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2,90<br />
EURO<br />
RAINER JUDD<br />
„I HAD TO KNOCK HIM DOWN“<br />
A 3,20 EUR<br />
CH 4,50 SFR<br />
LUX 3,40 EUR<br />
AUSGABE 12/2013<br />
LOUISE WILSON<br />
DER DRILL-INSTRUCTOR<br />
DER MODE<br />
VICE<br />
DIE ZUKUNFT<br />
DES JOURNALISMUS?
<strong>Rainer</strong> <strong>Judd</strong><br />
Unser <strong>Fräulein</strong> dieser Ausgabe <strong>Rainer</strong><br />
<strong>Judd</strong> ist ein freier Geist. Kein Wunder,<br />
ist die Tochter des Künstlers Donald<br />
<strong>Judd</strong> doch in der Wüste von Marfa<br />
und im New Yorker Kreativbezirk Soho<br />
aufgewachsen, hatte eine Gang und<br />
wurde von texanischen Grenzbeamten<br />
gebabysittet.
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2014<br />
Das Jahr 2013 hat für <strong>Fräulein</strong><br />
eine ganze Reihe wichtiger<br />
Veränderungen mit<br />
sich gebracht! Neue Kollegen<br />
haben unsere Redaktion<br />
verstärkt, die Leserzahlen<br />
sind kontinuierlich<br />
gewachsen, es gibt nun<br />
einen viel frequentierten<br />
<strong>Fräulein</strong>-Blog, der 2014 weiter<br />
ausgebaut werden soll.<br />
Dazu kommt im nächsten<br />
Jahr ein ePaper, welches im<br />
App Store heruntergeladen<br />
werden kann.<br />
Trotz all dieser Veränderungen<br />
glaube ich, dass<br />
wir den Kern unseres Heftes<br />
bewahren konnten. Die<br />
überwiegend positiven<br />
Reaktionen von Ihnen, den<br />
Lesern, haben mich darin<br />
bestärkt, dass wir auf dem<br />
richtigen Weg sind.<br />
In der <strong>Fräulein</strong> kommen<br />
besondere und großartige<br />
Frauen zu Wort, die einen<br />
Unterschied machen, nicht<br />
nur jene, die eh immer im<br />
Rampenlicht stehen. Denn<br />
tolle Frauen gibt es überall!<br />
<br />
aktuellen Ausgabe <strong>Fräulein</strong>s<br />
wie <strong>Rainer</strong> <strong>Judd</strong>, deren<br />
ungewöhnlicher Name<br />
nicht nur „arty“ klingt,<br />
sondern Programm ist. Die<br />
geborene New Yorkerin<br />
setzt neben ihrer Arbeit als<br />
Schauspielerin und Autorin<br />
das außergewöhnliche<br />
Werk ihres Vaters Donald<br />
<strong>Judd</strong> als Co-Vorsitzende der<br />
<strong>Judd</strong> Foundation fort. Ein<br />
Leben für die Kunst und die<br />
künstlerische Bildung!<br />
Wir trafen die japanische<br />
Bondagekünstlerin und<br />
Domina CoCo Katsura, die<br />
<strong>Fräulein</strong> fernab von billigen<br />
Klischees wie den „Shades<br />
of Grey“ über die feine Balance<br />
zwischen Schmerz<br />
und Lust erzählt hat.<br />
In London sprachen wir<br />
mit der großartig gnadenlosen<br />
Louise Wilson, Leiterin<br />
des Masterstudiengangs<br />
Fashion Design am renommierten<br />
Central Saint Martins<br />
College. Sie hat über<br />
die Karrieren einiger der<br />
größten zeitgenössischen<br />
Modedesigner entschieden.<br />
Ein Essay erzählt von der<br />
legendären Judith Malina,<br />
Gründerin einer der<br />
wichtigsten Off-Broadway-<br />
Institutionen, dem Living<br />
Theatre, die mit ihren Performances<br />
das New Yorker<br />
Establishment zur Weißglut<br />
getrieben hat.<br />
Wie immer gibt es viel<br />
Mode zu sehen, Must-haves,<br />
sowie ein Schnittmuster<br />
vom <strong>Fräulein</strong>versteher<br />
Zac Posen zu sehen. Außerdem<br />
werfen wir einen<br />
Blick in die Sterne, der für<br />
den Winter die Apokalypse<br />
voraussagt!<br />
<strong>Fräulein</strong> ist ein Independent-Magazin.<br />
Wir sind<br />
stolz auf unsere Unabhängigkeit<br />
und wollen weiter<br />
genau die Geschichten und<br />
<br />
wichtig sind, uns dabei stetig<br />
verbessern und weiterwachsen.<br />
Das geht nur mit Ihnen zusammen,<br />
den Lesern! Wer<br />
die <strong>Fräulein</strong> liebt wie wir,<br />
der soll von ihr erzählen, sie<br />
seinen Freunden ans Herz<br />
legen und den Eltern unter<br />
den Christbaum legen.<br />
Bis zum Wiedersehen im<br />
neuen Jahr wünschen wir<br />
allen erholsame und wunderschöne<br />
Weihnachten<br />
mit den Liebsten, einen guten<br />
Start für 2014 und viel<br />
Spaß beim Lesen!<br />
Ihr Götz Offergeld<br />
Nr.12<br />
6<br />
7<br />
Kollektion<br />
Nr.12
LUDWIG BECK<br />
MUNICH OBERPOLLINGER<br />
STUTTGART BREUNINGER<br />
BURGSTRASSE 3, MUNICH<br />
Nr.12<br />
NEUHAUSERSTR.18, MUNICH<br />
8<br />
MARKTSTRASSE 1-3, STUTTGART<br />
9<br />
Nr.12
Illustration: Julio Rölle - www.44flavours.com<br />
NYMPHEN<br />
Was uns Lars von Trier mit „Nymphomaniac“<br />
wirklich sagen will.<br />
S.20<br />
SCHNITTMUSTER<br />
Die Kleider von Zac Posen<br />
sind nichts für Anfänger.<br />
S.58<br />
OPFER DES SYSTEMS<br />
Auf der ganzen Welt müssen Menschen<br />
als Sklaven schuften.<br />
S.128<br />
EMMANUELLE SEIGNER<br />
ist eine der schönsten Frauen der Welt.<br />
Und eine großartige Schauspielerin.<br />
SCHÖNER SCHMERZ<br />
Die Domina CoCo Katsura kennt die Kunst des Bondage.<br />
S.102<br />
FUCK OFF!<br />
Die Theaterlegende Judith Malina<br />
S.118<br />
JUNG UND ZORNIG<br />
Die israelische Autorin Shani Boianjiu<br />
über dumme alte Männer.<br />
S.112<br />
S.56<br />
RAINER JUDD<br />
Tochter, Rebellin, Autorin, Filmemacherin –<br />
unser <strong>Fräulein</strong> ist ein tiefenentspannter Workaholic.<br />
S.64<br />
TITA GIESE<br />
<br />
zwischen Kunst und Botanik. Jetzt kommt<br />
sie nach Berlin.<br />
S.42
CONTRIBUTORS<br />
BELA BORSODI<br />
aus New York hat unsere Prada-Brillen<br />
erotisch in Szene gesetzt. Er ist ein Fotograf<br />
mit unglaublichen Ideen!<br />
NORA LUTHER<br />
CHRISTOPHER SCHMIDT<br />
PAVEL BECKER<br />
Dream-Team! Die drei kreativen Köpfe<br />
unterstützten uns beim Produzieren<br />
unserer Stilseiten, ihr wart klasse!<br />
FABIAN BLASCHKE<br />
Mein schönes <strong>Fräulein</strong>, darf ich‘s wagen,<br />
mein Arm und Geleit anzutragen.<br />
In dem Sinne hat der Fotograf Fabian<br />
Blaschke uns diesmal mit seinem<br />
ehrlichen Portrait der Schriftstellerin<br />
Chloe Zeegen bereichert.<br />
ROMINA BIRZER<br />
Für das schwere Thema der<br />
„Modernen Sklaverei“ hat<br />
Romina in ihren Illustrationen<br />
genau den richtigen<br />
Tonfall gefunden.<br />
WÄIS KIANI<br />
Wer einen „Dizz“ auf Lady Gaga<br />
tionsfalle<br />
des Pop landen. Nicht so die<br />
gnadenlose Wäis!<br />
PEPI ART<br />
Wenn das nicht eine Hommage an den<br />
<br />
für uns unser Pin-up James Franco.<br />
PARASKEWI PALASKA<br />
Dein Rätsel hat uns den Kopf<br />
verdreht und Lust auf den Winterurlaub<br />
gemacht! Danke!<br />
HEIKO RICHARD<br />
ist <strong>Fräulein</strong>s Geheimwaffe.<br />
Die Bondage-Künstlerin<br />
CoCo Katsura ließ sich gern<br />
von ihm in Szene setzten.<br />
SOPHIE PHILIPP<br />
Das Horoskop haben wir diesmal zum<br />
Fressen gern. Was an Sophies animalischen<br />
und reichen Illustrationen liegt.<br />
SABINE VOLZ‘<br />
Fotos von unseren Rezepten sind<br />
moderne Stilllifes. Danke für deinen<br />
besonderen „Touch“ Sabine.<br />
IRINA GAVRICH<br />
hat für uns echte Männer ausgezogen,<br />
<br />
STEFAN ARMBRUSTER<br />
Seine Modestrecke würde unser<br />
<strong>Fräulein</strong> <strong>Rainer</strong> <strong>Judd</strong> als „so of the now“<br />
bezeichnen!<br />
MARIE ZUCKERS<br />
Fotos von Petite Meller haben den Glamour<br />
von 3 Tagen auf einem höllischen Cocktail.<br />
YVAN RODIC<br />
Der King unter den Stilbloggern zeigt mit seinen<br />
Fotos für unsere Street Style Rubrik, wie viel<br />
Power in Johannesburg steckt.<br />
WILLY KATZ<br />
ist ein ausgebrannter Lohnschreiber des bürgerlichen<br />
Feuilletons. Bei <strong>Fräulein</strong> betreut er das Ressort<br />
„White Light/White Heat“.<br />
JANIN KATHARINA HASTEDEN<br />
hat für <strong>Fräulein</strong> Emmanuelle Seigner<br />
aus der Reserve gelockt.<br />
LENIA HAUSER<br />
tete<br />
eine zuckersüße Illustration für unser<br />
Rotweincreme-Rezept! Yummi!<br />
JANE STOCKDALE<br />
ist unser visuelles Powerhouse aus<br />
London. Mit ihrer coolen Art entlockte<br />
<br />
Wilson, Direktorin des CSM College<br />
und Grand Madame der Modewelt, ein<br />
reizendes Lächeln.<br />
JULIO RÖLLE - 44FLAVOURS<br />
hat den Streetstyle in unserem<br />
Inhaltsverzeichnis zelebriert. Word.<br />
Nr.12<br />
ANDREAS STEINBRECHER<br />
Die 90er sind zurück, das sieht man<br />
an Andreas‘ poppiger Illustration<br />
für unseren Essay.<br />
12<br />
PATRICIA KELLER<br />
hat für uns die Welt der Kunst in eine<br />
Karte gebannt. Welcome on board!<br />
HADLEY HUDSON<br />
Samia Halaby war begeistert von<br />
<br />
schlau, neugierig und charmant. Dem<br />
ist nichts hinzuzufügen.<br />
13<br />
KATRIN FUNCKE<br />
<br />
res<br />
Antifräuleins rockt ziemlich!<br />
Nr.12
WWW.LIEBESKIND-BERLIN.COM
TALENT<br />
Text: Maja Hoock<br />
Foto: Fabian Blaschke<br />
chloe<br />
zeegen<br />
CHLOE ZEEGENS<br />
GESCHICHTEN KLINGEN<br />
SO POETISCH WIE GROSSE<br />
URBANE GEDICHTE. SIE<br />
SIND MODERN, WITZIG<br />
UND LESEN SICH WIE<br />
BUTTER. TROTZDEM HABEN<br />
SIE EINE BOTSCHAFT. DAS<br />
GIBT ES SELTEN.<br />
HUGO BOSS AG Phone +49 7123 940<br />
Nachdem Chloe Zeegen in einer bürgerlichen<br />
Familie in England aufgewachsen<br />
ist, verheiratet war und einen guten<br />
Posten hatte, brach sie aus. Sie ließ sich<br />
scheiden, zog nach Berlin und outete sich<br />
auf Facebook als Lesbe. Damit begann<br />
ihre Karriere als literarischer Internet-<br />
Star. Jetzt erzählt sie von einem freien Leben<br />
und spielt mit Emoticons, Hashtags<br />
und Sprachphänomenen. Ohne Punkt<br />
und Komma formuliert sie ihre Gedan-<br />
<br />
sind komponiert wie Gedichte. Reime<br />
erstecken sich über mehrere Sätze, der<br />
Anfang einer Passage spiegelt das Ende.<br />
te<br />
auf ihren Lesungen frei aus dem Kopf<br />
<br />
meinem Bett liegen mit der Balkontüre<br />
offen und es ist warm von der Sonne im<br />
Raum und ich bin auf dem Bett neben dir<br />
und alles was ich hören kann ist die Musik<br />
die wir spielen und wie ich schreibe<br />
und die Straße vier Stockwerke tiefer.“<br />
Zeegen umarmt Popkultur wie Philosophie.<br />
Man spürt, dass die Autorin gebil-<br />
<br />
Deutsch studiert – aber diese Erkenntnis<br />
wird den Lesern nicht aufgedrängt. Sie<br />
ist eine Künstlerin der subtilen Bedeutung<br />
und darum so lesenswert.<br />
Chloe Zeegen (*1980) veröffentlichte ihr erstes<br />
Buch „I love myself ok?“ bei Mikrotext, wo<br />
auch gerade Aboud Saeeds Buch „Der klügste<br />
Mensch im Facebook“ zum internationalen<br />
Super-Erfolg wurde.<br />
Nr.12<br />
16<br />
SHOP ONLINE HUGOBOSS.COM<br />
17<br />
Nr.12
TALENT<br />
Text: Maja Hoock<br />
Foto: Marie Zucker<br />
PETITE MELLER IST<br />
DER NEUE STAR DES<br />
ELEKTRO-POP UND<br />
WECKT DAS BEDÜRFNIS,<br />
MIT FREUNDINNEN<br />
BARFUSS IN DER NATUR<br />
HERUMZURENNEN.<br />
SELTSAM.<br />
Als wir Petite Meller das erste Mal gehört<br />
haben, hatten wir Angst, Karies zu<br />
bekommen. Auf den ersten Blick ist ihre<br />
Musik viel zu süß und bewegt sich auf<br />
einem schmalen Grad zum kalkulierthippen<br />
Kitsch-Pop. Aber dann sind da<br />
die feinen, wohldosierten Brüche, die das<br />
Ganze nicht nur erträglich, sondern auf<br />
eine obskure Weise richtig gut machen.<br />
Sie ist hinter all der berechneten Lolitahaftigkeit<br />
mit kindlicher Stimme, großkrempigem<br />
Hut, Kniestrümpfen und<br />
sonst wenig Kleidung auch natürlich und<br />
frech – und es macht Spaß, ihre luftigen<br />
Videos anzuschauen. Auf Französisch<br />
und Englisch singt das mädchenhafteste<br />
aller Mädchen darin von Liebe und ihren<br />
melancholischen Stimmungen. Wenn<br />
man dazu an einem Sonntagmorgen im<br />
Bett liegt und die Sonne durchs Fenster<br />
scheint oder barfuß mit der besten<br />
Freundin über eine Wiese geht, passt<br />
die Musik der kleinen Petite perfekt. Ihre<br />
Welt beschreibt Meller selbst als unschuldig<br />
und frei, vielleicht kommt dieses<br />
Gefühl daher. „Für mich ist das Leben<br />
eine Serie absurder Situationen”, sagt sie.<br />
„Lachen und Fantasieren ist das Einzige,<br />
was ich damit machen kann.“<br />
Petite Mellers bekanntester Song heißt<br />
„Backpack“. Sie schreibt ihre Stücke gerne,<br />
während sie Taxi fährt.<br />
Nr.12<br />
18<br />
19<br />
Nr.12
NYMPHEN<br />
Text: Willy Katz<br />
VON NYMPHEN<br />
UND<br />
NYMPHOMANIACS<br />
Lars von Trier, der mit den Nazis, ge-<br />
<br />
Er heißt „Nymphomaniac“. Das klingt<br />
tischer<br />
Bildung zugleich. Nach einem<br />
Film für spitze Teenager wie für angehende<br />
Alt-Philologen ohne „feste<br />
Freundin“, nach irgendetwas aus der<br />
Grauzone zwischen Arthouse, Youporn<br />
und Brockhaus.<br />
Zu Weihnachten kommt nun erst mal<br />
eine entschärfte Version von „Nymphomaniac“<br />
in die Kinos. Das volle Pro-<br />
lotte<br />
Gainsbourg und Uma Thurman,<br />
wird wahrscheinlich erst beim Festival<br />
in Cannes, also im nächsten Jahr, zu sehen<br />
sein. Cannes, das liegt bekanntlich<br />
<br />
„Bravo“ für einen Gangbang – wenn<br />
denn die Ausleuchtung schlecht ist, die<br />
Kamera wackelt, jemand melancholisch<br />
in die Kamera guckt und dies alles<br />
einen Kritiker an Proust, Mallarmé<br />
oder Céline erinnert. Geschenkt.<br />
Anlässlich der zensierten Premiere<br />
des Films wollen wir schon mal einen<br />
analytischen, besser, einen kulturhistorischen<br />
Blick auf das Sujet lenken.<br />
Aber damit ihr Leserinnen und Leser<br />
Bescheid wisst, die ihr euch wie aus-<br />
<br />
Wort „Nymphen“ begierig auf diesen<br />
Artikel gestürzt habt, lest doch den<br />
„Spiegel“, wenn ihr billige, kurzweilige<br />
Unterhaltung wollt! Für alle anderen,<br />
jene kulturhistorisch Interessierten<br />
paar Zerquetschten, bitte hier weiter.<br />
Nymphen. An was denkt man da?<br />
<br />
phetaminen?<br />
Nein! Konzentration bitte!<br />
Man denkt natürlich an Jugendstil,<br />
besser noch, an griechisch-römische<br />
Mythologie. Nymphen, und jetzt zitieren<br />
wir Wikipedia, sind erst einmal<br />
„heiratsfähige Mädchen“. Jedenfalls<br />
dem Wortsinn nach. Die heiratsfähigen<br />
Mädchen werden begriffshistorisch<br />
bald zum Naturgeist, zu Priesterinnen,<br />
Jungfrauen, im Mittelalter sogar zu He-<br />
<br />
Martyrium für junge Frauen nach sich<br />
zog, bis Cindy Lauper mit „Girls just<br />
wanna have fun“ die Sache richtigstellte.<br />
Was aber hat das mit Lars von<br />
Trier, Gangbangs und/oder Proust zu<br />
tun? Etwas Geduld bitte!<br />
Einige der prominentesten Nymphen<br />
in der Mythologie haben klangvolle<br />
Namen wie Echo. Genau. DAS Echo.<br />
<br />
von 1835, Band 3, heißt es über diese<br />
„freundliche, gern plaudernde Nym-<br />
glücklich<br />
in den Narcissus, genau, DEN<br />
Narcissus, verliebt, der sie aber nicht<br />
beachtet hat, warum sie sich „härmte“,<br />
sodass „ihre Gestalt einem Schatten<br />
gleich wurde“ und „nichts mehr von<br />
<br />
traute, plauderhafte Stimme, die nun<br />
zwischen Berg und Thal wohnt“. Die<br />
Wanderer unter den Lesern wissen<br />
Bescheid.<br />
Ebenso berühmt ist Daphne, eine<br />
„holdselige Nymphe, die Tochter des<br />
Flußgottes Peneus, welche Apollo lieb-<br />
de;<br />
denn Daphne war Dianendienerin,<br />
und kalt und keusch wie diese.“ Weiter<br />
-<br />
<br />
<br />
Daphne verwandelt sich schließlich in<br />
einen Lorbeerbaum, aus dessen Blät-<br />
<br />
Genau, DEN Lorbeerkranz.<br />
Der Vollständigkeit halber sei noch<br />
Kalypso erwähnt, Tochter des Atlas, ja<br />
ja, DEM Atlas, die sich „in einer Grot-<br />
<br />
vertrieb“, was arg an Berlin-Neukölln<br />
erinnert, bis Odysseus „nach seiner<br />
Rückkehr von Troja durch Schiffbruch<br />
an ihre Insel geworfen wurde und die<br />
heftigste Leidenschaft in ihr erregte.“<br />
Nach Jahren der Lust verschwand<br />
Odysseus aber wieder nach Ithaka,<br />
wonach sich Kalypso „aus Gram darüber“<br />
selbst umbrachte. Nachzulesen im<br />
<br />
1809, Bd. 2.<br />
Alles in allem also Tragik, Argwohn,<br />
eine kleine Prise Rock ’n’ Roll. Aber<br />
klingt das bitte nach leidenschaftlichem<br />
geleuchteten<br />
Sets eines Dogma-Films?<br />
Nein. Warum also „Nymphomaniac“?<br />
Womit wir schon zur Conclusio kommen.<br />
Was wir von Nymphen wissen,<br />
unser Bildgedächtnis, diese halb<br />
nackten Ladys, die lasziv auf moosbedeckten<br />
Lichtungen im Halbschatten<br />
liegen oder wie bekiffte Hippies herumtänzeln,<br />
die am Satyr nippeln und<br />
die Götter kirre machen, nun Charlotte<br />
Gainsbourg von zwei gut gebauten<br />
Afros gedoppelt, im Schummerlicht<br />
Nymphomanics ... alles Männerfantasien!<br />
Billige Erotik im Gewand der<br />
Hochkultur! Nur damit ihr es wisst, ihr<br />
LeserInnen, wenn ihr euch mit eurem,<br />
eurer Liebsten anstellt am Kino, schon<br />
ganz begierig, an Weihnachten.<br />
Nun aber halblang, werdet ihr jetzt<br />
sagen. Ist in der <strong>Fräulein</strong>-Redaktion<br />
etwa die große Lustfeindlichkeit aus-<br />
<br />
am Liebesfest? Natürlich nicht! Natürlich<br />
sind wir immer für ein wenig<br />
billige „high brow“-Erotik zu haben.<br />
Natürlich hängen auch bei uns in der<br />
Redaktion Printouts der schönsten<br />
Nymphen-Tänze, die wir, wenn uns<br />
mal wieder nichts einfällt, als Tableau<br />
Vivants nachstellen oder, besser, virtuos<br />
nachtanzen. Mehr dazu in Kürze auf<br />
unserem Tumblr.<br />
Aber wir haben ja auch einen Auftrag<br />
an unsere Leser zu erfüllen, ihnen Hintergründe<br />
zu liefern, verwegene Blicke<br />
<br />
zu werfen, jene Lügen zu strafen, die<br />
meinen, Qualitätsjournalismus gebe<br />
es nur bei Publikationen, deren Namen<br />
mit Die oder Der anfangen. Also hier,<br />
bitte, Nymphen. Das klingt dreckig,<br />
<br />
Bildung zugleich. Das sorgt für interessierte<br />
Leser, für Klicks. Das lässt Anzeigenkunden<br />
schalten. Hört ihr? Bottega<br />
Veneta? Gucci? Prada?<br />
Nr.12<br />
20<br />
21<br />
Nr.12
DURCHBRUCH<br />
Text: Maja Hoock<br />
Photo: Daptone Records<br />
SHARON JONES<br />
SHARON JONES IST KEINE<br />
GLATTGEBÜGELTE POP-<br />
PRINZESSIN, SONDERN<br />
EINE VERITABLE SOUL-DIVA.<br />
JAHRELANG VERWEHRTE<br />
MAN IHR PLATTENVERTRÄGE<br />
HEUTE IST SIE EINE DER<br />
ERFOLGREICHSTEN SOUL-<br />
UND FUNK-SÄNGERINNEN<br />
DER WELT.<br />
Sharon Lafaye Jones ist wohl das,<br />
was man unter einer Funk-Lady alter<br />
Schule versteht. Sie zeigt Leidenschaft,<br />
ihr Look und Sound stammen aus dem<br />
Amerika der 1960er- und 70er-Jahre; ein<br />
bisschen „Shaft“, ein wenig Billie Holiday.<br />
<br />
und Lebenserfahrung.<br />
Die 57-Jährige weiß, wie es sich anfühlt,<br />
wenn der Mann wegläuft, es ist ihr nicht<br />
nur einmal passiert. Im Video zu „I learned<br />
the hard way“ beginnt sie mit wilden<br />
Augen, kurzem Rock, weiter Pelzjacke<br />
und abstehender Afro-Frisur einen Streit<br />
mit einem Aufschneider im hell blauen<br />
<br />
me inside that your love is untrue.“ Und<br />
sie weiß, wie es ist, wenn einem Rassisten<br />
das Leben schwer machen.<br />
Als Jones als junges Mädchen mit Papp-<br />
<br />
Night“ sang, herrschte noch Rassentrennung<br />
in Amerika. Die Sängerin wuchs in<br />
den Südstaaten auf, genauer in Augusta<br />
<br />
Soul“ James Brown lebte. Sie musste mit<br />
ihren fünf Brüdern im Bus hinten sitzen,<br />
ging in „Non-White“-Kinos, durfte nicht<br />
dieselben Toiletten benutzen wie die<br />
Weißen.<br />
Selbst als Jones Ende der 60er-Jahre in<br />
Brooklyn lebte und James Brown „Say<br />
it loud, I’m black and proud“ sang, sagte<br />
man der 12-Jährigen noch, sie habe als<br />
Farbige keine Chance, eine berühmte<br />
Sängerin zu werden. Das schürte ihren<br />
de<br />
nicht von seinem Ziel abbringen lassen.<br />
Auch wenn die Leute gesagt haben,<br />
ich sehe nicht richtig aus, bin zu dunkel,<br />
zu klein und zu dick, wusste ich, dass sie<br />
mich eines Tages wegen meiner Stimme<br />
akzeptieren würden.“ Aber das dauerte.<br />
Mit vierzig Jahren gab sie ihre Gesangskarriere<br />
zeitweise auf, arbeitete als<br />
Gefängniswärterin auf „Rikers Island“,<br />
der berüchtigten Gefängnisinsel in der<br />
<br />
Arrangement als Background-Sängerin<br />
für Lee Fields und machte sich so einen<br />
Namen. Bald war sie als „Queen of Funk“<br />
bekannt.<br />
<br />
Gruppe, „Sharon Jones & the Dap-Kings“.<br />
Bald darauf entstand das Label „Daptone<br />
Records“ in einem schäbigen Brooklyner<br />
Mehrfamilienhaus. Das machte sie unabhängig.<br />
„Ich war ein Teenager, als Soulund<br />
Funk-Musik groß waren“ sagt Jones.<br />
„Jetzt habe ich ein gewisses Alter und<br />
mache endlich die Musik dieser Ära.“<br />
Mit dem zweiten Album „Naturally“ ging<br />
sie mit bald 50 Jahren auf ihre erste Welttournee,<br />
spielte in Late-Night-Shows und<br />
trat in Denzel Washingtons Film „The<br />
Great Debaters“ als Barsängerin auf. Es<br />
folgten Kollaborationen mit Prince und<br />
Fatboy Slim, Jones ging sogar mit Lou<br />
Reed auf Tour.<br />
Im Jahr 2006 nahm ihre Band mit Mark<br />
Ronson und Amy Winehouse das mit<br />
Platin ausgezeichnete Album „Back to<br />
Black“ auf. Während Winehouse zum<br />
Superstar wurde und einen Grammy gewann,<br />
ging Jones leer aus. „Normalerweise<br />
bekommt man einfach nicht, was man<br />
verdient“, sagt Jones, die erst seit wenigen<br />
Jahren ein eigenes Konto besitzt.<br />
„Schau mich an, wie hart ich gearbeitet<br />
habe und wie lange ich gebraucht habe,<br />
um dort zu stehen, wo ich jetzt bin.“<br />
Doch Sharon Jones ist nicht aufzuhalten.<br />
Vergangenes Jahr hatte sie alleine<br />
fünf Europa-Tourneen, Michelle Obama<br />
besucht ihre Konzerte, die Oscar-<br />
Gewinnerin Barbara Kopple dreht eine<br />
Dokumentation über ihr Leben. Bald ist<br />
sie mit den „Dap-Kings“ im Film „Wolf of<br />
Wall Street“ von Martin Scorsese zu sehen.<br />
„Martin Scorsese liebt unsere Musik“,<br />
sagt Sharon Jones in ihrem breiten<br />
Südstaaten-Slang. „Er ist ein Fan, das ist<br />
wirklich cool.“ Ihr größter Erfolg sei das<br />
aber noch nicht, sagt Jones. Dieser warte<br />
noch auf sie. Hoffentlich sind es bis dahin<br />
nicht noch einmal 40 Jahre.<br />
„MAN BEKOMMT<br />
SELTEN DAS, WAS<br />
MAN VIERDIENT“<br />
Das neue Album von „Sharon Jones & The<br />
Dap-Kings“ (Daptone Records) heißt „Give the<br />
People What They Want“. Die Tourdaten für<br />
Europa werden noch bekanntgegeben.<br />
Nr.12 22<br />
23 Nr.12
KUNST<br />
Text: Robert Grunenberg<br />
Illustration: Patricia Keller<br />
DAS<br />
KUNSTNETZWERK<br />
DER PRINZESSIN<br />
VON KATAR<br />
Was würden Sie mit einer Milliarde<br />
US-Dollar machen? Sheikha Al-<br />
Mayassa Al-Thani, die Schwester des<br />
Emirs von Katar, geht damit Kunst<br />
shoppen. Seit 2011 leitet Al-Mayassa<br />
die Qatar Museums Authority und<br />
sitzt über zehn Museen vor. Deshalb<br />
gilt die 30-jährige Prinzessin als die<br />
mächtigste Person der Kunstwelt. Sie<br />
will die Hauptstadt Doha zum größten<br />
Kunst-Hotspot überhaupt machen.<br />
Dafür erwirbt Sheikha hochpreisige<br />
Kunstwerke, veranstaltet Blockbuster-<br />
Ausstellungen mit Damien Hirst oder<br />
Takashi Murakami und errichtet Museumsbauten,<br />
bei denen westliche<br />
Museumsdirektoren große Augen bekommen.<br />
Was sie will, ist das Beste<br />
vom Besten – egal zu welchem Preis.<br />
<br />
aus Kunstberatern zusammengesucht.<br />
Trotz ihrer visionären Pläne hält sich<br />
die Familie Al-Thani bedeckt, meidet<br />
öffentliche Auftritte bei Auktionen oder<br />
Messebesuchen. Ihre aus dem Off geschmiedeten<br />
Pläne werden die Machtverhältnisse<br />
in der Kunstwelt massiv<br />
verändern.
