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Fräulein Mode Spezial Teil 1 (Vorschau)

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2,90<br />

euro<br />

caroline<br />

de maigret<br />

„ich hasse “<br />

faulheit<br />

PIN-uP<br />

Wie sexy ist<br />

KarL<br />

LagerfeLd?<br />

LabeLs im<br />

Porträt<br />

haider Ackermann<br />

olivier theyskens<br />

Armani<br />

Gucci<br />

prada<br />

und viele mehr…<br />

oLivier Zahm<br />

dAs fAshion-system<br />

tötet dich<br />

EINE StImmE<br />

Wie die mode<br />

Afrika retten könnte<br />

Carine<br />

roitfeLd<br />

die hipste omA<br />

der Welt<br />

rEvolutIoNär<br />

Black panther-style<br />

modE 1<br />

<strong>Teil</strong><br />

-Spez ial-<br />

ausgabe 08/2012<br />

A 3,20 eur<br />

lux 3,40 eur<br />

ch 4,50 sfr


Caroline de maigret<br />

ab Seite 98


2<br />

3


4<br />

5


Inhaltsverzeichnis<br />

Illustration: André M. Wyst<br />

MODE<strong>Teil</strong><br />

1<br />

-<strong>Spezial</strong>-<br />

„Ich bin ein degenerierter Konservativer“,<br />

bekennt der große, dunkle Fashionmagier im<br />

<strong>Fräulein</strong>-Interview.<br />

S. 60<br />

Ilaria Venturini Fendi über Liebe als<br />

Businessplan.<br />

S. 140<br />

„Vielleicht Chanel?“ Der Shooting Star der<br />

amerikanischen <strong>Mode</strong> plant in <strong>Fräulein</strong><br />

seine Zukunft.<br />

S. 76<br />

Von den Sechzigern bis in die Gegenwart:<br />

Warum die Frauen der Black Panther Party zu<br />

<strong>Mode</strong>ikonen geworden sind.<br />

S. 120<br />

Die Familiengeschichte: ein Krimi, die<br />

Marke: gigantisch erfolgreich. Doch erst<br />

spät wurde aus dem ehemaligen<br />

Sattlerunternehmen der Weltkonzern wie<br />

wir ihn heute kennen.<br />

S. 38<br />

Der Megastar der <strong>Mode</strong> über<br />

Glück und harte Arbeit als<br />

Freizeitbeschäftigung.<br />

S. 74<br />

Die Designerin könnte die Stella McCartney<br />

Dänemarks werden. Mit <strong>Fräulein</strong> spricht Stine Goya<br />

über ihren knackigen Hintern.<br />

S. 74<br />

Unsere Autorin Doris Hardt stellt sich Sex mit Karl Lagerfeld vor –<br />

und fühlt sich dabei schmutzig.<br />

S. 88<br />

Das chice casual Label von Giorgio Armani in einer<br />

Fotostrecke. Plus: Die Geschichte von Italiens<br />

unermüdlichem <strong>Mode</strong>genie.<br />

S. 91<br />

Sie hat eine Familie gegründet, wurde Unternehmerin, da holte sie Karl<br />

Lagerfeld nach langer Abstinenz zurück auf den Laufsteg. Mittlerweile<br />

hat sie am <strong>Mode</strong>ln so viel Spaß wie noch nie. Nicht nur deshalb ist sie<br />

das <strong>Fräulein</strong> dieser Ausgabe.<br />

S. 97


MAXMARA.COM<br />

Weitere Informationen über: MAXMARA GmbH München Tel. 089/35 04 960 – Ingrid Jansen <strong>Mode</strong>vertriebs GmbH Salzburg Tel. 0662/45 62 12 – Marco Bruhin & Co. Schlieren Tel. 044/73 22 020 (Max Mara Agenturen)


BERNAT BUSCATO<br />

Der Superstylist<br />

bildet zusammen<br />

mit dem Fotografen<br />

Randall<br />

Bachner das<br />

neue <strong>Fräulein</strong>-<br />

Dreamteam.<br />

ADAM FEDDERLY<br />

Unser Mann in L.A.<br />

liefert mit Versace<br />

und Beckham<br />

wieder 1A ab.<br />

NIKE VAN DINTHER<br />

<br />

die Printwelt schreibt<br />

die This is Jane Wayne-<br />

Bloggerin über die Fo-<br />

<br />

Hermès. Nike, auch<br />

das gedruckte Wort<br />

steht dir gut.<br />

LENA BERGMANN<br />

kreist als Satelliten-Editor um die<br />

<strong>Fräulein</strong>-Redaktion und lieferte wieder<br />

mal die Topstories: Sie interviewte<br />

<strong>Fräulein</strong> Caroline de Maigret und<br />

sprach mit Stine Goya über ihren<br />

Körper.<br />

STEFAN ARMBRUSTER<br />

Ach, Mann, Stefan,<br />

was soll man da sagen:<br />

diesmal die Männer-<br />

Strecke und das<br />

Cover! Ohne dich wär’<br />

<strong>Fräulein</strong> nichts.<br />

IRINA GAVRICH<br />

Ihr <strong>Fräulein</strong>-Debüt zeigt Wiener<br />

Künstler in Petar Petrov-<br />

Klamotten. Danke, Irina.<br />

DAVID FISCHER<br />

<br />

süßesten Newcomer-<strong>Mode</strong>l überhaupt. Location: Davids Wohnzimmer.<br />

Danke, dass du für uns dein Wochenende geopfert hast.<br />

PIA-LUISA LENZ<br />

verwandelte auch diesmal<br />

ein Interview in einen Essay.<br />

Unsere Autorin für die Rubrik<br />

Eine Stimme sprach die<br />

afrikanische <strong>Mode</strong>unternehmerin<br />

Omoyemi Akerele.<br />

MANUEL ALMEIDA<br />

interviewte Diane Pernet und<br />

half bei den zahllosen kleinen<br />

Labelporträts. Ein schöner<br />

Einstieg bei <strong>Fräulein</strong>. Herzlich<br />

willkommen.<br />

KATRIN FUNCKE<br />

illustrierte wie in<br />

der letzten Ausgabe<br />

das Antifräulein<br />

und für die Rubrik<br />

Pin-up Karl Lagerfeld<br />

in sexy.<br />

HADLEY HUDSON<br />

Authentisch und sexy: Das<br />

Theyskens-Theory-Shoot<br />

ist Hadley-Hudson-Style in<br />

Perfektion. More rocking<br />

shit to come.<br />

MARIE-SOPHIE MÜLLER<br />

traf für <strong>Fräulein</strong> das Allround-Talent Waris<br />

Ahluwalia und war hingerissen von seinen<br />

schneeweißen Zähnen – so wie wir von ihrem<br />

Interview.<br />

RANDALL BACHNER<br />

Die andere<br />

Hälfte des neuen<br />

<strong>Fräulein</strong>-Dreamteams.<br />

Zusammen<br />

mit Bernat<br />

Buscato krempelt<br />

Randall gerade die<br />

Bildsprache von<br />

<strong>Fräulein</strong> um – und<br />

wir lieben das.<br />

VIRGINIE HENZEN<br />

lässt in ihrem Text über die<br />

<strong>Mode</strong>göttin Luisa Casati<br />

Geschichte lebendig werden.<br />

AICHA REH<br />

Olivier Theyskens ist ihr letztes Interview für<br />

<strong>Fräulein</strong> vor ihrem neuen Job beim großen Stern.<br />

Danke für alles, Aicha. Alles Gute für Hamburg<br />

und du weißt schon wofür noch.<br />

JEAN-FRANÇOIS CARLY<br />

Ist ein Meister in der Balance von<br />

Natürlichkeit und subtiler Inszenierung.<br />

<br />

Haider Ackermann-Kollektion. Zu<br />

der passt Carlys Stil perfekt.<br />

JAN JOSWIG<br />

trifft mit seinem lexikalischen<br />

Weltwissen bewaffnet diesmal auf<br />

<br />

Mogul Hardy Blechman. Krieg und<br />

Frieden – es ging wieder um die<br />

großen Themen.<br />

DAVID TORCASSO<br />

interviewte Diesel-Boss Renzo Rosso<br />

in eloquentem Italienisch. Grazie mille,<br />

ragazzo.<br />

RUBEN DONSBACH<br />

Sein Essay über die Black Panther- Frauen<br />

ist so elegant gedacht wie geschrieben.<br />

ANJE JAGER<br />

zeichnete die Rubriken „Bilderrätsel“<br />

und „Sachen Gibt’s“: Jip,<br />

Jip, Hurra und welcome back,<br />

Anje.


EDITORIAL<br />

Liebe Leserinnen, liebe Leser,<br />

ich freue mich sehr, dass Sie das erste von zwei <strong>Fräulein</strong>-<br />

<strong>Mode</strong>specials gekauft haben und hoffe, dass es Ihnen gefällt.<br />

Vielleicht fragen Sie sich nun, warum wir gleich zwei<br />

Hefte ausschließlich dem Thema <strong>Mode</strong> widmen. Nun, das<br />

lässt sich relativ einfach beantworten:<br />

Zum einen sind wir als Zeitschrift auf Anzeigen angewiesen,<br />

und ein Großteil dieser kommt aus den Bereichen <strong>Mode</strong>,<br />

Lifestyle und Kosmetik. Deshalb ist es naheliegend, dass man<br />

sich mit diesen Themen intensiver auseinandersetzen muss.<br />

Zum anderen aber denken wir, dass Fashion und die dazugehörige<br />

Industrie unheimlich ergiebige, vielschichtige<br />

und spannende Felder sind. <strong>Mode</strong><br />

ist viel mehr als nur die schönste Nebensache<br />

der Welt. Sie ist eines der wenigen Phänomene,<br />

mit denen sich so gut wie jeder<br />

Mensch in irgendeiner Form beschäftigt. Sie<br />

ist Ausdruck von Revolution, Sexualität und<br />

eines Dazugehörigkeitsgefühls. Vom Hip-<br />

Hopper, Skinhead, Punk bis zum Wallstreet-<br />

Broker – alle diese Gruppen unterliegen<br />

letztendlich strengen, teilweise auch elitären<br />

Dresscodes.<br />

Trotzdem ist die <strong>Mode</strong> in den letzten Jahren<br />

demokratisiert worden. Marken wie H&M,<br />

Uniqlo oder Zara suggerieren, dass so gut<br />

wie jedem alle modischen Möglichkeiten offen stehen. Im<br />

Endeffekt ist dies natürlich nicht der Fall, sondern führt nur<br />

zu einer durch die Medien unterstützten neuen Form der<br />

Uniformierung. Vielleicht sogar zu einer sich immer mehr<br />

steigernden Fantasielosigkeit. It-Girls geben den vermeintli-<br />

<br />

Trash-Magazinen und zahllosen <strong>Mode</strong>blogs weltweit. Eines<br />

der wenigen Dinge, die die Blogs geschafft haben, ist, dass<br />

letztendlich das Prinzip der Castingshows auch in die <strong>Mode</strong>branche<br />

eingezogen ist. Jeder kann und will berühmt werden,<br />

ohne irgendeine Form von substanziellem Talent zu<br />

besitzen. Letztendlich führt es dazu, dass sich auch hier (wie<br />

in so vielen anderen gesellschaftlichen Bereichen) eine intellektuelle,<br />

aber vor allem auch wirtschaftliche Elite bildet,<br />

die versucht, dem Masseneinheitsbrei der Casting-Blogger<br />

zu entkommen – und dadurch leider eine immer größer<br />

werdende Zweiklassen-Gesellschaft schafft, in der man sich<br />

nur noch durch Luxusprodukte oder Freakshow-Styling<br />

abgrenzt.<br />

Schiebt man die Diskussionen um die mediale Aufarbeitung<br />

mal beiseite, ist die <strong>Mode</strong> gar nicht so kompliziert: Gianni<br />

Versace hat einmal zu mir gesagt, dass es in der <strong>Mode</strong> eigentlich<br />

nur um Sex geht. Und ich denke, dass er Recht hat. Letztendlich<br />

wollen wir gefallen, dazugehören und geliebt werden.<br />

Und ob es uns gefällt oder nicht, <strong>Mode</strong> ist hierfür der<br />

schnellste und direkteste Ausdruck. Ich hoffe, wir haben einen<br />

Ansatz gefunden, uns in dieser und der nächsten Ausgabe<br />

mit <strong>Mode</strong> auf eine informative, unterhaltsame und dabei<br />

trotzdem überraschende Weise auseinanderzusetzen.<br />

Doch so viel uns die <strong>Mode</strong> bedeutet, es gibt<br />

wesentlich wichtigere Dinge in dieser Welt.<br />

Freundschaft zum Beispiel. Im Leben stößt<br />

man manchmal auf Menschen, die einen prägen.<br />

Die einem durch ihre Gradlinigkeit,<br />

ihr Talent und ihr gutes Herz zeigen, was<br />

wirklich zählt. Man lernt diese Menschen<br />

nen.<br />

Ohne dass es einen Grund dafür gibt,<br />

glauben sie an einen und die Projekte, die<br />

man gemeinsam umsetzt – obwohl andere<br />

keinen Cent darauf gesetzt hätten. Ihre Mit-<br />

geln<br />

die Arbeit und führen sie zum Erfolg.<br />

Für mich ist diese Ausgabe eine sehr wichtige,<br />

aber auch eine sehr traurige, weil eine wichtige Person<br />

unser Team verlassen hat. Es bleibt eine große Lücke, eine<br />

Leere, und es fehlt die Liebe, das Lachen und das Talent nicht<br />

nur einer Mitarbeiterin, sondern einer wunderbaren Freundin.<br />

Liebe Franziska, ich könnte dir an dieser Stelle für so<br />

viel danken. Du warst mir eine unverzichtbare Mitarbeiterin.<br />

Ein Mensch, der für mich streiten konnte, den ich respektiere<br />

und der es mir möglich gemacht hat, <strong>Fräulein</strong> ins Leben zu<br />

rufen. Ich danke dir, dass du an das Projekt und auch an mich<br />

geglaubt hast. Ich wünsche dir nur das Beste für dein weite-<br />

<br />

schätzen wissen, wie besonders und begabt du bist. Du hast<br />

als Mitarbeiterin bei <strong>Fräulein</strong> angefangen und gehst als ein<br />

Mensch, der mich berührt hat. Ich umarme dich und bin<br />

stolz, dein Freund zu sein.<br />

Alles Liebe<br />

Götz<br />

cartier.de – 089 55984-221<br />

14


ISABEL MARANT<br />

2<br />

– no –<br />

Ein wenig verwundert es, warum der<br />

Hype um diese Frau erst vor wenigen<br />

Jahren einsetzte und jede, wirklich<br />

jede modebewusste Frau ein <strong>Teil</strong> ihrer<br />

Kollektion tragen wollte. Denn Isabel<br />

Marant gründete ihr Label – unter dem<br />

Namen Twen – bereits 1990 und konzentrierte<br />

sich auf Jersey- und Strickwaren,<br />

die ihr später zum Massenerfolg<br />

verhelfen sollten. 1994 benennt sie<br />

das Label nach sich, startet auch die etwas<br />

günstigere Zweitlinie Étoile Isabel<br />

Marant. Mittlerweile werden ihre Kultboots<br />

und –shirts weltweit verkauft. In<br />

den vergangenen drei Jahren verdoppelte<br />

sich der Umsatz der Firma, die<br />

Marant ohne Investoren führt. Eine<br />

Seltenheit. In Interviews wirkt sie unprätentiös<br />

und sympathisch: mit lautem<br />

Lachen und französischer Lässigkeit.<br />

Marant holt den Pariser Chic vom<br />

hohen Ross der Couture-Tradition und<br />

macht ihn stilvoll straßentauglich.<br />

Es ist DAS Comeback des Jahres – zumindest im <strong>Mode</strong>kosmos: Jil Sander<br />

kehrt acht Jahre nach ihrem Ausstieg zurück in das von ihr 1968<br />

gegründete Unternehmen. 2004 verließ sie dieses wegen Streitigkeiten<br />

1– no – mit Patrizio Bertelli, dem Prada-CEO, der 1999 den Mehrheitsanteil<br />

des Labels gekauft hatte. Sander sagte erst zu, weiter als Chefdesignerin zu fungieren,<br />

entschied sich aber schließlich dagegen. Ab 2009 entwirft sie für das japanische<br />

Label Uniqlo die Linie „J+“: Basics ganz in ihrem Stil – elegant und minimalistisch.<br />

Heidemarie Jiline Sander gründet mit 24 eine Boutique und beginnt ein paar<br />

Jahre später, eigene Kollektionen zu entwerfen. In den Siebzigern ist es vor allem<br />

<br />

puristischen Entwürfe zunächst weniger Anklang; Sander arbeitet als Dozentin<br />

an der Uni für angewandte Kunst in Wien (als Nachfolgerin von Karl Lagerfeld) und<br />

bringt als eine der ersten Unternehmerinnen ihr Label an die Börse. Im Jahrzehnt<br />

darauf treffen ihre Kreationen wieder den Zeitgeist, und Sander erlebt die Blütezeit<br />

ihres Labels.<br />

Für die ersten Shows nach ihrem Comeback bei Jil Sander wurde die mittlerweile<br />

68-jährige frenetisch gefeiert. Am Ende der Mailänder Präsentation der<br />

Herrenkollektion im Juni zeigte sie sich – typisch schüchtern – der applaudierenden<br />

Menge. Wie passend, dass der heutige CEO verlauten ließ, dass die Marke seit Ende<br />

letzten Jahres endlich wieder schwarze Zahlen schreibt. Voraussetzungen, die man<br />

einer zurückkehrenden Legende nur wünschen kann.<br />

JOE MCKENNA<br />

Der Schotte stylte Kampagnen von<br />

MiuMiu, Versace und Balmain sowie<br />

Editorials für Zeitschriften wie Interview,<br />

Vogue, V Magazine. McKenna<br />

startete seine Karriere beim Magazin<br />

Face, bevor er in den wilden Achtzigern<br />

nach New York ging, um dort für<br />

Rolling Stone und Vanity Fair zu arbeiten.<br />

Doch es war vor allem die Zusammenarbeit<br />

mit Bruce Weber für Calvin<br />

Klein, die ihm alle Türen öffnete und<br />

ihn in den Folgejahren zum Styling-<br />

Megastar machte. Kürzlich zu bewundern:<br />

eine Strecke im LOVE Magazine<br />

mit dem Titel „Hip Hip Hooray“, eine<br />

Hommage auf das Thronjubiläum der<br />

Queen. Fotograf war übrigens – Bruce<br />

Weber.<br />

– no –<br />

3<br />

JIL SANDER<br />

– no –<br />

4<br />

MARC JACOBS<br />

Der Designer bleibt Louis Vuitton treu. Bereits<br />

seit 1997 ist er dort Kreativdirektor<br />

und Chefdesigner; dazu entwirft er für seine<br />

eigenen Labels. Er gilt als einer der ein-<br />

<br />

als Pionier: Für Vuitton kooperiert er mit<br />

diversen Künstlern (aktuell Yayoi Kusama )<br />

und führt die Luxusgüter Kunst und <strong>Mode</strong><br />

zusammen. Der Megastar liebt die Selbstinszenierung:<br />

Neben Diamantohrringen und<br />

Röcken sind es seine vielen Tattoos (Sterne,<br />

SpongeBob, ein Sofa), deren demonstrative<br />

Sinnlosigkeit alle Blicke auf ihn zieht.<br />

Fotograf: Stefan Armbruster<br />

<strong>Mode</strong>l: Alek Wek @ D’Management<br />

Creative Director & Styling: Alice Gentilucci / VOGUE Italia<br />

Make-up: Thais Bretas @ Atomo Management<br />

Make-up-Produkte: MAC<br />

Haare: Armando Cherillo @ Atomo Management<br />

Haar- und Hautpfelegeprodukte: L’Oréal<br />

Styling-Assistent: Alessandro Di Lorenzo, Gaia Fraschini, Italo Pantano<br />

Fotoassistenz: Toni Nüsse<br />

Digital operator: Simone De Paoli<br />

Lichtassistenz: Stefano Moiraghi & Gabriele Loda<br />

Bildbearbeitung: www.malkasten.at<br />

Vielen Dank für die Unterstützung an VOGUE Italia.<br />

Die Fotos sind für das Magazin des Lifeballs in Wien zum 20. Jubliäum<br />

der HIV-Charity-Veranstaltung entstanden. Jedes Jahr präsentiert sich ein Label<br />

mit einer <strong>Mode</strong>nschau. Wir zeigen Dsquared2, Jean Paul Gaultier und Agent Provocateur<br />

auf dieser Seite, sowie 48 und 59<br />

Dsquared2, 2011<br />

- no -<br />

5<br />

DSQUARED2<br />

Denim, Leder und BlingBling – Dsquared2<br />

steht für sexy Looks, die klotzen statt kle-<br />

gen<br />

ein altes Foto von den Designern Dean<br />

und Dan Caten im Kindesalter – brav im<br />

züchtigen Partnerlook gestylt. Die Zwillinge<br />

zogen 1983 von Toronto nach New York, um<br />

<strong>Mode</strong> zu studieren, und wanderten anschließend<br />

in das Heimatland ihrer Eltern<br />

aus: Bella Italia. Dort arbeiteten sie für Gi-<br />

<br />

Kollektionen bis heute ansieht. 1994 gründeten<br />

sie ihr eigenes Label. Die Präsentationen<br />

von Dsquared2 sind eher wilde Partys<br />

<br />

Caten lieben die Übertreibung: Da ist immer<br />

zu viel Sex, zu viel Denim, zu viel Glitter.<br />

Doch genau das macht ihren Stil provokant<br />

und unique. Man kann das mögen oder<br />

nicht, doch ist es nicht erfrischend, dass in<br />

der verstockten Fashion-Welt auch mal jemand<br />

die Sau rauslässt?<br />

16


Fotos: Adam Fedderly<br />

Haare: Nak Nak<br />

Make-up: Bre Walker<br />

<strong>Mode</strong>l: Dana<br />

<br />

6- no -<br />

VICTORIA<br />

BECKHAM<br />

Vom Spice Girl zur Fashion Queen –<br />

irgendwann ließ sich Victoria Beckham<br />

die Silikonbrüste entfernen und wurde<br />

zur Stilikone. Als Designerin bekommt<br />

sie mittlerweile sogar Anerkennung<br />

von Karl Lagerfeld.<br />

Was für eine Wandlung! Im Jahr 2007<br />

wurde sie von Stilkritiker Richard Blackwell<br />

zur am schlechtesten angezogenen<br />

Frau des Jahres gekürt. Damals trug Becks<br />

noch eine wasserstoffblonde Kurzhaarfrisur,<br />

hatte einen auf der Sonnenbank gebratenen<br />

Teint und falsche Brüste, die stets<br />

so wirkten, als seien sie zu weit nach oben<br />

gerutscht.<br />

Irgendwann jedoch erklärte sie: „Die Granaten<br />

kommen weg!“ und entledigte sich der<br />

Implantate. Heute gehört Victoria Beckham<br />

zu den am besten angezogenen Frauen<br />

überhaupt und wurde von allen möglichen<br />

Medien zur Stilikone erklärt; sogar Karl<br />

Lagerfeld schätzt sie als Designerin. Kurzum:<br />

Victoria Beckham, die einst als Posh<br />

Spice zwar berühmt, aber nie richtig beliebt<br />

wurde, hat sich in rasantem Tempo neu erfunden.<br />

Zum Imagewandel beigetragen<br />

hat sicherlich auch ihre Hochzeit mit dem<br />

britischen Fußballstar und Superschönling<br />

David Beckham. Irgendwie schaffte es<br />

Victoria Beckham, ihre hochnäsige Proleten-Arroganz<br />

in eine vornehme Eleganz zu<br />

verwandeln, wurde toughe Geschäftsfrau<br />

und zudem vierfache Mutter. Im September<br />

2008 gründete sie das nach ihr benannte<br />

Label. Ihre Kreationen zeigte sie anfangs<br />

nur im kleinen Kreis, schon bald aber auf<br />

dem Laufsteg der New York Fashion Week.<br />

Letztes Jahr, so wird vermutet, soll ihr Unternehmen<br />

einen Umsatz von fast 75 Millionen<br />

Euro gemacht haben. 2011 wurde das<br />

Label zudem von der Institution British Fashion<br />

Awards als beste Designermarke ausgezeichnet.<br />

Da soll noch mal einer sagen, es<br />

gäbe keine Wunder.<br />

18<br />

19


ANNA SUI<br />

SONIA RYKIEL<br />

8<br />

Als Mädchen hatte sie von einer jungen Frau gelesen, die<br />

nach New York gegangen war, um an der Parsons University<br />

zu studieren – doch anstatt ihren Abschluss zu<br />

machen, eröffnete sie in Paris eine Boutique (mit Hilfe<br />

– no – von Elizabeth Taylor und Richard Burton). Von diesem<br />

Weg träumte Anna Sui seither, und doch machte sie es dann ganz<br />

anders: Zwar zog die Detroiterin nach New York; allerdings beendete<br />

sie die Parsons-<strong>Mode</strong>ausbildung und blieb zudem in ihrer Wahlheimat.<br />

Dort freundete sie sich mit dem Fotografen Steven Meisel an<br />

<br />

Entwürfe umzusetzen. Ihre Freundinnen Naomi Campbell und Linda<br />

Evangelista ermutigten sie, ihre erste Kollektion zu präsentieren<br />

(Sui bezahlte die <strong>Mode</strong>ls mit Klamotten). Ihr Plan ging auf. Neben<br />

vielen Auszeichnungen wurde sie vom Time Magazine zu einer der<br />

<br />

Suis Schnitte und Farben pendeln immer ein wenig zwischen<br />

Fernost und den Sixties, zwischen Hippie, Punk und asiatischer Tradition.<br />

Sie war nie auf außergewöhnliche Materialien bedacht, sondern<br />

wollte interessant gestaltete und trotzdem preiswerte Kleidung<br />

bieten. Neben der launchte sie Accessoires-, Parfüm- und Kosmetiklinien.<br />

Alles ist weltweit erhältlich, trotzdem wurde ihr Label nicht<br />

zu einer Cooperate-Maschine wie die Häuser vieler berühmter Kollegen.<br />

Auch das macht Sui sympathisch, denn ihre Produkte bleiben<br />

besonders und exklusiv – nicht nur, was deren Design angeht.<br />

– no –<br />

7<br />

Die <strong>Mode</strong> steckt voll märchenhafter<br />

Geschichten:<br />

Das Leben dieser Frau ist<br />

eine von ihnen. Während<br />

Frauen in den Sechzigern<br />

meistens aufhörten zu<br />

arbeiten, sobald sie schwanger waren,<br />

begann dadurch erst Sonia Rykiels<br />

Karriere: Weil es keine dehnbaren und<br />

schicken Oberteile gab, enwarf die<br />

schwangere Rykiel selbst welche. Die<br />

Kontakte ihres damaligen Mannes, dem<br />

Besitzer einer Pariser Boutique, halfen<br />

ihr, eine kleine Linie zu produzieren. Ihre<br />

Pullover waren so erfolgreich, dass sie begann,<br />

ganze Kollektionen zu lancieren.<br />

Women´s Wear Daily nannte sie 1972 die<br />

Königin des Stricks. Rykiel, zu deren Imperium<br />

bald Kosmetik, Accessoires und<br />

eine Kinderlinie gehörten, schrieb auch<br />

Bücher – gerade eines über ihre Parkinson-Erkrankung.<br />

Kreativdirektorin April<br />

Crichton und Rykiels Tochter Nathalie<br />

führen die Marke, die nun zu 80 Prozent<br />

einem chinesischen Investor gehört. Auf<br />

den fraulich verspielten Look hatte das<br />

bislang keine Auswirkungen.<br />

Interview: Manuel Almeida<br />

DIANE<br />

PERNET<br />

Diane Pernet hat nicht nur einen<br />

der ersten <strong>Mode</strong>blogs gegründet,<br />

sondern auch den Fashionfilm früh<br />

gefördert und selbst Regie geführt.<br />

Als ehemalige Designerin, Journalistin,<br />

Kuratorin, Visionärin und<br />

unermüdlicher Talentscout bereichert<br />

sie die <strong>Mode</strong>branche seit fast<br />

drei Jahrzehnten.<br />

Wie die <strong>Mode</strong> selbst hat auch Ihre Karriere<br />

viele Veränderungen durchlebt. Sie haben<br />

zahlreiche Filme produziert, 13 Jahre lang<br />

selbst Kleidung entworfen, waren Kostümbildnerin,<br />

arbeiten inzwischen als <strong>Mode</strong>journalistin<br />

und Kuratorin. Welche Schritte<br />

in Ihrer beruflichen Laufbahn waren für<br />

Sie besonders wertvoll und auf welche<br />

hätten Sie lieber verzichtet?<br />

DIANE PERNET Ehrlich gesagt bereue ich<br />

nicht einen von ihnen. Manche waren befriedigender<br />

als andere, wie eben das Entwerfen<br />

für mein eigenes Label oder das Mo-<br />

<br />

rungen beim Entwerfen der Kostüme für<br />

Amos Gitais Film „Golem, l’esprit de l’exil“<br />

waren ein bisschen albtraumhaft. Ich war<br />

damals, 1990, die sechste Kostümbildnerin,<br />

die sich an diesem Film versucht hat. Mit<br />

Gitai zusammenzuarbeiten war recht undankbar.<br />

Aber Hanna Schygulla spielte eine<br />

Rolle in dem Film. Die habe ich bereits geliebt,<br />

seit ich sie in ihrem ersten Rainer-<br />

Werner-Fassbinder-Film gesehen hatte,<br />

einem meiner liebsten Regisseure. Es war<br />

großartig, sie in ihrem Haus zu besuchen.<br />

Das Erste, was man beim Eintreten gesehen<br />

hat, war eine große Schwarz-Weiß-Fotogra-<br />

<br />

rotes Kreuz – ich war im Himmel! Mein Job<br />

damals war es, die beiden Hauptdarsteller,<br />

Hannah Schygulla und Vittorio Mezzogiorno,<br />

für den Filmanfang und das Ende einzukleiden.<br />

Ich hatte auch die<br />

Ehre, mit dem Kameramann<br />

Henri Alekan zusammenzuarbeiten,<br />

einem absoluten Genie.<br />

Er war damals 87 Jahre alt und<br />

hatte mit Jean Cocteau gedreht.<br />

Mit all dem will ich sagen:<br />

Sogar die unangenehmste<br />

Erfahrung mit einem arroganten<br />

Regisseur hat mir einige<br />

9– no –<br />

tolle Erinnerungen eingebracht. Wir lernen<br />

aus allem, was wir machen – ich bereue<br />

nichts.<br />

Ein beeindruckender Schritt in Ihrer Karriere<br />

war die Gründung von „A Shaded View<br />

On Fashion“ 2005, einem der ersten <strong>Mode</strong>blogs<br />

überhaupt. Inwiefern hat das Ihre<br />

persönliche Sicht auf <strong>Mode</strong> beeinflusst?<br />

D PEigentlich kaum. Aber ich genieße es,<br />

jungen Talenten eine Plattform zu geben.<br />

Ich kenne diese Erfahrungen aus der Zeit,<br />

als ich mein eigenes unabhängiges Label<br />

<br />

schwer es sein kann, in einer Branche zu<br />

arbeiten, die von Geschäftsleuten regiert<br />

wird. Ich will Talent unterstützen, es weltweit<br />

bekannt machen. Sei es im Bereich der<br />

<strong>Mode</strong> oder des Films.<br />

Das Internet hat die <strong>Mode</strong> grundlegend<br />

verändert, sie demokratisiert. Kritiker dieser<br />

Entwicklung sehen darin einen Verlust<br />

an Exklusivität und Status. Worin sehen<br />

Sie – als eine der Vorreiterinnen einer „demokratischen<br />

<strong>Mode</strong>“ – deren Stärken?<br />

D P<strong>Mode</strong> ist für jeden da, Luxus nur für<br />

wenige. Tom Ford zum Beispiel versucht,<br />

„Stil hat kein Verfallsdatum, er ist zeitlos und achtet<br />

nicht auf Trends. Hätte jeder Stil, würde das<br />

wahrscheinlich die Branche lahmlegen.“<br />

diese Exklusivität zurück in die <strong>Mode</strong> zu<br />

bringen, er behauptet, wenn die Kollektionen<br />

in den Läden hängen, hätten wir uns<br />

schon längst an ihnen sattgesehen. Ich denke,<br />

das ist eher sein Versuch, die Aufmerksamkeit<br />

der Presse auf sich zu lenken. Ich<br />

glaube, die Demokratisierung der <strong>Mode</strong> hat<br />

den Markt geöffnet und vielen die „Angst<br />

vor der <strong>Mode</strong>“ genommen. Sie lässt jeden<br />

<strong>Mode</strong> genießen, der neugierig auf sie ist.<br />

Auf vielen Blogs und Plattformen geht der<br />

Trend in der <strong>Mode</strong>darstellung momentan<br />

ganz klar Richtung bewegtes Bild, ob Kampagnenvideos<br />

oder Shootings in gif-Form.<br />

Was hat das Video der statischen <strong>Mode</strong>fotografie<br />

voraus?<br />

D PDas ganz Offensichtliche: die<br />

Bewegung, das Drehbuch, den<br />

Ton, die Schauspielerei, die Regie.<br />

Bewegtes Bild eröffnet eine<br />

ganz andere Dimension. Es gibt<br />

immer noch ausreichend Raum<br />

für das statische Bild. Aber jetzt<br />

ist es an der Zeit, mit dem Film<br />

zu experimentieren und zu sehen,<br />

wie weit man ihn bringen kann. Es ist<br />

noch ein langer Weg, denn viele Fotografen<br />

fangen an, sich an der Videokamera zu versuchen.<br />

Sie sind allerdings eben Fotografen,<br />

<br />

schön sein, ist gut gemacht, aber es sind le-<br />

<br />

lookbooks – keine Filme.<br />

Man sagt Ihnen nach, Sie hätten 2008 mit<br />

der Gründung des weltweit ersten jährlichen<br />

Festivals für <strong>Mode</strong>filme, was nach Ihrem<br />

Blog ebenfalls „A Shaded View On Fashion<br />

Film“ heißt, die Sicht auf <strong>Mode</strong>filme nachhaltig<br />

verändert. Haben Sie durch diesen<br />

Erfolg auch Ihre Arbeit mit anderen Augen<br />

gesehen?<br />

D PIch habe Filme schon immer geliebt,<br />

also bin ich mir nicht sicher, ob sich meine<br />

persönliche Einstellung ihnen gegenüber<br />

unbedingt verändert hat. Mein allererstes<br />

<br />

kuratiertes Programm. Das hatte ich gemeinsam<br />

mit einem anderen Kurator im<br />

August 2006 realisiert, es hieß „You Wear It<br />

Well“. Ich habe mich aus dieser Zusammenarbeit<br />

2008 gelöst – ASVOFF wurde geboren<br />

und zu einem dreitägigen Festival,<br />

nicht mehr nur einem eintägigen Pro-<br />

<br />

Produzenten David Herman zusammenzuarbeiten.<br />

Jede Saison bemühen wir uns,<br />

andere Elemente in das Festival einzubinden,<br />

wie Kongresse, und versuchen, die<br />

bestmögliche Jury zusammenzustellen. Erfolg?<br />

Darüber denke ich gar nicht nach. Ich<br />

mache das, was ich liebe, ich will, dass es<br />

wächst, eine Institution wird. Wenn ich da-<br />

<br />

habe, macht mich das sehr glücklich.<br />

Wie viel Einfluss kann ein einzelner erfolgreicher<br />

Designer, ein viel gelesener Journalist<br />

auf die Veränderung der <strong>Mode</strong>, des<br />

Schönheitsideals überhaupt haben?<br />

D PMomentan leben wir immer noch im<br />

Zeitalter der Lady Gaga. Früher waren es<br />

mal Madonna oder Björk. Ich glaube, dass<br />

<br />

rauf haben, wie die Leute <strong>Mode</strong> wahrnehmen.<br />

Wir haben vor kurzem eine der<br />

<br />

<br />

20<br />

21


von Lagerfeld bis hin zu praktisch jedem,<br />

der sie kennengelernt hat. Was die Gesellschaft<br />

angeht, so hat wohl eher die Zeit, in<br />

der wir leben, die größten Auswirkungen<br />

auf die <strong>Mode</strong>, so war es schon immer. Das<br />

ist es, was <strong>Mode</strong> relevant macht.<br />

Gerade haben wir einen beeindruckenden<br />

Wechsel an Chefdesignern bei den großen<br />

Häusern erlebt. Raf Simons nun für Dior,<br />

dafür Jil Sander zurück an die Spitze ihres<br />

Labels, Christophe Decarnin verlässt Balmain,<br />

Stefano Pilati Yves Saint Laurent.<br />

Welche der aktuellen Veränderungen finden<br />

Sie besonders spannend und welchen Designer<br />

hätten Sie lieber noch länger in seiner<br />

alten Position gesehen?<br />

D Prent<br />

Paris <br />

Yves Saint Laurent, Anm. der Red.) und Raf<br />

Simons für Dior besonders spannend. Dass<br />

beide zeitgleich bei führenden Häusern beginnen,<br />

sorgt für ein bisschen Aufregung in<br />

der unternehmerischen Welt der <strong>Mode</strong>.<br />

Wenn es darum geht, wen ich gern länger in<br />

seiner Position gesehen hätte, abgesehen<br />

von dieser furchtbaren Dior-Galliano-Geschichte,<br />

dann niemanden. Veränderung<br />

ist gut.<br />

Im Gegensatz zur selbst deklarierten Wandlungsfähigkeit<br />

der <strong>Mode</strong> kritisieren viele,<br />

dass sich Looks und Styles der vergangenen<br />

Jahrzehnte kontinuierlich wiederholen. Was<br />

war für Sie die letzte, alles verändernde<br />

Innovation in der <strong>Mode</strong>?<br />

D PDas ist jetzt schon beinahe historisch,<br />

aber... Japan in den frühen Achtzigern. Das<br />

hatte die stärkste Wirkung. Danach die Bel-<br />

<br />

Japaner. Das war in den Neunzigern, und<br />

ich denke, seither gab es keine besondere<br />

Bewegung, die die <strong>Mode</strong> weitergebracht<br />

hat. 2000 haben wir alle auf eine dramatische<br />

Veränderung gewartet, die jedoch niemals<br />

kam und bis jetzt nicht da ist. Ich<br />

denke, heute ist es interessant, sich auf Designer<br />

mit einer besonders starken persönlichen<br />

Handschrift zu konzentrieren, wie<br />

Rick Owens, Haider Ackermann, Riccardo<br />

Tisci für Givenchy, Ann Demeulemeester,<br />

Bernhard Willhelm oder Azzedine Alaïa.<br />

Menschen, die etwas zu sagen haben, die<br />

sich nicht dafür interessieren, was andere<br />

tun. Ich verstehe, dass viele Designer und<br />

andere Künstler von Zeiten, in denen sie<br />

nicht gelebt haben, fasziniert sind. Jean-Luc<br />

Godard jedoch hat es so formuliert: „Es geht<br />

nicht darum, woher du die Dinge bekommst<br />

– es geht darum, wohin du sie bringen<br />

kannst.“<br />

Für die <strong>Mode</strong> ist scheinbar nichts so elementar<br />

wie der Wandel, die stetige Neuerfindung<br />

des Schönheitsideals, die saisonal<br />

wechselnden Trends. Aber dennoch scheinen<br />

sich gerade herausragende Persönlichkeiten<br />

der Branche einen sich kaum verändernden<br />

persönlichen Stil angeeignet zu<br />

haben: Denken wir nur an Lagerfelds gestärkte<br />

Kragen, an Anna Wintours immer<br />

gleiche Frisur. Auch sie zeigen einen sehr<br />

markanten Look. Warum ist das so?<br />

D PDas Stichwort lautet „Stil“. Sobald du<br />

deinen eigenen gefunden hast, verspürst du<br />

nicht den Drang, ihn zu verändern. Es werden<br />

diesem Stil immer wieder Elemente<br />

hinzugefügt, aber er funktioniert nur in einem<br />

gewissen Rahmen. Stil hat kein Verfallsdatum,<br />

er ist zeitlos und achtet nicht auf<br />

Trends. <strong>Mode</strong> kaufst du, sie hat dieses Verfallsdatum.<br />

Hätte jeder Mensch Stil, würde<br />

das wahrscheinlich die Branche lahmlegen.<br />

Als Diana Vreeland Chefredakteurin der<br />

amerikanischen Vogue war, sagte sie, es<br />

tive<br />

zu geben, denn die meisten hätten keine.<br />

Sie war berühmt für das Zitat: „Gib den<br />

Menschen nicht, was sie wollen, gib ihnen,<br />

wovon sie nie zu träumen wagten.“ Orson<br />

Welles hat etwas ganz Ähnliches gesagt:<br />

„Gib ihnen nicht, wovon du denkst, dass sie<br />

es wollen. Gib ihnen, wovon sie nie gedacht<br />

hätten, dass es möglich ist.“ Es sollten<br />

mehr Designer und Filmemacher genauso<br />

denken.<br />

Wird es je eine Diane Pernet ohne schwarze<br />

Sonnenbrille und Mantilla geben?<br />

D P<br />

DIANE PERNET fasste erstmals in den Achtzigern<br />

als Designerin Fuß in der <strong>Mode</strong>branche. Anschließend<br />

arbeitete sie als Redakteurin für Elle.<br />

com und Vogue.fr und das Zoo Magazine. 2005<br />

ging ihr Kunst- und <strong>Mode</strong>blog „A Shaded View<br />

on Fashion“ (ashadedviewonfashion.com) online.<br />

22<br />

23


Medusa war einst eine wunderschöne Frau<br />

Doch dann verwandelte die Göttin Pallas<br />

Athene sie aus Neid und Eifersucht in eine<br />

grauenhafte Gestalt, auf deren Haupt sich<br />

statt Haaren giftige Schlangen ringelten.<br />

Wenn Männer dieser Gorgone in die glühenden<br />

Augen blickten, erstarrten sie zu<br />

Stein. Gianni Versace war fasziniert von der<br />

exaltierten Dramatik griechischer Mythologie<br />

und wählte den Medusenkopf als Logo<br />

für sein <strong>Mode</strong>label, das er 1978 gründete.<br />

Zu Stein erstarrte angesichts seiner Entwürfe<br />

zunächst auch das elitäre <strong>Mode</strong>publikum:<br />

Seine grellen und bunt gemixten<br />

Farben sowie seine schrillen Entwürfe<br />

wurden als vulgär bezeichnet. Doch schnell<br />

hatte Versace mehr Fans als Kritiker. Glänzende<br />

Materialien, kurze Röcke, provokante<br />

Schnitte – ein dekadenter Saint-Tropez-Luxus<br />

traf auf sexy Miami-Beach-Style. Versace<br />

wurde zu einem der wichtigsten<br />

Designer der Achtziger. Doch ein Attentat<br />

beendete den märchenhaften Aufstieg:<br />

Gianni Versace wurde am 15. Juli 1997 morgens<br />

vor seiner Villa von einem Serienmörder<br />

erschossen.<br />

Seine Schwester Donatella erbte 20 Prozent<br />

des Unternehmens, sein Bruder Santo 30<br />

Prozent – und seine Nichte Allegra, damals<br />

erst elf Jahre alt, den Rest. Santo wurde<br />

CEO, gab jedoch 2003 seinen Rücktritt<br />

bekannt. Donatella Versace ist bis heute<br />

Chefdesignerin des Unternehmens. Nach<br />

Giannis Tod versank die Firma jahrelang in<br />

roten Zahlen, noch 2009 lag die Verschuldung<br />

bei 50 Millionen Euro. Doch seit letztem<br />

Jahr schreibt Versace nach gründlicher<br />

Sanierung wieder schwarze Zahlen und erzielte<br />

einen Gewinn von 8,5 Millionen bei<br />

einem Umsatz von 340 Millionen Euro.<br />

Fernab der Finanzwelt präsentierte Donatella<br />

Anfang des Jahres ihre Herbst/Winter-<br />

Kollektion in Mailand. Die wirkte wie eine<br />

Hommage auf die letzte Haute-Couture-<br />

Show ihres Bruders 1997. Längst hat die<br />

57-Jährige dem Label ihren eigenen Stempel<br />

aufgedrückt, und dennoch: Die Kreuze,<br />

die auch Gianni – im katholischen Italien<br />

durchaus provokant – auf Kleider sticken<br />

oder drucken ließ, funkelten auch bei Donatella<br />

wieder auf. Hintersinnige Dekadenz ist<br />

immer noch der Motor, mit dem der Luxusschlitten<br />

Versace in die Zukunft donnert.<br />

- no -<br />

VERSACE<br />

In Sachen Sexyness ist Versace immer<br />

noch der Maßstab der <strong>Mode</strong>welt.<br />

Dafür ist es hinter den Kulissen<br />

ruhiger geworden. Nach dem Tod von<br />

Gianni führt Donatella Versace das<br />

Label wieder in die Gewinnzone –<br />

ohne dabei Kompromisse einzugehen.<br />

Fotos: Adam Fedderly<br />

Text: Lisa Leinen<br />

Haare: Nak Nak<br />

Make-up: Bre Walker<br />

<strong>Mode</strong>l: Lauren<br />

<br />

24


Foto, Text Namen<br />

– no –11<br />

GERT & JOP<br />

WALTER VAN<br />

BEIRENDONCK<br />

KATHARINE HAMNETT<br />

12<br />

– no –<br />

Aufdrucke wie „No more Fashion<br />

Victims“ oder „Protest and Survive“<br />

machten die politisch engagierte Designerin<br />

berühmt. Katharine Hamnett<br />

entwarf die Antithese zur dekadenten<br />

Achtziger-<strong>Mode</strong> – und wurde zugleich<br />

<strong>Teil</strong> von ihr. Ihre T-Shirts mit Blockbuchstaben<br />

avancierten zum Erkennungszeichen<br />

einer Bewegung, Bands<br />

wie Wham! oder Queen trugen sie in<br />

Videos. Schon seit 2003 beschäftigt<br />

sich Hamnett mit der politisch korrekten,<br />

ökologischen Verarbeitung von<br />

Stoffen – lange vor dem Hype also.<br />

Gert & Jop ist die Agentur der Kreativchefs<br />

und Art-Direktoren Gert Jonkers und Jop<br />

van Bennekom. 2001 entwickeln sie just<br />

for fun das Schwulenmagazin Butt; an dem<br />

Kultheft wirken Fotografen wie Wolfgang<br />

Tillmanns und Walter Pfeiffer mit. Weniger<br />

nackte Haut, dafür mehr stilvolle Kleidung<br />

liefert die geniale, 2005 gegründete Zeitschrift<br />

Fantastic Man, die durch zurückhaltendes<br />

Design, klare Bildsprache und exzellente<br />

redaktionelle Aufbereitung von<br />

Trends zur Stilbibel des modernen Mannes<br />

wird. Seit 2010 publiziert das Duo das an<br />

Frauen gerichtete Magazin The Gentlewoman.<br />

Wenn jemand im Bereich Editorial<br />

Design Akzente gesetzt hat, dann die beiden<br />

Holländer – erkennen kann man das ganz<br />

gut an ihren zahlosen Nachahmern.<br />

RAF SIMONS<br />

Am Ende seiner letzten Show für Jil Sander<br />

betrat ein weinender Raf Simons den Laufsteg<br />

und winkte gerührt in die applaudierende<br />

Menge. Eine Ära ging zu Ende. Von<br />

2005 bis 2012 war er Kreativdirektor und<br />

Chefdesigner des Labels und prägte mit seinem<br />

kühlen <strong>Mode</strong>rnismus den Stil maßgeblich.<br />

Seit April diesen Jahres ist er nun beim<br />

Traditionshaus Dior als Chefdesigner der<br />

Damenkollektion unter Vertrag. Seine erste<br />

Show wurde in Paris stürmisch gefeiert.<br />

Nebenbei entwirft der geniale Belgier Herrenmode<br />

für sein eigenes Label Raf Simons<br />

und gestaltet eine Linie bei Fred Perry. Ein<br />

<br />

als scheu geltende Simons unterrichtete<br />

von 2000 bis 2005 an der Uni für angewandte<br />

Kunst in Wien die <strong>Mode</strong>klasse. Ein<br />

Dozent, von dem man mit Sicherheit viel<br />

lernen konnte.<br />

– no –<br />

13<br />

26<br />

Der belgische Exzentriker gehört zu<br />

den Antwerp Six, einer Gruppierung<br />

von Designern, die 1981/82 ihr Studium<br />

an der berühmten <strong>Mode</strong>schule in Antwerpen<br />

(Royal Academy of Fine Arts)<br />

abschlossen. Neben ihm zählen Ann<br />

Demeulemeester, Dries van Noten, Dirk<br />

Bikkembergs, Marina Yee und Dirk van<br />

Saene dazu. Auf Walter van Beiren-<br />

<br />

Menüpunkt mit der Bezeichnung „My<br />

best friend“ (er führt zu van Saenes<br />

Homepage): Klickt man ihn, wackelt<br />

sein nacktes Comic-Alter-Ego mit den<br />

Armen. Kunst, Pop, Sadomaso und<br />

Spielzeug nennt er als seine Inspirationsquellen.<br />

Deutlich wird das an seinen<br />

auffälligen Mustern und Prints, die<br />

das Publikum in Verächter und Fans<br />

spalten. Neben seiner Linie, die nach eigenen<br />

Angaben in 27 concept stores<br />

weltweit vertrieben wird, entwirft van<br />

Beirendonck Kostüme fürs Theater,<br />

zeichnet seinen eigenen Comic und unterrichtet<br />

an der Uni, an der er studiert<br />

hatte. Klingt alles ganz solide – er selbst<br />

ist das erfreulicherweise nie.<br />

– no –<br />

14<br />

Walter van Beirendonck Foto: Jean-Baptiste Mondino<br />

Flat-Tarif inklusive Music-Flat<br />

Klingt gut: Surfen, Telefonieren, SMSen, so viel du willst – alles mit drin.<br />

Zusätzlich warten 18 Millionen Songs darauf, von dir mit Spotify Premium<br />

gehört zu werden. Und obendrauf gibt’s noch das Sony Xperia TM tipo für 1 €.<br />

Mehr Infos unter www.telekom.de/young oder im Telekom Shop.<br />

* Der Tarif Special Complete Mobil Music ist bis zum 30.09.2013 buchbar. Einmaliger Bereitstellungspreis 29,95 €. Mtl. Grundpreis 29,95 €. Das<br />

Sony Xperia TM tipo ist für 1 € erhältlich. Mindestvertragslaufzeit 24 Monate. Inlandsverbindungen außerhalb der Inklusivminuten bzw. der gewählten<br />

Wunschnetz-Flat 0,29 €/Minute. Der Tarif ermöglicht die Nutzung von Spotify Premium im Wert von 9,99 €/Monat, Registrierung bei Spotify über<br />

Telekom Kundencenter erforderlich. Ab einem Datenvolumen von 200 MB (ausgenommen Spotify-Daten) wird die Bandbreite im jeweiligen Monat<br />

auf max. 64 kbit/s (Download) und 16 kbit/s (Upload) beschränkt. Das enthaltene Datenvolumen darf nur mit einem Handy ohne angeschlossenen<br />

oder drahtlos verbundenen Computer genutzt werden. VoIP und Instant Messaging sind nicht Gegenstand 27 des Vertrags. Die HotSpot Flatrate gilt<br />

nur für die Nutzung an dt. HotSpots (WLAN) der Deutschen Telekom.


