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Fräulein Rainer Judd (Vorschau)

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2,90<br />

EURO<br />

RAINER JUDD<br />

„I HAD TO KNOCK HIM DOWN“<br />

A 3,20 EUR<br />

CH 4,50 SFR<br />

LUX 3,40 EUR<br />

AUSGABE 12/2013<br />

LOUISE WILSON<br />

DER DRILL-INSTRUCTOR<br />

DER MODE<br />

VICE<br />

DIE ZUKUNFT<br />

DES JOURNALISMUS?


<strong>Rainer</strong> <strong>Judd</strong><br />

Unser <strong>Fräulein</strong> dieser Ausgabe <strong>Rainer</strong><br />

<strong>Judd</strong> ist ein freier Geist. Kein Wunder,<br />

ist die Tochter des Künstlers Donald<br />

<strong>Judd</strong> doch in der Wüste von Marfa<br />

und im New Yorker Kreativbezirk Soho<br />

aufgewachsen, hatte eine Gang und<br />

wurde von texanischen Grenzbeamten<br />

gebabysittet.


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2014<br />

Das Jahr 2013 hat für <strong>Fräulein</strong><br />

eine ganze Reihe wichtiger<br />

Veränderungen mit<br />

sich gebracht! Neue Kollegen<br />

haben unsere Redaktion<br />

verstärkt, die Leserzahlen<br />

sind kontinuierlich<br />

gewachsen, es gibt nun<br />

einen viel frequentierten<br />

<strong>Fräulein</strong>-Blog, der 2014 weiter<br />

ausgebaut werden soll.<br />

Dazu kommt im nächsten<br />

Jahr ein ePaper, welches im<br />

App Store heruntergeladen<br />

werden kann.<br />

Trotz all dieser Veränderungen<br />

glaube ich, dass<br />

wir den Kern unseres Heftes<br />

bewahren konnten. Die<br />

überwiegend positiven<br />

Reaktionen von Ihnen, den<br />

Lesern, haben mich darin<br />

bestärkt, dass wir auf dem<br />

richtigen Weg sind.<br />

In der <strong>Fräulein</strong> kommen<br />

besondere und großartige<br />

Frauen zu Wort, die einen<br />

Unterschied machen, nicht<br />

nur jene, die eh immer im<br />

Rampenlicht stehen. Denn<br />

tolle Frauen gibt es überall!<br />

<br />

aktuellen Ausgabe <strong>Fräulein</strong>s<br />

wie <strong>Rainer</strong> <strong>Judd</strong>, deren<br />

ungewöhnlicher Name<br />

nicht nur „arty“ klingt,<br />

sondern Programm ist. Die<br />

geborene New Yorkerin<br />

setzt neben ihrer Arbeit als<br />

Schauspielerin und Autorin<br />

das außergewöhnliche<br />

Werk ihres Vaters Donald<br />

<strong>Judd</strong> als Co-Vorsitzende der<br />

<strong>Judd</strong> Foundation fort. Ein<br />

Leben für die Kunst und die<br />

künstlerische Bildung!<br />

Wir trafen die japanische<br />

Bondagekünstlerin und<br />

Domina CoCo Katsura, die<br />

<strong>Fräulein</strong> fernab von billigen<br />

Klischees wie den „Shades<br />

of Grey“ über die feine Balance<br />

zwischen Schmerz<br />

und Lust erzählt hat.<br />

In London sprachen wir<br />

mit der großartig gnadenlosen<br />

Louise Wilson, Leiterin<br />

des Masterstudiengangs<br />

Fashion Design am renommierten<br />

Central Saint Martins<br />

College. Sie hat über<br />

die Karrieren einiger der<br />

größten zeitgenössischen<br />

Modedesigner entschieden.<br />

Ein Essay erzählt von der<br />

legendären Judith Malina,<br />

Gründerin einer der<br />

wichtigsten Off-Broadway-<br />

Institutionen, dem Living<br />

Theatre, die mit ihren Performances<br />

das New Yorker<br />

Establishment zur Weißglut<br />

getrieben hat.<br />

Wie immer gibt es viel<br />

Mode zu sehen, Must-haves,<br />

sowie ein Schnittmuster<br />

vom <strong>Fräulein</strong>versteher<br />

Zac Posen zu sehen. Außerdem<br />

werfen wir einen<br />

Blick in die Sterne, der für<br />

den Winter die Apokalypse<br />

voraussagt!<br />

<strong>Fräulein</strong> ist ein Independent-Magazin.<br />

Wir sind<br />

stolz auf unsere Unabhängigkeit<br />

und wollen weiter<br />

genau die Geschichten und<br />

<br />

wichtig sind, uns dabei stetig<br />

verbessern und weiterwachsen.<br />

Das geht nur mit Ihnen zusammen,<br />

den Lesern! Wer<br />

die <strong>Fräulein</strong> liebt wie wir,<br />

der soll von ihr erzählen, sie<br />

seinen Freunden ans Herz<br />

legen und den Eltern unter<br />

den Christbaum legen.<br />

Bis zum Wiedersehen im<br />

neuen Jahr wünschen wir<br />

allen erholsame und wunderschöne<br />

Weihnachten<br />

mit den Liebsten, einen guten<br />

Start für 2014 und viel<br />

Spaß beim Lesen!<br />

Ihr Götz Offergeld<br />

Nr.12<br />

6<br />

7<br />

Kollektion<br />

Nr.12


LUDWIG BECK<br />

MUNICH OBERPOLLINGER<br />

STUTTGART BREUNINGER<br />

BURGSTRASSE 3, MUNICH<br />

Nr.12<br />

NEUHAUSERSTR.18, MUNICH<br />

8<br />

MARKTSTRASSE 1-3, STUTTGART<br />

9<br />

Nr.12


Illustration: Julio Rölle - www.44flavours.com<br />

NYMPHEN<br />

Was uns Lars von Trier mit „Nymphomaniac“<br />

wirklich sagen will.<br />

S.20<br />

SCHNITTMUSTER<br />

Die Kleider von Zac Posen<br />

sind nichts für Anfänger.<br />

S.58<br />

OPFER DES SYSTEMS<br />

Auf der ganzen Welt müssen Menschen<br />

als Sklaven schuften.<br />

S.128<br />

EMMANUELLE SEIGNER<br />

ist eine der schönsten Frauen der Welt.<br />

Und eine großartige Schauspielerin.<br />

SCHÖNER SCHMERZ<br />

Die Domina CoCo Katsura kennt die Kunst des Bondage.<br />

S.102<br />

FUCK OFF!<br />

Die Theaterlegende Judith Malina<br />

S.118<br />

JUNG UND ZORNIG<br />

Die israelische Autorin Shani Boianjiu<br />

über dumme alte Männer.<br />

S.112<br />

S.56<br />

RAINER JUDD<br />

Tochter, Rebellin, Autorin, Filmemacherin –<br />

unser <strong>Fräulein</strong> ist ein tiefenentspannter Workaholic.<br />

S.64<br />

TITA GIESE<br />

<br />

zwischen Kunst und Botanik. Jetzt kommt<br />

sie nach Berlin.<br />

S.42


CONTRIBUTORS<br />

BELA BORSODI<br />

aus New York hat unsere Prada-Brillen<br />

erotisch in Szene gesetzt. Er ist ein Fotograf<br />

mit unglaublichen Ideen!<br />

NORA LUTHER<br />

CHRISTOPHER SCHMIDT<br />

PAVEL BECKER<br />

Dream-Team! Die drei kreativen Köpfe<br />

unterstützten uns beim Produzieren<br />

unserer Stilseiten, ihr wart klasse!<br />

FABIAN BLASCHKE<br />

Mein schönes <strong>Fräulein</strong>, darf ich‘s wagen,<br />

mein Arm und Geleit anzutragen.<br />

In dem Sinne hat der Fotograf Fabian<br />

Blaschke uns diesmal mit seinem<br />

ehrlichen Portrait der Schriftstellerin<br />

Chloe Zeegen bereichert.<br />

ROMINA BIRZER<br />

Für das schwere Thema der<br />

„Modernen Sklaverei“ hat<br />

Romina in ihren Illustrationen<br />

genau den richtigen<br />

Tonfall gefunden.<br />

WÄIS KIANI<br />

Wer einen „Dizz“ auf Lady Gaga<br />

tionsfalle<br />

des Pop landen. Nicht so die<br />

gnadenlose Wäis!<br />

PEPI ART<br />

Wenn das nicht eine Hommage an den<br />

<br />

für uns unser Pin-up James Franco.<br />

PARASKEWI PALASKA<br />

Dein Rätsel hat uns den Kopf<br />

verdreht und Lust auf den Winterurlaub<br />

gemacht! Danke!<br />

HEIKO RICHARD<br />

ist <strong>Fräulein</strong>s Geheimwaffe.<br />

Die Bondage-Künstlerin<br />

CoCo Katsura ließ sich gern<br />

von ihm in Szene setzten.<br />

SOPHIE PHILIPP<br />

Das Horoskop haben wir diesmal zum<br />

Fressen gern. Was an Sophies animalischen<br />

und reichen Illustrationen liegt.<br />

SABINE VOLZ‘<br />

Fotos von unseren Rezepten sind<br />

moderne Stilllifes. Danke für deinen<br />

besonderen „Touch“ Sabine.<br />

IRINA GAVRICH<br />

hat für uns echte Männer ausgezogen,<br />

<br />

STEFAN ARMBRUSTER<br />

Seine Modestrecke würde unser<br />

<strong>Fräulein</strong> <strong>Rainer</strong> <strong>Judd</strong> als „so of the now“<br />

bezeichnen!<br />

MARIE ZUCKERS<br />

Fotos von Petite Meller haben den Glamour<br />

von 3 Tagen auf einem höllischen Cocktail.<br />

YVAN RODIC<br />

Der King unter den Stilbloggern zeigt mit seinen<br />

Fotos für unsere Street Style Rubrik, wie viel<br />

Power in Johannesburg steckt.<br />

WILLY KATZ<br />

ist ein ausgebrannter Lohnschreiber des bürgerlichen<br />

Feuilletons. Bei <strong>Fräulein</strong> betreut er das Ressort<br />

„White Light/White Heat“.<br />

JANIN KATHARINA HASTEDEN<br />

hat für <strong>Fräulein</strong> Emmanuelle Seigner<br />

aus der Reserve gelockt.<br />

LENIA HAUSER<br />

tete<br />

eine zuckersüße Illustration für unser<br />

Rotweincreme-Rezept! Yummi!<br />

JANE STOCKDALE<br />

ist unser visuelles Powerhouse aus<br />

London. Mit ihrer coolen Art entlockte<br />

<br />

Wilson, Direktorin des CSM College<br />

und Grand Madame der Modewelt, ein<br />

reizendes Lächeln.<br />

JULIO RÖLLE - 44FLAVOURS<br />

hat den Streetstyle in unserem<br />

Inhaltsverzeichnis zelebriert. Word.<br />

Nr.12<br />

ANDREAS STEINBRECHER<br />

Die 90er sind zurück, das sieht man<br />

an Andreas‘ poppiger Illustration<br />

für unseren Essay.<br />

12<br />

PATRICIA KELLER<br />

hat für uns die Welt der Kunst in eine<br />

Karte gebannt. Welcome on board!<br />

HADLEY HUDSON<br />

Samia Halaby war begeistert von<br />

<br />

schlau, neugierig und charmant. Dem<br />

ist nichts hinzuzufügen.<br />

13<br />

KATRIN FUNCKE<br />

<br />

res<br />

Antifräuleins rockt ziemlich!<br />

Nr.12


WWW.LIEBESKIND-BERLIN.COM


TALENT<br />

Text: Maja Hoock<br />

Foto: Fabian Blaschke<br />

chloe<br />

zeegen<br />

CHLOE ZEEGENS<br />

GESCHICHTEN KLINGEN<br />

SO POETISCH WIE GROSSE<br />

URBANE GEDICHTE. SIE<br />

SIND MODERN, WITZIG<br />

UND LESEN SICH WIE<br />

BUTTER. TROTZDEM HABEN<br />

SIE EINE BOTSCHAFT. DAS<br />

GIBT ES SELTEN.<br />

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Nachdem Chloe Zeegen in einer bürgerlichen<br />