KUNST<br />
Text: Ruben Donsbach<br />
Foto: Hadley Hudson<br />
SAMIA<br />
HALABY<br />
SAMIA HALABY IST EINE DER BEKANNTESTEN<br />
PALÄSTINENSISCHEN KÜNSTLERINNEN IHRER<br />
GENERATION. DER MODERNE UND DER MARXISTISCHEN<br />
THEORIE VERBUNDEN, TRENNT SIE SCHARF ZWISCHEN<br />
ABSTRAKTER MALEREI, POLITISCHEM AKTIVISMUS UND<br />
DER DOKUMENTATION PALÄSTINENSISCHER KULTUR UND<br />
GESCHICHTE.<br />
Als kleines Mädchen sammelte<br />
Samia Halaby Hände voll Patronenköpfe<br />
in Jaffa, während um sie ein be-<br />
<br />
sie die Koffer packen und ihre Heimat<br />
verlassen. Aus dem britischen Mandatsgebiet<br />
Palästina wurde 1948 Israel.<br />
Samia Halabys Familie aber war ara-<br />
hen<br />
nach Beirut. Später nach Amerika.<br />
„Damals hasste ich Politik“, sagt Halaby,<br />
„heute kämpfe ich für das Rückkehrrecht<br />
der Palästinenser in ihr Heimatland.“<br />
Und gleich ist man mitten<br />
drin in diesem scheinbar unlösbaren<br />
-<br />
-<br />
<br />
aber konzentriert spricht, eine strenge<br />
Güte ausstrahlt, nicht nur Aktivistin,<br />
sondern vor allem Künstlerin. Und<br />
mus<br />
und dialektischer Materialismus,<br />
ist scharf und differenziert genug, um<br />
zwischen politischem Programm und<br />
künstlerischer Forschung, so nennt<br />
sie ihre vor allem abstrakte Arbeit am<br />
mus,<br />
Dialektik, Abstraktion, das sind<br />
Schlüsselbegriffe der Moderne und<br />
so ist Halabys Denken ein an der Geschichte<br />
geschultes und auf historische<br />
Evidenz ausgerichtetes. „Gehen Sie zurück<br />
in der Geschichte, die es ihnen<br />
ermöglicht, konkrete Information statt<br />
Interpretation zu bekommen“ sagt Halaby,<br />
„manche sagen, in der Kunst geht<br />
es um persönlichen Ausdruck, das ist<br />
völliger Unsinn. Die Impressionisten,<br />
die ersten wirklich Modernen, waren<br />
mune,<br />
die Kubisten und ihr Blick auf<br />
Zeit und Raum von Einsteins Relativität.“<br />
Dieser Blick auf die Welt ist so old<br />
-<br />
-<br />
<br />
und 80er-Jahren beerdigt. Damals zu<br />
recht, denn jedes Denken erschöpft<br />
sich irgendwann in Formalismen und<br />
Dogmen. Aber seit Denker wie Slavoj<br />
<br />
<br />
gezogen haben, ist Samia Halabys<br />
Nr.12<br />
26<br />
27<br />
Nr.12
KUNST<br />
Weltbild auf einmal ganz schön aktuell.<br />
Ein langes Vorspiel um zur eigentlichen<br />
Kunst, dem Werk zu kommen.<br />
Aber Halaby nimmt es genau, und<br />
jede ungenaue Frage wird differenziert<br />
berichtigt. Auch das ist nicht mehr en<br />
vogue, aber tatsächlich angenehm,<br />
denn es zwingt zur gedanklichen Präzision.<br />
Ihr Werk, welches aus diesem<br />
theoretischen Verständnis von Welt<br />
entsteht, ist dynamisch, farbenstark<br />
<br />
von Sternen und ihren Verfall in Supernoven,<br />
manchmal an Gerhard Richter<br />
oder Gerhard Richter an sie. Ein Werk<br />
auf der Höhe der Zeit, nicht aber zeitgenössisch.<br />
Es speist sich aus alltäglichen<br />
Beobachtungen, aus Landschaft<br />
und Himmel. „Ich sehe die Schönheit<br />
der Welt. Ich sehe die Schönheit der<br />
Menschen. Mich selber sehe ich als<br />
einen Forscher.“ Research Painting<br />
nennt sie das. Daneben gestaltet Hala-<br />
<br />
das Buch „Liberation Art of Palestine“<br />
<br />
mit palästinensischer Kunst kuratiert,<br />
war maßgeblich an der Werkschau<br />
„Made in Palestine“ im Station Museum<br />
of Contemporary Art in Houston<br />
beteiligt. Samia Halaby weiß, dass sich<br />
Geschichte nicht aus dem zusammensetzt,<br />
was ist, sondern aus dem, was<br />
sichtbar wird. Und wenn nebenbei eine<br />
künstlerische Werkschau identitätsbildend<br />
wirkt für eine Bevölkerung ohne<br />
Land, dann ist das wohl umso besser.<br />
Das vielleicht wichtigstes Projekt, an<br />
dem Halaby zurzeit arbeitet, ist die<br />
Aufarbeitung des Massakers von Kafr<br />
Qasim, bei dem 1956 zu Beginn des<br />
Sinaifeldzuges 48 arabische Israelis<br />
von israelischen Grenzpolistin ermordet<br />
worden sind. Aufgearbeitet in<br />
nungen,<br />
in die eine äußerst profunde<br />
Recherche eingeht. Seitenlang transkribiert<br />
Halaby Interviews mit den Familien<br />
der Überlebenden, hat die verfügbaren<br />
Passbilder der Opfer in ihre<br />
Zeichnungen integriert. So werden aus<br />
diesen Arbeiten verdichtete Dokumen-<br />
<br />
„Palästina ist meine Heimat. Jerusalem<br />
die Stadt meiner Geburt. Ich liebe das<br />
Land und unsere Kultur, ich liebe, wie<br />
sich die terassenartigen Berge in einer<br />
allmählichen Metamorphose in die Architekturen<br />
unserer Dörfer und Städte<br />
übergehen.“ Seit längerer Zeit malt<br />
sie Olivenbäume. Eines dieser Bilder<br />
ist zum Selbstportrait geworden. Ihr<br />
Gesicht erwächst aus den Ästen. Die<br />
Abstraktion bewahrt auch dieses Bild<br />
davor, reine Illustration zu sein. Es ist<br />
-<br />
ren<br />
ist es Zeit für Samia Halaby, zurück<br />
nach Hause zu kommen.<br />
Eine Retrospektive von Samia Halabys Werk<br />
wird vom 18. Februar bis 30. April 2014 in der<br />
Ayyam Gallery in Al Quoz, Dubai zu sehen<br />
sein. Im Frühjahr erscheint die Monography<br />
Samia Halaby – Five Decades of painting in<br />
den Booth-Clibborn Editions.<br />
und weitere<br />
Nr.12<br />
28<br />
29<br />
Nr.12
WEB<br />
Foto: Jessica Shyba<br />
WEIL WAHRE FREUNDE AM<br />
BESTEN ZU KUSCHELN,<br />
AM BESTEN ZU LACHEN<br />
UND AM BESTEN ZU<br />
STREITEN WISSEN:<br />
DIE GESCHICHTE<br />
EINER BESONDEREN<br />
FREUNDSCHAFT.<br />
Rituale sind wichtig. Im Alltag, in<br />
Freundschaften, in Familien. Sie sind<br />
die Basis eines harmonischen Zusammenlebens.<br />
Seit über fünfzig Jahren untersuchen<br />
Forscher dieses Phänomen,<br />
Fachzeitschriften widmen ihm ganze<br />
<br />
„Journal of Family Psychology“ der<br />
Amerikanischen Psychologischen Ge-<br />
<br />
dass Rituale Voraussetzungen für<br />
Kinder sind, sich geborgen zu fühlen<br />
und Vertrauen aufzubauen. Es ist der<br />
Grundstein der entwicklungspsychologischen<br />
„Bindungstheorie“. Sie<br />
beschreibt nichts anderes, als dass<br />
Menschen das angeborene Bedürfnis<br />
haben, Beziehungen aufzubauen, die<br />
von intensiven Gefühlen geprägt sind.<br />
Eines der wohl derzeit berühmtesten<br />
Musterbeispiele ist die Geschichte von<br />
Theo, einem acht Wochen alten Welpen<br />
und dem 23 Monate alten Sohn<br />
Beau von Jessica Shyba. Auf ihrem<br />
Lifestyle-Blog „Momma´s Gone City<br />
and back to California again“ begann<br />
sie diesen November von der Geschichte<br />
ihres dritten Kindes und dem<br />
neuen Welpen zu berichten. Der neue<br />
Hund sollte eigentlich lernen brav in<br />
<br />
er hörte nicht auf, herzerweichend zu<br />
winseln. Da legte Frauchen ihn zu Ben<br />
ins Bettchen. Einen Tag nach dem ersten<br />
gemeinsamen Mittagsschlaf wartete<br />
der Hund zur gleichen Zeit wieder<br />
auf seinen blonden Kumpel. Gähnend<br />
und knuffelig konnte der kleine Mischling,<br />
Schäferhund und Shar-pei, eine<br />
chinesische Hunderasse, aus dem<br />
kalifornischen Tierheim es nicht erwarten,<br />
bis sie wieder zusammen<br />
liegen konnten. Und von da plumpste<br />
der schläfrige Hund jeden Tag auf das<br />
Kind. Während des Mittagsschlafes<br />
rollen die beiden herum und suchen<br />
die bequemste Stellung. Scheint so,<br />
als belegten die beiden die vom britischen<br />
Kinderarzt und Psychologen<br />
John Bowlby entwickelte sogenannte<br />
Bindungstheorie, wonach soziale<br />
Bindungen ein evolutionär verankertes<br />
Grundbedürfnis seien. Jedanfalls<br />
machten Shybas Instagram-Fotos von<br />
dem umschlungenen Pärchen schnell<br />
ihre Runde im Netz. Innerhalb weniger<br />
Tage bekam der Hashtag #Theoandbeau<br />
einen immensen Zuwachs an<br />
Likes auf Instagram. Auf ihrem Blog<br />
beantwortet nun die Zahnarzt-Gattin<br />
<br />
<br />
Poppy´s Closet, Windeln von Honest<br />
Company. Shyba ist überrascht über<br />
<br />
„Wir sind völlig überwältigt von den<br />
lieben und herzlichen Reaktionen.“ Zu<br />
Tausenden schicken andere Eltern ihr<br />
die Bilder von ihren Kindern und deren<br />
vierpfötigten Freunden zu. „Die beiden<br />
wirken so, als wären sie schon immer<br />
zusammen gewesen. Sie sprechen die<br />
gleiche Sprache der Liebe“, so Shyba.<br />
Strenggenommen gehören Haustiere<br />
natürlich nicht ins Bett aber, mal ehrlich,<br />
die beiden sind einfach zu süß!<br />
„Momma´s Gone City and back to California<br />
again“ ist ein Lifestyleblog, der von alltäglichen<br />
Erlebnissen einer jungen, fünfköpfigen<br />
Familie berichtet. Autorin Jessica Shyba<br />
gründete ihren Blog 2009, als sie mit ihrem<br />
Mann nach New York zog und ein neues<br />
Leben als Super-Mama und Social-Media-<br />
Expertin begann.<br />
Nr.12<br />
30<br />
31<br />
Nr.12
PLATTEN & BÜCHER<br />
DER BLICK<br />
10 platten für den winter von pat cavaleiro<br />
<br />
<br />
UNKNOWN - #001-004<br />
(CHAMPION SOUND MUSIC, 2012)<br />
Ein anonymer Underground-Produzent aus UK, der noch auf seinen Durchbruch<br />
<br />
BILL RYDER-JONES - IF. . .<br />
(DOMINO, 2011)<br />
Ein Indierocker setzt sich ans Klavier und macht plötzlich klassische Musik, zu<br />
der man in der Wohnung tanzen möchte.<br />
NICEST DUDES AROUND - ITOSIS<br />
(STUTZEN, 2013)<br />
<br />
<br />
BURIAL - UNTRUE<br />
(HYPERDUB, 2007)<br />
Der zeitlose Klassiker für die Wintermonate, wenn man sich ein bisschen in seinem<br />
eigenen Leid suhlen möchte.<br />
RICHARD HAWLEY - TRUELOVE‘S GUTTER<br />
(MUTE, 2009)<br />
Der Elder Statesman des Indie mit wunderschönen Melodien für die Momente<br />
zu zweit.<br />
JULIA HOLTER - LOUD CITY SONG<br />
(DOMINO, 2013)<br />
Avantgarde und Pop gingen selten eine so harmonische Liasion wie auf dem neuen<br />
Album der Frau aus L.A. ein.<br />
UNKNOWN MORTAL ORCHESTRA - II<br />
(JAGJAGUWAR, 2013)<br />
UMO bringen einen mit ihren fröhlichen Retro-Melodien wieder auf Kurs, wenn<br />
es im Winter wieder zu ernst zugehen sollte.<br />
MODERAT - II<br />
(MONKEYTOWN, 2013)<br />
Das Berliner Trio aus Apparat und Modeselektor schafft auch auf seinem Zweitling<br />
Atmosphären, die einem die Freudentränen in die Augen treiben.<br />
APHEX TWIN – SELECTED AMBIENT WORKS 85-92<br />
(R&S, 1992)<br />
Wenn es draußen schneit und drinnen gemütlich warm ist, ist das Frühwerk des<br />
Elektronik-Pioniers zu einem Buch und einem Glas Wein genau das Richtige.<br />
RECONDITE - HINTERLAND<br />
(GHOSTLY, 2013)<br />
Winterzeit ist Clubzeit! Und auch wenn der Niederbayer ein Album aufgenommen<br />
hat, das wie für die kalte Jahreszeit geschaffen scheint, gehen seine Songs<br />
auf dem Floor trotzdem richtig ab.<br />
ZERRISSENE<br />
FÄDEN<br />
(ROBERT S. KREMER, STEIDL)<br />
Mit dem Machtantritt der Nationalsozialisten<br />
1933 ging ein nicht wiederbringbarer<br />
kultureller Reichtum in den<br />
Künsten, der Wissenschaft und dem<br />
politischen Leben verloren. Die Weimarer<br />
Republik war aber auch ein Ort<br />
einer äußerst avanvierten Modeindustrie.<br />
Als große Warenhäuser wie Wertheim<br />
und das KaDeWe, Manufakturen<br />
und Schneidereien der Arisierung an-<br />
schatz<br />
verloren. Das Buch „Zerrissene<br />
Fäden - Die Zerstörung der jüdischen<br />
Modeindustrie in Deutschland und<br />
Österreich“ im Steidl Verlag erschienen,<br />
von Roberta S. Kremer herausgebracht,<br />
lässt die Epoche anhand ihrer<br />
Protagonisten erfahrbar werden.<br />
MIT FOTOS DIE<br />
WELT EROBERN<br />
(INGE FELTRINELLI, STEIDL)<br />
Inge Feltrinelli, geborene Schönthal,<br />
war nicht nur schön, sondern auch<br />
<br />
deutschen Fotoreporterin nach dem<br />
Krieg die Welt zu Füßen liegen schien.<br />
Für Magazine wie „Paris Match“ und<br />
<br />
Zeitgeschichte, darunter Simone de<br />
Beauvoir, Gary Cooper und Pablo Picasso.<br />
Auf ihrem berühmtesten Bild ist<br />
Feltrinelli allerdings selbst zu sehen,<br />
und zwar gestützt auf einen riesigen<br />
belpreisträger<br />
Ernest Hemingway. Im<br />
Steidl Verlag ist unter dem Titel „Inge<br />
Feltrinelli – Mit Fotos die Welt erobern“<br />
nun eine schöne Werkschau mit Fotos<br />
<br />
Giangiacomo Feltrinelli erschienen.<br />
diese diabolische traurigkeit<br />
ROMY SCHNEIDER IN „L‘ENFER“<br />
Die Hölle scheint aus Romy<br />
Schneiders Augen bei den Testaufnahmen<br />
zu Henri-Georges Clouzots<br />
Film „L´Enfer“. Dann schlägt die Temperatur<br />
um, sie blickt lasziv, dann verloren,<br />
ekstatisch, kindlich und wieder<br />
dämonisch. Schließlich weicht sie ins<br />
Dunkel zurück, welches sie unheim-<br />
<br />
Als diese Aufnahmen entstanden, war<br />
Romy Schneider erst 26 Jahre alt. Der<br />
letzte Teil der Sissi-Trilogie lag sieben<br />
Jahre zurück. Ihre Karriere hing ein<br />
wenig in der Luft. Schneider musste<br />
in der Folge hart kämpfen um das<br />
Image der süßen Marzipan-Kaiserin<br />
zu überwinden, um als Schauspielerin,<br />
als Künstlerin ernst genommen<br />
zu werden.<br />
Was ihr gelang. In den späten 60er<br />
und 70er Jahren wird sie zur gefeierten<br />
Grande Dame des europäischen<br />
Kinos, dreht mit Luchino Visconti,<br />
dann vor allem in Frankreich mit<br />
Claude Chabrol, Claude Sautet und<br />
-<br />
lich<br />
wieder so ein Klischee. Und sie<br />
verliebt sich in die falschen Männer,<br />
verliert ihren Sohn bei einem Unfall,<br />
fängt an zu trinken. Die Tragik ihres<br />
Lebens hat sich mit ihrem Werk verbunden,<br />
ist längst zum übergroßen<br />
Mythos aufgeladen.<br />
„L´Enfer“ aber sollte nie erscheinen.<br />
Der Hauptdarsteller Serge Reggiani<br />
<br />
erleidet einen Herzinfarkt. Die Testaufnahmen,<br />
auf denen Schneider so<br />
unergründlich schaut, verraten aber<br />
<br />
männlicher, die Inszenierung eine Sublimation<br />
der männlichen Lust.<br />
Einmal kommt Clouzot ins Bild und<br />
nimmt Schneider bei der Hand, fasst<br />
sie an den Hals, den Rücken. Sie lässt<br />
das alles zu, lächelt. Dahinter aber,<br />
hinter diesem Lächeln, da lodert<br />
eine Traurigkeit, die später ganz von<br />
Schneider Besitz ergreifen sollte. Wer<br />
einmal „L´Enfer“, einmal die Hölle gesehen<br />
hat, der weiß, wohin die Reise<br />
geht.<br />
Nr.12<br />
32<br />
33<br />
Nr.12
ESSAY<br />
Text: Willy Katz<br />
Illustration: Andreas Steinbrecher<br />
hört auf zu naschen!<br />
Die Zivilisation ist toll. Aber sie<br />
hat ihren Preis. Das wusste schon Sigmund<br />
Freud. Nun lässt die Sublimierung<br />
der Triebe nicht nur Aggressionen<br />
frei, sondern auch Fett ansetzen.<br />
Das wiederum weiß die Krankenkasse<br />
bensweise<br />
hat zu einem drastischen<br />
Anstieg des Anteils von Menschen in<br />
unserer Gesellschaft geführt, die übergewichtig<br />
sind oder an Diabetes bzw.<br />
Herzproblemen leiden“, heißt es da.<br />
Als Journalist weiß man genau, wovon<br />
die Rede ist. Sitzt man doch selbst<br />
umgeben von Kollegen mit zu wenig<br />
Auslauf, zu viel Lust nach Süßem und<br />
einem hohen Cholesterienspiegel.<br />
Noch vor Kurzem hätte man sich bei<br />
zunehmendem Übergewicht Laufschuhe<br />
gekauft. Oder ein Abo für das<br />
Fitnessstudio. Man wäre nicht joggen<br />
gegangen, wäre nach dem ersten<br />
Krafttraining und der so wunderbaren<br />
Zigarette danach wieder zu Hause auf<br />
dem Sofa geblieben und hätte Kochprogramme<br />
geschaut. Nicht so mit<br />
der AOK. Immerhin ist Gesundheit ein<br />
Investment und „Un“-gesundheit ein<br />
Kostenfaktor. Und da hört bekanntlich<br />
der Spaß auf.<br />
DIE NEUEN GESUNDHEITS-APPS KOMMEN<br />
An dieser Stelle wird nun nicht er-<br />
-<br />
<br />
geschrieben hat. Etwas in „Die Geburt<br />
der Klinik“ oder „Wahnsinn und Gesellschaft“.<br />
Auch das sehr lesenswert!<br />
Hier soll es aber um die App „AOK mobil<br />
vital“ gehen, die die Krankenkasse<br />
zusammen mit dem Dienstleister decadoo<br />
auf den Markt gebracht hat. Eine<br />
„innovative Gesundheits- und Fitnessplattform“,<br />
die die eigenen sportlichen<br />
<br />
AOK mobil vital Gesundheitsplattform“<br />
überträgt. Eingetragen werden können<br />
nicht nur das individuelle Sportpensum,<br />
sondern auch die die „Ess- und<br />
Trinkgewohnheiten“, die im besten Fall<br />
den „health score“ erhöhen, den man<br />
anschließend mit seinen „Freundinnen<br />
vergleichen“ kann. Denn „mobil vital“<br />
soll ein Anreiz sein, „regelmäßig sportlich<br />
aktiv zu sein und eine gesunde Lebensweise<br />
zu optimieren“.<br />
Machen wir uns nichts vor. Ein bisschen<br />
mehr Sport würde den meisten<br />
guttun. Über gesunde Ernährung wissen<br />
wir alle zu wenig Bescheid. Aber<br />
am Ende lässt die AOK eben doch die<br />
nation<br />
aus Smartphone-Technologie,<br />
sozialen Netzwerken und Gaming-<br />
Prinzipien, kann jeder auf spielerische<br />
Weise seine Lebensweise verändern.“<br />
Nicht nur dass wir online längst die<br />
intimsten Informationen bis hin zu<br />
unseren Geodaten als jederzeit überprüfbare<br />
Spur hinterlassen. Nun soll<br />
also auch das eigene Fitnessniveau<br />
und die individuelle Esskultur verbucht<br />
werden. Fehlt nur noch eine<br />
formance“<br />
wertet, analysiert, Verbesserungsvorschläge<br />
unterbreitet und<br />
gegebenenfalls ein passendes Produkt<br />
<br />
kommen.<br />
Das mag ganz lustig klingen. Nur wird<br />
sich der Beitragsatz der Krankenkasse<br />
bald in Echtzeit erhöhen, wenn man<br />
beim Laufen oder Schwimmen hinter<br />
seiner Bestzeit bleibt, weil man am<br />
Abend zuvor mit den Freunden gefeiert<br />
hat? Wird das „richtige Leben“ bald<br />
<br />
konditioniert sein?<br />
Vor Kurzem wurde die beliebte Sport-<br />
App „runtastic“, bei der man etwa<br />
<br />
stellen und sich mit bald 20 Millionen<br />
Usern messen kann, mehrheitlich von<br />
<br />
Springer hin oder her, große Unternehmen<br />
erwarten sich vom Aufkauf<br />
sensibler Geo- und Biodaten ein gutes<br />
Geschäft, sind sie doch zumindest werberelevant.<br />
Nebenbei speist sich aus<br />
dem Onlinevergleich der Bestwerte die<br />
zunehmend den Körper ökonomisierende<br />
Leistungsgesellschaft.<br />
Man muss der AOK, runtastic oder<br />
Springer nichts Böses unterstellen, um<br />
diese Entwicklung problematisch zu<br />
<br />
wort<br />
sein. Mündige Bürger brauchen<br />
Öffentlichkeit. Sie müssen sich in ihr<br />
artikulieren können ohne Selbstzensur.<br />
Doch sie brauchen nicht ihre<br />
sensibelsten Biodaten zur Verfügung<br />
zu stellen, um ein besseres, gesünderes<br />
Leben zu führen. Dafür reicht ein<br />
wenig guter Wille. Und ein paar Turnschuhe.<br />
Die wird sich auch der Autor<br />
kaufen. Wegen des hohen Blutdrucks.<br />
Versprochen ...<br />
Nr.12<br />
34
STIL<br />
2<br />
7<br />
MERVE<br />
KAHRAMAN<br />
1<br />
3<br />
Zugegeben, Gold stilvoll zu tragen ist<br />
nicht einfach, denn nicht alles, was<br />
prunkt und funkelt, hat Ästhetik. Deshalb<br />
haben wir hier nur das Beste vom<br />
Besten aus der Schatztruhe gehoben.<br />
ted<br />
Edition von Dolce & Gabbana, 50<br />
ml ca. 88 Euro, ab Dezember erhältlich<br />
2. Collier „Caresse d´Orchidée von Cartier<br />
aus Rotgold, ca. 9650 Euro<br />
3. Verliebt in Pam!<br />
Armreif von Pamela Love, ca. $ 525<br />
<br />
von Hervé Van der Straeten, über neta-porter.com,<br />
ca. $ 575<br />
<br />
Giannico, ca. 320 Euro<br />
ditioner<br />
für trockenes Haar von Tony &<br />
Guy, 250 ml ca. 10 Euro<br />
7. Armreif von Le Gramme,<br />
49g Rotgold, 6800 Euro<br />
4<br />
5<br />
6<br />
<br />
mit Moderne. Bei ihrem Interior-Design<br />
lässt sie sich mal von Mythologien<br />
der Para-Humanisten inspirieren, mal<br />
von skandinavischen Kriegerhelmen.<br />
Unser Favorit ist ihr mobiles Bücherregal<br />
„Cyclopedia“. Das Design erinnert<br />
an die Hochräder der 1870er und ist<br />
zudem dank seiner Mobilität ziemlich<br />
praktisch.<br />
Glitter-Clutch<br />
von Anya Hindmarch,<br />
über<br />
theoutnet.com,<br />
ca. 593 Euro<br />
Portemonnaie<br />
aus Lammleder<br />
von Reed Krakoff,<br />
über theoutnet.com, ca.<br />
240 Euro<br />
Metall-Clutch<br />
von Charlotte<br />
Olympia, über<br />
net-a-porter.com,<br />
1795 Euro<br />
Kalbsleder-Tasche<br />
von Z Spoke by Zac<br />
Posen, über theoutnet.<br />
com, ca. 197 Euro<br />
RING-<br />
PARADE<br />
Prunkvoll, aber<br />
<br />
unsere Lieblings-Blickfänger in Roségold<br />
1 Ring mit braunen Brillanten, von Pomellato, ca.<br />
2.220 Euro, 2 Rosenquarz-Diamant-Ring von Rockberries.com,<br />
ca. 980 Euro, 3 Brasilith-Ring<br />
mit Diamanten von Rockberries.<br />
com, ca. 1.980 Euro, 4 Pomellato<br />
mit Blautopas, ca.<br />
2.160 Euro<br />
Nr.12<br />
36<br />
37 Nr.12
STIL<br />
AIR<br />
JORDAN<br />
RETRO<br />
Inspiriert von den Farben der Atlanta Hawks,<br />
den größten Rivalen Jordans und seinen Chicago<br />
Bulls. Wir lieben dieses Modell unter den<br />
Retros besonders für seine schwarzen<br />
Glanzleder-Details. Air Jordan 1<br />
er Retro High OG, über<br />
Kickz, ca. 130<br />
Euro<br />
Street Style inspiriert High Fashion<br />
schon seit mehr als 20 Jahren, zu Zeiten<br />
als Grunge die Catwalks eroberte,<br />
Sneaker Shops entstanden, die Kunstgalerien<br />
ähnelten, und später dann Labels<br />
wie Supreme geboren wurden. Es<br />
ist kein Trend, sondern ein Bestandteil<br />
von Mode geworden, dass High-End-<br />
Marken sich von der Street-Kultur<br />
inspirieren lassen, von Street-Art und<br />
anderen Kunst-Genren, von Hip-Hopund<br />
der Skate-Szene. Wie Miuccia<br />
Prada beispielsweise, die sich mit ih-<br />
<br />
an eine starke, selbstbewusste Frau<br />
richtet. Oder ein Damien Hirst, der<br />
mit The Row und Just One Eye Rucksäcke<br />
designte. Und so gehören heute<br />
Converse-Schuhe, Slogan-Shirts sowie<br />
Oversized-Jacken zu unseren Icons,<br />
lässig und elegant kombiniert.<br />
1 Rucksack mit bunten Pillen von Just<br />
One Eye & The Row und Damien Hirst,<br />
Preis auf Anfrage 2 Schuhe von Converse<br />
Jack Purcell, ca. 40 Euro.<br />
FRANKLIN<br />
& MARSHALL<br />
Die Leidenschaft für den Vintage-<br />
College-Stil hat die zwei Italiener Giuseppe<br />
Albarelli und Andrea Pensiero<br />
dahin geführt, wo sie heute stehen, mit<br />
ihrem damaligen Ziel, den amerikanischen<br />
College-Stil nach Italien zu bringen.<br />
Mit ihrer High-End-Sportswear<br />
haben sie es zu einer Kultmarke geschafft<br />
mit breiter Brand-DNA. Unser<br />
Liebling ist diese Varsity-Jacke. Franklin<br />
& Marshall, ca. 114 Euro.<br />
„Französische Frauen tragen keine<br />
Cocktailkleider“, sagte einst Averyl<br />
Oates, die britische Fashion-Direktorin<br />
der Galeries Lafayette. Vielmehr wissen<br />
sie, perfekte Anzüge zu tragen und<br />
mit Klassik modern und stilvoll umzugehen.<br />
Klassik wie von Saint Laurent,<br />
in moderner Variante wie von Haider<br />
stoffen<br />
die harten Linien bricht. Wir<br />
lieben den Suit für seine Zeitlosigkeit,<br />
für seinen vielfältig kombinierbaren,<br />
cleanen Chic. Passend zum Frühling<br />
hat der Frauen-Anzug Farbe abbekommen,<br />
insbesondere bei Paul Smith.<br />
Oder zeigt sich im kompletten Weiß-<br />
Look wie bei Stella McCartney. Und<br />
was ihn außerdem auszeichnet, ist<br />
sein modern-lässiger Schnitt und seine<br />
Blazerlänge. Edel kombiniert wird<br />
der neue Blazer auch mit Hosen im<br />
Marlene-Stil.<br />
Nr.12<br />
38<br />
39<br />
Nr.12
1<br />
STIL<br />
Kleid von Victoria by<br />
Victoria Beckham,<br />
über mytheresa.com,<br />
ca. 560 Euro<br />
So erwachsen kann ein Babyblau aus-<br />
tion<br />
2014 hat uns inspiriert. Cleanes<br />
Design, kombiniert mit Schwarz und<br />
Weiß, ob als Kleidungsstück oder Accessoire.<br />
In unsere Farbplatte gehören<br />
ab jetzt eine zarte Taubenblau-Variante<br />
und ein kräftiges Lichtblau. Besonders<br />
elegant lassen sich auch die neuen<br />
Henkeltaschen in der neuen Lieblings-<br />
<br />
ihre goldenen Akzente.<br />
Pumps von<br />
Gianvito Rossi,<br />
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ROGAN<br />
BROWN<br />
„Nur wenige sehen die Natur überhaupt.<br />
Für die Augen des Mannes mit<br />
Imaginationskraft aber, ist die Natur<br />
<br />
beste Beispiel hierfür sind die Papierkunstwerke<br />
von Rogan Brown. Die<br />
Worte von Blake machte er zu seiner<br />
Mission. Bis zu fünf Monate Arbeit ste-<br />
-<br />
<br />
<br />
Formen. Dabei schöpft er Inspiration<br />
aus mikroskopischen Silhouetten der<br />
Natur sowie aus wissenschaftlichen<br />
Illustrationen. Papier verkörpert nach<br />
Brown den Charakter einer reinen,<br />
natürlichen Welt, ein Ort, an dem Ra-<br />
-<br />
<br />
Papier zu seinem Medium, als feines,<br />
vergängliches und gleichzeitig widerstandsfähiges<br />
Material.<br />
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unger-fashion.com, ca. 1680 Euro, 4. Tasche von Saint Laurent, über unger-fashion.com,<br />
ca. 1590 Euro, 5. Tasche von Sophie Hulme, über net-a-porter.com, ca. 1010 Euro<br />
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41<br />
Nr.12
ANGEKOMMEN<br />
Text: Robert Grunenberg<br />
TITA<br />
GIESE<br />
Foto: Thomas Ruff<br />
DIE IN DER DÜSSELDORFER<br />
KUNSTSZENE UM JOSEPH<br />
BEUYS GROSS GEWORDENE<br />
TITA GIESE WEIGERT SICH,<br />
IHRE ARBEIT AUF DEN<br />
BEGRIFF ZU BRINGEN.<br />
IHRE „PFLANZKULTUREN“<br />
SIND WIDERSTÄNDIGE<br />
NISCHENPARADIESE<br />
INNERHALB DER<br />
BETONLANDSCHAFTEN<br />
DER METROPOLEN. EINE<br />
BEGEGNUNG.<br />
Eine Begegnung mit Giese vergisst<br />
<br />
feinste Designermode und viel Chanel<br />
No. 5 – sie spricht schnell und immer<br />
<br />
ihren Job bezeichnet, dann erklärt sie<br />
<br />
Landschaftsarchitektin, Künstlerin<br />
und schon gar keine Gestalterin. Die<br />
Wörter Verschönerung und Begrünung<br />
würde sie am liebsten aus dem Duden<br />
streichen. Was Giese macht, nennt sie<br />
<br />
Wenn man Giese zuhört, wird einem<br />
zen.<br />
Mit Begeisterung erzählt sie, was<br />
<br />
zen<br />
der Welt sind. Gleichzeitig spürt<br />
man ihre Erregung darüber,<br />
Nr.12<br />
42<br />
43<br />
Nr.12
ANGEKOMMEN<br />
<br />
Städten seit Jahrzehnten geschmacklose<br />
Standard-Biotope kultiviert werden.<br />
Was daran liegt, dass Gartenämter und<br />
Landschaftsarchitekten meist auf ein<br />
eingeschränktes Angebot und Repertoire<br />
aus Baumschulen zurückgreifen.<br />
Damit will Giese nichts zu tun haben.<br />
Ihre Projekte sind Gegenentwürfe. Sie<br />
arbeitet gegen Erwartungen, Vorurteile<br />
und alle damit verbundenen kulturell<br />
ausgebildeten Assoziationen an. Denn<br />
kaum etwas ist geschichtlich so stark<br />
<br />
sie reicht vom mittelalterlichen Paradiesgärtlein,<br />
über Schlossanlagen wie<br />
in Versailles bis hin zu Cottage- oder<br />
<br />
man sofort ein Bild vor Augen, ein<br />
Gefühl wird abgerufen. Dieses eingeschränkte<br />
Vokabular wird leider<br />
immer beständig wiederholt. Um das<br />
<br />
zusammen, die normalerweise nicht<br />
zusammengehören, oder sie formt sie<br />
künstlich um. Sie lichtet Essigbäume<br />
„DIE WÖRTER VERSCHÖNERUNG<br />
UND BEGRÜNUNG WÜRDE GIESE<br />
AM LIEBSTEN AUS DEM DUDEN<br />
STREICHEN“<br />
aus, sodass sie palmenartig wachsen,<br />
<br />
und Drachenschwänze mit Tränenden<br />
zen<br />
sind, konfrontiert „Unkraut“ mit<br />
Hochkulturen wie Baumpäonien und<br />
setzt diese auf Verkehrsinseln. Zudem<br />
bindet Giese Materialien aus der Popkultur<br />
ein, zum Beispiel geschredderte<br />
CD-Rolinge mit Cyperus oder Konfetti<br />
-<br />
<br />
Was Materialien, Ideen und Diskurse<br />
angeht, reizt sie vor allem der Moment,<br />
wo Natur und Kultur aufeinanderpral-<br />
sierten<br />
Umgebung wachsen können,<br />
die eine Nische inmitten von techni-<br />
<br />
<br />
zenteppiche<br />
auf großen Baustellenruinen<br />
sein.<br />
Das erste Mal ist ihr dieses Nischen-<br />
<br />
Ende der sechziger Jahre in einen Düsseldorfer<br />
Hinterhof zog. Dort wuchsen<br />
<br />
interessantesten Arten, wie Sternmoos,<br />
eine besondere Nelkenart und<br />
unterschiedliche Gräser. Damals bewegte<br />
sich Giese als Kunststudentin im<br />
Dunstkreis von Joseph Beuys, zusammen<br />
mit Künstlern wie Imi Knöbel,<br />
Blinky Palermo und ihrem späteren<br />
Ehemann Imi Giese. Später faszinierte<br />
sie im New York der siebziger Jahre, in<br />
Lower Manhattan oder in der Canal<br />
Street, wo vieles noch verwildert war,<br />
wie in den Ritzen entlang der Straße<br />
die tollsten Gräser und Essigbäume<br />
wuchsen. „Das hat mich umgehauen“,<br />
berichtet Giese. Diese Zustände wollte<br />
sie an öffentlichen Orten in der Stadt<br />
künstlich sichtbar machen. Doch bis<br />
<br />
dauerte es noch bis 1978. Ihr erstes,<br />
großes Projekt konnte Giese 1980 in<br />