PAUL SMITH<br />

Man könnte ihn den Paten der britischen<br />

<strong>Mode</strong> nennen. Paul Smith ist nicht nur ein<br />

großartiger Designer, der unprätentiöse,<br />

liebevoll gestaltete Kleidung entwirft, er<br />

scheint ein netter, humorvoller Typ zu sein.<br />

Nach einem Unfall gab Smith seinen Traum<br />

<br />

selbst mal sagte – nie sonderlich gut in Geschäftsdingen<br />

und im Entwerfen war, wurde<br />

er zum bekanntesten britischen <strong>Mode</strong>designer.<br />

Sein Firmenumsatz lag 2011 bei<br />

– no –15<br />

etwa 250 Millionen Euro. Die klassische<br />

Eleganz mit einem dezenten Twist macht<br />

seine Kollektionen besonders. Smith sorgt<br />

sich darum, zu sehr zum Business-Mann zu<br />

werden als Designer zu bleiben, doch bislang<br />

gelingt ihm die Balance. Das mag am<br />

entspannten, spielerischen Umgang liegen,<br />

mit dem er <strong>Mode</strong> begegnet. Wie sangen<br />

Monty Python mal: „For life is quite ab-<br />

<br />

always face the curtain with a bow.“<br />

Fotos: Jean-François Cartly @ Shotview<br />

Text: Lisa Leinen<br />

Styling: Sara Dunn @ Clicks and Contract<br />

Haare: Ernesto Montevideo @ My-Management using Bumble & Bumble<br />

Make-up: Shama@ CLM using MAC Cosmetics<br />

<strong>Mode</strong>l: Flo@ Select<br />

<br />

– no –<br />

16<br />

28<br />

Foto: Willy Vanderperre<br />

ANN<br />

DEMEULEMEESTER<br />

Lange Kleider, meist im typischen Schwarz,<br />

weite Chiffon-Ärmel, die beim Gehen<br />

dramatisch nach hinten wehen, breite Le-<br />

<br />

setts übergehen – Ann Demeulemeester<br />

ließ sich für ihre letzte Kollektion von einem<br />

Schmetterling inspirieren: Aus einem engen<br />

Kokon schlüpfen breite Flügel. Die belgische<br />

Designerin ist bekannt dafür, Frauen<br />

stark und zugleich zerbrechlich wirken zu<br />

lassen. Als Mitglied der Antwerp Six gründete<br />

sie 1985 zusammen mit ihrem Ehemann,<br />

dem Fotografen Patrick Robyn, ihr<br />

eigenes Label. Bis heute ist Antwerpen ihr<br />

Firmensitz (das Atelier ist übrigens in einem<br />

von Corbusier 1926 entworfenen Haus,<br />

in dem sie mit ihrer Familie auch lebt), ihre<br />

Kollektionen zeigt sie seit 1991 in Paris.<br />

„Queen Ann“, wie ein <strong>Mode</strong>magazin sie mal<br />

geadelt hat, trägt nur eigene Kreationen und<br />

sieht <strong>Mode</strong> als Form der Kommunikation.<br />

Passend dazu kollaborierte sie mit Künstlern<br />

wie dem Fotografen Jim Dine oder mit<br />

Patti Smith. Die Sängerin lief 2006 bei der<br />

Präsentation der Demeulemeester-Herrenkollektion<br />

über den Laufsteg und schwärmte<br />

im Anschluss von der Zusammenarbeit<br />

und der Freundschaft zwischen ihr und der<br />

Designerin. Die visionäre 53-Jährige gilt zu-<br />

dem<br />

sie ihre Kreationen bewusst unfertig<br />

wirken ließ, etwa Nähte nach außen kehrte,<br />

stark zerknittertes, papierdünnes Leder benutzte<br />

oder <strong>Mode</strong>ls im out of bed-Look stylen<br />

ließ. Aus der <strong>Mode</strong> gekommen ist das bis<br />

heute nicht.<br />

17<br />

HAIDER - no -<br />

ACKERMANN


Der zurückhaltende Designer wurde<br />

von Lagerfeld bereits als würdiger<br />

Nachfolger an der Spitze von Chanel<br />

genannt. Doch trotz des Hypes um<br />

ihn bleibt Haider Ackermann seelenruhig.<br />

Es geht ihm um mehr als Medienrummel<br />

und Rampenlicht: um<br />

die subtile Eleganz seiner Kollektionen<br />

zum Beispiel.<br />

Er gilt seit Jahren als große Hoffnung, als<br />

hochbegabtes Ausnahmetalent, das <strong>Mode</strong>branche<br />

und Fachpresse kontinuierlich<br />

euphorisch feiern. Außerhalb des <strong>Mode</strong><br />

kosmos´ ist Haider Ackermann allerdings<br />

kaum bekannt. Sein zurückhaltendes Auftreten,<br />

seine glänzenden Locken und die<br />

sympathische Nickelbrille passen perfekt<br />

zum Bild des uneitlen, intellektuellen Designers,<br />

der lieber integre Arbeit abliefert als<br />

sich im Blitzlicht zu produzieren.<br />

Karl Lagerfeld, ein Ackermann-Fan der ersten<br />

Stunde, traute ihm sogar in einer öffentlichen<br />

Äußerung mal seine Nachfolge bei<br />

Chanel zu. Spätestens seither schaute der<br />

<strong>Mode</strong>zirkus genauer auf den jungen Mann,<br />

der sein eigenes Label 2001 gründete,<br />

nachdem er das <strong>Mode</strong>studium an der Königlichen<br />

Akademie Antwerpen nach drei<br />

Jahren hingeschmissen hatte. Dass er das<br />

tat, lag wohl auch an seinem Mangel an Disziplin,<br />

wie er später zugab. Sein Glück war<br />

es, dass er auf einem Mentor traf, der bereits<br />

einen Namen hatte: Raf Simons war<br />

begeistert von den Zeichnungen des jungen<br />

Designers und prophezeite ihm eine große<br />

Zukunft. Dass der Weg zum Erfolg trotzdem<br />

ein steiniger ist, zeigt die Geschichte,<br />

dass Ackermann während seines Praktikums<br />

bei John Galliano in Paris auf der<br />

Straße schlief – wenn er nicht gerade die<br />

Nächte durchfeierte. Dennoch beschreibt er<br />

diese Zeit später als die lehrreichste.<br />

Ackermann gilt als bodenständig, nicht verwöhnt<br />

vom Leben und vom Erfolg. Er inszeniert<br />

um sich keinen Personenkult, sucht<br />

sich keine prominenten Musen und meidet<br />

das Rampenlicht. Als letztes Jahr Gerüchte<br />

laut wurden, er würde Gallianos Nachfolger<br />

bei Dior werden, reagierte die Presse nahezu<br />

hysterisch – nur Ackermann selbst blieb<br />

vollkommen gelassen.<br />

Der gebürtige Kolumbianer wurde als<br />

Kleinkind von einem französischen Ehepaar<br />

adoptiert und reiste mit ihm durch die<br />

Welt. Diese Erfahrung verarbeitet er noch<br />

heute in seinen Entwürfen. Wer jetzt aber<br />

an bunte Folklore-Kleidung denkt, hat weit<br />

gefehlt. Ackermanns Kollektionen sind klar<br />

und schlicht – schmale Silhouetten, dezente<br />

und dunkle Farben in ungewöhnlichen<br />

Materialkombinationen, die erst auf den<br />

zweiten Blick auffallen und seinen Kreationen<br />

eine hintergründige Dramatik verleihen.<br />

Kunstvolles Drapieren und perfektes<br />

layering gehören ebenso zu seinen<br />

Markenzeichen wie die Kunst, einen Entwurf<br />

feminin und maskulin zugleich<br />

30


32<br />

Foto: Stephane Feugere<br />

wirken zu lassen. <strong>Mode</strong>journalistin Suzy<br />

Menkes bezeichnete Ackermanns Designs<br />

mal als slow fashion – so simpel und so<br />

schön, dass sie die Zeit überdauern. Von anderen<br />

liebevoll als Träumer und Poet charakterisiert,<br />

sieht er sich selbst als einen<br />

unsicheren Menschen, der lange nachdenkt,<br />

bevor er handelt. Wahrscheinlich ist es genau<br />

diese bedächtige Art, die ihn zu seinen<br />

meisterhaften Kollektionen antreibt.<br />

Noch hat er bei keinem großen Luxuslabel<br />

unterschrieben. 2009 lehnte er das Angebot<br />

ab, Martin Margielas Nachfolge anzutreten.<br />

Man wartet ein bisschen auf die Nachricht,<br />

dass Ackermann ein Traditionshaus mit<br />

seiner stillen Eleganz bereichert, doch zur<br />

Zeit sind alle Gerüchte um ihn verstummt<br />

und die großen Posten bei Dior und Saint<br />

Laurent neu besetzt.<br />

Ackermann selbst wird das wahrscheinlich<br />

begrüßen. Trotzdem wäre es ihm vergönnt,<br />

nicht nur im kleinen, sondern im großen<br />

Stil die <strong>Mode</strong>geschichte zu prägen. Die Zeit<br />

dafür ist überreif.<br />

- no -<br />

ONLINE-STORES<br />

„Vielen Dank für Ihren Einkauf!˝<br />

Wenn diese Zeile auf dem Bildschirm<br />

aufpoppen, seufzen täglich<br />

tausende <strong>Mode</strong>begeisterte auf –<br />

und checken kurz danach besorgt<br />

ihren Kontostand. Web-Shops<br />

werden für die <strong>Mode</strong>industrie<br />

immer wichtiger. Vorbei die Zeiten,<br />

in denen Provinzstädte <strong>Mode</strong>wüsten<br />

waren: Die Fashionkrake reicht<br />

nun bis in die hintersten Winkel<br />

der Erde. Wir begrüßen das, denn<br />

die Online-Stores werden immer<br />

besser. Gestaltet wie Magazine, mit<br />

Blogs, Newslettern oder persönlichem<br />

Internet-Stylisten buhlen<br />

sie um Kunden. Wir wollen Ihnen<br />

deshalb hier unsere Lieblings-Einkaufsplattformen<br />

vorstellen – ohne<br />

Anspruch auf Vollständigkeit.<br />

Netaporter .com<br />

Gegründet im Jahr 2000 von Natalie<br />

Massenet, ist Net-A-Porter heute der erfolgreichste<br />

Onlineshop – mit 2,5 Millionen<br />

Besuchern monatlich. Die Firma hat<br />

ihren Sitz in London und New York und<br />

beschäftigt circa 1500 Mitarbeiter.<br />

Mytheresa.com<br />

Dieser Onlinestore gehört zu THERESA,<br />

einer beliebten Luxus-Boutique in der<br />

Münchner Innenstadt. Mytheresa bietet<br />

<strong>Teil</strong>e von über 160 Designern an, darunter<br />

einige exklusiv – wie Balenciaga und<br />

Tod’s.<br />

Luisaviaroma.com<br />

In den Dreißigern eröffnete der Flagshipstore<br />

in Florenz, seit einigen Jahren<br />

gibt es das Angebot auch online. Auch<br />

die Kreationen von Avantgarde-Designern<br />

wie Gareth Pugh und Damir Doma<br />

werden hier angeboten.<br />

Matchesfashion.com<br />

Insgesamt 13 Läden führt das Unternehmen<br />

in Großbritannien, das Hauptquartier<br />

des Onlineshops sitzt in London. Wie<br />

fast alle Onlineshops bietet auch dieser<br />

einen persönlichen Internet-Stylisten<br />

und eine exquisite Kaufberatung an.<br />

Colette.fr<br />

Wer Paris besucht, sollte unbedingt bei<br />

Colette vorbeischauen. <strong>Mode</strong>, Kunst,<br />

Essen, Musik – Colette gilt als Vorreiter<br />

der beliebten concept stores. Auch online<br />

lockt der Kultshop mit Angeboten von<br />

<strong>Mode</strong> über Bücher bis hin zu Kitsch und<br />

hippem Kokolores.<br />

FARFETCH.COM<br />

Wer nicht unbedingt einkaufen, aber sich<br />

dennoch unterhaltsam über <strong>Mode</strong> informieren<br />

will, der sollte den Blog von Farfetch<br />

lesen. Tolle Angebote gibt’s natürlich<br />

auch – für Männer und Frauen.<br />

Shopbob.com<br />

Eigentlich wollte man sich bei der Gründung<br />

im Jahr 2000 auf rare Jeansmarken<br />

<br />

aber auch alles, was man zur Jeans tragen<br />

sollte. Besonders schön: die Hitlist<br />

mit den beliebtesten Styles der Woche.<br />

THEOUTNET.COM<br />

Ebenfalls von Net-A-Porter-Gründerin<br />

Natalie Massenet gelauncht, ist diese Seite<br />

das digitale Outlet der Luxusmarken.<br />

Via Email zum Newsletter anmelden und<br />

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Hemd bis zur Herrentasche, die im Wochenmagazin<br />

„The Journal“ vorgestellt<br />

werden. Gehört zur Erfolgsgruppe der<br />

Net-A-Porter-Group und wurde Anfang<br />

letzten Jahres gegründet.<br />

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Yoox überzeugt nicht durch Aufmachung,<br />

sondern durch gute Preise und<br />

zahllose Designer. Man muss wissen,<br />

was man sucht. Wenn das der Fall ist, ist<br />

man hier genau richtig.


Fotos: Net-A-Porter, Interview: Ruben Donsbach<br />

ALISON<br />

LOEHNIS<br />

Alison Loehnis hat vor einem Jahr die<br />

Geschäftsführung von Net-A-Porter<br />

übernommen, dem etabliertesten<br />

Online-<strong>Mode</strong>kaufhaus der Welt. Damit<br />

ist sie zu einer wichtigen Instanz<br />

im Fashionbusiness geworden. <strong>Fräulein</strong><br />

erzählte sie von ihrer Schulzeit in<br />

Uniform, tabulosen Trends und wie<br />

sie nach Feierabend entspannt.<br />

- no -<br />

19<br />

FEIERABEND<br />

Frau Loehnis, erinnern Sie sich, wann Sie<br />

sich zum ersten Mal ernsthaft Gedanken<br />

über Ihren Look gemacht haben?<br />

ALISON LOEHNIS Absolut! Ich bin zwölf Jahre<br />

lang auf eine Mädchenschule in New York<br />

gegangen und musste dort Uniform tragen,<br />

alles war sehr strikt. Aber einmal im Jahr,<br />

am sportsday, durfte man tragen, was man<br />

wollte. Ich erinnere mich noch sehr lebhaft<br />

daran, wie ich nachts wach lag und überlegte,<br />

was ich anziehen könnte. Ich bekniete<br />

meine Mutter schließlich, mir einen roten<br />

Pullover aus Shetlandwolle von Ralph Lauren<br />

zu kaufen. Darunter trug ich ein weißes<br />

Polo-Shirt mit dem Kragen nach oben ge-<br />

schlagen. Und ich bin mir ziemlich sicher,<br />

dass ich Gloria-Vanderbilt-Jeans trug. Klar<br />

habe ich mich als kleines Mädchen gerne<br />

verkleidet – aber an diesem einen Tag wurde<br />

aus Spaß Ernst.<br />

Inwiefern hat diese Zeit Ihr Verhältnis zur<br />

<strong>Mode</strong> geprägt?<br />

A LIch denke, der Zwang, Uniform zu tra-<br />

<br />

Verbot macht einen neugierig und experimentierfreudig.<br />

In engen Grenzen zu arbeiten<br />

fordert die Kreativität heraus. Ich zog<br />

zum Beispiel über der Uniform einen mir<br />

viel zu großen Pullover meines Vaters, um<br />

einen lässigeren Look zu erreichen. Ich<br />

glaube fest, dass man ein viel besseres Auftreten<br />

hat, wenn man sich in den eigenen<br />

Klamotten gefällt.<br />

Sie haben früher für Disney gearbeitet. Wie<br />

kamen Sie von dort zur <strong>Mode</strong>?<br />

A LIch habe mich immer darum bemüht,<br />

einen Job zu wählen, in dem das Wirtschaftliche<br />

und das Kreative sich die Balance<br />

hielten. Sei es in der Werbung, der Filmindustrie<br />

oder der <strong>Mode</strong>. Doch von klein auf<br />

hat mich letztere sehr stark interessiert und<br />

begeistert. Es war also eine natürliche<br />

Entwicklung.<br />

Wie kann man sich eine Arbeitswoche von<br />

Ihnen vorstellen?<br />

A LDas ist schwer zu sagen, weil meine Arbeit<br />

so vielschichtig ist. Es gibt also eigentlich<br />

keinen typischen Tag. Ich gehe auf<br />

Shows, treffe Mitarbeiter und Designer,<br />

spreche über exklusive Kollaborationen,<br />

treffe Kunden, bereite Events vor. Viel Zeit<br />

gilt der internen Planung mit meinem Team.<br />

Außerdem reise ich oft zwischen New York,<br />

London und neuerdings Asien umher. Net-<br />

A-Porter ist ja gerade dabei, eine Filiale in<br />

Hongkong zu eröffnen.<br />

Wie hat sich die Firma verändert, seit Sie<br />

Ende 2011 Managing Director geworden<br />

sind?<br />

A LSie ist zunächst einmal ordentlich weitergewachsen.<br />

Einmal im Bereich des Umsatzes,<br />

aber natürlich auch bezüglich der<br />

Anzahl der Kunden wie auch der Mitarbeiter.<br />

Es gab eine Zeit, da kannte sich jeder<br />

hier mit dem Vornamen. Das hat sich verändert.<br />

Das rasante Wachstum bringt also viele<br />

Herausforderungen mit sich.<br />

Was ist eigentlich die Idee hinter Net-A-<br />

Porter?<br />

A LTja, ich würde sagen, dass die zentrale<br />

Idee unserer Marke ein Online-Magazin ist,<br />

über welches man direkt einkaufen kann.<br />

Und ich möchte behaupten, dass wir über<br />

diese Idee zur wichtigsten Online-Plattform<br />

für zeitgenössische <strong>Mode</strong> geworden sind.<br />

Was Net-A-Porter meiner Meinung nach<br />

von anderen Mitbewerbern unterscheidet,<br />

ist die relative Größe unseres Geschäfts in<br />

Verbindung mit der Kundennähe eines Familienbetriebs.<br />

In den zwölf Jahren unseres<br />

Bestehens ist es trotz Wachstums gelungen,<br />

diesen spirit zu erhalten. Teamwork, Zusammenarbeit<br />

bestimmt alle unsere Abläufe.<br />

Und machen wir uns nichts vor, die Konkurrenz<br />

ist stark. Wir müssen uns ständig<br />

verbessern, um führend in unserem Bereich<br />

zu bleiben.<br />

Schaut man ins Lexikon, dann steht da: „Die<br />

<strong>Mode</strong>industrie ist ein Phänomen der <strong>Mode</strong>rne.“<br />

Wie hat sich diese Industrie durch<br />

das Internet und die sozialen Netzwerke<br />

verändert?<br />

A LIch kann zunächst für uns sagen, dass<br />

sich die Erwartungen und Bedürfnisse der<br />

Kunden grundlegend verändert haben. Und<br />

das liegt tatsächlich vor allem an den neuen<br />

Technologien. <strong>Mode</strong> ist wahnsinnig schnell<br />

verfügbar geworden. Die Leute wollen Dinge<br />

haben. Und sie wollen sie sofort haben.<br />

Sie shoppen von ihrem Sofa aus, gehen weniger<br />

in Läden und stellen sich dort ungern<br />

in Warteschlangen vor Umkleiden oder<br />

Kassen. Das bedeutet für uns, dass wir in<br />

hoher Frequenz Neues anbieten müssen,<br />

ohne den Kunden darauf warten zu lassen.<br />

Hat diese Verfügbarkeit Einfluss auf das<br />

<strong>Mode</strong>design oder den Herstellungsprozess?<br />

Immerhin geht mit der Verfügbarkeit auch<br />

eine permanente Sichtbar- und Gleichzeitigkeit<br />

neuer Trends einher.<br />

A LSicher. Aber ich denke, es gab immer<br />

dieses Bedürfnis nach dem next big thing,<br />

dem nächsten Coup. Man wollte den Wandel<br />

und hatte doch immer diese großen Referenzen<br />

an die Vergangenheit. Die Sache<br />

„Ich glaube, dass sich<br />

in der aktuellen <strong>Mode</strong><br />

der unbedingte<br />

<strong>Mode</strong>rnismus unserer<br />

Tage ausdrückt. Es<br />

gibt kaum Tabus mehr.<br />

Alles geht. Das ist so<br />

noch nie dagewesen! “<br />

ist einfach, dass sich auf diese Vergangenheit<br />

mittlerweile sehr leicht zurückgreifen<br />

lässt. Die Geschichte ist nur noch einen<br />

Klick entfernt. Die Geschwindigkeit, mit der<br />

sich neue Trends bilden, hat deswegen<br />

enorm zugenommen. Das ist es, was sich<br />

grundlegend verändert hat.<br />

<strong>Mode</strong> hat immer viel über das Denken einer<br />

Zeit ausgesagt. Ist es nun, da alle Stile und<br />

Zeiten praktisch permanent und immer<br />

verfügbar sind, vorbei damit?<br />

A LIch glaube, dass sich in der aktuellen<br />

<strong>Mode</strong> der unbedingte <strong>Mode</strong>rnismus unserer<br />

Tage ausdrückt. Es gibt kaum Tabus<br />

mehr. Alles geht. Das ist so noch nie<br />

dagewesen!<br />

Trends haben sich früher im Club und auf<br />

der Straße entwickelt. Ändert sich das nun?<br />

Entstehen sie vermehrt online?<br />

A LDas eine hängt sicher mit dem anderen<br />

zusammen. Denken Sie an diesen riesigen<br />

Hype um Street Style und die gesamte Fashion-Blogosphäre,<br />

die ganz normale Leute<br />

innerhalb kürzester Zeit zu richtigen Berühmtheiten<br />

machen kann. Die Basis wirkt<br />

bis ganz nach oben zu den Designern und<br />

Marken hin.<br />

Ganz grundsätzlich: Was bringt Leute dazu,<br />

<strong>Mode</strong> zu kaufen und dafür so viel Geld auszugeben?<br />

A LWow, darüber könnte ich den ganzen<br />

Tag mit Ihnen sprechen. Das kommt wirklich<br />

darauf an. Es könnte ein spezielles<br />

Event sein, für welches ich unglaublich gut<br />

aussehen möchte. Es könnte sein, dass ich<br />

eine schlechte Zeit habe und mich durch etwas<br />

wirklich Schönes und Hochwertiges<br />

aufheitern möchte. Aber vor allem gilt:<br />

Frauen lieben das Neue! Da gibt es keine<br />

Grenzen in der Vorstellung.<br />

Was tun Sie selbst, um nach der Arbeit abzuschalten?<br />

Wie verbringen Sie Ihren Feierabend?<br />

A LVor allem verbringe ich Zeit mit meiner<br />

Familie. Ich lese meinen Kindern vor, spiele<br />

ßerdem<br />

liebe ich die Kunst, gehe viel in Museen<br />

und reise mit meinem Mann um<br />

die Welt.<br />

ALISON LOEHNIS ist halb Französin und halb<br />

Amerikanerin. In ihren Sommerferien jobbte sie<br />

früher bei Ralph Lauren, später arbeitete sie u.a.<br />

bei Saatchi&Saatchi, Disney und als Vizepräsidentin<br />

bei Thomas Pink. Sie lebt mit ihrem<br />

Mann und ihren zwei Kindern in London.<br />

34<br />

35


Fotos: Ryersson & Yaccario/The Casati Archives, Text: Virginie Henzen<br />

- no -20<br />

LUISA<br />

CASATI<br />

Sie gehört zu den großen exzentrischen<br />

Persönlichkeiten des 20.<br />

Jahrhunderts: Luisa Casati hat mit<br />

ihren prachtvollen Kleidern und<br />

ihrem extremen Lebenswandel nicht<br />

nur Autoren wie Tennessee Williams<br />

oder Künstler wie Man Ray inspiriert,<br />

sondern auch die einflussreichsten<br />

<strong>Mode</strong>designer von heute.<br />

Sie war nicht die Einzige, die über sich<br />

sagte: „Ich möchte ein lebendes Kunstwerk<br />

sein.“ Doch nur wenigen gelang dies so gut<br />

wie Luisa Casati, die es mit Leichtigkeit unter<br />

die extravagantesten Figuren des 20.<br />

Jahrhunderts schafft, neben Salvador Dali<br />

oder Andy Warhol zum Beispiel. Dennoch<br />

ist Casati nur wenigen bekannt. Diejenigen,<br />

die sie mit ihrem Charme und ihrem exaltierten<br />

Lebenswandel in den Bann schlug,<br />

sind es allerdings bis heute: Cecil Beaton<br />

und Jack Kerouac etwa; Tennessee Wil-<br />

<br />

basierte; Ingrid Bergmann und Elisabeth<br />

Taylor versuchten, Casati auf der Leinwand<br />

gerecht zu werden. Sie wurde von großen<br />

Künstlern ihrer Zeit gemalt, etwa Giulio<br />

De Blaas und Giovanni Boldini, denen sie<br />

Muse und Mäzenin zugleich war. Man Ray<br />

<br />

Der Auftritt war alles, ihr Leben eine grell<br />

dekorierte Bühne. Es ging nicht um intellektuelle<br />

Tiefe, sondern um Intensität, um<br />

Unsterblichkeit. Man könnte Luisa Casati<br />

als erste Pop-Art-Künstlerin sehen,<br />

deren größtes Werk sie<br />

selbst war. Ihre Roben waren so<br />

extravagant, dass sie Designer<br />

noch heute inspirieren. Yves<br />

Saint Laurent oder Tom Ford<br />

Casati verbringt ihre Tage mit dem Rauchen<br />

von Opium und stillt ihren Durst mit<br />

Absinth. Wenn ihr nach Gesellschaft ist,<br />

organisiert sie rauschende Feste, zu der die<br />

damalige High Society geladen war.<br />

valliere aus einer italienischen Adelsfamilie.<br />

Luisa erhält den Titel Marchesa di<br />

Roma, er die Hälfte ihres enormen Vermögens.<br />

Sie bekommt eine Tochter, um die sich<br />

keiner von beiden wirklich schert. Zu dieser<br />

Zeit gehört es unter selbstbewussten, reichen<br />

Frauen zum guten Ton, sich einen<br />

Liebhaber zu halten. Wie gerufen erscheint<br />

1903 Gabriele D’Annunzio zur Jagd auf ihrem<br />

Gut, ein Dichter, der sich oft von reichen<br />

Damen aushalten ließ. D’Annunzio<br />

war der Funke, der Luisas Verwandlung<br />

entfachte. Über Jahre werden sie sich nur<br />

Coré und Ariel nennen: Coré nach der mythischen<br />

Göttin der Hölle für Casati, Ariel<br />

nach dem bösen Geist aus Shakespeares<br />

„Der Sturm“ für D’Annunzio. Was als Abwechslung<br />

zur öden Ehe beginnt, entwickelt<br />

sich zu einer leidenschaftlichen Liaison,<br />

die bis zum Tode D’Annunzios 1938<br />

<br />

Göttin anstelle von Schmuck blaue Flecken<br />

und Bisswunden von Gabriele zur Schau.<br />

In dieser Zeit kreiert Luisa auch ihren unvergleichlichen<br />

Look, der zum Markenzeichen<br />

wird: feuerrotes Haar, zinnoberrote<br />

Lippen, die Lider stets mit chinesischer Tusche<br />

angemalt. Dazu trägt sie schwarze<br />

Roben und Perlenketten, die bis zum<br />

Boden reichen. Ihre unnatürlich großen Pupillen<br />

verdankt sie Belladonna-Tropfen, einer<br />

zwar giftigen Tinktur, die allerdings<br />

ihren grasgrünen Augen besonderen Glanz<br />

verleiht.<br />

1910 zieht Casati nach Venedig, weit weg<br />

von Mann und Kind. Sie kauft sich einen<br />

Palazzo (heute ist hier die Guggenheim<br />

Collection). Ein Dschungelgarten umgibt<br />

ihn, den Paviane, Tiger und Albino-Vögel<br />

bevölkern, die manchmal passend zum<br />

Kostüm von Luisa eingefärbt werden.<br />

Nachts führt sie ihre beiden Geparden an<br />

mit Juwelen besetzten Leinen über die Piazza<br />

San Marco spazieren. Ihre Roben<br />

entwerfen Poiret, Erté und Fortuny.<br />

Sie wirkt wie das Geschöpf des Schriftstellers<br />

Joris-Karl Huysmans, dessen<br />

<br />

Galliano widmete ihr 1998<br />

eine gesamte Kollektion. Ihr<br />

Mythos lebt auch in der<br />

<br />

verkörperte Tilda Swinton die<br />

göttliche Marchesa in einer<br />

Magazinstrecke. Auch Carine<br />

Roitfeld ließ es sich nicht nehmen,<br />

als Casati abgelichtet zu<br />

werden – von Karl Lagerfeld<br />

persönlich.<br />

Casatis Verwandlung von der<br />

reichen Tochter eines Textiltitanen<br />

bis zur Femme fatale dauerte<br />

eine Weile. Mit 19 heiratet die<br />

Erbin Camillo Casati, einen Caberühmter<br />

Dekadenz-Roman<br />

„Gegen den Strich“ von einem<br />

der Welt überdrüssigem Adligen<br />

handelt, der seinen Wohnsitz<br />

ähnlich wie Casati zu<br />

einem abgründigen Kunstkabinett<br />

macht.<br />

Casati verbringt ihre Tage mit<br />

dem Rauchen von Opium und<br />

stillt ihren Durst mit Absinth.<br />

Wenn ihr nach Gesellschaft<br />

ist, organisiert sie rauschende<br />

Feste, zu denen die damalige<br />

High Society geladen war.<br />

Maskenbälle werden zu ihrem<br />

liebsten Zeitvertreib. Auf ihnen<br />

konnte sie sich besonders<br />

gut in ausgefallenen Kostümen<br />

zeigen. So erscheint sie<br />

als byzantinische Kaiserin<br />

Theodora oder auch mit Spielzeug,<br />

Rüschenhäubchen und<br />

champagnergefüllten Baby-<br />

<br />

Möglichkeit aus, um ihren Bekanntheitsgrad<br />

zu steigern.<br />

Ihre Feste werden von der<br />

Vogue porträtiert.<br />

Auch in religiöser Hinsicht<br />

lässt sie sich einen Skandal nicht nehmen.<br />

1914 wird sie von ihrem Mann geschieden.<br />

Laut ihren Biografen Scot D. Ryersson und<br />

Michael Orlando Yaccarino wird sie zur ersten<br />

geschiedenen Katholikin Italiens. Den<br />

Titel Marchesa darf sie unter der Bedingung<br />

behalten, dass die Familie ihres Ex-<br />

Mannes nicht für ihre Schulden aufkommen<br />

muss. Dies kommt zu einer Zeit, wo ihr<br />

Venedig sowieso nicht mehr genügt: Sie<br />

braucht eine größere Bühne. Sie reist nach<br />

Paris und bewegt sich in einem Kreis ausgesuchter<br />

Künstler, die sie protegiert. Zu ihnen<br />

gehören etwa Max Ernst, André Breton<br />

und Salvador Dali. Auch der amerikanische<br />

Dichter Ezra Pound wurde ein Begleiter.<br />

Pound war so fasziniert von Casati, dass er<br />

sie in seinen „Cantos“ erwähnte, einem Gedichtzyklus,<br />

der neben T. S. Eliots „Das<br />

wüste Land“ eines der bedeutendsten lyrischen<br />

Werke der englischsprachigen <strong>Mode</strong>rne<br />

ist. Zu dieser Zeit weilt auch Man Ray<br />

in Paris. Der Fotograf will Luisa in ihrer<br />

Suite inmitten von Kuriositäten ablichten.<br />

Während der Arbeit geschieht jedoch ein<br />

Missgeschick, wegen eines Kurzschlusses<br />

kann nur mit Tageslicht gearbeitet werden.<br />

Die Marchesa wird gebeten, stillzuhalten,<br />

was ihr nicht gelingt. Man Ray erklärt<br />

Diese Seite: Luisa Casati mit Gepard,<br />

unbekannter Fotograf, Venedig, 1912<br />

<br />

Venedig, 1912<br />

die Aufnahmen für unbrauchbar. Entstan-<br />

<br />

drei Augenpaare zeigt. Die Marchesa<br />

selbst sagte, Man Ray hätte ein Portrait<br />

ihrer Seele geschaffen und bestellte<br />

mehre Dutzend Abzüge. Die aus der<br />

<br />

wird zu einem kraftvollen surrealistischen<br />

Werk.<br />

Aufgrund ihrer Verschwendungssucht hat<br />

Casati 1930 auf die heutige Zeit umgerechnet<br />

über 23 Million Euro Schulden. Da<br />

sie nie gelernt hat, mit Geld umzugehen,<br />

wird sie zur leichten Beute. Taxifahrer und<br />

Händler bezahlt sie mit Diamantarmbändern<br />

und Smaragdringen. Ihr letztes Hab<br />

<br />

Gläubigern ins Exil nach London. Ihren<br />

Zoo muss sie hinter sich lassen, aber schafft<br />

sich zum Trost fünf Pekinesen an. Um<br />

deren Futter bezahlen zu können, verzichtet<br />

sie auf ihr eigenes Essen – und ersetzt es<br />

durch eine Diät aus Champagner, Whiskey<br />

und Stimulantien. Sie schwebt auf einer<br />

Nostalgiewolke, die Puderschichten auf<br />

ihrem Gesicht werden dicker. Ringe aus<br />

Schuhcreme umranden nun ihre Augen, da<br />

sie sich die teure Schminke nicht mehr leisten<br />

kann. Die Kleider sind verwaschen und<br />

zerschlissen, die Leopardenfell-Handschuhe<br />

voller Löcher. Doch Casati beklagt sich<br />

nie über ihre neue Situation, sondern erfreut<br />

sich nun der kleinen Dinge. Ihr Freund<br />

Fred Rainer erzählt von einem Anruf, als<br />

Casati wieder einmal zu Geld gekommen<br />

war (ihre entfremdete Tochter unterstützte<br />

sie etwas): „Ich habe zehn Schilling – kaufen<br />

wir eine Flasche billigen Wein oder sollen<br />

wir uns ein Taxi leisten?“<br />

1957 stirbt Luisa an einem Hirnschlag völlig<br />

mittellos und allein. Auf ihrem Grabstein ist<br />

ein Satz von Shakespeare zu lesen: „Age<br />

cannot wither her; nor custom stale her in-<br />

<br />

unbegrenzte Mannigfaltigkeit nutzt nicht<br />

<br />

setzung der Zeile aus „Antonius und Kleopatra“.<br />

Mit anderen Worten: Das Leben<br />

konnte Luisa Casati nicht kleinkriegen,<br />

warum sollte der Tod es schaffen?<br />

LUISA CASATI wurde 1881 in Mailand geboren<br />

und starb 1957 im Londoner Exil. Sie gilt als<br />

große <strong>Mode</strong>ikone des 20. Jahrhunderts. Ihre<br />

<br />

btb Verlag erschienen.<br />

Infos unter marchesacasati.com<br />

36<br />

37


Fotos: Randall Bachner, Text: Lisa Leinen<br />

Styling: Bernat Buscato, Make-up: Christopher Ardoff @ Art Department NYC<br />

Haare: Cecilia Romero mit Produkten von Marlies Möller, <strong>Mode</strong>l: Alix Baake @ New York <strong>Mode</strong>ls<br />

