg, Frankfurter Str. 111,<br />
61476 Kronberg<br />
Telefon: +49 (0)6173 3250 970<br />
Fax: +49 (0)6173 3259 140<br />
helmujun@weipert-net.de<br />
Nielsen 3b (Baden-Württemberg)<br />
Nielsen 4 (Bayern)<br />
Bruno Marrenbach, MMS Marrenbach<br />
Medien-Service<br />
Lachenmeyerstr. 25, 81827 München<br />
Telefon: +49 (0)89 430 88 555<br />
Fax: +49 (0)89 430 88 556<br />
info@mms-marrenbach.de<br />
Nach<br />
der Wahl<br />
ist in<br />
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Ben Sherman<br />
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Brian Atwood<br />
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Bugaboo<br />
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Burberry<br />
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Camilla and Marc<br />
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Cartier<br />
www.cartier.de<br />
Carven<br />
www.carven.com<br />
Casadei<br />
www.casadei.com<br />
Chloé<br />
www.chloe.com<br />
Christian Louboutin<br />
www.christianlouboutin.com<br />
Citizen of Humanity<br />
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COS<br />
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Costume National<br />
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D<br />
Damir Doma / Mykita<br />
www.mykita.com<br />
Dries van Noten<br />
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Helmut Lang<br />
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L’F<br />
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Loake<br />
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M<br />
M2Malletier<br />
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Marni<br />
www.marni.com<br />
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Miu Miu<br />
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mytheresa.com<br />
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N<br />
<br />
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net-a-porter.com<br />
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Peter Petrov<br />
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Richard Anderson<br />
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Saint Laurent Paris<br />
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T<br />
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Von Rochas<br />
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der taz.<br />
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Nr.11<br />
126
SACHEN GIBT ES<br />
Illustrationen: Miriam Michelon<br />
WOFÜR WIR<br />
TIERE QUÄLEN<br />
Alleine in Deutschland wurden 2012 knapp drei Millionen<br />
Ratten, Kaninchen, Fische, Primaten und Vögel für<br />
Versuche in der Medizin- Chemie- und Beautyindustrie<br />
herangezogen - und dabei oftmals gequält und getötet.<br />
Tendenz steigend. Weltweit könnten es über 100 Millionen<br />
Tiere sein. Während die Lebensmittelindustrie die Märkte<br />
mit billigem Fleisch überschwemmt und edle Pelze wieder<br />
in Mode kommen, müssen wir uns die Frage stellen, ob<br />
der weltweite Umgang mit Tieren noch unseren ethischen<br />
Standards entspricht? Ob es unser Wohlstand und unsere<br />
Gesundheit wert ist, derart fatal in die Schöpfung einzugreifen?<br />
Die folgenden Beispiele geben nur einen kleinen<br />
Eindruck davon, welche Gräuel Tieren tagtäglich von<br />
Menschen angetan werden.<br />
- Deutschland entwickelt sich langsam<br />
teur.<br />
In unseren Schlachthöfen werden<br />
bis zu 27.000 Tiere pro Stunde getötet<br />
und jährlich über 5,6 Millionen Tonnen<br />
<br />
Millionen Hühner werden zur Fleischgewinnung<br />
gehalten. Das Filet bleibt<br />
meist für die deutschen Haushalte. Der<br />
Rest wird zerkleinert exportiert. Etwa<br />
nach Afrika.<br />
- Durch Überzüchtung zur besseren<br />
Fleischgewinnung stellen sich bei<br />
manchen „Fleischrassen“ (i.e. weißblaue<br />
Belgier Rinder) zunehmend<br />
Gendefekte ein, die sogenannte „Muskelhypertrophie“.<br />
Das Skelett und die<br />
inneren Organe halten der Muskelmasse<br />
nicht mehr stand. Die Tiere<br />
kollabieren unter ihren deformierten<br />
Gelenken.<br />
- Des Weiteren werden in den Mastbetrieben<br />
im „Millisekunden-Takt“<br />
(SZ) männliche Küken geschreddert,<br />
Schweinen die Ringelschwänze abgeschnitten,<br />
damit sie sich diese nicht<br />
gegenseitig unter Stress abbeißen,<br />
Kaninchen werden gar zu Kannibalen,<br />
Kühe „trauern“ nächtelang um die ihnen<br />
abgenommenen Kälber, von denen<br />
in Deutschland jedes Jahr über 340.000<br />
geschlachtet werden.<br />
- Seit 2004 dürfen fertige Kosmetikprodukte<br />
in der EU nicht mehr an<br />
Tieren getestet werden, seit 11. März<br />
2013 ist der Verkauf von an Tieren entwickelten<br />
Kosmetika untersagt. Dennoch<br />
stieg die Zahl der Tierversuche<br />
in der EU zuletzt wieder an. Viele der<br />
Produkte werden einfach im Ausland<br />
vertrieben.<br />
- Bei den Tier-Tests sind starke Verätzungen<br />
und Verbrennungen Normalität.<br />
So werden schleimhautreizende<br />
Stoffe an Kaninchen getestet, der sogenannte<br />
Draize-Test. Dabei sind schon<br />
seit den 80-er Jahren alternative Verfahren<br />
mit Zellkulturen und bebrüteten<br />
Hühnereiern bekannt.<br />
- Nerzöl aus Nerzkadavern in Shampoos,<br />
Haarkuren oder Cremes, Mustelaöl<br />
oder Minkoil genannt, ist für die<br />
Kosmetikbranche eine wichtige Substanz.<br />
Trotz vieler Skandale und Debatten<br />
sind zudem bis heute oftmals<br />
zermuste Tierhäute, zermahlende<br />
Tierknochen und sogar Plazenta in<br />
Antiaging-Cremes enthalten.<br />
- Seit den 1960er-Jahren werden Orcas (Schwertwale) oftmals<br />
als Jungtiere gefangen und in Aquarien ausgestellt. Ihr<br />
außergwöhnliches soziales Verhalten sowie ihre komplexe<br />
Jagdtechnik und Kommunikation wurden von Experten wie<br />
Glen Martin als „Manifestation von Kultur“ beschrieben.<br />
Aufgrund von Stressfaktoren wie kleinen Schwimmbecken<br />
und andauernder Trainingsroutine wurden manchen Orcas<br />
starke Neurosen attestiert. Manche der Tiere sind verstümmelt.<br />
Immer wieder kommt es zu tödlichen Unfällen mit<br />
<br />
32 davon wurden in der Gefangenschaft geboren.<br />
Nr.11<br />
128
www.cartier.de + 49 89 55984-221