Düsseldorf an der Berliner Allee auf<br />
lerweile<br />
abgerissenen „Tausendfüssler“<br />
verwirklichen. Dort installierte sie<br />
zwischen Verkehrsspuren, Straßenbahnschienen<br />
und Fußgängerüber-<br />
<br />
mit dem ständig tosenden Verkehr auf<br />
zwei Ebenen inmitten der umgebenden<br />
No-Name-Architektur eine große<br />
<br />
ergaben. Ab Ende der 1990er-Jahre<br />
realisierte Giese Projekte wie die „Mittelamerikanischen<br />
Verkehrsinseln“ auf<br />
dem Stresemannplatz in Düsseldorf,<br />
Privatgärten für die Künstler Andreas<br />
Gursky und Thomas Ruff, kooperierte<br />
mit den Architekten Herzog & De Meuron<br />
in München und Basel. Was diese<br />
Projekte verbindet, ist das Prinzip der<br />
„transparenten Wildnis“. Baumkronen<br />
und Hecken werden ausgelichtet, da-<br />
<br />
<br />
und widerständige Beziehung zu ihrer<br />
Umwelt zu treten – etwa in der Nachbarschaft<br />
von lautem Verkehr oder<br />
brutaler Betonarchitektur. Die meiste<br />
se<br />
auf ausgedehnten Forschungsreisen,<br />
zum Beispiel nach Westchina. Hier<br />
der<br />
Baum ist mit Parasiten bevölkert,<br />
<br />
totale Symbiose. Giese entdeckt uralte<br />
Magnolien oder wilden Ingwer und<br />
versteht, wie diese in ihrer ursprünglichen<br />
Umgebung funktionieren. So<br />
<br />
im Internet. Neben der Feldforschung<br />
<br />
<br />
lich<br />
in England, wo es noch viele Händler<br />
gibt, die außergewöhnliche und seltene<br />
Gewächse anbieten. Mit den von<br />
<br />
-<br />
<br />
von 1.600 qm. Dabei steht ihr ein Team<br />
zur Seite, welches ausschließlich aus<br />
Studenten und Absolventen der Düsseldorfer<br />
Kunstakademie besteht. Das,<br />
was Giese in Entwürfen plant, kann<br />
sie hier ausprobieren und wie in einer<br />
Art Showroom zeigen. Das ist wichtig,<br />
weil sogenannte Fachleute immer wieder<br />
ihre Vorstellungen als nicht realisierbar<br />
und zu ausgefallen kritisieren.<br />
Viele Leute verstehen Gieses Konzept,<br />
Wildnis künstlich darzustellen, erst auf<br />
den zweiten oder dritten Blick.<br />
Zurzeit verhandelt sie mit den städtischen<br />
Behörden und privaten Investoren<br />
über zwei große Projekte in<br />
Berlin-Kreuzberg, am Kottbusser Tor<br />
und dem Moritzplatz. Am Kottbusser<br />
Tor plant sie ein Projekt mit dem Maler<br />
Henning Strassburger, möchte auf<br />
der Verkehrsinsel meterhohen Schilf<br />
<br />
erinnert, dass Berlin vor seiner Besied-<br />
<br />
Glas der Vitrine ist perforiert und nach<br />
oben hin offen. Darüber möchte sie<br />
große LED-Displays setzen, die Werbespots<br />
zeigen, so wie am Piccadilly-<br />
Circus in London.<br />
Den Moritzplatz, an dem erst vor Kurzem<br />
der Aufbau Verlag einen so gelungenen<br />
wie schroffen Beton-Neubau<br />
bezogen hat, hat sie schon seit der<br />
Wende im Auge. Lange lag das Areal<br />
brach. Seit hier investiert wird, gibt<br />
es eine Chance für Gieses Projekt. Ei-<br />
<br />
„Wildnis mit Essigbäumen“. Nun wird<br />
ernsthaft verhandelt. Im angrenzenden<br />
„Aufbau-Haus“ konnte sie im Oktober<br />
2013 bereits das Projekt „Schlucht und<br />
<br />
<br />
nicht nur einzigartig in ihrer formalen<br />
Darstellung. Sie regen zum Denken<br />
und Wahrnehmen an, thematisieren<br />
Kulturgeschichte und dekonstruieren<br />
dabei gängige Vorstellungen. Wenn<br />
man ihren Projekten begegnet, wird<br />
<br />
<br />
tisch“<br />
ist, und Rosen sind weit davon<br />
entfernt, nur Blumen zu sein, die sich<br />
Liebende schenken.<br />
Tita Giese wurde 1942 in Nördlingen,<br />
Bayern, geboren. Sie besuchte die<br />
Kunstakademie in Düsseldorf, wo sie heute<br />
lebt und arbeitet. Zu ihren wichtigsten Projekten<br />
zählen die „Mittelamerikanischen<br />
Verkehrsinseln“ am Stresemann Platz in<br />
Düsseldorf sowie die „Hängenden Gärten“<br />
in der Münchner Fünf-Höfe-Passage.<br />
Mehr Infos: www.Tita-Giese.com<br />
Nr.12<br />
44<br />
45<br />
Nr.12
REBELLEN<br />
Text: Ruben Donsbach<br />
ALINA<br />
COJOCARU<br />
In England sind Traditionen noch<br />
Traditionen und das Royal Ballet ist<br />
das Royal Ballet und beim Royal Ballet<br />
kündigt man nicht. So einfach ist das.<br />
Aber Regeln sind dafür da, gebrochen<br />
zu werden. So beginnt die Geschichte<br />
der Rebellin Alina Cojocaru. In Rumänien<br />
geboren hat Cojocaru seit früher<br />
Kindheit alle Kaderschmieden und<br />
Tanzeliteschulen in Bukarest, Kiew<br />
und London mit Bravour durchlaufen.<br />
Mit 15 Jahren gewann sie den berühm-<br />
<br />
pelte<br />
Preisträgerin des noch prestige-<br />
<br />
-<br />
<br />
der größten Ballett-Duos aller Zeiten.<br />
Bald ein Jahrzehnt war sie erste Tänzerin<br />
am Royal Ballet in London, dem<br />
Mekka des Balletts. Viel mehr geht<br />
nicht. Denkt man. Dann aber traf Alina<br />
Cojocaru den amerikanischen Direktor<br />
und Chefchoreografen des Hamburger<br />
Balletts John Neumeier und alles<br />
änderte sich. Neumeier zeigte der Rumänin,<br />
wie viel Freiheit der zeitgenössische<br />
Tanz geben kann, wie er einen<br />
den eigenen Körper erforschen lässt.<br />
Bald schien das in seinen Traditionen<br />
verhaftete Royal Ballet in Stil und Umgangsform<br />
starr und erdrückend. In<br />
einem Interview mit dem „Guardian“<br />
<br />
die eine Art und Weise, wie man etwas<br />
machen konnte. Jetzt habe ich die Fesseln<br />
gesprengt, die mich zurückhielten,<br />
<br />
keine Angst zu fallen.“ Cojocaru ging<br />
zur Konkurrenz. Nicht zu Neumeier,<br />
mit dem sie weiter kooperiert, sondern<br />
zum Englisch National Ballet, ein ebenso<br />
gewichtiger Name wie das Royal,<br />
nur moderner, informeller, der Zukunft<br />
zugewandt. Für ihre Hauptrolle in der<br />
Produktion „Le Corsaire“ wird sie heute<br />
gefeiert, tanzt in Gastrollen auf der<br />
ganzen Welt. Mit Anfang dreißig hatte<br />
Alina Cojocaru den Mut zur Rebellion.<br />
Wir sagen „Well done!“<br />
Am 9., 12., 15., und 17. Januar ist Alina<br />
Cojocaru in der Produktion „Le Corsaire“,<br />
Choreografie Vadim Muntagirov, am „English<br />
National Ballet“, London zu sehen.<br />
Nr.12 46<br />
47 Nr.12
AGENDA<br />
IM FEGEFEUER<br />
G AULTIER IN N EW Y ORK<br />
1928 verließ der Künstler und<br />
<br />
das Dessauer Bauhaus, um in Berlin<br />
erfolgreich für die Konsumgüterund<br />
Verlagsindustrie sowie diverse<br />
staatliche Einrichtungen zu arbeiten.<br />
Nach der Machtergreifung der Nazis<br />
nahm er allerdings kontroverserweise<br />
auch Aufträge des NS-Regimes<br />
an. Die Sonderausstellung „Mein<br />
Reklame-Fegefeuer – Herbert Bayer<br />
<br />
<br />
vielseitig das Schaffen von Bayer bis<br />
zu seiner späten Emigration in die<br />
USA Ende der vierziger Jahre.<br />
Bis bis 24. Februar 2014, Bauhaus<br />
Archiv/Museum für Gestaltung,<br />
Berlin<br />
Gegliedert in sieben Themenbereiche<br />
untersucht die Multimedia-Ausstellung<br />
„The Fashion World of Jean Paul<br />
<br />
<br />
Modeschöpfers auf gesellschaftliche,<br />
<br />
Codes. Dabei wird sein Avantgarde-<br />
Design anhand von interaktiven<br />
und audiovisuellen Präsentationen,<br />
Accessoires, Skizzen, Kostümen, Filmauszügen,<br />
Show-Dokumentationen,<br />
Konzerten und Tanzvorstellungen nachvollziehbar<br />
gemacht.<br />
Bis 23. Februar 2014,<br />
Brooklyn Museum,<br />
New York<br />
SKULPTURALE RHETORIK<br />
<br />
ihren raumgreifenden Installationen,<br />
Collagen und Assemblagen steckt ein<br />
<br />
Popkultur und Materialästhetik – al-<br />
<br />
Objekten. Poppig, minimalistisch und<br />
gleichzeitig abstrus. Ihre Arbeit wirft<br />
vielseitige Fragen auf zur Architektur<br />
und zum Raum, in dem sich Menschen<br />
<br />
<br />
Alltagsrealität verhält. Das MoMA<br />
widmet der deutschen Künstlerin eine<br />
große Retrospektive mit über 150 Positionen.<br />
Ein kuratierter Rückblick auf<br />
40 Jahre Isa Genzken.<br />
Isa Genzken „Retrospective“, bis 10.<br />
März 2014, MoMA, 11 W 53rd St, NY<br />
10019, New York City,<br />
Vereinigte Staaten<br />
G ONG HEI FAT SCHOI!<br />
Am 31. Januar beginnt das Jahr des<br />
Pferdes. Wer 1954, 1966, 1978, 1990<br />
oder 2002 geboren wurde, ist stets<br />
gut gelaunt, kann mit Geld umgehen<br />
und langfristig planen. In London,<br />
New York, Singapur wird mächtig<br />
gefeiert. In China ist das Neujahrsfest<br />
Familienangelegenheit, alles ist<br />
geschlossen.<br />
MIT DER ZEIT GEHEN<br />
Barbara Klemm dokumentiert seit<br />
über 50 Jahren unser Zeitgeschehen.<br />
Mit ihrer Kamera hat sie Schlüsselmomente<br />
der deutschen Geschichte<br />
<br />
Studentenunruhen, die Wiedervereinigung,<br />
Alltagszenen genauso wie Porträts<br />
von Künstlern und Persönlichkeiten.<br />
Bei aller Dokumentation sind ihre<br />
Bilder Lebendigkeit, überraschen und<br />
schmeicheln durch präzise Kompositionen.<br />
Für den Martin-Gropius-Bau<br />
<br />
eine große retrospektive Werkschau<br />
zehnten.<br />
Barbara Klemm,<br />
Fotografien 19682013’,<br />
bis 09. März 2014,<br />
Martin-Gropius-Bau,<br />
Niederkirchnerstraße 7<br />
10963 Berlin<br />
Courtesy of Regency Enterprises<br />
12 Y EARS A S LAVE<br />
„12 Years A Slave“, der neue Film von<br />
<br />
wird seit seiner Festivalpremiere<br />
in Toronto mit Lob überschüttet.<br />
Die Lebensgeschichte des<br />
Afroamerikaners Solomon Nothup<br />
<br />
Yorker nach New Orleans verschleppt<br />
und als Sklave verkauft, trifft einen<br />
Nerv, wie der mutmaßliche Mord<br />
am afroamerikanischen Studenten<br />
Trayvon Martin durch George<br />
Zimmerman gezeigt hat. Das Trauma<br />
der Sklaverei ist noch längst nicht<br />
überwunden. Kaum zuvor ist diese<br />
dunkle Epoche zu Anbeginn des<br />
Aufstiegs der USA zur Weltmacht<br />
derart schonungslos gezeigt worden<br />
wie in diesem Film.<br />
ab 16. Januar im Kino<br />
Nr.12<br />
48<br />
49<br />
Nr.12
AGENDA<br />
BERLINALE<br />
Mit der Weltpremiere von Wes<br />
Andersons „Grand Budapest Hotel“<br />
werden am 6. Februar 2014 die<br />
64. Internationalen Filmfestspiele<br />
Berlin im Berlinale Palast eröffnet.<br />
George Clooney präsentiert<br />
Monuments Men, einen Film über<br />
Nazi-Raubkunst. Ende Januar steht<br />
das gesamte Programm fest, aber<br />
<br />
Schweiger wird dabei sein. Bei keinem<br />
anderen so renommierten Filmfestival<br />
ist es so leicht und preiswert an Karten<br />
<br />
Florian, Grill Royal, Borchardt, Hyatt<br />
Bar.<br />
L AUT, GEHAUC H T,<br />
ELEKTRO & J A ZZ<br />
Die Goldenen Zitronen lassen es<br />
<br />
Jena, Berlin, Kiel. 30. Januar bis 3.<br />
Februar in Münster, Düsseldorf,<br />
Heidelberg, Kaiserslautern, Freiburg.<br />
Die Women in Jazz mit dem Laura<br />
Wasnieski Trio, Schneeweiss &<br />
Rosenrot <br />
bis 9. Februar in Halle/Saale.<br />
DAF, die Elektro-Pioniere aus den<br />
<br />
Februar in Wiesbaden und München.<br />
Carla Bruni, die ehemalige First Lady<br />
Frankreichs, haucht ein paar „Little<br />
<br />
gibt es am 15. und 16. März in<br />
München und Berlin zu hören.<br />
Jeden Monat neu:<br />
Ihre Fashion- &<br />
Luxus-Galerie<br />
R ENÉE SINTENIS<br />
(1888-1965)<br />
Renée Sintenis war eine der prägenden<br />
<br />
<br />
künstlerischen Leben der Weimarer<br />
Republik. Berühmt geworden durch<br />
ihre kleinformatigen Tierskulpturen,<br />
darunter der Berliner Bär, der als<br />
Miniaturausgabe bei den Berliner<br />
Festspielen als Preis vergeben wird,<br />
war sie der Archetypus der „Neuen<br />
<br />
modisch auf der Höhe der Zeit.<br />
Anlässlich ihres 125. Geburtstages<br />
ist noch bis zum 23. März 2014 eine<br />
umfassende Schau ihres Werks im<br />
Charlottenburger Kolbe-Museum zu<br />
sehen.<br />
Georg-Kolbe-Museum,<br />
Sensburger Allee 25,<br />
14055 Berlin,<br />
Bis einschließlich 23. März 2014<br />
Nr.12<br />
50<br />
WWW.MADAME.DE<br />
51<br />
Nr.12
DAS BILD<br />
Interview: Lorenz Schröter<br />
Zeichnung: Arezu Weitholz<br />
„ICH BIN EIN<br />
ANTENNEN-WELS“<br />
AREZU WEITHOLZ IST AUTORIN, FISCHDICHTERIN, ZEICHNERIN UND SONG-TEXTERIN, UNTER ANDEREM FÜR HERBERT<br />
GRÖNEMEYER UND DIE TOTEN HOSEN. MIT FRÄULEIN SPRACH SIE ÜBER DIE RATLOSIGKEIT VON FREE JAZZERN UND<br />
VIER SCHLEIERSCHWÄNZEN NAMENS JOHN, PAUL, GEORGE UND RINGO.<br />
<strong>Fräulein</strong>: Unser Thema ist Ratlosigkeit.<br />
Wie würden Sie diesen<br />
Zustand beschreiben?<br />
<br />
nicht genau, was man als Nächstes<br />
macht, hat aber keine Angst davor.<br />
Menschen geben sich meist Mühe ganz<br />
sicher zu erscheinen, weil ja keiner mit<br />
jemand befreundet sein will, der so<br />
<br />
„Wie geht es“, antwortet er oder sie<br />
<br />
den und jenen Beruf.“ Bei mir wäre die<br />
<br />
ich als Nächstes machen werde. Das ist<br />
aber nicht schlimm, ich freu mich darauf,<br />
so oder so.<br />
Macht Sie die Ratlosigkeit also<br />
glücklich?<br />
nem<br />
Leben viele „U-turns“ gemacht.<br />
Habe Jobs gekündigt ohne zu wissen,<br />
was als Nächstes kommt. Das ist ein<br />
<br />
mit dem Geld, das man vorher verdient<br />
hat. Ich bin im Jahr 2000 für vier Jahre<br />
nach London gegangen und alle, die<br />
ich kannte, waren Mitte vierzig oder<br />
älter und mussten sich eine Wohnung<br />
teilen. London ist ein hartes und teu-<br />
<br />
in der zehntausend Leute das Gleiche<br />
machen, nur viel besser als man selbst!<br />
Und trotzdem machen die Leute weiter,<br />
spielen mit vierzig noch immer<br />
Free Jazz in irgendeiner Galerie, sind<br />
völlig ratlos, haben natürlich schlechte<br />
Zähne und es ist schrecklich, aber sie<br />
<br />
ich mir abgeschaut, dieses englische<br />
„Das wird schon“, egal was ist.<br />
Normalerweise kaschieren die<br />
Menschen ihre Ratlosigkeit mit „I<br />
am between things“.<br />
<br />
damit losgeworden, dass ich die Wahrheit<br />
gesagt habe. Als er mich gefragt<br />
hat, was ich so mache, habe ich geant-<br />
<br />
Ich wusste, dann würde der sich umdrehen<br />
und mit einer anderen reden.<br />
Das hat auch geklappt. Der dachte, ich<br />
verarsche den oder wenn das stimmt,<br />
<br />
Die hat nicht mehr alle Latten am<br />
Zaun. Ich wusste schon damals, ich<br />
will nicht mit einem Mann trinken, der<br />
gedichte<br />
schreibe.<br />
Warum eigentlich Fische?<br />
fahren.<br />
Meine Mutter saß da, ich saß<br />
da, wir haben nichts geredet, nur vom<br />
Strandkorb auf das Meer geguckt, die<br />
Ostsee liegt ja so platt rum, da passiert<br />
<br />
„Die blaue Forelle schwamm im Gefälle<br />
gegen ne Welle, jetzt hat sie ne<br />
Delle.“ Danach habe ich jeden Freitag<br />
ein Fischgedicht geschrieben. Dann<br />
traf ich einen Verleger, der meinte, das<br />
ist ja ganz schön mit Ihren Romanen,<br />
aber wollen Sie nicht erst mal einen<br />
Lyrikband veröffentlichen? Der Fisch<br />
an sich ist ja noch überhaupt nicht<br />
ausgeschrieben! Du musst dem Fisch<br />
nur ins Gesicht schauen dann siehst<br />
du Geschichten. Nach meinem ersten<br />
Fischband bekam ich dann unglaublich<br />
seltene Fischbücher, „Der kleine Aquarist“<br />
von 1952 zum Beispiel, und ein<br />
Aquarium mit vier Schleierschwänzen,<br />
die hießen John, Paul, George und<br />
Ringo. Ich habe ein Fisch-Museum zu<br />
Hause, mit Fischkorkenzieher, Fischtapete,<br />
Fischteller und so weiter.<br />
Was sind Sie für ein Fisch?<br />
<br />
der Fisch aus „Der alte Mann und<br />
das Meer“ von Hemingway. Die sind<br />
schnittig und rasen wild und frei durch<br />
„RATLOSIGKEIT<br />
IST EIN LUXUS“<br />
das Meer. Aber ich glaube, ich bin kein<br />
Marlin, ich bin ganz oft ein Antennen-<br />
Wels, der ist nicht größer als ein Daumen.<br />
Er wird erst abends aktiv, macht<br />
es sich ansonsten zwischen zwei Felsen<br />
gemütlich, manchmal hat er Flecken,<br />
manchmal hat er keine. Er ist genügsam<br />
und hat große braune Augen.<br />
Sie haben Bankkauffrau gelernt,<br />
waren DJ in Südafrika, Journalistin<br />
in London. Außerdem bearbeiten<br />
Sie die Texte von Musikern. Wie<br />
kam es dazu?<br />
-<br />
<br />
interviewt. Darüber habe ich Herbert<br />
Grönemeyer kennengelernt. Wir sind<br />
ab und zu einen Kaffee trinken gegangen<br />
und ich habe ihn irgendwann gebeten,<br />
ob er nicht meine Manuskripte<br />
lesen würde. Das hat er auch ganz brav<br />
gemacht. Irgendwann hat er dann den<br />
Spieß umgedreht und mich gefragt, ob<br />
<br />
Platte lesen könnte. Das war „Mensch“.<br />
Dazu habe ich dann meine Anmerkungen<br />
gemacht. Danach dachten viele andere,<br />
dass ich das wohl ganz gut kann,<br />
und haben mich angefragt. Das ist<br />
immer eine Sache des Vertrauens, ein<br />
zerbrechliches Momentum. Denn ich<br />
kenne keinen Musiker, der so gnaden-<br />
<br />
wie er sie dann auf der Bühne präsentiert.<br />
Manchmal ist ein Lied schon fast<br />
fertig, aber etwas stimmt nicht, dann<br />
komme ich ins Studio und sage was<br />
zum Refrain oder „in den Strophen<br />
müssen Schrauben angezogen werden“.<br />
In anderen Fällen entwickeln wir<br />
<br />
ker<br />
neben mir fängt an, dazu auf der<br />
Gitarre zu spielen. Manchmal fällt mir<br />
aber auch nichts ein, dann bin ich halt<br />
ratlos, dann sagt mir das Thema nichts<br />
und ich bin da fehl am Platz.<br />
Danke!<br />
stars<br />
interviewt und am Ende haben<br />
die gar nichts gesagt. Deshalb rede ich<br />
so viel.<br />
Eins noch. Was kann man auf Ihrem<br />
Bild sehen?<br />
<br />
Fisch. Das könnte auch ich sein.<br />
Ich als Fisch.<br />
Sie schreibt lustige Gedichte über Fische. Sie<br />
ist damit sogar erfolgreich. Herbert Grönemeyer<br />
engagierte sie als Textdramaturgin für<br />
sein Album Mensch. Auch die Toten Hosen<br />
vertrauten ihren Reimkünsten. Sie zeichnet,<br />
schreibt Romane, legte als DJ in Südafrika auf<br />
und backt gern Bananenbrot.<br />
Nr.12<br />
52<br />
53<br />
Nr.12
EIN TAG<br />
Text & Foto: Sina Braetz<br />
Eine Stadt der Träume und Legenden.<br />
„Eine Stadt, die sich jeden zweiten<br />
Tag neu erfindet.“ Komödienlegende<br />
Billy Connolly brachte es perfekt auf<br />
den Punkt. Los Angeles, the City of<br />
Angels. Wir lieben es für seine Kreativität,<br />
seine Dynamik, seine Weite. Für<br />
seine (Film)-Legenden, die hier zu Größen<br />
herangewachsen sind, neben den<br />
schillernden Seifenblasen Hollywoods.<br />
„Who is who?“ Wir empfehlen: Nichts<br />
zu ernst nehmen, aber dafür so viel wie<br />
möglich von der Stadt der tausend Gesichter<br />
mitnehmen. Ob entspannend in<br />
Santa Monica oder aufregend in Downtown<br />
LA: Das sind die Lieblingsorte<br />
von <strong>Fräulein</strong>.<br />
1. Der Tag beginnt gesund und entspannt<br />
in Hollywood mit einem „Bonita<br />
Breakfast“ und den leckersten<br />
-<br />
<br />
2. Weiter geht es zu der nicht weit<br />
entfernten Melrose Avenue für etwas<br />
<br />
<br />
<br />
3. Coole Pop Culture Art zeigt um die<br />
Ecke „Gallery 1988“ mit Zweitloca-<br />
<br />
<br />
man im hippen Vintageshop „Waste-<br />
<br />
der besten Gourmetburger LAs und leckerste<br />
Sweet Potatoe Pommes gibt es<br />
<br />
<br />
ein Tröpfchen Fischöl. 6. Hier lässt sich<br />
ein kompletter Tag verbringen, mindes-<br />
<br />
<br />
nur durch seine große Sammlung an<br />
ren,<br />
sondern auch durch seine Gärten<br />
und die gigantischen Architektur von<br />
Richard Meier. 7. Eine der wohl schönsten<br />
Gegenden LAs ist Santa Monica.<br />
Hier sollte man bei gutem Wetter unbedingt<br />
ein Strand-Päuschen einlegen.<br />
8. Zwischen Kunstgallerie und Fashion<br />
-<br />
<br />
<br />
perfekte Mode- und Kunst-Auswahl<br />
von Christophe Lemaire bis hin zu<br />
Oliver Peoples und Kooperationen von<br />
Damien Hirst mit The Row. 9. Ob De-<br />
<br />
im „Fashion District“ faszinieren nicht<br />
nur Modeschöpfer, die sich hier inspirieren<br />
lassen, sondern auch Laien. 10.<br />
Von „Helmut Newton“ bis hin zu „War/<br />
<br />
<br />
<br />
sowohl digitale als auch Print-Foto-<br />
<br />
11. Die wohl besten und frischesten<br />
Meeresfrüchte mit Strand-Panorama<br />
bekommt man bei David Lentz`„The<br />
-<br />
<br />
Organic Pancakes im „Bloom Café“<br />
<br />
<br />
guten Preisen als auch wahren Vinta-<br />
<br />
Venice. 14. Gemütlich schlendern lässt<br />
es sich im schönen „Japangeles“, dem<br />
<br />
„Paper Dreams“ von Julia Gabrick und<br />
Samantha Schaefer. 15. Abends gemütlich<br />
herumphilosophieren bei gutem<br />
Essen und noch besseren Drinks kann<br />
-<br />
<br />
im Herzen des In-Viertels Silver Lake.<br />
16. Hier haben sogar mal die Rolling<br />
<br />
Die Funky Soul Partys. „The Echo“<br />
<br />
die Stadt genießen, am liebsten im Runyon<br />
<br />
Nr.12<br />
54<br />
55 Nr.12
LEGENDE<br />
Text: Lorenz Schröter<br />
Foto: Bernd Uhlig<br />
EIN LEBEN<br />
FÜR LIEBE<br />
UND<br />
ANARCHIE<br />
JUDITH MALINA GRÜNDETE 1949 IN NEW YORK DAS<br />
LIVING THEATRE, DAS ERSTE OFF-THEATER DER WELT.<br />
<br />
<br />
kämpften, verursachten dreißigtausend<br />
junge Frauen die sogenannten<br />
Sinatra-Riots, um Frank Sinatra im<br />
Paramount-Theater zu sehen. Captain<br />
America räumte mit den Bösewichten<br />
auf, im Kino liefen patriotische Kriegs-<br />
<br />
Tochter eines Rabbis aus Kiel, träumte<br />
einen anderen Traum. Verloren lungerte<br />
sie am 14. September bei „Genius<br />
Incorporated“ herum, einer leicht<br />
schäbigen Kneipe am Times Square,<br />
die vielen arbeitslosen Schauspielern<br />
als Treffpunkt dient. Einer davon,<br />
Wiliam Marchant, genannt Gau-Gau,<br />
hatte Hunger und sah sehnsüchtig<br />
auf die Schokoladenkekse von Judith<br />
Malina. Sie spendierte ihm aus einem<br />
Automatenrestaurant eine Portion<br />
Spaghetti. Zum Dank versprach Gau-<br />
Gau ihr ein Genie vorzustellen, einen<br />
<br />
ein dürrer 19-Jähriger, und Judith gingen<br />
ins Kino und machten sich über<br />
den patriotischen Film „Beyond Sus-<br />
<br />
Joan Crawford lustig. Sie redeten lieber<br />
über Oscar Wilde, Cocteau, Gertrude<br />
Stein, T S Eliot. Judith brach die Schule<br />
ab und las stattdessen Ezra Pound.<br />
Bald wurden sie und Julian ein Paar.<br />
Obwohl er eher schwul war. Sein Vater,<br />
ein Pferdehändler aus Österreich,<br />
der in Amerika mit Ersatzteilen für<br />
Motorräder reich geworden war, hatte<br />
seinen Sohn zu einer fortschrittlichen<br />
Psychologin geschickt, die Julian von<br />
-<br />
<br />
riet sie ihm. Julian versuchte es mit<br />
Judith. Das hat so mittel geklappt. Die<br />
beiden blieben zusammen bis zu seinem<br />
Tod, Beck starb 1985 an Magenkrebs,<br />
und teilten sich manchmal die<br />
Liebhaber. Judith und Julian nahmen<br />
LSD, hörten Cool Jazz, bekamen zwei<br />
Kinder und erfanden das Off-Theater.<br />
1947. Inspiriert von Brecht, Piscator,<br />
Artauds Theater der Grausamkeiten,<br />
Psychoanalyse, Esoterik, Surrealismus<br />
und Klassenkampf rollten sich im Living<br />
Theatre halb nackte Schauspieler<br />
tische-antikapitalistische<br />
Parolen und<br />
bestürmten die Zuschauer, gemeinsam<br />
Revolution zu machen. Ihr vermutlich<br />
berühmtestes Stück „Paradise Now“<br />
<br />
wendet sich an einen Zuschauer und<br />
<br />
darf ich nicht reisen.“. Dieser Satz wird<br />
dann immer dringlicher wiederholt<br />
und gebrüllt. Dann kommt der zweite<br />
<br />
aufhält.“ Erst ruhig, dann gebrüllt. Der<br />
<br />
leben.“ Und so weiter. Al Pacino, er und<br />
Martin Sheen sammelten ihre ersten<br />
Erfahrungen als Schauspieler im Living<br />
Theatre, erinnerte sich später mit<br />
Mutproben-Grausen an eine Auffüh-<br />
<br />
„Man sitzt im Theater und die Typen<br />
<br />
Marihuana rauchen.‘ Als Nächstes ziehen<br />
sie sich aus und du denkst, vielleicht<br />
ziehen sie dich auch aus und du<br />
sitzt da und denkst, oh, ich weiß nicht,<br />
ob mir das so gefällt. Dann schreien<br />
die Leute oben in den Rängen und<br />
es kommt zu einer Prügelei und man<br />
bekommt es mit der Angst zu tun, ich<br />
bin echt in Schwierigkeiten, was soll<br />
ich tun? Ich bin doch nur ins Theater<br />
gegangen und wollte ein Stück sehen.<br />
Leute verlassen das Theater und sa-<br />
<br />
<br />
etwas wie Geld gibt es gar nicht, Geld<br />
gibt es gar nicht.‘“ Zum Schluss, so die<br />
Regieanweisung bei „Paradise Now“,<br />
sollten Schauspieler und Zuschauer<br />
auf die Straße gehen und gewaltfreie<br />
Revolution machen. Judith Malina er-<br />
<br />
Theater ist auf der Straße‘ und dann<br />
gingen wir auf die Straße, viele von uns<br />
nackt, und da wurden wir verhaftet.<br />
Wenn man in Amerika verhaftet wird,<br />
hat man diesen Kerl, den man ,arres-<br />
<br />
der das Protokoll aufnimmt. Also gehe<br />
te<br />
Szene von unserem Stück ,Paradise<br />
Now’. Ich spiele die verhaftete Schau-<br />
<br />
der mich verhaftet.‘ Und dann sagt<br />
<br />
Ich bin kein Schauspieler, ich will kein<br />
<br />
,Sehr gut, Sie machen das sehr gut.‘<br />
Und dann wird er sehr böse, ich sage,<br />
er spielt mit, und er spielt ja auch mit,<br />
er ist ja auch ein Teil unserer Arbeit,<br />
vielleicht ist er sogar der wichtigste<br />
Teil unserer Arbeit. Und dann spreche<br />
ich mit ihm über unsere Beziehung.<br />
Wer ist er, wer bin ich, ja ich bin die<br />
Verhaftete, das ist nicht so wichtig, was<br />
wichtig ist, dass er uns versteht, dass<br />
er weiß, was wir sagen wollen, wir wollen<br />
sagen, dass wir uns nicht fürchten<br />
müssen, dass wir uns verstehen können.<br />
Am Ende unseres Stückes liegt<br />
der Weg zum Paradies, den wir hier<br />
suchen. Wir spielen zusammen mit<br />
dem Zuschauer, wir nennen den Zuschauer<br />
participant, er spielt mit und<br />
wir suchen zusammen Antworten.“<br />
Manchmal wurden die Theaterleute<br />
verprügelt. Das schien der ein Meter<br />
50 großen Malina irgendwie zu gefal-<br />
<br />
wirst du irgendwie richtig high, weil du<br />
den Widerstand stärker spürst.“ Das<br />
Living Theatre trat in Gefängnissen<br />
und 28 Ländern auf, sie waren im Gefängnis,<br />
weil sie während des Vietnamkriegs<br />
keine Steuern zahlen wollten,<br />
emigrierten nach Italien, tourten Jahre<br />
durch Europa und zündeten dort den<br />
Funken für antiautoritäres Megafon-<br />
„WIR MÜSSEN<br />
DIE NAZIS<br />
NICHT HASSEN”<br />
<br />
Fos La Comune, die Amsterdamer Provo<br />
Gruppe und in der Nachfolge dann<br />
Zadek, Castorf, Rimini-Protokoll, bzw.<br />
Godard, Pasolini, Bertolucci. Judith<br />
Malina schrieb Gedichte, veröffentlichte<br />
ihre Tagebücher, heiratete nach dem<br />
Tod von Beck den 25 Jahren jüngeren<br />
Hanon Reznikov, ein Mitglied des Theaters<br />
– den sie ebenfalls überlebte. Das<br />
New Yorker Theaterkollektiv bereiste<br />
Brasilien während der Militärdiktatur<br />
und den Libanon nach dem Einfall<br />
<br />
anarchistische Sache. „Als ich zwölf<br />
war“, so erzählte Malina gern, „sah ich<br />
einen Film, ‚Nurse Edith Cavell‘. Als<br />
sie wegen Spionage vor dem Erschießungskommando<br />
stand, rief sie den<br />
<br />
zwischen Gott und der Ewigkeit. Ich<br />
nug!‘<br />
Ich bin dann zu meinem Papa gerannt.“<br />
Es war das Jahr 1938. Der Rab-<br />
<br />
1928 ausgewandert, verschickte zu der<br />
sen<br />
Sie, was mit Ihren jüdischen Nachbarn<br />
geschieht?“ Tochter Judith half bei<br />
den Briefen. Und nach dem Film über<br />
die edle britische Krankenschwester<br />
<br />
müssen die Nazis nicht hassen!“ Ihr<br />
Vater reagierte ähnlich wie ihr späteres<br />
<br />
<br />
<br />
Judith Malina spielte die Oma in der<br />
Addams-Family, trat in den Serien „Die<br />
Sopranos“ und „Miami Vice“ auf, Julian<br />
Beck in „Poltergeist II“, „9 ½ Wochen“<br />
und „Cotton Club“. Damit wurde ihr<br />
archistische<br />
Version über den Moses-<br />
Gegner Korach aufzuführen und um<br />
feministischen, queeren, avantgardistischen<br />
Künstlern eine Bühne in der<br />
Lower Eastside zu bieten. Im Februar<br />
2013 war Schluss. 800.000 Dollar hatte<br />
Malina in das Kellertheater an der Clinton<br />
Street 21 gesteckt, doch vier Monate<br />
Miete waren überfällig. Trotz Spenden<br />
von Pacino und Yoko Ono musste<br />
das Theater nach 66 Jahren schließen.<br />
Sorgfältig geschminkt, mit roten Lippen,<br />
lustigen Hippie-Ohrringen und<br />
einem breiten Lachen präsentierte sich<br />
die 86-jährige Malina vor den New Yorker<br />
Pressefotografen vor ihrem Umzug<br />
<br />
<br />
<br />
werde weitermachen! Mit neuen Stücken!<br />
Judith Malina, 1926 in Kiel geboren, hat im<br />
Alter von 21 das Rumbrüllen, Nacktausziehen<br />
und Zuschauerbelästigen im Theater erfunden.<br />
Bis heute ist sie für die pazifistische,<br />
anarchistische Sache.<br />
Nr.12<br />
56<br />
57<br />
Nr.12
SCHNITTMUSTER<br />