<br />

21<br />

- no -<br />

GUCCI


Ähnlich wie Hermès fängt auch die<br />

Marke Gucci als Hersteller von Reitzubehör<br />

und Taschen an. Erst spät<br />

beginnt die Ära, in der das Familienunternehmen<br />

zu dem Luxuskonzern<br />

wird, wie wir ihn heute kennen.<br />

Die Geschichte auf dem<br />

Weg dorthin liest sich wie ein<br />

Krimi, Auftragskiller inklusive.<br />

Guccio Gucci – ein Name, mit dem man einfach<br />

berühmt werden muss! Leider erlebt er<br />

die wirklich großen Erfolge seines Unternehmens<br />

nicht mehr. 1906 eröffnet Gucci<br />

einen Reiterladen in seiner Heimatstadt<br />

Florenz, geht einige Jahre später nach Paris<br />

und London, kehrt aber 1920 wieder nach<br />

Italien zurück, um eine neue Werkstatt zu<br />

gründen. Dieses Mal spezialisiert er sich auf<br />

Lederwaren und Gepäck. Die bis heute getragene<br />

Bamboo Bag entsteht, eine Ledertasche<br />

mit einem Henkel aus Bambus, die<br />

ihm erste Erfolge beim italienischen Hochadel<br />

einbringt. Ab 1938 verkauft er seine<br />

Entwürfe in einer exquisiten Boutique in<br />

Rom, kurz danach sind es vor allem seine<br />

drei Söhne, die das Business vorantreiben<br />

und Läden in Florenz, Mailand und schließlich<br />

auch in New York eröffnen.<br />

Guccio Gucci stirb 1953 im Alter von 71 Jahren.<br />

Sein Unternehmen dagegen blüht weiter<br />

auf. Mitte der Sechziger wird erstmals<br />

das Logo verwendet, das bis heute für die<br />

Marke steht: zwei miteinander verbundene<br />

Gs, die an die Initialen des Gründers und<br />

zudem an zwei Steigbügel erinnern. Doch<br />

es soll weitere zehn Jahre dauern, bis die<br />

<br />

Achtziger beginnen Streitigkeiten um Geld<br />

und Machtspiele im Familienunternehmen,<br />

was schließlich zum Verkauf an Investmentunternehmen<br />

führt. Maurizio Gucci,<br />

Enkel des Firmengründers, verkauft 1993<br />

seine letzten Anteile und besiegelt das Ende<br />

der Dynastie. Zwei Jahre später wird er vor<br />

seinem Büro erschossen – seine Ex-Frau<br />

Patrizia Reggiani lässt dies von einem Auftragskiller<br />

erledigen. Ihre Gefängnisstrafe<br />

sitzt sie bis heute ab.<br />

Kurz vor seinem Tod hatte Maurizio Gucci<br />

den jungen Tom Ford zum Designdirektor<br />

ernannt. Ford wird später Kreativdirektor,<br />

verhilft dem <strong>Mode</strong>label nach vielen Negativschlagzeilen<br />

zu neuem Glanz und etabliert<br />

einen neuen Stil.<br />

Zusammen mit Carine Roitfeld, später Che-<br />

-<br />

graf Mario Testino bringt er eine provokante<br />

Bildsprache in die Werbekampagnen des<br />

Unternehmens ein. Tom Ford prägt den Stil<br />

der selbstbewussten Frau und verpasst ihr<br />

einen provokanten Sex-Appeal. Während<br />

seiner Tätigkeit bei Gucci verwandelt er das<br />

Unternehmen wieder in eine starke Luxusmarke,<br />

verlässt es aber im Jahr 2003.<br />

Seine Nachfolge übernehmen drei seiner<br />

engsten Mitarbeiter, darunter auch Frida<br />

Giannini, die seit 2006 alleinige Chefdesignerin<br />

ist. Sie setzt auf feminine Linien voller<br />

Optimismus und Frische. Nach dem dreijährigen<br />

Übernahmestreit mit dem Konkurrenten<br />

LVMH gehört Gucci seit 2004 mit<br />

99,4 Prozent zum französischen Großkonzern<br />

PPR. Dieser ordnete Gucci in die neu<br />

geformte Gucci Group ein, zu der auch Labels<br />

wie Alexander McQueen und Stella<br />

McCartney gehören.<br />

Gucci eröffnete im vergangenen Jahr 59 Läden,<br />

Ende 2011 gab es insgesamt 376 Boutiquen<br />

in 59 Ländern. Im letzten Jahr erzielte<br />

die Marke einen Umsatz von 3,14 Milliarden<br />

Euro, von dem über die Hälfte durch Lederwaren<br />

generiert wurde. Damit ist Gucci<br />

nach Louis Vuitton eines der umsatzstärksten<br />

Unternehmen der <strong>Mode</strong>welt – Tendenz<br />

steigend.<br />

40<br />

41


42<br />

43


Foto: Corbis, Interview: Charles Wilcox<br />

TOM FORD<br />

Als Designer hat Tom Ford nicht nur<br />

Yves Saint Laurent und Gucci vor<br />

der Bedeutungslosigkeit gerettet,<br />

auch sein eigenes Label ist in nicht<br />

mal einem Jahrzehnt mit wuchtigem<br />

Glamour zu einem der profilstärksten<br />

<strong>Mode</strong>häuser überhaupt geworden.<br />

<strong>Fräulein</strong> erzählt er von seiner Jugend<br />

als Hippie, seiner boshaften Ehrlichkeit<br />

und wie er seinen ersten Job<br />

wegen seiner schönen Hände bekam.<br />

Herr Ford, warum sind schwule Männer so<br />

gute <strong>Mode</strong>designer?<br />

TOM FORD Ich wünschte, ich würde die Antwort<br />

kennen, denn die meisten männlichen<br />

Designer in unserer Branche sind schwul.<br />

Aber ich hasse es, die Wörter ‚schwul‘ und<br />

‚hetero‘ zu benutzen, die Grenzen sind da<br />

herrschen<br />

es schwule Männer besser, Gefühle<br />

zu projizieren, an die ein Hetero-<br />

Mann nicht mal denken würde. Aber<br />

ehrlich gesagt: Ich weiß es nicht.<br />

Was inspiriert Sie?<br />

T FAm liebsten starte ich jeden Tag mit einem<br />

heißen Bad. Nur ich und ein bisschen<br />

warmes Wasser. Dabei denke ich über die<br />

Dinge nach, die ich erledigen muss, schmiede<br />

Pläne. Neben mir liegt immer ein leicht<br />

durchnässter Notizblock. Dann mache ich<br />

mich auf den Weg ins Büro, wo ich Menschen<br />

treffe, die mich durch ihren Stil und<br />

ihre Energie inspirieren. Aber so sehr ich<br />

sie schätze, am Ende steht mein Name auf<br />

den Produkten. Also muss ich streng sein<br />

und genau sagen, was mir gefällt. Ich sehe<br />

mich als jemanden, der die Leute inspiriert<br />

und das Beste aus ihnen rausholt. Wenn<br />

Leute mir etwas zeigen, das mir nicht gefällt,<br />

kann ich ziemlich schonungslos sein.<br />

Ihre <strong>Mode</strong> wirkt sehr sexy, genau wie die<br />

dazugehörigen Preisschilder. Leben Sie<br />

dieses Jetset-Leben auch privat?<br />

T FMan sagt mir immer wieder, dass meine<br />

Entwürfe stets etwas Glamouröses ausstrahlen.<br />

Sie spiegeln wieder, was ich sehe,<br />

und das kann man gut mit dem Wort sexy<br />

beschreiben. Meine Kollektionen basieren<br />

auf meinem Geschmack. Wahrscheinlich<br />

wurde ich von den Siebzigern in New York<br />

nachhaltig geprägt, einer sehr glamourösen<br />

Zeit. Wir sind aufgewachsen mit dem Ziel,<br />

die Welt nach unseren Vorstellungen zu<br />

- no - „Am liebsten starte ich jeden Tag mit einem heißen<br />

22<br />

verändern. Ich habe tatsächlich<br />

die Möglichkeit dazu. Ein schönes<br />

Gefühl. Aber mein Alltag hat<br />

wenig mit Glamour zu tun. Mein<br />

reales Leben ist das Gegenteil<br />

der Tom-Ford-Fantasiewelt, in<br />

der sich nackte Mädels in Parfüm<br />

räkeln. Es besteht eher aus<br />

gemütlichen Abenden zuhause<br />

mit einer Staffel „Friends“.<br />

Sie gehen sehr offen mit Ihrer<br />

Sexualität als schwuler Mann<br />

um. Warum spielen Sie in Ihren<br />

Kampagnen den Heterosexuellen?<br />

T FEs gibt auch viele Fotos, auf denen ich<br />

mit nackten Männern abgebildet bin. Ich<br />

verkaufe Make-up und bin gleichzeitig das<br />

Gesicht des Labels. Dabei lasse ich mich gar<br />

<br />

ich bin extrem schüchtern. Aber indem ich<br />

mein Gesicht für Kampagnen hergebe, werde<br />

ich mehr und mehr mit der Marke iden-<br />

<br />

Karl Lagerfeld hat das bei Chanel ganz gut<br />

hinbekommen. Seine Persönlichkeit ist<br />

langsam mit der von Coco Chanel verschmolzen.<br />

Bei mir ist das noch nicht der<br />

Fall. Nicht alle wissen, wer ich bin. Darum<br />

<br />

Sie und Ihr Lebensgefährte, der Journalist<br />

Richard Buckley, sind seit 25 Jahren ein Paar.<br />

Wie wird er mit Ihrem Ruhm fertig?<br />

T FDie Frage ist doch eher: Wie wird er mit<br />

mir fertig? Nein, ernsthaft, das müssen Sie<br />

ihn schon selbst fragen. Zuhause spielt<br />

mein Erfolg keine Rolle.<br />

Rückblickend: Wie haben Sie Ihre Jugend<br />

in Texas empfunden?<br />

T FIch bin während der wilden Hippie-Ära<br />

in einer kleine Uni-Stadt aufgewachsen,<br />

hatte lange Haare, bis ich 18 war, und trug<br />

mit Spitze und Perlen bestickte T-Shirts.<br />

Von weitem hätte man denken können, ich<br />

sei ein Mädchen.<br />

Wann haben Sie beschlossen, <strong>Mode</strong>designer<br />

zu werden?<br />

T FDas klingt jetzt wie ausgedacht, ist aber<br />

wirklich wahr: 1984 war ich in Moskau, um<br />

Architektur zu studieren. Aber während ich<br />

<strong>Mode</strong>lle baute, stellte ich fest, dass es mir<br />

guren<br />

aussahen. Irgendwann waren sie<br />

wichtiger als der Entwurf selbst. Da beschloss<br />

ich, <strong>Mode</strong>designer zu werden.<br />

Was wollten Sie erreichen, als Sie mit dem<br />

Entwerfen anfingen?<br />

T FIch hatte zunächst nur eine vage Vorstellung<br />

von der <strong>Mode</strong>welt. Ich traf damals<br />

meinen Partner zu unserem ersten Date.<br />

Ich war also mit mir selbst beschäftigt.<br />

Aber ich liebte es, eigene Sachen zu designen.<br />

Ralph Lauren und Calvin Klein sind in<br />

meiner Erinnerung die ersten, die es geschafft<br />

haben, rund um ihr Label eine eigene<br />

Welt zu erschaffen. Das habe ich bewundert.<br />

Amerikaner sind businessorientiert.<br />

Ich weiß aus eigener Erfahrung, wie es ist,<br />

auf der Seventh Avenue in New York zu arbeiten<br />

– und am nächsten Tag gefeuert zu<br />

werden, wenn deinen Arbeitgebern Entwürfe<br />

nicht gefallen. Coco Chanel hat es<br />

Gedruckt mit Genehmigung von The Interview People.<br />

auch sehr gut hinbekommen, diese Welt zu<br />

erschaffen. Immerhin hat sie in den Zwanzigern<br />

schon den Selbstbräuner erfunden.<br />

Sie hat erstaunliche Dinge erreicht.<br />

Erinnern Sie sich an den Moment, als Sie<br />

zum ersten Mal etwas von Ihnen in einem<br />

Schaufenster entdeckten?<br />

T FKlar. Das erste Mal, dass ich meinen<br />

Namen auf einem Produkt gedruckt sah,<br />

war 2005 auf einer Sonnenbrille. Das hat<br />

mir damals viel bedeutet, weil mein Name<br />

Bad. Nur ich und ein bisschen warmes Wasser. Dabei<br />

denke ich über die Dinge nach, die ich erledigen muss.“<br />

zuvor immer nur zusammen mit Yves Saint<br />

Laurent oder Gucci aufgetaucht war.<br />

Sie haben Marken wie Yves Saint Laurent<br />

und Gucci in die richtigen Bahnen gelenkt<br />

und gleichzeitig 2004 Ihr eigenes Label<br />

gegründet. Warum arbeiten Sie heute lieber<br />

für Ihr eigenes Unternehmen?<br />

T FIch arbeite lieber in einem vergleichsweise<br />

kleinen Umfeld, weil ich an die Besonderheit<br />

meiner Entwürfe glaube. Das<br />

Futter, der Schnitt, die Verarbeitung - Dinge,<br />

die auf dem Laufsteg leicht verloren gehen<br />

würden. Dort muss man immer übertreiben.<br />

Ich will etwas erschaffen, das man<br />

für eine lange Zeit tragen kann.<br />

Was denken Sie über die Haute Couture?<br />

Würde es Sie reizen, sich darin zu versuchen?<br />

T FJedes Jahr werden Millionen in den<br />

Kunstmarkt investiert – und Couture ist<br />

Kunst. Sie fordert den perfekten Umgang<br />

mit Schnitten und Material, viel Arbeit und<br />

besondere handwerkliche Fähigkeiten. Als<br />

Designer will ich mich mit ihr aber noch<br />

nicht beschäftigen, obwohl viele meiner<br />

Entwürfe schon in diese Richtung gehen.<br />

Was ist das Besondere an Ihrer Kleidung?<br />

T FIch will, dass sie theoretisch für immer<br />

hält, dass die Kunden sie immer wieder gerne<br />

anziehen. Ich achte auf beste Qualität,<br />

die besten Stoffe, die stärksten Farben und<br />

den perfekten Schnitt. Mein Ziel ist es, dass<br />

die Menschen so gut wie möglich aussehen<br />

und sich so gut wie möglich fühlen.<br />

Was denken Sie über die Schnelllebigkeit<br />

und das Tempo der <strong>Mode</strong>welt?<br />

T FMir kommt ein Schneeball in den Sinn,<br />

der einen Berg herunterrollt und sich durch<br />

nichts aufhalten lässt. Vorbei die Zeiten, als<br />

es einen neuen Look pro Saison gab. Heute<br />

ist potentiell alles <strong>Mode</strong>. Ich kann Ihnen<br />

nicht genau sagen, wohin das führen wird,<br />

aber es ist interessant.<br />

Wie testen Sie Ihre Make-up-Produkte?<br />

T FOb Sie es glauben oder nicht, ich habe<br />

alle Produkte schon einmal benutzt – aber<br />

nicht auf einer drag party! Natürlich laufe<br />

ich geschminkt nicht aus dem Haus. Aber<br />

ich wollte selbst testen, ob meine Produkte<br />

halten, was sie versprechen. Vertrauen ist<br />

sehr wichtig.<br />

Wie gehen Sie damit um, wenn jemand anderer<br />

Meinung ist als Sie?<br />

T FWenn es ein ernsthaftes Problem gibt,<br />

greife ich zum Telefon. Ich trage allerdings<br />

kein Handy bei mir. Meistens schreibe ich<br />

Emails, Emails, Emails… Ich mag die Vorstellung<br />

nicht, für jeden erreichbar zu sein.<br />

Was sind Ihre schlechtesten Charaktereigenschaften?<br />

T FIch bin ein wahnsinniger Perfektionist.<br />

Es ist schrecklich, aber ich sage Leuten,<br />

dass ihre Augenbrauen nicht perfekt gezupft<br />

sind oder ihre Brustimplantate nicht<br />

die richtige Form haben. Ich trinke keinen<br />

Alkohol mehr. Wenn ich betrunken war,<br />

war ich ehrlich bis zur Boshaftigkeit.<br />

Ist es schwer, gute Freunde zu finden, wenn<br />

man berühmt ist wie Sie?<br />

T FMit anderen berühmten Leuten kann<br />

man schnell befreundet sein. Aber ja, ich<br />

mand<br />

so recht glaubt.<br />

Mögen Sie die Natur?<br />

T FAn meinem 50. Geburtstag bin ich zum<br />

Wildwasserrafting ins Nirgendwo gefahren.<br />

Ich mag Abenteuer, die mich heraus<br />

fordern. Ich bin gerne in der Natur. Ich liebe,<br />

dass sie so perfekt unperfekt ist. Hier<br />

gibt es nichts für mich zu tun. Was sollte ich<br />

auch machen: Bäumen und Steinen ein neues<br />

Design verpassen?! Deswegen kann ich<br />

dort so gut abschalten. Je älter man wird,<br />

desto mehr will man dorthin zurück, wo<br />

man herkommt. Für mich ist das Texas und<br />

New Mexico, wo man über hunderte Kilometer<br />

hinweg nur unberührtes Land sieht.<br />

Mich erfüllt das mit Ruhe und Frieden.<br />

Ihr Film „A Single Man“ mit Colin Firth in<br />

der Hauptrolle war ein Riesenerfolg, der<br />

auch international ausgezeichnet wurde.<br />

Wie haben Sie diese Zeit erlebt?<br />

T FIch hatte die ganze Zeit recht klar vor<br />

Augen, was ich machen wollte. Deswegen<br />

hatte ich auch keine Angst. Die Arbeit am<br />

Film war eine sehr emotionale Zeit, ich erinnere<br />

mich an kleinere Zweifel während<br />

des Schnitts. Ich will einen neuen Film produzieren,<br />

aber im Moment konzentriere ich<br />

mich ganz auf mein Label. Das Entwerfen<br />

von Frauenkleidung ist viel härter als die<br />

Arbeit als Regisseur. Beim Filmemachen<br />

kann man sich auch mal vier oder fünf Jahre<br />

Pause gönnen. Als Designer habe ich<br />

kaum Zeit durchzuatmen.<br />

Was machen Sie in Ihrer Freizeit?<br />

T FArbeiten! Ich liebe es, es erfüllt mich.<br />

Es ist ein anderer Genuss, als entspannt in<br />

der Wanne zu liegen, aber ich fühle mich<br />

ständig zu meiner Arbeit hingezogen.<br />

Warum haben Sie letztes Jahr der Oprah-<br />

Winfrey-Dokumentation über Ihr Leben<br />

zugestimmt? Es war das erste Mal, dass eine<br />

Kamera Sie begleiten durfte.<br />

T FIch liebe Oprah. Ich vertraue ihr – und<br />

sie bat mich darum.<br />

Was würden Sie jungen Designern raten,<br />

die der nächste Tom Ford werden wollen?<br />

T FIch hatte viele Vorteile. Es ist hart, ein<br />

eigenes Label zu gründen. Man muss den<br />

zukünftigen Arbeitgebern etwas zeigen<br />

können, Entwürfe bei sich tragen. Als junger<br />

Designer stand ich jeden Tag in der Lobby<br />

eines New Yorker Bürokomplexes. Darin<br />

arbeitete Cathy Hardwick, bei der ich einen<br />

Job haben wollte. Ich wartete jeden Tag an<br />

der Rezeption, ließ sie anrufen und fragte,<br />

ob sie runterkommen könnte, um mich zu<br />

treffen. Später gestand sie mir, dass sie<br />

mich nicht wegen meiner Entwürfe eingestellt<br />

hätte – sondern wegen meiner schönen<br />

Hände.<br />

Wie sehen Sie sich in der fernen Zukunft?<br />

T FIch würde gerne mehr Filme machen<br />

und noch mehr Kollektionen. Dass heißt<br />

nicht, dass ich nicht irgendwann damit aufhöre,<br />

noch bin ich absolut zufrieden mit<br />

meiner Arbeit. Irgendwann sehe ich mich<br />

als alten Mann in New Mexiko leben, der einen<br />

Hund besitzt und als Bildhauer arbeitet.<br />

Ich bin sehr glücklich.<br />

TOM FORD wurde 1961 in Austin, Texas geboren,<br />

lebt aber mittlerweile mit seinem Lebenspartner<br />

Richard Buckley in Italien. Die beiden gaben<br />

Ende September die Geburt ihres Sohnesbekannt.<br />

Sein Filmdebüt „A Single Man“ aus dem<br />

Jahr 2009 wurde mehrfach ausgezeichnet.<br />

44<br />

45


JÜRGEN TELLER<br />

„Zwei Schäuferle mit Kloß und eine Kinderportion Schnitzel mit<br />

Pommes Frites“ heißt ein Buch von ihm. Der Titel spielt auf Tellers<br />

Herkunft an: Geboren in einer bayrischen Kleinstadt als Sohn eines<br />

Geigenbauer-Paars, beginnt er eine Lehre als Bogenmacher, die er<br />

<br />

London, wo er bis heute lebt. Im Auftrag von Nick Knight porträtiert<br />

er Musiker wie den noch unbekannten Kurt Cobain. Diese Aufnahmen<br />

und seine <strong>Mode</strong>lbilder bringen den Durchbruch.<br />

Der konsequente Teller prägt seit dem mit seiner naturalistischen<br />

und oft sexualisier-<br />

suellen<br />

Ton der Branche.<br />

Zum Beispiel die<br />

Parfüm-Kampagnen<br />

von Marc Jacobs.<br />

ADAM KIMMEL<br />

Der Architekt ist der Konstrukteur<br />

der Männermodewelt: Adam Kimmel<br />

kreuzt die Funktionalität von Arbeitskleidung<br />

mit edlem Prêt-à-Porter-Chic.<br />

Coolness, Lässigkeit, dennoch Business-Style<br />

– eine no bullshit-Vision des<br />

heutigen Männerlooks. Gerade hat er<br />

sich ein Jahr Urlaub genommen. Vielleicht<br />

kommt danach<br />

mal eine<br />

– no –<br />

24<br />

Frauenkollektion!<br />

DONATELLA VERSACE<br />

23<br />

„Vater und Sohn, Bubenreuth 2005“<br />

Versace schreibt endlich wieder schwarze<br />

Zahlen – da wird selbst Donatellas emotionsloses<br />

Gesicht Erleichterung gezeigt haben.<br />

Ihr Label, das sie als Chefdesignerin<br />

führt, ist eigentlich das ihres ermordeten älteren<br />

Bruders Gianni, dessen Assistentin<br />

und Muse sie war. Donatella verpasste Versace<br />

schrillen Sexappeal und lancierte eine<br />

Haute-Couture-Kollektion. Ihren persönlichen<br />

Stil hingegen hat sie kaum verändert.<br />

Schlauchkleider, braungebrannt, platinblondes<br />

Haar und ein von Schönheits-OPs<br />

modelliertes Gesicht sind zu ihren Markenzeichen<br />

geworden – und zum Symbol für<br />

den hintersinnigen Glamour des Labels.<br />

HUSSEIN CHALAYAN<br />

Während andere<br />

Designer mit der<br />

Kunst nur kokettieren,<br />

geht Hussein<br />

Chalayan mit<br />

ihr eine Symbiose<br />

ein. Auf Zypern<br />

– no –<br />

26<br />

– no –<br />

25<br />

– no –<br />

geboren, kam er als Kind nach London und<br />

studierte dort am Central Saint Martins<br />

College, wo er für Aufmerksamkeit sorgte,<br />

als er seine Kollektion im Garten vergrub,<br />

ihr den Titel „Buried“ gab und die wieder<br />

ausgebuddelten, leicht verrotteten Seidenteile<br />

als Abschlussshow präsentierte.<br />

Schon früh zeigte der heute 42-Jährige damit<br />

ein konzeptionelles Verständnis von<br />

<strong>Mode</strong>. 1994 gründete er sein eigenes Label<br />

und zeigte nur ein Jahr darauf zum ersten<br />

Mal seine Entwürfe. Chalayans Shows erinnern<br />

mehr an eine perfekt inszenierte Performance<br />

als an einen typischen Laufsteg.<br />

Kein Wunder also, dass seine Ideen und<br />

Entwürfe oft in Form von Ausstellungen gezeigt<br />

werden – wie zum Beispiel im Londoner<br />

Design Museum. Seit 2008 ist Chalayan<br />

auch Kreativdirektor für eine Sonderlinie<br />

bei Puma. Der Grenzgänger bezeichnet seine<br />

Arbeit gerne als ein Labor, in dem entwickelt<br />

und geforscht wird. Sein liebstes Thema:<br />

den Körper und dessen Silhouette für<br />

<br />

Foto: François Coquerel, Text: Lisa Leinen<br />

MICHÈLE<br />

MONTAGNE<br />

Michèle Montagne hat Designstars<br />

wie Haider Ackermann und Ann<br />

Demeulemeester entdeckt. Als<br />

PR-Beraterin gehört sie zu den<br />

Türstehern und Drahtziehern der<br />

<strong>Mode</strong>industrie, ihre Macht ist ihr<br />

Gespür für Talent. Was es braucht,<br />

um so einen Job zu machen? Vor<br />

allem eines: Leidenschaft.<br />

- no -<br />

27<br />

Ihre Karriere begann vor 30 Jahren in Paris.<br />

Sie brachten damals frischen Wind in die<br />

<strong>Mode</strong>szene. Wie haben Sie diese Zeit erlebt?<br />

MICHÈLE MONTAGNE Ich denke, ich war so etwas<br />

wie eine Beobachterin. Ich habe mich<br />

umgeschaut und entdeckt, wie schnell die<br />

<strong>Mode</strong> sich verändern kann. Plötzlich ging es<br />

nicht mehr nur um einen Ausdruck von<br />

Schönheit und Eleganz, sondern um Emotionen.<br />

Das war damals eine wahre Revolution.<br />

Ich habe sie aufgegriffen.<br />

Was hat sich seither in der <strong>Mode</strong> verändert?<br />

M MDie ganze Welt hat sich verändert,<br />

nicht nur die der <strong>Mode</strong>. Alles wurde global,<br />

und ich sehe Kreativität eher als etwas<br />

Anti-Globales, denn der Ort, an dem Kreati-<br />

vität entsteht, hat immer eigene Gesetzmäßigkeiten.<br />

Nichts bleibt für immer gleich,<br />

und das ist auch gut so. Die Veränderung<br />

gibt neue Energie für unseren Verstand.<br />

Wie sieht Ihr typischer Arbeitstag aus?<br />

M MDen habe ich nicht. Mein ganzes Tun<br />

ist den Designern und ihren Kollektionen<br />

gewidmet. Nach der Show ist vor der Show.<br />

In Interviews sagten Haider Ackermann<br />

und Ann Demeulemeester, dass Sie nicht<br />

nur PR-Beraterin, sondern auch Freundin<br />

und bedingungslose Unterstützerin sind.<br />

Demeulemeester verriet: „Ich könnte mir<br />

ein Leben ohne sie nicht mehr vorstellen!“<br />

M M Ann ist der perfektionistischste Mensch,<br />

den ich je getroffen habe, also nehme<br />

ich ihre Aussage als das schönste Kompliment.<br />

Die tägliche Arbeit mit Designern,<br />

die man schätzt, kann<br />

zu sehr engen Freundschaften<br />

führen. Es geht um Vertrauen.<br />

Vor 25 Jahren begegneten Sie<br />

Helmut Lang. Daraus entstand<br />

eine Freundschaft und eine glorreiche<br />

Zusammenarbeit, bis er<br />

nach New York zog. Es wird berichtet,<br />

dass er Sie gebeten hätte,<br />

mitzugehen – doch Sie blieben<br />

in Paris. Warum?<br />

M MHelmut und ich hatten zehn<br />

wundervolle Jahre zusammen.<br />

Die will ich in guter Erinnerung<br />

behalten. Er hatte diese Fähigkeit,<br />

einen ganz neuen Denkansatz<br />

in die <strong>Mode</strong> einzubringen.<br />

Inspiriert von deutscher und österreichischer<br />

Architektur verstand<br />

er es, eine kühle Sensibilität<br />

in minimalistische Entwürfe<br />

zu hüllen. Der Anfang war mühsam<br />

und zögerlich, aber der Erfolg<br />

riesig. Als er beschloss, in<br />

die Staaten zu gehen, um dort zu arbeiten,<br />

fragte er mich, ob ich dort nicht eine Zweigstelle<br />

gründen wolle. Doch aus persönlichen<br />

Gründen lehnte ich ab – und blieb in Paris.<br />

Auch später haben Sie nie darüber nachgedacht,<br />

mit Ihrer Agentur umzuziehen?<br />

M MAuf keinen Fall! Ich liebe Paris, ich liebe<br />

es, hier zu arbeiten. Diese Stadt ist genau<br />

das, wonach ich immer gesucht habe.<br />

Was treibt Sie an, diesen Job zu machen?<br />

M MGanz einfach: Leidenschaft.<br />

Wird diese Leidenschaft durch die schwierigen<br />

Bedingungen für junge Designer gedämpft?<br />

Haben die heutzutage noch Erfolgschancen,<br />

wenn sie nicht bei einem Label<br />

mit großem Budget unter Vertrag sind?<br />

M MWir gehen durch eine schwere Krise<br />

und seien wir ehrlich: Das fördert nicht gerade<br />

Freiheit und Unabhängigkeit.<br />

Was denken Sie über <strong>Mode</strong>blogger? Wie<br />

wichtig sind sie und werden sie vielleicht<br />

sein? Einflussreicher als Printmedien?<br />

M MIch liebe es immer noch, ein Magazin<br />

in den Händen zu halten, das Durchblättern<br />

und den Geruch von bedrucktem Papier.<br />

Karl Lagerfeld sagte einmal, dass Haider<br />

Ackermann der einzige ist, den er sich als<br />

Nachfolger für Chanel vorstellen kann. Wie<br />

wichtig ist so ein Kompliment für Sie?<br />

M MEnorm wichtig.<br />

Kurz vor einer Show gehen Sie den Designern<br />

zur Hand, helfen beim Abstecken, bei letzten<br />

Änderungen, sogar beim Anziehen der<br />

Schuhe. Haben Sie jemals darüber nachgedacht,<br />

selbst zu entwerfen?<br />

M MNein! Ich mag das weiße Blatt nicht.<br />

Ich komme erst hinzu, wenn bereits erste<br />

Zeichnungen gemacht sind.<br />

Wie entscheiden Sie, mit wem Sie arbeiten,<br />

wen Sie fördern wollen? Welche Charaktereigenschaften<br />

muss ein Designer in Ihren<br />

Augen haben, um erfolgreich zu sein?<br />

„Ich muss verstehen,<br />

was hinter der Kleidung<br />

steckt, um zu ihrem<br />

Erfolg beizutragen. Die<br />

Entwürfe müssen mich<br />

verführen.“<br />

M MDas Wichtigste ist Talent. Und das<br />

spür<br />

zusammenpassen. Ich muss verstehen,<br />

wer und was hinter der Kleidung<br />

steckt, um zu ihrem Erfolg beitragen zu<br />

können. Und dann ist da die Verführung...<br />

Die Entwürfe müssen mich verführen!<br />

MICHÈLE MONTAGNE gründete ihre gleichnamige PR-<br />

Agentur bereits in den Achtzigern in Paris. Heute<br />

betreut sie unter anderem Designer wie Ann<br />

Demeulemeester und Haider Ackermann, früher<br />

auch Helmut Lang und Rick Owens.<br />

46<br />

47


– no –<br />

29<br />

NICK KNIGHT<br />

ALBER ELBAZ<br />

JEAN PAUL GAULTIER, 1999<br />

Kette PHILIPP TREACY<br />

48<br />

28- no -<br />

JEAN PAUL<br />

GAULTIER<br />

Seine erste Kollektion präsentierte Gaultier<br />

1976, nachdem er sechs Jahre lang als Assistent<br />

bei Pierre Cardin gearbeitet hatte. Cardin<br />

wurde auf Gaultiers Zeichnungen aufmerksam<br />

und ignorierte, dass der junge<br />

Franzose weder eine Ausbildung noch ein<br />

<strong>Mode</strong>studium absolviert hatte. Seit 1997<br />

kreiert Gaultier neben seinen Prêt-à-Porter-<br />

Shows auch Couture-Roben und extrem<br />

<br />

Beispiel für „Das 5. Element“ oder „La mala<br />

Educación“). Sein Korsett mit den spitzen<br />

Brustkegeln für Madonna, das sie 1990 auf<br />

ihrer Tour trug, unterstrich erneut sein<br />

Image als Ironiker der <strong>Mode</strong>. Vor seiner aktuellen<br />

Show irritierte Gaultier vor kurzem<br />

das Pariser Publikum, weil er Doubles der<br />

Band Kiss in die front row gesetzt hatte.<br />

Auch die folgende Show war eine Hommage<br />

an die Stars der Achtziger, die seinen Stil<br />

maßgeblich prägten.<br />

Nick Knight by Ruth Hogben, 2009. Courtesy of SHOWstudio.com.<br />

ANNA WINTOUR<br />

– no –<br />

30<br />

Einen Text von nur knapp 1000 Zeichen über Anna Wintour zu verfassen, ist im Prinzip unmöglich.<br />

Hier trotzdem ein Versuch: 1949 in London geboren, brach sie mit 16 das College ab,<br />

hoots.<br />

So entschied sie sich, eine Karriere als <strong>Mode</strong>journalistin anzustreben. Sie wurde Redakteurin<br />

bei Harper’s Bazaar, später Chefredakteurin der britischen Vogue und von House<br />

<br />

Frau der <strong>Mode</strong>branche: Wen sie fördert, der wird erfolgreich, wen sie fallen lässt, der verschwindet<br />

in der Bedeutungslosigkeit. Nebenbei stylte sich die 63-Jährige selbst zur Ikone.<br />

Kühles Lächeln, die gleiche Bob-Frisur, die sie sich erstmals mit 14 schneiden ließ, und eine<br />

große Sonnenbrille (mit Korrekturgläsern), hinter der sie ihre kritischen Augen verbirgt: Ein<br />

Ende der Ära Wintour würde eine Zeitenwende in der Branche bedeuten.<br />

TOMMY HILFIGER<br />

Die College-Jacke gehört zu den großen<br />

Revival-Trends des Jahres. Was wenige<br />

<br />

den Achtzigern in der <strong>Mode</strong> etablierte.<br />

<br />

als modische Accessoires salonfähig und<br />

erfand neben Ralph Lauren die All-American<br />

Fashion. Bis heute ist der lässige Look<br />

Markenzeichen des Labels, ebenso wie das<br />

Logo in Rot-Weiß-Blau,<br />

den Farben der amerikanischen<br />

Flagge.<br />

– no –<br />

31<br />

Auf den ersten Blick mag der etwas korpulente<br />

Mann mit der Knollennase und der<br />

Brille nicht in die <strong>Mode</strong>welt passen. Stets<br />

gehüllt in einen dunklen Anzug plus weißem<br />

Hemd mit Fliege oder auffälligem<br />

Halstuch, gilt er als konservativ und ängstlich.<br />

Auch ohne viel Tamtam gehört Alber<br />

Elbaz zu den größten <strong>Mode</strong>machern unserer<br />

Zeit. Bereits seit 2001 ist er Chefdesigner<br />

beim Traditionshaus Lanvin, zuvor war er<br />

dies bei Yves Saint Laurent. Mit Lanvin<br />

fand Elbaz, der in Israel aufwuchs und studierte,<br />

ein Label, das seinen Charakter wi-<br />

<br />

So setzt er den ursprünglichen Gedanken<br />

der Gründerin Jeanne Lanvin fort, nicht den<br />

Trends, sondern dem persönlichen Gespür<br />

für Stil zu folgen.<br />

49<br />

– no –<br />

32<br />

Von der englischen Arbeiterklassejugend<br />

bis zu Lady Gaga – Nick Knight<br />

ist nicht nur einer der bekanntesten,<br />

sondern auch einer der vielfältigsten<br />

Fotografen. 1982 erschien sein erstes<br />

Buch, in dem Knight, damals noch<br />

Student, die englische Skinhead-<br />

Bewegung dokumentierte. Seine ein<br />

dringlichen Schwarz-Weiß-Aufnah-<br />

<br />

redakteur Terry Jones. Er engagierte<br />

den jungen Fotografen, um 100 Portraits<br />

für eine Jubiläumsausgabe des<br />

Magazins aufzunehmen. Fortan tauchte<br />

Knights Name immer öfter im Zusammenhang<br />

mit <strong>Mode</strong> auf. 1986 foto-<br />

lookbook für<br />

den japanischen Designer Yohji Yamamoto.<br />

Es folgte eine Karriere zwischen<br />

Kunst und Kommerz, zwischen Editorials<br />

und Kampagnen – unter anderem<br />

für Alexander McQueen, Yves Saint<br />

Laurent, Jil Sander, Lancôme, Mercedes-Benz<br />

und Royal Opera House.<br />

2006 gründete er ein Online-Projekt<br />

namens SHOWstudio: Kurze Videos,<br />

Twitter-Nachrichten und Instagram-<br />

Fotos werden von den Mitarbeitern<br />

hochgeladen – unter ihnen auch Agyness<br />

Deyn, Adam Kimmel und Alexander<br />

Wang. Neben seiner Tätigkeit als<br />

Fotograf ist der stets konzeptionell<br />

arbeitende Nick Knight also vor allem<br />

eines: ein Visionär.


- no -<br />

33<br />

Carine Roitfeld wurde für ihren verruchten<br />

Look und die provokanten<br />

Fashionshoots in der französischen<br />

Vogue weltberühmt. Nach einem<br />

Jahrzehnt als deren Chefredakteurin<br />

stolperte sie über eine Bildstrecke<br />

mit einer geschminkten 10-Jährigen<br />

in Heels. Das jedoch gab ihr die Freiheit<br />

zurück, an eigenen Projekten zu<br />

arbeiten. Einfach macht sie es sich<br />

deshalb noch lange nicht.<br />

Carine Roitfeld trägt ein schwarzes Negligé.<br />

Sie lässt sich auf einem schwarzen Ledersofa<br />

in einem Fotostudio am Pier 59 in New<br />

York nieder. Für sie geht gerade ein Tag vor<br />

der Kamera zu Ende. Normalerweise steht<br />

Roitfeld dahinter – diesmal ist sie als <strong>Mode</strong>l<br />

<br />

düsterem Schwarz-Weiß für Roitfelds neue<br />

Kampagne mit MAC Cosmetics.<br />

Die 57-jährige ehemalige Chefredakteurin<br />

der französischen Vogue ist vor kurzem<br />

Oma geworden; ihre Tochter Julia bekam<br />

ihr erstes Kind. Heute allerdings hat Roitfeld<br />

nichts Großmütterliches an sich. Sie<br />

trägt einen Seidenslip von Olatz Schnabel<br />

und einen Mantel von Kiki de Montparnasse.<br />

Ihr Augen-Make-up ist verwischt. Die<br />

Bilder werden eine MAC-Kollektion lancieren,<br />

die auf Roitfelds typischem Stil beruht.<br />

Der sei „a little bit destroy“, wie sie in einem<br />

fabelhaft holprigen Englisch sagt.<br />

„Ich mag es, meine Augen schwarz zu umrahmen,<br />

das gelingt mir nie wirklich gut.<br />

Sieht aber sexy aus und es ist natürlich<br />

falsch, mit Make-up ins Bett zu gehen.<br />

<br />

ich toll.“<br />

Auf ihrer Wange ist ein kleiner schwarzer<br />

Stern geschminkt. „Ich wollte immer einen<br />

ben.<br />

So bin ich auf die Idee zu diesem Stem-<br />

<br />

liner füllt. Ich dachte, ein Stern macht mehr<br />

Spaß als ein Muttermal.“<br />

Sie erzählt, wie sie während des Shoots an<br />

Ryan Gosling gedacht hat, um sich sexy zu<br />

fühlen. Sie mag es, zu provozieren. Es liegt<br />

eine laszive französische Ironie in allem,<br />

was sie sagt, ein Hauch von Theatralik und<br />

Verruchtheit. Carine Roitfeld ist eine Verführerin<br />

– der lebende Beweis dafür, dass<br />

eine Frau, zumindest eine Pariserin, in jedem<br />

Alter sexy sein kann.<br />

Das Spiel mit der Erotik war auch der Motor<br />

von Roitfelds Karriere – von ihrem ersten<br />

Job vor 30 Jahren als Stylistin bei der französischen<br />

Elle, als Beraterin für Tom Ford<br />

während seiner Gucci-Jahre und schließlich<br />

ab 2001 als Vogue-Chefredakteurin. „Pah“,<br />

sagt sie dazu. „Viele behaupten, ich sei die<br />

Königin des Porno-Chics. ‚Chic‘ ist gut, aber<br />

‚Porno‘ trifft es nicht. Ich freue mich sehr,<br />

dass Sie das Wort erotisch und nicht porno-<br />

<br />

nie als Objekt, und selbst wenn wir Fesseln<br />

benutzen (Anmerkung d. Red.: Karen Elson<br />

wurde 2007 für einen Shoot mit einer Vorhangkordel<br />

gefesselt), geht es nicht darum,<br />

eine leidende Frau zu zeigen. Meine Frau ist<br />

tough. Die Frau ist mir immer wichtiger als<br />

die Kleidung, die ich ihr anziehe. Ich sehe<br />

das <strong>Mode</strong>l meist als Schauspielerin.“<br />

Man sollte jedoch nicht den Fehler machen,<br />

von Roitfelds visuellen Vorlieben auf ihr<br />

Privatleben zu schließen – die Sinnlichkeit<br />

ist rein geschäftlich. „Es geht nur um Bilder“,<br />

sagt sie streng. „Man hielt mich für<br />

eine Nymphomanin. Aber ich bin seit 30<br />

Jahren mit meinem Mann zusammen. Wir<br />

sind nicht verheiratet, weil ich abergläubisch<br />

bin, aber sexbesessen war ich nie.“<br />

So kompromisslos und provokant sie in Gesprächen<br />

wirken mag, im normalen Leben<br />

ist sie es nicht. Zusammen mit ihrem Partner,<br />

Christian Restoin, und ihren zwei Kinder<br />

sind die Roitfelds zu einer der Königsfa-<br />

Text: Melissa Whitworth, Foto: Mario Testino / Rizzoli Verlag<br />

CARINE<br />

ROITFELD<br />

milien der internationalen <strong>Mode</strong> geworden.<br />

Restoin steckt hinter dem klassischen französischen<br />

Casual-Label Equipment. Julia,<br />

ativberaterin.<br />

Tom Ford machte sie 2006<br />

zum Gesicht seines ersten Parfums Black<br />

Orchid. Vladimir, der Sohn, arbeitet als<br />

Kunsthändler und Kurator und ist fester<br />

Bestandteil der New Yorker Szene.<br />

„Ich sehe vielleicht nach Rock’n’Roll aus,<br />

wegen meiner schwarzen Augen, der<br />

schwarzen Kleidung, weil ich ziemlich dünn<br />

bin. Aber ich war schon immer mehr eine<br />

Mama als eine Chefredakteurin. Ich telefoniere<br />

täglich mit meinen Kindern. Bei uns<br />

gibt es einen engen Familienzusammenhalt.<br />

Meine Kinder sind das Wichtigste für<br />

mich, ich möchte, dass sie das spüren.“<br />

Gerade ist Roitfeld Großmutter geworden.<br />

„Ich freue mich sehr, Oma zu sein. Aber was<br />

bedeutet das? Für mich war eine Oma immer<br />

eine sehr alte Frau.“ In diesem Moment<br />

betritt Mario Sorrentis Frau, Mary Frey,<br />

das Studio. Roitfeld teilt ihr, als müsse sie<br />

etwas beweisen über Großmütter, trocken<br />

mit, dass sie glaube, Sorrenti hätte „sich<br />

heute etwas verliebt“. Dann lehnt sie sich<br />

„Ich sehe vielleicht nach Rock’n’Roll aus, wegen meiner<br />

schwarzen Augen, der schwarzen Kleidung, weil ich<br />

ziemlich dünn bin. Aber ich war schon immer mehr<br />

eine Mama als eine Chefredakteurin.“<br />

pseudokonspirativ vor und sagt: „Ich ärgere<br />

sie immer, indem ich behaupte, ich versuche<br />

ihren Mann zu verführen.“ Dabei zieht<br />

Roitfeld ihre charakteristischen Augenbrauen<br />

herausfordernd hoch.<br />

Roitfeld wurde als Tochter eines aus Russland<br />

emigrierten Vaters und einer französischen<br />

Mutter in Paris geboren. Ihre Mutter<br />

bezeichnet sie als die ultimative, klassischschicke<br />

Französin. Eine ihrer ersten Erinnerungen<br />

an die modische Seite ihrer Mutter<br />

war, als sie beim Auftragen des<br />

Lidstrichs half. „Sie trug ein Pucci-Kleid,<br />

50<br />

51


und ich half ihr, den schwarzen Eyeliner in<br />

einer geraden Linie zu schminken. Es kann<br />

schwierig sein, dabei symmetrisch zu bleiben,<br />

also bat sie mich, es zu tun.“<br />

Sie begann mit 18 zu modeln, aber wandte<br />

sich schnell dem Styling zu. In den Neunzigern<br />

waren die sexy-glänzenden Werbebilder,<br />

die sie mit Mario Testino für Gucci<br />

machte, nicht nur extrem wichtig, um die<br />

damals angeschlagene italienische Marke<br />

neu zu positionieren, sondern entscheidend<br />

dafür, das Label als globalen Superbrand zu<br />

lancieren.<br />

Durch die starke Ausbreitung von Blogs, die<br />

nach minute-by-minute-Neuigkeiten von<br />

Fashion-Shows und Partys gieren, ist das<br />

Interesse an Roitfeld immer größer geworden.<br />

Ihr charakteristischer Stil und ihre offenherzige<br />

Art haben sie zu einer Celebrity<br />

gemacht. „Ach“, winkt Roitfeld ab. „Viele<br />

Menschen lieben die <strong>Mode</strong>. Sie sind neugierig<br />

und wollen alles wissen. In den Neunzigern<br />

waren es die Supermodels und Fotografen,<br />

dann gab es mit Anna Wintour den<br />

super-editor. Ich habe vielleicht eine starke<br />

Persönlichkeit, aber vor zehn Jahren – vor<br />

den Blogs – kannte mich niemand.“<br />

Einer der Handlungsstränge in Lauren<br />

Weisbergers Schlüsselroman „Der Teufel<br />

trägt Prada“ über ihre Zeit als Wintours Assistentin<br />

handelt von einer französischen<br />

Redakteurin, die plane, die Leitung des<br />

amerikanischen Magazins zu übernehmen.<br />

Es gab Gerüchte, dass dies mehr war als<br />

nur eine Geschichte und Roitfeld tatsächlich<br />

als Wintour-Nachfolgerin gehandelt wurde.<br />

„Das war frei erfunden“, sagt Roitfeld über<br />

die angebliche Rivalität unter Kolleginnen.<br />

„Anna ist tough, aber sie ist sehr ehrlich.<br />

Ich mag das. Als meine Kinder nach New<br />

York kamen, lud sie sie zum Abendessen<br />

ein. Als Mutter sind das Dinge, die man<br />

nicht vergisst. Sie ist nicht meine beste<br />

Freundin, wir telefonieren selten, aber ich<br />

respektiere sie. Und je älter man in diesem<br />

Geschäft wird, desto weniger Leute respektiert<br />

man.“<br />

Es gab viele Kontroversen während Roitfelds<br />

Zeit bei der französischen Vogue – zumindest<br />

zwischen den Seiten des Blattes.<br />

Ihr Ziel war, den Esprit der Siebziger und<br />

Achtziger fortzuführen, als Fotografen wie<br />

Guy Bourdin und Helmut Newton mit erotischen<br />

Fotos das Magazin prägten. Das war<br />

nicht immer einfach. „Es wird immer mehr<br />

zensiert. Man kann heute weniger weit gehen<br />

als noch vor 20, 30 Jahren. Es ist nicht<br />

so, dass die Kritiker immer falsch liegen<br />

würden. Natürlich sind Zigaretten ungesund<br />

und Magersucht schlimm. Aber man<br />

hat weniger Freiheiten. Das ist traurig, weil<br />

<strong>Mode</strong> leicht, spielerisch und nicht angestrengt<br />

wirken soll.“<br />

Eine Shoot, inspiriert durch Roitfelds Paranoia<br />

vor öffentlichen Toiletten, zeigte ein<br />

<strong>Mode</strong>l, das auf einem Parkplatz pinkelte.<br />

„Als ich noch in Nachtclubs unterwegs war,<br />

waren in einigen Kameras auf den Toiletten<br />

angebracht, um den Drogenkonsum zu kontrollieren.<br />

Daraufhin beschloss ich, in einem<br />

Nachtclub nie wieder auf die Toilette<br />

zu gehen, lieber draußen hinter einem Auto.<br />

So kam es zu diesem Bild.“<br />

Anna Wintour, Alexandra Schulman von<br />

der englischen Vogue oder auch Christiane<br />

Arp von der deutschen würden solche Obsessionen<br />

nie zugeben. „Für mich war es<br />

nun mal so“, sagt Roitfeld. „Es ist wichtig,<br />

„Man hat heute weniger Freiheiten.<br />

Das ist traurig, weil <strong>Mode</strong> leicht, spielerisch<br />

und nicht angestrengt wirken soll.“<br />

sich einen Sinn für Humor zu bewahren,<br />

ohne den Chic dabei zu opfern. Sogar wenn<br />

das Mädchen hinter einem Auto pinkelt,<br />

macht sie das mit einer schicken Attitude.“<br />

Ernster wurde es, als nach Erscheinen der<br />

Dezemberausgabe 2010, die Tom Ford als<br />

Gastchefredakteur betreut hatte, die französische<br />

Vogue beschuldigt wurde, Pädophilie<br />

Vorschub zu leisten. Das Heft zeigte<br />

Bilder eines 10-jährigen <strong>Mode</strong>ls in High<br />

Heels und Lippenstift, auf Tigerhaut posierend<br />

mit der Überschrift: „Quel maquillage<br />

à quelle age?“ (Welches Make-up in welchem<br />

Alter?).<br />

Man munkelt, dass Roitfeld darüber gestolpert<br />

sei. Nur wenig später, am 17. Dezember<br />

2010, gab sie ihren Rücktritt bekannt. Als<br />

Gerüchte kursierten, dass Condé Nast ihrer<br />

extravaganten Erotik überdrüssig geworden<br />

war, gab Roitfeld dem Spiegel ein Interview.<br />

„Heute geht es nur noch um Geld und<br />

das große Geschäft,“ sagte sie darin und ergänzt:<br />

„Zehn Jahre sind eine lange Zeit – be-<br />

dervolle<br />

Zeit, aber früher oder später wollen<br />

Vögel wieder in Freiheit leben.“<br />

Heute klingt sie nüchterner: „Es stimmt,<br />

man ist nicht frei und kann nicht an Projekten<br />

arbeiten, wie wir es gerade mit MAC<br />

tun. Ich war nicht frei, um zum Beispiel mit<br />

Karl Lagerfeld an seinen Kampagnen zu arbeiten.<br />

Ich konnte keinem Designer helfen.<br />

Das kann ich nun alles wieder machen.“<br />

<br />

<br />

Gastchefredakteurin des V Magazines. Ihr<br />

Buch „Irreverent“, das ihre Arbeit seit den<br />

frühen Neunzigern dokumentiert, wurde<br />

letzten Oktober veröffentlicht. Sie arbeitete<br />

mit Lagerfeld an einem Band über die Geschichte<br />

der ikonischen Chanel-Jacke und<br />

hat die letzten beiden Chanel-Kampagnen<br />

gestylt. „Lagerfeld nennt mich immer Madame<br />

Roitfeld, nie Carine. Er ist jetzt so etwas<br />

wie ein Rockstar. Wenn du mit ihm auf<br />

die Straße gehst, ist es, als läufst du neben<br />

J.Lo.“ Dann die Kollektion für MAC. „Können<br />

Sie sich das vorstellen? Ich als Gesicht<br />

einer Beauty-Linie? Ich bin gerade Oma geworden…<br />

Das ist der neue Trend.“<br />

Ein anderer Trend ist, dass Roitfeld sich<br />

wieder dem Magazinmachen zugewendet<br />

hat. Zweimal im Jahr erscheint nun ihr „CR<br />

Fashion Book“. „Als ich vor 30 Jahren an-<br />

tergedanken<br />

gemacht, ob Jean Paul Gaultier<br />

Anzeigen schaltet oder nicht. Wir waren<br />

komplett frei“, sagt sie. „Aber ich verstehe<br />

immer mehr, dass man die Labels berücksichtigen<br />

muss, wenn sie inserieren. Doch<br />

es muss ein Limit geben, sonst bist du kein<br />

Journalist mehr.“ Am Ende sagt sie: „Durch<br />

das neue Magazin setze ich mich stark unter<br />

Druck. Ich könnte ruhig leben, könnte<br />

Werbung machen, um Geld zu verdienen.“<br />

Aber Kompromisse sind ihre Sache nicht.<br />

„Vielleicht werde ich die letzte Jeanne D’Arc<br />

der <strong>Mode</strong> sein.“<br />

CARINE ROITFELD brachte Anfang des Jahres ihr<br />

Buch „Irreverent“ heraus und legte gerade mit<br />

dem eigenen Magazin „CR fashion book“ nach.<br />

Gedruckt mit Genehmigung von The Interview People. Erstmals im Stella Magazin erschienen<br />