Familie in England aufgewachsen<br />

ist, verheiratet war und einen guten<br />

Posten hatte, brach sie aus. Sie ließ sich<br />

scheiden, zog nach Berlin und outete sich<br />

auf Facebook als Lesbe. Damit begann<br />

ihre Karriere als literarischer Internet-<br />

Star. Jetzt erzählt sie von einem freien Leben<br />

und spielt mit Emoticons, Hashtags<br />

und Sprachphänomenen. Ohne Punkt<br />

und Komma formuliert sie ihre Gedan-<br />

<br />

sind komponiert wie Gedichte. Reime<br />

erstecken sich über mehrere Sätze, der<br />

Anfang einer Passage spiegelt das Ende.<br />

te<br />

auf ihren Lesungen frei aus dem Kopf<br />

<br />

meinem Bett liegen mit der Balkontüre<br />

offen und es ist warm von der Sonne im<br />

Raum und ich bin auf dem Bett neben dir<br />

und alles was ich hören kann ist die Musik<br />

die wir spielen und wie ich schreibe<br />

und die Straße vier Stockwerke tiefer.“<br />

Zeegen umarmt Popkultur wie Philosophie.<br />

Man spürt, dass die Autorin gebil-<br />

<br />

Deutsch studiert – aber diese Erkenntnis<br />

wird den Lesern nicht aufgedrängt. Sie<br />

ist eine Künstlerin der subtilen Bedeutung<br />

und darum so lesenswert.<br />

Chloe Zeegen (*1980) veröffentlichte ihr erstes<br />

Buch „I love myself ok?“ bei Mikrotext, wo<br />

auch gerade Aboud Saeeds Buch „Der klügste<br />

Mensch im Facebook“ zum internationalen<br />

Super-Erfolg wurde.<br />

Nr.12<br />

16<br />

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17<br />

Nr.12


TALENT<br />

Text: Maja Hoock<br />

Foto: Marie Zucker<br />

PETITE MELLER IST<br />

DER NEUE STAR DES<br />

ELEKTRO-POP UND<br />

WECKT DAS BEDÜRFNIS,<br />

MIT FREUNDINNEN<br />

BARFUSS IN DER NATUR<br />

HERUMZURENNEN.<br />

SELTSAM.<br />

Als wir Petite Meller das erste Mal gehört<br />

haben, hatten wir Angst, Karies zu<br />

bekommen. Auf den ersten Blick ist ihre<br />

Musik viel zu süß und bewegt sich auf<br />

einem schmalen Grad zum kalkulierthippen<br />

Kitsch-Pop. Aber dann sind da<br />

die feinen, wohldosierten Brüche, die das<br />

Ganze nicht nur erträglich, sondern auf<br />

eine obskure Weise richtig gut machen.<br />

Sie ist hinter all der berechneten Lolitahaftigkeit<br />

mit kindlicher Stimme, großkrempigem<br />

Hut, Kniestrümpfen und<br />

sonst wenig Kleidung auch natürlich und<br />

frech – und es macht Spaß, ihre luftigen<br />

Videos anzuschauen. Auf Französisch<br />

und Englisch singt das mädchenhafteste<br />

aller Mädchen darin von Liebe und ihren<br />

melancholischen Stimmungen. Wenn<br />

man dazu an einem Sonntagmorgen im<br />

Bett liegt und die Sonne durchs Fenster<br />

scheint oder barfuß mit der besten<br />

Freundin über eine Wiese geht, passt<br />

die Musik der kleinen Petite perfekt. Ihre<br />

Welt beschreibt Meller selbst als unschuldig<br />

und frei, vielleicht kommt dieses<br />

Gefühl daher. „Für mich ist das Leben<br />

eine Serie absurder Situationen”, sagt sie.<br />

„Lachen und Fantasieren ist das Einzige,<br />

was ich damit machen kann.“<br />

Petite Mellers bekanntester Song heißt<br />

„Backpack“. Sie schreibt ihre Stücke gerne,<br />

während sie Taxi fährt.<br />

Nr.12<br />

18<br />

19<br />

Nr.12


NYMPHEN<br />

Text: Willy Katz<br />

VON NYMPHEN<br />

UND<br />

NYMPHOMANIACS<br />

Lars von Trier, der mit den Nazis, ge-<br />

<br />

Er heißt „Nymphomaniac“. Das klingt<br />

tischer<br />

Bildung zugleich. Nach einem<br />

Film für spitze Teenager wie für angehende<br />

Alt-Philologen ohne „feste<br />

Freundin“, nach irgendetwas aus der<br />

Grauzone zwischen Arthouse, Youporn<br />

und Brockhaus.<br />

Zu Weihnachten kommt nun erst mal<br />

eine entschärfte Version von „Nymphomaniac“<br />

in die Kinos. Das volle Pro-<br />

lotte<br />

Gainsbourg und Uma Thurman,<br />

wird wahrscheinlich erst beim Festival<br />

in Cannes, also im nächsten Jahr, zu sehen<br />

sein. Cannes, das liegt bekanntlich<br />

<br />

„Bravo“ für einen Gangbang – wenn<br />

denn die Ausleuchtung schlecht ist, die<br />

Kamera wackelt, jemand melancholisch<br />

in die Kamera guckt und dies alles<br />

einen Kritiker an Proust, Mallarmé<br />

oder Céline erinnert. Geschenkt.<br />

Anlässlich der zensierten Premiere<br />

des Films wollen wir schon mal einen<br />

analytischen, besser, einen kulturhistorischen<br />

Blick auf das Sujet lenken.<br />

Aber damit ihr Leserinnen und Leser<br />

Bescheid wisst, die ihr euch wie aus-<br />

<br />

Wort „Nymphen“ begierig auf diesen<br />

Artikel gestürzt habt, lest doch den<br />

„Spiegel“, wenn ihr billige, kurzweilige<br />

Unterhaltung wollt! Für alle anderen,<br />

jene kulturhistorisch Interessierten<br />

paar Zerquetschten, bitte hier weiter.<br />

Nymphen. An was denkt man da?<br />

<br />

phetaminen?<br />

Nein! Konzentration bitte!<br />

Man denkt natürlich an Jugendstil,<br />

besser noch, an griechisch-römische<br />

Mythologie. Nymphen, und jetzt zitieren<br />

wir Wikipedia, sind erst einmal<br />

„heiratsfähige Mädchen“. Jedenfalls<br />

dem Wortsinn nach. Die heiratsfähigen<br />

Mädchen werden begriffshistorisch<br />

bald zum Naturgeist, zu Priesterinnen,<br />

Jungfrauen, im Mittelalter sogar zu He-<br />

<br />

Martyrium für junge Frauen nach sich<br />

zog, bis Cindy Lauper mit „Girls just<br />

wanna have fun“ die Sache richtigstellte.<br />

Was aber hat das mit Lars von<br />

Trier, Gangbangs und/oder Proust zu<br />

tun? Etwas Geduld bitte!<br />

Einige der prominentesten Nymphen<br />

in der Mythologie haben klangvolle<br />

Namen wie Echo. Genau. DAS Echo.<br />

<br />

von 1835, Band 3, heißt es über diese<br />

„freundliche, gern plaudernde Nym-<br />

glücklich<br />

in den Narcissus, genau, DEN<br />

Narcissus, verliebt, der sie aber nicht<br />

beachtet hat, warum sie sich „härmte“,<br />

sodass „ihre Gestalt einem Schatten<br />

gleich wurde“ und „nichts mehr von<br />

<br />

traute, plauderhafte Stimme, die nun<br />

zwischen Berg und Thal wohnt“. Die<br />

Wanderer unter den Lesern wissen<br />

Bescheid.<br />

Ebenso berühmt ist Daphne, eine<br />

„holdselige Nymphe, die Tochter des<br />

Flußgottes Peneus, welche Apollo lieb-<br />

de;<br />

denn Daphne war Dianendienerin,<br />

und kalt und keusch wie diese.“ Weiter<br />

-<br />

<br />

<br />

Daphne verwandelt sich schließlich in<br />

einen Lorbeerbaum, aus dessen Blät-<br />

<br />

Genau, DEN Lorbeerkranz.<br />

Der Vollständigkeit halber sei noch<br />

Kalypso erwähnt, Tochter des Atlas, ja<br />

ja, DEM Atlas, die sich „in einer Grot-<br />

<br />

vertrieb“, was arg an Berlin-Neukölln<br />

erinnert, bis Odysseus „nach seiner<br />

Rückkehr von Troja durch Schiffbruch<br />

an ihre Insel geworfen wurde und die<br />

heftigste Leidenschaft in ihr erregte.“<br />

Nach Jahren der Lust verschwand<br />

Odysseus aber wieder nach Ithaka,<br />

wonach sich Kalypso „aus Gram darüber“<br />

selbst umbrachte. Nachzulesen im<br />

<br />

1809, Bd. 2.<br />

Alles in allem also Tragik, Argwohn,<br />

eine kleine Prise Rock ’n’ Roll. Aber<br />

klingt das bitte nach leidenschaftlichem<br />

geleuchteten<br />

Sets eines Dogma-Films?<br />

Nein. Warum also „Nymphomaniac“?<br />

Womit wir schon zur Conclusio kommen.<br />

Was wir von Nymphen wissen,<br />

unser Bildgedächtnis, diese halb<br />

nackten Ladys, die lasziv auf moosbedeckten<br />

Lichtungen im Halbschatten<br />

liegen oder wie bekiffte Hippies herumtänzeln,<br />

die am Satyr nippeln und<br />

die Götter kirre machen, nun Charlotte<br />

Gainsbourg von zwei gut gebauten<br />

Afros gedoppelt, im Schummerlicht<br />

Nymphomanics ... alles Männerfantasien!<br />

Billige Erotik im Gewand der<br />

Hochkultur! Nur damit ihr es wisst, ihr<br />

LeserInnen, wenn ihr euch mit eurem,<br />

eurer Liebsten anstellt am Kino, schon<br />

ganz begierig, an Weihnachten.<br />

Nun aber halblang, werdet ihr jetzt<br />

sagen. Ist in der <strong>Fräulein</strong>-Redaktion<br />

etwa die große Lustfeindlichkeit aus-<br />

<br />

am Liebesfest? Natürlich nicht! Natürlich<br />

sind wir immer für ein wenig<br />

billige „high brow“-Erotik zu haben.<br />

Natürlich hängen auch bei uns in der<br />

Redaktion Printouts der schönsten<br />

Nymphen-Tänze, die wir, wenn uns<br />

mal wieder nichts einfällt, als Tableau<br />

Vivants nachstellen oder, besser, virtuos<br />

nachtanzen. Mehr dazu in Kürze auf<br />

unserem Tumblr.<br />

Aber wir haben ja auch einen Auftrag<br />

an unsere Leser zu erfüllen, ihnen Hintergründe<br />

zu liefern, verwegene Blicke<br />

<br />

zu werfen, jene Lügen zu strafen, die<br />

meinen, Qualitätsjournalismus gebe<br />

es nur bei Publikationen, deren Namen<br />

mit Die oder Der anfangen. Also hier,<br />

bitte, Nymphen. Das klingt dreckig,<br />

<br />

Bildung zugleich. Das sorgt für interessierte<br />

Leser, für Klicks. Das lässt Anzeigenkunden<br />

schalten. Hört ihr? Bottega<br />

Veneta? Gucci? Prada?<br />

Nr.12<br />

20<br />

21<br />

Nr.12


DURCHBRUCH<br />

Text: Maja Hoock<br />

Photo: Daptone Records<br />

SHARON JONES<br />

SHARON JONES IST KEINE<br />

GLATTGEBÜGELTE POP-<br />

PRINZESSIN, SONDERN<br />

EINE VERITABLE SOUL-DIVA.<br />

JAHRELANG VERWEHRTE<br />

MAN IHR PLATTENVERTRÄGE<br />

HEUTE IST SIE EINE DER<br />

ERFOLGREICHSTEN SOUL-<br />

UND FUNK-SÄNGERINNEN<br />

DER WELT.<br />

Sharon Lafaye Jones ist wohl das,<br />

was man unter einer Funk-Lady alter<br />

Schule versteht. Sie zeigt Leidenschaft,<br />

ihr Look und Sound stammen aus dem<br />

Amerika der 1960er- und 70er-Jahre; ein<br />

bisschen „Shaft“, ein wenig Billie Holiday.<br />

<br />

und Lebenserfahrung.<br />

Die 57-Jährige weiß, wie es sich anfühlt,<br />

wenn der Mann wegläuft, es ist ihr nicht<br />

nur einmal passiert. Im Video zu „I learned<br />

the hard way“ beginnt sie mit wilden<br />

Augen, kurzem Rock, weiter Pelzjacke<br />

und abstehender Afro-Frisur einen Streit<br />

mit einem Aufschneider im hell blauen<br />

<br />

me inside that your love is untrue.“ Und<br />

sie weiß, wie es ist, wenn einem Rassisten<br />

das Leben schwer machen.<br />

Als Jones als junges Mädchen mit Papp-<br />

<br />

Night“ sang, herrschte noch Rassentrennung<br />

in Amerika. Die Sängerin wuchs in<br />

den Südstaaten auf, genauer in Augusta<br />

<br />

Soul“ James Brown lebte. Sie musste mit<br />

ihren fünf Brüdern im Bus hinten sitzen,<br />

ging in „Non-White“-Kinos, durfte nicht<br />

dieselben Toiletten benutzen wie die<br />

Weißen.<br />

Selbst als Jones Ende der 60er-Jahre in<br />

Brooklyn lebte und James Brown „Say<br />

it loud, I’m black and proud“ sang, sagte<br />

man der 12-Jährigen noch, sie habe als<br />

Farbige keine Chance, eine berühmte<br />

Sängerin zu werden. Das schürte ihren<br />

de<br />

nicht von seinem Ziel abbringen lassen.<br />

Auch wenn die Leute gesagt haben,<br />

ich sehe nicht richtig aus, bin zu dunkel,<br />

zu klein und zu dick, wusste ich, dass sie<br />

mich eines Tages wegen meiner Stimme<br />

akzeptieren würden.“ Aber das dauerte.<br />

Mit vierzig Jahren gab sie ihre Gesangskarriere<br />

zeitweise auf, arbeitete als<br />

Gefängniswärterin auf „Rikers Island“,<br />

der berüchtigten Gefängnisinsel in der<br />

<br />

Arrangement als Background-Sängerin<br />

für Lee Fields und machte sich so einen<br />

Namen. Bald war sie als „Queen of Funk“<br />

bekannt.<br />

<br />

Gruppe, „Sharon Jones & the Dap-Kings“.<br />

Bald darauf entstand das Label „Daptone<br />

Records“ in einem schäbigen Brooklyner<br />

Mehrfamilienhaus. Das machte sie unabhängig.<br />

„Ich war ein Teenager, als Soulund<br />

Funk-Musik groß waren“ sagt Jones.<br />

„Jetzt habe ich ein gewisses Alter und<br />

mache endlich die Musik dieser Ära.“<br />

Mit dem zweiten Album „Naturally“ ging<br />

sie mit bald 50 Jahren auf ihre erste Welttournee,<br />

spielte in Late-Night-Shows und<br />

trat in Denzel Washingtons Film „The<br />

Great Debaters“ als Barsängerin auf. Es<br />

folgten Kollaborationen mit Prince und<br />

Fatboy Slim, Jones ging sogar mit Lou<br />

Reed auf Tour.<br />

Im Jahr 2006 nahm ihre Band mit Mark<br />

Ronson und Amy Winehouse das mit<br />

Platin ausgezeichnete Album „Back to<br />

Black“ auf. Während Winehouse zum<br />

Superstar wurde und einen Grammy gewann,<br />

ging Jones leer aus. „Normalerweise<br />

bekommt man einfach nicht, was man<br />

verdient“, sagt Jones, die erst seit wenigen<br />

Jahren ein eigenes Konto besitzt.<br />

„Schau mich an, wie hart ich gearbeitet<br />

habe und wie lange ich gebraucht habe,<br />

um dort zu stehen, wo ich jetzt bin.“<br />

Doch Sharon Jones ist nicht aufzuhalten.<br />

Vergangenes Jahr hatte sie alleine<br />

fünf Europa-Tourneen, Michelle Obama<br />

besucht ihre Konzerte, die Oscar-<br />

Gewinnerin Barbara Kopple dreht eine<br />

Dokumentation über ihr Leben. Bald ist<br />

sie mit den „Dap-Kings“ im Film „Wolf of<br />

Wall Street“ von Martin Scorsese zu sehen.<br />

„Martin Scorsese liebt unsere Musik“,<br />

sagt Sharon Jones in ihrem breiten<br />

Südstaaten-Slang. „Er ist ein Fan, das ist<br />

wirklich cool.“ Ihr größter Erfolg sei das<br />

aber noch nicht, sagt Jones. Dieser warte<br />

noch auf sie. Hoffentlich sind es bis dahin<br />

nicht noch einmal 40 Jahre.<br />

„MAN BEKOMMT<br />

SELTEN DAS, WAS<br />

MAN VIERDIENT“<br />

Das neue Album von „Sharon Jones & The<br />

Dap-Kings“ (Daptone Records) heißt „Give the<br />

People What They Want“. Die Tourdaten für<br />

Europa werden noch bekanntgegeben.<br />

Nr.12 22<br />

23 Nr.12


KUNST<br />

Text: Robert Grunenberg<br />

Illustration: Patricia Keller<br />

DAS<br />

KUNSTNETZWERK<br />

DER PRINZESSIN<br />

VON KATAR<br />

Was würden Sie mit einer Milliarde<br />

US-Dollar machen? Sheikha Al-<br />

Mayassa Al-Thani, die Schwester des<br />

Emirs von Katar, geht damit Kunst<br />

shoppen. Seit 2011 leitet Al-Mayassa<br />

die Qatar Museums Authority und<br />

sitzt über zehn Museen vor. Deshalb<br />

gilt die 30-jährige Prinzessin als die<br />

mächtigste Person der Kunstwelt. Sie<br />

will die Hauptstadt Doha zum größten<br />

Kunst-Hotspot überhaupt machen.<br />

Dafür erwirbt Sheikha hochpreisige<br />

Kunstwerke, veranstaltet Blockbuster-<br />

Ausstellungen mit Damien Hirst oder<br />

Takashi Murakami und errichtet Museumsbauten,<br />

bei denen westliche<br />

Museumsdirektoren große Augen bekommen.<br />

Was sie will, ist das Beste<br />

vom Besten – egal zu welchem Preis.<br />

<br />

aus Kunstberatern zusammengesucht.<br />

Trotz ihrer visionären Pläne hält sich<br />

die Familie Al-Thani bedeckt, meidet<br />

öffentliche Auftritte bei Auktionen oder<br />

Messebesuchen. Ihre aus dem Off geschmiedeten<br />

Pläne werden die Machtverhältnisse<br />

in der Kunstwelt massiv<br />

verändern.


KUNST<br />

Text: Ruben Donsbach<br />

Foto: Hadley Hudson<br />

SAMIA<br />

HALABY<br />

SAMIA HALABY IST EINE DER BEKANNTESTEN<br />

PALÄSTINENSISCHEN KÜNSTLERINNEN IHRER<br />

GENERATION. DER MODERNE UND DER MARXISTISCHEN<br />

THEORIE VERBUNDEN, TRENNT SIE SCHARF ZWISCHEN<br />

ABSTRAKTER MALEREI, POLITISCHEM AKTIVISMUS UND<br />

DER DOKUMENTATION PALÄSTINENSISCHER KULTUR UND<br />

GESCHICHTE.<br />

Als kleines Mädchen sammelte<br />

Samia Halaby Hände voll Patronenköpfe<br />

in Jaffa, während um sie ein be-<br />

<br />

sie die Koffer packen und ihre Heimat<br />

verlassen. Aus dem britischen Mandatsgebiet<br />

Palästina wurde 1948 Israel.<br />

Samia Halabys Familie aber war ara-<br />

hen<br />

nach Beirut. Später nach Amerika.<br />

„Damals hasste ich Politik“, sagt Halaby,<br />

„heute kämpfe ich für das Rückkehrrecht<br />

der Palästinenser in ihr Heimatland.“<br />

Und gleich ist man mitten<br />

drin in diesem scheinbar unlösbaren<br />

-<br />

-<br />

<br />

aber konzentriert spricht, eine strenge<br />

Güte ausstrahlt, nicht nur Aktivistin,<br />

sondern vor allem Künstlerin. Und<br />

mus<br />

und dialektischer Materialismus,<br />

ist scharf und differenziert genug, um<br />

zwischen politischem Programm und<br />

künstlerischer Forschung, so nennt<br />

sie ihre vor allem abstrakte Arbeit am<br />

mus,<br />

Dialektik, Abstraktion, das sind<br />

Schlüsselbegriffe der Moderne und<br />

so ist Halabys Denken ein an der Geschichte<br />

geschultes und auf historische<br />

Evidenz ausgerichtetes. „Gehen Sie zurück<br />

in der Geschichte, die es ihnen<br />

ermöglicht, konkrete Information statt<br />

Interpretation zu bekommen“ sagt Halaby,<br />

„manche sagen, in der Kunst geht<br />

es um persönlichen Ausdruck, das ist<br />

völliger Unsinn. Die Impressionisten,<br />

die ersten wirklich Modernen, waren<br />

mune,<br />

die Kubisten und ihr Blick auf<br />

Zeit und Raum von Einsteins Relativität.“<br />

Dieser Blick auf die Welt ist so old<br />

-<br />

-<br />

<br />

und 80er-Jahren beerdigt. Damals zu<br />

recht, denn jedes Denken erschöpft<br />

sich irgendwann in Formalismen und<br />

Dogmen. Aber seit Denker wie Slavoj<br />

<br />

<br />

gezogen haben, ist Samia Halabys<br />

Nr.12<br />

26<br />

27<br />

Nr.12


KUNST<br />

Weltbild auf einmal ganz schön aktuell.<br />

Ein langes Vorspiel um zur eigentlichen<br />

Kunst, dem Werk zu kommen.<br />

Aber Halaby nimmt es genau, und<br />

jede ungenaue Frage wird differenziert<br />

berichtigt. Auch das ist nicht mehr en<br />

vogue, aber tatsächlich angenehm,<br />

denn es zwingt zur gedanklichen Präzision.<br />

Ihr Werk, welches aus diesem<br />

theoretischen Verständnis von Welt<br />

entsteht, ist dynamisch, farbenstark<br />

<br />

von Sternen und ihren Verfall in Supernoven,<br />

manchmal an Gerhard Richter<br />

oder Gerhard Richter an sie. Ein Werk<br />

auf der Höhe der Zeit, nicht aber zeitgenössisch.<br />

Es speist sich aus alltäglichen<br />

Beobachtungen, aus Landschaft<br />

und Himmel. „Ich sehe die Schönheit<br />

der Welt. Ich sehe die Schönheit der<br />

Menschen. Mich selber sehe ich als<br />

einen Forscher.“ Research Painting<br />

nennt sie das. Daneben gestaltet Hala-<br />

<br />

das Buch „Liberation Art of Palestine“<br />

<br />

mit palästinensischer Kunst kuratiert,<br />

war maßgeblich an der Werkschau<br />

„Made in Palestine“ im Station Museum<br />

of Contemporary Art in Houston<br />

beteiligt. Samia Halaby weiß, dass sich<br />

Geschichte nicht aus dem zusammensetzt,<br />

was ist, sondern aus dem, was<br />

sichtbar wird. Und wenn nebenbei eine<br />

künstlerische Werkschau identitätsbildend<br />

wirkt für eine Bevölkerung ohne<br />

Land, dann ist das wohl umso besser.<br />

Das vielleicht wichtigstes Projekt, an<br />

dem Halaby zurzeit arbeitet, ist die<br />

Aufarbeitung des Massakers von Kafr<br />

Qasim, bei dem 1956 zu Beginn des<br />

Sinaifeldzuges 48 arabische Israelis<br />

von israelischen Grenzpolistin ermordet<br />

worden sind. Aufgearbeitet in<br />

nungen,<br />

in die eine äußerst profunde<br />

Recherche eingeht. Seitenlang transkribiert<br />

Halaby Interviews mit den Familien<br />

der Überlebenden, hat die verfügbaren<br />

Passbilder der Opfer in ihre<br />

Zeichnungen integriert. So werden aus<br />

diesen Arbeiten verdichtete Dokumen-<br />

<br />

„Palästina ist meine Heimat. Jerusalem<br />

die Stadt meiner Geburt. Ich liebe das<br />

Land und unsere Kultur, ich liebe, wie<br />

sich die terassenartigen Berge in einer<br />

allmählichen Metamorphose in die Architekturen<br />

unserer Dörfer und Städte<br />

übergehen.“ Seit längerer Zeit malt<br />

sie Olivenbäume. Eines dieser Bilder<br />

ist zum Selbstportrait geworden. Ihr<br />

Gesicht erwächst aus den Ästen. Die<br />

Abstraktion bewahrt auch dieses Bild<br />

davor, reine Illustration zu sein. Es ist<br />

-<br />

ren<br />

ist es Zeit für Samia Halaby, zurück<br />

nach Hause zu kommen.<br />

Eine Retrospektive von Samia Halabys Werk<br />

wird vom 18. Februar bis 30. April 2014 in der<br />

Ayyam Gallery in Al Quoz, Dubai zu sehen<br />

sein. Im Frühjahr erscheint die Monography<br />

Samia Halaby – Five Decades of painting in<br />

den Booth-Clibborn Editions.<br />

und weitere<br />

Nr.12<br />

28<br />

29<br />

Nr.12


WEB<br />

Foto: Jessica Shyba<br />

WEIL WAHRE FREUNDE AM<br />

BESTEN ZU KUSCHELN,<br />

AM BESTEN ZU LACHEN<br />

UND AM BESTEN ZU<br />

STREITEN WISSEN:<br />

DIE GESCHICHTE<br />

EINER BESONDEREN<br />

FREUNDSCHAFT.<br />

Rituale sind wichtig. Im Alltag, in<br />

Freundschaften, in Familien. Sie sind<br />

die Basis eines harmonischen Zusammenlebens.<br />

Seit über fünfzig Jahren untersuchen<br />

Forscher dieses Phänomen,<br />

Fachzeitschriften widmen ihm ganze<br />

<br />

„Journal of Family Psychology“ der<br />

Amerikanischen Psychologischen Ge-<br />

<br />

dass Rituale Voraussetzungen für<br />

Kinder sind, sich geborgen zu fühlen<br />

und Vertrauen aufzubauen. Es ist der<br />

Grundstein der entwicklungspsychologischen<br />

„Bindungstheorie“. Sie<br />

beschreibt nichts anderes, als dass<br />

Menschen das angeborene Bedürfnis<br />

haben, Beziehungen aufzubauen, die<br />

von intensiven Gefühlen geprägt sind.<br />

Eines der wohl derzeit berühmtesten<br />

Musterbeispiele ist die Geschichte von<br />

Theo, einem acht Wochen alten Welpen<br />

und dem 23 Monate alten Sohn<br />

Beau von Jessica Shyba. Auf ihrem<br />

Lifestyle-Blog „Momma´s Gone City<br />

and back to California again“ begann<br />

sie diesen November von der Geschichte<br />

ihres dritten Kindes und dem<br />

neuen Welpen zu berichten. Der neue<br />

Hund sollte eigentlich lernen brav in<br />

<br />

er hörte nicht auf, herzerweichend zu<br />

winseln. Da legte Frauchen ihn zu Ben<br />

ins Bettchen. Einen Tag nach dem ersten<br />

gemeinsamen Mittagsschlaf wartete<br />

der Hund zur gleichen Zeit wieder<br />

auf seinen blonden Kumpel. Gähnend<br />

und knuffelig konnte der kleine Mischling,<br />

Schäferhund und Shar-pei, eine<br />

chinesische Hunderasse, aus dem<br />

kalifornischen Tierheim es nicht erwarten,<br />

bis sie wieder zusammen<br />

liegen konnten. Und von da plumpste<br />

der schläfrige Hund jeden Tag auf das<br />

Kind. Während des Mittagsschlafes<br />

rollen die beiden herum und suchen<br />

die bequemste Stellung. Scheint so,<br />

als belegten die beiden die vom britischen<br />

Kinderarzt und Psychologen<br />

John Bowlby entwickelte sogenannte<br />

Bindungstheorie, wonach soziale<br />

Bindungen ein evolutionär verankertes<br />

Grundbedürfnis seien. Jedanfalls<br />

machten Shybas Instagram-Fotos von<br />

dem umschlungenen Pärchen schnell<br />

ihre Runde im Netz. Innerhalb weniger<br />

Tage bekam der Hashtag #Theoandbeau<br />

einen immensen Zuwachs an<br />

Likes auf Instagram. Auf ihrem Blog<br />

beantwortet nun die Zahnarzt-Gattin<br />

<br />

<br />

Poppy´s Closet, Windeln von Honest<br />

Company. Shyba ist überrascht über<br />

<br />

„Wir sind völlig überwältigt von den<br />

lieben und herzlichen Reaktionen.“ Zu<br />

Tausenden schicken andere Eltern ihr<br />

die Bilder von ihren Kindern und deren<br />

vierpfötigten Freunden zu. „Die beiden<br />

wirken so, als wären sie schon immer<br />

zusammen gewesen. Sie sprechen die<br />

gleiche Sprache der Liebe“, so Shyba.<br />

Strenggenommen gehören Haustiere<br />

natürlich nicht ins Bett aber, mal ehrlich,<br />

die beiden sind einfach zu süß!<br />

„Momma´s Gone City and back to California<br />

again“ ist ein Lifestyleblog, der von alltäglichen<br />

Erlebnissen einer jungen, fünfköpfigen<br />

Familie berichtet. Autorin Jessica Shyba<br />

gründete ihren Blog 2009, als sie mit ihrem<br />

Mann nach New York zog und ein neues<br />

Leben als Super-Mama und Social-Media-<br />

Expertin begann.<br />

Nr.12<br />

30<br />

31<br />

Nr.12


PLATTEN & BÜCHER<br />

DER BLICK<br />

10 platten für den winter von pat cavaleiro<br />

<br />

<br />

UNKNOWN - #001-004<br />

(CHAMPION SOUND MUSIC, 2012)<br />

Ein anonymer Underground-Produzent aus UK, der noch auf seinen Durchbruch<br />

<br />

BILL RYDER-JONES - IF. . .<br />

(DOMINO, 2011)<br />

Ein Indierocker setzt sich ans Klavier und macht plötzlich klassische Musik, zu<br />

der man in der Wohnung tanzen möchte.<br />

NICEST DUDES AROUND - ITOSIS<br />

(STUTZEN, 2013)<br />

<br />

<br />

BURIAL - UNTRUE<br />

(HYPERDUB, 2007)<br />

Der zeitlose Klassiker für die Wintermonate, wenn man sich ein bisschen in seinem<br />

eigenen Leid suhlen möchte.<br />

RICHARD HAWLEY - TRUELOVE‘S GUTTER<br />

(MUTE, 2009)<br />

Der Elder Statesman des Indie mit wunderschönen Melodien für die Momente<br />

zu zweit.<br />

JULIA HOLTER - LOUD CITY SONG<br />

(DOMINO, 2013)<br />

Avantgarde und Pop gingen selten eine so harmonische Liasion wie auf dem neuen<br />