Interview: Sina Braetz<br />
ZAC<br />
POSEN<br />
SEINE MODE IST KEIN „AUSSTECHFÖRMCHEN“, WÜRDE ER<br />
SAGEN. ZU RECHT! SIE IST FÜR IHN EINE HOMMAGE AN<br />
DIE LEIDENSCHAFTLICHE FRAU. DARUM GEHT ES IHM BEI<br />
SEINER MODE: UM GEFÜHLSWELTEN! FÜR UNS BRACH ER<br />
DIE DREIDIMENSIONALE KUNST SEINER KLEIDER HERUNTER<br />
AUF EIN BEEINDRUCKENDES SCHNITTMUSTER, DAS SICHER<br />
NICHTS FÜR LAIEN IST. DAFÜR VERMITTELT ES ABER<br />
EINEN EINDRUCK, WIE AUFWÄNDIG EIN SOLCHES STÜCK<br />
ENTSTEHT. IN EINEM INTERVIEW MIT UNS VERRÄT ER,<br />
WAS STIL FÜR IHN BEDEUTET, WARUM ANNA CLEVELAND<br />
SEINE MUSE IST UND WARUM ER FRÜHER OFT SELBST SEINE<br />
KLEIDER ANPROBIERTE.<br />
<strong>Fräulein</strong>: Zac, wenn einer weiß,<br />
wie Weiblichkeit ihren schönsten<br />
Ausdruck findet, dann Sie. Was<br />
macht für Sie eine Stilikone aus?<br />
<br />
Spaß haben an Mode, sie als einen<br />
wichtigen Teil in ihrem Leben schätzen.<br />
Mode kann oder sollte allerdings<br />
nicht ihr Leben diktieren, denn dann<br />
wird sie zu einem Opfer. Sie sollte Risiko<br />
eingehen, ihre Persönlichkeit auszudrücken,<br />
sich eben selbst gut kennen.<br />
Eleganz kommt aus Selbstvertrauen.<br />
Welche Frau inspiriert Sie besonders?<br />
<br />
viele. Meine Fashion-Show-Kleider<br />
probiert alle Anna Cleveland an, das<br />
holländische Modell. Sie bewegt sich<br />
unglaublich in den Kleidern, sie lässt<br />
die Kleider mit sich eins werden. Anna<br />
ist eine „Mode-Schauspielerin“. Abgesehen<br />
von ihrem Körper und ihrer<br />
einzigartigen Schönheit weiß sie, was<br />
Kleider ausdrücken können durch Bewegung<br />
und Form.<br />
Stimmt es, dass Sie Ihre Kleider<br />
gern auch selber anprobieren?<br />
<br />
nicht mehr gemacht. Wenn mir ein<br />
Kleid passte, habe ich es früher schon<br />
öfters angezogen. Es ist sehr wichtig<br />
zu wissen, wie sich ein Kleidungsstück<br />
anfühlt. Ich habe keinerlei Hemmung<br />
etwas zu machen, um hundertprozentig<br />
sicherzugehen, dass ich die höchste<br />
Qualität erreicht habe.<br />
Und Sie wollten schon immer<br />
hauptsächlich Couture machen?<br />
<br />
wirklich viel ausprobiert, bis hin zu<br />
Biker-Jacken, aber letztendlich ist<br />
das, was mich beeindruckt, die Handwerkskunst,<br />
das Spielen mit Volumen.<br />
Ich bin zudem ein Mensch, der sehr<br />
gerne Personen um sich hat und mit<br />
ihnen arbeitet. High Fashion an sich ist<br />
nichts Notwendiges, überhaupt nicht,<br />
niemand braucht das wirklich. Deshalb<br />
<br />
meine Stimme, meine Persönlichkeit<br />
und mein Talent funktioniert. Und den<br />
hätte ich niemals nur in Sportswear<br />
<br />
das, an dem mein Herz hängt.<br />
Wie entstehen Ihre Skizzen?<br />
-<br />
<br />
was ich aufnehme und was ich errei-<br />
sive<br />
Part des ganzen Prozesses.<br />
Und der „Mood“, der daraus entsteht,<br />
ist dann der Beginn einer<br />
Kollektion?<br />
fen<br />
und Farben. Die Stimmung bzw.<br />
Moodboards entwickeln sich dann daraus.<br />
Bei uns geht es bei dem Design<br />
hauptsächlich darum, wie Form und<br />
<br />
können. Da steckt sehr viel Mathematik<br />
dahinter. Bis zu drei Musseline<br />
entwerfen wir, die nach den Anproben<br />
jedes Mal korrigiert und neu drapiert<br />
werden. Darauf folgen dann die Details<br />
sowie die innere Struktur, bis dann das<br />
<br />
wir bestimmte Aufträge erhalten, wird<br />
das Kleid erneut drapiert, das heißt es<br />
entsteht ein zweites Schnittmuster, das<br />
wir dann digitalisieren und in Größe<br />
null bis zwölf optimieren. Das ist so<br />
ungefähr der Prozess, angefangen von<br />
dem kreativen Moment, also meiner<br />
Hand bis hin zum Store bzw. dem Kleiderschrank<br />
meiner Kundin.<br />
Bei dem Ergebnis – wen fragen Sie<br />
da nach Kritik?<br />
<br />
dann mein Team natürlich, in meinem<br />
Studio etwa drei bis vier Leute und<br />
mein Stylist und Partner Christopher<br />
Niquet. Das Faszinierende an Mode ist,<br />
dass ihr Anfangspunkt sehr persönlich<br />
ist, während sich der Prozess sehr<br />
kollaborativ entfaltet. Wenn du dein eigenes<br />
Business unter deinem eigenen<br />
Namen hast, dann stehst du vor einem<br />
immensen Druck. Du machst Fehler,<br />
aber du lernst auch aus ihnen. Das<br />
macht jeden Tag aufregend.<br />
Warum haben Sie sich für unser<br />
Schnittmuster genau für dieses<br />
Kleid aus deiner Resort-Kollektion<br />
2013 entschieden?<br />
-<br />
<br />
Bewegungen, für Volumen und eine<br />
<br />
wie ein aufwändiges Schneider-Stück<br />
mit so viel Bewegung in seiner Vollendung<br />
heruntergebrochen werden<br />
kann auf etwas Eindimensionales, auf<br />
ein Schnittmuster. Wie viel Feinheit<br />
<br />
kreieren.<br />
Und das Ziel dabei ist natürlich während<br />
des ganzen Prozesses so viel wie<br />
möglich von der emotionalen Qualität<br />
und der hineingesteckten Energie zu<br />
bewahren. Die Modellerstellung und<br />
Schnittmuster sind daher der essenzielleste<br />
Teil in unserer Arbeit.<br />
Blicken Sie manchmal nostalgisch<br />
auf die Vergangenheit zurück,<br />
in Anbetracht des „Fast Fashion<br />
Trends“, der unsere Zeit heute bestimmt?<br />
<br />
ist so wichtig, genau wie Eskapismus.<br />
Ohne Glamour gibt es keine Mode.<br />
Ich stecke so viel Sorgfalt und Leidenschaft<br />
in meine Kleider. So gehe ich viel<br />
sorgfältiger mit der Welt um, als wenn<br />
ich 100 000 T-Shirts kreieren würde.<br />
Mit meiner Sportswearlinie Spoke<br />
Z kann ich eine andere Preisklasse<br />
bedienen, bleibe aber dabei meinem<br />
Stil treu. Was ich an unserer heutigen<br />
<br />
sich durch wachsende Länder, ob Asien,<br />
Südamerika, Russland oder der<br />
Nahe Osten verändert. Dort entstehen<br />
ganz spannende Entwicklungen. Diese<br />
Länder bestimmen, wie man sich anziehen<br />
sollte. Große Freude, dass zu<br />
beobachten.<br />
Können Sie sich vorstellen, wieder<br />
nach Europa zu gehen?<br />
<br />
aber momentan arbeite ich an zwölf<br />
Kollektionen im Jahr und habe eine<br />
Brautmoden-Linie in Kooperation mit<br />
David´s Bridal. Zudem arbeiten wir<br />
an einer Eyewear-Linie und an einigen<br />
anderen Projekten. Man muss sich<br />
eben auf einen kontinuierlichen Kreativ-<br />
und Businessprozess vorbereiten<br />
und dabei stets die Emotionen und die<br />
Seele von Kleidung beschützen.<br />
Ein ziemlicher Spagat, den man da<br />
hinlegten muss …<br />
<br />
man muss wissen, wann man eingrei-<br />
<br />
lassen kann. Und das ist verdammt<br />
herausfordernd, aber man wird jedes<br />
Jahr besser darin! Mein tolles Team<br />
funktioniert wie ein kleines Theateren-<br />
<br />
<br />
arbeiten und etwas Neues zustande<br />
bringen. Man streitet sich dauernd und<br />
verträgt sich wieder und man muss<br />
trotzdem bei allem Spaß haben. Wenn<br />
du den Spaß verloren hast, dann ist es<br />
die ganze harte Arbeit nicht wert. Und<br />
man muss geduldig zu sein. Früher<br />
wollte ich alles groß und sofort, ich war<br />
komplett anders drauf. Anfangs ging es<br />
mir darum, berühmt zu werden, heute<br />
möchte ich etwas erschaffen.<br />
Zac Posen ist 1980 in Soho, New York, geboren<br />
und besuchte bereits mit 14 Jahren einen Kurs<br />
an der Parsons, designte sein erstes Kleid 2<br />
Jahre später. Nach seinem Studium am Central<br />
Saint Martins College in London gelang<br />
ihm 2002 in New York sein Durchbruch.<br />
Seither designt er Red-Carpet-Kleider für<br />
große Persönlichkeiten und wurde mehrfach<br />
mit Preisen wie dem CFDA ausgezeichnet.<br />
Nr.12<br />
58<br />
59<br />
Nr.12
1<br />
NR. 12<br />
ZAC POSEN<br />
2<br />
3<br />
Stofflänge<br />
Insgesamt:<br />
56,17 m<br />
BAHN 1 (3x)<br />
<br />
<br />
BAHN 2 (2x)<br />
<br />
<br />
BAHN 3<br />
<br />
<br />
BAHN 4 (2x)<br />
<br />
<br />
4<br />
61 Nr.12
PIN-UP<br />
Text: Michele Roten<br />
Illustration: PepiArt<br />
JAMES<br />
FRANCO<br />
WARUM JAMES FRANCO SEXY IST,<br />
DAFÜR GIBT ES UNZÄHLIGE GRÜNDE.<br />
WAHRSCHEINLICH IST ES DIE SUMME ALLER<br />
FAKTOREN, DIE FRANCO SEIN SEXAPPEAL<br />
VERLEIHEN. UM DEN ÜBERBLICK ÜBER SEIN<br />
WILDES TREIBEN ZU FASSEN, HIER EINE<br />
BESTANDSAUFNAHME.<br />
Muss man wirklich erklären, was an James Franco<br />
heiß ist? Na gut. Muss man vielleicht. Denn es<br />
ist ja nicht bloß das Offensichtliche. Es ist ja nicht<br />
bloß, dass er aussieht wie von Raffael gemalt, mit<br />
diesem schmalen, klar konturierten Gesicht, mit<br />
den perfekten Proportionen. Es ist nicht bloß,<br />
dass er das Lächeln hat, für das Lächeln überhaupt<br />
erfunden worden ist. Und Lippen, die genau<br />
so voll sind, dass man sie ablecken möchte,<br />
aber nicht zu voll, sodass sie im Weg sind. Es ist<br />
nicht bloß, dass seine Augen kaum je richtig offen<br />
sind, sondern immer in diesem halbmastigen<br />
Zustand, der entweder Müdigkeit suggeriert –<br />
die natürlich nur davon kommen kann, dass er<br />
nachts Besseres zu tun hat als zu schlafen – oder<br />
konzentriertes Interesse oder skeptisches Nach-<br />
<br />
ist. Es ist nicht bloß, dass er blutjung und völlig<br />
verlebt gleichzeitig aussieht. Es ist nicht bloß sein<br />
<br />
dass man verschämt wegschauen möchte. Es ist<br />
nicht bloß, dass er sich bisher kaum je halb nackt<br />
gezeigt hat, außer ein bisschen in „Springbreakers“,<br />
was die Vermutung nur bestärkt, dass er<br />
einen natürlichen guten Männerkörper hat, fast<br />
schon ein bisschen chubby, aber mit ausgeprägten<br />
Unterbauchmuskeln, diesem V, das nichts mit<br />
Training zu tun hat, sondern nur mit guten Genen.<br />
Es ist nicht bloß, apropos „Springbreakers“,<br />
dass nur James Franco es schafft, einen superekeligen<br />
Typ zu spielen, der von minderjährigen<br />
Möchtegerngangsterinnen zu einer Revolverlauffellatio<br />
gezwungen wird, und es macht einen total<br />
wider Willen scharf. Es ist nicht bloß, dass er uns<br />
zeigt, wie unwichtig und lächerlich unsere binä-<br />
<br />
sich konsequent weigert, irgendein Statement zu<br />
seiner Ausrichtung abzugeben. Es ist nicht bloß,<br />
dass er eine Erdung und Gelassenheit ausstrahlt,<br />
die es ihm vielleicht tatsächlich ermöglicht, Hollywood<br />
geistig unbeschadet zu überstehen. Es<br />
ist nicht bloß, dass er genug Selbstironie hat,<br />
einem „Comedy Central Roast“ seiner Person<br />
bestens gelaunt beizuwohnen. Es ist nicht bloß,<br />
<br />
bloß, dass er ständig selbst geschossene Paparazzibilder<br />
von sich twittert und sich damit über all<br />
die Gerüchte lustig macht. Es ist nicht bloß, dass<br />
er schauspielern kann. Es ist nicht bloß, dass er<br />
schreiben kann. Es ist nicht bloß, dass er malen<br />
kann. Es ist nicht bloß, dass sein Wissensdurst so<br />
groß ist, dass er sich bei Yale einschreibt, mittendrin<br />
in seiner Karriere. Es ist nicht bloß all das,<br />
<br />
hätte als der neue Pretty Boy Hollywoods und es<br />
sich doch nie leicht macht. Sondern Ambitionen<br />
hat und Risiken eingeht. Und auch scheitert.<br />
<br />
James Edward Franco wurde 1978 in Palo Alto,<br />
Kalifornien geboren, wo er mit seinen zwei Brüdern<br />
Tom und Dave aufwuchs. Seine Karriere begann Franco<br />
als Schauspieler in L.A. Inzwischen arbeitet er als<br />
Regisseur, Schriftsteller, Drehbuchautor, Filmproduzent,<br />
Künstler und Fotomodell. Franco lebt in New York City.<br />
63 Nr.12
COVER<br />
TÖCHTER BERÜHMTER VÄTER KÖNNEN SICH<br />
EIGENTLICH NUR ZWISCHEN REBELLION<br />
UND BEDINGUNGSLOSER BEWUNDERUNG<br />
ENTSCHEIDEN. RAINER JUDD HAT DA NIE<br />
MITGESPIELT. ALS TEENAGER HAT SIE IHREM<br />
VATER DONALD, EINEM DER BERÜHMTESTEN<br />
UND RADIKALSTEN KÜNSTLER DER LAND-<br />
ART- UND MINIMALISM-ART-BEWEGUNG, DIE<br />
STIRN GEBOTEN. HEUTE SORGT SIE ALS CO-<br />
VORSITZENDE DER JUDD FOUNDATION DAFÜR,<br />
DAS WERK IHRES VATERS ZU BEWAHREN<br />
Sweater Comptoir des Cotonniers<br />
Höschen Eres Chantilly<br />
UND IHM NEUES LEBEN EINZUHAUCHEN.<br />
EIN GESPRÄCH ÜBER EINE KINDHEIT IN<br />
DER WÜSTE, SNOBISTISCHE NEW YORKER<br />
MÄDCHENGANGS U N D D I E L U ST AN DER KUNST<br />
Interview Ruben Donsbach<br />
Fotos Adam Fedderly<br />
Haare Ryan Richman<br />
Styling Shelby Simon<br />
Nr.12<br />
64<br />
65<br />
Nr.12
COVER<br />
Nachthemd Stylist‘s own<br />
<strong>Fräulein</strong>: Miss <strong>Judd</strong>, Sie schreiben<br />
zurzeit an einem Drehbuch für einen<br />
abendfüllenden Spielfilm über<br />
Ihre Kindheit. Das klingt so, als<br />
wollten Sie nachträglich die Kontrolle<br />
über Ihre Erinnerung übernehmen.<br />
<br />
Drehbuch handelt von Ereignissen aus<br />
den Jahren 1976–78 komprimiert auf 12<br />
<br />
remember“ könnte dieser Film „All I<br />
don’t remember“ heißen. An die Kindheit<br />
erinnert man sich nur in Schlüsselszenen,<br />
diese verdichtet und mit<br />
nachträglichem Wissen versehen, sind<br />
die Basis meines Films. Doch er soll<br />
eine eigene Welt erschaffen, nicht nur<br />
meine vermeintlichen Erinnerungen<br />
reproduzieren.<br />
Erinnerung ist immer stark von<br />
späteren Erfahrungen überlagert.<br />
<br />
Geschichte gegenüber gewissermaßen<br />
wahrhaftig sein, aber eine eigene<br />
<br />
das Material, suche Metaphern, an die<br />
andere Menschen anschließen können.<br />
Denn ich bin sehr daran interessiert,<br />
die Aufmerksamkeit eines größeren<br />
Publikums zu erlangen.<br />
Hatten Sie als Kind das Gefühl,<br />
derart unterhaltsam und smart<br />
sein zu müssen, um die Aufmerksamkeit<br />
der Erwachsenen, nicht<br />
zuletzt die Ihres berühmten Vaters<br />
zu bekommen?<br />
<br />
das Geschichtenerzählen hat erst später<br />
in meinem Leben eine Bedeutung<br />
bekommen. An der Filmschule habe<br />
<br />
gemacht und mein Lehrer war sehr<br />
besorgt, dass ich mich nicht für den<br />
Plot interessieren würde. Ich habe<br />
diese Form der Narration einfach nicht<br />
gecheckt, habe Drehbuchklassen geschmissen,<br />
es lief nicht gut. Es war ein<br />
20-jähriger Prozess, bis ich die Natur<br />
des Geschichtenerzählens besser verstanden<br />
habe, mich dafür zu interessieren<br />
begann.<br />
Haben Sie es wirklich als mangelhaft<br />
empfunden, sich eher für<br />
experimentelles als klassisches<br />
Erzählen zu begeistern?<br />
lente<br />
sehr früh. Ich hatte immer einen<br />
„ICH MAG KLEINE<br />
KURZE DINGE, ICH<br />
MAG INSTAGRAM“<br />
guten Blick. Meine „Sprache“ war visuell,<br />
mein Schreiben glich oft einem<br />
„Stream of Consciousness“. Dadurch<br />
konnte ich die Dinge sehr dynamisch<br />
sehen. Aber man muss ein Format für<br />
<br />
Glauben Sie eigentlich, dass sich<br />
die Menschen im Internetzeitalter<br />
überhaupt noch geschlossene Geschichten<br />
erzählen werden?<br />
<br />
mag kleine, kurze Dinge, ich mag Insta-<br />
<br />
anstrengend, für ein Projekt über einen<br />
langen Zeitraum Material zu sammeln<br />
und zu ordnen. Aber! Wie toll ist es,<br />
wenn man sich die Zeit dafür nimmt,<br />
sich zurückzieht, etwas Großes schafft.<br />
Es gibt das generelle Gefühl in unserer<br />
Gesellschaft, dass es für lange Geschichten<br />
keine Zeit, keinen Raum gibt,<br />
dass diese Form des Erzählens nichts<br />
sehr „of the now“, nicht sehr zeitgemäß<br />
ist. Das mag sein. Trotzdem würde ich<br />
jeden ermutigen, einen 800-Seiten-<br />
Roman zu schreiben. Go, do it!<br />
Wir sprachen über Kindheitserinnerungen.<br />
Bevor Sie mit 6 Jahren<br />
nach Marfa, Texas, zogen, lebten<br />
Sie in der 101 Spring Street im heutigen<br />
Soho, in dem heute die <strong>Judd</strong><br />
Foundation sitzt.<br />
he<br />
Begebenheit erinnern, auch wenn<br />
mein Vater mir sagte, ich wäre da noch<br />
zu klein gewesen um das zu wissen.<br />
Er und sein Assistent packten einen<br />
Truck mit Arbeit und nahmen meinen<br />
älteren Bruder mit. Meine Mutter lief<br />
mit mir auf den Bürgersteig um sich zu<br />
verabschieden. Das ist mir sehr wichtig.<br />
Es ist wohl die einzige meiner Erinnerungen<br />
mit meinem Vater und meiner<br />
Mutter gemeinsam, als sie noch<br />
ein Paar waren. Ich glaube, darum will<br />
ich diesen Film über meine Kindheit<br />
machen. Ich möchte die Geschichte<br />
-<br />
<br />
warum es in meiner Erinnerung diese<br />
Lücke gibt ...<br />
Warum meinen Sie, gibt es diese<br />
Lücke?<br />
ben<br />
sehr traumatisch ist, dann versucht<br />
man einfach, irgendwie durchzukommen.<br />
Als Kind kann man gut<br />
verdrängen, kann einfach das Beste<br />
draus machen.<br />
Als sich Ihre Eltern trennten, ging<br />
alles sehr schnell. Ihr Vater holte<br />
Sie und Ihren Bruder von der Schule<br />
ab, setzte Sie in ein Flugzeug und<br />
flog mit Ihnen beiden nach Marfa,<br />
Texas, einen der abseitigsten und<br />
verlorensten Orte der USA mitten<br />
in der Wüste. Können Sie sich an<br />
den ersten Moment erinnern, an<br />
dem Sie dort ankamen?<br />
wesen,<br />
seit 1972, da war ich zwei Jahre<br />
alt. Ich kannte den Ort also. Es gibt fantastische<br />
Dinge dort.<br />
Es gibt die Wüste, die Stadt liegt<br />
nahe der mexikanischen Grenze.<br />
Das alles erinnert an den Mythos<br />
Amerikas, das Amerika der Pioniere.<br />
<br />
gut zu arbeiten, sowie den Raum, seine<br />
Werke über einen langen Zeitraum<br />
wirken lassen zu können. Ich selbst<br />
kann mich an vieles wieder mal nicht<br />
erinnern. Aber ich war sehr bewegt<br />
von der Schönheit dort. Der Himmel<br />
in Marfa ist unheimlich dicht. Man<br />
glaubt beinahe, die Milchstraße essen<br />
zu können, so nah ist sie einem. Man<br />
hat dort dieses eigentümliche Gefühl,<br />
<br />
selbstbewusst zu sein. Wenn ich in der<br />
Stadt bin, versuche ich mich an dieses<br />
Gefühl zu erinnern, es in mir wachzurufen.<br />
Sie haben einmal erwähnt, dass es<br />
in Marfa einen sehr starken Sinn<br />
für die Gemeinschaft gibt.<br />
<br />
und warmen Menschen angezogen. In<br />
rikanische<br />
Community. Und dann gab<br />
<br />
davon angestellt bei der Grenzwache.<br />
Haben Sie die Eltern der Grenzwache<br />
manchmal mit auf Ihre Touren<br />
genommen?<br />
<br />
nahmen uns tatsächlich mit, im Auto<br />
wie im Flugzeug. Im Nachhinein ist<br />
es wirklich unglaublich. Das war viel<br />
radikaler als heutzutage. Manchmal<br />
<br />
<br />
Flugzeug diese Sinuskurven, bei denen<br />
es kurzzeitig Schwerelosigkeit gibt. Es<br />
hat nicht ganz für uns Kinder gereicht,<br />
aber kleine Objekte schwebten im<br />
Flugzeug herum. Diese Grenzwächter<br />
hatten schon etwas von einem Daredevil,<br />
einem Draufgänger.<br />
War es nicht ein komisches Gefühl<br />
dabei zu sein, wenn mexikanische<br />
Flüchtlinge aufgegriffen wurden?<br />
<br />
in Marfa. Viele der Familien da unten<br />
leben auf beiden Seiten des Rio Grande,<br />
der die Grenze markiert. Es wird<br />
ihnen sehr schwer gemacht, sich zu<br />
besuchen. Völlig übertrieben und unnötig.<br />
Wie war in dieser Zeit das Verhältnis<br />
zu Ihrem Vater?<br />
<br />
Bruder als Kinder immer als Gleichwertige,<br />
fast wie Buddies.<br />
Hatten Sie jemals dieses Gefühl,<br />
in der Präsenz eines besonderen<br />
Künstlers zu sein, dass etwas „Großes“<br />
um sie herum geschah?<br />
<br />
zum Nachdenken … Es ja ist ein relativ<br />
neues Phänomen, dass die Künstler-<br />
Generation meines Vaters weltweite<br />
Berühmtheit erlangt hat. In den 70er-<br />
Jahren war die Kunstwelt noch sehr<br />
klein und man sagte über die Künstler<br />
von Leo Castellis berühmter Galerie,<br />
zu der neben meinem Vater auch Leute<br />
wie de Kooning, Dan Flavin und Bruce<br />
Naumann gehörten, sie seien die<br />
Speerspitze der Avantgarde. Sie waren<br />
gewissermaßen wie eine Gruppe von<br />
Wissenschaftlern, die unglaubliches<br />
Zeug machten, von dem aber seinerzeit<br />
die große Mehrzahl der Leute<br />
nichts mitbekam. Sie galten nicht von<br />
nationaler Bedeutung. Interessanterweise<br />
war das in Deutschland damals<br />
anders, man schien bei Ihnen diese Leute<br />
wahnsinnig ernst zu nehmen.<br />
Nr.12<br />
66<br />
67<br />
Nr.12
Bluse Equipment<br />
Bra & Höschen Eres Chantilly<br />
Das mit der Bekanntheit änderte<br />
sich ab den 80er-Jahren.<br />
<br />
Tochter war dann immer, meinen Vater<br />
auf dem Boden der Tatsachen zu halten,<br />
weil alle anderen ihm schmeichelten,<br />
ihm erzählten, was für ein toller<br />
Typ er sei. „I had to knock him down“,<br />
wenn sie wissen, was ich meine. Vielleicht<br />
brauchte er das auch.<br />
Hätten Sie es gerne gesehen, wenn<br />
Ihr Vater seinen heutigen Ruhm<br />
noch mitbekommen hätte?<br />
<br />
Bekanntheit so viele schöne Dinge ma-<br />
<br />
immer mehr Dinge produziert. Es gibt<br />
<br />
<br />
alles ist auf ihrer Seite.“ Er hatte dieses<br />
Feuer und Begehren in sich, physisch<br />
den Raum zu besetzen. Ihn mit Farben<br />
<br />
<br />
beschäftigt. Obwohl er so unheimlich<br />
viel produziert hat, bevor er dann mit<br />
65 Jahren gestorben ist.<br />
Als Sie 13 Jahre alt waren, zog Ihr<br />
Vater mit Ihnen und Ihrem Bruder<br />
dauerhaft zurück nach New York.<br />
Wie erging es Ihnen?<br />
lischlehrerin<br />
mit zu Shakespeare. Zudem<br />
begann ich bei „Joeffrey“ 6 Tage<br />
die Woche Ballett zu tanzen. Die Zunahme<br />
an kultureller Stimulation war<br />
riesig.<br />
Was hat Sie dazu gebracht, so obsessiv<br />
Ballett zu tanzen?<br />
-<br />
<br />
und Tänzerin. Ich bin mir gar nicht so<br />
sicher, ob es wirklich so sehr meine<br />
Passion war oder ihre. Später habe ich<br />
Hip-Hop getanzt und Fußball gespielt,<br />
das war auch okay. Aber Ballett steht<br />
natürlich für große Kreativität und Anmut<br />
innerhalb ganz klarer Strukturen<br />
und Regeln. Es war in dieser Zeit für<br />
mich wichtig, einen klaren Fokus zu<br />
haben.<br />
Stört es sie eigentlich, dass Sie<br />
Leute fast immer nach Ihrem Vater,<br />
viel seltener aber nach Ihrer<br />
Mutter fragen? Ihre Eltern haben<br />
sich nach der Trennung nicht mehr<br />
versöhnt, oder?<br />
<br />
Nr.12<br />
68<br />
69<br />
Nr.12
COVER<br />
Pullover Isabel Marant<br />
„COMING OF AGE“<br />
mir oft gewünscht habe, dass sie das<br />
hinbekommen würden. Meine Mutter<br />
und ich hatten ganz verschiedene<br />
Phasen miteinander. Aber wir sind<br />
sehr eng heute. Einerseits verstehe ich,<br />
warum Leute eher nach meinem Vater<br />
fragen. Seine Arbeit ist sehr bekannt.<br />
Andererseits habe ich erst vor Kurzem<br />
die Tänze meiner Mutter von früher<br />
sehen können, die sie in den 70er- und<br />
80er-Jahren gemacht hat. Und dadurch<br />
konnte ich auch ihr Werk begreifen<br />
und wertschätzen. Sehen Sie, es gibt so<br />
viele verschiedene Gründe, warum der<br />
kreative Output einer Person gewürdigt<br />
und einer breiten Öffentlichkeit<br />
bekannt gemacht wird, und ein anderer<br />
nicht.<br />
Nach dem Tod Ihres Vaters 1994<br />
haben Sie sich zunehmend in der<br />
posthum gegründeten <strong>Judd</strong> Foundation<br />
engagiert. Mittlerweile sind<br />
Sie gemeinsam mit Ihrem Bruder<br />
die Co-Direktorin. Diese Institution<br />
kümmert sich einerseits um<br />
den Erhalt des Werks Ihres Vaters,<br />
soll es andererseits lebendig halten.<br />
Wie machen Sie das?<br />
tigt<br />
den physischen Nachlass meines<br />
Vaters, vor allem das Gebäude 101<br />
Spring Street, instand zu setzen, dass<br />
wir grade erst begonnen haben, das<br />
Werk mit neuem Leben zu füllen. Und<br />
das ist gar nicht so einfach. Wie gestaltet<br />
man Räume, dass sich Menschen<br />
gerne in ihnen aufhalten? Wie schafft<br />
man Orte der Begegnung?<br />
Sie haben einmal gesagt, dass diese<br />
Arbeit an der Foundation, am Erbe<br />
Ihres Vaters, keine Bürde darstellt.<br />
Das ist schwer zu glauben.<br />
<br />
wie eine schwere Bürde an. Aber es<br />
ist doch gelungen, die Arbeit so zu gestalten,<br />
dass sie nach meinem Sinne<br />
ist. Die Arbeit mit meinem Bruder und<br />
dem Verwaltungsrat ist sehr kollaborativ.<br />
Außerdem habe ich eine solch große<br />
Liebe für meinen Vater und seine<br />
Arbeit, dass die Beschäftigung damit<br />
sehr bereichernd ist. Mein Bruder und<br />
ich machen grade eine iPhone-App für<br />
101 Spring Street. Man wird das Haus<br />
besichtigen können und Video-Material<br />
sichten können. Wir entwickeln<br />
also eher die Identität der Foundation,<br />
als dass wir nur administrative Arbeit<br />
machen würden.<br />
Immerhin ist es einer der Orte Ihrer<br />
Kindheit.<br />
<br />
Aber die Sache ist, Ich bin zwar eine<br />
ziemlich romantische Person, aber<br />
nicht nostalgisch veranlagt. Ich bin romantisch<br />
im Hier und Jetzt. Wenn das<br />
für Sie Sinn macht.<br />
Sie scheinen damit sehr glücklich<br />
zu sein.<br />
<br />
übrigens auch ein sehr romantischer<br />
Typ. Er mochte schöne Dinge, kaufte<br />
ständig die schönsten Löffel für die<br />
Küche. Er mochte Menschen, die Dinge<br />
herstellen konnten. Wenn jemand Essen<br />
gemacht hat, super, wenn jemand<br />
einen Stuhl hergestellt hat, auch toll. In<br />
diesem Sinne war er sehr kollaborativ<br />
und an der Gemeinschaft orientiert,<br />
war großzügig und frei. Manchmal<br />
kamen ich und meine Freunde und<br />
sagten, lass uns das Essen für die<br />
Eröffnung nächste Woche kochen!<br />
Und dann gab er jedem 20 Dollar und<br />
sagte, kauft, was ihr wollt, gern auch<br />
Eiscreme. Es gab dieses Gefühl, dass<br />
man die Dinge geteilt hat. Er teilte mit<br />
anderen seine Welt und man konnte<br />
hervortreten und schauen, wie man<br />
da hineinpassen könnte. Ich vermisse<br />
das sehr.<br />
Seit Sommer 2013 ist das New Yorker Haus<br />
der <strong>Judd</strong> Foundation 101 Spring Street für<br />
die Öffentlichkeit zugänglich.<br />
Nr.12<br />
70<br />
71<br />
Nr.12
Bluse Jolibe<br />
Hose Vintage Helmut Lang<br />
Schuhe Gucci<br />
Sonnenbrille Thom Browne<br />
EMPIRE<br />
S TATE<br />
OF<br />
HER<br />
Fotos Stefan Armbruster<br />
1. Fotoassistenz Christoph Lange<br />
2. Fotoassistenz Julian Schwentner<br />
Styling Bernat Buscato<br />
Stylingassistenz Moises De Moya<br />
Haare John Ruidant<br />
Make-Up Vincent Oquendo<br />
Models Iris & Hirschy /Suprememanagement NYC<br />
Nr.12<br />
72<br />
73<br />
Nr.12
Mantel Dries Van Noten<br />
Höschen La Perla<br />
Schuhe Vintage Helmut Lang<br />
Bustier & Bluse Acne<br />
Hose Emporio Armani<br />
Schuhe Versace<br />
Nr.12<br />
74<br />
75<br />
Nr.12
Jil Sander<br />
Schuhe Manolo Blahnik<br />
Gürtel Calvin Klein<br />
Gucci<br />
Nr.12<br />
76<br />
77<br />
Nr.12
Trenchcoat Burberry<br />
Schuhe Gucci<br />
Höschen Calvin Klein<br />
Jacke Giorgio Armani<br />
Rock Thom Browne<br />
Schuhe Versace<br />
Schleife Thom Browne<br />
Nr.12<br />
78<br />
79<br />
Nr.12
Trenchcoat Thom Browne<br />
Jacke Diesel<br />
Boots Helmut Lang<br />
Höschen Calvin Klein<br />
Blusenkleid Sacai<br />
Nr.12<br />
80<br />
81<br />
Nr.12
KÜNSTLER<br />
Foto: Irina Gavrich<br />
Styling: Max Märzinger<br />
Photoassistenz: Patrick Melech<br />
ART<br />
<br />
Hier der Beweis. Für <strong>Fräulein</strong> haben<br />
sich die Jungs der Akademie der bildenden<br />
Künste Wien vor der Kamera<br />
ausgezogen und sich unseren gnadenlosen<br />
Fragen gestellt. Wir sehen<br />
echte Männer jenseits weich gespülter<br />
Werbeästhetik und lernen, wie man<br />
am besten einen Künstler an der Bar<br />
anbaggert, wofür Dialektik gut ist und<br />
-<br />
cken muss, um aufrecht durchs Leben<br />
zu gehen. Wenn Kunst immer so cool<br />
und ungezwungen wäre, dann müsste<br />
man sich um ihre Relevanz in Zeiten<br />
des „Big Money“ keine Sorgen mehr<br />
machen.<br />
MARIO GRUBICIC<br />
SCHON MAL HEGEL GELESEN UND IRGENDWAS<br />
VERSTANDEN? – „JA, ALLES, DESWEGEN BIN ICH JA HIER!“<br />
Nr.12<br />
82<br />
83<br />
Nr.12
MARIO NEUGEBAUER<br />
MARTIN GRANDITS<br />
DER RICHTIGE DRINK UM ZU VERGESSEN?<br />
– „VODKA/ROHYPNOL“<br />
ÜBERBAU ODER UNTERBAU? – „OHO … DA IST JEMAND<br />
BELESEN!!!“<br />
Nr.12<br />
84<br />
85<br />
Nr.12
MILAN MLADENOVIC<br />
RADE PETRASEVIC<br />
LIEBE IST … – „FÄCHERFLOSSER KLONIERT MIT EINEM<br />
LÖWEN ODER EINER HYÄNE ODER FÄCHERFLOSSER<br />
KLONIERT MIT EINEM LÖWEN UND EINER HYÄNE.“<br />
DER SCHLIMMSTE MORGEN DANACH WAR MIT …<br />
– „MIR SELBST.“<br />
Nr.12<br />
86<br />
87<br />
Nr.12
FASHION<br />
Text: Sarah Harris Wallman<br />
Fotos: Bela Borsodi<br />
ONE CAR HOOKS<br />
INTO THE NEXT AND PULLS<br />
ZUM LAUNCH DER NEUEN KORREKTURFASSUNGEN HAT PRADA MIT DEM ITALIENISCHEN<br />
VERLAG GIANGIACOMO FELTRINELLI DEN LITERATURWETTBEWERB „PRADA JOURNAL“ INS<br />
LEBEN GERUFEN, AN DEM WELTWEIT 1.313 AUTOREN TEILGENOMMEN HABEN. AUS DIESEN<br />
WURDEN FÜNF GEWINNER AUSGEWÄHLT, DEREN ARBEITEN NOCH IN DIESEM JAHR IN EINEM<br />