LILLI THIESSEN<br />

Bildene Künstlerin<br />

Fotos: Irina Gavrich<br />

Text: Manuel Almeida<br />

Styling: Felix Leblhuber<br />

<strong>Mode</strong>ls/ Characters: Christian Rosa, Alex Ruthner,<br />

Barbora Sindleryova (Tempomodels), Lilli Thiessen<br />

<br />

PETAR<br />

PETROV<br />

- no -<br />

34<br />

Mailand, Paris… und Wien? Denkt man an<br />

<strong>Mode</strong> kommt einem nicht sofort Österreichs<br />

Hauptstadt in den Sinn. „Wien ist keine vor-<br />

rov,<br />

„aber die wenigen modischen Leute<br />

hier sind sehr inspirierend und interessant!“<br />

Wohl ein Grund, warum der in der<br />

Ukraine geborene Designer seit 2005 ausgerechnet<br />

dort sein Label führt. Waren seine<br />

Kollektionen anfangs eher sportlich, so<br />

hat er seinen Stil in den letzten Jahren drastisch<br />

geändert: „Vor zwei Jahren habe ich<br />

mich entschieden, meine beiden Linien in<br />

52


BARBORA SINDLERYOVA<br />

<strong>Mode</strong>l<br />

Petrov interpretiert seine Vorstellungen<br />

von <strong>Mode</strong> öfter auch mal<br />

in einem Kunstzusammenhang.<br />

eine exklusivere Richtung zu drehen. Ich<br />

würde also sagen, die Gründung unseres<br />

Labels hat neu begonnen.“<br />

Die Kollektionen nach dieser Stiljustierung<br />

sind eher leise. Kontrolliertes avantgardistisches<br />

Design in dunklen Farbnuancen<br />

zeichnen sie aus. „Wir haben unsere Produkte<br />

auf einen Punkt gebracht, an dem alles<br />

für uns stimmt und wir sehr modebewusste<br />

Kunden ansprechen“, erklärt Petrov,<br />

der bei Raf Simons und Victor & Rolf an der<br />

Universität für angewandte Kunst in Wien<br />

lernte. Dieses anspruchsvolle Klientel ist es,<br />

das ihn beim Entwerfen beschäftigt. Da<br />

kam Irina Gavrichs Vorschlag, die aktuelle<br />

Kollektion mit gemeinsamen Freunden zu<br />

<br />

natürlich gerade richtig. Denn auch Petrov<br />

interpretierte seine Vorstellungen von<br />

<strong>Mode</strong> öfter mal in einem Kunstzusammenhang.<br />

In der Kunsthalle Wien zeigte er Ende<br />

letzten Jahres zum Beispiel das Projekt<br />

„Maßanfertigung“, bei dem er mit der Musikerin<br />

Anja Plaschg alias Soap & Skin und<br />

dem Gestalter Tino Valentinitsch zusammenarbeitete.<br />

„Die Idee für das Shoot ist<br />

aber ganz spontan entstanden. Ich wollte<br />

schon immer meine Künstlerfreunde port-<br />

kanntenkreis<br />

zählen der Maler Alexander<br />

Ruthner, der das Kunstmagazin EINE herausbringt,<br />

und Lilli Thiessen, die als bildende<br />

Künstlerin Objekte, Collagen und Bilder<br />

schafft. Auch der ehemalige Herausgeber<br />

vom Placed Magazine, Christian Rosa, der<br />

heute als Maler und Fotograf arbeitet, und<br />

<strong>Mode</strong>l Barbora Sindleryova, die Gavrich als<br />

ihre Muse bezeichnet, setzte sie in Petrovs<br />

Kleidung in Szene. Im Gegensatz zum standarisierten<br />

<strong>Mode</strong>ltyp die Idealbesetzung<br />

für Gavrich: „Vielleicht liegt es daran, dass<br />

ich in den Neunzigern aufgewachsen bin<br />

und deshalb gern Charaktergesichter und<br />

Emotionen in <strong>Mode</strong>strecken sehe. Schönheit<br />

liegt nicht unbedingt in Perfektion. Und<br />

natürlich liebe ich es, etwas oder jemand<br />

anders als erwartet zu zeigen.“<br />

Ihre Fotos zeigen Petrovs <strong>Mode</strong> auf eine natürliche<br />

Weise, sie spiegeln deren kühle<br />

Grandezza wieder. Die Motive spielen mit<br />

dem Sexappeal der Künstler, bewegen sich<br />

elegant auf der Grenze zwischen <strong>Mode</strong>aufnahmen<br />

und privatem Schnappschuss.<br />

„Künstler sind selbst Kreative, deshalb ist<br />

es einfach, mit ihnen zu arbeiten. Sie ma-<br />

<br />

sofort mit“, sagt Gavrich. Die unangestrengte<br />

Atmosphäre der Bilder passt per-<br />

ALEXANDER RUTHNER<br />

Maler und Herausgeber des Kunstmagazins EINE<br />

54


LILLI THIESSEN<br />

fekt zu Petar Petrovs Entwürfen. „Ich liebe<br />

Kleidung, die einfach ist und sich leicht und<br />

easy trägt. Ich liebe Stücke, die trotz ihrer<br />

Einfachheit durch Silhouette und Material<br />

aufregend wirken“, sagt der 34-Jährige.<br />

Nicht nur die Ästhetik der Bilder, die<br />

Kleidung und die Personen, die sie tragen,<br />

passen zueinander, alles zusammen<br />

steht stellvertretend für die <strong>Mode</strong>visionen<br />

der österreichischen Hauptstadt. Die geerdete<br />

Coolness einer kleinen Szene,<br />

in der man sich kennt und aneinder vertraut,<br />

scheint der perfekte Ausgangspunkt<br />

zu sein, um einen neuen Wiener Stil in die<br />

Welt zu tragen.<br />

LILLI THIESSEN<br />

CHRISTIAN ROSA<br />

Maler und Fotograf<br />

BARBORA SINDLERYOVA


Text Jan Joswig<br />

MAHARISHI<br />

Hardy Blechman sorgte mit seinem<br />

Label Maharishi in den Neunzigern<br />

dafür, dass Camouflage-Muster<br />

nicht nur vom Militär getragen wurden,<br />

sondern auch bei HipHop- und<br />

Techno-Fans Anklang fand. Gerade<br />

erlebt seine High-Fashion-Streetwear<br />

ein Comeback.<br />

Asiatische Drachenstickereien auf Army-<br />

<br />

Neunzigern schneiderte Maharishi Subkulturen<br />

von HipHop bis Techno die passenden<br />

<br />

das Label damals genau den Zeitgeist:<br />

Überleben im Großstadtdschungel und ausschweifende<br />

Ravenächte.<br />

Hardy Blechman baute seine 1994 gegründete<br />

Marke mit schamanistischer Geschäftspraxis<br />

aus: Kein Büro wurde ohne<br />

Fengshui-Berücksichtigung eingerichtet. Er<br />

ließ Sinnsprüche auf Etiketten drucken und<br />

bot seinen Mitarbeitern kostenlos Meditation<br />

und Yoga an. Maharishi wurde neben<br />

Stüssy zum Label für Urban-Streetwearschlechthin.<br />

Anfang der 2000er beschäftigte<br />

Blechman 25 Mitarbeiter in seinem Londoner<br />

Atelier und verkaufte in über 100<br />

Geschäften weltweit.<br />

Dann wollten die Kids plötzlich wieder tra-<br />

gen.<br />

Stüssy-Gründer Shawn Stussy hat sich<br />

längst nach Hawaii zur ewigen Welle verdrückt,<br />

aber Blechman lässt nicht locker.<br />

Die Zeiten sind wieder günstig für ihn, da<br />

jeder zweite BWLer auf Sinnsuche seine<br />

schmutzig erwirtschafteten Kröten in eine<br />

reinigende Yoga-Ausbildung steckt.<br />

Für die Maharishi-Show 2011 hat Hardy<br />

Blechman mit Palladium kooperiert, dem<br />

wieder erstarkten Rave-Schuhwerk der<br />

Neunziger. Und gerade hat er eine Casio G-<br />

Shock im Razzle-Dazzle-Muster entworfen,<br />

der Tarnung aus schwarzweißen Balken<br />

der Kriegsmarine im Ersten Weltkrieg. Das<br />

den<br />

ist wieder komplett.<br />

Wissen Sie eigentlich, wie<br />

wichtig Maharishi für die<br />

Techno-Bewegung in Berlin<br />

war? Raven und High<br />

Fashion kamen durch Ihre<br />

Kleidung zusammen.<br />

HARDY BLECHMAN Das war<br />

mir nicht bewusst. In Eng-<br />

– no –<br />

35<br />

Agent<br />

land stand Maharishi eher für HipHop. Ich<br />

mag es, dass verschiedene Szenen, dass<br />

Techno und HipHop über Maharishi in Verbindung<br />

traten. Aber ich verstehe Maharishi<br />

nicht als Ausrüster für eine spezielle<br />

Szene. Im Gegenteil: Dass Maharishi über<br />

Genregrenzen hinweg funktioniert, werte<br />

ich als Erfolg. In Deutschland gab es mehrere<br />

erfolgreiche HipHop-<strong>Mode</strong>label, die waren<br />

aber sehr jung ausgerichtet, mit gezeichneten<br />

B-Boy-Figuren, die einen Joint<br />

rauchen oder eine Spraydose in der Hand<br />

halten. Das ging mir zu sehr in eine Comic-<br />

Richtung, genauso wie die US-amerikanischen<br />

Marken wie Fubu oder Ecco mit ihren<br />

riesigen Label-Schriftzügen. Ich wollte<br />

nie über Branding verkaufen, sondern über<br />

die Qualität meiner Kleidung. Aber in den<br />

USA sind die Copyright-Gesetze problematischer.<br />

Man kann dort kein dreidimensionales<br />

Design schützen lassen. Also sind die<br />

Marken gezwungen, aus Selbstschutz ihre<br />

Kleidung mit ihrem Produktnamen unverwechselbar<br />

zu machen. Deshalb hat auch<br />

<br />

prangen.<br />

Dafür kann man mit dem kunstvollen<br />

Maharishi-Design erwachsen werden, ohne<br />

mit der Jugendkultur brechen zu müssen.<br />

Bei den Logo-Exzessen der anderen Labels<br />

ist das nicht so.<br />

H BIn den Neunzigern verfolgte High Fashion<br />

eine sehr minimalistische Linie. Helmut<br />

Lang zum Beispiel. Ich war nicht der<br />

Erste, der davon abwich und Militär-Design<br />

für die <strong>Mode</strong> nutzte. Aber ein paar meiner<br />

Entwürfe waren wirklich originell. Die<br />

Kernaussage von Maharishi hat sich über<br />

die letzten 25 Jahre nicht geändert, sie ist<br />

tur,<br />

nicht den Krieg! Die heutige Kon-<br />

<br />

ist so ein tragisches Missverständnis<br />

wie das um<br />

das Swastika-Symbol oder<br />

um Vietnam. Vor dem Einmarsch<br />

der US-Amerikaner<br />

dort galt das Land als<br />

ein tropisches Paradies,<br />

heute steht es vor allem für<br />

58<br />

imperialistischen Krieg. Vor den Nazis symbolisierte<br />

die Swastika für Jahrhunderte<br />

den Frieden, heute ist das Hakenkreuz<br />

nicht mehr von den Naziverbrechen trenn-<br />

<br />

bis zum Ersten Weltkrieg mit der Natur. Die<br />

Menschen haben dazu eine natürliche<br />

<br />

Sie umarmen also gerne Platanen!<br />

H BDas Militär tarnt sich nicht nur durch<br />

schen<br />

zu diesen Mustern für ihre Rekrutierungspropaganda<br />

aus. Uniformen hatten<br />

immer die Aufgabe, die Soldaten zu schmücken.<br />

Als man noch Mann gegen Mann<br />

kämpfte, zeigte man mit schmückendem<br />

Rot den Stolz auf seine Profession. Erst die<br />

Distanzkriege machten eine Tarnung erforderlich.<br />

Ende des 19. Jahrhunderts begannen<br />

Soldaten, sich durch Dreck im Gesicht<br />

und auf der Kleidung dem Untergrund anzugleichen.<br />

Diese Eindreckung hat schwer<br />

am Selbstbewusstsein der Soldaten genagt.<br />

In lahmer Khakikleidung der Damenwelt<br />

gegenübertreten? Erst Ende der<br />

Zwanziger wurde in Italien eine Technik<br />

„Camouflage feiert die Natur, nicht den Krieg! Die heutige<br />

Konnotation von Camouflage ist so ein tragisches<br />

Missverständnis wie das um das Swastika-Symbol.“<br />

erfunden, die es ermöglichte, ein dreifarbiges<br />

Muster in Serie zu drucken, zuvor<br />

musste man es per Hand aufmalen. Da-<br />

<br />

Drucke möglich. Die Uniform sah wieder so<br />

schmuck aus wie zu Zeiten der roten<br />

Jacken. Das britische Verteidigungsministerium<br />

unterhält sogar eine Website, deren<br />

Zielgruppe 14- bis 16-Jährige sind: camouflage.mod.uk.<br />

Maharishi hingegen befreit<br />

<br />

<br />

Töten von anderen Mitgliedern seiner Spezies<br />

ausbilden lassen zu müssen. Das ist<br />

meine Mission.<br />

MAHARISHI ist das Label von Hardy Blechman.<br />

<br />

arbeitete er nach siebenjähriger Recherche in<br />

einem Buch. „DPM“ (Disruptive Pattern Material)<br />

<br />

auf fast 1000 Seiten.<br />

AGENT<br />

PROVOCATEUR<br />

Provocateur, 2008<br />

Gürtel Halaby<br />

Als Agent Provocateur bezeichnet man eigentlich<br />

eine Person, die im Auftrag des<br />

Staates, also des Gesetzeshüters, eine andere<br />

Person zu gesetzeswidrigen Handlungen<br />

provoziert. Dass auch Unterwäsche eine<br />

solche Rolle spielen kann, überlassen wir<br />

mal Ihren Spionagefantasien. Das englische<br />

Dessouslabel Agent Provocateur wurde in<br />

den Neunzigern von Joseph Corre, Sohn von<br />

Vivienne Westwood und Malcolm McLaren,<br />

und seiner mittlerweile geschiedenen Frau<br />

Serena Rees gegründet. Seither versetzt<br />

es Frauen wie Männer mit extravaganter<br />

Unterwäsche in Ekstase. Besonders die lasziven<br />

Kampagnen und ein prominenter<br />

Kundenstamm von Kate Moss bis Kylie Minogue<br />

machten Agent Provocateur vom<br />

kleinen Kultlabel zum Inbegriff einer globalisierten<br />

sexiness.<br />

59<br />

- no -<br />

36


Foto: Dusan Rejlin, Interview: Marcel Malachowski<br />

RICK OWENS<br />

Rick Owens mag die Provokation wie<br />

die Farben Grau, Schwarz und Weiß.<br />

Obwohl in seine Lilies-Linie mittlerweile<br />

auch Rot- und Gelbtöne vorgedrungen<br />

sind, bleibt er der große, dunkle Rebell<br />

der <strong>Mode</strong>. Den gothic-Vergleich kann<br />

er allerdings nicht mehr hören. Er sieht<br />

sich als <strong>Mode</strong>rnist und glaubt allen<br />

ernstes, dass wir in einer fantastischen<br />

Zeit leben.<br />

Die meisten Menschen würden gerne in<br />

Kalifornien leben. Sie sind dort aufgewachsen<br />

und haben mal gesagt, dass Ihre Jugend<br />

dort schrecklich gewesen sei. Warum?<br />

RICK OWENS Es war der Alltag. Ich war ein<br />

Weichei und bin in einer ziemlich konservativen<br />

Kleinstadt aufgewachsen. Ich hatte<br />

wenig Freiheiten, mich auszudrücken, wie<br />

ich wollte. Ich fühlte mich, als würde ich<br />

dort feststecken. Aber die Wut, die dadurch<br />

in mir gewachsen ist, hat mich angetrieben.<br />

Wahrscheinlich tut sie das immer noch. Es<br />

ist im Endeffekt also alles gut gegangen.<br />

Vor ein paar Jahren haben die Red Hot Chili<br />

Peppers über „Californication“ gesungen.<br />

Was denken Sie über den beach and fun<br />

lifestyle? Waren sie oft am Strand?<br />

R ONun, der Text zu „Californication“ ist in<br />

Wahrheit bösartig. Er handelt von der<br />

dunklen Seite der kalifornischen Sonne.<br />

So wie ich meine Heimatstadt Porterville<br />

erlebt habe. Aber ich liebe natürlich den<br />

Strand.<br />

Man sagt, dass Sie von der gothic-Subkultur<br />

beeinflusst sind. Gothic gilt auch als<br />

dunkel und leidend. Wie würden Sie es<br />

definieren?<br />

R OAusufernd und melodramatisch könnte<br />

man auch sagen. Aber ich würde mich und<br />

meine <strong>Mode</strong> nicht so bezeichnen. Für die<br />

meisten liegt das wahrscheinlich nahe -<br />

durch die dunklen Farben, die ich in meinen<br />

Kollektionen verwende, durch meine langen<br />

schwarzen Haare. Ich würde mich eher als<br />

<strong>Mode</strong>rnist bezeichnen.<br />

Man könnte vor allem in Ihren Möbelentwürfen<br />

auch Einflüsse von Rokoko und<br />

Barock sehen. Waren diese Zeiten unter<br />

ästhetischen Gesichtspunkten im Vergleich<br />

zur Gegenwart die besseren?<br />

R O <br />

steht für das Gegenteil. Und wenn überhaupt,<br />

dann erkennt man in ihr nur eine<br />

sehr reduzierte Form dieser Stile. Aber ich<br />

de<br />

die Zeit, in der wir leben, fantastisch.<br />

Was wir aus der Vergangenheit sehen, ist<br />

meistens nur das, was geblieben ist. Der<br />

ganze trash, der immer auch existiert hat,<br />

ist verschwunden. In 100 Jahren werden<br />

wir auf diese Zeit also wahrscheinlich als<br />

ein Designparadies zurückblicken. Die Ära,<br />

die mich übrigens wirklich fasziniert, ist die<br />

der zwanziger Jahre, als sich die Weichheit<br />

des Art nouveau zum Art Déco verhärtete.<br />

Sie entwerfen sowohl sehr geschlechtsspezifische<br />

als auch geschlechtsübergreifende<br />

37<br />

„Ich finde die Strenge von<br />

Uniformen sexy, wenn<br />

sich die Kleidung für beide<br />

Geschlechter ähnelt. Die<br />

Unterschiede von Mann<br />

und Frau werden dadurch<br />

besser sichtbar.“<br />

Kleidung. Ist das nicht ein Widerspruch?<br />

R OWidersprüche sind wahrscheinlich einige<br />

der wenigen Dinge, die ein bisschen in-<br />

<br />

die Strenge von Uniformen sexy, wenn sich<br />

die Kleidung für beide Geschlechter stark<br />

ähnelt. Die Unterschiede von Mann und<br />

Frau werden dadurch besser sichtbar.<br />

Sie werden häufig als Avantgarde-Designer<br />

bezeichnet. Sehen Sie sich auch so? Wollen<br />

Sie neue Trends kreieren oder eine Form<br />

zeitloser Schönheit schaffen?<br />

R OAch, ich bin ein Konservativer. Ein<br />

unvoreingenommener, aber amoralischer,<br />

konservativer Degenerierter.<br />

Sie leben in Paris. Sind die Pariser so chic,<br />

wie es immer behauptet wird?<br />

R OIch würde sagen, dass sich die Pariser<br />

sehr klassisch anziehen. Bei dem Wort chic<br />

denke ich immer an etwas Gewagteres. Das<br />

sehe ich eher in London als in Paris.<br />

In der Vergangenheit haben Sie viele Drogen<br />

genommen. Sind Arbeit, Abstinenz und<br />

Besonnenheit Ihre neuen Rauschmittel?<br />

R ODrogen und Alkohol haben damals großen<br />

Spaß gemacht. Arbeit, Abstinenz und<br />

Besonnenheit bereiten mir zurzeit großen<br />

Spaß.<br />

Mit welchen Materialien arbeiten Sie am<br />

liebsten?<br />

R OLeder, Seide, Baumwolle, Kaschmir,<br />

Zobel… Oh, da gibt es viele!<br />

Was fasziniert Sie an Pelz?<br />

R OLeder und Pelz sind für den <strong>Mode</strong>designer<br />

wie Marmor für den Bildhauer, obwohl<br />

ich meine Arbeit nicht mit Kunst gleichsetzen<br />

will. Aber es liegt eine Anziehungskraft,<br />

eine ursprüngliche Qualität im Pelz.<br />

Es gibt kaum ein sinnlicheres Material für<br />

einen <strong>Mode</strong>designer.<br />

Sie betreiben Läden in Tokio und Seoul. Sind<br />

diese Städte grundsätzlich viel modeinteressierter<br />

als europäische? Wurde dort<br />

nicht ein Sinn für Farben, Formen und Silhouetten<br />

bewahrt?<br />

R OMeine <strong>Mode</strong> wird niemals der Mehrheit<br />

der Menschen gefallen. Aber es gibt immer<br />

einen kleinen <strong>Teil</strong> in jeder Kultur,<br />

der meine Kleidung tragen will. So wie es<br />

immer eine Subkultur geben wird, in der<br />

man The Velvet Underground lieber mag als<br />

die Beatles. In manchen Städten und Ländern<br />

ist diese Subkultur größer, in anderen<br />

kleiner. Ich kann mich gut damit arrangieren.<br />

Aber ich ändere nichts an meinem Stil.<br />

Wäre es herablassend, das zu tun - oder<br />

<br />

Planen Sie nach Russland, Indien oder in<br />

den arabischen Raum zu expandieren?<br />

R OIch will überall dahin, wo man mich<br />

haben will.<br />

Wollen Sie Ihre Haare für immer lang<br />

tragen?<br />

- no - R OJa. Und ich wäre gerne für immer<br />

50, ich wäre gerne für immer stark und relevant.<br />

Aber die Wahrheit ist: Nichts von<br />

alledem hält forever.<br />

Wenn Sie einen ultimativen Rick-Owens-<br />

Look aus nur fünf <strong>Teil</strong>en zusammenstellen<br />

würden, wie sähe der aus?<br />

R OOverknee-Absatzstiefel, Superbaggy-<br />

Shorts aus Seidenkrepp, ärmelloses<br />

T-Shirt, Biker-Lederjacke in Schwarz, Grau<br />

oder Weiß. Oder eine Mischung aus diesen<br />

Farben.<br />

In Westeuropa herrscht ein puritanisches<br />

<strong>Mode</strong>verständnis. Ihre Entwürfe hingegen<br />

wirken häufig opulent...<br />

R OIch glaube, meine <strong>Mode</strong> wurde noch<br />

nie als opulent bezeichnet. Aber ich mag<br />

jede Art von Ausschweifungen.<br />

Sollten Frauen in Schwarz oder Weiß<br />

heiraten?<br />

R OIn der Kleidung, in der sie sich schön<br />

fühlen. Ich schlage Schwarz oder Grau<br />

vor, weil ich das mag. Und meine <strong>Mode</strong><br />

ist eine sehr persönliche Sache für mich.<br />

Alles, was ich mache, sind Vorschläge,<br />

ich proklamiere nichts. Ich biete<br />

eine Option an, kein Manifest.<br />

Denken Sie, dass unsere Gesellschaft verklemmt<br />

ist? Mögen Sie es, zu provozieren?<br />

R O<strong>Teil</strong>e der Gesellschaft sind mit Sicherheit<br />

verklemmt. Und ich gebe zu, dass ich<br />

die gerne provoziere. Liebevoll, nicht auf<br />

eine bittere Art – wie ich hoffe.<br />

Wo möchten Sie gerne leben, wenn Sie<br />

alt sind?<br />

R OIch bin gerade dabei, mir etwas in Venedig<br />

zu kaufen. Das ist doch ein schöner<br />

Ort.<br />

Sie wollen nicht zurück nach Porterville,<br />

wo Sie aufgewachsen sind?<br />

R ODahin will ich nie wieder zurück.<br />

Kann <strong>Mode</strong> die Welt retten?<br />

R ONein, aber vielleicht rettet sie Ihnen<br />

den Tag.<br />

RICK OWENS wurde 1961 in Porterville, Kalifornieren<br />

geboren und lebt seit 2003 mit seiner<br />

Frau, der Künstlerin Michele Lamy, in Paris.<br />

2002 präsentierte er seine erste Kollektion bei<br />

der New York Fashion Week. Die Show wurde<br />

von Anna Wintour gesponsert – sie gehörte zu<br />

seinen ersten Fans.<br />

60<br />

61


39<br />

– no –<br />

PETER PHILIPS<br />

Die großen <strong>Mode</strong>fotografen kennt man;<br />

vielen <strong>Fräulein</strong>-Leserinnen dürften<br />

Mario Testino oder Terry Richardson<br />

<br />

up-Artists? Da fällt den meisten kein<br />

Name ein. Wenn es unter jenen aber einen<br />

Star gibt, dann ist es der Belgier<br />

Peter Philips. Seit 2008 hat er als globaler<br />

Kreativdirektor von Chanels Ma-<br />

<br />

designer<br />

ist bekannt für seinen Einsatz<br />

ungewöhnlicher Materialien wie<br />

Federn oder Stoffe. Aufgewachsen<br />

ohne Internet, inspirierten ihn Magazine<br />

wie i-D und Fotos von Hollywoods<br />

Diven. Berühmt wurde er mit einem<br />

Raf-Simons-Shoot, für das er dem<br />

<strong>Mode</strong>l ein Mickey-Mouse-Gesicht samt<br />

Ohren aus schwarzer Spitze verpasste.<br />

Deshalb: Schenkt den Make-up-Artists<br />

mehr Beachtung, ohne sie wären die<br />

meisten Fotografen nur halb so gut.<br />

ETIENNE RUSSO<br />

So unübersichtlich der <strong>Mode</strong>zirkus auf<br />

den ersten Blick wirkt: In Wahrheit ist<br />

es nur eine Handvoll Personen, die die<br />

großen Häuser Saison für Saison in<br />

neuem Licht erscheinen lassen. Was<br />

Michel Gaubert für die Musik, ist<br />

Etienne Russo mit seiner 1995 eröffneten<br />

Agentur Villa Eugénie für die großen<br />

Schauen. Zu seinen Klienten zählen<br />

Chanel, Céline, Hugo Boss, Brioni,<br />

Moncler oder Dior. Angefangen hat<br />

Russo als Mädchen für alles (vom <strong>Mode</strong>l<br />

bis zum Lichttechniker oder Koch)<br />

bei Dries van Noten, mittlerweile verlässt<br />

sich die gesamte Branche auf sein<br />

Flair für zeitgenössisches Spektakel.<br />

– no –<br />

40<br />

PHOEBE PHILO<br />

38<br />

Vor ein paar Jahren noch hätte man sie wohl als<br />

It-Girl bezeichnen können: Ein modebegeistertes<br />

Mädchen, das seinen Abschluss am Central<br />

Saint Martins in London macht und anschließend<br />

als Assistentin von Stella McCart-<br />

– no –<br />

<br />

verlässt, steigt Phoebe Philo auf – und wird selbst zur Chefdesignerin.<br />

Fünf Jahre später verlässt auch sie das Haus. Als<br />

einen der Gründe wird sie später nennen, dass sie mehr Zeit mit<br />

ihrer Familie, ihren zwei Kindern verbringen wollte – sehr untypisch<br />

für ein It-Girl.<br />

Erst 2008 kehrt sie zur <strong>Mode</strong> zurück: Die LVMH-Gruppe ernennt<br />

sie zur Kreativdirektorin des französischen Labels Céline. Sie<br />

<br />

Jahre. Vielleicht ist es die coole Unbekümmertheit oder der puristischmoderne<br />

Look, der sehr fashionable und gleichzeitig absolut<br />

alltagstauglich ist. Reduziert, klar, zurückhaltend und dadurch<br />

so elegant – besonders ihre Taschenkreationen wurden zu<br />

Verkaufsschlagern.<br />

Phoebe Philo hat es nicht nur geschafft, Céline innerhalb kürzester<br />

Zeit in der <strong>Mode</strong>szene zu etablieren, erst dort ist sie zu einer<br />