Album der Frau aus L.A. ein.<br />

UNKNOWN MORTAL ORCHESTRA - II<br />

(JAGJAGUWAR, 2013)<br />

UMO bringen einen mit ihren fröhlichen Retro-Melodien wieder auf Kurs, wenn<br />

es im Winter wieder zu ernst zugehen sollte.<br />

MODERAT - II<br />

(MONKEYTOWN, 2013)<br />

Das Berliner Trio aus Apparat und Modeselektor schafft auch auf seinem Zweitling<br />

Atmosphären, die einem die Freudentränen in die Augen treiben.<br />

APHEX TWIN – SELECTED AMBIENT WORKS 85-92<br />

(R&S, 1992)<br />

Wenn es draußen schneit und drinnen gemütlich warm ist, ist das Frühwerk des<br />

Elektronik-Pioniers zu einem Buch und einem Glas Wein genau das Richtige.<br />

RECONDITE - HINTERLAND<br />

(GHOSTLY, 2013)<br />

Winterzeit ist Clubzeit! Und auch wenn der Niederbayer ein Album aufgenommen<br />

hat, das wie für die kalte Jahreszeit geschaffen scheint, gehen seine Songs<br />

auf dem Floor trotzdem richtig ab.<br />

ZERRISSENE<br />

FÄDEN<br />

(ROBERT S. KREMER, STEIDL)<br />

Mit dem Machtantritt der Nationalsozialisten<br />

1933 ging ein nicht wiederbringbarer<br />

kultureller Reichtum in den<br />

Künsten, der Wissenschaft und dem<br />

politischen Leben verloren. Die Weimarer<br />

Republik war aber auch ein Ort<br />

einer äußerst avanvierten Modeindustrie.<br />

Als große Warenhäuser wie Wertheim<br />

und das KaDeWe, Manufakturen<br />

und Schneidereien der Arisierung an-<br />

schatz<br />

verloren. Das Buch „Zerrissene<br />

Fäden - Die Zerstörung der jüdischen<br />

Modeindustrie in Deutschland und<br />

Österreich“ im Steidl Verlag erschienen,<br />

von Roberta S. Kremer herausgebracht,<br />

lässt die Epoche anhand ihrer<br />

Protagonisten erfahrbar werden.<br />

MIT FOTOS DIE<br />

WELT EROBERN<br />

(INGE FELTRINELLI, STEIDL)<br />

Inge Feltrinelli, geborene Schönthal,<br />

war nicht nur schön, sondern auch<br />

<br />

deutschen Fotoreporterin nach dem<br />

Krieg die Welt zu Füßen liegen schien.<br />

Für Magazine wie „Paris Match“ und<br />

<br />

Zeitgeschichte, darunter Simone de<br />

Beauvoir, Gary Cooper und Pablo Picasso.<br />

Auf ihrem berühmtesten Bild ist<br />

Feltrinelli allerdings selbst zu sehen,<br />

und zwar gestützt auf einen riesigen<br />

belpreisträger<br />

Ernest Hemingway. Im<br />

Steidl Verlag ist unter dem Titel „Inge<br />

Feltrinelli – Mit Fotos die Welt erobern“<br />

nun eine schöne Werkschau mit Fotos<br />

<br />

Giangiacomo Feltrinelli erschienen.<br />

diese diabolische traurigkeit<br />

ROMY SCHNEIDER IN „L‘ENFER“<br />

Die Hölle scheint aus Romy<br />

Schneiders Augen bei den Testaufnahmen<br />

zu Henri-Georges Clouzots<br />

Film „L´Enfer“. Dann schlägt die Temperatur<br />

um, sie blickt lasziv, dann verloren,<br />

ekstatisch, kindlich und wieder<br />

dämonisch. Schließlich weicht sie ins<br />

Dunkel zurück, welches sie unheim-<br />

<br />

Als diese Aufnahmen entstanden, war<br />

Romy Schneider erst 26 Jahre alt. Der<br />

letzte Teil der Sissi-Trilogie lag sieben<br />

Jahre zurück. Ihre Karriere hing ein<br />

wenig in der Luft. Schneider musste<br />

in der Folge hart kämpfen um das<br />

Image der süßen Marzipan-Kaiserin<br />

zu überwinden, um als Schauspielerin,<br />

als Künstlerin ernst genommen<br />

zu werden.<br />

Was ihr gelang. In den späten 60er<br />

und 70er Jahren wird sie zur gefeierten<br />

Grande Dame des europäischen<br />

Kinos, dreht mit Luchino Visconti,<br />

dann vor allem in Frankreich mit<br />

Claude Chabrol, Claude Sautet und<br />

-<br />

lich<br />

wieder so ein Klischee. Und sie<br />

verliebt sich in die falschen Männer,<br />

verliert ihren Sohn bei einem Unfall,<br />

fängt an zu trinken. Die Tragik ihres<br />

Lebens hat sich mit ihrem Werk verbunden,<br />

ist längst zum übergroßen<br />

Mythos aufgeladen.<br />

„L´Enfer“ aber sollte nie erscheinen.<br />

Der Hauptdarsteller Serge Reggiani<br />

<br />

erleidet einen Herzinfarkt. Die Testaufnahmen,<br />

auf denen Schneider so<br />

unergründlich schaut, verraten aber<br />

<br />

männlicher, die Inszenierung eine Sublimation<br />

der männlichen Lust.<br />

Einmal kommt Clouzot ins Bild und<br />

nimmt Schneider bei der Hand, fasst<br />

sie an den Hals, den Rücken. Sie lässt<br />

das alles zu, lächelt. Dahinter aber,<br />

hinter diesem Lächeln, da lodert<br />

eine Traurigkeit, die später ganz von<br />

Schneider Besitz ergreifen sollte. Wer<br />

einmal „L´Enfer“, einmal die Hölle gesehen<br />

hat, der weiß, wohin die Reise<br />

geht.<br />

Nr.12<br />

32<br />

33<br />

Nr.12


ESSAY<br />

Text: Willy Katz<br />

Illustration: Andreas Steinbrecher<br />

hört auf zu naschen!<br />

Die Zivilisation ist toll. Aber sie<br />

hat ihren Preis. Das wusste schon Sigmund<br />

Freud. Nun lässt die Sublimierung<br />

der Triebe nicht nur Aggressionen<br />

frei, sondern auch Fett ansetzen.<br />

Das wiederum weiß die Krankenkasse<br />

bensweise<br />

hat zu einem drastischen<br />

Anstieg des Anteils von Menschen in<br />

unserer Gesellschaft geführt, die übergewichtig<br />

sind oder an Diabetes bzw.<br />

Herzproblemen leiden“, heißt es da.<br />

Als Journalist weiß man genau, wovon<br />

die Rede ist. Sitzt man doch selbst<br />

umgeben von Kollegen mit zu wenig<br />

Auslauf, zu viel Lust nach Süßem und<br />

einem hohen Cholesterienspiegel.<br />

Noch vor Kurzem hätte man sich bei<br />

zunehmendem Übergewicht Laufschuhe<br />

gekauft. Oder ein Abo für das<br />

Fitnessstudio. Man wäre nicht joggen<br />

gegangen, wäre nach dem ersten<br />

Krafttraining und der so wunderbaren<br />

Zigarette danach wieder zu Hause auf<br />

dem Sofa geblieben und hätte Kochprogramme<br />

geschaut. Nicht so mit<br />

der AOK. Immerhin ist Gesundheit ein<br />

Investment und „Un“-gesundheit ein<br />

Kostenfaktor. Und da hört bekanntlich<br />

der Spaß auf.<br />

DIE NEUEN GESUNDHEITS-APPS KOMMEN<br />

An dieser Stelle wird nun nicht er-<br />

-<br />

<br />

geschrieben hat. Etwas in „Die Geburt<br />

der Klinik“ oder „Wahnsinn und Gesellschaft“.<br />

Auch das sehr lesenswert!<br />

Hier soll es aber um die App „AOK mobil<br />

vital“ gehen, die die Krankenkasse<br />

zusammen mit dem Dienstleister decadoo<br />

auf den Markt gebracht hat. Eine<br />

„innovative Gesundheits- und Fitnessplattform“,<br />

die die eigenen sportlichen<br />

<br />

AOK mobil vital Gesundheitsplattform“<br />

überträgt. Eingetragen werden können<br />

nicht nur das individuelle Sportpensum,<br />

sondern auch die die „Ess- und<br />

Trinkgewohnheiten“, die im besten Fall<br />

den „health score“ erhöhen, den man<br />

anschließend mit seinen „Freundinnen<br />

vergleichen“ kann. Denn „mobil vital“<br />

soll ein Anreiz sein, „regelmäßig sportlich<br />

aktiv zu sein und eine gesunde Lebensweise<br />

zu optimieren“.<br />

Machen wir uns nichts vor. Ein bisschen<br />

mehr Sport würde den meisten<br />

guttun. Über gesunde Ernährung wissen<br />

wir alle zu wenig Bescheid. Aber<br />

am Ende lässt die AOK eben doch die<br />

nation<br />

aus Smartphone-Technologie,<br />

sozialen Netzwerken und Gaming-<br />

Prinzipien, kann jeder auf spielerische<br />

Weise seine Lebensweise verändern.“<br />

Nicht nur dass wir online längst die<br />

intimsten Informationen bis hin zu<br />

unseren Geodaten als jederzeit überprüfbare<br />

Spur hinterlassen. Nun soll<br />

also auch das eigene Fitnessniveau<br />

und die individuelle Esskultur verbucht<br />

werden. Fehlt nur noch eine<br />

formance“<br />

wertet, analysiert, Verbesserungsvorschläge<br />

unterbreitet und<br />

gegebenenfalls ein passendes Produkt<br />

<br />

kommen.<br />

Das mag ganz lustig klingen. Nur wird<br />

sich der Beitragsatz der Krankenkasse<br />

bald in Echtzeit erhöhen, wenn man<br />

beim Laufen oder Schwimmen hinter<br />

seiner Bestzeit bleibt, weil man am<br />

Abend zuvor mit den Freunden gefeiert<br />

hat? Wird das „richtige Leben“ bald<br />

<br />

konditioniert sein?<br />

Vor Kurzem wurde die beliebte Sport-<br />

App „runtastic“, bei der man etwa<br />

<br />

stellen und sich mit bald 20 Millionen<br />

Usern messen kann, mehrheitlich von<br />

<br />

Springer hin oder her, große Unternehmen<br />

erwarten sich vom Aufkauf<br />

sensibler Geo- und Biodaten ein gutes<br />

Geschäft, sind sie doch zumindest werberelevant.<br />

Nebenbei speist sich aus<br />

dem Onlinevergleich der Bestwerte die<br />

zunehmend den Körper ökonomisierende<br />

Leistungsgesellschaft.<br />

Man muss der AOK, runtastic oder<br />

Springer nichts Böses unterstellen, um<br />

diese Entwicklung problematisch zu<br />

<br />

wort<br />

sein. Mündige Bürger brauchen<br />

Öffentlichkeit. Sie müssen sich in ihr<br />

artikulieren können ohne Selbstzensur.<br />

Doch sie brauchen nicht ihre<br />

sensibelsten Biodaten zur Verfügung<br />

zu stellen, um ein besseres, gesünderes<br />

Leben zu führen. Dafür reicht ein<br />

wenig guter Wille. Und ein paar Turnschuhe.<br />

Die wird sich auch der Autor<br />

kaufen. Wegen des hohen Blutdrucks.<br />

Versprochen ...<br />

Nr.12<br />

34


STIL<br />

2<br />

7<br />

MERVE<br />

KAHRAMAN<br />

1<br />

3<br />

Zugegeben, Gold stilvoll zu tragen ist<br />

nicht einfach, denn nicht alles, was<br />

prunkt und funkelt, hat Ästhetik. Deshalb<br />

haben wir hier nur das Beste vom<br />

Besten aus der Schatztruhe gehoben.<br />

ted<br />

Edition von Dolce & Gabbana, 50<br />

ml ca. 88 Euro, ab Dezember erhältlich<br />

2. Collier „Caresse d´Orchidée von Cartier<br />

aus Rotgold, ca. 9650 Euro<br />

3. Verliebt in Pam!<br />

Armreif von Pamela Love, ca. $ 525<br />

<br />

von Hervé Van der Straeten, über neta-porter.com,<br />

ca. $ 575<br />

<br />

Giannico, ca. 320 Euro<br />

ditioner<br />

für trockenes Haar von Tony &<br />

Guy, 250 ml ca. 10 Euro<br />

7. Armreif von Le Gramme,<br />

49g Rotgold, 6800 Euro<br />

4<br />

5<br />

6<br />

<br />

mit Moderne. Bei ihrem Interior-Design<br />

lässt sie sich mal von Mythologien<br />

der Para-Humanisten inspirieren, mal<br />

von skandinavischen Kriegerhelmen.<br />

Unser Favorit ist ihr mobiles Bücherregal<br />

„Cyclopedia“. Das Design erinnert<br />

an die Hochräder der 1870er und ist<br />

zudem dank seiner Mobilität ziemlich<br />

praktisch.<br />

Glitter-Clutch<br />

von Anya Hindmarch,<br />

über<br />

theoutnet.com,<br />

ca. 593 Euro<br />

Portemonnaie<br />

aus Lammleder<br />

von Reed Krakoff,<br />

über theoutnet.com, ca.<br />

240 Euro<br />

Metall-Clutch<br />

von Charlotte<br />

Olympia, über<br />

net-a-porter.com,<br />

1795 Euro<br />

Kalbsleder-Tasche<br />

von Z Spoke by Zac<br />

Posen, über theoutnet.<br />

com, ca. 197 Euro<br />

RING-<br />

PARADE<br />

Prunkvoll, aber<br />

<br />

unsere Lieblings-Blickfänger in Roségold<br />

1 Ring mit braunen Brillanten, von Pomellato, ca.<br />

2.220 Euro, 2 Rosenquarz-Diamant-Ring von Rockberries.com,<br />

ca. 980 Euro, 3 Brasilith-Ring<br />

mit Diamanten von Rockberries.<br />

com, ca. 1.980 Euro, 4 Pomellato<br />

mit Blautopas, ca.<br />

2.160 Euro<br />

Nr.12<br />

36<br />

37 Nr.12


STIL<br />

AIR<br />

JORDAN<br />

RETRO<br />

Inspiriert von den Farben der Atlanta Hawks,<br />

den größten Rivalen Jordans und seinen Chicago<br />

Bulls. Wir lieben dieses Modell unter den<br />

Retros besonders für seine schwarzen<br />

Glanzleder-Details. Air Jordan 1<br />

er Retro High OG, über<br />

Kickz, ca. 130<br />

Euro<br />

Street Style inspiriert High Fashion<br />

schon seit mehr als 20 Jahren, zu Zeiten<br />

als Grunge die Catwalks eroberte,<br />

Sneaker Shops entstanden, die Kunstgalerien<br />

ähnelten, und später dann Labels<br />

wie Supreme geboren wurden. Es<br />

ist kein Trend, sondern ein Bestandteil<br />

von Mode geworden, dass High-End-<br />

Marken sich von der Street-Kultur<br />

inspirieren lassen, von Street-Art und<br />

anderen Kunst-Genren, von Hip-Hopund<br />

der Skate-Szene. Wie Miuccia<br />

Prada beispielsweise, die sich mit ih-<br />

<br />

an eine starke, selbstbewusste Frau<br />

richtet. Oder ein Damien Hirst, der<br />

mit The Row und Just One Eye Rucksäcke<br />

designte. Und so gehören heute<br />

Converse-Schuhe, Slogan-Shirts sowie<br />

Oversized-Jacken zu unseren Icons,<br />

lässig und elegant kombiniert.<br />

1 Rucksack mit bunten Pillen von Just<br />

One Eye & The Row und Damien Hirst,<br />

Preis auf Anfrage 2 Schuhe von Converse<br />

Jack Purcell, ca. 40 Euro.<br />

FRANKLIN<br />

& MARSHALL<br />

Die Leidenschaft für den Vintage-<br />

College-Stil hat die zwei Italiener Giuseppe<br />

Albarelli und Andrea Pensiero<br />

dahin geführt, wo sie heute stehen, mit<br />

ihrem damaligen Ziel, den amerikanischen<br />

College-Stil nach Italien zu bringen.<br />

Mit ihrer High-End-Sportswear<br />

haben sie es zu einer Kultmarke geschafft<br />

mit breiter Brand-DNA. Unser<br />

Liebling ist diese Varsity-Jacke. Franklin<br />

& Marshall, ca. 114 Euro.<br />

„Französische Frauen tragen keine<br />

Cocktailkleider“, sagte einst Averyl<br />

Oates, die britische Fashion-Direktorin<br />

der Galeries Lafayette. Vielmehr wissen<br />

sie, perfekte Anzüge zu tragen und<br />

mit Klassik modern und stilvoll umzugehen.<br />

Klassik wie von Saint Laurent,<br />

in moderner Variante wie von Haider<br />

stoffen<br />

die harten Linien bricht. Wir<br />

lieben den Suit für seine Zeitlosigkeit,<br />

für seinen vielfältig kombinierbaren,<br />

cleanen Chic. Passend zum Frühling<br />

hat der Frauen-Anzug Farbe abbekommen,<br />

insbesondere bei Paul Smith.<br />

Oder zeigt sich im kompletten Weiß-<br />

Look wie bei Stella McCartney. Und<br />

was ihn außerdem auszeichnet, ist<br />

sein modern-lässiger Schnitt und seine<br />

Blazerlänge. Edel kombiniert wird<br />

der neue Blazer auch mit Hosen im<br />

Marlene-Stil.<br />

Nr.12<br />

38<br />

39<br />

Nr.12


1<br />

STIL<br />

Kleid von Victoria by<br />

Victoria Beckham,<br />

über mytheresa.com,<br />

ca. 560 Euro<br />

So erwachsen kann ein Babyblau aus-<br />

tion<br />

2014 hat uns inspiriert. Cleanes<br />

Design, kombiniert mit Schwarz und<br />

Weiß, ob als Kleidungsstück oder Accessoire.<br />

In unsere Farbplatte gehören<br />

ab jetzt eine zarte Taubenblau-Variante<br />

und ein kräftiges Lichtblau. Besonders<br />

elegant lassen sich auch die neuen<br />

Henkeltaschen in der neuen Lieblings-<br />

<br />

ihre goldenen Akzente.<br />

Pumps von<br />

Gianvito Rossi,<br />

über netaporter.<br />

com, ca. $645<br />

Blazer in Jeans-Optik von<br />

Acne, Preis auf Anfrage<br />

ROGAN<br />

BROWN<br />

„Nur wenige sehen die Natur überhaupt.<br />

Für die Augen des Mannes mit<br />

Imaginationskraft aber, ist die Natur<br />

<br />

beste Beispiel hierfür sind die Papierkunstwerke<br />

von Rogan Brown. Die<br />

Worte von Blake machte er zu seiner<br />

Mission. Bis zu fünf Monate Arbeit ste-<br />

-<br />

<br />

<br />

Formen. Dabei schöpft er Inspiration<br />

aus mikroskopischen Silhouetten der<br />

Natur sowie aus wissenschaftlichen<br />

Illustrationen. Papier verkörpert nach<br />

Brown den Charakter einer reinen,<br />

natürlichen Welt, ein Ort, an dem Ra-<br />

-<br />

<br />

Papier zu seinem Medium, als feines,<br />

vergängliches und gleichzeitig widerstandsfähiges<br />

Material.<br />

VERWANDLE DEIN HAAR IN<br />

WUSCHELIGE WELLEN MIT<br />

TONI&GUY<br />

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UND VOLLENDE .. DEINEN<br />