DIGITALEN BUCH VERÖFFENTLICHT WERDEN. IM RAHMEN EINES EVENTS IN NEW YORK<br />
LASEN PERSÖNLICHKEITEN WIE OLIVER PATT, ANTHONY MACKIE, ZOE KAZAN UND GARY<br />
SHTEYNGART AUS DEN GEWINNER-GESCHICHTEN VOR. ZU UNSEREM FAVORIT HAT ES DIE<br />
KURZGESCHICHTE DER AMERIKANISCHEN AUTORIN SARAH HARRIS WALLMANN GESCHAFFT.<br />
SIE ERZÄHLT VON EINER ZUGFAHRT MENSCHLICHER BEGEGNUNGEN UND EMOTIONEN,<br />
DIE SICH GENAU BETRACHTET NICHT ANDERS ÄNDERN ALS EISENBAHNKNOTENPUNKTE.<br />
The train ran between two rival<br />
<br />
love.<br />
And yet as it burned up and down the<br />
track, it began to have feelings. This<br />
may have been a result of the friction.<br />
<br />
<br />
“Behold, sheep, I am Train”.<br />
Then it began to look inward.<br />
There are many business suits on this<br />
train; mostly men, but also women,<br />
who wish not to touch each other.<br />
They search for empty seats and tuck<br />
and retuck their coattails beneath<br />
their buttocks. They stare at their laps.<br />
They sit near the seat’s crease, hoping<br />
<br />
would rather talk to remote people on<br />
little phones. The train admires their<br />
glasses because they are like its windscreen.<br />
When charging triumphantly<br />
ahead, one should be protected from<br />
the splatter of insects.<br />
This train has been hailed as a marvel<br />
-<br />
<br />
polished metal, scrupulously maintained<br />
by a uniformed crew. Bits of garbage<br />
are laid on top, a button pressed on<br />
the side, and horizontal doors swallow<br />
the garbage then click shut. The doors<br />
to the bathroom open and shut like<br />
portals on a spaceship, making a futuristic<br />
whissh.<br />
The upholstery is a cheery take on<br />
certain modernist paintings, a design<br />
of brightly colored squares interacting<br />
<br />
seats keep everyone’s posture at optimum<br />
uprightness, though still many<br />
people managed to sleep.<br />
Increasingly, the train noticed distinctions<br />
among the people. There was this<br />
one woman…<br />
She wore glasses with sleek frames<br />
<br />
She gave everyone appraising looks<br />
that made them slink away. Then she<br />
studied her papers with a great seriousness.<br />
There were opportunities<br />
opening up in the rival cities. She was<br />
<br />
might be.<br />
There is not great variety along the<br />
<br />
sheep have for many centuries. From<br />
journey to journey, the train does not<br />
know if they are the same or different<br />
sheep.<br />
The tourists let their children run about.<br />
<br />
phy,<br />
the history and mechanics of train<br />
travel. Tissues pulled from purses to<br />
smudge barely glistening noses. This<br />
does not last. A few kilometers down<br />
the track and everyone grows tired of<br />
the window. They see no difference bet-<br />
<br />
become sulky. They had hoped for a<br />
journey, and imagined that journeys<br />
<br />
they are. The children wriggle loose and<br />
run along the aisles, books forgotten,<br />
noses dripping. They try to barge in on<br />
strangers in the toilets. The strangers<br />
become nervous and cannot urinate.<br />
This woman with the glasses has a<br />
particular repulsion for the children.<br />
She presses closer to the window as<br />
they run past, tightens her grip on the<br />
straps of her handbag. The bag will not<br />
have left her lap the entire trip and she<br />
will not have slept. Some women are<br />
sleepers. The train’s rhythm loosens<br />
their necks and parts their lips. Saliva<br />
dribbles. Not this woman.<br />
<br />
humans, the train has learned, there<br />
-<br />
<br />
knew from her daily life, another woman.<br />
They chatted for a few minutes,<br />
about the countryside, about the train.<br />
Then the woman, the sleepless one, the<br />
despiser of children, bent her neck like<br />
an awkward bird and closed her eyes.<br />
The other woman stopped talking after<br />
a time and became interested in a<br />
chocolate bar from her bag. It was badly<br />
crumbled, so it took her many mi-<br />
<br />
corners of the wrapper as she looked<br />
around to make sure no one saw. Some<br />
minutes later she discovered several<br />
stray crumbs on her lap and ate them,<br />
<br />
The acquaintance got off early at a provincial<br />
station, and the woman in the<br />
silver glasses immediately opened her<br />
eyes. She set to the papers in her case<br />
without any of the squinting or lipmoistening<br />
that usually accompanies<br />
the arrival of human wakefulness. The<br />
train realized she had only pretended<br />
sleep. This delighted the train.<br />
A man with a just discernible thinness<br />
to his hair was a usual sight to the<br />
pensive<br />
ink pens for signing important<br />
documents. This particular man was<br />
always talking to someone called Kristoff,<br />
saying “Kristoff, Kristoff, I need<br />
to know if this is the real deal.”. At that<br />
time, the real deal was not a thing that<br />
interested the train. Another of the abstractions<br />
by which humans measure<br />
the value of their lives. When he met<br />
the woman with the glasses he bought<br />
her a gin and tonic with the plastic card<br />
which harnessed human abstractions<br />
to things of value. They spoke about<br />
things the train did not yet understand.<br />
They gave each other sequences of<br />
numbers and stored them on their<br />
phones. The train was cautiously intrigued.<br />
Although they lived at the opposite end<br />
of the line, the man and the woman sometimes<br />
travelled together, crowding<br />
the seam of the seat so their thighs<br />
produced friction. The train was beginning<br />
to be interested in friction, even<br />
though it sometimes feared what the<br />
constant hum of the tracks against its<br />
wheels might convey.<br />
When the man and woman were not<br />
travelling together, they spoke to each<br />
other on little phones as the train<br />
closed the distance between them.<br />
There was a time this woman in<br />
glasses carried only a square case of<br />
proposals for investment, but increasingly<br />
she mingled papers with the soft<br />
crumpled holiday things.<br />
Brille Prada<br />
Nr.12<br />
88<br />
89<br />
Nr.12
Brille Ralph Lauren<br />
Brille Dolce & Gabbana<br />
Nr.12<br />
90<br />
91<br />
Nr.12
Brille Miu Miu<br />
Brille Jil Sander<br />
Nr.12<br />
92<br />
93<br />
Nr.12
He smiled on his journeys to her, loosening<br />
his tie as soon as the countryside<br />
accelerated, and only sometimes<br />
looked troubled on return. It became<br />
<br />
departing. Origin and terminus were<br />
shifting poles. Between them only<br />
speed and upholstery, the spine kept in<br />
perfect line. Sparkling wine in plastic<br />
cups.<br />
<br />
it fails they bitterly lament its absence.<br />
They feel cheated. They think they deserve<br />
to lean back in their seats and<br />
close their eyes until they are in the<br />
place and time they anticipated. Yet the<br />
woman in glasses, once she met this<br />
man, began to care less about timely<br />
arrivals. She even began to soften toward<br />
children, particularly little girls.<br />
When sticky children turned to chew<br />
the tops of the seats and stare at the<br />
woman behind them, she would say<br />
hello. She would ask them their names<br />
and where they got their pretty eyes.<br />
All children, she seemed to know, liked<br />
to be asked about the provenance of<br />
their eyes.<br />
Business men do not hide behind the<br />
forced cheeriness of people on holiday.<br />
They are not like the backpackers who<br />
write in ragged journals. Backpackers<br />
make word messes and insist on sharing<br />
them. “Right on,” they say.<br />
The train does not care for backpackers.<br />
It does not like their poetry or<br />
their guitars, their grubby reused water<br />
bottles and wistful postcards and<br />
nut shells, always nut shells crumbled<br />
across the upholstery. It is not that the<br />
train has no appreciation for art. With<br />
time and the humming friction of the<br />
tracks, this too has developed. It admires<br />
the ruins of aqueducts and the<br />
squares of its upholstery. It appreciates<br />
a sunset and better still, the blinking of<br />
man-made stars in the clusters where<br />
people live.<br />
But the train has its particular taste,<br />
and that taste tends toward the overlooked<br />
art of the business traveler.<br />
Many businessmen make geometry<br />
in the margins of their notebooks. It<br />
seems each suit contains a separate<br />
<br />
one of parallelograms and many-pointed<br />
stars. If anyone comes close, they<br />
shield their markings from view.<br />
Humans have a large capacity for invention.<br />
They have partitioned their<br />
countries with parallel lines and coordinated<br />
the million nuances of timetables.<br />
They set great machinery in motion<br />
and abandon it like a beautiful orphan.<br />
ver,<br />
as they intended. Humans create<br />
well, but their creations fall apart as<br />
they lose interest in maintenance.<br />
The air brake can fail to respond to the<br />
conductor’s command if it becomes<br />
depressurized. The air inside the brake<br />
mechanism wants to be let out into<br />
the boundless container of the sheep<br />
<br />
the train must maintain control over<br />
it. Of course, the train’s air coupler can<br />
become defective if the rubber of the<br />
seal degenerates and the compressed<br />
air is allowed to hiss its escape.<br />
For many months this woman traveled<br />
to that man’s country and he to hers.<br />
At the station they parted as strangers,<br />
she to her business, he to his home,<br />
or vice versa. Once he was met by his<br />
family, a wife with a pile of curls, a<br />
ded<br />
like unoiled brakes. The woman in<br />
glasses watched their embrace from a<br />
distance, pretending to squint at the<br />
timetables above their heads.<br />
<br />
is going to business and she who is<br />
headed back home for a few days,<br />
though she has begun to hint that she<br />
is not attached to her own city, that<br />
she could move from that place given<br />
“the right opportunity.”. The man is<br />
smoothing her hair. He has had one<br />
more glass of wine more than he usually<br />
allows himself; the young lady who<br />
pushed the drinks cart smiles so nice-<br />
<br />
his hand moves from her hair to the<br />
temple of her glasses. He takes them<br />
off and stores them in his pocket with<br />
<br />
to the business class toilet at the rear<br />
of their car.<br />
The metal door slides shut behind<br />
them with just a squeak more than<br />
the gentle hiss for which it was designed.<br />
Inside the cylinder of the W.C. the<br />
woman sets her heeled foot upon the<br />
toilet and they rummage around inside<br />
one another’s clothing. “Tell me,” she<br />
groans, “tell me.” The man leans in and<br />
says whatever it is close to her ear. The<br />
<br />
whole scene distasteful.<br />
The train did not stop noticing the wo-<br />
<br />
bringing the man silk ties and new<br />
<br />
-<br />
<br />
something more permanent than cho-<br />
<br />
his hands as he boarded the train. “For<br />
Emma,” the woman said as he boarded<br />
the train, “tell her I look forward to<br />
seeing her again. She has very pretty<br />
eyes.” She waved from the platform<br />
and he waved back. They weren’t traveling<br />
together that day.<br />
Before the train had cleared the station,<br />
the man stuffed the furry thing into the<br />
bin. He shoved it roughly and it dislodged<br />
one of the little metal doors. The<br />
bins were meant for smaller waste.<br />
The bear’s indiscriminate grin poked<br />
up. The man took the bear to the bathroom<br />
and buried it in the larger bin<br />
beneath the wet brown napkins. Then<br />
he washed his hands and scowled at his<br />
<br />
above the sink. “There,” he said. “You are<br />
being a fool. This can go no further.” He<br />
splashed water on his face and washed<br />
<br />
<br />
a curt nod, as if to say “so be it.”.<br />
Back in his seat he called his wife and<br />
told her things she wanted to hear before<br />
placing the phone in his suitcase,<br />
among the documents, some of them<br />
doodled with slanted hearts, some of<br />
the hearts obscured by dense scribble.<br />
The train is heavily subsidized. Each<br />
city thinks the other should contribute<br />
more to its maintenance. There are<br />
cutbacks. The prices on the beverage<br />
cart are increased. On the opinion<br />
pages strewn across empty seats, the<br />
heralds of opinion speculate how much<br />
longer things can go on this way when<br />
everyone talks about repairs and no<br />
one wants to pay for them.<br />
Should more frequent brake inspections<br />
be required? The politicians cannot<br />
even agree on what sort of salad to<br />
have at lunch. The banks are letting a<br />
few people go until some of the political<br />
questions have been settled. The real<br />
estate market slows and fewer people<br />
go on vacation. Fewer companies send<br />
their businessmen to that backwards<br />
foreign place, once brimming with investment<br />
potential, now the land where<br />
hated bureaucrats stand ready to<br />
topple the entire continent’s economy<br />
with one foolish nudge.<br />
And yet more people gather at the stations,<br />
selling plaster models of their<br />
town’s most famous buildings. And<br />
plastic key chains in the shape of the<br />
regions’ famous foods. They look des-<br />
<br />
train does not want them jingling their<br />
wares on poles so near its windows.<br />
This may frighten what passengers<br />
remain.<br />
Over time, the futuristic trash bins tarnished<br />
and began to smell of banana.<br />
Grey wads of gum clung to the outside<br />
and the hinges of the little doors<br />
fail. Now people let their empty water<br />
bottles roll away beneath the seats and<br />
pretend they have not noticed. They<br />
wad a chocolate foil wrapper and cram<br />
it between the cushions and quickly<br />
allow themselves to forget. The train is<br />
not sure if time is passing at the same<br />
speed. The friction has taught it that<br />
<br />
The upholstery has been rubbed thin<br />
in places, a blank beige gradually devouring<br />
the little squares of color. This,<br />
the train, realizes too late, is what comes<br />
of friction. Still, the spines are<br />
straight. The train will shepherd these<br />
people to proper posture whether they<br />
want it or not.<br />
The friction no longer hums but squeals<br />
like a doomsday prophet.<br />
The woman has a secret. There is no<br />
need for her to ride anymore. Sometimes<br />
she rides one way and rides back,<br />
detraining for a few hours or not at all.<br />
There is nothing for her at the far end<br />
of the line. It is the journey she wants.<br />
Her case rests very lightly on the metal<br />
bars. It contains no presents and<br />
perhaps no job. She watches businessmen.<br />
She speaks to them or makes<br />
them want to speak to her by subtle<br />
gesture.<br />
Eventually, she takes them into toilets,<br />
into empty and nearly empty carriages.<br />
She has even worked her cool, deft<br />
hand beneath a newspaper on a lap in a<br />
near-full carriage, other businessmen<br />
a seat’s width away.<br />
Once she thought her man had invented<br />
it, this mating on trains. She was<br />
no better than those bohemians with<br />
their cumbersome guitar cases and<br />
their talk of foreign lands. Bohemians<br />
speak of foreign lands with false intimacy,<br />
as if foreign places embraced<br />
them specially, as if their travels were<br />
portentous and destined.<br />
After the man stopped travelling, she<br />
said it was the mating she had really<br />
wanted.<br />
She picks them out on the platform<br />
when she can. Then it is natural that<br />
they settle into twin seats. Otherwise,<br />
ted,<br />
an action which is sure to annoy<br />
mity<br />
during travel. They will not have<br />
guessed, of course, what kind of pro-<br />
<br />
<br />
must think she is going somewhere.<br />
Before the end of the journey they will<br />
have followed her, to the toilets or nearly<br />
empty carriages, quite happily. They<br />
are seldom impeded by responsibilities<br />
at either end of the track. Her hands<br />
<br />
<br />
She still fears getting caught, but the<br />
fear is a warm-up, like the revving of<br />
an engine. In these pulsing moments<br />
there is no worry wrinkle across her<br />
forehead to betray her age. She does<br />
not say to them, “Tell me, tell me.”. If<br />
they try to touch her glasses, she gui-<br />
<br />
The train goes back and forth. The<br />
budget no longer allows for two union<br />
men to sit at its control panel, but the<br />
<br />
the ministrations of the sweating trai-<br />
ty<br />
in maintaining forward motion.<br />
<br />
back. He does not wear a suit and his<br />
lumpy bag smells of a suntan lotion<br />
leak. His hair is thinning. With him is<br />
a mother, doing her best to look happy.<br />
By the size of her baby, she has not<br />
been a mother long, but she has her<br />
<br />
beneath the eyes, which she constantly<br />
<br />
wife from the platform long ago.<br />
Behind them is an older girl child who<br />
looks something like the man. The<br />
child watches the mother and baby<br />
sullenly. She does not take an offered<br />
<br />
the woman and she is not impressed<br />
with the baby’s saliva bubbles. Ignoring<br />
the family tableau, the child methodically<br />
unpacks her bag. She prints<br />
“Emma” neatly with one pen at a time<br />
and doesn’t eat sticky sweets. As the<br />
train hurtles forward, she takes her<br />
baby doll and presses her thumbs<br />
against its painted eyeballs until its<br />
whole rubber face caves in.<br />
It does not occur to the man that the<br />
woman with silver glasses will be there.<br />
For him, that time has passed.<br />
She is walking from car to car, perusing<br />
the seats for a likely traveling companion,<br />
getting closer to him and his family,<br />
their sunglasses, their magazines,<br />
<br />
<br />
spot her. The child remembers a woman<br />
who came from the distance bearing<br />
chocolate and saying nice things<br />
about her eyes.<br />
Human emotions change as easily as<br />
railway junctions. A slight shift of position<br />
clicks into place and the whole<br />
journey changes. But a child does not<br />
forget a woman with presents.<br />
“You brought me chocolate!” says<br />
Emma, suddenly pointing at the woman<br />
in the aisle. “When I was little!”<br />
Motion stops. At least, human motion.<br />
The train slows to listen, but imperceptibly.<br />
“Now we have Julie,” says the girl, “and<br />
my half a sister.”<br />
The mother, the one called Julie, tightens<br />
her lips. She knows there have<br />
been women before her. But she does<br />
not want to know. She needs to believe<br />
she is the end of the line. She keeps<br />
her lips and stomach tight against the<br />
threat of his being apart from her, his<br />
possible travels on trains with others,<br />
to others.<br />
The man, the father of two of these females,<br />
the lover of two of these females,<br />
says the name of the one he did not<br />
choose.<br />
The woman says the name of the man.<br />
They say I’m Fine and How Are You.<br />
Standard human protocol. Now keep<br />
walking, thinks the train.<br />
<br />
“Julie’s all right,” she says. “She never<br />
brings me chockies, though.” A conciliatory<br />
comment, aimed at pleasing both<br />
women. She has a mother somewhere.<br />
Someone has taught her appeasement.<br />
But there can be no balance between<br />
the women. They feel their similarities<br />
and search for differences to judge.<br />
They do not want to be parallel.<br />
The woman in her business suit is offbalance<br />
for a moment, though the train<br />
moves smoothly, as it was designed to<br />
do. She recovers quickly. She is polite.<br />
<br />
is changed. She has been replaced, has<br />
seen what replaces her.<br />
The train, so long without maintenance,<br />
will one day be replaced. Scientists and<br />
city fathers will declare a better train,<br />
will have a ribbon-cutting ceremony,<br />
will “usher in a new era.”. There is no<br />
such thing as a permanent train. The<br />
train is proud just to be part of the lineage<br />
of progress. Most days. The days,<br />
it has noticed, have differences.<br />
The woman had wanted to be irreplaceable<br />
after all. When the door of the<br />
business class toilet whisshed shut<br />
behind her, she thought it was airtight.<br />
She thought that air worth breathing<br />
forever. She thought they were sealed<br />
off from the pressures outside.<br />
<br />
drinks little train whiskeys with diet<br />
cola. She smokes a cigarette in the<br />
loud rear carriage. She does not seek<br />
a stranger. Go on, thinks the train, just<br />
<br />
whose upholstery is clear enough so<br />
you can still see the dancing squares.<br />
There is very little gum on its under-<br />
<br />
business.<br />
“Sophie,” she says to herself. “You are a<br />
fool.” She has been nameless. She has<br />
moved in anonymous ranks of businessmen<br />
like so many beautiful iden-<br />
<br />
momentary admiration. And through it<br />
all she really wanted to live in a single<br />
<br />
The train seems to be late. Everyone is<br />
checking their watches, calculating the<br />
damage to their plans. Some of them<br />
break the silence to curse the train.<br />
Some of them curse the government of<br />
the country that is not their own. They<br />
think they may miss important things.<br />
<br />
<br />
their pressurized air, if the train fails to<br />
respond to the command to slow, if it<br />
goes hurtling terribly against the motionless<br />
landscape killing sheep and<br />
<br />
<br />
<br />
and is sliced by steel sheets and her<br />
head rolls over the burning grass, it<br />
cannot be blamed on the train. The<br />
dead will not have time to foresee any<br />
<br />
<br />
and the memorials and a great deal<br />
of paperwork, a committee will assign<br />
<br />
error.<br />
Sarah Harris Wallmann wurde 1987 geboren.<br />
Sie arbeitet als Autorin und unterrichtet<br />
am Albertus Magnus College in Connecticut<br />
(USA). Im „Prada Journal Literaturwettbewerb“<br />
wurde sie mit ihrer Kurzgeschichte „One<br />
Car Hocks into the Next and Pulls“ zu den fünf<br />
Gewinnern gewählt.<br />
Nr.12<br />
94<br />
95<br />
Nr.12
PORTRAIT<br />
LOUISE<br />
WILSON<br />
ADVOKATIN DER MODE<br />
Nr.12<br />
96<br />
97<br />
Nr.12
PORTRAIT<br />
Interview: Robert Grunenberg<br />
Foto: Jane Stockdale<br />
Central Saint Martins College of<br />
Arts and Design – dieser Name klingt<br />
nach und entfacht ein Leuchten in den<br />
Augen junger Kunststudenten und solcher,<br />
die es werden wollen. Die populäre<br />
Kunst- und Designhochschule in<br />
London, die alle CSM nennen, zieht seit<br />
den 1960er-Jahren kreative Menschen<br />
aus der ganzen Welt an die Themse.<br />
Der gute Ruf der Schule hat zu einer<br />
Mythosbildung geführt. Grund sind<br />
die harten Aufnahmebedingungen und<br />
viele bekannte Absolventen, wie Popstar<br />
M.I.A. oder die Künstler Gilbert &<br />
George. Doch kein Kurs umgibt mehr<br />
Aura als „Modedesign“. Auf kein Fach<br />
kommen mehr Bewerber, kein Fach hat<br />
bekanntere Absolventen und um kein<br />
Fach werden mehr Geschichten, Gerüchte<br />
und Legenden gesponnen. Das<br />
liegt möglicherweise an einer Person:<br />
Louise Wilson, Professorin und Direktorin<br />
des M.A.-Studiengangs „Fashion<br />
Design“.<br />
Die meisten werden Louise Wilson<br />
nicht kennen, mit Sicherheit aber die<br />
Mode ihrer Studenten. Kaum ein Dozent<br />
hat in den letzten Jahrzehnten<br />
so viele bekannte Designer hervorge-<br />
liano,<br />
Philo Phoebe, Hussein Chalayan,<br />
Christopher Kane, Sarah Burton, Zac<br />
Posen oder Ricorda Tisci – die Liste<br />
reicht über den Heftrand hinaus. Wie<br />
niemand sonst prägt Louise Wilson<br />
<br />
Wenn sie den Daumen hebt, kann<br />
das eine Karriere bedeuten. Über sie<br />
selbst sagt man, sie sei eine toughe<br />
und launische Gebieterin, eine zynische<br />
Drillinstruktorin mit eisenharten<br />
Lehrmethoden; eine gefürchtete wie<br />
gleichermaßen bewunderte Lehrerin.<br />
Wir trafen die 51-jährige Wilson, die<br />
selbst am CSM studierte, in ihrem Büro<br />
<br />
Kings Cross. Als wir ankommen, sitzt<br />
sie an ihrem Schreibtisch, spricht laut<br />
mit ihrer Sekretärin. Ihren leichten<br />
schottischen Akzent hat sie während<br />
<br />
bei Donna Karan in New York nicht<br />
verloren. Wie immer trägt Wilson<br />
Schwarz. Viel Stoff so angelegt, dass<br />
man nicht weiß, wo ihr Körper anfängt,<br />
die Kleidung aufhört. Ein Sinnbild für<br />
die Verwobenheit mit ihrem Job in der<br />
Modewelt, in der sie ihr ganzes Leben<br />
gearbeitet hat. Zeugnis davon gibt die<br />
Wand hinter ihrem Schreibtisch. Hier<br />
hängt ein Meer aus Einladungen zu<br />
<br />
Studenten, Karten mit Sprüchen wie<br />
„same shit, different year“ oder „we<br />
have nothing to say, but we are saying<br />
it anyway“. Ohne Zeit zu verlieren<br />
geht es los, es gebe Wichtigeres als<br />
ihre Person, sagt sie. Wilson macht sofort<br />
reinen Tisch und erklärt, dass sie<br />
überhaupt nichts von dem Legenden-<br />
Klischee hält, weder zu ihr noch zum<br />
Studium am CSM. Ohnehin hat sie vor,<br />
einiges richtigzustellen. Schnell wird<br />
klar, Wilson ist eine resolute, schlagfertige<br />
Frau. Gleiches fordert sie von<br />
ihrem Gegenüber. Eine intelligente<br />
Person, die unverhohlen, provokativ<br />
und leidenschaftlich über ihren Job<br />
spricht. Ein überraschendes und ernüchterndes<br />
Gespräch über Bildung,<br />
Generationen und Kreativität.<br />
<strong>Fräulein</strong>: Frau Wilson, wie ist Ihre<br />
Rolle innerhalb der Modewelt einzuordnen?<br />
ständnis<br />
ist, ich würde in der Modeindustrie<br />
arbeiten. Ich arbeite im<br />
Bildungswesen. Mein Job ist ein langweiliger<br />
Lehrerberuf. Was ich täglich<br />
mache, ist ein zermürbender und<br />
„ALLES, WAS ES IST, SIND EIN PAAR<br />
WERKSTATTTISCHE UND HARTE<br />
ARBEIT.“<br />
verdammt harter Job, ich arbeite von<br />
<br />
ohne Mittagspause. Würde ich in der<br />
Modeindustrie arbeiten, dann wär ich<br />
reich.<br />
Woher kommen diese Vorstellungen<br />
zu Ihrer Person und Ihrer Tätigkeit?<br />
<br />
die harte Arbeit, sondern haben eine<br />
falsche Idee vom Studium der Mode.<br />
Das liegt an der Industrie selbst, die<br />
mit Illusionen spielt. Vor allem aber<br />
liegt es daran, dass heute alle „fantastisch“<br />
sein wollen, jeder seinem Alter<br />
Ego frönt. Es ist nicht genug einfach<br />
nur zu sein, einen Job zu haben und<br />
diesen gut zu machen.<br />
Sieht man die vielen erfolgreichen<br />
Abgänger, die Sie hervorgebracht<br />
haben, könnte man sagen, Sie<br />
machen Ihren Job gut.<br />
<br />
machen. Aber gerade gelingt mir das<br />
nicht, denn ich produziere zurzeit nicht<br />
genug Studenten für die Industrie, die<br />
händeringend welche sucht. Doch jungen<br />
Leuten mangelt es an notwendigen<br />
<br />
sozialer Kompetenz und Arbeitsethos.<br />
Als Leiterin des Masterstudiengangs<br />
bin ich davon abhängig, was den Studenten<br />
in den Bachelorstudiengängen<br />
und in der Schule beigebracht wird.<br />
Doch wir haben seit 10 Jahren massive<br />
Kürzungen im englischen Bildungssystem;<br />
10 Jahre Mangel in der Lehre.<br />
Obendrauf wollen Studenten heute<br />
nicht hart arbeiten. Sie wollen keine<br />
Fehler machen. Man kann aber nur zusammen<br />
arbeiten, wenn man bereit ist<br />
Fehler einzugehen. Wenn Studenten zu<br />
mir kommen, sind sie im Durchschnitt<br />
22 Jahre alt. Sie kommen von einem<br />
Bildungssystem, wo sie falsches Feedback<br />
erhalten, wo sie heute ständig zu<br />
hören bekommen, sie sind toll und alles<br />
ist wundervoll.<br />
Klingt, als ob meine Generation<br />
nur aus erfolgsorientierten<br />
Narzissten besteht.<br />
on<br />
sehr narzisstisch ist. Dabei ist mir<br />
bewusst, dass jeder sagen wird, oh<br />
Moment, diese Generation ist doch fabelhaft<br />
und ich sei doch nur alt und angepisst.<br />
Ich glaube wirklich, dass Studenten<br />
heute nicht hart genug arbeiten.<br />
Bildung kann ein Türöffner sein, aber<br />
jeder Student muss selbst durch die<br />