echten Stardesignerin geworden. Lassen wir die Bezeichnung It-Girl<br />

also. Mit grundlosem Ruhm hat diese Karriere nichts zu tun.<br />

– no –<br />

41<br />

KRIS VAN ASSCHE<br />

Obwohl er sich nur auf Männermode konzentriert,<br />

ist Kris Van Assche ein Begriff<br />

von internationaler Größe geworden. Man<br />

verbindet seine Arbeit immer noch mit seinem<br />

Mentor Hedi Slimane, dem er bei Dior<br />

Homme assistierte. Mit seinem eigenen Label<br />

feilt er ab 2004 an seinem Stil und entwirft<br />

kurzzeitig sogar eine Damenlinie. Mit<br />

der Zeit ist seine <strong>Mode</strong> immer reduzierter<br />

geworden. Seit 2007 zeigt er seine Vorstellungen<br />

von schlichter Eleganz auch wieder<br />

für Dior Homme – jetzt als Chefdesigner in<br />

direkter Nachfolge von Hedi Slimane.<br />

Phoebe Philo Foto: Céline, Kris van Assche Foto: Gaëtan Bernard<br />

SUZY MENKES<br />

Aus den front rows ist sie wegen ihrer auffälligen<br />

Haartolle und dank ihrer scharfsinnigen<br />

Artikel nicht wegzudenken. Suzy<br />

Menkes gehört seit Jahrzehnten zu den ein-<br />

<br />

Jahren schaut sie sich immer noch jede<br />

Show selbst an, notiert ihr Urteil im<br />

Schreibblock oder tippt es energisch in den<br />

Laptop auf ihrem Schoß. Menkes arbeitet<br />

seit fast 30 Jahren als <strong>Mode</strong>redakteurin der<br />

International Herald Tribune (IHT), für die<br />

sie ein Mal im Jahr mit einem hellsichtigen<br />

Gespür für die Themen der Branche die IHT<br />

Luxury Conference organisiert.<br />

Die in Paris lebende Menkes besucht pro<br />

Jahr über 500 <strong>Mode</strong>nschauen (immer mit<br />

Ohrstöpseln in der Tasche, falls die Musik<br />

sie nervt). Designer zittern vor ihrem ausgewogenen<br />

und fundierten Urteil. Als sie<br />

2001 eine Dior-Kollektion verriss, verbannte<br />

der LVMH-Konzern Menkes von allen<br />

Shows – um sie eine Woche später reumütig<br />

wieder einzuladen. Wenn ihr Luxushäuser<br />

teure Geschenke zusenden, schickt<br />

sie diese mit dem spitzen Kommentar zurück,<br />

ein Mädchen solle stets nur Blumen<br />

und Schokolade annehmen.<br />

Ihre Leidenschaft für <strong>Mode</strong> entdeckte die<br />

Britin Anfang der Sechziger, als sie nach<br />

dem Abitur für ein Auslandsjahr nach Paris<br />

kam und einen Schneiderkurs machte. Die<br />

erste Show, die sie besuchte, war Nina Riccis<br />

Couture-Präsentation. Ab 1963 studierte<br />

sie als Stipendiatin in Cambridge und interviewte<br />

schon damals für die Uni-Zeitschrift<br />

etwa Mary Quant. Nach Stationen bei The<br />

Times, wo sie ihren Mann kennenlernte,<br />

und beim Independent ging sie zum Evening<br />

Standard (Anna Wintours Vater, damals<br />

Chef, warb sie ab). Menkes, inzwi-<br />

<br />

und schickt ihre Texte, meist so geschliffen<br />

<br />

zwischen zwei Shows ab. In all den Jahren<br />

hat sie eines nie verloren: ihre Objektivität.<br />

- no -<br />

42<br />

- no -<br />

43<br />

TOPMODELS<br />

Medien interessieren sich hauptsächlich<br />

für die weiblichen Supermodels,<br />

nur wenige Männer finden<br />

den Weg von den Anzeigen und<br />

Plakatwänden in die Klatschspalten<br />

von Celebrity-Magazinen. Eine<br />

Ausnahme ist Gabriel Aubry, der<br />

Ex-Mann von Halle Berry. Wir<br />

haben die interessantesten und<br />

erfolgreichsten Männermodels<br />

zusammengestellt. Man kennt ihre<br />

Gesichter, aber meistens nicht<br />

ihren Namen – und die Biografien,<br />

die sich dahinter verbergen.<br />

Gabr iel<br />

Aubry<br />

Obwohl Kanadier, verkörpert Gabriel<br />

Aubry perfekt den all-american-boy<br />

mit leichtem Hippie-Einschlag. Als Ex-<br />

Mann von Halle Berry und Ex-Boyfriend<br />

von Kim Kardashian sieht man<br />

<br />

in den Spalten der Yellow Press als<br />

in Kampagnen.<br />

LARS<br />

BURMEISTER<br />

Wenn Werner Schreyer und Markus<br />

Schenkenberg einen deutschen Nachfolger<br />

haben, dann Lars Burmeister.<br />

Der 28-jährige Ex-Kfz-Mechaniker ist<br />

aktuell auf Platz zwei der bestverdienendsten<br />

Topmodels der Welt.<br />

Tyson Ballou<br />

So lange auf konstant hohem Niveau zu<br />

arbeiten grenzt an ein kleines Wunder.<br />

Es gibt kaum ein Label, für das Tyson<br />

Ballou nicht vor der Kamera stand.<br />

Entdeckt wurde der Texaner mit 15,<br />

mit 36 ist er erfolgreicher denn je.<br />

Noah Mills<br />

Auch der Mann mit dem edelsten<br />

Sixpack der Branche steht kurz vor dem<br />

Crossover in die Celebrity-Welt. Noah<br />

Mills spielte in „Sex and the City 2“ und<br />

einem Video von Taylor Swift.<br />

Sean O‘Pry<br />

Nicht nur Bands, sondern auch <strong>Mode</strong>ls<br />

werden über das Internet entdeckt. Zum<br />

Beispiel Sean O‘Pry. Der heute 23-Jährige<br />

lief für Saint Laurent, Versace und<br />

Givenchi, er gilt als wichtigstes<br />

Männermodel der Welt.<br />

Jon Kortojarena<br />

Tom Ford-Liebling Jon Kortojanera<br />

wurde nicht nur für die Kampagne des<br />

<br />

Fords Regie-Debut eine Rolle. Der<br />

27-jährige musste zu seinem ersten Job<br />

noch überredet werden.<br />

David Gandy<br />

Castingshows liegen nicht immer falsch:<br />

Der Brite David Gandy gewann in einer<br />

Fernsehsendung einen <strong>Mode</strong>lwettbewerb<br />

und einen Vertrag bei der Agentur<br />

Select <strong>Mode</strong>ls. Der ehemalige Autotester<br />

setzte mit seinem Muskelbody etwas<br />

gegen den Skinny-Look vieler Kollegen.<br />

MARK VANDERLOO<br />

Siehe Interview auf Seite 64.<br />

Ollie Edwards<br />

Der stets verwegen dreinblickende Brite<br />

<br />

werden, bis ihn die Gagen vom <strong>Mode</strong>ln<br />

überzeugten. Seit dem tauchte er in<br />

Kampagnen von Ralph Lauren,<br />

Trussardi und Calvin Klein auf. Sein<br />

Markenzeichen ist eine lange Narbe am<br />

Bauch, das Ergebnis eines Sturzes als<br />

Kind. Edwards sagt lieber, ein Samurai<br />

habe ihm eine Wunde zugefügt...<br />

Garreth neff<br />

<br />

ist Garreth Neffs Markenzeichen ein<br />

makelloser, muskulöser Körper und<br />

perfekte Lippen. Damit wurde er<br />

natürlich zum Gesicht von Calvin Klein,<br />

aber auch Trussardi buchte ihn kürzlich<br />

für eine Kampagne.<br />

62


- no -<br />

44<br />

Fotos: Stefan Armbruster<br />

Text: Hendrik Lakeberg<br />

Styling: Götz Offergeld<br />

Haare/ Make-up: Tricia Le Hanne @ Bigoudi<br />

<strong>Mode</strong>l: Mark Vanderloo<br />

<br />

MARK VANDERLOO<br />

Neben Markus Schenkenberg, Werner<br />

Schreyer und Alex Lundqvist gehört<br />

er zur Riege der männlichen Supermodels<br />

der Neunziger. Obwohl der<br />

Holländer längst nicht mehr darauf<br />

angewiesen ist, sieht man ihn immer<br />

noch in Kampagnen großer Labels.<br />

Für uns schlüpfte Mark Vanderloo in<br />

die aktuelle Prada-Kollektion.<br />

Trotz seines gigantischen Erfolgs sagt<br />

der 44-Jährige: „Das Wichtigste, das<br />

man als <strong>Mode</strong>l lernen muss, ist mit<br />

Zurückweisung umzugehen.”<br />

Herr Vanderloo, erinnern Sie sich an Ihr<br />

erstes Fotoshooting?<br />

MARK VANDERLOO Ich begleitete meine damalige<br />

Freundin, ein <strong>Mode</strong>l, zu einem Termin.<br />

Der Fotograf fragte, ob ich nicht auch<br />

modeln wolle. Ich lehnte aber sofort ab. Ich<br />

fand die Idee seltsam, mich schminken zu<br />

lassen, ich war ein Macho-Kid. Aber der Fotograf<br />

ließ nicht locker. Schließlich hat er<br />

<br />

Ich willigte ein, weil es viel besser bezahlt<br />

war als mein Job in einer Bar. Ich habe es<br />

aber nicht gemocht, vor der Kamera zu stehen.<br />

Später, als ich in Amsterdam studierte,<br />

habe ich langsam wieder angefangen. Es<br />

war einfach zu leicht verdientes Geld.<br />

Was haben Sie studiert?<br />

M VGeschichte. Ich wollte mich auf Euro-<br />

pastudien spezialisieren, für eine internationale<br />

Firma arbeiten und viel reisen. Dann<br />

lernte ich andere Jungs von meiner Agentur<br />

<br />

oder Paris, sahen die Welt und verdienen<br />

damit auch noch Geld. Genau das, was ich<br />

von einem Beruf wollte. Ich entschloss<br />

mich, nur noch zu modeln und hängte das<br />

Studium an den Nagel.<br />

Wurde Sie gleich viel gebucht?<br />

M VAls <strong>Mode</strong>l anzufangen ist schwer. Das<br />

Wichtigste, was man lernen muss, ist mit<br />

Zurückweisung umzugehen. Es ist wie bei<br />

einem Boxer im Ring – wenn du zu oft niedergeschlagen<br />

wirst, gibst du auf. Sehr geholfen<br />

hat mir der Gedanke, dass es nie um<br />

mich persönlich geht. Es war wichtig, mir<br />

klar zu machen: Ich bin ein Produkt. Wenn<br />

man sich so sieht, kann man sich leichter<br />

fragen, was man verbessern kann. Also ein<br />

bisschen zu trainieren, abzunehmen.<br />

Ist Ihnen der Entschluss leicht gefallen,<br />

sich als Produkt zu sehen?<br />

„Drei Monate lagen hinter mir, in denen es nicht eine<br />

Nacht gab, in der ich mehr als fünf Stunden geschlafen<br />

hatte. <strong>Teil</strong>weise bin ich direkt aus dem Club<br />

zum Shoot gegangen.“<br />

M VAnfangs nicht. Aber ich wollte so gut<br />

wie möglich sein. Ich habe mich mit Foto-<br />

<br />

Licht, und Posen überlegt, in denen ich gut<br />

aussah. Bei einem Shoot wusste ich schon<br />

vorher, welches Licht mir steht, wie ich posieren<br />

musste. Wenn der Fotograf das mag,<br />

bucht er dich wieder. Anfangs habe ich häu-<br />

<br />

vor allem mit Jacques Olivar. Das war ein<br />

guter Ausgangspunkt für meine Karriere.<br />

Als Außenstehender denkt man, <strong>Mode</strong>ln<br />

sei ein einfacher Job. Stimmt das?<br />

M VWenn Sie sich total unbeweglich vor<br />

die Kamera stellen, dann machen Sie den<br />

Job nur einmal. Und das war’s. Man muss<br />

dem Fotografen Energie geben, mitdenken.<br />

Fotografen haben sehr verschiedene Arbeitsweisen.<br />

Manche bestimmen jedes Detail,<br />

andere wollen deine Initiative. <strong>Mode</strong>ln<br />

ist eine sehr menschliche Angelegenheit.<br />

Du musst gut kommunizieren können.<br />

Sind Sie deshalb so gut im Pokerspielen?<br />

M VVielleicht. Ich bin gut darin, Menschen<br />

zu durchschauen. Ich weiß sehr schnell, ob<br />

jemand mich mag oder nicht, ob jemand<br />

lügt. Manchmal arbeitest du mit Leuten, die<br />

dir ins Gesicht lügen.<br />

Aber geht es im <strong>Mode</strong>geschäft um Ehrlichkeit?<br />

M VNein, aber um die Fähigkeit, sich Situationen<br />

anpassen zu können, sich in der Gegenwart<br />

des Teams schnell wohlzufühlen<br />

und als Fotograf glaubhaft eine produktive<br />

Atmosphäre herzustellen. Jeden Tag mit anderen,<br />

oft sehr verschiedenen Leuten zu arbeiten,<br />

kann anstrengend sein, wenn du das<br />

<strong>Mode</strong>ln ernst nimmst. Es gibt Momente, in<br />

denen fühle ich mich schuldig, weil ich das<br />

Gefühl habe, nicht alles für einen Job gegeben<br />

zu haben. Aber manchmal ist die Batterie<br />

eben leer. Das Shoot mit <strong>Fräulein</strong> war<br />

sehr entspannt - ein paar Freunde, die Spaß<br />

haben. Man vertraut sich, das ist wichtig.<br />

Ich arbeite lange genug, um zu wissen, wie<br />

man am Ende zehn gute Bilder bekommt.<br />

Aber das ist nicht kreativ. Kreativ ist es, et-<br />

<br />

mir gesehen hat, auch wenn man bei sol-<br />

64<br />

65


chen Shoots oft 95 Prozent der Fotos nicht<br />

gebrauchen kann. Doch die wenigen guten<br />

Aufnahmen sind dann wirklich besonders.<br />

Wann wurde Ihnen klar, dass Sie vom <strong>Mode</strong>ln<br />

ein paar Jahre gut leben können?<br />

M VIch habe erst mit 22 angefangen, relativ<br />

spät. Richtig gut lief es nach zwei Jahren.<br />

Ich hatte mir vorgenommen, mit meinen<br />

ersten 30.000 Gulden eine eigene Bar aufzumachen.<br />

Dann habe ich sehr schnell so<br />

viel gearbeitet und verdient, dass ich diesen<br />

Plan abhakte. Ich nahm mir stattdessen vor,<br />

noch vor meinem dreißigsten Geburtstag<br />

Millionär zu werden. Das habe ich weit vorher<br />

geschafft.<br />

Gab es eine bestimmte Kampagne, die Sie<br />

zum Supermodel gemacht hat?<br />

M VSchwer zu sagen, weil ich so viel gearbeitet<br />

habe. Anfangs teilweise sieben Tage<br />

die Woche, manchmal zwei Jobs an einem<br />

Tag. Ich bin ein Workaholic, mir fällt das<br />

Arbeiten leicht. Auch das Fliegen, ich bin<br />

eine Zeitlang ständig zwischen L.A., New<br />

York, Mailand und Paris unterwegs gewesen.<br />

Irgendwann gab es einen Bruch. Es<br />

war Weihnachten, ich kam zu meiner Mutter<br />

nach Holland. Drei Monate lagen hinter<br />

mir, in denen es nicht eine Nacht gegeben<br />

hatte, in der ich mehr als fünf Stunden geschlafen<br />

hatte. Ich liebte es auszugehen.<br />

<strong>Teil</strong>weise bin ich direkt aus dem Club zum<br />

Shoot gegangen. Das funktioniert, wenn<br />

deine Psyche stark genug ist. Aber dann,<br />

zuhause, fühlte ich mich endlos müde.<br />

Wenn man nicht schläft, verliert man viel<br />

Gewicht, ich war richtig dünn. Ich habe 52<br />

Stunden durchgeschlafen, so erschöpft war<br />

ich. Meine Mutter dachte, ich sei tot!<br />

Haben Sie sich durch Ihre Arbeit verändert?<br />

M VMir wurde irgendwann klar, dass der<br />

Job mein ganzes Leben kontrolliert. Ich<br />

wollte aufhören und habe meinem Agenten<br />

einen langen Brief geschrieben. Das war<br />

1996. Er schrieb mir zurück, dass ich verrückt<br />

sei. Er hatte Recht. Und ich stand wenig<br />

später wieder vor der Kamera. Aber ich<br />

hatte mich entschieden, mir mehr Abstand<br />

zu nehmen.<br />

Hat sich die <strong>Mode</strong>industrie verändert, seit<br />

Sie als <strong>Mode</strong>l arbeiten?<br />

M VIch weiß es nicht. Industrie ist ein großes<br />

Wort. Jede große Stadt hat eine eigene<br />

<strong>Mode</strong>industrie. New York funktioniert anders<br />

als Paris oder Mailand. Das <strong>Mode</strong>business<br />

ändert sich grundsätzlich ständig. In<br />

der <strong>Mode</strong> sucht man immer nach dem<br />

nächsten neuen Ding. Es ist eine harte Industrie,<br />

aber so muss sie sein.<br />

Was meinen Sie damit?<br />

M VIch meine damit nicht nur die Konkurrenz.<br />

Man kann sich nie auf die letzte Saison<br />

verlassen, denn es kommt immer gleich<br />

die nächste. So ist das mit allem, den <strong>Mode</strong>ls,<br />

den Fotografen, den Designern. Keiner<br />

schaut zurück, es muss vorwärts gehen.<br />

Nur die guten Leute bleiben, denn die verstehen<br />

die Industrie.<br />

Sie wissen sehr viel über Fotografie, wollten<br />

Sie je Fotograf werden?<br />

M VDas ist ein ganz anderer Job... Ich mag<br />

es, mit Immobilien zu arbeiten. Da entscheide<br />

ich allein, welches Haus ich kaufe, wieder<br />

verkaufe oder vermiete.<br />

Sie handeln mit Immobilien?<br />

M VJa, schon seit 1998. Ich bin seit langem<br />

nicht mehr auf das <strong>Mode</strong>ln angewiesen.<br />

Es ist interessant, dass viele <strong>Mode</strong>ls wie<br />

Sie sehr geduldig und zurückhaltend<br />

wirken.<br />

M VNa, warum sollte ich ein großes Ego<br />

haben? Du kommst zum Job wie der Stylist<br />

oder der Fotograf. Alle wollen etwas Schönes<br />

produzieren.<br />

Aber es ist Ihr Gesicht, das auf Plakaten<br />

weltweit prangt!<br />

M VIst egal. Ich brauche das Gefühl nicht,<br />

besonderer als andere zu sein. Wenn du anfängst,<br />

das zu denken, schadet das eher. Du<br />

musst immer glauben, dass du es besser machen<br />

kannst. Ein übersteigertes Ego hilft<br />

dabei nicht.<br />

MARK VANDERLOO ist mit 44 Jahren immer noch<br />

eines der best bezahlten <strong>Mode</strong>ls der Welt und<br />

ist stetiges Kampagnenmodel für u.a. Hugo<br />

Boss und H&M. Er lebt mit seiner Frau und den<br />

gemeinsamen Kindern in den Niederlanden und<br />

auf Ibiza.<br />

66<br />

67


68<br />

69


70<br />

71


Foto: Manuela Pavesi, Text: Lisa Leinen<br />

Mit wenig fachlichem<br />

Wissen, aber einem<br />

genialen Gespür<br />

schaffte sie es Prada<br />

in kürzester Zeit zur<br />

Kultmarke zu machen.<br />

45<br />

MIUCCIA<br />

PRADA<br />

Eigentlich hatte Miuccia Prada mit<br />

<strong>Mode</strong> nichts am Hut – bis sie sich<br />

plötzlich kurz nach dem Studium an<br />

der Spitze des Unternehmens ihres<br />

Großvaters wiederfand – um in den<br />

folgenden Jahrzehnten italienischen<br />

Stil neu zu definieren.<br />

2013 feiert Prada nicht nur 100-jähriges<br />

Firmenjubiläum, sondern auch den vorläu-<br />

<br />

Familienunternehmens. Bereits 1978 wird<br />

Miuccia Prada zur Chefdesignerin der Marke,<br />

die ihr Großvater zusammen mit seinem<br />

Bruder in Mailand gründete. Damals ist<br />

sie 28 Jahre alt und hat schon ein abgeschlossenes<br />

Politikwissenschaftsstudium<br />

und eine Schauspiel- und Pantomimeausbildung<br />

in der Tasche. Der Geschäftsmann<br />

Patrizio Bertelli, den sie später heiraten<br />

wird, steht ihr beim Wiederaufbau des<br />

Labels zur Seite.<br />

Mit wenig fachlichem Wissen, aber einem<br />

genialen Gespür für <strong>Mode</strong> und Trends<br />

schafft sie es, Prada in kürzester Zeit zur<br />

<br />

sich bereits Mitte der Achtziger, als sie eine<br />

Tasche aus schwarzen Nylonmaterial entwirft<br />

und sie als luxuriöses Prestige-Objekt<br />

etabliert. Als Logo diente damals wie heute<br />

ein auf den Kopf gestelltes Dreieck. Für den<br />

Herbst/Winter 1989 designt sie zum ersten<br />

Mal eine Damenkollektion – bis dahin war<br />

Prada vor allem für Lederwaren bekannt.<br />

Mit ihren puristischen Entwürfen in gedeckten<br />

Farben schuf sie eine willkommene<br />

Alternative zu den schrillen Visionen anderer<br />

Labels. Knapp zehn Jahre später erfand<br />

sie den von ihr selbst betitelten „Bad Taste-<br />

Look“ – eine Kombination aus auffälligen<br />

Prints und ungewöhnlichen Materialien wie<br />

Latex, Plastik und Satin. Zahlreiche Nachahmer<br />

gaben ihrem Gespür recht.<br />

1993 kam die Prada-Herrenkollektion hinzu.<br />

Neben dieser gestaltet Miuccia, die in<br />

ihrer Freizeit eine engagierte Kunstsammlerin<br />

ist, zudem Prada Linea Rossa (vormals<br />

Prada Sports) und MiuMiu, ein unkonventionelles<br />

Label, das ihren Spitznamen<br />

trägt. Den Hauptumsatz erzielen jedoch immer<br />

noch Lederwaren und Schuhe.<br />

Ein Großteil der Kleidung wird traditionell<br />

in Italien gefertigt. Um davon abweichende<br />

Produkte zu kennzeichnen, initiierte Prada<br />

2010 das Projekt ‚Made In...’. Seitdem sind<br />

die Herstellungsländer im Etikett verzeichnet,<br />

um dem Schindluder, das mit dem Label<br />

„Made in Italy“ getrieben wird, entgegenzuwirken<br />

(oft wird Kleidung mit diesem<br />

Label zwar in Italien zusammengenäht, allerdings<br />

stammen Stoffe und Zuschnitte<br />

aus anderen <strong>Teil</strong>en der Welt).<br />

Für das Frühjahr 2013 sieht Miuccia Prada<br />

Frauen als moderne Geishas in Schwarz,<br />

Weiß und Rot – tough und dennoch weiblich.<br />

Die Perfektionistin gilt als eigensinnig,<br />

als eine, die den allgemeinen Saison-Trends<br />

nicht folgt, sondern ihre eigenen schafft.<br />

– no –<br />

MIUCCIA PRADA wurde 1949 als Maria Bianchi<br />

geboren. Sie lebt mit ihrem Mann und zwei<br />

gemeinsamen Kindern in Mailand. Das Familienunternehmen<br />

gehört mehrheitlich ihr, die anderen<br />

Anteile sind auf ihre Geschwister Alberto und<br />

Marina, sowie auf ihren Mann verteilt.<br />

72


CHRISTOPHE LEMAIRE<br />

Es mag schönere Worte geben, aber ein nüchternes „Dazwischen“ beschreibt die Arbeit<br />

von Christophe Lemaire perfekt. Zwischen Eleganz und Lässigkeit, kompromissloser<br />

Qualität und sportiver Leichtigkeit – die Designs des Franzosen halten die beiden großen<br />

Pole der <strong>Mode</strong> – Nutzbarkeit und Ästhetik – in einem perfekten Gleichgewicht. Es<br />

gelang ihm, dem Sportriesen Lacoste in zehnjähriger Arbeit als Kreativdirektor ein<br />

modischeres Image zu verpassen. Seit vier Saisons gestaltet er legere Kollektionen für<br />

die Traditionsmarke Hermès. Schon seit 1991 entwirft der Franzose unter eigenem Namen<br />

Kleidung. Das Prinzip ist auch hier: einfache und exakte Schnitte, unaufgeregte<br />

Farben – simpel, schön und bequem.<br />

– no –46<br />

MICHEL GAUBERT<br />

50– no –<br />

Was wären Fashionshows<br />

ohne<br />

Musik? Emotionslos<br />

und wohl seltsam<br />

anzusehen,<br />

wenn <strong>Mode</strong>ls ohne Takt, ohne laute Bässe<br />

monoton über den Laufsteg schritten. Wie<br />

gut also, dass es Menschen wie Michel Gaubert<br />

gibt. Entdeckt wurde er in den Achtzigern<br />

von Karl Lagerfeld, der damals oft<br />

den Plattenladen besuchte, in dem Gaubert<br />

tagsüber arbeitete – und nachts auf-<br />

<br />

etwas ganz anderes. Gaubert ließ sich überzeugen<br />

und lieferte die Musik für eine<br />

Schau von Lagerfelds eigener Linie. Der war<br />

es auch, der die Berufsbezeichnung „Soundstylist“<br />

erfand. Mittlerweile scheint der<br />

50-jährige Gaubert der Monopolist unter<br />

den Fashion-DJs zu sein: Saison für Saison<br />

stellt er die Songs für Labels wie Chanel, Jil<br />

Sander, Bottega Veneta, Raf Simons und<br />

Boss zusammen.<br />

Über 100.000 Euro gibt Gaubert im Jahr für<br />

Musik aus. Seine erste <strong>Mode</strong>nschau sah er<br />

sich mit seiner Großmutter in einem Kaufhaus<br />

an. Die Damen tranken Tee, während<br />

sie die <strong>Mode</strong> erheitert im Takt beklatschten.<br />

Dieser Moment prägte den DJ bis heute,<br />

denn wichtig ist ihm vor allem eins: den<br />

Designern die richtigen Emotionen im<br />

passenden Moment auf den Laufsteg zu<br />

schneidern.<br />

HEDI SLIMANE<br />

ARIZONA MUSE<br />

Als Arizona Muse als <strong>Mode</strong>l begann,<br />

nahm kaum jemand die langhaarige<br />

Blondine wahr. Dann pausierte sie, bekam<br />

ihren Sohn und kehrte 2010 zurück<br />

vor die Kameras. Mit dem Kurzhaarschnitt<br />

kamen Aufträge: Seither<br />

modelt die nun brünette 24-Jährige für<br />

alle großen <strong>Mode</strong>häuser und ist das aktuelle<br />

Gesicht von G-Star. PS: Ihr Name<br />

ist tatsächlich<br />

ihr echter!<br />

– no –<br />

47<br />

Die Decke öffnet sich, gibt gleißendes Licht<br />

frei – der erste Look: ein schmaler, schwarzer<br />

Hosenanzug. Yves Saint Laurents Klassiker<br />

eröffnet das am meisten erwartete De-<br />

<br />

Debut von Hedi Slimane für das Label, das<br />

jetzt Saint Laurent Paris heißt. Zurück zu<br />

den Wurzeln der Sechziger war sein Ziel.<br />

Obwohl eher in den Siebzigern gelandet,<br />

wird er der Substanz von YSL gerecht. Die<br />

Linie ist kühl und dunkel, nur in Ansätzen<br />

verspielt. Sie verwischt – typisch für ihn,<br />

der schon bei Dior Homme die Männermode<br />

revolutionierte – die Grenzen von Maskulinität<br />

und Weiblichkeit und injiziert dem<br />

Traditionshaus ein Mini-Dosis Rock‘n‘Roll.<br />

73<br />

48<br />

– no –<br />

Foto: Y.R.


Foto: Agency V, Interview: Lena Bergmann<br />

STINE GOYA<br />

Sie könnte die Stella McCartney von<br />

Dänemark werden. Stine Goyas Label<br />

gilt als <strong>Teil</strong> einer skandinavischen<br />

Design-Renaissance und wird mittlerweile<br />

international gefeiert. Wir<br />

sprachen mit dem ehemaligen <strong>Mode</strong>l<br />

über Schönheitsideale, die Überbewertung<br />

von Konfektionsgrößen und<br />

ihren eigenen Körper, mit dem sie<br />

sehr zufrieden ist. Obwohl sie das so<br />

nie sagen würde...<br />

Wie sieht der Frauenkörper aus, für den Sie<br />

Ihre <strong>Mode</strong> entwerfen?<br />

STINE GOYA Wenn ich anfange, habe ich immer<br />

meinen eigenen Körper vor Augen.<br />

Aber mir ist wichtig, dass meine Kleider<br />

auch Frauen mit anderen Proportionen stehen.<br />

Und dass sie elegant und feminin an<br />

Körpern wirken, die ganz anders sind als<br />

meiner. Wenn mir beispielsweise eine Frau<br />

mit großen Brüsten – die ich nicht habe –<br />

durch den Kopf geistert, ändere ich deswegen<br />

schon auch mal bewusst Details.<br />

Und trotzdem gibt es keine Größe 42 oder<br />

XL in Ihrer Kollektion...<br />

S G Die Kollektion geht bis 40, das stimmt.<br />

Aber es geht ja nicht nur um die Konfektionsgröße,<br />

sondern darum, dass die <strong>Mode</strong><br />

zu unterschiedlichen Figuren passt. Und<br />

wir denken tatsächlich darüber nach, XL<br />

einzuführen. Man sollte Kleidung ohnehin<br />

über,<br />

welches Gefühl sie der Trägerin gibt.<br />

Sexy. Elegant. Verspielt. Oder reserviert.<br />

Und so weiter.<br />

Schneidern Sie die Kleider auch auf Ihren<br />

Alltag zu? Wie lebt die Frau, die Stine Goya<br />

trägt?<br />

S G Ich versuche eine Kollektion zu entwer-<br />

<br />

Büro bis hin zu festlicheren Looks, wobei<br />

ich keine bodenlangen Kleider<br />

mache. Meine Kundinnen sind<br />

zum <strong>Teil</strong> sehr jung, in den frühen<br />

20ern, aber es geht hoch<br />

bis in die 60er – diese Damen<br />

kombinieren dann zu einem<br />

Seidenkleid eine Lederjacke.<br />

Für mich ist es ein großes<br />

Kompliment, wenn Frauen unterschiedlichen<br />

Alters meine<br />

<strong>Mode</strong> tragen.<br />

Sie wurden mal als Designerin<br />

beschrieben, die <strong>Mode</strong> für Individualistinnen<br />

macht.<br />

S G Die Individualität eines<br />

Menschen hat am Ende wirklich<br />

wenig mit Kleidung zu<br />

tun. <strong>Mode</strong> ist da nur ein Hilfsmittel.<br />

Um ehrlich zu sein,<br />

man muss nicht mutig sein,<br />

um meine Kleider zu tragen.<br />

Die Schnitte sind nicht avantgardistisch.<br />

Allerdings verwende<br />

ich viel Zeit auf die Details,<br />

die sollen sich abheben<br />

von den Entwürfen anderer<br />

großen Firmen. Im Detail bin<br />

ich edgy.<br />

Sie haben auch als <strong>Mode</strong>l gearbeitet.<br />

Welche Erinnerung<br />

haben Sie an diese Phase?<br />

S GIch war fünf Jahre lang<br />

<strong>Mode</strong>l, zwei davon Vollzeit,<br />

drei neben meinem <strong>Mode</strong>-<br />

Studium. Ich erinnere mich,<br />

dass mir damals bewusst war<br />

– und ich glücklich darüber<br />

war –, dass ich im Gegensatz<br />

zu anderen Mädchen nicht viel<br />

über meinen Körper nachdenken<br />

musste, über das, was ich<br />

essen beziehungsweise nicht<br />

essen konnte. Es tut mir im-<br />

mer leid, wenn ich sehe, dass jemand davon<br />

besessen ist, was er isst oder nicht isst.<br />

Meine Freundinnen haben sich früher immer<br />

gewundert, ob ich nicht Diabetes habe<br />

oder Magersucht, weil ich relativ viel essen<br />

konnte, aber einfach nicht zugenommen<br />

habe.<br />

Oh nein! Bitte nicht noch eine Frau mit<br />

diesem mysteriösen Metabolismus...<br />

S GDoch, ich schwöre, das stimmt in meinem<br />

Fall – auch wenn es unfair ist. Natürlich<br />

kann ich heute, also mit Mitte 30, nicht<br />

ohne Ende Pasta in mich hineinschaufeln.<br />

Aber ich muss auch nicht ständig an meinem<br />

Körper arbeiten oder mich reglementieren,<br />

um so auszusehen. Meine Mutter<br />

sieht übrigens genauso aus wie ich.<br />

Sie sind für Ihr eigenes Label hochschwanger<br />

über den Catwalk gelaufen, kurz<br />

vor der Geburt Ihres Sohnes. Ein ziemlich<br />

spektakulärer Auftritt!<br />

S GJa, ich habe versucht, eine Botschaft zu<br />

senden. Ich kenne die Branche und weiß,<br />

was ein solcher Auftritt bewirkt. Ich habe<br />

auch mal ein Jahr als Fashion Director<br />

für ein Magazin gearbeitet. Es war chaotisch,<br />

weil es eine junge Redaktion war,<br />

aber ich habe viel gelernt, vor allem noch<br />

mehr über die Fashion-Branche – ich weiß,<br />

wie es backstage funktioniert beim <strong>Mode</strong>ln,<br />

ich weiß aber auch, worauf es bei Fotoproduktionen<br />

oder Editorials ankommt.<br />

Und ich habe mir ein Netzwerk aufgebaut,<br />

was wiederum beim Start meines Labels<br />

hilfreich war.<br />

Hat es Ihren Blick auf Ihren Körper verändert,<br />

dass Sie Mutter geworden sind?<br />

S G Beim Stillen in der Öffentlichkeit hatte<br />

ich manchmal Probleme. Da fühlte ich mich<br />

doch zu sehr auf diese Funktion reduziert,<br />

zumindest in der Wahrnehmung anderer<br />

Leute. Aber danach habe ich mich auch<br />

wieder ganz normal gefühlt. Und ich muss<br />

mich manchmal daran erinnern: Heute<br />

musst Du Dich mal wieder hübsch machen<br />

und schick anziehen. Als Mutter mag man<br />

es gemütlich.<br />

Was für ein Kompliment hören Sie gerne<br />

über Ihren Körper, vor allem von einer Frau?<br />

S GHeute hat eine Freundin von mir, die<br />

Mutter von vier Kindern ist und viel für ihren<br />

Körper tut, zu mir gesagt, dass sie mich<br />

immer um meine schlanke, aber natürlich<br />

wirkende Figur beneidet hat. Ich habe nämlich<br />

keinen Gym-Body, keinen Workout-<br />

Body, keine sehnigen Muskeln, keinen<br />

Sixpack-Bauch. Ich habe auch keine<br />

Brustimplantate. Ich versuche zwar, zu trainieren.<br />

Aber ehrlich gesagt ist es nicht<br />

„Natürlich höre ich gerne Komplimente, vor allem, dass<br />

ich einen knackigen Hintern habe – und keinen<br />

flachen, was der Realität leider näher kommt.“<br />

so, dass der Sport irgendwelche Spuren<br />

hinterlässt.<br />

Welches Kompliment hören Sie gerne von<br />

einem Mann?<br />

S GIch sehe mich nicht als Sexbombe. Das<br />

ist kein Image, mit dem ich spiele. Aber natürlich<br />

höre auch ich gern Komplimente, vor<br />

allem, dass ich einen knackigen Hintern<br />

<br />

leider näher kommt.<br />

Sie haben einen Silberblick, wie ich übrigens<br />

auch. Man sieht immer leicht stoned aus,<br />

oder?<br />

S GVor allem auf Fotos! Wir nennen es<br />

in Dänemark „den Westernblick“, weil er so<br />

entspannt wirkt. Auf viele Männer wirkt<br />

das anscheinend sexy und frivol. Auf jeden<br />

<br />

Sie sind eine echte Rothaarige. Mochten Sie<br />

das immer?<br />

S GAls Kind hatte ich Probleme damit, weil<br />

ich gehänselt wurde. Ich wurde „Erdbeer-<br />

Helm“ genannt. Später habe ich meine Haare<br />

mal umgefärbt. Meine Mutter ist blond<br />

und mein Vater sehr dunkel. Es gibt sonst<br />

keine anderen Rothaarigen in meiner<br />

Familie.<br />

Gab es auch mal eine Phase, in der Sie sich<br />

richtig unwohl gefühlt haben?<br />

S GAls ich Brüste bekommen habe, hat<br />

mich am Anfang sehr gestört, dass sie nicht<br />

so groß waren wie die der anderen Mädchen,<br />

denn darauf standen natürlich die<br />

Jungs. In der Pubertät können die Bürschlein<br />

an nichts anderes denken als an große<br />

Busen. Heute bin froh, kleine Brüste zu haben.<br />

Mich überrascht es, wie viele Frauen<br />

sich ihre Brüste operieren lassen, auch viele,<br />

die ich kenne. Starke Frauen, von denen<br />

man nicht gedacht hätte, dass sie es nötig<br />

haben, weil sie schon zuvor einen schönen<br />

Körper hatten. Ich mag natürliche Proportionen,<br />

auch wenn dann der Oberkörper<br />

eine 36 ist und der Hintern zwei Nummern<br />

größer.<br />

Was tun Sie für Ihren Körper?<br />

S GIch fahre jeden Tag mit dem Fahrrad<br />

zur Arbeit. Das dauert fünf Minuten (lacht).<br />

Und ich probiere immer mal verschiedene<br />

Work-outs aus, im Moment mache ich Muskel-Pilates.<br />

Ich gehe ab und zu joggen, aber<br />

als Mutter klappt das auch nicht so richtig:<br />

Man versucht immer, ein kleines Freizeitfenster<br />

für sich zu schaffen, aber am Ende<br />

arbeitet man dann meist doch.<br />

Wenn Sie sich in einen anderen Körper<br />

hineinbeamen könnten, mit wem würden<br />

Sie gerne für eine Woche tauschen? Ich<br />

zum Beispiel mit Ryan Gosling – wegen Eva<br />

Mendes.<br />

S GOh, darüber müsste ich nachdenken, da<br />

fällt mir spontan gar nichts ein! Meine<br />

Phantasie hat sich noch nie in Richtungen<br />

dieser Art bewegt, nicht mal zum Spaß oder<br />

als gedankliches Experiment. Wahrscheinlich<br />

weil ich ziemlich entspannt bin, was<br />

meinen Körper betrifft. Ich könnte ihn nie<br />

radikal verändern, weder durch beamen<br />

oder Work-outs oder Schönheitsoperationen.<br />

Es würde nicht zu meiner Einstellung<br />

passen.<br />

- no -<br />

51<br />

DER<br />

KÖRPER<br />

STINE GOYA gründete ihr Label 2006, nachdem sie<br />

am Londoner Central St. Martins studiert hatte.<br />

Sie lebt mit ihrer Familie in Kopenhagen, wo<br />

sie auch jährlich ihre Kollektionen präsentiert.<br />

Unter stinegoya.com/loves zählt sie all ihre<br />

Idole auf – darunter Tin Tin, Spike Jones und<br />

The Smiths.<br />

74<br />

75


Foto: Randall Bachner, Interview: Götz Offergeld<br />

THOM BROWNE<br />

- no -<br />

52<br />

Seinen Shop in Soho, New York, hat er<br />

von außen mit Jalousien abgedunkelt.<br />

Innen sehen die Verkäufer aus wie die<br />

perfekte Kopie seiner selbst: die Hose<br />

leicht zu kurz, das Hemd bis oben<br />

zugeknöpft. Thom Browne ist längst<br />

nicht mehr nur unter hippen Anzugträgern<br />

bekannt. Der Amerikaner,<br />

der zuvor bei Club Monaco gearbeitet<br />

hat, einem Label von Ralph Lauren,<br />

machte seinen persönlichen Stil zur<br />

Marke. Im Interview gibt er sich so,<br />

wie man es erwartet: kurzangebunden,<br />

etwas arrogant – und cool.<br />

Herr Browne, wie geht es Ihnen heute?<br />

THOM BROWNE Sehr gut, danke!<br />

Was haben Sie zuerst getan, nachdem Sie<br />

heute aufgewacht sind?<br />

T B Ich war joggen, wie eigentlich jeden<br />

Morgen.<br />

Haben Sie ein tägliches Ritual, an das Sie<br />

sich stets halten?<br />

T B Laufen, Arbeiten, Trinken, Essen,<br />

Schlafen. Ganz einfach.<br />

Wie können wir uns Ihre Wohnung vorstellen?<br />

Wie ist sie eingerichtet?<br />

T B Sehr schlicht und pur, von den Wänden<br />

bis zu den Möbeln.<br />

„Ich schätze an Paris, dass die Menschen dort viel<br />

interessierter an konzeptuellem Design sind. Es ist alles<br />

noch nicht so kommerziell.“<br />

Was bedeutet <strong>Mode</strong> für Sie und wie würden<br />

Sie sie definieren?<br />

T B Ehrlich gesagt denke ich darüber nicht<br />

nach.<br />

Wünschen Sie sich manchmal insgeheim,<br />

dass alle Männer und Frauen dieser Welt<br />

in Thom Browne gekleidet durch die<br />

Straßen laufen?<br />

T B Nein!<br />

Mögen Sie es, wenn die Träger Ihrer <strong>Teil</strong>e<br />

den Look Ihrer Kollektion durch Kombinationen<br />

mit anderen Labels und Stilen<br />

entfremden?<br />

T B Ich schätze das sehr, wenn Leute ihren<br />

ganz persönlichen Stil ausdrücken und meine<br />

Entwürfe immer anders aussehen<br />

lassen.<br />

Hatten oder haben Sie Vorbilder, die Sie<br />

bewundern?<br />

T B Nein, nicht wirklich. Ich habe immer<br />

schon mein eigenes Ding gemacht und ich<br />

schätze jeden, der ähnlich denkt.<br />

Sie zeigen Ihre Kollektionen seit ein paar<br />

Jahren in Paris. Was schätzen Sie an der<br />

französischen <strong>Mode</strong>?<br />

T B Ich schätze an Paris, dass die Menschen<br />

dort viel interessierter an konzeptuellem<br />

Design sind. Es ist alles noch nicht so<br />

kommerziell.<br />

Könnten Sie sich vorstellen, irgendwann<br />

einmal ein großes <strong>Mode</strong>haus zu übernehmen.<br />

T B Klar, warum nicht?<br />

Und welches?<br />

T B Vielleicht Chanel?<br />

76<br />

Welchen Bezug haben Sie zu London?<br />

Die Stoffe und Ihr Stil erinnern sehr an<br />

die englische Schneiderkunst.<br />

Eigentlich habe ich keinerlei Beziehung<br />

dazu, außer eben einer gewissen Wertschätzung<br />

der Maßschneider in der Savile<br />

Row.<br />

Inwieweit hat sich Ihre Arbeit geändert,<br />

seit ein japanischer Investor bei Thom<br />

Browne eingestiegen ist?<br />

T B Auf der kreativen Ebene hat sich gar<br />

nichts geändert, im Gegenteil. Vielleicht<br />

habe ich dadurch noch mehr Freiheiten<br />

bekommen, was meine Entwürfe angeht.<br />

Mit welchem Stylisten arbeiten Sie momentan<br />

zusammen?<br />

T B Ich arbeite mit keinem Stylisten, ich<br />

mache alles selbst.<br />

Wie beurteilen Sie die Arbeit eines<br />

Stylisten generell?<br />

T B Ehrlich gesagt: Keine Ahnung! Ich verbinde<br />

deren Arbeit immer nur mit Editorials<br />

und Werbung.<br />

Welchen Fotografen schätzen Sie am<br />

meisten?<br />

T B Leni Riefenstahl. Ich liebe die Ästhetik<br />

ihrer Bilder.<br />

Sind Sie ein Kunstsammler?<br />

T B Ja, ein bisschen. Aber ich lege mich<br />

<br />

Wer sind Ihre Lieblingskünstler?<br />

T B John Singer Sargent und Antony<br />

Gormley.<br />

Ist New York immer noch ein place to be?<br />

T B Für mich? Ja!<br />

Wo sehen Sie sich in zehn Jahren?<br />

T B Keine Ahnung, absolut keine Ahnung.<br />

Ich mache mir keine Gedanken darüber.<br />

Lesen Sie Magazine?<br />

T B Ja, aber nur sehr ausgewählt. Den New<br />

Yorker mag ich.<br />

Wer ist Ihr Lieblingsdesigner?<br />

T B Rei Kawakubo.<br />

Tragen Sie nur Ihr eigenes Label?<br />

T B Ja.<br />

THOM BROWNE wurde 1965 geboren. Eigentlich<br />

studierte er Wirtschaftswissenschaften,<br />

versuchte sich als Schauspieler und arbeitet<br />

als Verkäufer in einer Armani Boutique. 2001<br />

gründete er sein eigenes Label.<br />

Fotos: Randall Bachner, Styling: Bernat Buscato, Make-up: Christopher Ardoff @ Art Department NYC<br />

Haare: Rodney Groves @ Art Department NYC, <strong>Mode</strong>ls: Kristy Kaurova @ New York <strong>Mode</strong>ls,<br />