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WILDLEDERFRANSEN.<br />

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3<br />

4<br />

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Schouler, über net-a-porter.com, ca. $1695, 3. Tasche von Victoria Beckham, über<br />

unger-fashion.com, ca. 1680 Euro, 4. Tasche von Saint Laurent, über unger-fashion.com,<br />

ca. 1590 Euro, 5. Tasche von Sophie Hulme, über net-a-porter.com, ca. 1010 Euro<br />

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Neopren-Sneaker von<br />

Del Toro, ca. $ 350<br />

Ring von Cartier,<br />

Weißgold, ca. 3250 Euro<br />

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41<br />

Nr.12


ANGEKOMMEN<br />

Text: Robert Grunenberg<br />

TITA<br />

GIESE<br />

Foto: Thomas Ruff<br />

DIE IN DER DÜSSELDORFER<br />

KUNSTSZENE UM JOSEPH<br />

BEUYS GROSS GEWORDENE<br />

TITA GIESE WEIGERT SICH,<br />

IHRE ARBEIT AUF DEN<br />

BEGRIFF ZU BRINGEN.<br />

IHRE „PFLANZKULTUREN“<br />

SIND WIDERSTÄNDIGE<br />

NISCHENPARADIESE<br />

INNERHALB DER<br />

BETONLANDSCHAFTEN<br />

DER METROPOLEN. EINE<br />

BEGEGNUNG.<br />

Eine Begegnung mit Giese vergisst<br />

<br />

feinste Designermode und viel Chanel<br />

No. 5 – sie spricht schnell und immer<br />

<br />

ihren Job bezeichnet, dann erklärt sie<br />

<br />

Landschaftsarchitektin, Künstlerin<br />

und schon gar keine Gestalterin. Die<br />

Wörter Verschönerung und Begrünung<br />

würde sie am liebsten aus dem Duden<br />

streichen. Was Giese macht, nennt sie<br />

<br />

Wenn man Giese zuhört, wird einem<br />

zen.<br />

Mit Begeisterung erzählt sie, was<br />

<br />

zen<br />

der Welt sind. Gleichzeitig spürt<br />

man ihre Erregung darüber,<br />

Nr.12<br />

42<br />

43<br />

Nr.12


ANGEKOMMEN<br />

<br />

Städten seit Jahrzehnten geschmacklose<br />

Standard-Biotope kultiviert werden.<br />

Was daran liegt, dass Gartenämter und<br />

Landschaftsarchitekten meist auf ein<br />

eingeschränktes Angebot und Repertoire<br />

aus Baumschulen zurückgreifen.<br />

Damit will Giese nichts zu tun haben.<br />

Ihre Projekte sind Gegenentwürfe. Sie<br />

arbeitet gegen Erwartungen, Vorurteile<br />

und alle damit verbundenen kulturell<br />

ausgebildeten Assoziationen an. Denn<br />

kaum etwas ist geschichtlich so stark<br />

<br />

sie reicht vom mittelalterlichen Paradiesgärtlein,<br />

über Schlossanlagen wie<br />

in Versailles bis hin zu Cottage- oder<br />

<br />

man sofort ein Bild vor Augen, ein<br />

Gefühl wird abgerufen. Dieses eingeschränkte<br />

Vokabular wird leider<br />

immer beständig wiederholt. Um das<br />

<br />

zusammen, die normalerweise nicht<br />

zusammengehören, oder sie formt sie<br />

künstlich um. Sie lichtet Essigbäume<br />

„DIE WÖRTER VERSCHÖNERUNG<br />

UND BEGRÜNUNG WÜRDE GIESE<br />

AM LIEBSTEN AUS DEM DUDEN<br />

STREICHEN“<br />

aus, sodass sie palmenartig wachsen,<br />

<br />

und Drachenschwänze mit Tränenden<br />

zen<br />

sind, konfrontiert „Unkraut“ mit<br />

Hochkulturen wie Baumpäonien und<br />

setzt diese auf Verkehrsinseln. Zudem<br />

bindet Giese Materialien aus der Popkultur<br />

ein, zum Beispiel geschredderte<br />

CD-Rolinge mit Cyperus oder Konfetti<br />

-<br />

<br />

Was Materialien, Ideen und Diskurse<br />

angeht, reizt sie vor allem der Moment,<br />

wo Natur und Kultur aufeinanderpral-<br />

sierten<br />

Umgebung wachsen können,<br />

die eine Nische inmitten von techni-<br />

<br />

<br />

zenteppiche<br />

auf großen Baustellenruinen<br />

sein.<br />

Das erste Mal ist ihr dieses Nischen-<br />

<br />

Ende der sechziger Jahre in einen Düsseldorfer<br />

Hinterhof zog. Dort wuchsen<br />

<br />

interessantesten Arten, wie Sternmoos,<br />

eine besondere Nelkenart und<br />

unterschiedliche Gräser. Damals bewegte<br />

sich Giese als Kunststudentin im<br />

Dunstkreis von Joseph Beuys, zusammen<br />

mit Künstlern wie Imi Knöbel,<br />

Blinky Palermo und ihrem späteren<br />

Ehemann Imi Giese. Später faszinierte<br />

sie im New York der siebziger Jahre, in<br />

Lower Manhattan oder in der Canal<br />

Street, wo vieles noch verwildert war,<br />

wie in den Ritzen entlang der Straße<br />

die tollsten Gräser und Essigbäume<br />

wuchsen. „Das hat mich umgehauen“,<br />

berichtet Giese. Diese Zustände wollte<br />

sie an öffentlichen Orten in der Stadt<br />

künstlich sichtbar machen. Doch bis<br />

<br />

dauerte es noch bis 1978. Ihr erstes,<br />

großes Projekt konnte Giese 1980 in<br />

Düsseldorf an der Berliner Allee auf<br />

lerweile<br />

abgerissenen „Tausendfüssler“<br />

verwirklichen. Dort installierte sie<br />

zwischen Verkehrsspuren, Straßenbahnschienen<br />

und Fußgängerüber-<br />

<br />

mit dem ständig tosenden Verkehr auf<br />

zwei Ebenen inmitten der umgebenden<br />

No-Name-Architektur eine große<br />

<br />

ergaben. Ab Ende der 1990er-Jahre<br />

realisierte Giese Projekte wie die „Mittelamerikanischen<br />

Verkehrsinseln“ auf<br />

dem Stresemannplatz in Düsseldorf,<br />

Privatgärten für die Künstler Andreas<br />

Gursky und Thomas Ruff, kooperierte<br />

mit den Architekten Herzog & De Meuron<br />

in München und Basel. Was diese<br />

Projekte verbindet, ist das Prinzip der<br />

„transparenten Wildnis“. Baumkronen<br />

und Hecken werden ausgelichtet, da-<br />

<br />

<br />

und widerständige Beziehung zu ihrer<br />

Umwelt zu treten – etwa in der Nachbarschaft<br />

von lautem Verkehr oder<br />

brutaler Betonarchitektur. Die meiste<br />

se<br />

auf ausgedehnten Forschungsreisen,<br />

zum Beispiel nach Westchina. Hier<br />

der<br />

Baum ist mit Parasiten bevölkert,<br />

<br />

totale Symbiose. Giese entdeckt uralte<br />

Magnolien oder wilden Ingwer und<br />

versteht, wie diese in ihrer ursprünglichen<br />

Umgebung funktionieren. So<br />

<br />

im Internet. Neben der Feldforschung<br />

<br />

<br />

lich<br />

in England, wo es noch viele Händler<br />

gibt, die außergewöhnliche und seltene<br />

Gewächse anbieten. Mit den von<br />

<br />

-<br />

<br />

von 1.600 qm. Dabei steht ihr ein Team<br />

zur Seite, welches ausschließlich aus<br />

Studenten und Absolventen der Düsseldorfer<br />

Kunstakademie besteht. Das,<br />

was Giese in Entwürfen plant, kann<br />

sie hier ausprobieren und wie in einer<br />

Art Showroom zeigen. Das ist wichtig,<br />

weil sogenannte Fachleute immer wieder<br />

ihre Vorstellungen als nicht realisierbar<br />

und zu ausgefallen kritisieren.<br />

Viele Leute verstehen Gieses Konzept,<br />

Wildnis künstlich darzustellen, erst auf<br />

den zweiten oder dritten Blick.<br />

Zurzeit verhandelt sie mit den städtischen<br />

Behörden und privaten Investoren<br />

über zwei große Projekte in<br />

Berlin-Kreuzberg, am Kottbusser Tor<br />

und dem Moritzplatz. Am Kottbusser<br />

Tor plant sie ein Projekt mit dem Maler<br />

Henning Strassburger, möchte auf<br />

der Verkehrsinsel meterhohen Schilf<br />

<br />

erinnert, dass Berlin vor seiner Besied-<br />

<br />

Glas der Vitrine ist perforiert und nach<br />

oben hin offen. Darüber möchte sie<br />

große LED-Displays setzen, die Werbespots<br />

zeigen, so wie am Piccadilly-<br />

Circus in London.<br />

Den Moritzplatz, an dem erst vor Kurzem<br />

der Aufbau Verlag einen so gelungenen<br />

wie schroffen Beton-Neubau<br />

bezogen hat, hat sie schon seit der<br />

Wende im Auge. Lange lag das Areal<br />

brach. Seit hier investiert wird, gibt<br />

es eine Chance für Gieses Projekt. Ei-<br />

<br />

„Wildnis mit Essigbäumen“. Nun wird<br />

ernsthaft verhandelt. Im angrenzenden<br />

„Aufbau-Haus“ konnte sie im Oktober<br />

2013 bereits das Projekt „Schlucht und<br />

<br />

<br />

nicht nur einzigartig in ihrer formalen<br />

Darstellung. Sie regen zum Denken<br />

und Wahrnehmen an, thematisieren<br />

Kulturgeschichte und dekonstruieren<br />

dabei gängige Vorstellungen. Wenn<br />

man ihren Projekten begegnet, wird<br />

<br />

<br />

tisch“<br />

ist, und Rosen sind weit davon<br />

entfernt, nur Blumen zu sein, die sich<br />

Liebende schenken.<br />

Tita Giese wurde 1942 in Nördlingen,<br />

Bayern, geboren. Sie besuchte die<br />

Kunstakademie in Düsseldorf, wo sie heute<br />

lebt und arbeitet. Zu ihren wichtigsten Projekten<br />

zählen die „Mittelamerikanischen<br />

Verkehrsinseln“ am Stresemann Platz in<br />

Düsseldorf sowie die „Hängenden Gärten“<br />

in der Münchner Fünf-Höfe-Passage.<br />

Mehr Infos: www.Tita-Giese.com<br />

Nr.12<br />

44<br />

45<br />

Nr.12


REBELLEN<br />

Text: Ruben Donsbach<br />

ALINA<br />

COJOCARU<br />

In England sind Traditionen noch<br />

Traditionen und das Royal Ballet ist<br />

das Royal Ballet und beim Royal Ballet<br />

kündigt man nicht. So einfach ist das.<br />

Aber Regeln sind dafür da, gebrochen<br />

zu werden. So beginnt die Geschichte<br />

der Rebellin Alina Cojocaru. In Rumänien<br />

geboren hat Cojocaru seit früher<br />

Kindheit alle Kaderschmieden und<br />

Tanzeliteschulen in Bukarest, Kiew<br />

und London mit Bravour durchlaufen.<br />

Mit 15 Jahren gewann sie den berühm-<br />

<br />

pelte<br />

Preisträgerin des noch prestige-<br />

<br />

-<br />

<br />

der größten Ballett-Duos aller Zeiten.<br />

Bald ein Jahrzehnt war sie erste Tänzerin<br />

am Royal Ballet in London, dem<br />

Mekka des Balletts. Viel mehr geht<br />

nicht. Denkt man. Dann aber traf Alina<br />

Cojocaru den amerikanischen Direktor<br />

und Chefchoreografen des Hamburger<br />

Balletts John Neumeier und alles<br />

änderte sich. Neumeier zeigte der Rumänin,<br />

wie viel Freiheit der zeitgenössische<br />

Tanz geben kann, wie er einen<br />

den eigenen Körper erforschen lässt.<br />

Bald schien das in seinen Traditionen<br />

verhaftete Royal Ballet in Stil und Umgangsform<br />

starr und erdrückend. In<br />

einem Interview mit dem „Guardian“<br />

<br />

die eine Art und Weise, wie man etwas<br />

machen konnte. Jetzt habe ich die Fesseln<br />

gesprengt, die mich zurückhielten,<br />

<br />

keine Angst zu fallen.“ Cojocaru ging<br />

zur Konkurrenz. Nicht zu Neumeier,<br />

mit dem sie weiter kooperiert, sondern<br />

zum Englisch National Ballet, ein ebenso<br />

gewichtiger Name wie das Royal,<br />

nur moderner, informeller, der Zukunft<br />

zugewandt. Für ihre Hauptrolle in der<br />

Produktion „Le Corsaire“ wird sie heute<br />

gefeiert, tanzt in Gastrollen auf der<br />

ganzen Welt. Mit Anfang dreißig hatte<br />

Alina Cojocaru den Mut zur Rebellion.<br />

Wir sagen „Well done!“<br />

Am 9., 12., 15., und 17. Januar ist Alina<br />

Cojocaru in der Produktion „Le Corsaire“,<br />

Choreografie Vadim Muntagirov, am „English<br />

National Ballet“, London zu sehen.<br />

Nr.12 46<br />

47 Nr.12


AGENDA<br />

IM FEGEFEUER<br />

G AULTIER IN N EW Y ORK<br />

1928 verließ der Künstler und<br />

<br />

das Dessauer Bauhaus, um in Berlin<br />

erfolgreich für die Konsumgüterund<br />

Verlagsindustrie sowie diverse<br />

staatliche Einrichtungen zu arbeiten.<br />

Nach der Machtergreifung der Nazis<br />

nahm er allerdings kontroverserweise<br />

auch Aufträge des NS-Regimes<br />

an. Die Sonderausstellung „Mein<br />

Reklame-Fegefeuer – Herbert Bayer<br />

<br />

<br />

vielseitig das Schaffen von Bayer bis<br />

zu seiner späten Emigration in die<br />

USA Ende der vierziger Jahre.<br />

Bis bis 24. Februar 2014, Bauhaus<br />

Archiv/Museum für Gestaltung,<br />

Berlin<br />

Gegliedert in sieben Themenbereiche<br />

untersucht die Multimedia-Ausstellung<br />

„The Fashion World of Jean Paul<br />

<br />

<br />

Modeschöpfers auf gesellschaftliche,<br />

<br />

Codes. Dabei wird sein Avantgarde-<br />

Design anhand von interaktiven<br />

und audiovisuellen Präsentationen,<br />

Accessoires, Skizzen, Kostümen, Filmauszügen,<br />

Show-Dokumentationen,<br />

Konzerten und Tanzvorstellungen nachvollziehbar<br />

gemacht.<br />

Bis 23. Februar 2014,<br />

Brooklyn Museum,<br />

New York<br />

SKULPTURALE RHETORIK<br />

<br />

ihren raumgreifenden Installationen,<br />

Collagen und Assemblagen steckt ein<br />

<br />

Popkultur und Materialästhetik – al-<br />

<br />

Objekten. Poppig, minimalistisch und<br />

gleichzeitig abstrus. Ihre Arbeit wirft<br />

vielseitige Fragen auf zur Architektur<br />

und zum Raum, in dem sich Menschen<br />

<br />

<br />

Alltagsrealität verhält. Das MoMA<br />

widmet der deutschen Künstlerin eine<br />

große Retrospektive mit über 150 Positionen.<br />

Ein kuratierter Rückblick auf<br />

40 Jahre Isa Genzken.<br />

Isa Genzken „Retrospective“, bis 10.<br />

März 2014, MoMA, 11 W 53rd St, NY<br />

10019, New York City,<br />

Vereinigte Staaten<br />

G ONG HEI FAT SCHOI!<br />

Am 31. Januar beginnt das Jahr des<br />

Pferdes. Wer 1954, 1966, 1978, 1990<br />

oder 2002 geboren wurde, ist stets<br />

gut gelaunt, kann mit Geld umgehen<br />

und langfristig planen. In London,<br />

New York, Singapur wird mächtig<br />

gefeiert. In China ist das Neujahrsfest<br />

Familienangelegenheit, alles ist<br />

geschlossen.<br />

MIT DER ZEIT GEHEN<br />

Barbara Klemm dokumentiert seit<br />

über 50 Jahren unser Zeitgeschehen.<br />

Mit ihrer Kamera hat sie Schlüsselmomente<br />

der deutschen Geschichte<br />

<br />

Studentenunruhen, die Wiedervereinigung,<br />

Alltagszenen genauso wie Porträts<br />

von Künstlern und Persönlichkeiten.<br />

Bei aller Dokumentation sind ihre<br />

Bilder Lebendigkeit, überraschen und<br />

schmeicheln durch präzise Kompositionen.<br />

Für den Martin-Gropius-Bau<br />

<br />

eine große retrospektive Werkschau<br />

zehnten.<br />

Barbara Klemm,<br />

Fotografien 19682013’,<br />

bis 09. März 2014,<br />

Martin-Gropius-Bau,<br />

Niederkirchnerstraße 7<br />

10963 Berlin<br />

Courtesy of Regency Enterprises<br />

12 Y EARS A S LAVE<br />

„12 Years A Slave“, der neue Film von<br />

<br />

wird seit seiner Festivalpremiere<br />

in Toronto mit Lob überschüttet.<br />

Die Lebensgeschichte des<br />

Afroamerikaners Solomon Nothup<br />

<br />

Yorker nach New Orleans verschleppt<br />

und als Sklave verkauft, trifft einen<br />

Nerv, wie der mutmaßliche Mord<br />

am afroamerikanischen Studenten<br />

Trayvon Martin durch George<br />

Zimmerman gezeigt hat. Das Trauma<br />

der Sklaverei ist noch längst nicht<br />

überwunden. Kaum zuvor ist diese<br />

dunkle Epoche zu Anbeginn des<br />

Aufstiegs der USA zur Weltmacht<br />

derart schonungslos gezeigt worden<br />

wie in diesem Film.<br />

ab 16. Januar im Kino<br />

Nr.12<br />

48<br />

49<br />

Nr.12


AGENDA<br />

BERLINALE<br />

Mit der Weltpremiere von Wes<br />

Andersons „Grand Budapest Hotel“<br />

werden am 6. Februar 2014 die<br />

64. Internationalen Filmfestspiele<br />

Berlin im Berlinale Palast eröffnet.<br />

George Clooney präsentiert<br />

Monuments Men, einen Film über<br />

Nazi-Raubkunst. Ende Januar steht<br />

das gesamte Programm fest, aber<br />

<br />

Schweiger wird dabei sein. Bei keinem<br />

anderen so renommierten Filmfestival<br />

ist es so leicht und preiswert an Karten<br />

<br />

Florian, Grill Royal, Borchardt, Hyatt<br />

Bar.<br />

L AUT, GEHAUC H T,<br />

ELEKTRO & J A ZZ<br />

Die Goldenen Zitronen lassen es<br />

<br />

Jena, Berlin, Kiel. 30. Januar bis 3.<br />

Februar in Münster, Düsseldorf,<br />

Heidelberg, Kaiserslautern, Freiburg.<br />

Die Women in Jazz mit dem Laura<br />

Wasnieski Trio, Schneeweiss &<br />

Rosenrot <br />

bis 9. Februar in Halle/Saale.<br />

DAF, die Elektro-Pioniere aus den<br />

<br />

Februar in Wiesbaden und München.<br />

Carla Bruni, die ehemalige First Lady<br />

Frankreichs, haucht ein paar „Little<br />

<br />

gibt es am 15. und 16. März in<br />

München und Berlin zu hören.<br />

Jeden Monat neu:<br />

Ihre Fashion- &<br />

Luxus-Galerie<br />

R ENÉE SINTENIS<br />

(1888-1965)<br />

Renée Sintenis war eine der prägenden<br />

<br />

<br />

künstlerischen Leben der Weimarer<br />

Republik. Berühmt geworden durch<br />

ihre kleinformatigen Tierskulpturen,<br />

darunter der Berliner Bär, der als<br />

Miniaturausgabe bei den Berliner<br />

Festspielen als Preis vergeben wird,<br />

war sie der Archetypus der „Neuen<br />

<br />

modisch auf der Höhe der Zeit.<br />

Anlässlich ihres 125. Geburtstages<br />

ist noch bis zum 23. März 2014 eine<br />

umfassende Schau ihres Werks im<br />

Charlottenburger Kolbe-Museum zu<br />

sehen.<br />

Georg-Kolbe-Museum,<br />

Sensburger Allee 25,<br />

14055 Berlin,<br />

Bis einschließlich 23. März 2014<br />

Nr.12<br />

50<br />

WWW.MADAME.DE<br />

51<br />

Nr.12


DAS BILD<br />

Interview: Lorenz Schröter<br />

Zeichnung: Arezu Weitholz<br />

„ICH BIN EIN<br />

ANTENNEN-WELS“<br />

AREZU WEITHOLZ IST AUTORIN, FISCHDICHTERIN, ZEICHNERIN UND SONG-TEXTERIN, UNTER ANDEREM FÜR HERBERT<br />

GRÖNEMEYER UND DIE TOTEN HOSEN. MIT FRÄULEIN SPRACH SIE ÜBER DIE RATLOSIGKEIT VON FREE JAZZERN UND<br />

VIER SCHLEIERSCHWÄNZEN NAMENS JOHN, PAUL, GEORGE UND RINGO.<br />

<strong>Fräulein</strong>: Unser Thema ist Ratlosigkeit.<br />

Wie würden Sie diesen<br />

Zustand beschreiben?<br />

<br />

nicht genau, was man als Nächstes<br />

macht, hat aber keine Angst davor.<br />

Menschen geben sich meist Mühe ganz<br />

sicher zu erscheinen, weil ja keiner mit<br />

jemand befreundet sein will, der so<br />

<br />

„Wie geht es“, antwortet er oder sie<br />

<br />

den und jenen Beruf.“ Bei mir wäre die<br />

<br />

ich als Nächstes machen werde. Das ist<br />

aber nicht schlimm, ich freu mich darauf,<br />

so oder so.<br />

Macht Sie die Ratlosigkeit also<br />

glücklich?<br />

nem<br />