Tür gehen. Doch das schaffen die meisten<br />
nicht, weil sie ängstlich, unerfahren<br />
oder verwirrt sind. In unserem Bildungssystem<br />
werden sie nicht darauf<br />
vorbereitet, sie arbeiten immer nur<br />
so lange sie müssen. Vielen Studenten<br />
wird nicht beigebracht, kritisch zu denken.<br />
Manche Studenten können nicht<br />
einmal einen Dialog mit Dozenten führen.<br />
Sie können und wollen über nichts<br />
anderes sprechen als über ihre Arbeit.<br />
Ich würde gerne mit ihnen über etwas<br />
anderes sprechen und diskutieren.<br />
Trotz der vielen Bewerber auf Ihren<br />
Kurs mangelt es Ihnen an Talent?<br />
nate,<br />
danach könnte man meinen, wir<br />
hätten talentierte Leute. Nein, man<br />
kratzt wirklich nach Talent. Denn man<br />
bekommt nie das ganze Paket am<br />
Anfang, selbst wenn Studenten erstklassige<br />
B.A.-Abschlüsse haben. Dass<br />
jemand gleichzeitig zeichnen, schneidern<br />
und gut mit Farbe ist, das passiert<br />
sehr selten und wenn, dann sind sie<br />
gekreuzigt, weil es echte Talente sind,<br />
die meist einen Mangel an Selbstvertrauen<br />
haben. Ein anderes Problem ist,<br />
die wirklichen Talente zur Bewerbung<br />
zu animieren, Leute, die wirklich etwas<br />
machen wollen. Viele Bewerber haben<br />
die irreführende Vorstellung St. Martins<br />
und der M.A.-Kurs sei<br />
Nr.12<br />
98<br />
99<br />
Nr.12
PORTRAIT<br />
diese schillernde Hochglanzschule.<br />
Hinzu kommt, dass die Bewerber auf<br />
die falsche Idee eines Netzwerkeffekts<br />
setzen. Die meisten Bewerber verste-<br />
<br />
paar Werkstatttische und harte Arbeit.<br />
Wie erkennen Sie ein Talent?<br />
<br />
selten vorgekommen, dass ich dachte,<br />
wow, hier ist ein Talent. Der Sinn<br />
von Bildung ist Lehren und Lernen.<br />
Würden alle hier mit „wow“ hinkommen,<br />
dann würde ich mich zurücklehnen<br />
und Wein trinken. Wir haben<br />
im Schnitt 45 Studenten im gesamten<br />
M.A.-Studiengang. Es gibt immer 3<br />
Studenten, mit denen ich gerne zusammen<br />
arbeite. Mit jungen Menschen zu<br />
<br />
einfach eine andere Generation und<br />
Interpretation. Aber, zum Teufel, wenn<br />
Studenten Mist produzieren, dann ist<br />
es eben Mist. Unternehmen fragen<br />
mich ständig nach Talenten, ich muss<br />
ihnen sagen, sorry, es gibt keine.<br />
Welche Fertigkeit braucht man<br />
und was kann man in Ihrem Kurs<br />
lernen?<br />
<br />
dieses aufspüren, ausbauen und sich<br />
voll und ganz zu eigen machen – die<br />
Studenten müssen uns etwas anbieten,<br />
das einzigartig ist, etwas, das kein Photoshop<br />
oder Illustrator reproduzieren<br />
kann. Sie müssen eine kreative DNS<br />
entwickeln. Sie glauben gar nicht, wie<br />
selten eine echte kreative Fertigkeit<br />
ist. Ich erwarte nicht, dass die Studenten<br />
wissen, was sie wollen. An einer<br />
Kunsthochschule zu studieren bedeutet<br />
nicht, die Überholspur auf der<br />
Autobahn zu nehmen. Man fährt die<br />
kurvige Route, dort entdeckt man Fähigkeiten,<br />
an die man niemals geglaubt<br />
hätte. Diese Fahrt ist stressig und dauert<br />
länger. Man versaut es, irrt sich und<br />
wiederholt es so lange, bis man seinen<br />
<br />
überrascht sein, wie selten es ist, dass<br />
Studenten ihren eigenen Kopf nutzen,<br />
Probleme und Ideen unabhänigig von<br />
anderen und von Hilfsmitteln wie<br />
Computern durchdenken.<br />
Wie gehen Sie mit dem Einfluss der<br />
neuen Medien auf das Modedesign<br />
um?<br />
sen<br />
von Kleidung, wie sie gemacht<br />
wird, wie sie funktioniert. Die Welt<br />
heute ist digital. Doch Kleidung herzustellen,<br />
sie zu verstehen, das ist ein<br />
furchtbar langer Prozess. Heute geht es<br />
darum, wie Mode auf digitalen Screens<br />
aussieht, deshalb wird Mode farblich<br />
immer heller und poppiger. Tom Ford<br />
sagte, er könne keine schwarzen Kleider<br />
mehr machen, weil es nicht gut auf<br />
einem Bildschirm aussehen würde.<br />
„KLEIDUNG HERZUSTELLEN, SIE ZU<br />
VERSTEHEN, DAS IST EIN FURCHTBAR<br />
LANGER PROZESS.“<br />
Wenn das der Anspruch ist, dann ist<br />
das ein Niedergang. Es ist eine Zeit des<br />
Geldes, des Marktes und das Geld fehlt<br />
in der Bildung.<br />
Inwiefern ist kreative Bildung ein<br />
knappes Gut?<br />
kunft.<br />
Wenn Bildung unter die Macht<br />
des Marktes fällt, dann leidet auch die<br />
Kreativität. Die ganzen Trends im Internet,<br />
wie Seapunk, die Azealia Banks<br />
dieser Welt – leere Worthüllen wie<br />
nachhaltige Mode oder Crossgender<br />
Trends. Das hat mit Mode nichts zu<br />
<br />
Blogs, Werbung, Modenschauen. Blogger<br />
z. B. schreiben nicht über Mode,<br />
sondern nur noch über sich selbst. Auf<br />
Instagram kann man den größten Mist<br />
gut aussehen lassen. Es klingt verzweifelt,<br />
aber neues Talent kommt nicht<br />
so regelmäßig, wie es immer erwartet<br />
wird.<br />
Wo sehen Sie etwas Positives in der<br />
Zukunft?<br />
<br />
einzige Grund zu lehren. Sie sind die<br />
nächste Generation, was könnte wichtiger<br />
sein? Nur ist die derzeitige Situation<br />
nicht positiv, deshalb arbeite ich<br />
mit vielen Schwachköpfen. Ich bin kein<br />
Pessimist, es ist einfach die verdammte<br />
Wahrheit und die will keiner hören.<br />
Stellen Sie zu hohe Erwartungen<br />
an die Studenten?<br />
<br />
nicht meinen Studenten, um sie dann<br />
der Industrie auf dem Servierteller<br />
zu überreichen. Ich sage und lehre<br />
meinen Studenten, was auf diesem<br />
Kursniveau erwartet wird. Ich sage<br />
auch nicht, die Modeindustrie ist hart<br />
und unfair. Ihre Entscheidung macht<br />
es hart. Das Studium ist nur auf die<br />
Studenten ausgerichtet. Wenn sie ihre<br />
Chance verblasen, dann ist das ein gro-<br />
ßer Scheißdreck, da geht viel Geld und<br />
Energie verloren.<br />
Inwiefern stehen Sie unter Druck<br />
wegen der Gelder, die Sie aus Partnerschaften<br />
mit Unternehmen wie<br />
Louis Vuitton oder Pringle erhalten?<br />
dien<br />
unterstützt werden, erzeugt das<br />
einen enormen Druck. Man hofft, dass<br />
die Kids etwas mit diesem Geld anfangen.<br />
Solche Stipendien sind essenziell.<br />
Die meisten Kids haben sich während<br />
ihres Bachelors hoch verschuldet und<br />
haben kein Geld für einen M.A. Diese<br />
Unterstützung soll die Studenten ermächtigen,<br />
ihre Projekte zu verwirklichen,<br />
denn die Sponsoren bezahlen<br />
z. B. die Shows der Abschlusskollektionen.<br />
Gerade weil die Unternehmen<br />
mit sehr viel Respekt zu uns kommen,<br />
ist es beschämend, wenn wir vielen<br />
Trotteln ein Stipendium besorgen. Die<br />
Industrie versteht die Schwierigkeiten,<br />
die wir haben. Sie waren bei uns in den<br />
Werkstätten und haben gesehen, was<br />
für schreckliche Arbeit mitunter produziert<br />
wird.<br />
Was wäre ein Grund, Mode am<br />
CSM zu studieren?<br />
<br />
wenn du wirklich arbeiten willst, dann<br />
bekommst du tolle Möglichkeiten. Ich<br />
will Studenten dazu befähigen, ihr Bestes<br />
zu leisten. Denn sie haben die Chan-<br />
<br />
zu arbeiten, ihre Mode hochwertig produzieren<br />
zu lassen, sie können tolle Fotografen<br />
treffen und die Welt bereisen.<br />
Letztlich müssen alle entscheiden, wo<br />
sie arbeiten wollen. Es gibt Studenten,<br />
die gehen gleich nach dem Abschluss<br />
nach Paris zu einem großen Label, ha-<br />
<br />
trem gut bezahlt. Andere leben von der<br />
Hand in den Mund, weil sie ihr eigenes<br />
Ding machen und damit glücklich sind.<br />
Die Modeindustrie ist ein gutes Gewerbe<br />
zum Arbeiten. CSM bietet den Einstieg<br />
auf höchstem Niveau.<br />
Louise Wilson, 1962 in Cambridge geboren,<br />
wuchs in Schottland auf. Nach ihrem Modedesign-Studium<br />
am Central Saint Martins<br />
arbeite sie als Chefin bei Donna Karan in New<br />
York. Seit 1992 ist sie Professorin und Leiterin<br />
des M.A.-Studiengangs am CSM. Sie lebt in<br />
London und hat einen Sohn.<br />
Nr.12<br />
100<br />
101<br />
Nr.12
coco<br />
katsura<br />
DER KÖRPER<br />
Interview: Maja Hoock<br />
Foto: Heiko Richard<br />
DIE JAPANERIN COCO KATSURA IST<br />
MEISTERIN DES BONDAGE UND SM-<br />
MISTRESS, ALSO EINE FRAU, DIE MÄNNERN<br />
BERUFLICH SCHMERZEN ZUFÜGT.<br />
MIT FRÄULEIN HAT SIE ÜBER<br />
UNKÖRPERLICHE LIEBE GESPROCHEN.<br />
<strong>Fräulein</strong>: Sie kommen aus Tokio.<br />
Ist dort das Sexleben wirklich<br />
so verrückt?<br />
<br />
verrückte Läden. Zum Bespiel gibt es<br />
Baby-Clubs, worin sich Männer in die<br />
Zeit zurückversetzen, als sie Säuglinge<br />
waren. In der japanischen Gesellschaft<br />
lastet ein großer Druck auf den Menschen,<br />
besonders in der Arbeitswelt.<br />
<br />
können nie sie selbst sein. Im Baby-<br />
Play, wenn sie nur essen, trinken und<br />
in die Windeln machen, geben sie für<br />
diese Zeit alle Verantwortung ab. Das<br />
bedeutet Freiheit.<br />
Gibt es so etwas in Deutschland<br />
auch?<br />
prägt.<br />
Ich habe solche Clubs hier noch<br />
nie gesehen. Es gibt aber Parallelen<br />
zwischen der deutschen und der japanischen<br />
Mentalität.<br />
Was für Leute gehen in solche Fetisch-Clubs?<br />
sitionen,<br />
die viel Verantwortung tragen<br />
müssen. Aber es gibt auch Menschen,<br />
die als Kinder Traumata erfahren haben.<br />
Das spielt im Erwachsenenalter<br />
<br />
Wie haben Sie gemerkt, dass Sie<br />
Sadistin sind?<br />
<br />
es gab ein Mädchen, das mir immer<br />
mein Mittagessen gebracht hat. Ich<br />
wusste nicht so richtig, was das sollte.<br />
Irgendwann hat sie mich gefragt, ob<br />
ich etwas für sie tun kann. Niemand<br />
war im Klassenzimmer und ich habe<br />
sie mit dem Vorhang und einem Schal<br />
festgebunden und ihr in die Brüste gezwickt.<br />
Da war ich vielleicht zwölf.<br />
Wie sind Sie dann Mistress geworden?<br />
<br />
Queens und SM-Leute gegeben und ich<br />
sollte an diesem Abend als Mistress<br />
einspringen. Als ich dann in der Rolle<br />
war, wurde mir einiges klar. Ich hatte<br />
die ganze Zeit diese Gefühle in mir und<br />
wusste nicht, wie ich sie einordnen<br />
und kanalisieren soll. Also wurde ich<br />
mit 26 Jahren ich selbst. Am nächsten<br />
Tag hatte ich direkt ein Bewerbungsgespräch<br />
in einem SM-Club und konnte<br />
anfangen.<br />
Wie viele Männer waren schon als<br />
Kunden bei Ihnen?<br />
<br />
1.000 oder mehr.<br />
Warum werden Schmerzen von<br />
manchen Leuten als Lust empfunden,<br />
obwohl das eigentlich konträr<br />
zum Lebenshaltungstrieb steht?<br />
<br />
wenn die Läufer das sogenannte<br />
<br />
eine Art Rauschzustand oder Euphorie.<br />
Schmerzerfahrungen können wie<br />
körperliche Anstrengungen auch ein<br />
tung<br />
von Endorphinen hervorrufen.<br />
Manche Kunden wollen aber nicht nur<br />
Schmerzen, sondern oft auch ein psychologisches<br />
Spiel.<br />
Wie sieht so ein Spiel aus?<br />
<br />
den Männern das Gefühl, total unter<br />
meiner Kontrolle zu stehen. Ich<br />
nehme ihnen die Bewegungsfreiheit<br />
durch Fesselung und etwas von ihrer<br />
Wahrnehmung wie das Hören durch<br />
Kopfhörer. Das verstärkt die anderen<br />
Sinneseindrücke. Oft lasse ich sie dabei<br />
in einen Spiegel schauen, ich komme<br />
von hinten an sie heran und wenn sie<br />
aufgeregt sind, befehle ich ihnen, auf<br />
die Knie zu gehen wie ein Hund.<br />
Welche Mittel setzten Sie noch ein,<br />
um die Männer in den Zustand zu<br />
versetzen, den sie sich wünschen?<br />
mung<br />
harten Elektro oder Ambient<br />
und passe die Bewegungen an. Und ich<br />
verwende Gerüche. Zitronengras ist<br />
gut, um wach zu machen. Majoran ist<br />
dagegen gut, um zu beruhigen. Ich versuche<br />
diese Dinge so einzusetzen, dass<br />
sie gut für die Psyche der Kunden sind.<br />
Spielen bei dieser Manipulation<br />
der Sinne auch Drogen eine Rolle?<br />
<br />
sie zu mir kommen. Manche nehmen<br />
Speed, um absolut wach zu sein und<br />
alles doppelt so stark wahrzunehmen.<br />
Oder MDMA, um sich warm und geborgen<br />
zu fühlen. SM-Persönlichkeiten<br />
kennen kein Mittelmaß, interessieren<br />
stände<br />
und wollen ihren Körper und<br />
ihren Geist voll und ganz einnehmen<br />
lassen.<br />
Wollen diese Männer auch Angst<br />
erfahren?<br />
<br />
Schocks erleben. Wenn sie Angst vor<br />
Schmerzen haben, zeige ich ihnen<br />
scharfe Werkzeuge. Sie müssen sie<br />
ansehen, bevor ich sie damit schneide.<br />
Dieses ganze Hard-Play mache ich<br />
aber nicht mehr so gerne.<br />
Ejakulieren die Männer, wenn sie<br />
geschlagen werden?<br />
<br />
Ball Torture“. Ich trete sie in den Bereich<br />
oder mache im Intimbereich ein<br />
festes Bondage oder stecke etwas in die<br />
<br />
Man sieht ihnen normalerweise nichts<br />
an. Aber wenn sie ejakulieren, sehe ich<br />
etwas, ein Barometer.<br />
Wie oft kommen die Männer für<br />
gewöhnlich zu Ihnen?<br />
<br />
Was bedeuten die Besuche für sie?<br />
<br />
indem sie ein seltsames Gefühl oder<br />
Verlangen aus sich herausbekommen.<br />
Ich erziele ähnliche Effekte wie mit<br />
Yoga. Körperlich und geistig sind die<br />
Männer danach völlig entspannt. Sie<br />
haben etwas durchlebt, das sie völlig<br />
beansprucht hat, sich voll auf die<br />
Schmerzen konzentriert und total die<br />
Kontrolle abgegeben. So haben sie eine<br />
Art Katharsis erfahren, also seelische<br />
Reinigung durch das Ausleben der<br />
Emotionen.<br />
Wie lange dauert so eine Sitzung<br />
normalerweise?<br />
<br />
„ICH ERZIELE<br />
ÄHNLICHE EFFEKTE<br />
WIE MIT YOGA”<br />
sehr teuer wird und sich das die wenigsten<br />
Leute leisten können. Ich hatte<br />
aber auch schon mal jemanden zwei<br />
<br />
Was war das für ein Auftrag?<br />
<br />
gehegter Traum von meinem Kunden<br />
und wir haben schon ein halbes Jahr<br />
lang darüber gesprochen. Endlich ist<br />
dieser Tag für ihn gekommen und er<br />
hat eine Hütte in den Bergen gemietet.<br />
Wir sind zusammen rausgefahren<br />
<br />
Auto mitgebracht. Ich habe im oberen<br />
Zimmer geschlafen und er war unten<br />
<br />
Hundeleine. Er hat nur meinen Urin<br />
getrunken. Es hat ihn sehr glücklich<br />
gemacht.<br />
Als die zwei Tage vorbei waren,<br />
sind Sie ja zusammen in einem<br />
Auto zurück nach Tokio gefahren.<br />
Worüber redet man nach so einer<br />
Erfahrung? Über das Wetter?<br />
sprochen<br />
und ich habe geprüft, ob er<br />
okay ist. Dann haben wir aber auch<br />
normal über seine Firma geredet.<br />
Die Männer müssen ein sehr großes<br />
Vertrauen zu ihnen haben, wenn sie<br />
sich derart hingeben und ausliefern.<br />
Welche Rolle spielt Vertrauen?<br />
<br />
zwischen Körper und Geist. Ich habe<br />
einige sehr tiefe Beziehungen zu Kunden<br />
gehabt. Mit einigen habe ich viele<br />
Jahre lang gearbeitet. Wenn sie mir<br />
vertrauen, macht mich das glücklich<br />
und stolz.<br />
Haben Sie auch Sex mit den Kunden?<br />
<br />
mit denen ich zusammen bin.<br />
Wissen Ihre Partner von Ihrem<br />
Beruf ?<br />
<br />
ehrlich. Sie denken dann immer daran.<br />
Das ist ein Riesenproblem.<br />
Spielt SM in Ihren Beziehungen<br />
eine Rolle und wenn ja, tauschen<br />
Sie dann manchmal die Rollen?<br />
<br />
und ich habe auch noch nie eine devote<br />
Rolle eingenommen. Für mich ist nor-<br />
<br />
Bestrafung wie im SM. Es fühlt sich<br />
an, als würden Mäuse durch meinen<br />
<br />
starkes Gefühl. Das ist so intensiv und<br />
darum wirklich nur etwas, das ich mit<br />
einem Mann erleben will, den ich liebe.<br />
Wollen Sie irgendwann auch Ihr eigenes<br />
Studio?<br />
Ja, aber kein SM-Studio. Ich habe langsam<br />
genug von der männlichen Lust.<br />
Sie ist so stark. Ich will einen Ort der<br />
geistigen und körperlichen Freiheit<br />
erschaffen. Kunden sind dann eher<br />
Frauen und je nach Mentalität und Alter<br />
mache ich etwas anderes mit ihnen,<br />
zum Beispiel Bondage. Ich arbeite mit<br />
einer Parfümeurin zusammen und will<br />
das mit Düften unterstützen. Es wird<br />
<br />
Das ist der Weg für mich aus dem absoluten<br />
Underground und dem Nachtleben<br />
zurück in die Gesellschaft und<br />
ans Tageslicht.<br />
CoCo Katsura war zunächst Assistentin in<br />
einem Foto-Studio und hat mit 26 Jahren<br />
begonnen, in Tokio als Mistress zu arbeiten.<br />
Jahrelang hat sie auch in Amsterdam im<br />
SM-Bereich gearbeitet. Heute ist sie 40 Jahre<br />
alt und lebt in Berlin. Sie arbeitet in einem<br />
SM-Club, gibt Bondage-Workshops und<br />
macht Kunst-Performances.<br />
(http://www.cocokatsura.com)<br />
Zum Foto:<br />
Haare & Make-up: Sonja Shenouda<br />
Asisstenz: Lennart Etsiwah<br />
Postproduktion: Christina Stivali<br />
Nr.12<br />
102<br />
103<br />
Nr.12
REPORTAGE<br />
Text: Maja Hoock<br />
ES GIBT WOHL KAUM EIN M EDIUM, BEI DEM I M A G E<br />
UND R EALITÄT S O WEIT AUS E I N A N D E R K L A F F E N W I E<br />
BEI V I C E: ES KLINGT NOC H, WIE DAS FANZ I N E V O R<br />
20 JAHREN, IS T ABER LÄNGS T EIN INTERNATIONALES<br />
M EDIENIMPERIUM: W IE U NDERGROUND Z U R<br />
M A SSENKULTUR WURDE UND WAS DAS F Ü R D E N<br />
JOURNALIS MUS BEDEUTET.<br />
1994<br />
Gründung in Kanada als Voice of Montreal von<br />
1996<br />
Umbenennung in Vice und<br />
1999<br />
Umzug nach New York, um mehr Street-Wear-<br />
2007<br />
eigene Film Website VBS.tv<br />
2011<br />
VBS.tv und viceland.com werden<br />
2013<br />
vice.com bekommt zahlreiche Sub-Seiten.<br />
2014<br />
Vice bekommt eine eigene Nachrichten-Seite mit<br />
den drei Arbeitslosen Suroosh Alvi, Shane Smith<br />
Gründung der Website viceland.com<br />
Anzeigenkunden zu gewinnen. Gleichzeitig<br />
zur Website vice.com<br />
Über 3 Millionen Nutzer haben den Vice-You-<br />
Redaktionen auf der ganzen Welt<br />
and Gavin McInnes als ein Magazin, das von der<br />
Gründung einer eigenen Redaktion in England<br />
tube-Channel abonniert, Vice wird zum Lead-<br />
Regierung als Arbeitsbeschaffungs-Maßnahme<br />
durch Andy Capper<br />
Magazin des Jahres gewählt, Rupert Murdoch<br />
unterstützt wurde<br />
kauft 5 Prozent der Vice Media.<br />
Nr.12<br />
104<br />
105 Nr.12
REPORTAGE<br />
Es eine aufregende Zeit für den<br />
Journalismus, denn gerade wird sichtbar,<br />
wer den Presse-Darwinismus der<br />
letzten Jahre überlebt. Zeitungen wie<br />
die „Financial Times Deutschland“<br />
machten dicht, weil sie durch Gratis-<br />
Journalismus im Netz abgelöst wurden<br />
und Firmen keine Werbung in Blättern<br />
schalten, die niemand mehr liest. Auch<br />
das öffentlich-rechtliche TV schließt<br />
Sender wie ZDF-Kultur, weil niemand<br />
mehr einschaltet. Auf der anderen<br />
Seite gibt es Gewinner wie „Spiegel<br />
Online“, das sich als eine der ersten<br />
-<br />
<br />
<br />
Post“, die monatlich von 77 Millionen<br />
Besuchern gelesen wird, oder die Seite<br />
„Arte Creative“, die intensiv an neuen<br />
Wegen für den Kultur-Journalismus arbeitet.<br />
Und dann ist da ein ehemaliges<br />
Punk-Heft, das zum 1,4 Milliarden-Dol-<br />
<br />
erfolgreichste Medium aus den Jahren<br />
nach der Medienkrise und eines der<br />
wenigen, das immer mehr Autoren<br />
einstellt, statt sie zu entlassen. Ein<br />
genauer Blick auf Vice verrät darum<br />
einiges über die mögliche Zukunft des<br />
„ES GIBT NUR ZWEI UNTERNEHMEN IN<br />
DER WELT, DIE MIR HELFEN KÖNNEN.<br />
DAS SIND FACEBOOK UND GOOGLE,<br />
DENN SIE STELLEN MIR DAS GRÖSSTE<br />
DIGITALE NETZWERK DER WELT ZUR<br />
VERFÜGUNG.“<br />
SHANE SMITH<br />
GRÜNDER, VICE MAGAZINE<br />
Journalismus.<br />
Kommt man in das Berliner Vice-Büro,<br />
das sich über mehrere Flügel eines<br />
<br />
neben dem Empfang eine Schauwand<br />
mit Dutzenden Ausgaben, darunter Titel<br />
wie „It’s actually quite weird“ oder<br />
„Identity Crisis“. Diese Cover erzählen<br />
viel über den Vice-Stil, den man als<br />
kalkulierten Irrsinn beschreiben kann.<br />
Hier, in seinem Büro in Berlin-Mitte,<br />
dem Pendant zum Hauptsitz im New<br />
Yorker Szenebezirk Williamsburg, sitzt<br />
Tom Littlewood. Der Brite ist 2008 in<br />
die Berliner Fünf-Mann-Redaktion<br />
gekommen. Heute ist der 29-Jährige<br />
<br />
besitzt das Auftreten eines Mannes,<br />
der die Entwicklung vom Gratis-Blatt<br />
zu einem globalen Konzern mit 200<br />
Millionen Dollar Umsatz im Jahr mit-<br />
<br />
breit auf ein enormes Ledersofa im<br />
Aufenthaltsraum und schaut durch<br />
<br />
Büro, in dem modern gekleidete, junge<br />
Menschen konzentriert in mehreren<br />
Reihen arbeiten. „Wir haben über den<br />
Tellerrand geschaut“, sagt Littlewood<br />
tief und langsam. „Der logische Schritt<br />
war, nicht nur für die Nische zu arbeiten,<br />
sondern auch über wichtige gesellschaftspolitische<br />
Dinge zu reden. Aber<br />
auf die gleiche Weise, wie wir früher<br />
ben<br />
- und es immer noch tun.“ Das<br />
war so, als Gavin McInnes, Suroosh<br />
Alvi und Shane Smith 1994 in Montreal<br />
Vice erfanden und darin Punk und<br />
Drogenkonsum feierten. Fast 20 Jahre<br />
später ist das Magazin immer noch so<br />
politisch unkorrekt, dass einem ein<br />
Zentner deutsche Moralinsäure vom<br />
Herzen fällt. Immerhin bedeutet der<br />
Titel nicht nur „Laster“, sondern steht<br />
<br />
Vice ist nicht der Antichrist, aber doch<br />
der Anti-Kitsch. Und der verführt die<br />
Leser zum unkorrekten Blick, wenn<br />
etwa Hamilton Morris psychoaktive<br />
Frösche im Dschungel ableckt, oder<br />
in einer plastischen Anleitung für das<br />
„Darknet“ erklärt wird, wie man online<br />
sante<br />
Themen, die man oftmals nur bei<br />
<br />
und teils absichtlich unschön gemacht.<br />
Manchmal ist Vice die kritische Stimme<br />
in Sachen Politik und Gesellschaft,<br />
manchmal will es anekeln. Das steht<br />
in Amerika in der literarischen, provozierenden<br />
und Ich-bezogenen Tradition<br />
des Gonzo-Journalismus von<br />
Tom Wolfe oder Hunter S. Thompson.<br />
„In Deutschland wird das noch nicht<br />
ganz verstanden“, sagt Tom Littlewood.<br />
„Aber wir arbeiten daran.“ Immerhin<br />
hat die Presse hierzulande nach der<br />
manipulierten Medienlandschaft der<br />
Nazizeit eine größtmögliche Objektivität<br />
idealisiert und steht damit in einer<br />
anderen Tradition. Während es in den<br />
meisten Zeitungen also noch - oder<br />
spätestens seit Tom Kummer wieder -<br />
verboten ist, subjektiv zu sein, schreibt<br />
Vice im amerikanischen Stil und gibt<br />
<br />
fand etwa heraus, dass der Diktator<br />
Kim Jong Un großer Basketballfan ist,<br />
überzeugte den Allstar Dennis Rodman<br />
nach Nordkorea zu fahren und<br />
schmuggelte eigene Journalisten in seiner<br />
Entourage mit ins hermetisch abgeschirmte<br />
Land. Und wenn man vor<br />
lauter Syrien-Meldungen schon das<br />
Gefühl dafür verloren hat, wie schlimm<br />
der Bürgerkrieg eigentlich ist, bringt<br />
Vice einen „Guide to Syria“ heraus, in<br />
dem alle wichtigen Informationen zusammengefasst<br />
wurden, um den Kon-<br />
<br />
Diese Ausgabe trug maßgeblich dazu<br />
bei, dass Vice zum Lead Magazin des<br />
Jahres gewählt wurde. Leider wird jedes<br />
Thema, besonders wenn es von<br />
sich aus kein Schock-Potenzial besitzt,<br />
in den provokanten Vice-Stil gezwängt<br />
und dabei ist es egal, ob es um die Zunge<br />
von Miley Cyrus oder um Kriegsverbrechen<br />
geht. Das kann auf die Dauer<br />
<br />
bereits Nachahmer wie den Blog „Neue<br />
„ICH WÜRDE DEN GESAMTEN KONZERN<br />
ALS EINE ART OMNIBUS BESCHREIBEN.<br />
HIER KANN JEDER MITFAHREN UND ES<br />
GIBT UNGLAUBLICH VIELE GESCHICHTEN,<br />
DIE WÄHREND EINER FAHRT<br />
PASSIEREN.“<br />
SUROOSH ALVI<br />
GRÜNDER, VICE MAGAZINE<br />
Elite“. So wächst Vice monatlich. Es<br />
gibt nicht mehr nur die gratis verteil-<br />
<br />
1,2 Millionen, sondern einen Konzern<br />
mit 4000 Mitarbeitern weltweit. Gerade<br />
werden Büros in Indien und China<br />
aufgebaut. Vice ist ein eigener Kreislauf,<br />
der von Trends berichtet und sie<br />
gleichzeitig selbst hervorbringt, denn<br />
das Unternehmen schreibt über Musik<br />
und Filme und bringt sie gleichzeitig<br />
heraus. Zu diesem selbsterhaltenden<br />
System gehören eine eigene Platten-<br />
<br />
die Vice-Event-Agentur und TV-Abteilungen,<br />
in denen sogar Beiträge für das<br />
öffentlich-rechtliche Fernsehen produziert<br />
werden. Dazu kommen dreizehn<br />
Online-Plattformen, die so ziemlich<br />
alle Themen von „Videospiel-Fashion“<br />
<br />
<br />
Es gibt die Hauptseite, auf der alles<br />
zusammenläuft, und die Musik-Seiten<br />
„Noisey“ und „Thump“, deren Empfehlungen<br />
einen ähnlichen Status wie<br />
chies“<br />
befasst sich mit Essen und Trinken,<br />
„The Creators Project“ im weitesten<br />
Sinn mit Kunst, „Motherboard“<br />
mit Wissenschaft, „i-D“ mit Mode,<br />
„Gaming“ mit Videospielen, „Fightland“<br />
mit Kampfsport und auf „Vice on<br />
HBO“ werden Filme gezeigt, die für den<br />
amerikanischen TV-Sender gemacht<br />
wurden. Im nächsten Jahr kommen<br />
„Sports“, „Travel“ und die Foto-Seite<br />
„Capture“ dazu. Damit kommt Vice<br />
mehr oder weniger zu den klassischen<br />
journalistischen Ressorts zurück und<br />
<br />
und Bildern. Es spricht einiges dafür,<br />
dass diese Crossmedialität für die<br />
Zukunft des Journalismus eine Rolle<br />
spielt, denn es ist sinnvoll, zum Artikel<br />
über eine Band auch das Musikvideo<br />
zu zeigen. Die Frage, die sich die meisten<br />
Gratis-Online-Plattformen aber<br />
nach einer Weile stellten, war immer<br />
die der Finanzierung. Es gibt daher die<br />
allgemeine Tendenz im Journalismus,<br />
dass der Stundenlohn für freie Journalisten<br />
weniger als drei Euro beträgt. Die<br />
ten<br />
meist unbezahlt und auch bei Vice<br />
bringen Online-Artikel nach eigener<br />
<br />
reichen Autoren auf der ganzen Welt<br />
ben<br />
gilt als Auszeichnung im modernen<br />
-<br />
ler<br />
Tageszeitungen nebenbei betrieben<br />
werden, betreibt Vice eigene Online-<br />
<br />
<br />
Das bringt Klicks, Werbekunden und<br />
<br />
So baut die Firma ab Januar seinen<br />
Nachrichten-Service weiter aus und<br />
eröffnet mit „Vice-News“ eine eigene<br />
internationale Nachrichten-Seite.<br />
Nr.12<br />
106<br />
107<br />
Nr.12
REPORTAGE<br />
LOS ANGELES<br />
MONTREAL<br />
TORONTO<br />
NEW YORK<br />
OSLO<br />
HELSINKI<br />
ODENSE STOCKHOLM<br />
AMSTERDAM MOSKAU<br />
WARSCHAU<br />
LONDON<br />
BERLIN<br />
ANTWERPEN<br />
PRAG<br />
PARIS WIEN<br />
MAILAND BUKAREST<br />
BARCELONA<br />
SOFIA<br />
PORTO LIECHTENSTEIN ATHEN<br />
PEKING<br />
SEOUL<br />
TOKIO<br />
MEXIKO STADT<br />
MUMBAI<br />
TAIWAN<br />
BOGOTA<br />
SÃO PAOLO<br />
WELTWEITE STANDORTE<br />
VON VICE<br />
SANTIAGO<br />
BUENOS AIRES<br />
KAPSTADT<br />
MELBOURNE<br />
AUCKLAND<br />
VICE AUSGABE #1<br />
„Wir wollen tagesaktuell berichten,<br />
und zwar nicht nur in Form von einem<br />
Ticker, sondern mit hochwertigen und<br />
tiefgehenden Dokumentationen“, sagt<br />
Tom Littlewood. „Dazu brauchen wir<br />
neue Produzenten, Rechercheure und<br />
Journalisten. Unsere Redaktion wird<br />
sich verdoppeln.“ Spätestens damit<br />
wird das Unternehmen zum Global-<br />
<br />
<br />
Alteingesessene Medienhäuser beauftragen<br />
seit Jahren Spezialisten, um an<br />
diese Gruppe heranzukommen. So soll<br />
bald ein eigener ARD und ZDF-Jugendkanal<br />
entstehen, Programme werden<br />
VIVA-ähnlicher gestaltet. Dabei stellen<br />
die Redaktionen ironischerweise aus<br />
Geldmangel kaum noch junge Leute<br />
ein, die einen natürlichen Zugang zur<br />
Zielgruppe haben, und die Versuche<br />
bleiben realitätsfremd. Vice dagegen<br />
hat sich weder dem Internet noch den<br />
Ideen junger Kreativer verwehrt, sondern<br />
beides zu seinem Markenzeichen<br />
gemacht. Man verfügt vielleicht nicht<br />
über Zeitungs-Größen wie Claudius<br />
Seidl oder Heribert Prantl, hat dafür<br />
aber Zugang zu einer in den 90er Jahren<br />
und später sozialisierten Generation,<br />
die weiß, wie es sich anfühlt, wenn<br />
man nach dem Studium als Praktikant<br />
täglich 12 Stunden am Laptop arbeitet.<br />
Für diese Digital-Natives ist Vice so<br />
etwas wie die Bibel, „Der Spiegel“ und<br />
<br />
darin Trost, investigativen Journalismus,<br />
Unterhaltung und Style-Inspiration.<br />
Die in Deutschland aufrufbare<br />
Facebook-Seite hat 1,6 Millionen Likes,<br />
Spiegel Online eine Million weniger. 1,6<br />
Millionen Leser bekommen mit dem<br />
<br />
Nachrichten von Vice. Diese verbreiten<br />
sich wie Bakterien vom Haltegriff<br />
in der U-Bahn. Das macht Vice attraktiv<br />
für Firmen, die sich für die 15- bis<br />
34-Jährigen interessieren – also für 90<br />
<br />
So ist es kein Zufall, dass Vice eine ei-<br />
<br />
sind Firmen wie Adidas, Coca-Cola<br />
und Nike. Auf der Homepage heißt<br />