<br />

77


RUBRIK<br />

Foto, Text Namen<br />

79


Foto: Terry Richardson, Interview: David Torcasso<br />

RENZO ROSSO<br />

Renzo Rosso hat in den Achtzigern<br />

gebleichte Jeans aus einem Bulli<br />

verkauft und leitet heute einen der<br />

größten <strong>Mode</strong>konzerne der Welt.<br />

Der Diesel-Erfinder über harte<br />

Arbeit und Emails in der Badewanne.<br />

Warum ist es gut, dumm zu sein?<br />

RENZO ROSSO Ich wurde bereits als Jugendlicher<br />

gefragt, ob ich dumm sei,<br />

weil ich Dinge anders gemacht habe als<br />

andere. Angefangen mit der Idee, Jeans<br />

zu bleichen. Dumm zu sein ist gut!<br />

Dumm zu sein heißt, seinem Herzen zu<br />

folgen, Überraschendes zu tun und sich<br />

nicht darum zu scheren, was andere<br />

denken. Und man sollte keine Angst<br />

haben zu scheitern.<br />

Anfangs verkauften Sie Ihre gebleichten<br />

Jeans aus einem Bus. Wie denken<br />

Sie heute über diese Zeit?<br />

R RIch erinnere mich mit Freude daran.<br />

Ich war jung und völlig frei. Aber<br />

ich denke auch gerne daran, wie ich mit<br />

15 Jahren mein erstes Paar Denim-<br />

Jeans auf der Maschine meiner Mutter<br />

nähte. Auch heute, mit 57 Jahren, habe<br />

ich diese Leidenschaft nicht verloren.<br />

Sie finden, Ihre Jeans seien nicht ein<br />

Produkt, sondern ein Lifestyle?<br />

R RSie repräsentieren eine Welt, die<br />

in den Sixties mit Denim angefangen<br />

hat und seither als Symbol für Freiheit,<br />

blauen Himmel, junge Menschen und<br />

Rock´n´Roll steht.<br />

Diesel ist eines der größten <strong>Mode</strong>-Unternehmen<br />

der Welt. Sie wuchsen<br />

auf einem Bauernhof auf. Was ist<br />

das Wichtigste, was Sie dort gelernt<br />

haben?<br />

R RHart zu arbeiten, ehrlich zu sein und<br />

an meine Träume zu glauben. Meine Eltern<br />

haben mir das alles vermittelt.<br />

Ein Mann kauft doch höchstens alle drei<br />

bis fünf Jahre ein Paar Jeans. Wie können<br />

Sie überhaupt erfolgreich sein?<br />

R RIch denke, das hat sich in den letzten<br />

Jahren gewaltig verändert.<br />

Sie möchten den Fokus nun vermehrt auf<br />

Damenmode legen. Weshalb?<br />

R RGanz einfach: Frauenmode hat ein großes<br />

Potenzial. Dieses haben wir bei Diesel<br />

noch nicht ausgeschöpft.<br />

53<br />

Sind Frauen in Sachen Fashion besser als<br />

Männer?<br />

R RSchwierig zu beurteilen. Aber Frauen<br />

gewinnen am Schluss, weil sie Charme haben<br />

und über mehr Ressourcen als Männer<br />

verfügen...<br />

Handwerk, Vintage und Tradition sind<br />

derzeit oft zitierte <strong>Mode</strong>-Worte. Warum?<br />

R RHandwerk und Tradition sind der beste<br />

Beweis, dass ein <strong>Mode</strong>unternehmen über<br />

Know-how und Expertise verfügt. Und diese<br />

Expertise hängt widerum stark mit dem<br />

Handwerk zusammen. Vintage hingegen ist<br />

eine endlose Quelle an Inspirationen.<br />

Sind heutzutage die Jeans als Kleidungsstück<br />

wichtiger oder das Marketing um sie<br />

herum?<br />

R R <br />

tig: die Kleider und das Marketing. Ohne<br />

Qualität gibt es kein Fundament, aber du<br />

musst auch Geschichten erzählen, um aus<br />

der DNA deiner Marke einen Lifestyle zu<br />

kreieren.<br />

– no –<br />

RENZO ROSSO fügt bei Unterschriften und Autogrammen<br />

gerne das Wort enjoy hinzu. Er wohnt<br />

mit seiner Familie auf einer Ranch in Italien.<br />

Zu seiner Genius-Gruppe gehören u.a. Diesel,<br />

Maison Martin Margiela und Victor&Rolf.<br />

` HERMES<br />

Es war einmal der Sohn eines Krefelder<br />

Kneipenwirts. Doch seinem Leben als einfacher<br />

Sattlermeister wurde dieser Dietrich<br />

Hermes alsbald überdrüssig, er strebte<br />

nach Größerem. So zog er 1827 nach Paris,<br />

vertrieb Sättel und Zaumzeug, war tüchtig<br />

und änderte seinen Namen in Thierry Hermès<br />

– nicht ahnend, dass Schöne und Reiche<br />

sich ihre Köpfe auch 2012 noch nach<br />

Hermès-Produkten verrenken würden; sogar<br />

mehr denn je.<br />

<br />

Sohn dem Reitsportsortiment schließlich<br />

Taschen und Koffer hinzu, denn mit dem<br />

Siegeszug der Technik musste der altbewährte<br />

Gaul modernen Eisenbahnen und<br />

Autos weichen. 1920 enterte die klassische<br />

Handtasche den Markt, eine Prêt-à-porter-<br />

Linie für Herren folgte in den Siebzigern,<br />

die Damenmode schloss sich in den Achtzigern<br />

an – eine Erfolgsgeschichte, die bis<br />

heute währt.<br />

Hermès steht nicht umsonst für Tradition,<br />

Qualität und Luxus in Reinform: Um in den<br />

Besitz einer legendären Birkin Bag zu kommen,<br />

muss Mademoiselle es sich auf der<br />

Warteliste bequem machen; und auch die<br />

Kelly Bag, deren Namen Grace Kelly höchstselbst<br />

prägte, löst noch heute Herzrasen<br />

aus. Erschwinglicher, aber nicht minder beliebt<br />

sind seit den Thirties die typischen<br />

Seiden-Carrés samt ihrer einzigartigen<br />

Dessins.<br />

<strong>Mode</strong>kritiker befassen sich jedoch am liebsten<br />

mit den Schauen der vielleicht bedeutendsten<br />

Marke der Welt, deren Börsenwert<br />

bei gut 25 Milliarden Euro liegt – und das,<br />

obwohl Chefdesigner Christophe Lemaire<br />

mit seinen visionären Kollektionen und<br />

aberwitzigen Kreationen nicht den kleinsten<br />

Raum für Stirnrunzeln lässt. Noch ein<br />

Hermès-Pluspunkt ist: Alle Mitarbeiter bekommen<br />

Toplöhne, alle halten Anteile am<br />

Unternehmen.<br />

– no –<br />

54<br />

SO<br />

KLINGT DIE<br />

MODE!<br />

Zusammen mit dem<br />

Produzenten &ME bildet Fetisch<br />

das Elektronik-Duo Terranova.<br />

Die DJ-Legende über seine<br />

Fashion Top Ten und das<br />

Wesen der <strong>Mode</strong>.<br />

Meine drei großen Fashion-Ikonen<br />

sind der Künstler Leigh Bowery, der<br />

Pornostar Peter Berlin und Jordan.<br />

Letztere war Muse und Verkäuferin<br />

in den legendären „Sex“ und „Seditionaries“<br />

von Vivienne Westwood<br />

und Malcolm McLaren. Für mich der<br />

absolute Höhepunkt der <strong>Mode</strong> in den<br />

letzten 50 Jahren. Originalstücke aus<br />

diesen Boutiquen haben bei Auktionen<br />

bei Christies und Sotheby’s Preise<br />

erzielt, die die von YSL- oder Chanel-Originalen<br />

um ein Vielfaches<br />

übersteigen.<br />

Gute <strong>Mode</strong> hat ihren Ursprung auf<br />

den Straßen, sie handelt von der<br />

Nacht, von Revolution und vor allem<br />

von Sex. Für mich kann das so weit<br />

<br />

Sexakt ist und man gar keinen<br />

Partner mehr dazu braucht.<br />

Diese zehn Stücke stehen für mich<br />

für die Energie der Nacht, Sex und<br />

die Sehnsucht nach Revolution –<br />

deshalb assoziiere ich sie mit <strong>Mode</strong>.<br />

- no -<br />

55<br />

1. SALSOUL ORCHESTRA/TOM MOULTON<br />

Love it ( love break)<br />

2. BLAZE<br />

Brake 4 love<br />

3. THE VELVET UNDERGROUND<br />

Venus in Furs<br />

4. GRACE JONES<br />

La vie en rose<br />

5. SILVESTER<br />

Mighty Real<br />

6. MADONNA<br />

Justify my Love<br />

7. BRIGITTE BARDOT<br />

Contact<br />

8. THE ROLLING STONES<br />

Gimme Shelter<br />

9. DOMINAS<br />

Domina<br />

10. GENE VINCENT<br />

Blue jean baby<br />

Foto: Ronald Dick<br />

84


- no –<br />

56<br />

Fotos: Olivia Bee für Hermès<br />

Text und Interview: Nike van Dinther<br />

OLIVIA<br />

BEE<br />

Olivia Bee hat sich mit ihren verträumten<br />

Bilderwelten eine große<br />

Fangemeinde aufgebaut. Mittlerweile<br />

wird die 18-jährige Fotografin und<br />

Bloggerin aus Portland von großen<br />

<strong>Mode</strong>marken für kleine Kampagnen<br />

gebucht. Gerade sogar von Hermès.<br />

Ihre Geschichte ist fast so märchenhaft<br />

wie die des traditionsreichen<br />

französischen Hauses.<br />

Was hat Hermès bewogen, mit Ihnen zusammenarbeiten<br />

zu wollen?<br />

OLIVIA BEE Ich glaube, man hat in mir etwas<br />

ganz anderes gesehen. Normalerweise arbeiten<br />

Luxusmarken ja mit etablierten Fo-<br />

<br />

auf mich, weil ich das Märchenhafte in den<br />

Dingen sehe. Meine Arbeit ist sehr ehrlich<br />

und echt. Beinahe naiv.<br />

Wie ist es Ihnen gelungen, für eine kommerzielle<br />

Marke zu arbeiten und gleichzeitig<br />

authentisch zu bleiben?<br />

O B In meinen Arbeiten stecken immer viel<br />

Herzblut und Seele. Das Allerwichtigste<br />

ist für mich, mir selbst treu zu bleiben,<br />

als Mensch und Künstler, und trotzdem<br />

in der Lage zu sein, den Kunden<br />

zufriedenzustellen.<br />

Was halten Sie persönlich von Hermès?<br />

O BHermès ist eine tolle Marke, die viel<br />

Zeit und Energie in jedes Produkt steckt.<br />

Ich hätte jedes der Tücher, die ich fotogra-<br />

<br />

habe ich bekommen, in einem hübschen<br />

Violett-Ton. Ich kann gar nicht abwarten, es<br />

zu tragen.<br />

Normalerweise beginnt man seine Karriere<br />

ganz unten. Sie hingegen haben gleich<br />

mit einigen der größten Marken der <strong>Mode</strong>welt<br />

losgelegt. Hat man danach überhaupt<br />

noch Träume?<br />

O B Haha, danke sehr! Nun ja, ich fühle<br />

mich natürlich sehr geschmeichelt und bin<br />

ziemlich aufgeregt und dankbar wegen all<br />

der Möglichkeiten, die sich mir eröffnet haben.<br />

Aber ich weiß auch, dass ich ziemlich<br />

hart dafür gearbeitet habe. Mein Leben verlief<br />

in den vergangenen drei Jahren ganz<br />

schön verrückt, was bedeutet, dass ich nur<br />

ziemlich selten gelangweilt bin. Ich würde<br />

allerdings gerne viel mehr Filme machen, in<br />

Feature-Länge, Musikvideos oder Werbespots,<br />

eben alles! Ich liebe Bilder - darum<br />

geht es. Ich könnte Fotos von allem Möglichen<br />

machen und wäre jedes Mal begeistert.<br />

Mein größter Traum: ein Fotoshooting<br />

auf dem Mond.<br />

Portland ist zwar nicht ganz so weit weg,<br />

soll aber durchaus interessant sein, auch<br />

in modischer Hinsicht. Erzählen Sie doch<br />

mal...<br />

B Die <strong>Mode</strong> in Portland ist ok. Es gibt na-<br />

türlich Menschen, die sich interessant kleiden,<br />

und man sieht viele Mädchen, die schönes<br />

pastellfarbenes Haar tragen – aber ich<br />

weiß nicht recht. Ich bin dieser Tribal-<strong>Mode</strong><br />

ein wenig überdrüssig, diesem Look, für<br />

den man sich man sich ungefähr 20 Ketten<br />

hängt<br />

oder was auch immer. Ich selbst fühle<br />

mich jedenfalls nicht sonderlich inspiriert<br />

von der <strong>Mode</strong> in Portland. Aber ab und an<br />

begegnet mir trotzdem jemand, der perfekt<br />

gekleidet ist – darüber freue ich mich.<br />

Welche Relevanz hat <strong>Mode</strong> überhaupt<br />

für 18-Jährige? Vor allem für Sie?<br />

O B Man sieht <strong>Mode</strong> ganz anders, wenn<br />

man in einem Alter ist, in dem man noch<br />

auf‘s College geht und das eigene Geld in<br />

erster Linie für Essen oder Toilettenpapier<br />

ausgeben muss. Da kann es ziemlich<br />

schwer fallen, sich darauf zu konzentrieren,<br />

wie man aussieht oder sich nach Außen<br />

präsentiert, wenn man sich aus dem Bett<br />

direkt zum Kurs schleppt. Andere hingegen<br />

erleben diese Phase als ultimativen <strong>Mode</strong>-<br />

Höhepunkt. Das ist die Zeit, in der alles fantastisch<br />

an dir aussieht, weil du selbst kein<br />

Stück daran zweifelst. Die Zeit, in der du<br />

noch Risiken eingehst. Die Zeit, in der du<br />

anderen Menschen durch das, was du<br />

trägst, zeigst, wer du bist. Mir persönlich<br />

ist <strong>Mode</strong> sehr wichtig, das war sie schon<br />

immer. In Plateau-Schuhen, schönen Kleidern<br />

und plüschigen Jacken fühle ich mich<br />

viel besser als in Jogginghosen. Ich bin allerdings<br />

sehr sprunghaft. Ich mag es, jeden<br />

Tag ein anderer Charakter zu sein, jeden<br />

Tag in einer anderen Stimmung zu leben.<br />

Andere Klamotten zu tragen, andere Musik<br />

zu hören, sogar täglich anders zu entscheiden,<br />

wo ich lang laufe und wie ich dabei<br />

gehe…<br />

Als Fotografin erzählen Sie gerne Geschichten<br />

darüber, ein Teenager zu sein.<br />

Was ist das Schwierigste daran?<br />

O B Teenager zu sein ist ziemlich hart.<br />

Aber auch wundervoll; es passiert so viel.<br />

Es ist eine spannende Phase, in der viele he-<br />

<br />

so kompliziert und irre! Ich komme langsam<br />

an das Ende meiner Teenagerzeit. Ich<br />

habe gerade die High School abgeschlossen.<br />

Langsam begreife ich, dass diese Phase<br />

ziemlich viel unnötiges Drama beinhaltet –<br />

aber genau dieses Drama hat die Zeit wahrscheinlich<br />

auch so unvergesslich gemacht.<br />

Egal wie alt oder jung wir sind, es scheint<br />

manchmal, als hätten wir alles, was in<br />

der <strong>Mode</strong>welt und -Fotografie möglich ist,<br />

schon längst gesehen. Kann das endlos so<br />

weitergehen?<br />

O B Darüber denke ich auch manchmal<br />

nach. Aber im Zeitalter der Technologie<br />

ist doch alles möglich. Es kommt nur da<br />

rauf an, die Dinge richtig miteinander zu<br />

verknüpfen.<br />

86<br />

87


Illustration: Katrin Funcke, Text: Doris Hardt<br />

KARL<br />

LAGERFELD<br />

Karl Lagerfeld würde wahrscheinlich<br />

sagen, dass Sex etwas für Proleten ist,<br />

die sich grunzend aneinanderreiben.<br />

Trotzdem ist unsere Autorin elektrisiert<br />

von der übermenschlichen<br />

Kultiviertheit des <strong>Mode</strong>titanen, in<br />

dessen Gegenwart sie sich immer ein<br />

bisschen schmutzig fühlt.<br />

57- no -<br />

PIN-UP<br />

Es ist natürlich nichts Sexuelles. Karl Lagerfeld<br />

hat etwas entschieden Asexuelles;<br />

und ich glaube, er wäre nicht einmal gekränkt,<br />

wenn man ihm das persönlich sagen<br />

würde. Er würde wohl den Kopf schütteln<br />

und sagen: „Ja, Sex, dégueulasse. Für<br />

Primaten und Proleten. Ich überlasse es<br />

anderen, sich grunzend aneinanderzureiben.<br />

Ich lese lieber.“<br />

Und ich würde denken: stimmt eigentlich.<br />

Und mir wäre Sex sofort auch widerwärtig.<br />

So geschieht es bei fast allem, was Karl Lagerfeld<br />

sagt, es scheint die unumstössliche<br />

Wahrheit zu sein, die einzig mögliche Haltung<br />

– auch wenn man vorher noch absolut<br />

vom Gegenteil überzeugt war.<br />

Karl Lagerfeld ist immer einmal klüger,<br />

immer einmal radikaler, er hat immer noch<br />

einen Schritt weitergedacht. Er ist hypermodern<br />

in seiner altmodischen Art, er ist<br />

der Gralshüter der Kultiviertheit und vielleicht<br />

der letzte Mensch, der wirklich keinen<br />

Gedanken daran verschwendet, anderen<br />

gefallen zu wollen, nie, never, jamais,<br />

denn er kann sich den Luxus der unbedingten<br />

Ehrlichkeit leisten.<br />

Karl Lagerfeld ist eine Insel. Eine am<br />

schönsten Ort der Welt in harter Arbeit<br />

selbstaufgehäufte Insel. Wenn er also sagt,<br />

Adele sei „ein bisschen zu fett“, dann heult<br />

die Welt auf, denn wie kann man denn bloß,<br />

die liebe Adele, die so schön singt, aber die<br />

Welt entblößt damit ihre ganze Scheinheiligkeit,<br />

denn so gibt sie zugleich zu, dass<br />

„ein bisschen zu fett“ das schlimmstmögliche<br />

Urteil über einen Menschen ist. Aber<br />

bei Karl ist es ganz schlicht eine Feststellung,<br />

seine Wahrheit, die Wahrheit.<br />

In der Entwicklung des Übermenschen<br />

Lagerfeld hat er menschliche Makel wie<br />

Maßlosigkeit beim Essen hinter sich gelassen,<br />

er hat sich selbst bewiesen, dass es<br />

geht. Und so schaut er mit einem gewissen<br />

Unverständnis auf normale Menschen, die<br />

noch immer irgendwelche Todsünden begehen,<br />

einfach, weil sie undiszipliniert sind,<br />

wie Tiere sind. Es reicht kaum jemand an<br />

den Grad von Evolution heran, den Karl Lagerfeld<br />

erreicht hat.<br />

Und so ist es vielleicht eine masochistische<br />

Fantasie von mir, mit Karl Lagerfeld Zeit zu<br />

verbringen, denn ich wäre ständig gedemütigt.<br />

Wir würden in einem Saal seiner Wohnung<br />

in Paris sitzen, auf Sofas und Sesseln,<br />

die nicht zum Fläzen gemacht sind, sondern<br />

eine aufrechte Haltung erfordern, Körperspannung,<br />

Beherrschung, Würde.<br />

Das würde bei ihm auch funktionieren mit<br />

der Würde; wie ein intergalaktisches Lichtwesen<br />

säße er da, doch ich würde doch nur<br />

aussehen wie der Mensch spielende Affe,<br />

der ich halt bin. Choupette, seine weiße Katze,<br />

würde mich verächtlich ansehen von ihrem<br />

Platz auf der Armlehne von Lagerfelds<br />

Sessel, und wenn sie endlich die blauen Augen<br />

schließt und den Kopf auf ihre Vorderpfoten<br />

bettet, wüsste ich, dass sie es tut,<br />

weil sie das, weil sie MICH! nicht mehr ansehen<br />

mag.<br />

In meiner Fantasie trägt Karl Lagerfeld zuhause<br />

immer lange weiße Nachthemden aus<br />

allerfeinster ägyptischer Baumwolle. „Ich<br />

schlafe nie nackt, warum sollte ich, also trage<br />

ich das Laken sozusagen am Körper,“<br />

würde er sagen, aber die Bettwäsche ist natürlich<br />

ebenfalls aus allerfeinster ägyptischer<br />

Baumwolle, vom Besten kann man<br />

nie genug haben.<br />

Er würde kohlensäurelose Cola Light trinken,<br />

und nicht mal ein Erdbeben könnte ihn<br />

dazu bringen, auch nur ein Tröpfchen davon<br />

auf den teuren weißen Stoff zu kleckern. Ab<br />

und zu würde er aufstehen und sich an einen<br />

riesigen Tisch setzen, so groß wie ein<br />

kleines Land, und ein Fax schreiben.<br />

Und ab und zu würde ich aufstehen und<br />

durch seine Wohnung streifen; es wäre<br />

egal, denn er ignoriert mich ja sowieso, und<br />

Es ist vielleicht eine masochistische Fantasie<br />

von mir, mit Karl Lagerfeld Zeit zu verbringen,<br />

denn ich wäre ständig gedemütigt.<br />

er hat nichts zu verstecken, denn in Wohnungen<br />

wird nur das versteckt, was deren<br />

Bewohner allzu menschlich macht.<br />

Und so würde ich bei Karl keine Dosen<br />

<br />

(wahrscheinlich nicht einmal ein Klo), kein<br />

Essen und keinen nostalgischen Tand. Nur<br />

Bücher, überall. Und dann würde ich mich<br />

wieder zu ihm in den Saal setzen, sehr aufrecht,<br />

und darüber nachdenken, wie ich<br />

mich bessern könnte.<br />

KARL LAGERFELD macht bis heute ein Geheimnis<br />

aus seinem Alter. Der gebürtige Hamburger<br />

lebt in einer Pariser Villa. Seit 1984 ist er Chefdesigner<br />

bei Chanel, zuvor 20 Jahre lang bei<br />

Chloé. Neben seiner Tätigkeit als <strong>Mode</strong>designer,<br />

<br />

selbst.<br />

88<br />

89


Fotos: David Fischer<br />

Text: Lisa Leinen<br />

Styling: Götz Offergeld<br />

Haare/ Make-up: Christian Fritzenwanker @ Perfect Probs using MAC Cosmetics<br />