Leben viele „U-turns“ gemacht.<br />

Habe Jobs gekündigt ohne zu wissen,<br />

was als Nächstes kommt. Das ist ein<br />

<br />

mit dem Geld, das man vorher verdient<br />

hat. Ich bin im Jahr 2000 für vier Jahre<br />

nach London gegangen und alle, die<br />

ich kannte, waren Mitte vierzig oder<br />

älter und mussten sich eine Wohnung<br />

teilen. London ist ein hartes und teu-<br />

<br />

in der zehntausend Leute das Gleiche<br />

machen, nur viel besser als man selbst!<br />

Und trotzdem machen die Leute weiter,<br />

spielen mit vierzig noch immer<br />

Free Jazz in irgendeiner Galerie, sind<br />

völlig ratlos, haben natürlich schlechte<br />

Zähne und es ist schrecklich, aber sie<br />

<br />

ich mir abgeschaut, dieses englische<br />

„Das wird schon“, egal was ist.<br />

Normalerweise kaschieren die<br />

Menschen ihre Ratlosigkeit mit „I<br />

am between things“.<br />

<br />

damit losgeworden, dass ich die Wahrheit<br />

gesagt habe. Als er mich gefragt<br />

hat, was ich so mache, habe ich geant-<br />

<br />

Ich wusste, dann würde der sich umdrehen<br />

und mit einer anderen reden.<br />

Das hat auch geklappt. Der dachte, ich<br />

verarsche den oder wenn das stimmt,<br />

<br />

Die hat nicht mehr alle Latten am<br />

Zaun. Ich wusste schon damals, ich<br />

will nicht mit einem Mann trinken, der<br />

gedichte<br />

schreibe.<br />

Warum eigentlich Fische?<br />

fahren.<br />

Meine Mutter saß da, ich saß<br />

da, wir haben nichts geredet, nur vom<br />

Strandkorb auf das Meer geguckt, die<br />

Ostsee liegt ja so platt rum, da passiert<br />

<br />

„Die blaue Forelle schwamm im Gefälle<br />

gegen ne Welle, jetzt hat sie ne<br />

Delle.“ Danach habe ich jeden Freitag<br />

ein Fischgedicht geschrieben. Dann<br />

traf ich einen Verleger, der meinte, das<br />

ist ja ganz schön mit Ihren Romanen,<br />

aber wollen Sie nicht erst mal einen<br />

Lyrikband veröffentlichen? Der Fisch<br />

an sich ist ja noch überhaupt nicht<br />

ausgeschrieben! Du musst dem Fisch<br />

nur ins Gesicht schauen dann siehst<br />

du Geschichten. Nach meinem ersten<br />

Fischband bekam ich dann unglaublich<br />

seltene Fischbücher, „Der kleine Aquarist“<br />

von 1952 zum Beispiel, und ein<br />

Aquarium mit vier Schleierschwänzen,<br />

die hießen John, Paul, George und<br />

Ringo. Ich habe ein Fisch-Museum zu<br />

Hause, mit Fischkorkenzieher, Fischtapete,<br />

Fischteller und so weiter.<br />

Was sind Sie für ein Fisch?<br />

<br />

der Fisch aus „Der alte Mann und<br />

das Meer“ von Hemingway. Die sind<br />

schnittig und rasen wild und frei durch<br />

„RATLOSIGKEIT<br />

IST EIN LUXUS“<br />

das Meer. Aber ich glaube, ich bin kein<br />

Marlin, ich bin ganz oft ein Antennen-<br />

Wels, der ist nicht größer als ein Daumen.<br />

Er wird erst abends aktiv, macht<br />

es sich ansonsten zwischen zwei Felsen<br />

gemütlich, manchmal hat er Flecken,<br />

manchmal hat er keine. Er ist genügsam<br />

und hat große braune Augen.<br />

Sie haben Bankkauffrau gelernt,<br />

waren DJ in Südafrika, Journalistin<br />

in London. Außerdem bearbeiten<br />

Sie die Texte von Musikern. Wie<br />

kam es dazu?<br />

-<br />

<br />

interviewt. Darüber habe ich Herbert<br />

Grönemeyer kennengelernt. Wir sind<br />

ab und zu einen Kaffee trinken gegangen<br />

und ich habe ihn irgendwann gebeten,<br />

ob er nicht meine Manuskripte<br />

lesen würde. Das hat er auch ganz brav<br />

gemacht. Irgendwann hat er dann den<br />

Spieß umgedreht und mich gefragt, ob<br />

<br />

Platte lesen könnte. Das war „Mensch“.<br />

Dazu habe ich dann meine Anmerkungen<br />

gemacht. Danach dachten viele andere,<br />

dass ich das wohl ganz gut kann,<br />

und haben mich angefragt. Das ist<br />

immer eine Sache des Vertrauens, ein<br />

zerbrechliches Momentum. Denn ich<br />

kenne keinen Musiker, der so gnaden-<br />

<br />

wie er sie dann auf der Bühne präsentiert.<br />

Manchmal ist ein Lied schon fast<br />

fertig, aber etwas stimmt nicht, dann<br />

komme ich ins Studio und sage was<br />

zum Refrain oder „in den Strophen<br />

müssen Schrauben angezogen werden“.<br />

In anderen Fällen entwickeln wir<br />

<br />

ker<br />

neben mir fängt an, dazu auf der<br />

Gitarre zu spielen. Manchmal fällt mir<br />

aber auch nichts ein, dann bin ich halt<br />

ratlos, dann sagt mir das Thema nichts<br />

und ich bin da fehl am Platz.<br />

Danke!<br />

stars<br />

interviewt und am Ende haben<br />

die gar nichts gesagt. Deshalb rede ich<br />

so viel.<br />

Eins noch. Was kann man auf Ihrem<br />

Bild sehen?<br />

<br />

Fisch. Das könnte auch ich sein.<br />

Ich als Fisch.<br />

Sie schreibt lustige Gedichte über Fische. Sie<br />

ist damit sogar erfolgreich. Herbert Grönemeyer<br />

engagierte sie als Textdramaturgin für<br />

sein Album Mensch. Auch die Toten Hosen<br />

vertrauten ihren Reimkünsten. Sie zeichnet,<br />

schreibt Romane, legte als DJ in Südafrika auf<br />

und backt gern Bananenbrot.<br />

Nr.12<br />

52<br />

53<br />

Nr.12


EIN TAG<br />

Text & Foto: Sina Braetz<br />

Eine Stadt der Träume und Legenden.<br />

„Eine Stadt, die sich jeden zweiten<br />

Tag neu erfindet.“ Komödienlegende<br />

Billy Connolly brachte es perfekt auf<br />

den Punkt. Los Angeles, the City of<br />

Angels. Wir lieben es für seine Kreativität,<br />

seine Dynamik, seine Weite. Für<br />

seine (Film)-Legenden, die hier zu Größen<br />

herangewachsen sind, neben den<br />

schillernden Seifenblasen Hollywoods.<br />

„Who is who?“ Wir empfehlen: Nichts<br />

zu ernst nehmen, aber dafür so viel wie<br />

möglich von der Stadt der tausend Gesichter<br />

mitnehmen. Ob entspannend in<br />

Santa Monica oder aufregend in Downtown<br />

LA: Das sind die Lieblingsorte<br />

von <strong>Fräulein</strong>.<br />

1. Der Tag beginnt gesund und entspannt<br />

in Hollywood mit einem „Bonita<br />

Breakfast“ und den leckersten<br />

-<br />

<br />

2. Weiter geht es zu der nicht weit<br />

entfernten Melrose Avenue für etwas<br />

<br />

<br />

<br />

3. Coole Pop Culture Art zeigt um die<br />

Ecke „Gallery 1988“ mit Zweitloca-<br />

<br />

<br />

man im hippen Vintageshop „Waste-<br />

<br />

der besten Gourmetburger LAs und leckerste<br />

Sweet Potatoe Pommes gibt es<br />

<br />

<br />

ein Tröpfchen Fischöl. 6. Hier lässt sich<br />

ein kompletter Tag verbringen, mindes-<br />

<br />

<br />

nur durch seine große Sammlung an<br />

ren,<br />

sondern auch durch seine Gärten<br />

und die gigantischen Architektur von<br />

Richard Meier. 7. Eine der wohl schönsten<br />

Gegenden LAs ist Santa Monica.<br />

Hier sollte man bei gutem Wetter unbedingt<br />

ein Strand-Päuschen einlegen.<br />

8. Zwischen Kunstgallerie und Fashion<br />

-<br />

<br />

<br />

perfekte Mode- und Kunst-Auswahl<br />

von Christophe Lemaire bis hin zu<br />

Oliver Peoples und Kooperationen von<br />

Damien Hirst mit The Row. 9. Ob De-<br />

<br />

im „Fashion District“ faszinieren nicht<br />

nur Modeschöpfer, die sich hier inspirieren<br />

lassen, sondern auch Laien. 10.<br />

Von „Helmut Newton“ bis hin zu „War/<br />

<br />

<br />

<br />

sowohl digitale als auch Print-Foto-<br />

<br />

11. Die wohl besten und frischesten<br />

Meeresfrüchte mit Strand-Panorama<br />

bekommt man bei David Lentz`„The<br />

-<br />

<br />

Organic Pancakes im „Bloom Café“<br />

<br />

<br />

guten Preisen als auch wahren Vinta-<br />

<br />

Venice. 14. Gemütlich schlendern lässt<br />

es sich im schönen „Japangeles“, dem<br />

<br />

„Paper Dreams“ von Julia Gabrick und<br />

Samantha Schaefer. 15. Abends gemütlich<br />

herumphilosophieren bei gutem<br />

Essen und noch besseren Drinks kann<br />

-<br />

<br />

im Herzen des In-Viertels Silver Lake.<br />

16. Hier haben sogar mal die Rolling<br />

<br />

Die Funky Soul Partys. „The Echo“<br />

<br />

die Stadt genießen, am liebsten im Runyon<br />

<br />

Nr.12<br />

54<br />

55 Nr.12


LEGENDE<br />

Text: Lorenz Schröter<br />

Foto: Bernd Uhlig<br />

EIN LEBEN<br />

FÜR LIEBE<br />

UND<br />

ANARCHIE<br />

JUDITH MALINA GRÜNDETE 1949 IN NEW YORK DAS<br />

LIVING THEATRE, DAS ERSTE OFF-THEATER DER WELT.<br />

<br />

<br />

kämpften, verursachten dreißigtausend<br />

junge Frauen die sogenannten<br />

Sinatra-Riots, um Frank Sinatra im<br />

Paramount-Theater zu sehen. Captain<br />

America räumte mit den Bösewichten<br />

auf, im Kino liefen patriotische Kriegs-<br />

<br />

Tochter eines Rabbis aus Kiel, träumte<br />

einen anderen Traum. Verloren lungerte<br />

sie am 14. September bei „Genius<br />

Incorporated“ herum, einer leicht<br />

schäbigen Kneipe am Times Square,<br />

die vielen arbeitslosen Schauspielern<br />

als Treffpunkt dient. Einer davon,<br />

Wiliam Marchant, genannt Gau-Gau,<br />

hatte Hunger und sah sehnsüchtig<br />

auf die Schokoladenkekse von Judith<br />

Malina. Sie spendierte ihm aus einem<br />

Automatenrestaurant eine Portion<br />

Spaghetti. Zum Dank versprach Gau-<br />

Gau ihr ein Genie vorzustellen, einen<br />

<br />

ein dürrer 19-Jähriger, und Judith gingen<br />

ins Kino und machten sich über<br />

den patriotischen Film „Beyond Sus-<br />

<br />

Joan Crawford lustig. Sie redeten lieber<br />

über Oscar Wilde, Cocteau, Gertrude<br />

Stein, T S Eliot. Judith brach die Schule<br />

ab und las stattdessen Ezra Pound.<br />

Bald wurden sie und Julian ein Paar.<br />

Obwohl er eher schwul war. Sein Vater,<br />

ein Pferdehändler aus Österreich,<br />

der in Amerika mit Ersatzteilen für<br />

Motorräder reich geworden war, hatte<br />

seinen Sohn zu einer fortschrittlichen<br />

Psychologin geschickt, die Julian von<br />

-<br />

<br />

riet sie ihm. Julian versuchte es mit<br />

Judith. Das hat so mittel geklappt. Die<br />

beiden blieben zusammen bis zu seinem<br />

Tod, Beck starb 1985 an Magenkrebs,<br />

und teilten sich manchmal die<br />

Liebhaber. Judith und Julian nahmen<br />

LSD, hörten Cool Jazz, bekamen zwei<br />

Kinder und erfanden das Off-Theater.<br />

1947. Inspiriert von Brecht, Piscator,<br />

Artauds Theater der Grausamkeiten,<br />

Psychoanalyse, Esoterik, Surrealismus<br />

und Klassenkampf rollten sich im Living<br />

Theatre halb nackte Schauspieler<br />

tische-antikapitalistische<br />

Parolen und<br />

bestürmten die Zuschauer, gemeinsam<br />

Revolution zu machen. Ihr vermutlich<br />

berühmtestes Stück „Paradise Now“<br />

<br />

wendet sich an einen Zuschauer und<br />

<br />

darf ich nicht reisen.“. Dieser Satz wird<br />

dann immer dringlicher wiederholt<br />

und gebrüllt. Dann kommt der zweite<br />

<br />

aufhält.“ Erst ruhig, dann gebrüllt. Der<br />

<br />

leben.“ Und so weiter. Al Pacino, er und<br />

Martin Sheen sammelten ihre ersten<br />

Erfahrungen als Schauspieler im Living<br />

Theatre, erinnerte sich später mit<br />

Mutproben-Grausen an eine Auffüh-<br />

<br />

„Man sitzt im Theater und die Typen<br />

<br />

Marihuana rauchen.‘ Als Nächstes ziehen<br />

sie sich aus und du denkst, vielleicht<br />

ziehen sie dich auch aus und du<br />

sitzt da und denkst, oh, ich weiß nicht,<br />

ob mir das so gefällt. Dann schreien<br />

die Leute oben in den Rängen und<br />

es kommt zu einer Prügelei und man<br />

bekommt es mit der Angst zu tun, ich<br />

bin echt in Schwierigkeiten, was soll<br />

ich tun? Ich bin doch nur ins Theater<br />

gegangen und wollte ein Stück sehen.<br />

Leute verlassen das Theater und sa-<br />

<br />

<br />

etwas wie Geld gibt es gar nicht, Geld<br />

gibt es gar nicht.‘“ Zum Schluss, so die<br />

Regieanweisung bei „Paradise Now“,<br />

sollten Schauspieler und Zuschauer<br />

auf die Straße gehen und gewaltfreie<br />

Revolution machen. Judith Malina er-<br />

<br />

Theater ist auf der Straße‘ und dann<br />

gingen wir auf die Straße, viele von uns<br />

nackt, und da wurden wir verhaftet.<br />

Wenn man in Amerika verhaftet wird,<br />

hat man diesen Kerl, den man ,arres-<br />

<br />

der das Protokoll aufnimmt. Also gehe<br />

te<br />

Szene von unserem Stück ,Paradise<br />

Now’. Ich spiele die verhaftete Schau-<br />

<br />

der mich verhaftet.‘ Und dann sagt<br />

<br />

Ich bin kein Schauspieler, ich will kein<br />

<br />

,Sehr gut, Sie machen das sehr gut.‘<br />

Und dann wird er sehr böse, ich sage,<br />

er spielt mit, und er spielt ja auch mit,<br />

er ist ja auch ein Teil unserer Arbeit,<br />

vielleicht ist er sogar der wichtigste<br />

Teil unserer Arbeit. Und dann spreche<br />

ich mit ihm über unsere Beziehung.<br />

Wer ist er, wer bin ich, ja ich bin die<br />

Verhaftete, das ist nicht so wichtig, was<br />

wichtig ist, dass er uns versteht, dass<br />

er weiß, was wir sagen wollen, wir wollen<br />

sagen, dass wir uns nicht fürchten<br />

müssen, dass wir uns verstehen können.<br />

Am Ende unseres Stückes liegt<br />

der Weg zum Paradies, den wir hier<br />

suchen. Wir spielen zusammen mit<br />

dem Zuschauer, wir nennen den Zuschauer<br />

participant, er spielt mit und<br />

wir suchen zusammen Antworten.“<br />

Manchmal wurden die Theaterleute<br />

verprügelt. Das schien der ein Meter<br />

50 großen Malina irgendwie zu gefal-<br />

<br />

wirst du irgendwie richtig high, weil du<br />

den Widerstand stärker spürst.“ Das<br />

Living Theatre trat in Gefängnissen<br />

und 28 Ländern auf, sie waren im Gefängnis,<br />

weil sie während des Vietnamkriegs<br />

keine Steuern zahlen wollten,<br />

emigrierten nach Italien, tourten Jahre<br />

durch Europa und zündeten dort den<br />

Funken für antiautoritäres Megafon-<br />

„WIR MÜSSEN<br />

DIE NAZIS<br />

NICHT HASSEN”<br />

<br />

Fos La Comune, die Amsterdamer Provo<br />

Gruppe und in der Nachfolge dann<br />

Zadek, Castorf, Rimini-Protokoll, bzw.<br />

Godard, Pasolini, Bertolucci. Judith<br />

Malina schrieb Gedichte, veröffentlichte<br />

ihre Tagebücher, heiratete nach dem<br />

Tod von Beck den 25 Jahren jüngeren<br />

Hanon Reznikov, ein Mitglied des Theaters<br />

– den sie ebenfalls überlebte. Das<br />

New Yorker Theaterkollektiv bereiste<br />

Brasilien während der Militärdiktatur<br />

und den Libanon nach dem Einfall<br />

<br />

anarchistische Sache. „Als ich zwölf<br />

war“, so erzählte Malina gern, „sah ich<br />

einen Film, ‚Nurse Edith Cavell‘. Als<br />

sie wegen Spionage vor dem Erschießungskommando<br />

stand, rief sie den<br />

<br />

zwischen Gott und der Ewigkeit. Ich<br />

nug!‘<br />

Ich bin dann zu meinem Papa gerannt.“<br />

Es war das Jahr 1938. Der Rab-<br />

<br />

1928 ausgewandert, verschickte zu der<br />

sen<br />

Sie, was mit Ihren jüdischen Nachbarn<br />

geschieht?“ Tochter Judith half bei<br />

den Briefen. Und nach dem Film über<br />

die edle britische Krankenschwester<br />

<br />

müssen die Nazis nicht hassen!“ Ihr<br />

Vater reagierte ähnlich wie ihr späteres<br />

<br />

<br />

<br />

Judith Malina spielte die Oma in der<br />

Addams-Family, trat in den Serien „Die<br />

Sopranos“ und „Miami Vice“ auf, Julian<br />

Beck in „Poltergeist II“, „9 ½ Wochen“<br />

und „Cotton Club“. Damit wurde ihr<br />

archistische<br />

Version über den Moses-<br />

Gegner Korach aufzuführen und um<br />

feministischen, queeren, avantgardistischen<br />

Künstlern eine Bühne in der<br />

Lower Eastside zu bieten. Im Februar<br />

2013 war Schluss. 800.000 Dollar hatte<br />

Malina in das Kellertheater an der Clinton<br />

Street 21 gesteckt, doch vier Monate<br />

Miete waren überfällig. Trotz Spenden<br />

von Pacino und Yoko Ono musste<br />

das Theater nach 66 Jahren schließen.<br />

Sorgfältig geschminkt, mit roten Lippen,<br />

lustigen Hippie-Ohrringen und<br />

einem breiten Lachen präsentierte sich<br />

die 86-jährige Malina vor den New Yorker<br />

Pressefotografen vor ihrem Umzug<br />

<br />

<br />

<br />

werde weitermachen! Mit neuen Stücken!<br />

Judith Malina, 1926 in Kiel geboren, hat im<br />

Alter von 21 das Rumbrüllen, Nacktausziehen<br />

und Zuschauerbelästigen im Theater erfunden.<br />

Bis heute ist sie für die pazifistische,<br />

anarchistische Sache.<br />

Nr.12<br />

56<br />

57<br />

Nr.12


SCHNITTMUSTER<br />

Interview: Sina Braetz<br />

ZAC<br />

POSEN<br />

SEINE MODE IST KEIN „AUSSTECHFÖRMCHEN“, WÜRDE ER<br />

SAGEN. ZU RECHT! SIE IST FÜR IHN EINE HOMMAGE AN<br />

DIE LEIDENSCHAFTLICHE FRAU. DARUM GEHT ES IHM BEI<br />

SEINER MODE: UM GEFÜHLSWELTEN! FÜR UNS BRACH ER<br />

DIE DREIDIMENSIONALE KUNST SEINER KLEIDER HERUNTER<br />

AUF EIN BEEINDRUCKENDES SCHNITTMUSTER, DAS SICHER<br />

NICHTS FÜR LAIEN IST. DAFÜR VERMITTELT ES ABER<br />

EINEN EINDRUCK, WIE AUFWÄNDIG EIN SOLCHES STÜCK<br />

ENTSTEHT. IN EINEM INTERVIEW MIT UNS VERRÄT ER,<br />

WAS STIL FÜR IHN BEDEUTET, WARUM ANNA CLEVELAND<br />

SEINE MUSE IST UND WARUM ER FRÜHER OFT SELBST SEINE<br />

KLEIDER ANPROBIERTE.<br />

<strong>Fräulein</strong>: Zac, wenn einer weiß,<br />

wie Weiblichkeit ihren schönsten<br />

Ausdruck findet, dann Sie. Was<br />

macht für Sie eine Stilikone aus?<br />

<br />

Spaß haben an Mode, sie als einen<br />

wichtigen Teil in ihrem Leben schätzen.<br />

Mode kann oder sollte allerdings<br />

nicht ihr Leben diktieren, denn dann<br />

wird sie zu einem Opfer. Sie sollte Risiko<br />

eingehen, ihre Persönlichkeit auszudrücken,<br />

sich eben selbst gut kennen.<br />

Eleganz kommt aus Selbstvertrauen.<br />

Welche Frau inspiriert Sie besonders?<br />

<br />

viele. Meine Fashion-Show-Kleider<br />

probiert alle Anna Cleveland an, das<br />

holländische Modell. Sie bewegt sich<br />

unglaublich in den Kleidern, sie lässt<br />

die Kleider mit sich eins werden. Anna<br />