<br />
wichtigsten Zielgruppen zu erreichen“.<br />
Das bedeutet, Vice verkauft seinen<br />
charakteristischen Stil an Firmen, die<br />
damit die werbe-resistente Generati-<br />
<br />
Fernsehpublikum wird immer älter —<br />
das Durchschnittsalter der Zuschauer,<br />
die das Programm verfolgen, liegt bei<br />
über 50 Jahren — während die Gruppe<br />
der 15-34-Jährigen mit der größten<br />
Kaufkraft ihren Konsum auf Onlineangebote<br />
verlagern. Finde heraus, wie<br />
wir an sie herankommen …“ Problematisch<br />
wird das, wenn Vice damit<br />
von diesen Firmen anhängig wird.<br />
Berichte über die schlimmen Zustände<br />
in T-Shirt-Fabriken verlieren ihre<br />
Kraft, wenn das Unternehmen so eng<br />
mit Nike zusammenarbeitet, dass kritische<br />
Artikel über die Nike-Fabriken in<br />
Bangladesch unmöglich werden. Stattdessen<br />
haben auffällig viele positive<br />
Mode-Artikel mit Nike zu tun. Vice hat<br />
außerdem auf Facebook Nike Running,<br />
Nike Sportswear, Nike Football, Adidas<br />
und das „Vitaminwater“ von Coca-Cola<br />
mit „Gefällt mir“ markiert, also lauter<br />
Marken, die „Advice“-Kunden sind.<br />
Dass dann im August Rupert Murdoch<br />
fünf Prozent der Vice-Media erworben<br />
hat, trägt auch nicht zur Glaubwürdigkeit<br />
des Unternehmens bei. Immerhin<br />
ist der wertkonservative Medienmogul<br />
dafür bekannt, politische Ansichten<br />
über seine Medien zu verbreiten. Vice<br />
nähert sich so zunehmend einem Bereich<br />
an, der konträr zu dem steht, was<br />
<br />
Establishment. Auf der einen Seite<br />
bringt die Verbrüderung mit der Wirtschaft<br />
Geld für den Journalismus, der<br />
<br />
steckt. Das ermöglicht es, den Kreislauf<br />
der schlechten Bezahlung von<br />
Journalisten zu durchbrechen und in<br />
Recherche und politisch unabhängige<br />
Journalisten auf der ganzen Welt zu<br />
investieren. Diese Chance sollte Vice<br />
nutzen. Auf der anderen Seite wird<br />
der Journalismus durch die enge Zusammenarbeit<br />
mit Firmen immer korrumpierbarer.<br />
Wenn also kein besserer<br />
Weg gefunden wird, Geld zu verdienen,<br />
besteht die Zukunft der Medien aus<br />
<br />
Konzernen wie Vice oder Amazon, das<br />
gerade ebenfalls zum Medienunternehmen<br />
wird. Auf jeden Fall zeigt Vice,<br />
dass die Medienhäuser nicht mehr nur<br />
auf Althergebrachtes setzen können,<br />
sondern sich endlich für junge, kreative<br />
Köpfe öffnen müssen, um in Zukunft<br />
erfolgreich zu sein. Es lohnt sich, offen<br />
für ungewöhnliche Perspektiven zu<br />
sein, sich nicht mehr gegen die Möglichkeiten<br />
des Internets zu verwehren<br />
und vor allem etwas Humor in die<br />
Sache zu bringen. Der kalkulierte Vice-<br />
Irrsinn macht den Journalismus wieder<br />
interessant. Ob Vice aber wirklich<br />
den Journalismus der Zukunft repräsentiert<br />
oder sein Ende als unabhängige<br />
vierte Gewalt vorwegnimmt, wird<br />
sich noch zeigen müssen.<br />
VICE Fakten:<br />
Umsatz 2012: 200 Millionen Dollar<br />
Wert des Konzerns: 1,4 Milliarden Dollar<br />
Auflage global: 1,2 Mio.<br />
Erscheinungsweise: monatlich (gratis)<br />
Weltweit 4.000 Mitarbeiter<br />
Nr.12<br />
108<br />
109<br />
Nr.12
SO STELL‘ ICH MIR DIE LIEBE VOR<br />
Text und Foto: Sibylle Berg<br />
„ABER FUCK,<br />
WEN INTERESSIERT<br />
SCHON KINO“<br />
FÜR FRÄULEIN HAT DIE WUNDERBARE SCHRIFTSTELLERIN UND DRAMATIKERIN<br />
SIBYLLE BERG EINE SO ALLTÄGLICHE WIE TRAGISCHE LITANEI ÜBER DIE LIEBE<br />
GESCHRIEBEN. WAS MAN LERNT: GEWÖHNUNG IST EIN SCHLEICHENDES BIEST.<br />
Keiner glaubte mehr an Wunder.<br />
Das war gelaufen. Ab 40 glaubt keiner<br />
mehr an etwas, das von außen kam,<br />
von Gott, vom Himmel, von Außerirdischen.<br />
Das ihm etwas bBsonderes<br />
<br />
große Liebe. Daran glaubte doch keiner<br />
mehr. Außerdem ging gerade die Welt<br />
unter, Terroranschläge und Kriege und<br />
in Urlaub traute sich keiner mehr, alles<br />
aus den Fugen, Sicherheit gab es nicht<br />
und trotzig gegen das Leben, die Lebensmitte<br />
an heirateten sie, und bauten<br />
Häuser und machten Kinder. Alle die<br />
sie kannte, über 40. Und sie war allein<br />
übergeblieben, in ihrer Studentenbude,<br />
die Letzte, die sich wehrte erwachsen<br />
zu werden, wie erbärmlich das war. Bis<br />
vor Kurzem war sie gerne allein gewesen.<br />
Es gab ja Freunde, die zur Not zur<br />
Verfügung gestanden hätten, wollte sie<br />
mal nicht allein sein. Für eine Städtereise,<br />
einen Kinoabend zum stundenlangen<br />
Reden am Telefon aus dem Bett<br />
heraus, gab es immer einen, aber die<br />
hatten jetzt alle Kinder und Häuser,<br />
die Scheißfreunde und hatten erreicht,<br />
was sie erreichen wollten, oder waren<br />
gescheitert und hatten sich damit eingerichtet<br />
oder hatten Krebs. Auf einmal<br />
merkte sie, dass sie noch nicht einmal<br />
mehr von irgendwem in Ruhe gelassen<br />
wurde. DA WAR KEINER MEHR.<br />
Und sie auf dem besten Weg war, eine<br />
dieser Frauen zu werden, die immer<br />
ken,<br />
die ein künstliches Dauerlächeln<br />
de<br />
hielten und die Haare offen trugen<br />
und Arche-Schuhe, weil die so bequem<br />
und irgendwie witzig waren, und die zu<br />
Lesungen gingen und sehr sehr gerne<br />
alleine lebten. Alleine leben ist Dreck.<br />
Das bekommt keinem. Ab 40 sollte keiner<br />
mehr alleine wohnen, denn dann<br />
wird man wunderlich. Beginnt leere<br />
Pizzaschachteln zu sammeln, Vogelspinnen<br />
zu züchten oder die Bäume<br />
mit kleinen Metallschildern vollzuhängen<br />
wie der Freak, der auf dem Monte<br />
Verita gewohnt hatte. Nackig im Wald<br />
rumtigern und Bäume beschriften. Ab<br />
40 oder mehr oder weniger, sollte man<br />
mit einem Mann, einer Frau, einem<br />
Kind, einer Oma mit irgendwem halt<br />
wohnen, der einem klarmachte, dass<br />
man selber nichts Spezielles war. Ein<br />
Kind, eine Oma oder eine Freundin,<br />
die nicht gerade ein Haus gebaut oder<br />
ein Kind bekommen hätte, gab es nicht.<br />
Also musste ein Mann her. Einfach, damit<br />
sie nicht auf die Idee kam Arche-<br />
Schuhe zu tragen und Porzellanpierrots<br />
zu sammeln. Dass es die große<br />
Liebe nicht gab, also, einen Menschen,<br />
mit dem man sich unglaublich gut ver-<br />
<br />
sie inzwischen auch. Alle, die in langen<br />
Liebesgeschichten lebten, hatten ihr<br />
<br />
durchhalten, muss sich arrangieren,<br />
darf nicht zu viel erwarten, muss viele<br />
Bedürfnisse mit anderen abdecken,<br />
muss versuchen eine familiäre Nähe zu<br />
entwickeln, muss die ersten Jahre viele<br />
Missverständnisse ertragen. Sie war<br />
ein verwöhntes Produkt der kapitalistischen<br />
Wegwerfgesellschaft. Hatte alles<br />
gewollt und verloren. Dann hatte sie<br />
Bernd kennengelernt. Der war so wie<br />
sein Name. Absoluter Durchschnitt<br />
und wenn sie ehrlich war, war er wie<br />
sie. Ein Mann im schlechtesten Alter,<br />
der nicht mehr an Wunder glaubte. Sie<br />
war nicht verliebt in ihn. Er nicht in sie.<br />
Aber Männer waren da eh anders. Sie<br />
<br />
stellte sich bei ihnen als Nebenprodukt<br />
angenehmer Gewohnheit ein. Sie nahm<br />
sich vor mit Bernd eine BEZIEHUNG<br />
zu führen. Sie ignorierte alles, was sie<br />
an ihm nicht mochte. Dass er sie ein<br />
wenig langweilte und ihr seine Triko-<br />
<br />
„NOCH NICHT EINMAL<br />
TRÄNEN HATTE SIE”<br />
entzündete und nichts von dem mochte,<br />
was ihr bis dahin wichtig schien. Aber<br />
fuck, wen interessierten schon Kino<br />
und Kunst und Filme und Bücher und<br />
Musik. Das waren Hintergrundgeräusche.<br />
Sie kleidete Bernd neu ein,<br />
schenkte ihm ein neues Parfüm, und<br />
weil sie nicht verliebt war, hielt er es<br />
auch aus mit ihr. Sie war so wenig hysterisch<br />
und zickig und Bernd begann<br />
sich wohlzufühlen und sie war froh,<br />
dass sie nicht mehr alleine war, wenn<br />
wieder eine Freundin ihr erstes Kind<br />
bekam, mit 42. Bernd wohnte nicht in<br />
ihrer Stadt, sie sahen sich am Wochenende<br />
und sie begann sich an ihn zu gewöhnen.<br />
Es war eigentlich wunderbar,<br />
keine Angst vor einem Mann zu haben,<br />
dachte sie. Sie ging mit Nachtcreme<br />
und Lockenwicklern zu Bett, wenn er<br />
da war, sie machte, was sie wollte, und<br />
Bernd hatte für alles Verständnis, weil<br />
es ihm egal war. Je länger sie mit Bernd<br />
zusammen war, um so mehr glaubte<br />
sie, es herausgefunden zu haben, das<br />
<br />
nicht verliebt zu sein. Es war, jemanden<br />
langsam kennenzulernen und es<br />
<br />
Wenn sie Bernd abstoßend fand, ihn<br />
hasste, wie er kaute und was er sagte<br />
und wie er lief und wie er roch, dann<br />
half es, ihn sich als Baby vorzustellen.<br />
Bernd war klein gewesen, eine Mutter<br />
hatte ihn geliebt und ernährt, Bernd<br />
hatte von etwas Großem geträumt,<br />
als er älter war, und wurde vom Leben<br />
enttäuscht, wie alle. Das genügte<br />
meist, dass sie ihn liebevoll am Kopf<br />
kraulte und hielt, als wäre er ihr Baby.<br />
Sie begann sich einzurichten. Endlich<br />
machte sie Frieden mit ihrem Alter, sie<br />
kaufte sich ein ordentliches Bett, trug<br />
keine bauchfreien Oberteile mehr und<br />
auch die nachlassende Spannkraft ihrer<br />
Haut war ihr fast egal. Sie schaute<br />
sich einfach nicht mehr im Spiegel an.<br />
Sie begann Bernd meinen Mann zu<br />
nennen, und wollte ihn gerne heiraten.<br />
<br />
<br />
Es ist so gut, dass ich über dieses alberne<br />
Thema nicht mehr nachdenken<br />
musste, sagte sie ungefragt zu Bekannten,<br />
und berichtete jemand von einer<br />
großen Verliebtheit, verdrehte sie die<br />
Augen und die Knie schliefen ihr ein<br />
vor Langeweile. Sie hatte herausge-<br />
<br />
möglichst angenehm herumbringen.<br />
So einfach. Dass man die Wahrheit fast<br />
übersah, weil man immer nach etwas<br />
Großem, Kompliziertem suchte. Und<br />
dann waren sie auf die Insel gefahren.<br />
In den zwei Jahren mit Bernd hatte sie<br />
immer vermieden mit ihm in Urlaub<br />
zu fahren. Bernd am Wochenende, wo<br />
man lange im Bett blieb, dann ins Kino<br />
ging , was essen ging, irgendwohin ging,<br />
wo andere Leute waren, wo es etwas<br />
gab, über das sie später reden konnten,<br />
kein Problem. Aber wozu sollte ein<br />
Urlaub gut sein? Wer brauchte heute<br />
überhaupt noch Urlaub, da kaum einer<br />
mehr eine anstrengende Arbeit hatte<br />
und die Schweiz ein Land war, das für<br />
viele das Traumurlaubsland war. Was<br />
sollte man wohin fahren, stundenlang<br />
der<br />
Leute rumzulümmeln, sich von<br />
schlechtbezahlten Angestellten hassen<br />
zu lassen und in überteuerten Jeeps in<br />
zu großer Hitze tröpfelnde Wasserfälle<br />
besichtigen. Bernd hatte sich durchge-<br />
<br />
stundenlang, kamen auf einer Insel der<br />
Dritten Welt an, da stand der gemietete<br />
bungalow<br />
gemietet mit Whirlpool und<br />
Meeranstoss. Das Doppelbett war in<br />
ein Moskitonetz gehüllt und Rosenblüten<br />
waren auf dem Boden verstreut.<br />
Sehr nett. Ein paar Tage war es sehr<br />
stellten<br />
merkte man ihren Hass kaum<br />
an, das Gelände des Hotels war streng<br />
bewacht, mit Terroranschlägen nicht<br />
zu rechnen, sie besichtigten Wasser-<br />
<br />
angenehm sie mit Bernd schweigen<br />
konnte. Es setzte sie überhaupt nicht<br />
unter Druck, dass ihr nichts zum Sa-<br />
<br />
zogen sich abends weiße Sachen an<br />
und aßen schweigend in teuren Restaurants<br />
mit Meerblick Zeug. Sie kauften<br />
in kleinen Boutiquen Sachen, die<br />
sie daheim nie wieder tragen würden.<br />
Einmal nachts gingen sie in den Whirlpool.<br />
Sie stand da, wie sie dachte, dass<br />
man in einem Film jetzt stehen würde,<br />
auf einer Insel am Whirlpool mit dem<br />
Geliebten. Sie stand wie eine Statue,<br />
bis sie dachte, sie würde sich nie mehr<br />
bewegen können. Sie wollte sich nie<br />
wieder bewegen. Noch nicht einmal<br />
Tränen hatte sie.<br />
Wie Sibylle Berg die Liebe sieht, hat die<br />
Schriftstellerin in ihren Büchern festgehalten:<br />
Liebe ist, jemanden auszuhalten, wie er wirklich<br />
ist. Zur Frage „Frau Berg, wie stellen Sie<br />
sich die Liebe vor?“ hat sie uns diesen Text<br />
geschickt und dazu ein Bild, das sie mit „Blessur“<br />
zeigt. Liebe tut nämlich weh.<br />
Nr.12<br />
110<br />
111<br />
Nr.12
EINE STIMME<br />
Protokoll: Ruben Donsbach<br />
Lydia Galonska, taz-Leserin, Berlin, freischaffende Journalistin<br />
ICH WILL<br />
MEHR<br />
GRENZEN!<br />
DIE IM GALILÄA GEBORENE AUTORIN SHANI BOIANJIU IST EINE<br />
DER EINDRINGLICHSTEN STIMMEN DER JUNGEN ISRAELISCHEN<br />
LITERATUR. NACH IHREM HARVARD-STUDIUM VERÖFFENTLICHTE<br />
SIE IM „NEW YORKER“ UND IM „GUARDIAN“. IHR DEBÜTROMAN<br />
„DAS VOLK DER EWIGKEIT KENNT KEINE ANGST“ WURDE VON<br />
DER NATIONAL BOOK FOUNDATION AUSGEZEICHNET.<br />
Ich wohne etwa 10 Km von der libanesischen<br />
und 50 Km von der syrischen<br />
Grenze entfernt. Nicht erst seit<br />
ich 1987 im Galiläa geboren wurde, gab<br />
te.<br />
Zudem hat fast jeder, den ich kenne,<br />
zwei Jahre im Militär gedient. Das ist in<br />
Israel einfach so. Ob es das Land zum<br />
Besseren oder Schlechteren verändert<br />
hat, ist wirklich schwer zu sagen. Ich<br />
habe das Gefühl, dass meine Generation<br />
auch durch diese Erfahrungen<br />
ziemlich rasch aufgewachsen ist. Aber<br />
das ist wohl weltweit so. Viele von uns<br />
haben Zugang zu verschiedensten<br />
<br />
einer Zeit wirtschaftlichen Aufruhrs,<br />
die Menschen protestieren aller Orten,<br />
es gibt Terrorismus, schwelende<br />
Krisenherde, den Arabischen Frühling.<br />
Gleichzeitig ist unserer Generation<br />
sehr kindlich geblieben, in vielerlei<br />
Hinsicht. So blickt jedenfalls die ältere<br />
Generation auf uns. Sie glauben, wir<br />
machen nur Nonsense, sind abhängig<br />
von Hilfeleistungen, von unseren Eltern.<br />
Ich schaue nun tagtäglich auf die<br />
Welt, in die ich hineingeboren worden<br />
bin. In den Golanhöhen und im Galiläa<br />
soll es eine Million Landminen geben.<br />
Sie sind von den verschiedensten Armeen<br />
hinterlassen worden. Westlichen<br />
wie arabischen. Niemand bemüht sich<br />
ernsthaft darum, sie aus dem Weg zu<br />
räumen, niemand wird es jemals tun.<br />
Dann ist vor zwei Tagen eine Rakete<br />
500 Meter von mir entfernt niedergegangen.<br />
Ich kenne eine Familie, die 18<br />
Familienmitglieder in Syrien verloren<br />
hat. Alleine im letzten Monat. Trotzdem<br />
sagt der britische Premier David<br />
Cameron, wir müssen da nichts machen.<br />
Wladimir Putin sagt, wir müssen<br />
nichts machen. Letzterer hat Assad<br />
seit Jahren mit Geld und Waffen unterstützt.<br />
Doch wer demonstriert vor<br />
der russischen Botschaft? Wer fordert<br />
Putin auf, sein Verhalten zu ändern?<br />
Wieder einmal schweigt die Welt. Die<br />
Geschichte wiederholt sich immer zu.<br />
1941 wurden in Bagdad die irakischen<br />
Juden vergewaltigt, gefoltert und ermordet,<br />
Juden, die seit 2600 Jahren in<br />
diesem Gebiet siedelten, nur weil der<br />
<br />
und irakischen Nationalisten eskalierte<br />
und niemand helfen wollte. In Rumänien<br />
gab es während des Zweiten Weltkrieges<br />
unzählige Progrome gegen Juden.<br />
Größtenteils verübt von Rumänen<br />
an Rumänen. Alleine 13.000 Menschen<br />
starben, als sie während des Jassy-<br />
Pogroms tagelang in einem Güterzug<br />
durchs Land gefahren wurden und<br />
verhungerten, verdursteten, erstickten.<br />
Ich erzähle das, weil meine Familie aus<br />
beiden dieser Länder stammt. Diese<br />
Geschichten sind ein Teil von mir. Aber<br />
es ist nicht mein Job, jemand zu irgendwas<br />
zu bekehren. Niemand hat mich<br />
gewählt. Ich bin eine 26 Jahre alte Autorin.<br />
Ich beschreibe den Zustand der<br />
Welt. Obama wurde auserwählt, Putin<br />
wurde auserwählt, Cameron wurde<br />
auserwählt. Und alles, was ich dazu<br />
sage, ist, die Welt wird ihr Urteil über<br />
sie fällen. Was ich aber weiß, ist, dass<br />
ich niemals 30 Jahre alt werden will.<br />
Ich bin 1987 geboren worden. Im ersten<br />
Jahr der ersten palästinenischen Intifada.<br />
Schauen Sie auf die Welt, schauen<br />
Sie, wie sich die Mächtigen dieser Welt<br />
aufführen. In Israel herrscht seit bald<br />
70 Jahren permanenter Kriegszustand.<br />
Aber selbst in dem kurzen Zeitraum<br />
seiner Geburt wurden wahnsinnig<br />
viele schlechte Entscheidungen von<br />
Erwachsenen gefällt. In der Politik wie<br />
in der Wirtschaft. Es gibt kaum etwas,<br />
was Menschen über dreißig getan hätten,<br />
was besonders Sinn gemacht hätte.<br />
Sie haben kein Beispiel für mich gesetzt<br />
dem ich folgen möchte. Ich kann<br />
in ihrem Verhalten keinerlei Logik<br />
erkennen. Wie sie mit der Umwelt umgehen,<br />
wie sie mit Kindern umgehen,<br />
mit jüngeren, mit den Alten, wie sie mit<br />
sich selbst umgehen. Bei den meisten<br />
Leuten, die ich kennengelernt habe<br />
und die über 30 sind, ist mir nur Bösartigkeit<br />
und Indifferenz begegnet. Wieder<br />
und wieder. Wie sollten mich diese<br />
Menschen nicht ängstigen? Warum<br />
sollte ich einer von ihnen sein wollen?<br />
Warum soll ich mir an ihnen ein Beispiel<br />
nehmen? Es ist gar nicht so, dass<br />
ich nicht erwachsen werden möchte,<br />
mit jeder kleinen Falte und Linie in<br />
meinem Gesicht werde ich reifer, ich<br />
„LEUTE ÜBER DREISSIG SIND<br />
BÖSARTIG UND INDIFFERENT”<br />
will wachsen, mich entwickeln, dazulernen,<br />
jeden Tag. Ich will mehr lesen,<br />
die Mathematik, die ganze Welt besser<br />
verstehen. Aber mir ein Beispiel an den<br />
Älteren nehmen? Mir geben die Jungen<br />
israelischen Frauen, die in der Peripherie<br />
des Landes leben ein Beispiel. Junge<br />
arabische Israelis. Israelis, die in die<br />
Westbank gehen, die versuchen, einen<br />
Unterschied zu machen. Sie alle setzten<br />
mir und ihrer Gemeinschaft ein<br />
Beispiel. Mir geben die 200 sudanesischen<br />
Flüchtlinge ein Beispiel, die zurzeit<br />
jeden Tag nach Israel strömen. Vor<br />
Kurzem entschied unsere Regierung,<br />
dass sie einen großen Teil von ihnen<br />
wieder wegschicken will. Ich schäme<br />
mich dafür. Diese Flüchtlinge sind oftmals<br />
gewalttätig. Es gibt verschiedene<br />
Berichte von Übergriffen ihrerseits<br />
gegenüber israelischen Mädchen. Und<br />
trotzdem will ich, dass mehr von ihnen<br />
ins Land gelassen und in Ruhe gelassen<br />
werden. Ich wünschte mir, Israel<br />
hätte eine Grenze mit Nordkorea, mit<br />
land,<br />
mit Australien, mit der Antarktis.<br />
Ich will mehr Grenzen! Weniger Enge.<br />
Man fühlt sich in Isreael oftmals sehr<br />
eigeschränkt, fast schon gefangen.<br />
Das Land hat die Größe von New Jersey.<br />
Und es wird immer mehr gebaut<br />
und gebaut. An der Peripherie, nahe<br />
der Grenze, dort wo ich aufgewachsen<br />
bin, fühlt man sich ironischerweise am<br />
eingeschränktesten. Und darum sage<br />
ich aus voller Überzeugung, Israel ist<br />
trotz allem der beste Ort der Welt, ich<br />
würde nirgendwo sonst leben wollen.<br />
Das liegt aber nicht am Schreiben. Ich<br />
mache das nicht, damit es mir besser<br />
geht. Für mich ist das Schreiben von<br />
Geschichten dasselbe wie „zählen“. Ich<br />
zähle alles, was „zählt“ und schreibe es<br />
dann auf. Dieses „counting“ hat nichts<br />
mit dem „Erinnern“ zu tun. Es geht<br />
ganz einfach darum, sich zu merken,<br />
wie oft eine Person dies und das gesagt,<br />
wie oft eine Zeitung dieses oder jenes<br />
Thema publiziert hat, wie viel Geld<br />
ausgegeben wurde, wie viele Landminen<br />
im Galiläa liegen, die Anzahl der<br />
Flüchtlinge in Israel, wie oft eine bestimmte<br />
Person ein bestimmtes Wort<br />
gesagt hat, wie oft dieser Typ seinen<br />
Kopf gewendet hat. Ich zähle alles! Ich<br />
höre nie auf zu zählen! Wo auch immer<br />
ich bin. Es ist fast wie zu atmen. Es ist<br />
wie schreiben. Es ist mein Leben.<br />
Der Roman „Das Volk der Ewigkeit kennt<br />
keine Angst“ von Shani Boianjiu ist im<br />
Kiepenheuer & Witsch Verlag erschienen.<br />
Ich teile<br />
mir die taz<br />
mit 13.000<br />
anderen.<br />
Mehr als 13.000 Genossinnen und<br />
Genossen sichern die publizistische<br />
und ökonomische Unabhängigkeit<br />
ihrer Zeitung. Wer einen Anteil von<br />
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T (030) 25 90 22 13<br />
*auch in 20 Raten zahlbar<br />
Nr.12<br />
112<br />
113 Nr.12
STREETSTYLE<br />
Text: Sina Braetz<br />
Foto: Yvan Rodic<br />
streetstyle<br />
johannesburg<br />
D IE SCHÖNS TEN L OOKS SÜDAFRIKAS<br />
Mit einer leisen, aber selbstbewussten Stimme<br />
nähert sich diese Stadt den großen Metropolen,<br />
will groß werden, aber trotzdem seinen<br />
Wurzeln und Traditionen treu bleiben. Was<br />
in Johannesburg „cool“ ist, das ist cool, weil<br />
es ist und nicht weil es sein möchte. In seiner<br />
hippen Kunstszene schwingt der Schmerz des<br />
Geschichtsbewusstseins und der Armutskluft<br />
von den über 4 Millionen Einwohnern mit. Es<br />
<br />
ferner Zukunft will Johannesburg kein zweites<br />
New York werden, auch wenn es dafür<br />
ausreichend Potenzial hätte. „Joburg“ hat ein<br />
besonderes Verständnis von Schönheit, von<br />
Mode und Stil. Genau das entdeckte „Facehunter“<br />
Yvan Rodic, der dieses Jahr sein zweites<br />
Buch „Die Welt als Catwalk“ veröffentlichte.<br />
Auf seiner Reise zur „South African Fashion<br />
<br />
lebendig und inspirierend wie bei seinen anderen<br />
Arbeiten. Das Mekka des Streetstyles.<br />
Nr.12<br />
114<br />
115<br />
Nr.12
ANTIFRÄULEIN<br />
Text: Wäis Kiani<br />
Illustration: Katrin Funcke<br />
L ADY G AGA GELINGT, WORAN VIELE GROSSE P OPS TARS<br />
IN LETZ TER ZEIT GESCHEITERT S IND: S IE S PA LT E T I H R E<br />
G ENERATIONEN. K AM BEI K ÜNS TLERN WIE N INA H A G E N<br />
ODER T HE CURE DAS „F U C K Y OU“ NOC H AUS V O L L E M<br />
H ERZ EN, IS T ES BEI L ADY G ALLERDINGS REINE PR. IST J A<br />
NIC HT SCHLIMM. A U C H DAS IS T P OP. N UN ABER FÄNGT S I E<br />
AN, ÜBER DIE A BNEIGUNG, DIE IHR ENTGEGENSCHLÄGT, Z U<br />
J AMMERN. U ND DAS IS T WAHNS INNIG UNS E X Y.<br />
Unser heutiges Anti-<strong>Fräulein</strong> ist<br />
insofern eine Ausnahme, da sie von<br />
Beginn ihrer Karriere an ihren künstlerischen<br />
Auftritt darauf ausgerichtet<br />
hat, ein echtes Antifräulein zu sein.<br />
Lady Gaga ist die Mutter aller modernen<br />
Anti-<strong>Fräulein</strong>. Sie hat sich bewusst<br />
als solches verkauft, um mit den<br />
Schock-Effekten ihrer Anti-Ästhetik<br />
auch die Aufmerksamkeit der „Hater“<br />
auf sich zu ziehen. Sogar als Model<br />
der FS Versace-Kampagne sieht sie<br />
trotz Airbrush-Award mehr aus wie<br />
die junge Donattella und hält einen somit<br />
eher davon ab, sich für das Label<br />
zu interessieren. Lady Gaga, allein der<br />
Name macht einen schon fertig. Lady<br />
Gaga, Gaga Lady, man kann es kaum<br />
über die Lippen bringen. Von einem<br />
Stil dieser Musikerin zu sprechen wäre<br />
naiv, nennen wir es eine Travestie, die<br />
dazu angelegt ist, zu provozieren und<br />
zu schockieren. Aber wir haben schon<br />
zu viel erlebt, zu viel gesehen und zu<br />
viele eigene Allüren um uns von einer<br />
unscheinbaren White-Trash-Bitch mit<br />
mässigem Talent und schlechten Song-<br />
ckiert<br />
sind wir sowieso schon lange<br />
von gar nichts mehr. Wir sind mit Kiss,<br />
Nina Hagen und The Cure aufgewachsen,<br />
über deren Poster an unseren<br />
Wänden sich unsere Eltern noch schön<br />
aufgeregt haben, so wie es sich gehört,<br />
damit es auch Spaß macht. Und Nina<br />
Hagen hatte viel zerrissenere Netz-<br />
<br />
Herzen und war keine gelernte Geste,<br />
unsere Stars rochen nach versautem<br />
<br />
dumpfer Publicity-Geilheit und einem<br />
müden Stylisten, der, nachdem er sie in<br />
das unsägliche Fleischdress gepresst<br />
hat, den Job hinschmiss, weil sie sich 12<br />
mal am Tag umzieht.<br />
Lady G ist aber endlich gelungen, was<br />
ein großer Popstar zu leisten hat, Eminem,<br />
Rihanna und all den anderen<br />
<br />
Generationen zu spalten. Die Kleinen<br />
den<br />
sie abstoßend, so muss das sein.<br />
An Lady Gaga erkennt man leicht,<br />
dass man Teil einer anderen Generation,<br />
also ALT ist. Ist das der Grund,<br />
aus dem Lady Gaga ihre Fans „little<br />
monsters“ nennt? Die „little monsters“<br />
scheinen den größeren Teil der Welt zu<br />
bevölkern, denn wenn man etwas von<br />
Lady Gaga behaupten kann, dann ist es<br />
<br />
Erfolg, der sogar größer ist als der von<br />
Madonna, hat in letzter Zeit den feinen<br />
Grad zwischen Attention und Respekt<br />
zu einer großen Kluft werden lassen.<br />
Und Lady G. scheint dann doch sensibler,<br />
als sie von sich selbst behauptet,<br />
twitterte erst neulich „I put so much<br />
love into my music, my shows, I make<br />
it all for you, I’ll never understand the<br />
<br />
es sind die Hater, auf die sie von An-<br />
schachzug<br />
gesetzt hat, in vollkomm<br />
klarem Bewusstsein dafür, dass die<br />
Kraft der Abstoßung stärker ist als die<br />
der Anziehung. Die sie rief, die Geister,<br />
die will sie jetzt doch nicht? Uncool, abgesehen<br />
davon, dass ein jammernder<br />
Popstar noch unangenehmer ist als ein<br />
ungeliebter.<br />
„LADY GAGA,<br />
GAGA LADY,<br />
MAN KANN ES<br />
KAUM ÜBER DIE<br />
LIPPEN BRINGEN.“<br />
Nr.12<br />
116<br />
117<br />
Nr.12
FEIERABEND<br />
Interview: Janin Katharina Hasteden<br />
EMMANUELLE<br />
SEIGNER<br />
„VERFÜHRUNG, SEX UND WOW“<br />
Emmanuelle Seigner ist nicht nur<br />
wunderschön und sexy, die Ehefrau<br />
von Roman Polanski ist eine der besten<br />
Schauspielerinnen ihrer Generation. Bekannt<br />
geworden mit den Polanski Thrillern<br />
„Frantic“ und „Bitter Moon“, spielt<br />
sie in der Adaption von Leopold Sacher-<br />
Masochs Novelle „Venus im Pelz“ (von<br />
ihm kommt der Begriff Masochismus)<br />
neben Mathieu Amalric gleich drei Rollen.<br />
Im Rahmen des Hamburger Filmfestes<br />
sprach Seigner mit <strong>Fräulein</strong> über unbedingte<br />
Liebe, Gleichberechtigung und<br />
ihre Abneigung gegen den SM-Bestseller<br />
„Shades of Grey“.<br />
<strong>Fräulein</strong>: Mme Seigner, was hat Sie<br />
am Drehbuch zu „Venus im Pelz“<br />
überzeugt, den Part der weiblichen<br />
Hauptrolle zu übernehmen?<br />
-<br />
<br />
zusammen arbeiten. Aber uns fehlte der<br />
richtige Stoff. Er wollte eine Komödie<br />
drehen, aber eine Komödie mit einer<br />
<br />
ist nicht einfach. Als er dann David Ives’<br />
Adaption von „Venus im Pelz“ las, war<br />
er begeistert und hat mich davon über-<br />
<br />
hatte auch Angst. Denn die Rolle der<br />
Vanda erschien mir so mächtig, dass<br />
mir anfangs nicht klar war, ob ich die<br />
Richtige dafür sein würde. Aber als wir<br />
dann die erste Szene gedreht hatten,<br />
<br />
Vanda, die Sie im Film verkörpern,<br />
sagt über die Novelle von Leopold<br />
von Sacher-Masoch, dass sie masochistisch<br />
sei und vergleichbar mit<br />
einem Porno.<br />
velle<br />
gar nicht gelesen, doch viel darüber<br />
gehört. Aber zum Glück hat der Film<br />
nur wenig gemeinsam mit Sacher-Masochs<br />
Original. Ich würde das Werk von<br />
Roman Polanski eher als Satire bezeichnen.<br />
Wir haben uns einen Spaß daraus<br />
gemacht, das Ganze mit einer großen<br />
Portion Sarkasmus zu verfeinern.<br />
Sie verkörpern gleich mehrere Figuren:<br />
die Schauspielerin Vanda,<br />
die Frauenfigur Wanda von Sacher-<br />
Masoch und dann auch noch Vanda,<br />
die der Fantasie des Regisseurs<br />
entspringt. Welche entspricht am<br />
ehesten Ihrem Naturell?<br />
„WIR DÜRFEN<br />
NICHT IMMER<br />
ZUM SUPERFREAK<br />
WERDEN, WENN<br />
DER PARTNER<br />
AUCH MAL EINER<br />
ANDEREN HINTER-<br />
HERSCHAUT“<br />
-<br />
<br />
Jede der Figuren ist mir auf eine bestimmte<br />
Art ähnlich. Dieses Mysteriöse,<br />
was jeder einzelne Charakter verkörpert,<br />
war wie eine Reise zu mir selbst.<br />
Deshalb haben mir die Dreharbeiten ja<br />
<br />
mich für keine der Figuren verbiegen,<br />
sondern mir nur einzelne Charakterzüge<br />
aneignen. Das war wirklich sehr<br />
spannend!<br />
Wie haben Sie sich auf Ihre unterschiedlichen<br />
Rollen vorbereitet?<br />
<br />
stand zu Beginn der Vorbereitungen<br />
noch im Pariser Théâtre National de<br />
l’Odéon auf der Bühne. Da der Film von<br />
nur zwei Schauspielern lebt, mussten<br />
sowohl Mathieu als auch ich Unmen-<br />
<br />
<br />
lang. Rund zwei Monate habe ich dafür<br />
gebraucht. Das war eine echte Herausforderung.<br />
Ist Ihnen die Welt von Sacher-<br />
Masoch vertraut, spricht sie Sie an?<br />
<br />
<br />
es persönlich ja auch so gut, dass der<br />