<strong>Mode</strong>l: Laura O’Grady @ Select <strong>Mode</strong>ls<br />

<br />

<br />

EMPORIO<br />

ARMANI<br />

58<br />

- no -<br />

Der große König der italienischen<br />

<strong>Mode</strong> ist auch mit 78 Jahren nicht<br />

müde, sein Stil-Imperium auf der<br />

ganzen Welt zu verbreiten. Grenzen<br />

kennt er dabei nicht – nur die seines<br />

eigenen Geschmacks.<br />

Die Karriere Giorgio Armanis liest sich wie<br />

ein <strong>Mode</strong>märchen: vom Schaufensterdekorateur<br />

zum Fashionguru, dem gleichermaßen<br />

der Anzugträger, die moderne Frau<br />

und die Hollywoodstars vertrauen. 1934 in<br />

Norditalien geboren, beginnt er nach dem<br />

Abitur ein Medizinstudium, merkt jedoch<br />

schnell, dass er sich nicht sein Leben lang<br />

von Krankheiten umgeben sein möchte. Er<br />

arbeitet einige Jahre als Schaufensterdekorateur,<br />

bevor er als Herren-Einkäufer für<br />

das Mailänder Warenhaus La Rinascente<br />

seine Karriere startet. 1961 wechselt er zu<br />

Nino Cerruti, bekannt für edle Businessmode<br />

und einen klassisch-männlichen Stil.<br />

Eine Philosophie, die auch Armani später<br />

mit seiner eigenen Marke verfolgen wird.<br />

1966 begegnet er dem Mann, der ihn mit<br />

diesem Vorhaben unterstützen wird: Sergio<br />

Galeotti, ein Architekt, der Armani 1975 zur<br />

Selbstständigkeit ermutigt und nicht nur<br />

Geschäfts-, sondern auch sein späterer<br />

Lebenspartner wird.<br />

Zuerst konzentriert sich Armani wie bereits<br />

in den Jahren zuvor auf edle und hochwertige<br />

Herrenkleidung. Sein Name im Anzugfutter<br />

wird zum Statussymbol des stilbewussten<br />

Mannes. So trägt Richard Gere in<br />

„Ein Mann für gewisse Stunden“ Armani<br />

und verpasst dem Anzug von der Stange einen<br />

Look, den Frauen lieben und Männer<br />

tragen wollen. Fünf Jahre nach der Gründung<br />

des Unternehmens beginnt Armani<br />

seine Arbeiten an einer Damenkollektion.<br />

Weitere fünf Jahre später, 1985, stirbt Sergio<br />

Galeotti, laut Medienberichten an einem<br />

Herzinfarkt.<br />

Nach seinem Tod übernimmt Giorgio Armani<br />

auch die restlichen 50 Prozent der Firmenanteile.<br />

Bis heute ist er alleiniger Besitzer<br />

seines Unternehmens, designt, verwaltet<br />

und überwacht sein Imperium.<br />

Eine beachtliche Leistung. Alle Angebote,<br />

sein Label, zu verkaufen, lehnte der heute<br />

ziell<br />

unabhängig. Im letzten Geschäftsjahr<br />

verzeichnete das Unternehmen einen Umsatz<br />

von 1,8 Milliarden Euro. Noch im Dezember<br />

2011 ließ Armani in einem Interview<br />

mit dem Zeit-Magazin verlauten, dass<br />

„viele kleine Armanis in meinem Unternehmen<br />

sein werden, die meine Arbeit fortführen.<br />

Aber es wird kein Genie kommen, das<br />

all dies einmal übernehmen kann. Das<br />

würde Betrug an mir selbst und meiner<br />

Ernsthaftigkeit bedeuten.“ Selbstbewusste<br />

Worte, die er auch in seinen Kollektionen<br />

veranschaulicht.<br />

Seine Entwürfe sind präzise, zeitlos, edel<br />

und stets darum bemüht, das Bild einer<br />

starken Frau zu zeichnen. Viel Schwarz,<br />

viel Grau, wertvolle Materialien, perfekte<br />

Verarbeitung. Neben zahlreichen anderen<br />

Linien, wie beispielsweise Armani Jeans<br />

oder Emporio Armani, der sportlich legeren<br />

Kollektion für ein urbanes, jüngeres<br />

Publikum, die wir in unserem begleitenden<br />

Shooting zeigen, ist es besonders Armani<br />

Privé, die ihm zu Medienpräsenz verhilft.<br />

Hollywood-Stars wie Kate Winslet, Cate<br />

Blanchett oder Anne Hathaway präsentieren<br />

sich bei Filmpremieren in seinen Haute<br />

Couture-Roben, die die Vielfältigkeit seiner<br />

Designkunst unter Beweis stellen. Während<br />

die Damen- und Herrenkollektionen bei<br />

der Mailänder <strong>Mode</strong>woche gezeigt werden,<br />

lässt er seine Haute Couture-Kreationen<br />

in Paris bestaunen. Insgesamt zwölf<br />

Linien schuf Armani seit Gründung des<br />

Labels.<br />

Neben beinahe allen Facetten von Bekleidung<br />

widmet er sich zudem mit Armani<br />

Casa der Inneneinrichtung (und sogar den<br />

dazu passendem Blumengestecken und -<br />

vasen mit Armani Fiori). In Dubai eröffnete<br />

2010 ein vom ihm gestaltetes Hotel, 2011<br />

folgte eines in Mailand. Er gründete einen<br />

eigenen Buchverlag namens Armani Libri,<br />

mani<br />

Dolci und vertreibt zudem Sonnenbrillen,<br />

Parfüms und andere Kosmetikprodukte.<br />

Allein im vergangenen Jahr<br />

wurden 100 Boutiquen seiner Linien weltweit<br />

eröffnet.<br />

Mit Blick auf die Zahlen und die aktuelle<br />

Kollektion scheint es, als würde der stilisierte<br />

Adler, den Armani als Logo für sein<br />

Label auswählte, auch weiterhin über die<br />

<strong>Mode</strong>welt wachen. Und mit ihm einer der<br />

erfolgreichsten Designer unserer Zeit.<br />

90<br />

91


Die Firmengeschichte Chanels lässt sich in<br />

zwei Ären unterteilen: die Zeit von Madame<br />

Coco und von König Karl.<br />

Coco Chanel gilt bis heute als eine der ein-<br />

freite<br />

die Frauen der Belle Époque aus ihren<br />

eng geschnürten Korsetts und ersetzte sie<br />

durch gerade geschnittene Röcke zu weißen<br />

Blusen und einen androgynen, modernen<br />

Look mit tiefer Taille. Chanel selbst wurde<br />

zur Stilikone, die die Rolle der damenhaften<br />

Designerin und der rebellischen Diva vereinte.<br />

Anfang der Dreißiger kreiert sie<br />

ihr erstes Parfüm: Chanel No.5 wird ein<br />

fulminanter Verkaufsschlager. Während<br />

<br />

zieht sich zurück. Einige Medien behaupten,<br />

sie hätte eine Liebschaft mit einem<br />

<br />

sich später in ihren Aussagen dazu widersprechen.<br />

Anfang der Fünfziger nimmt sie<br />

ihre Arbeit wieder auf und präsentiert<br />

1954 ihre Comeback-Kollektion. Nach Anlaufschwierigkeiten<br />

will jede Frau bald wieder<br />

ein Chanel-typisches Tweedkostüm besitzen.<br />

Im Alter von 84 Jahren verstarb<br />

Coco Chanel 1971 in Paris.<br />

In den Folgejahren versuchen einige Designer<br />

ihr Erbe anzutreten, können aber nicht<br />

Fuß fassen. Bis Karl Lagerfeld 1983 erst als<br />

Berater für Haute Couture und ein Jahr später<br />

als Chefdesigner bei Chanel einsteigt. Er<br />

führt das Label zum Erfolg zurück. Durch<br />

Lagerfelds geschickte Selbstinszenierung<br />

<br />

mag, der wird berühmt – oder erlebt ein<br />

Comeback wie das <strong>Fräulein</strong> dieser Ausgabe,<br />

Caroline de Maigret. Er vereint die Tradition<br />

des Hauses mit trendorientierten Elementen.<br />

Ab und an tauchen auch Männermodels<br />

bei seinen Shows auf, obwohl<br />

Chanel keine Herrenkollektion anbietet.<br />

Lagerfeld sieht dies als Hommage an Coco<br />

Chanel, die anfangs von der Männermode<br />

inspiriert wurde. Seine Entwürfe sind stetig<br />

und stetig gut. Coco Chanel wäre stolz,<br />

wenn sie wüsste, dass ihr Mythos weiterlebt<br />

und ihre <strong>Mode</strong>, die damals so fortschrittlich<br />

war, mittlerweile zeitlos geworden<br />

ist.<br />

- no -<br />

59<br />

CHANEL<br />

Fotos: Stefan Armbruster<br />

Interview: Lena Bergmann<br />

Styling: Götz Offergeld<br />

<strong>Mode</strong>l: Caroline de Maigret<br />

<br />

60- no -<br />

CAROLINE<br />

Caroline de Maigret war in den<br />

Neunzigern ein erfolgreiches, aber<br />

frustriertes <strong>Mode</strong>l. Dann wurde sie<br />

eine erfolgreiche, aber glückliche<br />

Musikproduzentin und Mutter. Und<br />

dann holte Karl Lagerfeld sie plötzlich<br />

auf den Laufsteg zurück, als sie<br />

35 war. Inzwischen macht sie auch<br />

wieder Editorials und Kampagnen.<br />

„Die Leute, mit denen ich arbeite,<br />

sehen heute eine Frau vor der<br />

Kamera. Nicht einfach ein <strong>Mode</strong>l.<br />

Das gefällt mir.” Ihr Stil? „Ich sage<br />

androgyn. Mein Mann sagt Rock ’n’<br />

Roll. Meine Agentur sagt Pariser<br />

Chic. Meine Mutter sagt mühelos,<br />

mein Sohn sagt cool.”<br />

Weil sie sich als junge Frau durch<br />

das <strong>Mode</strong>ln von ihrer katholischen<br />

Politiker-Familie emanzipiert hat.<br />

Weil sie danach Unternehmerin<br />

geworden und heute, mit Mitte<br />

30, besser denn je vor der Kamera<br />

aussieht. Weil sie unbeschwert über<br />

ernste Themen redet. Weil sie Männern<br />

rät, lieber ein Buch zu lesen als<br />

ins Fitnessstudio zu gehen und uns<br />

mit ihrem souveränen Look zeigt,<br />

dass Alter schöner machen kann,<br />

ist Caroline de Maigret das <strong>Fräulein</strong><br />

dieser Ausgabe.<br />

DE MAIGRET<br />

Ihre Karriere begann mit 19. Sie wurden<br />

in Paris auf der Straße angesprochen,<br />

zum wiederholten Mal. Doch dann sagten<br />

Sie „Ja“. Warum?<br />

C D MAls ich zwischen 12 und 15 war,<br />

wurde ich immer mal wieder gefragt,<br />

aber <strong>Mode</strong>ln hat mich nie interessiert.<br />

Nach der Schule habe ich dann angefangen,<br />

an der Sorbonne Politikwissenschaften<br />

und Literatur zu studieren, ohne<br />

allerdings konkret zu wissen, was ich<br />

damit anfangen sollte. Ich war ziemlich<br />

gelangweilt mit 19! Und als mir dann wieder<br />

Mal eine Agentin auf die Schulter<br />

tippte, dachte ich, wenigstens kann ich<br />

dann reisen. Und bei meinen Eltern ausziehen.<br />

Das war die große Motivation.<br />

Und dann ging es steil bergauf?<br />

C D MIch hatte Glück und konnte sofort<br />

arbeiten. Für mein erstes Editorial hat<br />

<br />

für die französische GLAMOUR. Dann<br />

wurde ich für einen Shoot in New York<br />

<br />

geblieben bin.<br />

Das war 1994. Damals war New York noch<br />

anders als heute...<br />

C D MEs war zwar schon ziemlich sauber,<br />

aber es war wenigstens noch keine<br />

große Shoppingmall. Die Stadt war intensiv.<br />

Damals stellte New York noch viele<br />

Leben auf den Kopf! Man riskierte mehr,<br />

lebte verrückter, ging viel aus, feierte.<br />

Aber für mich symbolisiert es auch<br />

einfach die Freiheit, 20 zu sein, ohne<br />

Eltern...<br />

Die haben sich zuhause geärgert?<br />

C D MDie waren richtig sauer. Sie haben<br />

lange nicht mit mir gesprochen. Einerseits<br />

wegen des <strong>Mode</strong>lns, aber haupt-<br />

97


sächlich, weil ich mein Studium abgebrochen<br />

hatte. Dem Vorlesungssaal hatte ich<br />

Adieu gesagt, als ich bei City <strong>Mode</strong>ls unterschrieben<br />

hatte, meiner damaligen Agentur.<br />

Meine komplette Familie war in der Politik<br />

oder Wirtschaft tätig, auf der Seite<br />

meiner Mutter wie der meines Vaters. Mein<br />

Großvater war Innen- und Gesundheitsminister,<br />

mein Vater war ebenfalls Politiker.<br />

Sagen wir es kurz: <strong>Mode</strong>ln war nicht die<br />

Zukunft, die man für mich im Auge hatte.<br />

Wahrscheinlich hat Ihnen der Job auch<br />

deswegen so viel Spaß gemacht, weil Sie in<br />

New York waren.<br />

C D MEs hat sich dort einfach besser angefühlt.<br />

Ich habe noch nie so darüber gesprochen,<br />

aber dort hat mich einfach niemand<br />

kritisiert, weil ich mich für das <strong>Mode</strong>ln entschieden<br />

habe. So lange man Geld macht,<br />

ist man in Amerika gut drauf. Ich war in einem<br />

Land, wo das, was ich tat, als sehr positiv<br />

betrachtet wurde. In Amerika ist es ja<br />

erlaubt, erfolgreich zu sein, Geld zu machen<br />

– anders als in Frankreich. Man entwickelt<br />

mehr Mut, etwas anzupacken, etwas Neues<br />

auszuprobieren.<br />

„Yes, we can.“<br />

„Mein Großvater war<br />

Innen- und Gesundheitsminister,<br />

mein Vater<br />

war ebenfalls Politiker. Sagen<br />

wir es kurz: <strong>Mode</strong>ln war<br />

nicht die Zukunft, die man<br />

für mich im Auge hatte.“<br />

C D MGenau. Auch die Idee, Musik zu produzieren,<br />

hatte sich bei mir in New York<br />

entwickelt, da ich trotz Amerika doch irgendwann<br />

frustriert war, ein <strong>Mode</strong>l zu sein.<br />

Die meisten meiner Freunde waren Künstler<br />

und haben irgendwelche interessanten<br />

Projekte gemacht. Und hatten nie Geld. Im<br />

Gegensatz zu mir. Es war nicht gut für die<br />

Seele, zu beobachten, dass all´ diese talentierten<br />

Leute keine Mittel hatten, ihre Projekte<br />

voranzutreiben, keine Farbe zum Malen<br />

oder Geld für Instrumente. Ich habe<br />

dann angefangen, einige von ihnen zu sponsern,<br />

zum Beispiel einen Bus zu mieten, damit<br />

sie auf Tour gehen konnten. Ich wollte,<br />

dass Dinge, von denen ich überzeugt war,<br />

auch eine Überlebenschance hatten. So kam<br />

mir irgendwann die Idee zu dem Label. Das<br />

ist die ganze Utopie.<br />

Gegründet haben Sie das Label aber erst<br />

nach Ihrer Rückkehr nach Paris, mit Ihrem<br />

Freund, dem Musiker Yarol Poupaud. Wie<br />

haben Sie sich kennengelernt?<br />

C D MIch war auf einem seiner Konzerte.<br />

Und ich war elektrisiert. Seine Musik vereint<br />

alles, was ich mag. Eine Mischung aus<br />

Hardrock und Soul. Sehr intensiv. Wir haben<br />

angefangen, über das Produzieren von<br />

Musik zu reden, über junge Bands. Wir haben<br />

uns über die Musik kennengelernt. Erst<br />

nach zwei Monaten haben wir uns geküsst.<br />

Das war vor acht Jahren. Dann haben wir<br />

2006 das Label gegründet.<br />

Inzwischen betreiben Sie zusammen also<br />

das Bonus Track Records und die Produktionsfirma<br />

Yarock Editions, mit der Sie<br />

Soundtracks und Musik für Werbung produzieren.<br />

Und Sie sind auf den Laufsteg<br />

zurückgekehrt. Welche Ihrer Karrieren ist<br />

Ihnen am Wichtigsten?<br />

99


C D M Keine Ahnung. Die nächste! Ich komme<br />

gerade zurück zum Bild. Diesen Herbst<br />

beispielsweise gebe ich einen Bildband heraus.<br />

Meistens entwickle ich irgendwelche<br />

Ideen und spreche dann meine potentiellen<br />

Kunden selbst an. Ich arbeite wie ein Art<br />

Director und stelle kreative Teams zusammen.<br />

Letztes Jahr habe ich zum Beispiel für<br />

die <strong>Mode</strong>l-Agentur Viva fünfzig Videos produziert.<br />

Das Besondere war, dass Topmodels<br />

und ganz junge Anfängerinnen mitgemacht<br />

haben. Unbekannte aber talentierte<br />

Fotografen, von denen ich viele kenne,<br />

brauchen ja immer Aufnahmen von namhaften<br />

<strong>Mode</strong>ls. Also habe ich gesagt: „Ich<br />

organisiere Dir ein Topmodel, wenn Du<br />

<br />

So habe ich den Fotografen Türen geöffnet<br />

und den Mädchen natürlich auch. Und die<br />

Topmodels haben mitgemacht.<br />

Wollten Sie Ihnen einen Gefallen tun ?<br />

C D MJa, viele sind Freundinnen. Und ext-<br />

<br />

„<strong>Mode</strong>ln habe ich erst jetzt<br />

lieben gelernt. Heute ist es<br />

Luxus für mich und macht<br />

mir richtig Spaß.“<br />

buchen. Stella Tennant hat uns eine halbe<br />

Stunde gegeben, aber eine halbe Stunde mit<br />

Stella Tennant ist so effektiv wie ein ganzer<br />

Tag mit einem jungen Mädchen.<br />

Jetzt klingen Sie wie Heidi Klum, die bei<br />

uns die populärste Nachwuchsmodel-Show<br />

moderiert. Sehen Sie sich solche Shows an?<br />

C D M<br />

nicht so spannend. Ich bin eher mit Musikern<br />

befreundet, mit Künstlern.<br />

Warum haben Sie eigentlich damals aufgehört<br />

zu modeln?<br />

C D MEines Tages wollten mein Freund<br />

und ich unbedingt ein Kind haben. Mein Leben<br />

war reglementiert von <strong>Mode</strong>lverträgen.<br />

Immer, wenn ein Vertrag auslief, kam der<br />

nächste. Immer ging es um viel Geld. Es<br />

war fucked up. Ich hatte das Gefühl, ich<br />

muss eine Entscheidung treffen. Wenn ich<br />

ein Kind will, dachte ich, sollte ich auch eins<br />

machen. Und so wurde ich vertragsbrüchig:<br />

<br />

war festgelegt, dass ich nicht mehr als zwei<br />

Kilo zunehmen dürfte. Wir haben uns dann<br />

später geeinigt, obwohl ich den Vertrag verletzt<br />

hatte.<br />

Wie fühlt es sich an, jetzt als <strong>Mode</strong>l noch<br />

mal durchzustarten?<br />

C D M<strong>Mode</strong>ln habe ich erst jetzt lieben gelernt.<br />

Heute ist es für mich ein Luxus und<br />

macht mir wirklich Spaß. Früher hatte ich<br />

immer parallel die Frustration, dass ich<br />

nichts anderes machte. Ich wollte ja irgendwie<br />

kein <strong>Mode</strong>l sein. Ich wusste nur nicht,<br />

wie ich etwas anderes starten sollte. Und<br />

den Job als <strong>Mode</strong>l einfach zu kündigen,<br />

empfand ich immer als sehr schwer, weil<br />

durch das Geld viel Freiheit entsteht. Aber<br />

100


105


den Alltag empfand ich oft als schlimm.<br />

Wie konnte die <strong>Mode</strong>-Branche Sie erneut<br />

locken?<br />

C D MDas war Karl. Ich habe vor zwei Jahren<br />

während der Pariser Fashion Week eine<br />

Radiosendung moderiert. Ich hatte einen<br />

Bus, der von Show zu Show gefahren wurde,<br />

und habe alle möglichen Besucher und<br />

Mitwirkende interviewt. Und ich habe es<br />

tatsächlich geschafft, Karl in diesen ollen<br />

Bus zu locken. Das war so cool. Und so Karl.<br />

Kurz danach hat er mich gefragt, ob ich<br />

für eine Chanel-Show laufen möchte,<br />

als <strong>Mode</strong>l.<br />

„Manchmal ist das Image<br />

einer älteren Frau mit Patina<br />

inspirierender als das eines<br />

17-jährigen Mädchens.“<br />

Waren Sie sehr überrascht?<br />

C D MAbsolut! Ich war schockiert. Ich war<br />

da 35. Die Mehrheit der Mädchen ist zwischen<br />

17 und 25. Für diese erste Show hatte<br />

er mich als einzige Ältere gebucht. Und<br />

dann haben mich plötzlich alle wieder gebucht.<br />

Nun arbeite ich mit vielen Fotografen,<br />

mit denen ich schon vor zehn, 15 Jahren<br />

gearbeitet habe. Es macht viel mehr Spaß,<br />

weil ich heute, als Frau, viel stolzer auf mich<br />

bin. Und als Job macht es auch mehr Spaß,<br />

wenn man nicht so abhängig davon ist.<br />

Wenn der Kopf voll ist mit spannenden Projekten,<br />

mit der Familie, mit all diesen Sachen,<br />

dann ist es ein Luxus, während eines<br />

Shoots im Hotel ein paar Stunden für sich<br />

zu haben. Und nicht langweilig oder einsam.<br />

Ich glaube, ich bin jetzt ein besseres<br />

<strong>Mode</strong>l, weil ich freier bin. Ich fühle mich<br />

vor der Kamera wohler. Und ich habe das<br />

<br />

nicht das <strong>Mode</strong>l. Auch anderen Frauen gefallen<br />

meine Bilder, erwachsenen Frauen.<br />

Das ist mir wichtig. Ich will Frauen<br />

repräsentieren.<br />

Warum gibt es dieses Comeback von älteren<br />

<strong>Mode</strong>ls?<br />

C D MIch habe das Gefühl, das hatte mit<br />

der Wirtschaftskrise zu tun. Die Leute wollten<br />

wieder Realität sehen, vielleicht auch<br />

mal ein Gesicht, das sie aus rosigeren Zeiten<br />

kannten. Manchmal ist das Image einer älteren<br />

Frau mit Patina eben inspirierender<br />

als das eines 17-jährigen Mädchens. Das hat<br />

Karl Lagerfeld früh verstanden. Ein neuer<br />

Typ musste her.<br />

Im Interior-Design gab es eine ähnliche<br />

Bewegung. Auf einmal mussten alle Oberflächen<br />

Gebrauchsspuren haben.<br />

C D MGenau so sehe ich es. Und die Message<br />

ist: „It’s okay. We can still do it.“ Die<br />

<br />

Frauen altern heute besser. Und wieso sollen<br />

sie sich nicht zeigen? Die Grenzen, wann<br />

eine Frau als „alt“ angesehen wird, haben<br />

sich nach hinten verschoben. Das ist gut.<br />

Mir hat eine Verkäuferin gesagt, ich bräuchte<br />

diese Creme, die einerseits gegen Altersfalten<br />

wirkt, aber auch gegen meine „Lifestyle-Falten“.<br />

C D MWas die sich alles einfallen lassen,<br />

in den Marketing-Abteilungen! Wenigstens<br />

wirbt heute nicht mehr eine 18-jährige für<br />

Faltencremes, sondern eine älteres Gesicht.<br />

Das hat sich geändert.<br />

Erzählen Sie uns was über Ihren aristokratischen<br />

Hintergrund. Hat der Adel in Frankreich<br />

überhaupt noch Geld?<br />

C D MDa ist kaum etwas übrig (lacht). Außerdem<br />

komme ich aus einer sehr katholischen<br />

Familie. Das heißt, selbst wenn man<br />

Geld hat, spricht man nicht darüber. Aber<br />

vor allem gibt man es nicht aus. Ich habe<br />

von meiner Familie kein Geld bekommen<br />

und ich habe nie danach gefragt. Deswegen<br />

war es ja für mich als junges Mädchen so<br />

verlockend, durch das <strong>Mode</strong>ln mein eigenes<br />

Geld zu verdienen. Außerdem wollte ich<br />

einfach etwas von der Welt sehen. Die Ansichten<br />

der bürgerlichen Aristokratie kannte<br />

ich ja. Geld war der einzige Weg da raus.<br />

Während Ihrer Kindheit wurde am Tisch<br />

ständig über Politik geredet.<br />

C D MJedes einzelne unserer Tischgespräche<br />

war davon motiviert. Und es war laut!<br />

Ich habe zwei Schwestern und einen Bruder.<br />

Im Gegensatz zu mir sind sie aber alle<br />

auf die Business School gegangen. Und<br />

zwanzig Jahre später haben alle ihre Karrieren<br />

hingeschmissen, das liebe ich (lacht)!<br />

Meine älteste Schwester ist heute Theaterregisseurin,<br />

mein Bruder leitet Entwicklungshilfeprojekte<br />

in Indien und meine jüngere<br />

Schwester arbeitet auf einer Ranch.<br />

Jeder hat inzwischen seine Bestimmung gefunden.<br />

Ich war das schwarze Schaf, das<br />

zuerst vom Weg abgekommen ist. Und inzwischen<br />

bin ausgerechnet ich zur Businessfrau<br />

geworden (lacht).<br />

Sehen Sie sich als politische Person?<br />

C D MNein, das nicht. Ich verfolge die Politik.<br />

Und ich würde mich gerne mehr für<br />

<br />

mehr und mehr als Feministin. Aber ich bin<br />

nicht öffentlich in Politik involviert.<br />

Denken Sie viel über die Erziehung Ihres<br />

2006 geborenen Sohnes nach?<br />

C D MJa, und über meine eigene, auch<br />

wenn ich als Teenager gegen sie rebelliert<br />

hatte. Ich habe später verstanden, wie hilfreich<br />

meine Erziehung für mich war, für<br />

vat.<br />

Ich habe das Gefühl, die Regeln zu kennen<br />

– egal wo ich bin oder mit wem ich<br />

zusammen bin. Ich lasse mich nicht verunsichern<br />

von unterschiedlichen sozialen<br />

Codes oder Charakteren. Das ist eine Stärke,<br />

die ich meinem Sohn beibringen will. Er<br />

kann die Füße auf den Tisch legen, solange<br />

er dabei... Nein, er darf eigentlich die Füße<br />

nie auf den Tisch legen (lacht). Nirgendwo.<br />

Was ich meine: Er soll die Sensibilität entwickeln,<br />

Situationen einschätzen zu können<br />

und sich entsprechend zu benehmen.<br />

Finden Sie, mit mehr Geld könnte man noch<br />

kreativer sein?<br />

C D Mativ.<br />

Ich muss dieses Gewicht auf meinen<br />

Schultern spüren, den Druck, meine Familie<br />

zu ernähren. Erst dadurch entwickle ich<br />

die Dynamik, viel zu machen.<br />

Nervt Sie die Arbeit auch manchmal?<br />

C D MJa, derzeit vor allem die Musikindustrie.<br />

Man macht inzwischen Geld mit einem<br />

Song für Vodafone, Musik wird an große<br />

Firmen verkauft, nicht mehr an die Massen.<br />

Ich hatte schon Anrufe wie: „Ich suche eine<br />

Band mit langen Haaren.“ Der Musikstil<br />

war kein Thema. Absurd.<br />

„Ich war in meiner Familie<br />

das schwarze Schaf, das zuerst<br />

vom Weg abgekommen<br />

ist. Und inzwischen bin<br />

ausgerechnet ich zur<br />

Businessfrau geworden.“<br />

Das Lieblingsstück in Ihrem Kleiderschrank?<br />

C D MEine schwarze Chanel-Weste, die alles<br />

chic aussehen lässt. Die handwerkliche<br />

Qualität von Chanel ist besonders präsent,<br />

wenn man sie trägt. Ich Glückliche habe sie<br />

letztes Jahr geschenkt bekommen. Und ich<br />

besitze einen Kaschmir-Sweater von Balenciaga,<br />

den ich sehr liebe. Er ist an den<br />

Schultern weit geschnitten und sehr weich.<br />

Perfekt für den Winter in meinem Pariser<br />

Apartment.<br />

106


noch gemodelt hat. Sie ist sehr smart, doch<br />

ich bin kein großer Fan von ihr als <strong>Mode</strong>l.<br />

Eher als Frau. Von Gesprächen mit ihr weiß<br />

ich, dass sie sehr beeindruckend ist, sehr<br />

gebildet. Sie kennt sich aus, Philosophie, Literatur,<br />

Geschichte. Mich überrascht es<br />

nicht, dass Männer wie Sarkozy sie mögen.<br />

Was ist Ihnen am Wichtigsten bei einem<br />

Mann?<br />

C D MI want the real shit. Ich mag Loyalität.<br />

Ich muss lachen können. Ich hasse Faulheit.<br />

Und Leute, die sich dann auch noch beschweren,<br />

obwohl sie einfach nur faul sind.<br />

<br />

einem Mann lernen kann. Ich hatte immer<br />

lange Beziehungen, um die fünf Jahre, und<br />

ich mochte es immer, mich in das Universum<br />

des jeweiligen Mannes zu begeben.<br />

Männer vertiefen ihre Interessensgebiete<br />

oft viel stärker als Frauen. Die können oft<br />

vieles so ein bisschen, aber sind oft nicht<br />

sehr spezialisiert. Männer sind passionierter.<br />

Das hat mich immer fasziniert.<br />

Und äußerlich?<br />

C D MIch mag das Pure, das Unverfälschte.<br />

Wenn ich einen stark durchtrainierten<br />

Mann sehe, bin ich immer misstrauisch.<br />

Wie viel Stunden hast Du im Fitnessstudio<br />

verbracht? Du solltest lieber ein Buch lesen!<br />

Haben Sie auch etwas Altes, Geerbtes im<br />

Schrank?<br />

C D MNein, leider nicht. Meine Mutter hatte<br />

eine sensationelle Garderobe. Aber sie<br />

hat alles ans Rote Kreuz gegeben! Nicht ein<br />

einziges <strong>Teil</strong> von Yves Saint Laurent hat sie<br />

für ihre Mädchen aufgehoben. Immer, wenn<br />

wir Fotos von ihr aus den Siebzigern und<br />

Achtzigern sehen, leiden wir.<br />

Wer sind Sie mit 80?<br />

C D MIch hoffe, ich werde spezialisiert<br />

sein. Expertin in bestimmten Dingen. Nicht<br />

bitter. Fröhlich und eine Freude für andere.<br />

Routine gibt es nicht. Ich habe keine Angst<br />

vor dem Alter.<br />

Aber Sie haben trotzdem aufgehört zu<br />

rauchen.<br />

C D MLeider, ich bin nur noch ein party<br />

smoker. Ich liebe das Rauchen. Ich würde<br />

gerne jeden einzelnen Tag meines Lebens<br />

rauchen. Ich habe aber gemerkt, dass es mir<br />

nicht gut tut. Ich hatte ständig Bronchitis,<br />

das kam vom Rauchen. Und ich bekomme<br />

nun keine Grippe mehr.<br />

Was fasziniert Sie eigentlich an Twitter?<br />

C D MIch tweete noch nicht lange und auch<br />

nicht richtig professionell. Ich reise und fo-<br />

count<br />

als Reisetagebuch. Es geht um Orte<br />

und Stimmungen, und ich poste nur Bilder,<br />

ich tweete keine Kommentare. Aber ich lese<br />

viele. Es fasziniert mich, dass man sich global<br />

so zusammenschließen kann. Ich würde<br />

mich gerne stärker darum kümmern, aber<br />

ich habe keine Zeit.<br />

Ihre Lieblingsmusik?<br />

C D MIch liebe alten Rock’n’Roll, Blues,<br />

Jazz, Klaviermusik. Soul. Chopin. Ich liebe<br />

Elvis Presley. Ich mag nicht so gerne<br />

elektronische Musik. Die berührt mich<br />

irgendwie nicht.<br />

Die Stones?<br />

C D MIch liebe die Stones!<br />

Haben Sie Mick mal getroffen?<br />

C D MJa, aber nur kurz.<br />

Sie haben ihn also nicht nackt gesehen, wie<br />

etwa Ihre Kollegin Carla Bruni?<br />

C D MDiese Ehre ist mir noch nicht zuteil<br />

geworden! Ich stehe aber ohnehin auf<br />

Keith Richards. Den würde ich schon gerne<br />

mal treffen. Carla habe ich übrigens kennengelernt,<br />

Mitte der Neunziger, als sie<br />

CAROLINE DE MAIGRET wurde 1975 in eine französische<br />

Aristokratenfamilie hineingeboren.<br />

Während ihres Politikwissenschaftsstudiums<br />

unterschrieb sie einen Vetrag bei einer <strong>Mode</strong>lagentur.<br />

Ihr erster Job war ein Shoot mit Mario<br />

Testino für die französische Glamour. 2006<br />

gründete sie zusammen mit ihrem Lebenspartner<br />

Yarol Poupaud ein Label und eine<br />

<br />

<br />

carolinedemaigret.tumblr.com<br />

108<br />

109


Foto: Olivier Zahm, Interview: Hendrik Lakeberg<br />

OLIVIER<br />

ZAHM<br />

Das Purple Magazin feiert mit der<br />

aktuellen Ausgabe 20-jähriges Jubiläum.<br />

Chefredakteur Olivier Zahm hat<br />

sich vom Kunstkritiker zum internationalen<br />

Player entwickelt, und Purple<br />

zum wichtigsten und kontroversesten<br />

<strong>Mode</strong>magazine des letzten Jahrzehnts.<br />

Die Mission ist gleich geblieben:<br />

der Kampf gegen das System.<br />

Olivier Zahm, warum haben Sie Purple vor<br />

20 Jahren gegründet?<br />

OLIVIER ZAHM Ich hatte bis 1992 länger<br />

als Kunstkritiker gearbeitet. Damals kam<br />

die typische Ästhetik der Achtziger an ein<br />

Ende. Plötzlich gab es eine neue Generation<br />

von Künstlern, das eröffnete neue Perspektiven.<br />

Bis 1993 herrschte eine Wirtschaftskrise,<br />

der Sozialismus war zusammenge-<br />

„Man wirft mir vor, ich würde<br />

<strong>Mode</strong>ls wie Objekte<br />

behandeln, aber es geht mir<br />

um das Gegenteil: Ich will ihre<br />

Schönheit zelebrieren.“<br />

Olivier Zahm auf dem Weg nach Big Sur, Kalifornien<br />

brochen. Die HIV-Welle befand sich auf<br />

dem Höhepunkt, viele Menschen starben.<br />

Die Werbung war vulgär geworden, die<br />

Kunstwelt ein riesiger Markt. Für diejenigen,<br />

die an Kunst glaubten wie wir, entstand<br />

das Bedürfnis, etwas zu ändern<br />

Was setzte Purple diesem Zeitgeist entgegen?<br />

O Z Wir hatten in den Achtzigern in vollen<br />

Zügen gelebt, wir waren naiv und jung, haben<br />

getanzt, den Glamour genossen, die<br />

<strong>Mode</strong> zelebriert. Doch dann wurde uns bewusst,<br />

was für ein Desaster das alles geworden<br />

war. Wir wollten unabhängig davon<br />

sein, nicht mehr <strong>Teil</strong> des Systems. Ich habe<br />

das mit einem kleinen Independent Magazin<br />

versucht. Junge Filmemacher kämpften<br />

für ein unabhängiges Kino, junge Musiker<br />

nahmen Alben in ihrer Küche auf. Es gab<br />

eine neue Galerien-Szene. Wir wollten uns<br />

unsere Autonomie zurückerobern. Purple<br />

war eine Gegenreaktion auf die Allgegenwart<br />

des Kapitalismus’ in Kunst und <strong>Mode</strong>.<br />

Seitdem hat sich viel geändert.<br />

Purple Fashion ist zu einem der wichtigsten<br />

Magazine der letzten zehn Jahre geworden,<br />

Sie zu einer einflussreichen Figur innerhalb<br />

der Milliardenindustrie <strong>Mode</strong>. Sehen Sie<br />

sich noch als Rebell?<br />

O ZWer mag schon das System? Niemand,<br />

auch nicht die Leute, die in ihm arbeiten.<br />

Sogar Marc Jacobs mag es nicht. Er sagt,<br />

dass er zu viel arbeitet, das Leben nicht genug<br />

genießt. Wir sind mittlerweile anerkannt,<br />

einige meiner Generation machen<br />

viel Geld; ich nicht, aber wen kümmert es?<br />

Die Frage ist: Wie willst du weitermachen?<br />

Möchtest du dahin, wohin dich das System<br />

drängt? Nein. Das System will nur, dass du<br />

noch mehr arbeitest. Das bringt dich um. Es<br />

tötet alle Leute, die nicht so viel arbeiten<br />

wie du. Du wirst eine Maschine, ein<br />

Roboter.<br />

Sie sehen Purple also auch heute noch als<br />

einen Aufstand gegen das „System“?<br />

O ZPurple eröffnet zumindest die Möglichkeit,<br />

sich die Welt mit mehr Zeit anzuschauen.<br />

<strong>Mode</strong> hat keinen Wert an sich,<br />

Kunst auch nicht. Es geht darum, wie man<br />

sie interpretiert. Was du entscheidest, mit<br />

ihr zu machen. Bei Purple fragen wir uns:<br />

Was wollen wir, was schätzen wir wirklich?<br />

Ich möchte nach Schönheit suchen, nach<br />

Liebe, aufregenden Ideen. Ich sehe mich als<br />

Flaneur. Ein Magazin zu machen sollte wie<br />

Urlaub mit der Kamera sein, du fotogra-<br />

gen<br />

willst.<br />

Wie würden Sie Ihr Verständnis von <strong>Mode</strong>fotografie<br />

beschreiben?<br />

O Z<br />

ich ekelhaft. <strong>Mode</strong>fotos sollten Stil und<br />

Schönheit mit so wenig Technologie wie<br />

möglich zeigen. Ich komme von der<br />

<br />

Terry Richardson, ein Polaroid von Helmut<br />

Newton. Ein bisschen Licht – mehr braucht<br />

es nicht.<br />

Sind Sie eigentlich wirklich an <strong>Mode</strong> interessiert?<br />

O ZEs gibt gute Gründe, von der <strong>Mode</strong> genervt<br />

zu sein, aber wir alle wollen doch die<br />

richtige Kleidung tragen – oder nicht? Wir<br />

alle wollen super aussehen, Männer wie<br />

Steve McQueen oder David Bowie, Frauen<br />

wie Jane Birkin, Brigitte Bardot oder Jane<br />

Fonda. Purple hat immer für die richtige<br />

Balance aus persönlichem Stil und zeitgenössischer<br />

<strong>Mode</strong> gekämpft. Ich hasse es,<br />

wenn ein Magazin sich nur mit <strong>Mode</strong> beschäftigt<br />

oder zu grungy, verkünstelt und<br />

unzugänglich ist. Ich bin Franzose. Wir<br />

mögen die Harmonie der Dinge.<br />

Sie mögen die Harmonie, dennoch halten<br />

viele Purple für ein streitbares Magazin,<br />

vor allem wegen der vielen Nacktheit. Man<br />

liebt und hasst Sie dafür. Wollen Sie provozieren?<br />

O ZEs kann nie genug Nacktheit geben.<br />

Auch wenn die menschliche Spezies die<br />

schlimmste des Planeten ist, ist sie doch<br />

gleichzeitig die schönste, schöner als Kleidung,<br />

als Architektur, als alles andere je<br />

sein kann. Ich benutze Sex nicht als Provokation.<br />

Jede Pornoseite ist obszöner als<br />

Purple. Was hinter der Kritik steckt, ist die<br />

Angst des <strong>Mode</strong>business, das T-Shirt oder<br />

das Kleid nicht zu verkaufen, dass das Foto<br />

zeigt. Das basiert auf der Obsession mit<br />

Geld. Fuck this! Ich bin nicht provokant,<br />

aber ich mache kein Magazin, um T-Shirts,<br />

Kleider oder Schuhe zu verkaufen. Ich mache<br />

es, damit die richtigen Leute, die gut<br />

aussehen wollen, die schönste Kleidung sehen<br />

können. Wenn du dabei eine Brust, einen<br />

Schwanz oder eine pussy zeigst, dann<br />

ist das doch keine große Sache, oder?<br />

Nein.<br />

O ZIch bin ehrlich gesagt überrascht, dass<br />

es ein Problem geworden ist, nackte Menschen<br />

in einem <strong>Mode</strong>magazin zu zeigen.<br />

Manche werfen mir vor, ich sei ein Macho,<br />

weil es mir nur um die nackten Frauen ginge.<br />

Man wirft mir vor, ich würde die <strong>Mode</strong>ls<br />

wie Objekte behandeln, aber es geht mir um<br />

das Gegenteil: Ich will ihre Schönheit<br />

zelebrieren.<br />

Man kann auf Ihrer Webseite Purple Diary<br />

verfolgen, wo Sie sind, wohin Sie reisen.<br />

Warum machen Sie das?<br />

O ZIch hatte das Magazin aus einer eng zusammenhängenden<br />

Kunstszene gestartet,<br />

die möglichst ohne Stars auskommen wollte.<br />

Ich arbeite bis heute in einem Kollektiv,<br />

mein Artdirektor ist so wichtig wie ich.<br />

Aber ich habe die strategische Entscheidung<br />

getroffen, dass ich mich zu einer Celebrity<br />

machen muss, damit Purple überlebt.<br />

So kann ich die anderen Celebritys leichter<br />

für mein Magazin gewinnen. Ich wollte bei<br />

keinem Manager mehr anrufen müssen, um<br />

einen seiner Klienten interviewen und foto-<br />

<br />

Haben Sie sich nie unwohl dabei gefühlt,<br />

intime Details Ihres Privatlebens in der<br />

Öffentlichkeit auszubreiten?<br />

O ZNein, aber manchmal bin ich sexuell etwas<br />

zu weit gegangen. Man wird leicht zu<br />

einer Karikatur. Die Leute glaubten, mich<br />

zu kennen, sie sprachen mich auf der Straße<br />

an. Deshalb habe ich mich gemäßigt, aber<br />

ich mag es, ein Magazin sowohl auf Papier<br />

als auch online zu machen. Ich lade immer<br />

noch persönliche Bilder hoch. Ein Magazin<br />

ist auch eine Community. Die erste Community<br />

sind für mich die Leute, die direkt an<br />

ihm beteiligt sind: Ich mache das Magazin<br />

in erster Linie für mich und meine Freunde.<br />

Wenn die Menschen das Ergebnis mögen,<br />

dann werden sie sofort zu meinen Freunden.<br />

Ich kenne sie nicht, aber wenn sie<br />

Purple mögen, dann sind sie <strong>Teil</strong> einer Gemeinschaft.<br />

Sie sind wie ich. Wenn ich ein<br />

Bild aus meinem Leben poste, dann ist das<br />

wie ein Brief an sie, eine kleine Botschaft.<br />

Ich habe habe das von Anfang an so gemacht,<br />

bevor die ganzen Social Media-<br />

Webseiten groß geworden sind. Ich funktioniere<br />

wie das Internet.<br />

Dabei scheinen Sie dieser Welt skeptisch<br />

gegenüber zu stehen. Es gibt ein YouTube-<br />

Video, in dem Sie neben Terry Richardson<br />

in der ersten Reihe einer Fashionshow sitzen<br />

und sagen, dass Sie gerne alle <strong>Mode</strong>blogger<br />

killen wollen...<br />

O ZEs ist doch so: Diese ganzen 19- oder<br />

20-jährigen Blogger saßen auf einmal in den<br />

ersten Reihen der Shows, nur weil sie für<br />

ihren dummen Blog ein paar Schals und<br />

61<br />

- no -<br />

<br />

weil das <strong>Mode</strong>-System darauf basiert, die<br />

besten Journalisten, die kreativsten Leute<br />

auszuwählen. Natürlich ist meine Reaktion<br />

konservativ und harsch, aber 99 Prozent<br />

der <strong>Mode</strong>-Blogs bestehen doch nur aus<br />

dummen persönlichen Berichten über Dinge,<br />

die man kaufen sollte. Das interessiert<br />

mich nicht. Der einzige Grund, sie einzuladen,<br />

sind kommerzielle Überlegungen<br />

der Labels. Aber ich will niemanden<br />

beleidigen.<br />

Nun sind <strong>Mode</strong>-Blogs für die Industrie aber<br />

sehr wichtig geworden. Wird es Magazine<br />

wie Purple auch in 20 Jahren noch geben?<br />

O ZSie sollten diese Frage einem Philosophen<br />

stellen, Jacques Derrida oder Gilles<br />

Deleuze. Die werden Ihnen erklären, dass<br />

die westliche Zivilisation auf Text basiert.<br />

Auf der Bibel, wenn Sie wollen. Alles, was<br />

wichtig ist, steht geschrieben, dein Name in<br />

deiner Geburtsurkunde oder auf deinem<br />

Grab. Wir sind das Ergebnis von Buchstaben,<br />

von Büchern und Gedichten. Unsere<br />

Gesellschaft basiert auf Sprache. Papier ist<br />

der natürliche Ort der Schrift. Alles, was ein<br />

gewisses Prestige oder eine Qualität hat, alles,<br />

was die Zeit und die Geschichte herausfordert<br />

oder verändert, endet auf gedrucktem<br />

Papier. Das wird auch in Zukunft<br />

so sein.<br />

OLIVIER ZAHM<br />

Purple-Imperiums, das seit 1992 besteht. Seit<br />

2004 erscheint zweimal jährlich Purple Fashion,<br />

ein Magazin zu Kunst und <strong>Mode</strong>. Unter purple.fr/<br />

diary kann man ihm auch digital folgen und sich<br />

unter anderem durch Party- und Urlaubsfotos<br />

klicken.<br />

111


Foto: Tom Allen, Interview: Aicha Reh<br />

OLIVIER THEYSKENS<br />

Das widerspenstige <strong>Mode</strong>wunderkind<br />

wurde 2006 als Kreativdirektor von<br />

Rochas entlassen - es war Theyskens<br />

erster großer Job gewesen. Die Presse<br />

feierte seine Entwürfe, doch sie<br />

galten als zu elitär, um kommerziell<br />

erfolgreich zu sein. Mittlerweile ist<br />

der 35-Jährige erfolgreicher Kreativchef<br />

des New Yorker Labels Theory.<br />

Seine Integrität als Designer ist ihm<br />

immer noch wichtiger als der Umsatz.<br />

Zum Glück.<br />

Herr Theyskens, wie würden Sie sich selbst<br />

beschreiben?<br />

OLIVIER THEYSKENS Ich arbeite fokussiert<br />

und bin sehr perfektionistisch in fast allem,<br />

was ich tue. Außerdem würde ich mich als<br />

schüchtern bezeichnen, verträumt und<br />

manchmal melancholisch. So bin ich seit<br />

meiner Kindheit. Ich liebe es, Dinge mit Integrität<br />

zu machen und habe natürlich eine<br />

Passion für Design.<br />

Wie haben Sie Ihre Kindheit in Erinnerung?<br />

O TWahrscheinlich geht es allen so, aber<br />

ich habe meine Kindheit als sehr besonders<br />

empfunden. Ich bin in Brüssel aufgewachsen<br />

als eines von drei Geschwistern. Meine<br />

Eltern waren sehr behütend und haben uns<br />

immer ermuntert, unseren Wünschen<br />

nachzugehen. Ich war schon früh an Stoffen<br />

und <strong>Mode</strong> allgemein interessiert. Es war<br />

immer klar, dass ich in Zukunft irgendetwas<br />

mit <strong>Mode</strong> machen würde. Ich war total<br />

begeistert, wenn meine Großmutter mir alte<br />

Stoffe oder Illustrationen aus frühen <strong>Mode</strong>magazinen<br />

vom Ende des 19. Jahrhunderts<br />

bis zu den Dreißigern gab. Meine Mutter besaß<br />

eine Nähmaschine, die ich damals nicht<br />

bedienen konnte, aber ich spielte mit den<br />

kleinen Dingen, die mit ihren Nähaktivitäten<br />

verbunden waren. Ich war als Kind sehr<br />

frei, das war wichtig für mich.<br />

Sie wollten schon als kleiner Junge<br />

Designer werden?<br />

O TJa, immer wenn ich nach meinem Berufswunsch<br />

gefragt wurde, habe ich mit<br />

Couturier geantwortet – so wie andere Kinder<br />

Feuerwehrmann oder Astronaut werden<br />

wollen. Ich kann mich erinnern, dass<br />

ich viel gezeichnet habe. Personen meis-<br />

<br />

Kostüme.<br />

Glauben Sie an Schicksal?<br />

O Ttisch.<br />

Aber zugleich ist mir immer bewusst,<br />

wie winzig wir Menschen im Hinblick auf<br />

das Universum sind. Dass sogar ein sehr<br />

schönes, ungewöhnliches Schicksal mikroskopisch<br />

klein und unbedeutend ist, wenn<br />

man es vor der Endlosigkeit des Weltalls<br />

betrachtet. In meinem Alltag versuche ich,<br />

die Kontrolle über mein Leben zu bewahren,<br />

indem ich durch meine Arbeit Wege<br />

cken.<br />

Doch ich liebe die Überraschungen,<br />

die das Leben bietet und achte auf die kleinen<br />

Zeichen, die uns zeigen, dass wir ab<br />

und zu von Magie umgeben sind und das<br />

Schicksal es gut mit uns meint.<br />

Welche Menschen haben Ihr Leben nachhaltig<br />

geprägt?<br />

O TNeben meiner Familie gab es ein paar<br />

Personen, die mich unterstützt haben und<br />

wichtig für meine Karriere waren. Einige<br />

von ihnen begleiten mich noch immer. Ich<br />

werde Ihnen ihre Namen hier nicht nennen,<br />

aber ich bin ihnen sehr dankbar. Es gibt natürlich<br />

immer Augenblicke, in denen man<br />

die richtige Entscheidung zur richtigen Zeit<br />

trifft. Manchmal hat man einfach Glück.<br />

Gibt es Momente in Ihrem Leben, an die Sie<br />

sich immer wieder erinnern? Gute wie<br />

schlechte?<br />

O T stimmte<br />

Erinnerungen wie Geister wieder<br />

„Mein größter Traum ist es,<br />

in die Zeit der Dinosaurier zu<br />

reisen, um zu sehen, wie die<br />

Welt damals aussah. “<br />

auftauchen. Das können winzige Details<br />

ebenso wie große Ereignisse sein, an die<br />

man sich plötzlich anders erinnert. Hinter<br />

denen sich etwas verbirgt, das einem bislang<br />

nicht klar war. Alles, was mir gerade in<br />

den Sinn kommt, ist sehr privat. Eine ungewöhnliche<br />

Erinnerung verrate ich Ihnen<br />

aber: Als Kind habe ich mal einen kleinen<br />

Frosch gefunden und ihn anschließend in<br />

meiner Unterhose mit mir herumgetragen.<br />

Bizarr, oder? Aber diese Geschichte zeigt<br />

sowohl die schöne als auch die unkomfortable<br />

Seite der Erinnerung (lacht).<br />

Was aus Ihrer Kindheit wollen Sie niemals<br />

missen?<br />

O TDie vielen Eindrücke von Schönheit,<br />

Zärtlichkeit und Freude. Auch den<br />

Schmerz, die Fantasien, wegzulaufen und<br />

die lustigen kleinen Dramen.<br />

Wie würden Sie Ihren Stil beschreiben?<br />

O TIch bin sehr entschieden bei den<br />

Schnitten meiner Entwürfe, wie sie hergestellt<br />

sind, welches Material ich verwende.<br />

Ich möchte, dass meine <strong>Mode</strong>ls theyskenian<br />

aussehen. Sie müssen einen Stil ausdrücken,<br />

der mir entspricht. Aber ich denke,<br />

den können andere im Endeffekt besser beschreiben<br />

als ich. Vielleicht so viel: Ich mag<br />

es nicht, allzu extravagant zu sein, trotzdem<br />

ist mir natürlich schönes Design wichtig.<br />

Und das kann sowohl schlicht als auch<br />

kompliziert sein. Das wichtigste für mich:<br />

Die Entwürfe müssen sich richtig<br />

anfühlen.<br />

Was inspiriert Sie?<br />

O TAlles im Leben kann Inspiration sein.<br />

<br />

Ideen von der Zukunft. Doch als Designer<br />

gerät man zu leicht in Versuchung, mit Uto-<br />

heit<br />

zu gehen oder zu futuristisch zu werden.<br />

Ich will kein <strong>Mode</strong>utopist sein.<br />

Trotzdem möchte ich mit meiner Kleidung<br />

natürlich selbst eine Quelle der Inspiration<br />

- no -<br />

62<br />

Fotos: Hadley Hudson<br />

Styling: Götz Offergeld<br />

Make-up: Edward Cruz<br />

Haare: Cecilia Romero mit Produkten von Marlies Möller<br />

<strong>Mode</strong>l: Raquel Nave @ Root Management<br />

Alle Outfits: Theyskens’ Theory<br />

112<br />

113


sein und denen, die sie tragen, eine Vision<br />

geben. Die Kreativität kann dabei grenzenlos<br />

sein, wichtig ist nur, dass sie auf einer<br />

puren Substanz beruht.<br />

Haben Sie einen bestimmten Typ Frau<br />

im Kopf, wenn Sie an Ihren Kollektionen<br />

arbeiten?<br />

O TNein, keinen bestimmten. Ich stelle mir<br />

Frauen mit verschiedenen Facetten, mit unterschiedlichen<br />

Einstellungen und Gefühlszuständen<br />

vor. Bei Theory denke ich vor<br />

allem an eine urbane Frau. Elegant und<br />

gleichzeitig entspannt. Das vermischt sich<br />

im Designprozess mit Ideen, die mir intuitiv<br />

kommen.<br />

Designer stehen in der <strong>Mode</strong>industrie unter<br />

einem besonders hohen Druck. Wie gehen<br />

Sie damit um?<br />

O TZu relativieren ist immer gut. Der<br />

Druck kann zwar von außen kommen, aber<br />

<br />

Ich habe auf jeden Fall den Hang dazu, mich<br />

unter Druck zu setzen – oft auch unnötig.<br />

Ab und zu wird mir das bewusst – meistens<br />

lache ich dann über mich. Das befreit. Darüber<br />

hinaus versuche ich so gesund wie<br />

möglich zu leben. Einen Körper zu haben,<br />

der für den Stress gewappnet ist. Am wichtigsten<br />

ist mir aber: Ich kann mich glücklich<br />

schätzen, viele gute Freunde zu haben, die<br />

nicht alle mit der <strong>Mode</strong>industrie zu tun haben.<br />

Meine Familie unterstützt mich und ist<br />

ein guter Rückhalt. Ich vertraue darauf,<br />

dass die Menschen, die mir nahe stehen,<br />

mir helfen werden, wenn ich sie brauche.<br />

Obwohl ich viel Energie in meine Arbeit investiere,<br />

ist es für mich wichtig, ab und zu<br />

eine Distanz zu der <strong>Mode</strong>welt zu haben. Alleine<br />

zu sein ist manchmal hilfreich, damit<br />

sich mein Gehirn regenerieren kann.<br />

Was halten Sie von Kooperationen von bekannten<br />

Labels oder Designern mit H&M?<br />

Wie zum Beispiel Versace?<br />

O TNicht so viel. Ich mag es, wenn meine<br />

Kleidung vielen Menschen zugänglich ist,<br />

aber mir ist auch die Integrität meiner Arbeit<br />

wichtig. Und ich bin mir nicht sicher,<br />

ob die in diesem Fall noch gewährleistet<br />

wäre. Jeder weiß natürlich, dass die Produkte<br />

dieser Kooperationen nicht dem normalen<br />

Standard der Häuser entsprechen.<br />

Und dass es darum auch nicht geht. Aber es<br />

kommt mir immer wie falscher Kaviar vor.<br />

Ich verstehe die Chance, mehr Menschen<br />

auf der ganzen Welt für die Ästhetik einer<br />

Marke aufmerksam zu machen. Am besten<br />

ist wahrscheinlich, diese Kollaborationen<br />

als Spaß zu sehen, wie in einen Kostümladen<br />

zu gehen und ein billiges Spiderman-<br />

Kostüm zu kaufen.<br />

Haben Sie manchmal Angst? Und können<br />

Sie uns einen Rat geben, was man gegen<br />

Angst machen kann?<br />

O TAngst ist natürlich ein großes Wort,<br />

aber wenn ich sie habe, dann schaue ich mir<br />

selbst dabei zu und begreife es als faszinierende<br />

Erfahrung. Nach dem Motto: seltsam!<br />

Meine Fingerkuppen fühlen sich taub und<br />

kalt an. Mein Herz schlägt schnell, und<br />

mein Hals zieht sich zusammen... Das muss<br />

<br />

ich mir oft Sorgen um die Zukunft. Die Umweltzerstörung,<br />

die Überbevölkerung. Ich<br />

möchte vertrauen können, aber wie kann<br />

man angesichts des Zustands der Welt nicht<br />

ein bisschen ängstlich sein?<br />

Wo sehen Sie sich in zehn Jahren?<br />

O TDa müssten wir mit einem Wahrsager<br />

sprechen... Zehn Jahre sind eine lange Zeit<br />

in der <strong>Mode</strong>welt. Aber ich verspreche Ihnen:<br />

Ich werde mein Bestes geben, um mich<br />

so gut wie möglich weiterzuentwickeln.<br />

Was ist Ihr größter Traum?<br />

O TIn die Zeit der Dinosaurier zu reisen,<br />

um zu sehen, wie die Welt damals aussah.<br />

OLIVIER THEYSKENS beschloss mit sieben Jahren,<br />

dass er Couture-Designer werden wollte. Dieses<br />

Vorhaben stand ihm als Kreativdirektor bei<br />

Rochas und Nina Ricci jedoch im Weg, seine Entwürfe<br />

wurden als Demi-Couture abgestempelt.<br />

Erst bei Theory konnte der Belgier sich neu er-<br />

<br />

als „Extravagante Gothic“ bezeichnet wird.<br />

114


ASSATA SHAKUR<br />

nach ihrer Festnahme am 2. Mai 1973.<br />

Die Frauen der Black Panther Party sind für ihren Kampf für Bürgerrechte<br />

nicht nur ins Gefängnis gegangen. Sie waren außerdem Stilikonen, deren<br />

Einfluss bis zu First Lady Michele Obama reicht.<br />

CAN YOU DIG IT?<br />

Die Aufregung war groß, als die Bürgerrechtlerin<br />

und Kommunistin Angela Davis<br />

im Oktober 1970 wegen Beihilfe zu Kidnapping,<br />

Mord und Körperverletzung verhaftet<br />

wurde. Die ehemalige Marcuse- und Adorno-Schülerin<br />

Davis war für Monate untergetaucht<br />

gewesen, nachdem feststand, dass<br />

die Waffen, durch die während des sogenannten<br />

Marin County Courthouse Shootings<br />

schwarze Angeklagte freigepresst<br />

werden sollten, alle auf sie registriert waren.<br />

Der Haupttäter hatte als ihr Bodyguard<br />

gejobbt. Bei einem Schusswechsel starben<br />

vier Menschen. Lange Liebling der liberalen<br />

Presse und berühmt für ihren wilden Afro,<br />

fand sich Davis plötzlich auf der FBI-Fahndungsliste<br />

der zehn meistgesuchten Kriminellen<br />

wieder.<br />

Durch die Medien geisterte zwei Jahre später<br />

während des Prozesses das Bildnis einer<br />

jungen schwarzen Frau irgendwo zwischen<br />

Femme fatale und schaumgeborener<br />

Göttin. Die New York Times meinte, um sie<br />

„die Aura des Märtyrertums“ leuchten zu<br />

sehen, der französische L´Express fabulierte<br />

von „stolzer Schönheit gleich der exilierten<br />

Königin von Saba“. Die Bürgerrechtsbewegung<br />

hatte also ihre heroine, das aufgescheuchte<br />

konservative Establishment<br />

seinen Dämon. Gegen beide Stereotype war<br />

schwer anzukommen.<br />

Das Davis-Verfahren, das mit einem Freispruch<br />

endete, hat sich im Sommer zum 40.<br />

Mal gejährt. Doch noch immer toben die<br />

oftmals ideologisch gefärbten Kämpfe um<br />

die Deutungshoheit jener bewegten Jahre.<br />

Neben Davis sind es vor allem die ehemaligen<br />

Mitglieder der Black Panther Party, vor<br />

allem die Frauen, die noch immer aktiv in<br />

der Bürgerrechtsbewegung engagiert sind.<br />

Ex-Panther wie Kathleen Cleaver, die ehemalige<br />

Partei-Vorsitzende Elaine Brown,<br />

erst recht Assata Shakur, bewegen sich auf<br />

einem schmalen Grad zwischen Verdammung<br />

und Verklärung. Doch sie sind heute<br />

Vorbilder für viele junge Frauen, die sich<br />

für Feminismus begeistern - oder auch den<br />

selbstbewussten Look der Sechziger.<br />

<br />

starken Frauen der Black Power-Bewegung<br />

zu verstehen, hilft es - gerade in Zeiten des<br />

sich immer absurder gerierenden amerikanischen<br />

Wahlkampfes - einen Blick auf die<br />

historischen Umstände zu werfen, unter denen<br />

sich die Bürgerrechtsbewegung dazu<br />

aufschwang, Freiheit und Gleichheit einzufordern.<br />

Noch in den Sechzigern war die<br />

amerikanische Mehrheitskultur und ihr<br />

Schönheitsideal völlig auf whiteness fixiert;<br />

ob in TV-Serien, im Kino, in <strong>Mode</strong>,<br />

Wirtschaft oder Politik. So wurde es umso<br />

notwendiger für die afroamerikanische<br />

Community, die Spielregeln des Diskurses<br />

zu verändern.<br />

Die Blaxploitation-Heldin Pam Grier inszenierte<br />

sich in Filmen wie „Foxy Brown“<br />

oder „Coffy“ als selbstbewusste Rächerin,<br />

die Rassen- wie Gendergrenzen schlichtweg<br />

niederriss. Frauen wie Davis, Cleaver<br />

oder Shakur standen für akademische oder<br />

rhetorische Brillanz. Auf einmal war black<br />

nun beautiful, und eine Rückbesinnung auf<br />

die afrikanische Kultur galt als fortschrittlich.<br />

Mit dem neuen – auch modischen –<br />

Selbstverständnis junger schwarzer Frauen<br />

gerieten alte Rollenbilder zusehends ins<br />

Wanken.<br />

<br />

französischen Regisseurin Agnès Varda<br />

über eine Veranstaltung der Black Panther<br />

Party 1968 in Kalifornien. Die damalige<br />

<br />

umringt von hippen jungen Frauen mit<br />

Afros, Black-Panther-Shirts, schwarzen<br />

Leggins und Lederboots. Im Hintergrund<br />

spielt eine Funkband. Daneben marschiert<br />

ein Black Panther-Corps auf. An der Wand<br />

steht in großen Lettern „Black is honest and<br />

beautiful“, wahr und schön. Als Cleaver<br />

nach ihrer wilden Naturkrause gefragt<br />

wird, sagt sie: „Das ist unser neues Bewusstsein!<br />

Jahrelang wurde uns gesagt, nur<br />

Weiß sei schön. Glatte Haare, helle Haut,<br />

helle Augen... Das hat sich verändert! Can<br />

you dig it?! “<br />

Durch solche Frauen blühte der Afro-Feminismus<br />

regelrecht auf. Klassenzugehörigkeit,<br />

Sexismus wie Rassismus wurden als<br />

Hindernisse gesellschaftlicher Partizipation<br />

erkannt. Würde man sie überwinden, so die<br />

Auffassung, sei damit der gesamten Gemeinschaft<br />

gedient. Aber Theorie war nicht<br />

immer gleich Praxis. Selbst innerhalb der<br />

Black Panther-Bewegung - die, wie der ursprünglichen<br />

Zusatz „for self-defense“ signalisiert,<br />

zunächst eine Art Bürgerwehr gegen<br />

Übergriffe weißer Rassisten war - hatten<br />

es die Frauen schwer.<br />

63<br />

- no -<br />

GESCHICHTE<br />

Fotos: Corbis<br />

Text: Ruben Donsbach<br />

Zwar behauptete Panther-Gründer Huey<br />

Newton einmal: „Wir unterscheiden nicht<br />

zwischen den Geschlechtern.“ Dennoch gab<br />

es „dieses Bildnis von schwarzen, militanten<br />

Frauen als sexuelle Anhängsel, nicht als<br />

politische Kameraden männlicher Revolutionäre“<br />

wie die Kulturwissenschaftlerin<br />

Dayo F. Gore in ihrem Buch „Want to start a<br />

revolution?“ feststellt. Dabei waren es Sozialprogramme<br />

wie ein kostenlose Frühstück<br />

für Schulkinder, ärztliche Hilfe oder die Bereitstellung<br />

von Klamotten und Wohnraum,<br />

„Das ist unser neues Bewusstsein! Jahrelang<br />

wurde uns gesagt, nur Weiß sei schön. Glatte Haare,<br />

helle Haut, helle Augen...“<br />

die halfen, die Akzeptanz der Panther in der<br />

Community zu stärken – allesamt organisiert<br />

von Frauen wie Cleaver und Brown.<br />

Über verschiedenste Umwege und Metamorphosen<br />

hat dieses revolutionär-politische<br />

„Ich“ Eingang in die Populärkultur gefunden.<br />

Zur vielleicht unübertroffenen<br />

Synthese kam es in Quentin Tarantinos<br />

Blaxploitation-Reminiszenz „Jacky Brown“,<br />

mit der sich Pam Grier ganz alterweise und<br />

als Zitat ihrer selbst in den Ruhestand verabschiedet<br />

hat. Erst vor kurzem ließ sich<br />

Michelle Obama in verblüffender Ähnlichkeit<br />

mit Angela Davis in Ölfarben porträtieren,<br />

auf dass ein wenig sophistication und<br />

credibility auf sie übergehen möge. Und<br />

121


was die verworrenen (Vermittlungs)wege<br />

der Widerstands-Ikonologie angeht, wollen<br />

wir gar nicht eingehen auf den HipHop und<br />

seine ambivalenten Rollenbilder zwischen<br />

Hypermachismo und der selbstbewussten<br />

Weiblichkeit einer Rapperin wie Foxy<br />

Brown.<br />

Selbst in der zeitgenössischen <strong>Mode</strong> spielt<br />

der Panther-Look, vermittelt etwa von Designern<br />

wie Ramdane Touhami, eine Rolle:<br />

Lederjacke, Barett, schwarze Sonnenbrille,<br />

darunter kunstvoll gewebte Kente-Stoffe<br />

aus Afrika. Dieses neo-rebel cool sei eine<br />

Art Vintage-Gewissen für jene Leute, die<br />

<br />

aber so dennoch ein wenig wie<br />

Revolutionäre fühlen können,<br />

urteilte Rebecca Voigt in der<br />

New York Times. Auch der postmoderne<br />

Hipster sehnt sich offenbar<br />

nach ein wenig Konsequenz<br />

und politischem Ausdruck<br />

in seinem modischen Auftritt.<br />

Der Black-Power-Style macht da<br />

entsprechende Angebote: Er war<br />

ab den 60ern äußerliches Symbol<br />

für das neue Selbstbewusstsein<br />

und den erklärten Stolz<br />

auf die eigene – schwarze – Geschichte.<br />

Die aus den kostbaren<br />

Kente-Stoffen genähten sogenannten<br />

Dashiki, lockere Oberteile<br />

mit farbenfroh-geometrischen<br />

Dessins, verwiesen auf die<br />

Tradition der Könige zur Zeit<br />

der afrikanischen Hochkulturen.<br />

In dieser Farbmythologie steht<br />

Schwarz im Übrigen für spirituelles<br />

Bewusstsein und eine Verbindung<br />

mit den Vorfahren.<br />

Die von der Panther-Führung in<br />

Anlehnung an den Look der<br />

französischen Résistance – erdachten<br />

urbanen Unisex-Uniformen<br />

der Bewegung bestanden<br />

neben Lederjacke, Barett und<br />

Sonnenbrille aus jeweils schwarzen<br />

Schuhen, Hosen und eventuell<br />

Handschuhen. Solche Uniformen<br />

ließen ihre Träger stark,<br />

stolz und geschlossen auftreten.<br />

<strong>Mode</strong> war somit nicht nur ein<br />

Wiedererkennungsmerkmal, sie<br />

<br />

Bürgerrechtler bei. Aber bei den<br />

Panthern waren die Ideen der<br />

Revolution noch etwas näher<br />

dran am Leben als bei den<br />

heutigen fashionistas aus Downtown<br />

Manhattan.<br />

Angela Davis, die nur kurzzeitig Mitglied<br />

der Partei war, musste bis zu ihrem Freispruch<br />

im Frühjahr 1972 mit der Todesstrafe<br />

rechnen. Ihre sich radikalisierenden<br />

sisters and brothers aus der Black Panther<br />

Party galten zeitweise als vogelfrei. Und<br />

während die seit Teddy Roosevelts New-<br />

schicht<br />

in die neuen Vororte zog, brodelte<br />

es in den überwiegend von Schwarzen bewohnten<br />

innerstädtischen Ghettos der Metropolen,<br />

über die Marvin Gaye seinen Inner<br />

City Blues sang.<br />

KATHLEEN CLEAVER<br />

Pressesprecherin der Black Panther Party mit<br />

ihrem Sohn, Oktober 1971.<br />

Die Militanz der Black Panthers hat ihnen<br />

nicht nur den Ruf einer terroristischen<br />

Vereinigung eingetragen, sondern auch viele<br />

ihrer Anführer frühzeitig unter die Erde<br />

oder ins Gefängnis gebracht. Doch anders<br />

als etwa die Frauen der deutschen Roten<br />

Armee Fraktion haben viele der Black Panther-Frauen<br />

später zu neuen Formen der<br />

Dissidenz gefunden: etwa als Professorinnen<br />

und Aktivistinnen. Angela Davis arbeitete<br />

lange als Leiterin des Instituts für Frauenpolitik<br />

der University of California in<br />

Santa Cruz und gilt noch heute als eine<br />

der prominentesten Bürgerrechtlerinnen<br />

der USA. Kathleen Cleaver ist nach einer<br />

ANGELA DAVIS<br />

musste zeitweise mit<br />

der Todestrafe rechnen.<br />

<br />

Der Black-Power-Style war ab den Sechzigern<br />

äußerliches Symbol für das neue<br />

Selbstbewusstsein und den erklärten Stolz auf<br />

die eigene – schwarze – Geschichte.<br />

längeren Odyssee über Kuba, Algerien und<br />

Frankreich schließlich Juraprofessorin an<br />

der renommierten Yale-Universität geworden.<br />

Elaine Brown lebt in Oakland und bewarb<br />

sich 2008 um die Präsidentschaftskandidatur<br />

der Grünen-Partei Amerikas.<br />

dings<br />

ein Kopfgeld von über einer Million<br />

Dollar ausgesetzt. Sie lebt und unterrichtet<br />

auf Kuba. Shakur ist die Stieftante des ermordeten<br />

Rappers Tupac Shakur und wurde<br />

vor kurzem von dessen Kollegen Common<br />

besucht. Common schrieb über Shakur<br />

den „Song for Assata“. Darin heißt es:<br />

„In the spirit of the Black Panthers /<br />

In the spirit of Assata Shakur /<br />

We make this movement towards freedom /<br />

For all those who have been oppressed, and<br />

all those in the struggle.“<br />

Was nach Revolutionsromantik klingt, hat<br />

konservative Kommentatoren in Amerika<br />

wochenlang auf die Barrikaden gebracht.<br />

Ob man Shakur für eine Polizistenmörderin<br />

und Bankräuberin oder eine vollkommen<br />

unschuldige, rassistisch verfolgte Freiheitskämpferin<br />

hält, ist auch eine Frage der<br />

Parteizugehörigkeit. Zumindest die Empörungsmaschinerie<br />

läuft auch Jahrzehnte<br />

später auf Hochtouren. Und doch sind die<br />

hier genannten Frauen der schwarzen Bürgerrechtsbewegung<br />

(und viele andere) trotz<br />

-<br />

<br />

Zivilgesellschaft geworden. Ein Präsident<br />

Obama wäre ohne ihr Beispiel nicht<br />

denkbar. Seine selbstbewusste Frau Michelle<br />

ebenso wenig.<br />

BLACK PANTHER PARTY war der Name für eine afroamerikanische<br />

Bürgerrechts-und Selbstschutzbewegung<br />

der Sechziger und Siebziger. Unter<br />

anderem dokumentierte der Fotograf Howard L.<br />

Bingham die Bewegung und ihre Anhänger in<br />

seinem Buch „Black Panthers, 1968“.<br />

123


Protokoll: Pia-Luisa Lenz<br />

EINE STIMME<br />

OMOYEMI AKERELE<br />

Omoyemi Akerele hatte einen Jura-Abschluss in England gemacht, zurück in<br />

ihrem Heimatland Nigeria steht ihr eine große Karriere bevor. Aber der Job in<br />

einer Kanzlei erfüllt sie nicht. Kurzerhand wird die Juristin zur Stylistin. Sie<br />

leitet eine <strong>Mode</strong>zeitschrift und gründet eine Online-<strong>Mode</strong>plattform. Islamisten<br />

überziehen Nigeria mit Terroranschlägen, dazu fordern Überschwemmungen<br />

Dutzende Tote. Doch Akerele will ihr Land retten – mit <strong>Mode</strong>.<br />