ist eine „Mode-Schauspielerin“. Abgesehen<br />

von ihrem Körper und ihrer<br />

einzigartigen Schönheit weiß sie, was<br />

Kleider ausdrücken können durch Bewegung<br />

und Form.<br />

Stimmt es, dass Sie Ihre Kleider<br />

gern auch selber anprobieren?<br />

<br />

nicht mehr gemacht. Wenn mir ein<br />

Kleid passte, habe ich es früher schon<br />

öfters angezogen. Es ist sehr wichtig<br />

zu wissen, wie sich ein Kleidungsstück<br />

anfühlt. Ich habe keinerlei Hemmung<br />

etwas zu machen, um hundertprozentig<br />

sicherzugehen, dass ich die höchste<br />

Qualität erreicht habe.<br />

Und Sie wollten schon immer<br />

hauptsächlich Couture machen?<br />

<br />

wirklich viel ausprobiert, bis hin zu<br />

Biker-Jacken, aber letztendlich ist<br />

das, was mich beeindruckt, die Handwerkskunst,<br />

das Spielen mit Volumen.<br />

Ich bin zudem ein Mensch, der sehr<br />

gerne Personen um sich hat und mit<br />

ihnen arbeitet. High Fashion an sich ist<br />

nichts Notwendiges, überhaupt nicht,<br />

niemand braucht das wirklich. Deshalb<br />

<br />

meine Stimme, meine Persönlichkeit<br />

und mein Talent funktioniert. Und den<br />

hätte ich niemals nur in Sportswear<br />

<br />

das, an dem mein Herz hängt.<br />

Wie entstehen Ihre Skizzen?<br />

-<br />

<br />

was ich aufnehme und was ich errei-<br />

sive<br />

Part des ganzen Prozesses.<br />

Und der „Mood“, der daraus entsteht,<br />

ist dann der Beginn einer<br />

Kollektion?<br />

fen<br />

und Farben. Die Stimmung bzw.<br />

Moodboards entwickeln sich dann daraus.<br />

Bei uns geht es bei dem Design<br />

hauptsächlich darum, wie Form und<br />

<br />

können. Da steckt sehr viel Mathematik<br />

dahinter. Bis zu drei Musseline<br />

entwerfen wir, die nach den Anproben<br />

jedes Mal korrigiert und neu drapiert<br />

werden. Darauf folgen dann die Details<br />

sowie die innere Struktur, bis dann das<br />

<br />

wir bestimmte Aufträge erhalten, wird<br />

das Kleid erneut drapiert, das heißt es<br />

entsteht ein zweites Schnittmuster, das<br />

wir dann digitalisieren und in Größe<br />

null bis zwölf optimieren. Das ist so<br />

ungefähr der Prozess, angefangen von<br />

dem kreativen Moment, also meiner<br />

Hand bis hin zum Store bzw. dem Kleiderschrank<br />

meiner Kundin.<br />

Bei dem Ergebnis – wen fragen Sie<br />

da nach Kritik?<br />

<br />

dann mein Team natürlich, in meinem<br />

Studio etwa drei bis vier Leute und<br />

mein Stylist und Partner Christopher<br />

Niquet. Das Faszinierende an Mode ist,<br />

dass ihr Anfangspunkt sehr persönlich<br />

ist, während sich der Prozess sehr<br />

kollaborativ entfaltet. Wenn du dein eigenes<br />

Business unter deinem eigenen<br />

Namen hast, dann stehst du vor einem<br />

immensen Druck. Du machst Fehler,<br />

aber du lernst auch aus ihnen. Das<br />

macht jeden Tag aufregend.<br />

Warum haben Sie sich für unser<br />

Schnittmuster genau für dieses<br />

Kleid aus deiner Resort-Kollektion<br />

2013 entschieden?<br />

-<br />

<br />

Bewegungen, für Volumen und eine<br />

<br />

wie ein aufwändiges Schneider-Stück<br />

mit so viel Bewegung in seiner Vollendung<br />

heruntergebrochen werden<br />

kann auf etwas Eindimensionales, auf<br />

ein Schnittmuster. Wie viel Feinheit<br />

<br />

kreieren.<br />

Und das Ziel dabei ist natürlich während<br />

des ganzen Prozesses so viel wie<br />

möglich von der emotionalen Qualität<br />

und der hineingesteckten Energie zu<br />

bewahren. Die Modellerstellung und<br />

Schnittmuster sind daher der essenzielleste<br />

Teil in unserer Arbeit.<br />

Blicken Sie manchmal nostalgisch<br />

auf die Vergangenheit zurück,<br />

in Anbetracht des „Fast Fashion<br />

Trends“, der unsere Zeit heute bestimmt?<br />

<br />

ist so wichtig, genau wie Eskapismus.<br />

Ohne Glamour gibt es keine Mode.<br />

Ich stecke so viel Sorgfalt und Leidenschaft<br />

in meine Kleider. So gehe ich viel<br />

sorgfältiger mit der Welt um, als wenn<br />

ich 100 000 T-Shirts kreieren würde.<br />

Mit meiner Sportswearlinie Spoke<br />

Z kann ich eine andere Preisklasse<br />

bedienen, bleibe aber dabei meinem<br />

Stil treu. Was ich an unserer heutigen<br />

<br />

sich durch wachsende Länder, ob Asien,<br />

Südamerika, Russland oder der<br />

Nahe Osten verändert. Dort entstehen<br />

ganz spannende Entwicklungen. Diese<br />

Länder bestimmen, wie man sich anziehen<br />

sollte. Große Freude, dass zu<br />

beobachten.<br />

Können Sie sich vorstellen, wieder<br />

nach Europa zu gehen?<br />

<br />

aber momentan arbeite ich an zwölf<br />

Kollektionen im Jahr und habe eine<br />

Brautmoden-Linie in Kooperation mit<br />

David´s Bridal. Zudem arbeiten wir<br />

an einer Eyewear-Linie und an einigen<br />

anderen Projekten. Man muss sich<br />

eben auf einen kontinuierlichen Kreativ-<br />

und Businessprozess vorbereiten<br />

und dabei stets die Emotionen und die<br />

Seele von Kleidung beschützen.<br />

Ein ziemlicher Spagat, den man da<br />

hinlegten muss …<br />

<br />

man muss wissen, wann man eingrei-<br />

<br />

lassen kann. Und das ist verdammt<br />

herausfordernd, aber man wird jedes<br />

Jahr besser darin! Mein tolles Team<br />

funktioniert wie ein kleines Theateren-<br />

<br />

<br />

arbeiten und etwas Neues zustande<br />

bringen. Man streitet sich dauernd und<br />

verträgt sich wieder und man muss<br />

trotzdem bei allem Spaß haben. Wenn<br />

du den Spaß verloren hast, dann ist es<br />

die ganze harte Arbeit nicht wert. Und<br />

man muss geduldig zu sein. Früher<br />

wollte ich alles groß und sofort, ich war<br />

komplett anders drauf. Anfangs ging es<br />

mir darum, berühmt zu werden, heute<br />

möchte ich etwas erschaffen.<br />

Zac Posen ist 1980 in Soho, New York, geboren<br />

und besuchte bereits mit 14 Jahren einen Kurs<br />

an der Parsons, designte sein erstes Kleid 2<br />

Jahre später. Nach seinem Studium am Central<br />

Saint Martins College in London gelang<br />

ihm 2002 in New York sein Durchbruch.<br />

Seither designt er Red-Carpet-Kleider für<br />

große Persönlichkeiten und wurde mehrfach<br />

mit Preisen wie dem CFDA ausgezeichnet.<br />

Nr.12<br />

58<br />

59<br />

Nr.12


1<br />

NR. 12<br />

ZAC POSEN<br />

2<br />

3<br />

Stofflänge<br />

Insgesamt:<br />

56,17 m<br />

BAHN 1 (3x)<br />

<br />

<br />

BAHN 2 (2x)<br />

<br />

<br />

BAHN 3<br />

<br />

<br />

BAHN 4 (2x)<br />

<br />

<br />

4<br />

61 Nr.12


PIN-UP<br />

Text: Michele Roten<br />

Illustration: PepiArt<br />

JAMES<br />

FRANCO<br />

WARUM JAMES FRANCO SEXY IST,<br />

DAFÜR GIBT ES UNZÄHLIGE GRÜNDE.<br />

WAHRSCHEINLICH IST ES DIE SUMME ALLER<br />

FAKTOREN, DIE FRANCO SEIN SEXAPPEAL<br />

VERLEIHEN. UM DEN ÜBERBLICK ÜBER SEIN<br />

WILDES TREIBEN ZU FASSEN, HIER EINE<br />

BESTANDSAUFNAHME.<br />

Muss man wirklich erklären, was an James Franco<br />

heiß ist? Na gut. Muss man vielleicht. Denn es<br />

ist ja nicht bloß das Offensichtliche. Es ist ja nicht<br />

bloß, dass er aussieht wie von Raffael gemalt, mit<br />

diesem schmalen, klar konturierten Gesicht, mit<br />

den perfekten Proportionen. Es ist nicht bloß,<br />

dass er das Lächeln hat, für das Lächeln überhaupt<br />

erfunden worden ist. Und Lippen, die genau<br />

so voll sind, dass man sie ablecken möchte,<br />

aber nicht zu voll, sodass sie im Weg sind. Es ist<br />

nicht bloß, dass seine Augen kaum je richtig offen<br />

sind, sondern immer in diesem halbmastigen<br />

Zustand, der entweder Müdigkeit suggeriert –<br />

die natürlich nur davon kommen kann, dass er<br />

nachts Besseres zu tun hat als zu schlafen – oder<br />

konzentriertes Interesse oder skeptisches Nach-<br />

<br />

ist. Es ist nicht bloß, dass er blutjung und völlig<br />

verlebt gleichzeitig aussieht. Es ist nicht bloß sein<br />

<br />

dass man verschämt wegschauen möchte. Es ist<br />

nicht bloß, dass er sich bisher kaum je halb nackt<br />

gezeigt hat, außer ein bisschen in „Springbreakers“,<br />

was die Vermutung nur bestärkt, dass er<br />

einen natürlichen guten Männerkörper hat, fast<br />

schon ein bisschen chubby, aber mit ausgeprägten<br />

Unterbauchmuskeln, diesem V, das nichts mit<br />

Training zu tun hat, sondern nur mit guten Genen.<br />

Es ist nicht bloß, apropos „Springbreakers“,<br />

dass nur James Franco es schafft, einen superekeligen<br />

Typ zu spielen, der von minderjährigen<br />

Möchtegerngangsterinnen zu einer Revolverlauffellatio<br />

gezwungen wird, und es macht einen total<br />

wider Willen scharf. Es ist nicht bloß, dass er uns<br />

zeigt, wie unwichtig und lächerlich unsere binä-<br />

<br />

sich konsequent weigert, irgendein Statement zu<br />

seiner Ausrichtung abzugeben. Es ist nicht bloß,<br />

dass er eine Erdung und Gelassenheit ausstrahlt,<br />

die es ihm vielleicht tatsächlich ermöglicht, Hollywood<br />

geistig unbeschadet zu überstehen. Es<br />

ist nicht bloß, dass er genug Selbstironie hat,<br />

einem „Comedy Central Roast“ seiner Person<br />

bestens gelaunt beizuwohnen. Es ist nicht bloß,<br />

<br />

bloß, dass er ständig selbst geschossene Paparazzibilder<br />

von sich twittert und sich damit über all<br />

die Gerüchte lustig macht. Es ist nicht bloß, dass<br />

er schauspielern kann. Es ist nicht bloß, dass er<br />

schreiben kann. Es ist nicht bloß, dass er malen<br />

kann. Es ist nicht bloß, dass sein Wissensdurst so<br />

groß ist, dass er sich bei Yale einschreibt, mittendrin<br />

in seiner Karriere. Es ist nicht bloß all das,<br />

<br />

hätte als der neue Pretty Boy Hollywoods und es<br />

sich doch nie leicht macht. Sondern Ambitionen<br />

hat und Risiken eingeht. Und auch scheitert.<br />

<br />

James Edward Franco wurde 1978 in Palo Alto,<br />

Kalifornien geboren, wo er mit seinen zwei Brüdern<br />

Tom und Dave aufwuchs. Seine Karriere begann Franco<br />

als Schauspieler in L.A. Inzwischen arbeitet er als<br />

Regisseur, Schriftsteller, Drehbuchautor, Filmproduzent,<br />

Künstler und Fotomodell. Franco lebt in New York City.<br />

63 Nr.12


COVER<br />

TÖCHTER BERÜHMTER VÄTER KÖNNEN SICH<br />

EIGENTLICH NUR ZWISCHEN REBELLION<br />

UND BEDINGUNGSLOSER BEWUNDERUNG<br />

ENTSCHEIDEN. RAINER JUDD HAT DA NIE<br />

MITGESPIELT. ALS TEENAGER HAT SIE IHREM<br />

VATER DONALD, EINEM DER BERÜHMTESTEN<br />

UND RADIKALSTEN KÜNSTLER DER LAND-<br />

ART- UND MINIMALISM-ART-BEWEGUNG, DIE<br />

STIRN GEBOTEN. HEUTE SORGT SIE ALS CO-<br />

VORSITZENDE DER JUDD FOUNDATION DAFÜR,<br />

DAS WERK IHRES VATERS ZU BEWAHREN<br />

Sweater Comptoir des Cotonniers<br />

Höschen Eres Chantilly<br />

UND IHM NEUES LEBEN EINZUHAUCHEN.<br />

EIN GESPRÄCH ÜBER EINE KINDHEIT IN<br />

DER WÜSTE, SNOBISTISCHE NEW YORKER<br />

MÄDCHENGANGS U N D D I E L U ST AN DER KUNST<br />

Interview Ruben Donsbach<br />

Fotos Adam Fedderly<br />

Haare Ryan Richman<br />

Styling Shelby Simon<br />

Nr.12<br />

64<br />

65<br />

Nr.12


COVER<br />

Nachthemd Stylist‘s own<br />

<strong>Fräulein</strong>: Miss <strong>Judd</strong>, Sie schreiben<br />

zurzeit an einem Drehbuch für einen<br />

abendfüllenden Spielfilm über<br />

Ihre Kindheit. Das klingt so, als<br />

wollten Sie nachträglich die Kontrolle<br />

über Ihre Erinnerung übernehmen.<br />

<br />

Drehbuch handelt von Ereignissen aus<br />

den Jahren 1976–78 komprimiert auf 12<br />

<br />

remember“ könnte dieser Film „All I<br />

don’t remember“ heißen. An die Kindheit<br />

erinnert man sich nur in Schlüsselszenen,<br />

diese verdichtet und mit<br />

nachträglichem Wissen versehen, sind<br />

die Basis meines Films. Doch er soll<br />

eine eigene Welt erschaffen, nicht nur<br />

meine vermeintlichen Erinnerungen<br />

reproduzieren.<br />

Erinnerung ist immer stark von<br />

späteren Erfahrungen überlagert.<br />

<br />

Geschichte gegenüber gewissermaßen<br />

wahrhaftig sein, aber eine eigene<br />

<br />

das Material, suche Metaphern, an die<br />

andere Menschen anschließen können.<br />

Denn ich bin sehr daran interessiert,<br />

die Aufmerksamkeit eines größeren<br />

Publikums zu erlangen.<br />

Hatten Sie als Kind das Gefühl,<br />

derart unterhaltsam und smart<br />

sein zu müssen, um die Aufmerksamkeit<br />

der Erwachsenen, nicht<br />

zuletzt die Ihres berühmten Vaters<br />

zu bekommen?<br />

<br />

das Geschichtenerzählen hat erst später<br />

in meinem Leben eine Bedeutung<br />

bekommen. An der Filmschule habe<br />

<br />

gemacht und mein Lehrer war sehr<br />

besorgt, dass ich mich nicht für den<br />

Plot interessieren würde. Ich habe<br />

diese Form der Narration einfach nicht<br />

gecheckt, habe Drehbuchklassen geschmissen,<br />

es lief nicht gut. Es war ein<br />

20-jähriger Prozess, bis ich die Natur<br />

des Geschichtenerzählens besser verstanden<br />

habe, mich dafür zu interessieren<br />

begann.<br />

Haben Sie es wirklich als mangelhaft<br />

empfunden, sich eher für<br />

experimentelles als klassisches<br />

Erzählen zu begeistern?<br />

lente<br />

sehr früh. Ich hatte immer einen<br />

„ICH MAG KLEINE<br />

KURZE DINGE, ICH<br />

MAG INSTAGRAM“<br />

guten Blick. Meine „Sprache“ war visuell,<br />

mein Schreiben glich oft einem<br />

„Stream of Consciousness“. Dadurch<br />

konnte ich die Dinge sehr dynamisch<br />

sehen. Aber man muss ein Format für<br />

<br />

Glauben Sie eigentlich, dass sich<br />

die Menschen im Internetzeitalter<br />

überhaupt noch geschlossene Geschichten<br />

erzählen werden?<br />

<br />

mag kleine, kurze Dinge, ich mag Insta-<br />

<br />

anstrengend, für ein Projekt über einen<br />

langen Zeitraum Material zu sammeln<br />

und zu ordnen. Aber! Wie toll ist es,<br />

wenn man sich die Zeit dafür nimmt,<br />

sich zurückzieht, etwas Großes schafft.<br />

Es gibt das generelle Gefühl in unserer<br />

Gesellschaft, dass es für lange Geschichten<br />

keine Zeit, keinen Raum gibt,<br />

dass diese Form des Erzählens nichts<br />

sehr „of the now“, nicht sehr zeitgemäß<br />

ist. Das mag sein. Trotzdem würde ich<br />

jeden ermutigen, einen 800-Seiten-<br />

Roman zu schreiben. Go, do it!<br />

Wir sprachen über Kindheitserinnerungen.<br />

Bevor Sie mit 6 Jahren<br />

nach Marfa, Texas, zogen, lebten<br />

Sie in der 101 Spring Street im heutigen<br />

Soho, in dem heute die <strong>Judd</strong><br />

Foundation sitzt.<br />

he<br />

Begebenheit erinnern, auch wenn<br />

mein Vater mir sagte, ich wäre da noch<br />

zu klein gewesen um das zu wissen.<br />

Er und sein Assistent packten einen<br />

Truck mit Arbeit und nahmen meinen<br />

älteren Bruder mit. Meine Mutter lief<br />

mit mir auf den Bürgersteig um sich zu<br />

verabschieden. Das ist mir sehr wichtig.<br />

Es ist wohl die einzige meiner Erinnerungen<br />

mit meinem Vater und meiner<br />

Mutter gemeinsam, als sie noch<br />

ein Paar waren. Ich glaube, darum will<br />

ich diesen Film über meine Kindheit<br />

machen. Ich möchte die Geschichte<br />

-<br />

<br />

warum es in meiner Erinnerung diese<br />

Lücke gibt ...<br />

Warum meinen Sie, gibt es diese<br />

Lücke?<br />

ben<br />

sehr traumatisch ist, dann versucht<br />

man einfach, irgendwie durchzukommen.<br />

Als Kind kann man gut<br />

verdrängen, kann einfach das Beste<br />

draus machen.<br />

Als sich Ihre Eltern trennten, ging<br />

alles sehr schnell. Ihr Vater holte<br />

Sie und Ihren Bruder von der Schule<br />

ab, setzte Sie in ein Flugzeug und<br />

flog mit Ihnen beiden nach Marfa,<br />

Texas, einen der abseitigsten und<br />

verlorensten Orte der USA mitten<br />

in der Wüste. Können Sie sich an<br />

den ersten Moment erinnern, an<br />

dem Sie dort ankamen?<br />

wesen,<br />

seit 1972, da war ich zwei Jahre<br />

alt. Ich kannte den Ort also. Es gibt fantastische<br />

Dinge dort.<br />

Es gibt die Wüste, die Stadt liegt<br />

nahe der mexikanischen Grenze.<br />

Das alles erinnert an den Mythos<br />

Amerikas, das Amerika der Pioniere.<br />

<br />

gut zu arbeiten, sowie den Raum, seine<br />

Werke über einen langen Zeitraum<br />

wirken lassen zu können. Ich selbst<br />

kann mich an vieles wieder mal nicht<br />

erinnern. Aber ich war sehr bewegt<br />

von der Schönheit dort. Der Himmel<br />

in Marfa ist unheimlich dicht. Man<br />

glaubt beinahe, die Milchstraße essen<br />

zu können, so nah ist sie einem. Man<br />

hat dort dieses eigentümliche Gefühl,<br />

<br />

selbstbewusst zu sein. Wenn ich in der<br />

Stadt bin, versuche ich mich an dieses<br />

Gefühl zu erinnern, es in mir wachzurufen.<br />

Sie haben einmal erwähnt, dass es<br />

in Marfa einen sehr starken Sinn<br />

für die Gemeinschaft gibt.<br />

<br />

und warmen Menschen angezogen. In<br />

rikanische<br />

Community. Und dann gab<br />

<br />

davon angestellt bei der Grenzwache.<br />

Haben Sie die Eltern der Grenzwache<br />

manchmal mit auf Ihre Touren<br />

genommen?<br />

<br />

nahmen uns tatsächlich mit, im Auto<br />

wie im Flugzeug. Im Nachhinein ist<br />

es wirklich unglaublich. Das war viel<br />

radikaler als heutzutage. Manchmal<br />

<br />

<br />

Flugzeug diese Sinuskurven, bei denen<br />

es kurzzeitig Schwerelosigkeit gibt. Es<br />

hat nicht ganz für uns Kinder gereicht,<br />

aber kleine Objekte schwebten im<br />

Flugzeug herum. Diese Grenzwächter<br />

hatten schon etwas von einem Daredevil,<br />

einem Draufgänger.<br />

War es nicht ein komisches Gefühl<br />

dabei zu sein, wenn mexikanische<br />

Flüchtlinge aufgegriffen wurden?<br />

<br />

in Marfa. Viele der Familien da unten<br />

leben auf beiden Seiten des Rio Grande,<br />

der die Grenze markiert. Es wird<br />

ihnen sehr schwer gemacht, sich zu<br />