Film nicht auf die typische „Shades of<br />
Grey“-Welle aufspringt, sondern sich<br />
eher über die sadomasochistische Welt<br />
belustigt. Als wir „Venus im Pelz“ in<br />
Cannes vorgestellt haben, ist das Publikum<br />
sogar aufgesprungen und hat laut<br />
gelacht.<br />
Mathieu, der neben seiner Rolle<br />
des Thomas auch die des Severin<br />
von Kusiemski verkörpert, sagt im<br />
Film: „Das Schlimmste in einer Beziehung<br />
ist die weibliche Untreue.“<br />
Vanda entgegnet: „Das Schlimmste<br />
ist die erzwungene Treue.“ Was ist<br />
für Sie das Schlimmste in einer Beziehung?<br />
<br />
frei sein. Und auf Vertrauen aufbauen.<br />
Glauben Sie mir, ich habe so viele Beziehungen<br />
scheitern sehen, weil einer von<br />
beiden eifersüchtig wurde und dem anderen<br />
nicht mehr vertraut hat. Horror!<br />
Wir dürfen nicht immer zum Superfreak<br />
werden, wenn der Partner auch<br />
mal einer anderen hinterherschaut. Dafür<br />
ist das Leben viel zu kurz.<br />
Severin ist in der Novelle überzeugt<br />
davon, dass gleichberechtigte Beziehungen<br />
nicht möglich sind ...<br />
lich<br />
sind Beziehungen möglich, in denen<br />
jeder die gleichen Rechte hat, absolut<br />
gleichberechtigt ist. Wir – sowohl Frauen<br />
als auch Männer – müssen einfach<br />
lernen, selbstbewusster zu werden.<br />
Schließlich liegen zwischen der Veröffentlichung<br />
der Novelle und der heutigen<br />
Zeit fast 150 Jahre. Seitdem hat sich<br />
viel getan. Zum Glück.<br />
Ein weiteres Zitat von Thomas bzw.<br />
Severin lautete: „Liebe ohne Leiden<br />
existiert nicht.“<br />
<br />
Glück der Welt!<br />
Sie sind seit 24 Jahren mit Roman<br />
Polanski verheiratet, führen in der<br />
schnelllebigen Filmwelt scheinbar<br />
die perfekte Beziehung. Wie machen<br />
Sie das?<br />
<br />
gar nicht beantworten. Ich glaube,<br />
unser Geheimnis, wenn man es denn<br />
überhaupt so nennen kann, ist Liebe.<br />
Ja, richtig. Aufrichtige, ehrliche Liebe.<br />
Wir stehen zueinander, mit all unseren<br />
Macken.<br />
Liebe – ein gutes Stichwort. Was ist<br />
denn wahre Liebe für Sie?<br />
<br />
<br />
und Gefühle. Liebe ist Wow! Das Wichtigste<br />
im Leben. Liebe kostet nichts –<br />
und ist trotzdem gleichzeitig ein so seltenes<br />
Gut. Wie wichtig Liebe ist, merken<br />
viele, glaube ich, erst in Notsituationen<br />
und bei Problemen. Meine Liebe zu Roman<br />
– und natürlich zu unseren beiden<br />
Kindern Morgane und Elvis – hingegen<br />
ist eine ganz tiefe.<br />
Sie haben zum wiederholten Mal<br />
mit Ihrem Mann zusammengearbeitet.<br />
Wie war das für Sie?<br />
vatleben.<br />
In dem Moment, in dem wir<br />
miteinander arbeiten, sehe ich Roman<br />
nicht als meinen Ehemann, sondern<br />
als grandiosen Regisseur. Übrigens ist<br />
er meiner Meinung nach der beste Regisseur<br />
der Welt. Als wir das erste Mal<br />
miteinander gedreht haben, 1988 war<br />
<br />
war ich gerade mal 22 Jahre jung und<br />
noch ganz am Anfang meiner Schauspielerkarriere.<br />
Seitdem bin ich natürlich<br />
gewachsen, habe viel dazugelernt,<br />
meinen Standpunkt behaupten können.<br />
War es für Sie irritierend, dass der<br />
männliche Protagonist, Mathieu<br />
Amalric, Ihrem Mann sehr ähnlich<br />
sieht?<br />
<br />
haben tatsächlich gewisse optische<br />
Gemeinsamkeiten. Das fällt mir jetzt<br />
zum ersten Mal auf! Darauf habe ich<br />
gar nicht geachtet. Wirklich. Für mich<br />
war es eher von Vorteil, dass Mathieu<br />
ein sensationeller Schauspieler ist. Es<br />
<br />
dein Partner gut ist, spielst du auch<br />
besser.<br />
Der neue Film von Roman Polanski, „Venus im<br />
Pelz“ mit Emmanuelle Seigner, ist ab<br />
21. November im Kino zu sehen.<br />
Nr.12<br />
118<br />
119<br />
Nr.12
REZEPT<br />
Illustration: Lenia Hauser<br />
Foto: Sabine Volz<br />
Nr.12<br />
120<br />
121<br />
Nr.12
DAS TRAGE ICH FÜR DIE EWIGKEIT<br />
Protokoll: Maja Hoock<br />
Photo: ZORRO Film<br />
„ALS WÄRE DAS<br />
DACH WEG UND<br />
ES REGNET REIN“<br />
D IE SC HAUS PIELERIN UND D IPLOMPS Y C HOLOGIN K AROLINE SC HUC H WAR BIS H E R<br />
IN ÜBER 30 F ILMEN Z U S EHEN. M IT F RÄULEIN S PRAC H S IE ÜBER DEN REIC H E N<br />
E RFAHRUNGSSCHATZ IHRER G ROSSMUTTER, IHRE ALTE L EDERJ A C KE, DIE IHR Z U R<br />
Z WEITEN H AUT GEWORDEN IS T, UND DEN U MGANG MIT DEM T O D .<br />
Ich habe gerade das Aids-Drama<br />
„Schmutziges Blut“ abgedreht. Der<br />
Film spielt in den 80er-Jahren, mein<br />
Mann hat Aids und es ist völlig klar,<br />
dass er nicht mehr gesund wird. Eine<br />
Szene hat mich so wahnsinnig berührt,<br />
<br />
mich verlassen, weil er in seinem Zustand<br />
keine Zumutung sein will. Ich<br />
möchte aber nicht, dass er geht. Es war<br />
so emotional, dass es mir als Schau-<br />
<br />
Ich habe mir vorgestellt, wie es sein<br />
muss jemanden zu verlieren, der einem<br />
so wichtig ist. Als ich den Verlust<br />
spielen musste, habe ich an meinen<br />
Freund im wahren Leben gedacht<br />
und mich damit auseinandergesetzt,<br />
<br />
müsste und nicht mehr da wäre. Das<br />
hat ganz viel mit mir gemacht. In dieser<br />
Zeit habe ich ihn mit ganz anderen<br />
Augen gesehen. Wenn ich im „Tatort“<br />
<br />
Umgang mit dem Tod statt, wenn die<br />
Angehörigen gesagt bekommen, dass<br />
jemand gestorben ist – obwohl es indirekt<br />
ja ständig um Morde und den<br />
Tod geht. Oft denkt man, das habe<br />
ich schon hundertmal gesehen. Diese<br />
gespielte Fassungslosigkeit und dass<br />
einem sofort die Tränen in die Augen<br />
schießen, glaube ich einfach nicht. Klare<br />
und ehrliche Momente berühren<br />
mich dagegen sehr. Mir wurde glücklicherweise<br />
noch nie auf diese Weise<br />
mitgeteilt, dass jemand gestorben ist.<br />
Ich hatte vor zwei Jahren einen echten<br />
Abschied, als mein Opa und meine<br />
Oma im Abstand von vier Monaten<br />
gestorben sind. Wir waren alle da, als<br />
es passiert ist und haben sie gehen<br />
lassen. Sie waren sechzig Jahre verheiratet<br />
und konnten nicht ohneeinander.<br />
Sie waren immer zu zweit und immer<br />
zusammen. Die Verabschiedung von<br />
meiner Oma ist mir sehr nahe gegangen.<br />
Als ich ein Kind war, hatten wir ein<br />
richtig enges Verhältnis. Sie hatte ganz<br />
viele Knöpfe und Nähzeug, mit dem<br />
ich immer gespielt habe. Diese Frau<br />
war eine typische stolze Dresdnerin.<br />
Sie hat mir vom Krieg und den Bombeneinschlägen<br />
erzählt, die sie erlebt<br />
hat, als sie selbst noch klein war. Sie<br />
erzählte, wie es gebrannt hat, wie sie<br />
sich im Bunker verstecken musste, wie<br />
die Tiere aus dem Zoo ausgebrochen<br />
und die Giraffen an der Elbe entlanggerannt<br />
sind. Wenn Menschen wie meine<br />
Oma sterben, verschwinden auch diese<br />
Geschichten mit ihnen. Die Bilder,<br />
die sie mit mir geteilt hat, bleiben. Als<br />
sie gestorben ist, habe ich am Anfang<br />
gar nicht ständig daran gedacht, dass<br />
sie nicht mehr da ist. Aber eineinhalb<br />
Jahre später hat es mich eingeholt.<br />
Was ich jetzt ganz stark spüre, ist,<br />
„WENN ICH MAL<br />
STERBEN MUSS,<br />
WÜRDE ICH MEINE<br />
LEDERJACKE<br />
MIT INS GRAB<br />
NEHMEN“<br />
dass ich dieses Gerüst vermisse. Meine<br />
Großeltern und die Anwesenheit<br />
dieser stabilen Ehe haben sich wie<br />
ein Dach über unserer Familie angefühlt.<br />
Das war plötzlich weg. Das war,<br />
als würde es auf einmal reinregnen.<br />
Die eigene Vergänglichkeit ist mir das<br />
erste Mal bewusst geworden, als ich<br />
eine Panikattacke hatte. Ich war acht<br />
Jahre alt und alleine auf dem Bauernhof<br />
meiner anderen Oma. Sie war einkaufen.<br />
Ich habe Fernsehen geguckt<br />
und plötzlich keine Luft mehr bekommen.<br />
Dann ist mir irgendwie klar geworden,<br />
dass ich ja auch sterben kann.<br />
Ich hatte Angst. Auch in Tel Aviv, als<br />
wir im November 2012 den Film „Hannas<br />
Reise“ gedreht haben, hatte ich so<br />
ein Erlebnis. Wir haben vier Raketenangriffe<br />
miterlebt. Es sind 30 Sekunden,<br />
man hört Sirenen und es knallt<br />
irgendwo. Man hat dann Zeit, sich im<br />
Bomb-Shelter oder in einem Hauseingang<br />
zu verstecken, auf jeden Fall weg<br />
von Glasscheiben. Dann schauen alle<br />
auf ihr Handy, wo die Bombe eingeschlagen<br />
ist. Wenn es nicht in der Nähe<br />
ist, wo die eigene Familie lebt, gehen<br />
die Leute normal ihrem Alltag nach.<br />
Diese Alltäglichkeit des Todes dort ist<br />
stark bei mir hängengeblieben. Wenn<br />
ich mal sterben muss, würde ich meine<br />
Lederjacke mit ins Grab nehmen –<br />
zumindest, wenn ich keine Kinder<br />
habe, die sie weitertragen können. Ich<br />
liebe sie und hänge an ihr. Alle meine<br />
Freunde kennen diese Jacke, weil sie<br />
so etwas wie mein Alter Ego ist. Sie ist<br />
braun und so klein, dass sie selbst mir<br />
fast nicht mehr passt, obwohl ich so<br />
winzig bin. Sie liegt ganz eng an und ist<br />
wie eine Schutzhülle für mich. Ich kann<br />
sie auch nicht mehr zumachen und darum<br />
im Winter nicht mehr anziehen,<br />
weil es sonst zu kalt ist. Ich habe sie<br />
vor vierzehn Jahren, also mit achtzehn,<br />
bei einem Dreh von der Kostümbildnerin<br />
für ganz wenig Geld abgekauft,<br />
für etwa zwanzig Mark. Sie hatte sie<br />
damals schon aus einem Secondhandladen<br />
gekauft. Das Leder ist in einem<br />
ganz warmen Braun und ganz abgeschubbert.<br />
Sie ist schon sehr kaputt,<br />
hat offene Ecken und ist aufgeraut; Verletzungen,<br />
die in all diesen Jahren stattgefunden<br />
haben. Schlechte Erlebnisse.<br />
Aber es gab auch viele gute Momente<br />
mit meiner Jacke. Das steckt alles in ihr.<br />
Karoline Schuch (*1981) ist unter anderem<br />
im Kölner Tatort als die Tochter des<br />
Kommissars Freddy Schenk zu sehen.<br />
Ihr neuer Film „Hannas Reise“, Regie Julia<br />
von Heinz, läuft ab 23. Januar 2014 in den<br />
Kinos.<br />
Nr.12<br />
122<br />
123<br />
Nr.12
HOROSKOP<br />
Illustration: Schmirella Kritzel<br />
WIDDER<br />
21. März - 20. April<br />
Verdammt, sieht das schlecht aus.<br />
Dunkle Wolken ziehen auf. Es regnet<br />
schwarze Asche. Was den einen oder<br />
anderen verdrießen könnte, fordert Sie<br />
aber erst so richtig heraus. Machen Sie<br />
also das Beste draus, preschen Sie vor.<br />
Stellen Sie die Musikanlage auf laut<br />
und spielen Sie peinliche Sommerhits.<br />
Arbeiten Sie an ihrem Lambada-Handicap.<br />
Gehen Sie in die Sauna. Seien Sie<br />
ein Eroberer. Denn in Zeiten der Apokalypse<br />
hat der Widder gute Karten.<br />
Sein Drive wird überwiegend positiv<br />
aufgenommen. Ein Winter gesättigt<br />
<br />
bevor.<br />
ZWILLING<br />
21. Mai - 21. Juni<br />
UNTERGANG DES ABENDLANDES<br />
ES HILFT NIC HTS . W IR MÜSSEN DIE K ARTEN AUF DEN T I SCH LEGEN. D IES ER W INTER WIRD EINE EINZ I G E<br />
K ATAS TROPHE. E IN D E S A S TER. D IE STERNE S IND AUF K RAWALL GEBÜRS TET. D IE G ÖTTER HABEN KOS MISCH E N<br />
STREIT. D ER U NTERGANG DES A BENDLANDES NAHT. A BER ES GIBT J A NOC H DIE F RÄULEIN. W I R H A B E N K E I N E<br />
K O S TEN UND M ÜHEN GESCHEUT UND EINEN PROFILIERTEN CHAOS FORSCHER UND H OBBY-A P O K A LY P T I K E R<br />
GEBETEN, FÜR SIE DIE RIC HTIGE SURVIVALS TRATEGIEN Z U ENTWIC K E L N .<br />
Ché Guevara war ein Zwilling. In Ihnen<br />
wird in Zeiten des Aufruhrs also<br />
der Guerillero geweckt. Übernehmen<br />
Sie diesen Winter das Kommando,<br />
bändigen Sie die beiden Seelen in Ihrer<br />
Brust. Fokussierung tut not um die<br />
Truppen auf Linie zu bringen, Streit<br />
zu schlichten, alte Bekanntschaften<br />
wieder aufzufrischen und sich mit der<br />
Familie zu versöhnen. Denn! Im Kampf<br />
-<br />
<br />
Vielleicht entdecken Sie ganz neue<br />
Qualitäten in Ihrem Umfeld. Ein jeder<br />
Ahab braucht einen Starbucks. Schreiben<br />
Sie sich das hinter die Ohren.<br />
STIER<br />
21. April - 20. Mai<br />
In Zeiten des Weltuntergang stehen<br />
Sie lässig mit einem gesüßten Latte<br />
macchiato in der Linken, den Liebsten<br />
oder die Liebste im Arm, im Vorgarten<br />
Ihrer Vorstadtvilla, während die Reiter<br />
der Apokalypse vorbeipreschen. Stiere<br />
sind Genießer, warum jetzt also die<br />
Ausnahme zur Regel machen? Laden<br />
Sie Ihre besten Freunde ein, kochen<br />
Sie alle zusammen ein aufwändiges<br />
Menü, trinken Sie den besten Cremant<br />
zum Aperitif, weiter geht’s mit Moscow<br />
Mule und Gin and Tonic, während der<br />
Lachs im Mund schmilzt und draußen<br />
alle Dämme brechen. Lecker geht die<br />
Welt zugrunde!<br />
KREBS<br />
22. Juni - 22. Juli<br />
In gewisser Weise sind Weltuntergangsszenarien<br />
ja perfekt für Sie. Keiner<br />
ruft an, keiner will auf einen Drink<br />
vorbeikommen, niemand nervt, während<br />
Sie es sich in Ihrem kleinen Krus-<br />
<br />
Pizza von Joey’s, dazu ein Feelgood-<br />
Movie streamen. „Notting Hill“ oder so<br />
einen Quatsch. Wir wollen es deutlich<br />
ben!<br />
Jetzt ist die Zeit dafür gekommen.<br />
Während die Sonne erlischt und die<br />
Flüsse über die Ufer treten, machen<br />
Sie amore. Sonst kommen wir nämlich<br />
persönlich vorbei und schmeißen Sie<br />
aus Ihrer Komfortzone hinaus ins Chaos.<br />
Versprochen.<br />
JUNGFRAU<br />
24. August - 23. September<br />
Little Miss perfect hat schon vorgesorgt<br />
für das Ende? Der Kühlschrank<br />
ist voll mit Leckereien, das Mensch-<br />
<br />
die eine oder andere schlaue These<br />
zum kulturellen Bruch in Zeiten der<br />
Krise geposted? Sie können diesen<br />
Quatsch von der aufgeräumten Jungfrau<br />
nicht mehr hören? Werden sich<br />
mit 12 Jahre altem Havanna Club Rum<br />
die Kante geben und dabei avancierte<br />
und coole Musik von Miles Davis und<br />
den Talking Heads, schließlich „Tomorrow<br />
never knows“ von den Beatles auflegen,<br />
während draußen der Vorhang<br />
fällt? Super. Wir kommen dann nach<br />
Redaktionsschluss vorbei.<br />
LÖWE<br />
23. Juli - 23. August<br />
Napoleon, Hitchcock, Fidel Castro, in<br />
einem Löwen steckt schon eine gehörige<br />
Portion Diktator. Für sie ist der<br />
Untergang des Abendlandes also gewissermaßen<br />
Routine, vielleicht sogar<br />
ein gehöriger Kick, möglicherweise<br />
sind Sie sogar schuld daran! Sollten<br />
Sie mit Ihrer willfährigen Possy bereits<br />
im brennenden Moskau sitzen, tja,<br />
dann kommen wir zu spät. Falls nicht,<br />
<br />
Empathie, seien Sie gnädig und aufmerksam,<br />
dann werden Sie in Zeiten<br />
des Aufruhrs zum veritablen Anführer.<br />
Rooaar.<br />
WAAGE<br />
24. September - 23. Oktober<br />
„It’s the end of the world as we know it“<br />
und Sie fühlen sich gut dabei. Denn für<br />
die Waage kommt es nicht auf solche<br />
Petitessen wie das Ende der Menschheit<br />
an, solange das kosmische Gleichgewicht<br />
erhalten bleibt. Irgendwo wird<br />
es schon noch Leben geben im Universum,<br />
und seien es kleine Echsenmenschen<br />
mit blubbernder Aussprache.<br />
Also, schlendern Sie bitte am Rand<br />
der Apokalypse entlang und pfeifen<br />
Sie R.E.M. vor sich hin. Bewundern Sie<br />
den Sternenfall, tänzeln Sie im Heuschreckenregen.<br />
Unsere Absolution<br />
haben Sie doch längst.<br />
SKORPION<br />
24. Oktober - 22. November<br />
Sie sind ein ziemlich selbstbewusster<br />
und unabhängiger Typ. Und klar, kurz<br />
vor Schluss steht jeder für sich alleine<br />
da. Für die Apokalypse haben Sie nur<br />
ein müdes Lächeln übrig. Wenn es sein<br />
muss, versetzten Sie der Welt selbst<br />
noch den entscheidenden Stich. Das<br />
mag ja so weit recht gut funktioniert<br />
haben. Aber ganz ehrlich? Irgendwie<br />
trostlos diese Attitüde. Man muss sich<br />
ja nicht gleich zusammen mit einem<br />
Haufen Honks gegen Zombies in einem<br />
Supermarkt verschanzen um ins<br />
Gespräch zu kommen. Wagen Sie sich<br />
heraus, treffen Sie den Nachbarn auf<br />
einen Schnack über die Ragnarök.<br />
SCHÜTZE<br />
23. November - 21. Dezember<br />
Geplagte prominente Sensibelchen wie<br />
Willy Brandt und Ludwig van Beethoven<br />
sind klassische Schützen. Und beide<br />
Säufer vor dem Herren noch dazu.<br />
Wir wollen jetzt nichts unterstellen.<br />
<br />
nüchtern bleiben! Denn es warten so<br />
einige Fettnäpfchen auf dem Weg in<br />
den Abgrund. Und die kann man dann<br />
natürlich hinterher nicht mehr korrigieren.<br />
Also Augen auf, den Geist wach<br />
halten und den Mund aufmachen,<br />
dann wird es ein verdammt noch mal<br />
heißer Winter.<br />
STEINBOCK<br />
22. Dezember - 20. Januar<br />
Stoisch gehen Sie voran, auch wenn<br />
sich die Welt um sie herum aus den<br />
Angeln zu heben droht. Das hat was<br />
Cooles, Bestimmtes, sieht ein wenig<br />
<br />
wissen schon, der Held oder die Heldin<br />
sprengt in letzter Sekunde den auf die<br />
Erde zurasenden Meteoriten. Alle sind<br />
erfüllung,<br />
kann das wirklich alles sein?<br />
Sie wissen ja, „it’s lonesome at the top“.<br />
Vielleicht sollten Sie sich mit einem<br />
Skorpion treffen, mal über alles reden,<br />
vielleicht sprühen da die Funken.<br />
WASSERMANN<br />
21. Januar - 19. Februar<br />
Für Sie ist das hier alles ein großer<br />
Spaß. Die Welt geht unter, „ja geil“!<br />
Denn das Chaos bietet Raum für neue<br />
Ideen und belohnt den schnellen Geistesblitz<br />
eher als die langwierige Planung.<br />
Für diese Haltung haben wir<br />
große Sympathie. Ehrlich. Das erinnert<br />
uns an die redaktionelle Arbeit an der<br />
<strong>Fräulein</strong>. Da herrscht das ungeordnete<br />
Chaos, nicht die bedächtige, zielorientierte<br />
Planung. Also tun wir uns<br />
zusammen. Ein wenig mehr Kontrolle<br />
bei gleichbleibender Kreativität und<br />
die nächste globale wie redaktionelle<br />
Deadline kann kommen.<br />
FISCHE<br />
20. Februar - 20. März<br />
Hallo, jemand zu Hause?! Kaum rumpelt<br />
es mal ein wenig im globalen Gefüge,<br />
kaum verschieben sich die tektonischen<br />
Platten, kaum regnet es Feuer<br />
und Asche, und schon tauchen Sie unter.<br />
Dabei sind Fische zum Größten<br />
fähig. Einstein war einer, ebenso Steve<br />
Jobs und George Washington. Kreative<br />
Individualisten, die immer wieder<br />
Probleme für große Krisen gefunden<br />
<br />
Welt retten könnte, dann Sie! Heraus<br />
mit den Ideen, mutig voran, dann gibt<br />
es noch Hoffnung für uns Normalsterbliche.<br />
Nr.12<br />
124<br />
125<br />
Nr.12
IMPRESSUM<br />
RÄTSEL<br />
Illustration: Paraskewi Palaska<br />
<strong>Fräulein</strong> ist eine<br />
Off One’s Rocker Ltd. Produktion<br />
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<strong>Fräulein</strong> Magazin<br />
Kurfürstenstraße 31-32<br />
10785 Berlin<br />
<br />
<br />
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Chefredakteur und Kreativdirektor<br />
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Götz Offergeld<br />
Stellvertretender Chefredakteur<br />
Hendrik Lakeberg<br />
Creative Consultant<br />
Aoife Wasser<br />
Art-Direktion<br />
Andreas Kuschner<br />
<br />
Redaktionsleitung<br />
Anna Klusmeier<br />
International Fashion Editor<br />
Bernat Buscato<br />
Mode & Beauty<br />
Sina Braetz<br />
Fashion Department New York<br />
Leo Saraniecki<br />
Kultur und Politik<br />
Ruben Donsbach<br />
Schlussredaktion<br />
Eckart Eisenblätter<br />
Redaktion<br />
Lorenz Schröter, Maja Hoock, Robert Grunenberg<br />
Autoren<br />
Janin Katharina Hasteden, Michele Roten, Sarah<br />
Harris Wallman, Sibylle Berg, Wäis Kiani, Willy<br />
Katz<br />
Fotografen<br />
Adam Fedderly, Bela Borsodi, Bernd Uhlig,<br />
Fabian Blaschke, Hadley Hudson, Heiko Richard,<br />
Irina Gavrich, Jane Stockdale, Marie Zucker,<br />
Romina Rosa, Sabine Volz, Stefan Armbruster,<br />
Sibylle Berg, Thomas Ruff, Toni Nüsse, Yvan<br />
Rodic<br />
Illustratoren<br />
Andreas Steinbrecher, Arezu Weitholz, Julio Rölle,<br />
Katrin Funcke, Lenia Hauser, Paraskewi Palaska,<br />
Patricia Keller, PepiArt, Schmirella Kritzel<br />
Styling<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
Off Ones Rocker Publishing Ltd.<br />
Kurfürstenstraße 31-32<br />
10785 Berlin<br />
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79618 Rheinfelden<br />
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<br />
<br />
info@mms-marrenbach.de<br />
Italien<br />
Ediconsult Internazionale S.r.l.<br />
Luigi De Mari<br />
<br />
milano@ediconsult.com<br />
Großbritannien<br />
IGP - International & German Media Specialists<br />
Talbert House, 52A Borough High Street<br />
London SE1 1XN<br />
<br />
info@igpmedia.com<br />
ZEHN SKIER DIE FRÄULEIN FAHREN WILL<br />
RÄTSEL UND ZEHN FEHLER DIE ZU FINDEN SIND<br />
HÄNDLERVERZEICHNIS<br />
A<br />
Acne<br />
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B<br />
Burberry<br />
www.burberry.com<br />
C<br />
Calvin Klein<br />
www.calvinklein.com<br />
Cartier<br />
www.cartier.de<br />
Converse<br />
www.converse.de<br />
D<br />
Del Toro<br />
www.deltoroshoes.com<br />
Diesel<br />
www.diesel.com<br />
Dolce & Gabbana<br />
www.dolcegabbana.de<br />
Dries Van Noten<br />
www.driesvannoten.be<br />
E<br />
Emporio Armani<br />
www.armani.com<br />
Equipment<br />
www.equipmentfr.com<br />
Eres<br />
www.eresparis.com<br />
F<br />
Fabergé<br />
www.faberge.com<br />
Franklin & Marshall<br />
www.franklinandmarshall.<br />
com<br />
G<br />
Giannico<br />
www.giannicoshoes.com<br />
Gianvito Rossi<br />
www.gianvitorossi.com<br />
Giorgio Armani<br />
www.armani.com<br />
Gucci<br />
www.gucci.com<br />
H<br />
Helmut Lang<br />
www.helmutlang.com<br />
Hervé Van der Straeten<br />
www.net-a-porter.com<br />
I<br />
Isabel Marant<br />
www.isabelmarant.com<br />
J<br />
Jill Sander<br />
www.jilsander.com<br />
Jolibe<br />
www.jolibe.com<br />
Just One Eye & The Row<br />
www.justoneeye.com<br />
L<br />
La Perla<br />
www.laperla.com<br />
Le Gramme<br />
www.legramme.com<br />
M<br />
Manolo Blahnik<br />
www.manoloblahnik.com<br />
Merve Kahraman<br />
www.mervekahraman.com<br />
Miu Miu<br />
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N<br />
Nike<br />
www.nike.com<br />
P<br />
Pamela Love<br />
www.pamelalovenyc.com<br />
Pomellato<br />
www.pomellato.com<br />
Prada<br />
www.prada.com<br />
Proenza Schouler<br />
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R<br />
Ralph Lauren<br />
www.ralphlauren.de<br />
Reed Krakoff<br />
www.reedkrakoff.com<br />
S<br />
Sacai<br />
www.sacai.jp<br />
Saint Laurent<br />
www.ysl.com<br />
Sophie Hulme<br />
www.sophiehulme.com<br />
T<br />
Thom Browne<br />
www.thombrowne.com<br />
Tony & Guy<br />
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V<br />
Versace<br />
www.versace.com<br />
Victoria Beckham<br />
www.victoriabeckham.com<br />
W<br />
Wolford<br />
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Nr.12 Nr.11<br />
126<br />
127<br />
Nr.12
SACHEN GIBT ES<br />
Text: Lorenz Schröter<br />
Illustration: Romina Rosa<br />
MODERNE<br />
SKLAVEN<br />
Je nach Definition gibt es weltweit zwischen 20 und 30 Millionen Sklaven. Das<br />
gilt für jeden, der gegen seinen Willen oder unter Strafandrohung arbeiten muss,<br />
so die UN-Konvention. Schuldknechtschaft, Straflager, arrangierte Ehen, ausgebeutete<br />
Fabrikarbeiter, Kinder armer Verwandter im Haushalt - oft ist es nicht<br />
ganz einfach zu sagen, wann Sklaverei beginnt. Ganz anders bei den folgenden<br />
Beispielen.<br />
IM HAUSHALT<br />
ALS SOLDAT<br />
Laut terre des hommes gibt es 250.000<br />
Kindersoldaten weltweit. Aber auch in<br />
regulären Armeen wird zwangrekrutiert.<br />
Viele der Flüchtlinge aus Eritrea<br />
<br />
Heimat, der auch mal 27 Jahre dauern<br />
kann, ohne Chance auf Entlassung.<br />
Proteste und Demonstrationen gegen<br />
den Zwangsdienst werden von der<br />
Regierung zusammengeschossen, zu<br />
<br />
Gefängnissen von Eritrea, nur ein Ziel<br />
<br />
ALS KÜCHENHILFE<br />
pierin<br />
arbeitete von morgens sieben<br />
Uhr bis nachts um eins in einem angesagten<br />
Lokal. Nach anderthalb Jahren<br />
hatte sie gerade mal 800 Euro verdient.<br />
Ihr Arbeitgeber kam mit einer Bewährungsstrafe<br />
davon. In einigen chinesischen<br />
Restaurants in Europa und<br />
Nordamerika werden illegale Einwanderer<br />
als Spüler beschäftigt. Von ihren<br />
Landsleuten angeworben, bleiben sie<br />
auch wegen fehlender Sprachkenntnisse<br />
und einem tief sitzendem Misstrauen<br />
gegenüber Behörden und Polizei in<br />
einer für sie ausweglos erscheinenden<br />
Lage gefangen.<br />
Im bayrischen Herrieden mussten<br />
über Jahre sieben Aupair-Mädchen aus<br />
Osteuropa bis zu 14 Stunden arbeiten,<br />
für 40 Cent Stundenlohn. Eine junge<br />
Rumänin wurde derart geschlagen,<br />
dass sie sich umbrachte. Ihre „Arbeitgeber“<br />
sitzen im Gefängnis. Filipinas<br />
sind seit Jahrzehnten in Hongkong<br />
als Rund-um-die-Uhr-Angestellte, als<br />
sogenannte Amahs, für 380 Euro Monatslohn<br />
im Haushalt tätig, manche<br />
schlafen auf dem Kühlschrank, weil<br />
kein Platz für sie ist. Noch schlimmer<br />
ergeht es den hunderttausend Äthiopierinnen,<br />
die in saudischen Haushalten<br />
ausgebeutet und misshandelt werden.<br />
Westafrikaner schicken traditionell<br />
ihre Kinder zu reichen Verwandten,<br />
wo sie als Diener oder Magd arbeiten.<br />
Auch die Kinder aus erster Ehe einer<br />
Witwe werden in der neuen Familie oft<br />
als Haushaltshilfen mit Schlafplatz unter<br />
der Treppe gehalten.<br />
AUF DEM FELD<br />
Eine schlechte Ernte, eine Krankheit,<br />
schnell geraten Arme in Schuldknechtschaft.<br />
Die Betroffenen müssen dann<br />
zu jeden Bedingungen arbeiten, oft<br />
in der Feldwirtschaft ihrer Gläubiger.<br />
Da Schuldknechtschaft auch vererbt<br />
werden kann, bleiben Generationen<br />
darin gefangen. Ein Beispiel, das Hoff-<br />
<br />
von sudanesischen Milizen niedergebrannt,<br />
mit neun wurde er von arabischen<br />
Viehhirten entführt um ihre<br />
Herden zu hüten. Nach seiner Flucht<br />
wurde er Marathonläufer und als unabhängiger<br />
Athlet 47. beim olympischen<br />
Wettbewerb 2012.<br />
AUF BAUSTELLEN<br />
In den Öl-Ländern am Golf und in<br />
Aserbaidschan werden Männer aus<br />
Pakistan, Nepal und Bangladesch<br />
engagiert, um die harte und gefährliche<br />
Arbeit auf den Ölfeldern und den<br />
Baustellen zu verrichten. Sie bekommen<br />
in der Regel ein auf zwei Jahre<br />
befristetes Arbeitsvisum, dürfen das<br />
Land und auch ihre Baustelle nicht vor<br />
Vertragsende verlassen und sind der<br />
Willkür ihrer Arbeitgeber völlig ausgeliefert,<br />
können zum Beispiel ihren<br />
Lohn nicht einklagen. Da diese Arbeiter<br />
meist über Agenturen vermittelt<br />
werden, werden sie meist doppelt ausgebeutet,<br />
von den Agenturen und von<br />
dem Arbeitgeber vor Ort.<br />
IM STEINBRUCH<br />
Bürgerkrieg, eine Dürre, keine andere<br />
bau<br />
muss billig hergestellt werden, nur<br />
die Ärmsten haben keine Wahl. Notorisch<br />
sind die Steinbrüche in Indien,<br />
die bolivianischen Silber- in Potosi<br />
oder die Goldminen des Ost-Kongos.<br />
IN FABRIKEN<br />
Noch vor wenigen Jahren wurden chinesische<br />
Wanderarbeiter in Fabriken<br />
eingesperrt. Bei Bränden waren sie<br />
<br />
besseren Job. In der giftigen Färbeindustrie<br />
sank die Durchschnittsverweildauer<br />
auf ein halbes Jahr. Die Löhne<br />
im Süden Chinas stiegen auf 74 Euro<br />
<br />
weiter. Zum Beispiel nach Bangladesch,<br />
dort verringerte sich in den letzten Jahren<br />
zwar die Kindersterblichkeit, die<br />
Mädchenbildung stieg. Doch die maroden<br />
Fabriken begannen einzustürzen.<br />
Ähnliches passiert zur Zeit in Malaysia<br />
<br />
die unter sehr schwierigen Verhältnissen<br />
ihre 28 Euro im Monat verdienen.<br />
IN DER<br />
PROSTITUTION<br />
Aus der Provinz Edo in Nigeria locken<br />
so genannte Madames, das sind<br />
ehemalige Prostituierte, junge Frauen<br />
nach Europa. Dort werden sie durch<br />
Drohungen und Aberglaube gefügig<br />
gemacht und auf den Straßenstrich<br />
geschickt. 99 Prozent aller nigerianischen<br />
Prostituierten in Europa sei es<br />
so ergangen, meint Bisi Olagbegi von<br />
der nigerianischen Frauenorganisation<br />
Wocon, Woman Consortium of Nigeria.<br />
Seitdem es möglich ist, das Geschlecht<br />
eines Ungeborenen zu bestimmen,<br />
wurden in Indien und China Millionen<br />
weiblicher Embryos abgetrieben<br />
- zehn Millionen indische Mädchen in<br />
zwanzig Jahren. Diese fehlen auf dem<br />
Heiratsmarkt, als billige Arbeitskraft<br />
und in den Bordellen. Zu Hunderttausend<br />
werden Teenagerinnen aus den<br />
ärmeren Provinzen des Südens in die<br />
reicheren des Nordens entführt und<br />
verkauft.<br />
Nr.12<br />
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Nr.12
Nr.12<br />
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