Ich schlage die Zeitung auf und lese Horrormeldungen<br />

aus meinem wunderschönen<br />

Heimatland. Es gibt politische Unruhen.<br />

Es gibt Korruption. Es gibt Gewalt zwischen<br />

Muslimen und Christen. Es gibt Überschwemmungen.<br />

In den letzten Wochen<br />

sind Hunderte Menschen ums Leben gekommen.<br />

Doch mein Nigeria macht noch<br />

vieles mehr aus. Und ich will ein Stückchen<br />

davon in die Welt hinaus tragen. Ich<br />

möchte der ganzen Welt zurufen: Nigeria<br />

wacht gerade erst auf! Und ich glaube fest<br />

daran, dass die <strong>Mode</strong> meinem Land dabei<br />

helfen kann.<br />

Als ich aus London zurück nach Nigeria<br />

kam, war ich motiviert und unglaublich<br />

stolz. Ich hatte meinen Jura-Abschluss in<br />

der Tasche und begann in einer der größten<br />

nigerianischen Kanzleien zu arbeiten. Es<br />

war kein leichter Weg dorthin, aber meine<br />

Eltern haben mich immer sehr unterstützt.<br />

Ich war am Ziel meiner Träume angekommen.<br />

Dennoch war ich unglücklich, konnte<br />

mich nicht an den Arbeitsalltag in der Kanzlei<br />

gewöhnen. Der Job erfüllte mich nicht.<br />

WISSEN, WAS EINE<br />

STYLISTIN MACHT<br />

Als ich mir das eingestanden hatte, setzte<br />

ich mich hin und überlegte: Was will ich<br />

wirklich machen? Schnell wusste ich: Ich<br />

möchte mit <strong>Mode</strong> arbeiten. Jedoch nicht als<br />

Designerin, sondern mit fertigen Entwürfen.<br />

Also wurde ich Stylistin und <strong>Mode</strong>beraterin.<br />

Vor knapp zehn Jahren konnte mit<br />

diesen Ausdrücken in Nigeria niemand etwas<br />

anfangen. Doch meine Entscheidung<br />

habe ich nie bereut. Heute wissen schon<br />

viel mehr Menschen, was eine Stylistin<br />

macht.<br />

„Ich möchte der ganzen<br />

Welt zurufen: Nigeria wacht<br />

gerade erst auf! Und ich<br />

glaube fest daran, dass<br />

die <strong>Mode</strong> meinem Land<br />

dabei helfen kann.“<br />

Mittlerweile bin ich der kreative Kopf<br />

einer nigerianischen Fashion-Onlineplattform.<br />

Mithilfe dieser Plattform möchten wir<br />

unsere <strong>Mode</strong>industrie zum Wachsen bringen.<br />

Wir wollen heimische Designer stärken,<br />

ausländische Investoren ins Land und<br />

junge Leute von der Straße holen. Dafür<br />

muss ich an vielen Fronten kämpfen: Ich<br />

kämpfe für eine bessere Infrastruktur, für<br />

mehr Arbeitsplätze, für eine bessere Ausbildung<br />

und für unser Image in der ganzen<br />

Welt. Ich glaube fest daran, dass wir mit unserer<br />

<strong>Mode</strong> einen komplett neuen Markt erschaffen<br />

können, der Nigeria Fortschritt<br />

bringen wird. Leider wird die <strong>Mode</strong>industrie<br />

von der Politik nicht sehr ernst genommen.<br />

Wir bekommen wenig Unterstützung.<br />

Korruption ist immer noch ein riesiges<br />

Problem.<br />

64- no -<br />

MODE ALS MITTEL<br />

ZUM WOHLSTAND<br />

Mit der nigerianischen <strong>Mode</strong>industrie<br />

könnten wir einen Beitrag zum Wohlstand<br />

in unserem Land leisten. Aber dafür müssen<br />

wir im internationalen Geschäft mitspielen.<br />

Noch ist bei uns alles anders als in<br />

London, Berlin oder Paris. Warum? Es gibt<br />

eben keine Einkaufsstraße, auf der alle großen<br />

Designer ihre schicken Shops haben.<br />

Die Geschäfte sind überall im Land verteilt<br />

und oft schwer zu erreichen, weil die Straßen<br />

und Buslinien fehlen. Die ganze Industrie<br />

ist noch nicht vernetzt, die meisten Designer<br />

arbeiten eher für sich. Viele wissen<br />

nicht, wie man ein richtiges Unternehmen<br />

führt. Das wollen wir ihnen zeigen. Deshalb<br />

organisieren wir Workshops und<br />

Gesprächsrunden.<br />

„Es geht vor allem darum,<br />

die Menschen zusammenzubringen.<br />

Für mich ist<br />

<strong>Mode</strong> ein Dialog. Und wir<br />

haben endlich angefangen,<br />

uns zu unterhalten.“<br />

Vor fünf Jahren habe ich die erste „Lagos<br />

Fashion and Design Week“ ins Leben geru-<br />

ber<br />

statt, ich kann es kaum erwarten. An<br />

diesen vier Tagen kommen in der Hauptstadt<br />

alle zusammen, die in Nigeria <strong>Mode</strong><br />

entwerfen, verkaufen oder vermarkten. Wir<br />

laden aber auch Designer aus der ganzen<br />

Welt ein, schließlich geht es vor allem um<br />

den Austausch. Die Vogue wird dabei sein,<br />

die Herald Tribune. Vor zehn Jahren wäre<br />

das noch undenkbar gewesen.<br />

WIR HABEN ANGEFANGEN,<br />

UNS ZU UNTERHALTEN<br />

Doch es muss noch weiter vorwärtsgehen.<br />

In ein paar Jahren möchte ich, dass Menschen<br />

aus aller Welt nach Nigeria kommen,<br />

um unsere <strong>Mode</strong> zu kaufen. Und ich möchte<br />

auch, dass ausländische Firmen zu uns<br />

nach Nigeria kommen. Im Moment ist es<br />

eher so, dass ich unsere lokalen Designer zu<br />

ihren Kunden bringe - zum Beispiel nach<br />

London. Es geht vor allem darum, die Menschen<br />

zusammenzubringen. Deshalb spreche<br />

ich auf Veranstaltungen von Botschaften<br />

und arbeite mit den Vereinten Nationen<br />

zusammen. Für mich ist <strong>Mode</strong> ein Dialog.<br />

Und wir haben endlich angefangen, uns zu<br />

unterhalten.<br />

„Es ist, als würde das Land<br />

alte Zöpfe abschneiden<br />

und sich neu erfinden.<br />

Überall werden Straßen<br />

gebaut, Schulen renoviert<br />

und Schienen verlegt.<br />

Noch vor 15 Jahren gab<br />

es in Nigeria kaum Telefone,<br />

heute ist der Handyempfang<br />

flächendeckend.“<br />

Jetzt ist der richtige Moment für eine Veränderung<br />

gekommen – das spüre ich. Es ist,<br />

als würde das Land alte Zöpfe ab-schneiden<br />

ßen<br />

gebaut, Schulen renoviert und Schienen<br />

verlegt. Noch vor 15 Jahren gab es<br />

in Nigeria kaum Telefone, heute ist<br />

<br />

Küste von Lagos entsteht das neue Wirtschaftszentrum<br />

Westafrikas, auf einer aufgeschütteten<br />

Insel. 250.000 Menschen sollen<br />

hier ab 2015 leben und arbeiten.<br />

Keine Frage: Das Land ist im Aufbruch.<br />

Über 160 Millionen Menschen leben in Nigeria,<br />

davon zählen heute schon 30 Millionen<br />

zur Mittelschicht. Die Menschen beginnen<br />

damit, Geld für Luxusartikel auszugeben.<br />

Es entstehen schicke Hotels, an fast jeder<br />

Ecke in Lagos eröffnen neue Bars. Auch immer<br />

mehr ausländische Firmen kommen<br />

nach Nigeria. Die Volkswirtschaft wächst<br />

immer weiter.<br />

„Über 160 Millionen<br />

Menschen leben in<br />

Nigeria, davon zählen<br />

heute schon 30 Millionen<br />

zur Mittelschicht.“<br />

KANN NIGERIA DAS NEUE CHINA<br />

WERDEN?<br />

Wir gelten nicht nur als die optimistischsten<br />

Menschen, in unserem Land gibt es<br />

auch sehr viele Talente. Im November werde<br />

ich bei der „Luxury Conference“ der International<br />

Herald Tribune in Rom darüber<br />

sprechen, welches wirtschaftliche Potential<br />

ich für Afrika sehe. Und ich sehe riesiges<br />

Potential.<br />

Dann folgt meist die Frage: Kann Nigeria in<br />

Bezug auf globalen Handel irgendwann zum<br />

neuen China heranwachsen? Offen gestanden:<br />

Ich weiß es nicht. Wir haben viele<br />

Möglichkeiten, aber noch ist der Markt unberechenbar.<br />

Ob wir aber zu einem neuen<br />

nitiv<br />

ja! Zwar basiert Nigeria immer noch<br />

zu einem Großteil auf Landwirtschaft, aber<br />

trotzdem entwickelt sich auch der Luxussektor<br />

immer weiter.<br />

Wir sind ein sehr stolzes Land. Die Menschen<br />

sind stolz auf ihre Identität, die sehr<br />

eng mit dem Land verwurzelt ist. Es gibt<br />

eine unglaubliche Vielfalt – im ganzen Land<br />

werden über 500 Sprachen gesprochen. Es<br />

gibt zwar immer noch große Unterschiede<br />

zwischen den Bevölkerungsgruppen. Doch<br />

die jungen Leute sind selbstbewusster geworden.<br />

Ich bin stolz auf die, die heute klar<br />

wissen, was sie sich vom Leben wünschen.<br />

Viele wollen Designer werden und begeistern<br />

sich für <strong>Mode</strong>. Auch das hat sich erst in<br />

den vergangenen Jahren so entwickelt.<br />

<strong>Mode</strong> bedeutet so etwas wie Freiheit. Jeder<br />

kann sich selbst ausdrücken, es gibt keine<br />

Grenzen. Für viele nigerianische Designer<br />

spielen bunte Farben, Stoffe und landestypische<br />

Muster eine entscheidende Rolle.<br />

Das kommt durch unsere vielfältige kulturelle<br />

Vergangenheit. Doch es gibt eben<br />

auch nigerianische Designer, die einen ganz<br />

schlichten Look haben. Wenig Farbe, wenig<br />

Muster, schlichte Schnitte. Mit <strong>Mode</strong> kann<br />

jeder seine ganz persönliche Geschichte<br />

erzählen.<br />

Die Geschichte von Nigeria schreiben wir<br />

Nigerianer, wir gestalten die Zukunft. Ich<br />

kämpfe auf meine Art jeden Tag für Wandel<br />

und Fortschritt. Einmal morgens die Zeitungen<br />

aufschlagen und lauter positive<br />

Nachrichten aus meiner Heimat lesen:<br />

Nichts wünsche ich mir mehr.<br />

OMOYEMI AKERELE ist Kreativdirektorin bei Style<br />

House Files, einem digitalem Portal für <strong>Mode</strong>,<br />

Kultur und Beauty aus Afrika, dem man unter<br />

<br />

Akrele tritt zudem bei der diesjährigen International<br />

Herald Tribune Luxuy Conference unter der<br />

Leitung von Suzy Menkes als Gastrednerin<br />

ber<br />

in Rom statt.<br />

124<br />

125


Fotos: Randall Bachner, Interview: Marie-Sophie Müller<br />

Styling: Bernat Buscato, Make-up: Claire Bayley @ LATELIERNYC.com<br />

Scrollt man durch das Online-Portfolio des<br />

Fotografen-Duos Mert & Marcus, fragt man<br />

sich, ob die beiden in den letzten Jahren<br />

überhaupt mal einen Tag frei hatten: Sie<br />

sind und arbeiten überall! Für die US-Vogue<br />

und Vogue France, W Magazine, Love Magazine<br />

– dazu für MiuMiu mit der reizenden<br />

Chloe Sevigny, für Stella McCartney,<br />

Boss, Calvin Klein, Armani, Versace,<br />

Givenchy bis zu Lancôme. Manchmal<br />

scheint es, als wären außer Mert & Marcus<br />

alle anderen Fashionfotografen in die Ferien<br />

verschwunden.<br />

Mert Alas und und Marcus Pigott trafen<br />

sich erstmals Mitte der Neunziger. Alas war<br />

aus Istanbul nach London gezogen und arbeitete<br />

als Foto-Assistent. Pigott kam aus<br />

<br />

Geld. Beide beschlossen fortan, die Kamera<br />

selbst in die Hand zu nehmen und ein Team<br />

zu werden. Sie zeigten ihre ersten Arbeiten<br />

den Machern von Dazed & Confused, die sie<br />

sofort das Cover shooten ließen und die Geschichte<br />

ins Rollen brachten.<br />

Als ihre Inspiration taucht immer wieder<br />

Guy Bourdin auf, ein legendärer französischer<br />

Fotograf, der ab den Sechzigern große<br />

<br />

<br />

als würden sie einen Moment in einer<br />

Geschichte festhalten. Wahrscheinlich ist<br />

es genau das, was die Arbeit von Mert &<br />

Marcus heute so erfolgreich macht: das<br />

Erzählerische in Verbindung mit einem Gespür<br />

für die dramatisch-glamouröse Insze-<br />

ter<br />

am Computer via Bildbearbeitung noch<br />

kräftig nachhelfen. Vertreten werden Mert<br />

& Marcus von der Künstleragentur Art<br />

Partner, bei der unter anderem auch Terry<br />

Richardson und Mario Sorrenti unter Vertrag<br />

sind. Die beiden arbeiten nicht nur zusammen,<br />

sie sind auch privat ein Paar.<br />

- no -<br />

65<br />

MERT &<br />

MARCUS<br />

- no -<br />

WARIS AHLUWALIA<br />

Wer ihn einmal gesehen hat, vergisst<br />

ihn nicht – den schlanken, elegant<br />

gekleideten Mann mit dem eindringlichen<br />

Blick unter dem akkurat<br />

gewickelten, schwarzen Turban.<br />

Und man sieht ihn oft: in Filmen<br />

von Wes Anderson oder Spike Lee,<br />

auf glamourösen Partyfotos mit so<br />

schönen Frauen wie Karen Elson,<br />

Tilda Swinton oder Charlotte Ronson<br />

und in etlichen frontrows bei<br />

der New York Fashion Week.<br />

Neben seinen diversen Auftritten<br />

vor der Kamera ist Waris Ahluwalia<br />

auch für sein Schmucklabel House<br />

of Waris bekannt. Doch eigentlich<br />

sind für den Weltbürger und Philanthrophen<br />

alle Schubladen zu klein.<br />

Man kann Sie einen Schmuckdesigner<br />

nennen, einen Schauspieler oder auch<br />

einen ausgesprochen stilbewussten<br />

Mann, mit dem man sich gerne sehen<br />

lässt. Wie sehen Sie Ihre Rolle in der Welt?<br />

WARIS AHLUWALIA Ich bin ein Entdecker<br />

und ein Geschichtenerzähler. Der Presse<br />

scheint das ein bisschen zu allgemein<br />

formuliert zu sein, sie sucht immer nach<br />

<br />

designer, Schauspieler – aber weißt du,<br />

mir ist das ehrlich gesagt egal. Ich bin ein<br />

Geschichtenerzähler und ich erzähle sie<br />

mit meinem Schmuck, meinen Schals<br />

oder einem Film – mit allem, was ich tue.<br />

Das Medium ist beliebig, es ist die Botschaft,<br />

die zählt. Gerade habe ich zum<br />

ersten Mal etwas Geschriebenes veröffentlicht,<br />

einen Beitrag in der aktuellen<br />

Ausgabe von The Paris Review. Auch das<br />

ist ein Weg, Geschichten zu erzählen.<br />

66<br />

Aber ein Glückspilz sind Sie schon<br />

auch, oder?<br />

W AGlück kann dich irgendwohin bringen,<br />

aber es kommt doch immer darauf an, was<br />

du daraus machst. Ich würde sagen, zu diesem<br />

Zeitpunkt haben wir den Glück-Part<br />

hinter uns gelassen. Fortune favors the bold<br />

– das Glück ist mit den Tüchtigen, heißt es.<br />

Ich habe nie gelernt, wie man Schmuck anfertigt<br />

oder <strong>Mode</strong> entwirft, aber das hat<br />

mich nicht davon abgehalten, es trotzdem<br />

zu tun. Ich habe keine Angst davor, etwas<br />

anzugehen.<br />

Sobald man studiert, schlägt man einen<br />

bestimmten Weg ein, aber eigentlich ist es<br />

nur der erste Schritt. Wohin man geht, entscheidet<br />

sich doch erst, wenn man es wirklich<br />

tut. Und es kann hemmend sein, wenn<br />

man denkt, man dürfe einen eingeschlagenen<br />

Weg nicht mehr verlassen.<br />

W AGanz genau. Das Universum spricht zu<br />

dir. Und der Weg, von dem Sie sprechen, ist<br />

ein kurvenreicher. Sie müssen in der Lage<br />

sein, ihn zu sehen, die Zeichen zu erkennen<br />

und zuzuhören. Die meisten Menschen können<br />

reden, aber nicht zuhören. Wenn das<br />

Universum dir Zeichen gibt und dir eine<br />

Richtung weist, musst du den Schritt machen.<br />

Und ich denke, das Universum spricht<br />

zu allen, nicht nur zu mir (lacht).<br />

Ich mag den Namen „House of Waris“.<br />

Man stellt sich bei einem Haus vor, dass es<br />

Platz gibt, Gäste einzuladen und die Möglichkeit<br />

daran anzubauen.<br />

W AIch habe den Namen nicht lange suchen<br />

müssen. Er war irgendwann in meinem<br />

Kopf, beim Abendessen oder so. Ich<br />

sprach ihn aus, und erschien mir so als hätte<br />

es dieses Wort schon immer gegeben.<br />

Plötzlich passte alles zusammen. Was früher<br />

eher mein Problem war, nämlich viele<br />

Pullover EMPORIO ARMANI<br />

126


EMPORIO ARMANI<br />

Dinge gleichzeitig zu tun, ist jetzt zu einer<br />

Stärke geworden.<br />

Bisher hauptsächlich Schmuck?<br />

W AWir machen Objekte der Schönheit –<br />

Schmuck und Schals sind gerade die<br />

Schwerpunkte, aber es stehen auch andere<br />

Dinge an. Es gibt mir die Chance, mit Handwerkern<br />

aus allen Ecken der Welt zusammenzuarbeiten.<br />

Ich entdecke ein wunderbares<br />

Material, setze mich mit<br />

Handwerkern zusammen und wir entwickeln<br />

etwas. Stets etwas, das nicht an einem<br />

Trend orientiert ist, sondern für immer<br />

sein soll.<br />

Wo stellen Sie Ihren Schmuck her?<br />

W AIn Indien, in Bangkok, manchmal in<br />

Italien und New York. Das Handwerk hierzulande<br />

verschwindet mehr und mehr, aber<br />

es existiert noch, und es gibt eine neue<br />

Sehnsucht danach, es wieder zurückzubringen.<br />

Es gibt eine neue Wertschätzung<br />

für Dinge, die von Hand hergestellt wurden.<br />

Meine Aufgabe sehe ich darin, die Idee des<br />

Handwerks zu beschützen und zu fördern.<br />

Nicht als Geschichtsbuch, nicht als Museum,<br />

sondern als ein Handelsgewerbe. Das<br />

letzte Stück, das wir gemacht haben, ist in<br />

New York hergestellt worden.<br />

Das Collier für De Beers?<br />

W AGenau.<br />

Sie sprechen immer davon, wie wichtig<br />

Ihnen ein verantwortungsbewusster Konsum<br />

ist. Da ist das Juwelenbusiness natürlich<br />

ein wahres Minenfeld.<br />

W ANatürlich, und deshalb will ich wissen,<br />

woher etwas kommt. Ich werde nächstes<br />

Jahr zu den Diamantenminen nach Afrika<br />

fahren und selbst schauen, wie De Beers arbeitet.<br />

Jetzt erst, weil es etwas Zeit kostet,<br />

bevor man eine Stimme hat, die gehört<br />

wird. Vor fünf Jahren, als ich angefangen<br />

<br />

den weltweit größten Diamantenproduzenten<br />

zu treffen. Es war etwas ganz Besonderes<br />

für mich, mit Forevermark-Diamanten<br />

zu arbeiten. Neben ihrer besonderen<br />

Schönheit sind sie fair gehandelt. Ich möchte,<br />

dass weiterhin Schmuck hergestellt wird<br />

- aber verantwortungsvoller als bisher.<br />

Gilt dieses Prinzip auch für die Kleidung,<br />

die Sie tragen?<br />

W AFür mich ist das <strong>Teil</strong> meines Lebens.<br />

Es gilt für alles, was ich trage... von meinen<br />

Hosen über meine Hemden oder Anzüge<br />

und meine Schuhe.<br />

Ihren Turban nehmen Sie niemals ab?<br />

W ANein, nie. Der Stoff ist ungefähr viereinhalb<br />

Meter lang und besonders schön<br />

und leicht. Ich habe mit 17 Jahren gelernt,<br />

ihn zu binden. Und seither trage ich ihn.<br />

Ist dies traditionell das Alter, in dem man<br />

es lernt?<br />

W ADie Religion der Sikhs ist eine sehr offene<br />

Religion, die keine Momente in deinem<br />

Leben vorschreibt. Wann immer man bereit<br />

ist, den Turban zu tragen, lernt man es.<br />

Sie sind in Indien geboren ...<br />

W A...und nach New York gezogen, als ich<br />

fünf Jahre alt war.<br />

Haben Sie den Kontakt in Ihr Heimatland<br />

gehalten?<br />

W A Ja, wir sind mit der Familie immer<br />

wieder dorthin gefahren, und ich bin auch<br />

heute oft dort.<br />

Lassen Sie sich in Ihrer Arbeit von diesen<br />

Reisen inspirieren?<br />

W AWann immer mich jemand nach der<br />

Inspiration für meine Arbeit fragt, ist meine<br />

SACAI<br />

Tanktop CALVIN KLEIN<br />

Antwort: „Liebe und die Geschichte“. Und<br />

ich füge hinzu, dass ich von beidem keine<br />

Ahnung habe. Meine Arbeit ist eine Erforschung<br />

dieser beiden Gebiete. Was die Geschichte<br />

betrifft, verstehe ich nicht, wie wir<br />

als Individuen, als Rasse, als Spezies, immer<br />

wieder aufs Neue dieselben Fehler machen.<br />

Von Jahrhundert zu Jahrhundert zu<br />

Jahrhundert. Wie ist das möglich? Die Geschichte<br />

der Menschheit, des Universums,<br />

fasziniert mich. Das Gleiche gilt für die Liebe.<br />

Ich verstehe beides nicht. Und jedes<br />

Mal, wenn ich an einer neuen Sache arbeite,<br />

hat sie damit zu tun, diese beiden Dinge zu<br />

erforschen, um sie besser zu verstehen.<br />

WARIS AHLUWALIA ist Schauspieler, Stilikone und<br />

Schmuckdesigner bei seinem eigenen Label<br />

House of Waris. Zudem taucht er immer wieder<br />

in den Filmen seines Freundes Wes Anderson<br />

auf.<br />

129


LOUIS VUITTON<br />

Krawatte AGNÈS B.


KENZO<br />

Gürtel AGNÈS B.<br />

Mantel AGNÈS B.<br />

Shirt & Hose Band of Outsiders


Mantel AGNÈS B.<br />

Anzug ANTONIO AZZUOLO<br />

T-Shirt & Schuhe AGNÈS B


LESERZUFRIEDENHEITS-GARANTIE<br />

Foto, Text Namen<br />

67<br />

– no –<br />

MAX MARA<br />

Der stille Gigant der italienischen <strong>Mode</strong><br />

wurde 1951 von Achille Maramotti gegründet.<br />

Anders als man denken würde,<br />

steckt hinter dem Namen keine<br />

echte Person. Max Mara setzte sich zusammen<br />

aus dem verkürzten Nachnamen<br />

des Chefs und dem Vornamen<br />

eines stilsicheren Grafen zusammen,<br />

der in den Fünfzigern in Reggio Emilia<br />

– dem Gründungsort des Unternehmens<br />

– ein berüchtigter Lebemann<br />

war. Max Mara ist bis heute in Familienbesitz.<br />

Wichtig waren von Anfang<br />

an sowohl eine breite Distribution und<br />

als auch hochwertiges Design. Franco<br />

Moschino arbeitete unter anderem für<br />

Max Mara. Heute leitet Luigi Maramotti<br />

(Bild links), Achilles Sohn, die<br />

Geschäfte. 2334 Monolabel-Läden unterhält<br />

die Fashion Group zurzeit und<br />

erreicht einen Umsatz von etwa 1,2<br />

Milliarden Euro.<br />

ALEXANDER WANG<br />

– no –<br />

69<br />

„King of Cool“ –<br />

so platt die Bezeichnung<br />

klingt,<br />

so treffend ist sie<br />

doch. Der Amerikaner<br />

Alexander<br />

Wang gehört zu<br />

den gefragtesten Jungdesignern. Sein Label<br />

gründete er 2007 nach ein paar Semestern<br />

an der Parsons School in New York. Daraufhin<br />

folgte eine souveräne Karriere, von der<br />

jeder Designanfänger träumt. Berühmt<br />

wurde Wang durch seinen unkonventionellen<br />

Look, der die <strong>Mode</strong> der Neunziger, den<br />

Grunge Look und einen gewissen Pariser<br />

Chic vereint: sportlich und sexy, vor allem<br />

durch Cut-Outs in Kleidern und T-Shirts.<br />

<strong>Mode</strong>l Erin Wasson, ein Texas-Girl und fast<br />

genau so cool wie Wang, wird nicht nur seine<br />

Muse, sondern stylt auch seine Shows.<br />

Seit 2009 designt der nun 29-Jährige zudem<br />

Accessoires: Ein Highlight sind seine Taschen<br />

aus geprägtem Leder mit üppigem<br />

Nietenbesatz am Boden.<br />

Lesen Sie taz.die tageszeitung<br />

fünf Wochen lang für nur 10 Euro,<br />

inklusive einer Ausgabe von<br />

Le Monde diplomatique.<br />

Das Angebot endet automatisch.<br />

www.taz.de/abo-garantie<br />

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T (030) 2590 2590<br />

* So funktioniert die Geld-zurück-Garantie der taz: Nach Ablauf der 5 Wochen haben Sie per Brief oder Webformular die Möglichkeit, die Probeabo-Kosten in Höhe von 10 Euro zurückzufordern.<br />

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136<br />

*<br />

YOHJI YAMAMOTO<br />

68<br />

– no –<br />

Es ist fast acht Jahre her, da sagte Yohji Yamamoto,<br />

dass er die <strong>Mode</strong> hasst. <strong>Mode</strong> hechele<br />

Trends hinterher, er aber strebe nach zeitloser<br />

Eleganz. Heute klingt das vermessen, doch<br />

wahrscheinlich würde Yamamoto, der sehr<br />

vorsichtig mit Farben umgeht und dessen Entwürfe sich durch eine<br />

skulpturale Schlichtheit auszeichnen, das Gleiche wieder sagen. Einerseits<br />

hat er natürlich leichter reden, er ist der bekannteste <strong>Mode</strong>designer<br />

Japans und mit der Adidas-Linie Y-3 weltweit auch im mittelpreisigen<br />

Segment erfolgreich. Sein Platz in der <strong>Mode</strong>geschichte ist ihm<br />

sicher. Andererseits hatte auch Yamamoto im Zuge der Finanzkrise<br />

Schwierigkeiten, musste Insolvenz anmelden, Flagshipstores schliessen.<br />

Allerdings rettete Yamamoto die wichtigsten Linien.<br />

Langsam berappelt sich sein <strong>Mode</strong>reich wieder. Nun expandiert<br />

Yamamoto in China und legt einen Schwerpunkt auf den japanischen<br />

Markt. Trotzdem: Junge Designer können sich diese Unabhängigkeit<br />

kaum leisten, Yamamoto wahrscheinlich auch nicht – und ist es nicht<br />

der Wandel, die <strong>Mode</strong> so spannend macht? Dennoch ist an seiner Haltung<br />

etwas dran: In der <strong>Mode</strong> geht es um Individualität, jedes Label<br />

hat einen eigenen Stil. Wäre es also – wie Suzy Menkes schon ein<br />

Mal vorschlug – angebracht, über slow fashion nachzudenken, eine<br />

konzentrierte <strong>Mode</strong>, die langfristiger an Kollektionen festhält? „Die<br />

Beschleunigung der Dinge verhindert, dass man darüber nachdenkt“,<br />

sagte Yamamoto damals. „Zweifel werden ausgeschlossen. Alle folgen.<br />

Bis alles allem ähnelt.“


RÄTSEL<br />

IMPRESSUM<br />

VERLAG<br />

Off Ones Rocker Publishing Ltd.<br />

Karl-Marx-Allee 91b 10243 Berlin<br />

Telefon: +49 (0)30 2888 40 43<br />

Fax: +49 (0)30 2888 40 44<br />

info@fraeulein-magazin.com<br />

Geschäftsführer: Jörg Philipp<br />

Herausgeber: Götz Offergeld<br />

Verlagsleitung: Katharina Kuhn<br />

20 Namen,<br />

die <strong>Fräulein</strong> kennen sollte, und 10 Fehler, die zu finden sind!<br />

Illustration: Anje Jager<br />

Idee und Konzept: Götz Offergeld<br />

<strong>Fräulein</strong> ist eine<br />

Off One’s Rocker Ltd. Produktion<br />

mit Redaktionssitz:<br />

Karl-Marx-Allee 91b 10243 Berlin<br />

Telefon: +49 (0)30 2888 40 43<br />

Fax: +49 (0)30 2888 40 44<br />

info@fraeulein-magazin.com<br />

www.fraeulein-magazin.com<br />

CHEFREDAKTEUR UND KREATIVDIREKTOR<br />

V.i.S.d.P.<br />

Götz Offergeld<br />

PRESSEKONTAKT<br />

Pauline Hoch<br />

pauline@hochsandersbarduhn.com<br />

VERTRIEB<br />

BPV Medien Vertrieb GmbH & Co. KG<br />

Römerstr. 90<br />

79618 Rheinfelden<br />

www.bpv-medien.com<br />

ART DIREKTION<br />

Barbara Krimm, StudioKrimm<br />

André M. Wyst<br />

DRUCKEREI<br />

Dierichs Druck+Media GmbH & Co. KG<br />

Frankfurter Str. 168<br />

34121 Kassel<br />

www.ddm.de<br />

REDAKTION<br />

STELLVERTRETENDER CHEFREDAKTEUR<br />

Hendrik Lakeberg<br />

COVER<br />

Foto: Stefan Armbruster<br />

REDAKTIONSLEITUNG<br />

Franziska Giovannini<br />

MODE / STIL<br />

Lisa Leinen, Ita Korenzecher<br />

ANZEIGENVERKAUF:<br />

Nielsen 1 (Hamburg, Berlin, Schleswig-Holstein, Niedersachsen)<br />

Dirk Struwe, Medienvermarktung e.K.<br />

Poelchaukamp 8, 22301 Hamburg,<br />

Telefon: +49 (0)40 280 580 80, Fax: +49 (0)40 280 580 89<br />

d.struwe@struwe-media.de<br />

BEAUTY<br />

Lisa Leinen<br />

TEXTCHEFIN<br />

Bettina Schneuer<br />

ASSISTENZ DER CHEFREDAKTION<br />

Diana Terpe<br />

GRAFIK DEPARTMENT<br />

Robin John Berwing, Jan-Nico Meyer<br />

FOTOGRAFEN<br />

Adam Fedderly, Jean-Baptiste Mondino, Willy<br />

Vanderperre, Jean-François Cartly, Stephane<br />

Feugere, Ryersson & Yaccario, Randall Bachner,<br />

François Coquerel, Ruth Hogben, Mario<br />

Testino, Irina Gavrich, Dusan Rejlin, Gaëtan<br />

Bernard, Stefan Armbruster, Manuela Pavesi,<br />

Y.R., Terry Richardson, Ronald Dick, Olivia<br />

Bee, David Fischer, Olivier Zahm, Tom Allen,<br />

Hadley Hudson<br />

Nielsen 2 (Nordrhein-Westfalen)<br />

Andreas Fuchs, Medienservice + Beratung<br />

Vereinsstr. 20, 41472 Neuss,<br />

Telefon: +49 (0)2131 406 370, Fax: +49 (0)2131 406 3710<br />

kontakt@medienservice-und-beratung.de<br />

Nielsen 3a (Hessen, Rheinland Pfalz, Saarland)<br />

Weipert GmbH<br />

Palais Kronberg, Frankfurter Str. 111, 61476 Kronberg,<br />

Telefon: +49 (0)6173 3250 970, Fax: +49 (0)6173 3259 140<br />

helmujun@weipert-net.de<br />

Nielsen 3b (Baden-Württemberg)<br />

Nielsen 4 (Bayern)<br />

Bruno Marrenbach, MMS Marrenbach Medien-Service<br />

Lachenmeyerstr. 25, 81827 München,<br />

Telefon: +49 (0)89 430 88 555, Fax: +49 (0)89 430 88 556<br />

info@mms-marrenbach.de<br />

ITALIEN<br />

JB Media surl, Jeffrey Byrnes<br />

Tel +39 (0)22 901 34 27, info@jbmedia.it<br />

ILLUSTRATOREN<br />

Anje Jager, Katrin Funcke, André M. Wyst<br />

AUTOREN<br />

Manuel Almeida, Ruben Donsbach, Virginie<br />

Henzen, Charles Wilcox, Melissa Whitworth,<br />

Jan Joswig, Marcel Malachowski, Lena<br />

Bergmann, David Torcasso, Nike van Dinther,<br />

Doris Hardt, Aicha Reh, Pia-Luisa Lenz,<br />

Marie-Sophie Müller, Wäis Kiani<br />

www.roeckl.com<br />

138<br />

139


Foto: ITC Ethical Fashion Initiative<br />

Redaktion: Lisa Leinen<br />

VENTURINI<br />

FENDI<br />

Ilaria Venturini Fendi könnte als<br />

Spross der <strong>Mode</strong>-Dynastie in einer<br />

Glamour-Welt leben. Doch sie zog<br />

sich auf einen Bauernhof bei Rom<br />

zurück und gründete ein Hilfsprojekt<br />

in Afrika. Liebe ist ein Gefühl, das sie<br />

antreibt und gleichzeitig erdet.<br />

Liebe ist für mich in erster Linie ein Überlebensinstinkt.<br />

Die Liebe zu uns selbst hat<br />

es möglich gemacht, dass die Menschheit<br />

sich weiterentwickeln konnte. Als Mutter<br />

und Frau, die sich der Umwelt verbunden<br />

fühlt, glaube ich sehr stark an diesen Instinkt.<br />

Liebe ist ein freies, einvernehmliches<br />

Geschenk, das man dankend annehmen<br />

sollte. Alles, was man mit Liebe tut, tut man<br />

mit Leidenschaft. Das verleiht dem Tun und<br />

Handeln eine Eigendynamik. Wenn man<br />

an die Kraft der Liebe glaubt, gibt sie diese<br />

stets zurück.<br />

Ich habe einen Freund, der vor ein paar Jahren<br />

für seine Ideen verhaftet, eingesperrt<br />

und gefoltert wurde. Nachdem er entlassen<br />

war, hat er mir erzählt, dass es der Gedanke<br />

an Liebe war, der ihn gerettet hat. Je mehr<br />

sie ihn gefoltert haben, desto mehr Liebe<br />

hat er ihnen entgegengebracht. Es mag seltsam<br />

klingen, aber irgendwann haben sie<br />

aufgegeben. Sie konnten diesen Gegensatz<br />

nicht mit sich vereinbaren, so schien es.<br />

Ich erinnere mich gerne an diese Geschichte,<br />

denn in der heutigen Zeit geht der Gedanke<br />

an die Kraft der Liebe oft verloren.<br />

Die Menschen erkennen sie oft nicht mehr,<br />

weil sie in einer Gesellschaft voller Stereotypen<br />

leben. Alles lebt für den Moment.<br />

Würden wir der Liebe etwas mehr Vertrauen<br />

und Aufmerksamkeit schenken, könnten<br />

wir viele Fehler vermeiden, davon bin ich<br />

überzeugt. Wir könnten uns die Chance geben,<br />

in Frieden zu leben.<br />

Der Glaube an die Liebe war für mich und<br />

meine persönliche Entwicklung sehr wichtig.<br />

Ich habe angefangen, mich intensiv mit<br />

den Dingen um mich herum zu beschäftigen,<br />

vor allem mit der Natur. Dieses Engagement<br />

wollte ich mit anderen teilen, und so<br />

habe ich 2006 mein Label Carmina Campus<br />

gegründet, das für handgemachte und fair<br />

71<br />

- no -<br />

SO STELL’<br />

ICH MIR DIE<br />

LIEBE VOR<br />

produzierte Accessoires und Möbel steht.<br />

Dafür benutzen wir ausschließlich recyceltes<br />

Material. Meine Kreativität hat viel mit<br />

der Liebe zu Handgemachtem zu tun. Ich<br />

erarbeite gerne etwas mit meinen Händen,<br />

ebenso wie ich anderen gerne dabei zusehe,<br />

wenn sie ihr Handwerk beherrschen.<br />

Diese Bilder zeigen genau dies. Ich bin stolz<br />

auf die Handwerkstradition meiner Familie.<br />

Ich erinnere mich sehr gerne an die Zeit als<br />

junges Mädchen, als ich bei meiner Mutter<br />

im Atelier zugucken durfte. Ich war fasziniert<br />

von dieser Welt. Viele der Menschen,<br />

die heute für mich arbeiten, sind die Töchter<br />

und Söhne derer, die für meine Mutter<br />

gearbeitet haben. Jedes Mal, wenn ich zu<br />

Besuch in Afrika bin, setze ich mich zu ihnen<br />

und sehe diese Zufriedenheit in ihren<br />

Augen, eine Art von Respekt vor sich selbst,<br />

den sie sich erarbeitet haben.<br />

Als ich das Projekt begonnen habe, war ich<br />

oft in Afrika, um meine Kenntnisse zu vermitteln<br />

und weiterzugeben. Ich habe andere<br />

italienische Designer und Künstler gebeten,<br />

mich zu begleiten. Das alles hat etwas sehr<br />

Familiäres, und ich stecke immer noch viel<br />

Liebe in dieses Projekt.<br />

Einige werden sagen, dass das Wort Liebe<br />

nichts mit einem Businessplan zu tun haben<br />

sollte. Das sehe ich anders. Dass eine<br />

<br />

die Geschäftsgrundlage sein. Aber warum<br />

sollte ich mich nur auf die Grundlage konzentrieren,<br />

wenn ich eine höhere Ebene anstreben<br />

kann? Das höchste Level ist für<br />

„Einige werden sagen, dass das Wort Liebe<br />

nichts mit einem Businessplan zu tun haben<br />

sollte. Das sehe ich anders.“<br />

mich erreicht, wenn man die jeweils einzigartigen<br />

Fähigkeiten von Menschen zusammenbringt,<br />

um Neues zu erschaffen. Dieses<br />

Ziel basiert auf Liebe, denn Liebe bedeutet<br />

für mich die Wertschätzung eines anderen.<br />

Nach diesem Prinzip versuche ich zu arbeiten<br />

und zu leben, es im besten Fall anderen<br />

mit auf den Weg zu geben. Denn eins ist unumstritten:<br />

Liebe verändert deine Sicht auf<br />

die Welt.<br />

ILARIA VENTURINI FENDI ist Erbin des italienischen<br />

Luxusunternehmens Fendi, verkaufte aber ihre<br />

Anteile und gründete stattdessen ihr eigenes<br />

Label Carmina Campus. Für dieses gestaltet sie<br />

Taschen aus ökologisch korrekten Materialien.<br />

141


Illustration: Katrin Funcke, Text: Wäis Kiani<br />

ANNA<br />

DELLO RUSSO<br />

Wir kannten sie als freigeistige<br />

Fashiondirektorin der japanischen<br />

Vogue, die anzog, was sie wollte und<br />

sich nicht um das eng geschnürte<br />

Korsett von Fashion Trends scherte.<br />

Bis sie uns in einem Video für ihre<br />

H&M-Kollaboration mit Porno-Boots<br />

und Leder-Bodydress schockierte.<br />

72<br />

- no -<br />

ANTIFRÄULEIN<br />

Sie wirkt wie ein Leder-<br />

Domina-Transvestit.<br />

Unser neues Antifräulein ist die schräge<br />

Fashiondirektorin der Vogue Japan, Anna<br />

Dello Russo. Wir mochten die immer schrill<br />

und außergewöhnlich gestylte Anna für<br />

ihre Exzentrik und ihren Mut, sich auf die<br />

<br />

<br />

Zudem hatte sie die Courage, mitten im<br />

überstrengen, von Trends und Hypes eingeengten<br />

Fashion Business nur das anzuziehen,<br />

wozu sie Lust hatte – am liebsten alles<br />

gleichzeitig. Und wenn es noch eine große<br />

Kirsche auf ihrem Kopf brauchte, dann trug<br />

sie diese, als wäre sie ein spießiger Dutt.<br />

Anna scherte sich nicht um Regeln und<br />

Konventionen und tat, was sie wollte. Und<br />

immerhin war sie nicht nur eine Fashion-<br />

Ikone mit einer bemerkenswert großen<br />

Sammelobsession (4000 Paar Schuhe machen<br />

uns natürlich Angst!) und einer weltweiten<br />

Fan-Gemeinde, sondern die Stilvorlage<br />

einer modebesessenen Nation:<br />

Japan!<br />

Wir in Europa sahen sie als eine nette, frei<br />

denkende Spinnerin. Und weil nette, frei<br />

denkende Spinner der Welt keinen Schaden<br />

zufügen, fanden wir sie okay. Irgendwie ist<br />

eine 50-jährige Frau, die nicht ständig daran<br />

denkt, dass sie für alles „zu alt“ sein<br />

könnte, auch eine erfrischende Abwechslung.<br />

Zudem hat sie, im Gegensatz zu den<br />

meisten anderen, einen richtigen Job, und<br />

weiß demnach, was sie tut.<br />

So stand es um Anna Dello Russo bis zu<br />

dem Tag, an dem das Video für ihre Accessoires-Kollektion<br />

für H&M unsere unschuldigen<br />

Gemüter schockierte. Anna sieht man<br />

hier in einem schrillen gold-türkisen Ambiente.<br />

Dello Russo wirkt wie ein Leder-Domina-Transvestit,<br />

der sich unbeholfen wie<br />

Gregor Samsa als Käfer auf einer gigantischen<br />

Gold-Stiefelette räkelt. Sie trägt eine<br />

Art Leder-Bodydress mit einem Lederslip<br />

darunter, was leicht erkennbar ist, da der<br />

Dress diese Stelle zwischen den Beinen,<br />

die jede Lady vor den Blicken der Öffent-<br />

<br />

trägt sie über die Oberschenkel reichende<br />

schwarze Porno-Boots aus schwarzem<br />

Leder an ihren 50-jährigen Beinen.<br />

Sie hüpft wie eine verwirrte Dohle durch<br />

das gold-türkise Bühnenbild und hält ein<br />

buntes Plastikschmuckstück nach dem anderen<br />

ins Bild – bis zum türkisen Koffer-<br />

Finale, das mit den erschütternden Worten<br />

„You need a Faäschnschauääärrr“ endet.<br />

Ich muss zugeben, das Video bis zum Ende<br />

anzusehen war mehr als schmerzhaft und<br />

qualvoll für meine Augen, aber ihr letzter<br />

Satz hat auch noch meine armen Ohren<br />

vibrieren lassen. So weit, so gut.<br />

Zu guter Letzt möchte ich die gute Anna<br />

noch aus der Prä-H&M-Ära zitieren: Sie liebe<br />

das Geklimper von Juwelen. Wenn es an<br />

ihrem Handgelenk klimpere, dann sei es<br />

für sie wie Therapie. Allerdings trug sie zu<br />

der Zeit am liebsten Hollywood-Brillanten<br />

von Harry Winston oder die unfassbar<br />

schönen Schmuckstücke von Attilio Codognato<br />

aus Venedig. Für das einfache Volk<br />

muss nun aber der Schepperton von Billigzeugs<br />

aus China reichen. Wir dachten,<br />

Anna ist zu cool, um sich für einen bescheuerten<br />

Hype um nichts herzugeben.<br />

Aber wir haben uns geirrt.<br />

ANNA DELLO RUSSO ist fashion director der japanischen<br />

Vogue, wohnt aber in Mailand. Zuvor<br />

war sie Redakteurin bei der italienischen Vogue<br />

und bei L’Uomo Vogue. Sie ist bekannt für ihren<br />

extravaganten Stil, den sie in Form einer H&M-<br />

Kollaboration für alle zugänglich machte.<br />

WÄIS KIANI schreibt nicht nur Artikel für <strong>Fräulein</strong>,<br />

sondern auch Bücher. Gerade erschienen ist der<br />

Roman „Hinter dem Mond“, den wir Ihnen ans<br />

Herz legen wollen.<br />

142<br />

143


Illustration: Anje Jager<br />

Caroline de maigret<br />

ab Seite 98<br />

SACHEN<br />

GIBT’S<br />

Roter<br />

Lippenstift<br />

Rote Lippen – und Frau ist angezogen.<br />

Besonders schöne Nuancen<br />

gibt es von Tom Ford (Smoked<br />

Red) oder Chanel (Rouge Allure<br />

Velvet).<br />

ROTER<br />

NAGELLACK<br />

Hände.<br />

Farblich passend zu den Lippen<br />

am besten roten Nagellack<br />

auftragen. Zum Beispiel Rouge<br />

Pop Art von Yves Saint Laurent.<br />

Handtasche<br />

Anstatt viele einzelne Handtaschen<br />

für jeden Anlass zu<br />

kaufen, lieber auf eine sparen,<br />

die sowohl für den Alltag, als<br />

auch für die Abendplanung passt.<br />

Im besten Fall führt man natürlich<br />

die Kelly Bag oder die Birkin<br />

Bag von Hermès aus.<br />

WEIßES T-SHIRT<br />

Ein absolutes Must-have im Kleiderschrank.<br />

Das Label spielt hierbei<br />

keine Rolle. Hauptsache,<br />

es hat den perfekten Schnitt.<br />

schwarz e<br />

High Heels<br />

Egal ob zu Jeans oder zum Kleid –<br />

schwarze High Heels gehen immer.<br />

Manolo Blahniks und Louboutins<br />

sind schön, aber auch teuer. Buffalo<br />

bietet preisgünstigere Alternativen.<br />

SCHWARZER BLAZER<br />

<br />

<br />

garantiert den passenden.<br />

– NO –<br />

75<br />

In dieser Rubrik schlagen wir Ihnen<br />

dieses Mal die 15 essenziellen<br />

Kleidungsstücke und Accessoires<br />

vor, die eine Frau haben sollte.<br />

Grundsätzlich empfehlen wir Klassiker:<br />

Lieber mehr in Altbewährtes<br />

investieren als weniger Geld für zu<br />

viel modischen Trash ausgeben.<br />

weißes<br />

Oversize-Hemd<br />

Das Männerhemd ist längst nicht mehr<br />

nur Sonntagsmorgens zum Frühstück<br />

tragbar. Kombiniert mit schwarzen<br />

Heels und Blazer perfektioniert es den<br />

den<br />

gibt es bei Hermès, Tom Ford oder<br />

Laurence Doligé oder (als Kleid) von<br />

Thom Browne.<br />

BOMBERJACKE<br />

Ja, auch an Frauen sehen Bomberjacken<br />

cool und sogar sexy aus. Maharishi<br />

knows how to do it.<br />

BIKERLEDERJACKE<br />

Direkt neben dem schwarzen Blazer<br />

sollte optimalerweise die rockigere<br />

Variante in Form einer Biker-Lederjacke<br />

am Kleiderhaken hängen. Die<br />

schönste gibt’s bei Maison Martin<br />

Margiela.<br />

SONNENBRILLE<br />

Less is more: Das trifft auch auf die<br />

perfekte Sonnenbrille zu. Die stilvollsten<br />

bieten Persol und Loro Piana.<br />

Perlen-<br />

& Brilliant-<br />

Ohrringe<br />

Wer nicht weiß, was er sich dieses<br />

Jahr zu Weihnachten schenken lassen<br />

soll... Wir hätten da so eine<br />

Idee.<br />

Nike<br />

Dunks<br />

Isabel-Marant-Hype hin oder her –<br />

was das Thema Sneaker betrifft,<br />

gibt es nichts Besseres als<br />

die von Nike. An <strong>Mode</strong>llen wie<br />

den Dunks oder dem Air Jordan<br />

sehen wir uns nie satt.<br />

JEANSJACKE<br />

Vintage-<strong>Mode</strong>lle wie Levi’s Supreme<br />

und Lee Rider haben den<br />

besten Schnitt und die schönsten<br />

Waschungen.<br />

TRENCHCOAT<br />

Am Schönsten ist immer noch das<br />

Original: Thomas Burberry erfand<br />

den Trenchcoat Ende des 19. Jahrhunderts.<br />

Auf alle Zeit die perfekte<br />

Bekleidung für den Herbst.<br />

Kleines<br />

Schwarzes<br />

Coco Chanel begriff bereits in den<br />

Zwanzigern die Eleganz eines kleinen<br />

schwarzen Kleides. Doch es muss<br />

nicht unbedingt aus einem Luxushaus<br />

stammen. Man sollte nur darauf ach-


Hinter jedem großartigen Cappuccino<br />

verbirgt sich ein Geheimnis.<br />

Nur ein perfekter Espresso macht<br />

Nur aus frischer<br />

ein perfekter<br />

Milch eine<br />

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macht<br />

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