besuchen. Völlig übertrieben und unnötig.<br />

Wie war in dieser Zeit das Verhältnis<br />

zu Ihrem Vater?<br />

<br />

Bruder als Kinder immer als Gleichwertige,<br />

fast wie Buddies.<br />

Hatten Sie jemals dieses Gefühl,<br />

in der Präsenz eines besonderen<br />

Künstlers zu sein, dass etwas „Großes“<br />

um sie herum geschah?<br />

<br />

zum Nachdenken … Es ja ist ein relativ<br />

neues Phänomen, dass die Künstler-<br />

Generation meines Vaters weltweite<br />

Berühmtheit erlangt hat. In den 70er-<br />

Jahren war die Kunstwelt noch sehr<br />

klein und man sagte über die Künstler<br />

von Leo Castellis berühmter Galerie,<br />

zu der neben meinem Vater auch Leute<br />

wie de Kooning, Dan Flavin und Bruce<br />

Naumann gehörten, sie seien die<br />

Speerspitze der Avantgarde. Sie waren<br />

gewissermaßen wie eine Gruppe von<br />

Wissenschaftlern, die unglaubliches<br />

Zeug machten, von dem aber seinerzeit<br />

die große Mehrzahl der Leute<br />

nichts mitbekam. Sie galten nicht von<br />

nationaler Bedeutung. Interessanterweise<br />

war das in Deutschland damals<br />

anders, man schien bei Ihnen diese Leute<br />

wahnsinnig ernst zu nehmen.<br />

Nr.12<br />

66<br />

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Nr.12


Bluse Equipment<br />

Bra & Höschen Eres Chantilly<br />

Das mit der Bekanntheit änderte<br />

sich ab den 80er-Jahren.<br />

<br />

Tochter war dann immer, meinen Vater<br />

auf dem Boden der Tatsachen zu halten,<br />

weil alle anderen ihm schmeichelten,<br />

ihm erzählten, was für ein toller<br />

Typ er sei. „I had to knock him down“,<br />

wenn sie wissen, was ich meine. Vielleicht<br />

brauchte er das auch.<br />

Hätten Sie es gerne gesehen, wenn<br />

Ihr Vater seinen heutigen Ruhm<br />

noch mitbekommen hätte?<br />

<br />

Bekanntheit so viele schöne Dinge ma-<br />

<br />

immer mehr Dinge produziert. Es gibt<br />

<br />

<br />

alles ist auf ihrer Seite.“ Er hatte dieses<br />

Feuer und Begehren in sich, physisch<br />

den Raum zu besetzen. Ihn mit Farben<br />

<br />

<br />

beschäftigt. Obwohl er so unheimlich<br />

viel produziert hat, bevor er dann mit<br />

65 Jahren gestorben ist.<br />

Als Sie 13 Jahre alt waren, zog Ihr<br />

Vater mit Ihnen und Ihrem Bruder<br />

dauerhaft zurück nach New York.<br />

Wie erging es Ihnen?<br />

lischlehrerin<br />

mit zu Shakespeare. Zudem<br />

begann ich bei „Joeffrey“ 6 Tage<br />

die Woche Ballett zu tanzen. Die Zunahme<br />

an kultureller Stimulation war<br />

riesig.<br />

Was hat Sie dazu gebracht, so obsessiv<br />

Ballett zu tanzen?<br />

-<br />

<br />

und Tänzerin. Ich bin mir gar nicht so<br />

sicher, ob es wirklich so sehr meine<br />

Passion war oder ihre. Später habe ich<br />

Hip-Hop getanzt und Fußball gespielt,<br />

das war auch okay. Aber Ballett steht<br />

natürlich für große Kreativität und Anmut<br />

innerhalb ganz klarer Strukturen<br />

und Regeln. Es war in dieser Zeit für<br />

mich wichtig, einen klaren Fokus zu<br />

haben.<br />

Stört es sie eigentlich, dass Sie<br />

Leute fast immer nach Ihrem Vater,<br />

viel seltener aber nach Ihrer<br />

Mutter fragen? Ihre Eltern haben<br />

sich nach der Trennung nicht mehr<br />

versöhnt, oder?<br />

<br />

Nr.12<br />

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Nr.12


COVER<br />

Pullover Isabel Marant<br />

„COMING OF AGE“<br />

mir oft gewünscht habe, dass sie das<br />

hinbekommen würden. Meine Mutter<br />

und ich hatten ganz verschiedene<br />

Phasen miteinander. Aber wir sind<br />

sehr eng heute. Einerseits verstehe ich,<br />

warum Leute eher nach meinem Vater<br />

fragen. Seine Arbeit ist sehr bekannt.<br />

Andererseits habe ich erst vor Kurzem<br />

die Tänze meiner Mutter von früher<br />

sehen können, die sie in den 70er- und<br />

80er-Jahren gemacht hat. Und dadurch<br />

konnte ich auch ihr Werk begreifen<br />

und wertschätzen. Sehen Sie, es gibt so<br />

viele verschiedene Gründe, warum der<br />

kreative Output einer Person gewürdigt<br />

und einer breiten Öffentlichkeit<br />

bekannt gemacht wird, und ein anderer<br />

nicht.<br />

Nach dem Tod Ihres Vaters 1994<br />

haben Sie sich zunehmend in der<br />

posthum gegründeten <strong>Judd</strong> Foundation<br />

engagiert. Mittlerweile sind<br />

Sie gemeinsam mit Ihrem Bruder<br />

die Co-Direktorin. Diese Institution<br />

kümmert sich einerseits um<br />

den Erhalt des Werks Ihres Vaters,<br />

soll es andererseits lebendig halten.<br />

Wie machen Sie das?<br />

tigt<br />

den physischen Nachlass meines<br />

Vaters, vor allem das Gebäude 101<br />

Spring Street, instand zu setzen, dass<br />

wir grade erst begonnen haben, das<br />

Werk mit neuem Leben zu füllen. Und<br />

das ist gar nicht so einfach. Wie gestaltet<br />

man Räume, dass sich Menschen<br />

gerne in ihnen aufhalten? Wie schafft<br />

man Orte der Begegnung?<br />

Sie haben einmal gesagt, dass diese<br />

Arbeit an der Foundation, am Erbe<br />

Ihres Vaters, keine Bürde darstellt.<br />

Das ist schwer zu glauben.<br />

<br />

wie eine schwere Bürde an. Aber es<br />

ist doch gelungen, die Arbeit so zu gestalten,<br />

dass sie nach meinem Sinne<br />

ist. Die Arbeit mit meinem Bruder und<br />

dem Verwaltungsrat ist sehr kollaborativ.<br />

Außerdem habe ich eine solch große<br />

Liebe für meinen Vater und seine<br />

Arbeit, dass die Beschäftigung damit<br />

sehr bereichernd ist. Mein Bruder und<br />

ich machen grade eine iPhone-App für<br />

101 Spring Street. Man wird das Haus<br />

besichtigen können und Video-Material<br />

sichten können. Wir entwickeln<br />

also eher die Identität der Foundation,<br />

als dass wir nur administrative Arbeit<br />

machen würden.<br />

Immerhin ist es einer der Orte Ihrer<br />

Kindheit.<br />

<br />

Aber die Sache ist, Ich bin zwar eine<br />

ziemlich romantische Person, aber<br />

nicht nostalgisch veranlagt. Ich bin romantisch<br />

im Hier und Jetzt. Wenn das<br />

für Sie Sinn macht.<br />

Sie scheinen damit sehr glücklich<br />

zu sein.<br />

<br />

übrigens auch ein sehr romantischer<br />

Typ. Er mochte schöne Dinge, kaufte<br />

ständig die schönsten Löffel für die<br />

Küche. Er mochte Menschen, die Dinge<br />

herstellen konnten. Wenn jemand Essen<br />

gemacht hat, super, wenn jemand<br />

einen Stuhl hergestellt hat, auch toll. In<br />

diesem Sinne war er sehr kollaborativ<br />

und an der Gemeinschaft orientiert,<br />

war großzügig und frei. Manchmal<br />

kamen ich und meine Freunde und<br />

sagten, lass uns das Essen für die<br />

Eröffnung nächste Woche kochen!<br />

Und dann gab er jedem 20 Dollar und<br />

sagte, kauft, was ihr wollt, gern auch<br />

Eiscreme. Es gab dieses Gefühl, dass<br />

man die Dinge geteilt hat. Er teilte mit<br />

anderen seine Welt und man konnte<br />

hervortreten und schauen, wie man<br />

da hineinpassen könnte. Ich vermisse<br />

das sehr.<br />

Seit Sommer 2013 ist das New Yorker Haus<br />

der <strong>Judd</strong> Foundation 101 Spring Street für<br />

die Öffentlichkeit zugänglich.<br />

Nr.12<br />

70<br />

71<br />

Nr.12


Bluse Jolibe<br />

Hose Vintage Helmut Lang<br />

Schuhe Gucci<br />

Sonnenbrille Thom Browne<br />

EMPIRE<br />

S TATE<br />

OF<br />

HER<br />

Fotos Stefan Armbruster<br />

1. Fotoassistenz Christoph Lange<br />

2. Fotoassistenz Julian Schwentner<br />

Styling Bernat Buscato<br />

Stylingassistenz Moises De Moya<br />

Haare John Ruidant<br />

Make-Up Vincent Oquendo<br />

Models Iris & Hirschy /Suprememanagement NYC<br />

Nr.12<br />

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73<br />

Nr.12


Mantel Dries Van Noten<br />

Höschen La Perla<br />

Schuhe Vintage Helmut Lang<br />

Bustier & Bluse Acne<br />

Hose Emporio Armani<br />

Schuhe Versace<br />

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74<br />

75<br />

Nr.12


Jil Sander<br />

Schuhe Manolo Blahnik<br />

Gürtel Calvin Klein<br />

Gucci<br />

Nr.12<br />

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77<br />

Nr.12


Trenchcoat Burberry<br />

Schuhe Gucci<br />

Höschen Calvin Klein<br />

Jacke Giorgio Armani<br />

Rock Thom Browne<br />

Schuhe Versace<br />

Schleife Thom Browne<br />

Nr.12<br />

78<br />

79<br />

Nr.12


Trenchcoat Thom Browne<br />

Jacke Diesel<br />

Boots Helmut Lang<br />

Höschen Calvin Klein<br />

Blusenkleid Sacai<br />

Nr.12<br />

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Nr.12


KÜNSTLER<br />

Foto: Irina Gavrich<br />

Styling: Max Märzinger<br />

Photoassistenz: Patrick Melech<br />

ART<br />

<br />

Hier der Beweis. Für <strong>Fräulein</strong> haben<br />

sich die Jungs der Akademie der bildenden<br />

Künste Wien vor der Kamera<br />

ausgezogen und sich unseren gnadenlosen<br />

Fragen gestellt. Wir sehen<br />

echte Männer jenseits weich gespülter<br />

Werbeästhetik und lernen, wie man<br />

am besten einen Künstler an der Bar<br />

anbaggert, wofür Dialektik gut ist und<br />

-<br />

cken muss, um aufrecht durchs Leben<br />

zu gehen. Wenn Kunst immer so cool<br />

und ungezwungen wäre, dann müsste<br />

man sich um ihre Relevanz in Zeiten<br />

des „Big Money“ keine Sorgen mehr<br />

machen.<br />

MARIO GRUBICIC<br />

SCHON MAL HEGEL GELESEN UND IRGENDWAS<br />

VERSTANDEN? – „JA, ALLES, DESWEGEN BIN ICH JA HIER!“<br />

Nr.12<br />

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Nr.12


MARIO NEUGEBAUER<br />

MARTIN GRANDITS<br />

DER RICHTIGE DRINK UM ZU VERGESSEN?<br />

– „VODKA/ROHYPNOL“<br />

ÜBERBAU ODER UNTERBAU? – „OHO … DA IST JEMAND<br />

BELESEN!!!“<br />

Nr.12<br />

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Nr.12


MILAN MLADENOVIC<br />

RADE PETRASEVIC<br />

LIEBE IST … – „FÄCHERFLOSSER KLONIERT MIT EINEM<br />

LÖWEN ODER EINER HYÄNE ODER FÄCHERFLOSSER<br />

KLONIERT MIT EINEM LÖWEN UND EINER HYÄNE.“<br />

DER SCHLIMMSTE MORGEN DANACH WAR MIT …<br />

– „MIR SELBST.“<br />

Nr.12<br />

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Nr.12


FASHION<br />

Text: Sarah Harris Wallman<br />

Fotos: Bela Borsodi<br />

ONE CAR HOOKS<br />

INTO THE NEXT AND PULLS<br />

ZUM LAUNCH DER NEUEN KORREKTURFASSUNGEN HAT PRADA MIT DEM ITALIENISCHEN<br />

VERLAG GIANGIACOMO FELTRINELLI DEN LITERATURWETTBEWERB „PRADA JOURNAL“ INS<br />

LEBEN GERUFEN, AN DEM WELTWEIT 1.313 AUTOREN TEILGENOMMEN HABEN. AUS DIESEN<br />

WURDEN FÜNF GEWINNER AUSGEWÄHLT, DEREN ARBEITEN NOCH IN DIESEM JAHR IN EINEM<br />

DIGITALEN BUCH VERÖFFENTLICHT WERDEN. IM RAHMEN EINES EVENTS IN NEW YORK<br />

LASEN PERSÖNLICHKEITEN WIE OLIVER PATT, ANTHONY MACKIE, ZOE KAZAN UND GARY<br />

SHTEYNGART AUS DEN GEWINNER-GESCHICHTEN VOR. ZU UNSEREM FAVORIT HAT ES DIE<br />

KURZGESCHICHTE DER AMERIKANISCHEN AUTORIN SARAH HARRIS WALLMANN GESCHAFFT.<br />

SIE ERZÄHLT VON EINER ZUGFAHRT MENSCHLICHER BEGEGNUNGEN UND EMOTIONEN,<br />

DIE SICH GENAU BETRACHTET NICHT ANDERS ÄNDERN ALS EISENBAHNKNOTENPUNKTE.<br />

The train ran between two rival<br />

<br />

love.<br />

And yet as it burned up and down the<br />

track, it began to have feelings. This<br />

may have been a result of the friction.<br />

<br />

<br />

“Behold, sheep, I am Train”.<br />

Then it began to look inward.<br />

There are many business suits on this<br />

train; mostly men, but also women,<br />

who wish not to touch each other.<br />

They search for empty seats and tuck<br />

and retuck their coattails beneath<br />

their buttocks. They stare at their laps.<br />

They sit near the seat’s crease, hoping<br />

<br />

would rather talk to remote people on<br />

little phones. The train admires their<br />

glasses because they are like its windscreen.<br />

When charging triumphantly<br />

ahead, one should be protected from<br />

the splatter of insects.<br />

This train has been hailed as a marvel<br />

-<br />

<br />

polished metal, scrupulously maintained<br />

by a uniformed crew. Bits of garbage<br />

are laid on top, a button pressed on<br />

the side, and horizontal doors swallow<br />

the garbage then click shut. The doors<br />

to the bathroom open and shut like<br />

portals on a spaceship, making a futuristic<br />

whissh.<br />

The upholstery is a cheery take on<br />

certain modernist paintings, a design<br />

of brightly colored squares interacting<br />

<br />

seats keep everyone’s posture at optimum<br />

uprightness, though still many<br />

people managed to sleep.<br />

Increasingly, the train noticed distinctions<br />

among the people. There was this<br />

one woman…<br />

She wore glasses with sleek frames<br />

<br />

She gave everyone appraising looks<br />

that made them slink away. Then she<br />

studied her papers with a great seriousness.<br />

There were opportunities<br />

opening up in the rival cities. She was<br />

<br />

might be.<br />

There is not great variety along the<br />

<br />

sheep have for many centuries. From<br />

journey to journey, the train does not<br />

know if they are the same or different<br />

sheep.<br />

The tourists let their children run about.<br />

<br />

phy,<br />

the history and mechanics of train<br />

travel. Tissues pulled from purses to<br />

smudge barely glistening noses. This<br />

does not last. A few kilometers down<br />

the track and everyone grows tired of<br />

the window. They see no difference bet-<br />

<br />

become sulky. They had hoped for a<br />

journey, and imagined that journeys<br />

<br />

they are. The children wriggle loose and<br />

run along the aisles, books forgotten,<br />

noses dripping. They try to barge in on<br />

strangers in the toilets. The strangers<br />

become nervous and cannot urinate.<br />

This woman with the glasses has a<br />

particular repulsion for the children.<br />

She presses closer to the window as<br />

they run past, tightens her grip on the<br />

straps of her handbag. The bag will not<br />

have left her lap the entire trip and she<br />

will not have slept. Some women are<br />

sleepers. The train’s rhythm loosens<br />

their necks and parts their lips. Saliva<br />

dribbles. Not this woman.<br />

<br />

humans, the train has learned, there<br />

-<br />

<br />

knew from her daily life, another woman.<br />

They chatted for a few minutes,<br />

about the countryside, about the train.<br />

Then the woman, the sleepless one, the<br />

despiser of children, bent her neck like<br />

an awkward bird and closed her eyes.<br />

The other woman stopped talking after<br />

a time and became interested in a<br />

chocolate bar from her bag. It was badly<br />

crumbled, so it took her many mi-<br />

<br />

corners of the wrapper as she looked<br />

around to make sure no one saw. Some<br />

minutes later she discovered several<br />

stray crumbs on her lap and ate them,<br />

<br />

The acquaintance got off early at a provincial<br />

station, and the woman in the<br />

silver glasses immediately opened her<br />

eyes. She set to the papers in her case<br />

without any of the squinting or lipmoistening<br />

that usually accompanies<br />

the arrival of human wakefulness. The<br />

train realized she had only pretended<br />

sleep. This delighted the train.<br />

A man with a just discernible thinness<br />

to his hair was a usual sight to the<br />

pensive<br />

ink pens for signing important<br />

documents. This particular man was<br />

always talking to someone called Kristoff,<br />

saying “Kristoff, Kristoff, I need<br />

to know if this is the real deal.”. At that<br />

time, the real deal was not a thing that<br />

interested the train. Another of the abstractions<br />

by which humans measure<br />

the value of their lives. When he met<br />

the woman with the glasses he bought<br />

her a gin and tonic with the plastic card<br />

which harnessed human abstractions<br />

to things of value. They spoke about<br />

things the train did not yet understand.<br />

They gave each other sequences of<br />

numbers and stored them on their<br />

phones. The train was cautiously intrigued.<br />

Although they lived at the opposite end<br />

of the line, the man and the woman sometimes<br />

travelled together, crowding<br />

the seam of the seat so their thighs<br />

produced friction. The train was beginning<br />

to be interested in friction, even<br />

though it sometimes feared what the<br />

constant hum of the tracks against its<br />

wheels might convey.<br />

When the man and woman were not<br />

travelling together, they spoke to each<br />

other on little phones as the train<br />

closed the distance between them.<br />

There was a time this woman in<br />

glasses carried only a square case of<br />

proposals for investment, but increasingly<br />

she mingled papers with the soft<br />

crumpled holiday things.<br />

Brille Prada<br />

Nr.12<br />

88<br />

89<br />

Nr.12


Brille Ralph Lauren<br />

Brille Dolce & Gabbana<br />

Nr.12<br />

90<br />

91<br />

Nr.12


Brille Miu Miu<br />

Brille Jil Sander<br />

Nr.12<br />

92<br />

93<br />

Nr.12


He smiled on his journeys to her, loosening<br />

his tie as soon as the countryside<br />

accelerated, and only sometimes<br />

looked troubled on return. It became<br />

<br />

departing. Origin and terminus were<br />

shifting poles. Between them only<br />

speed and upholstery, the spine kept in<br />

perfect line. Sparkling wine in plastic<br />

cups.<br />

<br />

it fails they bitterly lament its absence.<br />

They feel cheated. They think they deserve<br />

to lean back in their seats and<br />

close their eyes until they are in the<br />

place and time they anticipated. Yet the<br />

woman in glasses, once she met this<br />

man, began to care less about timely<br />

arrivals. She even began to soften toward<br />

children, particularly little girls.<br />

When sticky children turned to chew<br />

the tops of the seats and stare at the<br />

woman behind them, she would say<br />

hello. She would ask them their names<br />

and where they got their pretty eyes.<br />

All children, she seemed to know, liked<br />

to be asked about the provenance of<br />

their eyes.<br />

Business men do not hide behind the<br />

forced cheeriness of people on holiday.<br />

They are not like the backpackers who<br />

write in ragged journals. Backpackers<br />

make word messes and insist on sharing<br />

them. “Right on,” they say.<br />

The train does not care for backpackers.<br />

It does not like their poetry or<br />

their guitars, their grubby reused water<br />

bottles and wistful postcards and<br />

nut shells, always nut shells crumbled<br />

across the upholstery. It is not that the<br />

train has no appreciation for art. With<br />

time and the humming friction of the<br />

tracks, this too has developed. It admires<br />

the ruins of aqueducts and the<br />

squares of its upholstery. It appreciates<br />

a sunset and better still, the blinking of<br />

man-made stars in the clusters where<br />

people live.<br />

But the train has its particular taste,<br />

and that taste tends toward the overlooked<br />

art of the business traveler.<br />

Many businessmen make geometry<br />

in the margins of their notebooks. It<br />

seems each suit contains a separate<br />

<br />

one of parallelograms and many-pointed<br />

stars. If anyone comes close, they<br />

shield their markings from view.<br />

Humans have a large capacity for invention.<br />

They have partitioned their<br />

countries with parallel lines and coordinated<br />

the million nuances of timetables.<br />

They set great machinery in motion<br />

and abandon it like a beautiful orphan.<br />

ver,<br />

as they intended. Humans create<br />

well, but their creations fall apart as<br />

they lose interest in maintenance.<br />

The air brake can fail to respond to the<br />

conductor’s command if it becomes<br />

depressurized. The air inside the brake<br />

mechanism wants to be let out into<br />

the boundless container of the sheep<br />

<br />

the train must maintain control over<br />

it. Of course, the train’s air coupler can<br />

become defective if the rubber of the<br />

seal degenerates and the compressed<br />

air is allowed to hiss its escape.<br />

For many months this woman traveled<br />

to that man’s country and he to hers.<br />

At the station they parted as strangers,<br />

she to her business, he to his home,<br />

or vice versa. Once he was met by his<br />

family, a wife with a pile of curls, a<br />

ded<br />

like unoiled brakes. The woman in<br />

glasses watched their embrace from a<br />

distance, pretending to squint at the<br />

timetables above their heads.<br />

<br />

is going to business and she who is<br />

headed back home for a few days,<br />

though she has begun to hint that she<br />

is not attached to her own city, that<br />

she could move from that place given<br />

“the right opportunity.”. The man is<br />

smoothing her hair. He has had one<br />

more glass of wine more than he usually<br />

allows himself; the young lady who<br />

pushed the drinks cart smiles so nice-<br />

<br />

his hand moves from her hair to the<br />

temple of her glasses. He takes them<br />

off and stores them in his pocket with<br />

<br />

to the business class toilet at the rear<br />

of their car.<br />

The metal door slides shut behind<br />

them with just a squeak more than<br />

the gentle hiss for which it was designed.<br />

Inside the cylinder of the W.C. the<br />

woman sets her heeled foot upon the<br />

toilet and they rummage around inside<br />

one another’s clothing. “Tell me,” she<br />

groans, “tell me.” The man leans in and<br />

says whatever it is close to her ear. The<br />

<br />

whole scene distasteful.<br />

The train did not stop noticing the wo-<br />

<br />

bringing the man silk ties and new<br />

<br />

-<br />

<br />

something more permanent than cho-<br />

<br />

his hands as he boarded the train. “For<br />

Emma,” the woman said as he boarded<br />

the train, “tell her I look forward to<br />

seeing her again. She has very pretty<br />

eyes.” She waved from the platform<br />

and he waved back. They weren’t traveling<br />

together that day.<br />

Before the train had cleared the station,<br />

the man stuffed the furry thing into the<br />

bin. He shoved it roughly and it dislodged<br />

one of the little metal doors. The<br />

bins were meant for smaller waste.<br />

The bear’s indiscriminate grin poked<br />

up. The man took the bear to the bathroom<br />

and buried it in the larger bin<br />

beneath the wet brown napkins. Then<br />

he washed his hands and scowled at his<br />

<br />

above the sink. “There,” he said. “You are<br />

being a fool. This can go no further.” He<br />

splashed water on his face and washed<br />

<br />

<br />

a curt nod, as if to say “so be it.”.<br />

Back in his seat he called his wife and<br />

told her things she wanted to hear before<br />

placing the phone in his suitcase,<br />

among the documents, some of them<br />

doodled with slanted hearts, some of<br />

the hearts obscured by dense scribble.<br />

The train is heavily subsidized. Each<br />

city thinks the other should contribute<br />

more to its maintenance. There are<br />

cutbacks. The prices on the beverage<br />

cart are increased. On the opinion<br />

pages strewn across empty seats, the<br />

heralds of opinion speculate how much<br />

longer things can go on this way when<br />

everyone talks about repairs and no<br />

one wants to pay for them.<br />

Should more frequent brake inspections<br />

be required? The politicians cannot<br />

even agree on what sort of salad to<br />

have at lunch. The banks are letting a<br />

few people go until some of the political<br />

questions have been settled. The real<br />

estate market slows and fewer people<br />

go on vacation. Fewer companies send<br />

their businessmen to that backwards<br />

foreign place, once brimming with investment<br />

potential, now the land where<br />

hated bureaucrats stand ready to<br />

topple the entire continent’s economy<br />

with one foolish nudge.<br />

And yet more people gather at the stations,<br />

selling plaster models of their<br />

town’s most famous buildings. And<br />

plastic key chains in the shape of the<br />

regions’ famous foods. They look des-<br />

<br />

train does not want them jingling their<br />

wares on poles so near its windows.<br />

This may frighten what passengers<br />

remain.<br />

Over time, the futuristic trash bins tarnished<br />

and began to smell of banana.<br />

Grey wads of gum clung to the outside<br />

and the hinges of the little doors<br />

fail. Now people let their empty water<br />

bottles roll away beneath the seats and<br />

pretend they have not noticed. They<br />

wad a chocolate foil wrapper and cram<br />

it between the cushions and quickly<br />

allow themselves to forget. The train is<br />

not sure if time is passing at the same<br />

speed. The friction has taught it that<br />

<br />

The upholstery has been rubbed thin<br />

in places, a blank beige gradually devouring<br />

the little squares of color. This,<br />

the train, realizes too late, is what comes<br />

of friction. Still, the spines are<br />

straight. The train will shepherd these<br />

people to proper posture whether they<br />

want it or not.<br />

The friction no longer hums but squeals<br />

like a doomsday prophet.<br />

The woman has a secret. There is no<br />

need for her to ride anymore. Sometimes<br />

she rides one way and rides back,<br />

detraining for a few hours or not at all.<br />

There is nothing for her at the far end<br />

of the line. It is the journey she wants.<br />

Her case rests very lightly on the metal<br />

bars. It contains no presents and<br />

perhaps no job. She watches businessmen.<br />

She speaks to them or makes<br />

them want to speak to her by subtle<br />

gesture.<br />

Eventually, she takes them into toilets,<br />

into empty and nearly empty carriages.<br />

She has even worked her cool, deft<br />

hand beneath a newspaper on a lap in a<br />

near-full carriage, other businessmen<br />

a seat’s width away.<br />

Once she thought her man had invented<br />

it, this mating on trains. She was<br />

no better than those bohemians with<br />

their cumbersome guitar cases and<br />

their talk of foreign lands. Bohemians<br />

speak of foreign lands with false intimacy,<br />

as if foreign places embraced<br />

them specially, as if their travels were<br />

portentous and destined.<br />

After the man stopped travelling, she<br />

said it was the mating she had really<br />

wanted.<br />

She picks them out on the platform<br />

when she can. Then it is natural that<br />

they settle into twin seats. Otherwise,<br />

ted,<br />

an action which is sure to annoy<br />

mity<br />

during travel. They will not have<br />

guessed, of course, what kind of pro-<br />

<br />

<br />

must think she is going somewhere.<br />

Before the end of the journey they will<br />

have followed her, to the toilets or nearly<br />

empty carriages, quite happily. They<br />

are seldom impeded by responsibilities<br />

at either end of the track. Her hands<br />

<br />

<br />

She still fears getting caught, but the<br />

fear is a warm-up, like the revving of<br />

an engine. In these pulsing moments<br />

there is no worry wrinkle across her<br />

forehead to betray her age. She does<br />

not say to them, “Tell me, tell me.”. If<br />

they try to touch her glasses, she gui-<br />

<br />

The train goes back and forth. The<br />

budget no longer allows for two union<br />

men to sit at its control panel, but the<br />

<br />

the ministrations of the sweating trai-<br />

ty<br />

in maintaining forward motion.<br />

<br />

back. He does not wear a suit and his<br />

lumpy bag smells of a suntan lotion<br />

leak. His hair is thinning. With him is<br />

a mother, doing her best to look happy.<br />

By the size of her baby, she has not<br />

been a mother long, but she has her<br />

<br />

beneath the eyes, which she constantly<br />

<br />

wife from the platform long ago.<br />

Behind them is an older girl child who<br />

looks something like the man. The<br />

child watches the mother and baby<br />

sullenly. She does not take an offered<br />

<br />

the woman and she is not impressed<br />

with the baby’s saliva bubbles. Ignoring<br />

the family tableau, the child methodically<br />

unpacks her bag. She prints<br />

“Emma” neatly with one pen at a time<br />

and doesn’t eat sticky sweets. As the<br />

train hurtles forward, she takes her<br />

baby doll and presses her thumbs<br />

against its painted eyeballs until its<br />

whole rubber face caves in.<br />

It does not occur to the man that the<br />

woman with silver glasses will be there.<br />

For him, that time has passed.<br />

She is walking from car to car, perusing<br />

the seats for a likely traveling companion,<br />

getting closer to him and his family,<br />

their sunglasses, their magazines,<br />

<br />

<br />

spot her. The child remembers a woman<br />

who came from the distance bearing<br />

chocolate and saying nice things<br />

about her eyes.<br />

Human emotions change as easily as<br />

railway junctions. A slight shift of position<br />

clicks into place and the whole<br />

journey changes. But a child does not<br />

forget a woman with presents.<br />

“You brought me chocolate!” says<br />

Emma, suddenly pointing at the woman<br />

in the aisle. “When I was little!”<br />

Motion stops. At least, human motion.<br />

The train slows to listen, but imperceptibly.<br />

“Now we have Julie,” says the girl, “and<br />

my half a sister.”<br />

The mother, the one called Julie, tightens<br />

her lips. She knows there have<br />

been women before her. But she does<br />

not want to know. She needs to believe<br />

she is the end of the line. She keeps<br />

her lips and stomach tight against the<br />

threat of his being apart from her, his<br />

possible travels on trains with others,<br />

to others.<br />

The man, the father of two of these females,<br />

the lover of two of these females,<br />

says the name of the one he did not<br />

choose.<br />

The woman says the name of the man.<br />

They say I’m Fine and How Are You.<br />

Standard human protocol. Now keep<br />

walking, thinks the train.<br />

<br />

“Julie’s all right,” she says. “She never<br />

brings me chockies, though.” A conciliatory<br />

comment, aimed at pleasing both<br />

women. She has a mother somewhere.<br />

Someone has taught her appeasement.<br />

But there can be no balance between<br />

the women. They feel their similarities<br />

and search for differences to judge.<br />

They do not want to be parallel.<br />

The woman in her business suit is offbalance<br />

for a moment, though the train<br />

moves smoothly, as it was designed to<br />

do. She recovers quickly. She is polite.<br />

<br />

is changed. She has been replaced, has<br />

seen what replaces her.<br />

The train, so long without maintenance,<br />

will one day be replaced. Scientists and<br />

city fathers will declare a better train,<br />

will have a ribbon-cutting ceremony,<br />

will “usher in a new era.”. There is no<br />

such thing as a permanent train. The<br />

train is proud just to be part of the lineage<br />

of progress. Most days. The days,<br />

it has noticed, have differences.<br />

The woman had wanted to be irreplaceable<br />

after all. When the door of the<br />

business class toilet whisshed shut<br />

behind her, she thought it was airtight.<br />

She thought that air worth breathing<br />

forever. She thought they were sealed<br />

off from the pressures outside.<br />

<br />

drinks little train whiskeys with diet<br />

cola. She smokes a cigarette in the<br />

loud rear carriage. She does not seek<br />

a stranger. Go on, thinks the train, just<br />

<br />

whose upholstery is clear enough so<br />

you can still see the dancing squares.<br />

There is very little gum on its under-<br />

<br />

business.<br />

“Sophie,” she says to herself. “You are a<br />

fool.” She has been nameless. She has<br />

moved in anonymous ranks of businessmen<br />

like so many beautiful iden-<br />

<br />

momentary admiration. And through it<br />

all she really wanted to live in a single<br />

<br />

The train seems to be late. Everyone is<br />

checking their watches, calculating the<br />

damage to their plans. Some of them<br />

break the silence to curse the train.<br />

Some of them curse the government of<br />

the country that is not their own. They<br />

think they may miss important things.<br />

<br />

<br />

their pressurized air, if the train fails to<br />

respond to the command to slow, if it<br />

goes hurtling terribly against the motionless<br />

landscape killing sheep and<br />

<br />

<br />

<br />

and is sliced by steel sheets and her<br />

head rolls over the burning grass, it<br />

cannot be blamed on the train. The<br />

dead will not have time to foresee any<br />

<br />

<br />

and the memorials and a great deal<br />

of paperwork, a committee will assign<br />

<br />

error.<br />

Sarah Harris Wallmann wurde 1987 geboren.<br />

Sie arbeitet als Autorin und unterrichtet<br />

am Albertus Magnus College in Connecticut<br />

(USA). Im „Prada Journal Literaturwettbewerb“<br />

wurde sie mit ihrer Kurzgeschichte „One<br />

Car Hocks into the Next and Pulls“ zu den fünf<br />

Gewinnern gewählt.<br />

Nr.12<br />

94<br />

95<br />

Nr.12


PORTRAIT<br />

LOUISE<br />

WILSON<br />

ADVOKATIN DER MODE<br />

Nr.12<br />

96<br />

97<br />

Nr.12


PORTRAIT<br />

Interview: Robert Grunenberg<br />

Foto: Jane Stockdale<br />

Central Saint Martins College of<br />

Arts and Design – dieser Name klingt<br />

nach und entfacht ein Leuchten in den<br />

Augen junger Kunststudenten und solcher,<br />

die es werden wollen. Die populäre<br />

Kunst- und Designhochschule in<br />

London, die alle CSM nennen, zieht seit<br />

den 1960er-Jahren kreative Menschen<br />

aus der ganzen Welt an die Themse.<br />

Der gute Ruf der Schule hat zu einer<br />

Mythosbildung geführt. Grund sind<br />

die harten Aufnahmebedingungen und<br />

viele bekannte Absolventen, wie Popstar<br />

M.I.A. oder die Künstler Gilbert &<br />

George. Doch kein Kurs umgibt mehr<br />

Aura als „Modedesign“. Auf kein Fach<br />

kommen mehr Bewerber, kein Fach hat<br />

bekanntere Absolventen und um kein<br />

Fach werden mehr Geschichten, Gerüchte<br />

und Legenden gesponnen. Das<br />

liegt möglicherweise an einer Person:<br />

Louise Wilson, Professorin und Direktorin<br />

des M.A.-Studiengangs „Fashion<br />

Design“.<br />

Die meisten werden Louise Wilson<br />

nicht kennen, mit Sicherheit aber die<br />

Mode ihrer Studenten. Kaum ein Dozent<br />

hat in den letzten Jahrzehnten<br />

so viele bekannte Designer hervorge-<br />

liano,<br />

Philo Phoebe, Hussein Chalayan,<br />

Christopher Kane, Sarah Burton, Zac<br />

Posen oder Ricorda Tisci – die Liste<br />

reicht über den Heftrand hinaus. Wie<br />

niemand sonst prägt Louise Wilson<br />

<br />

Wenn sie den Daumen hebt, kann<br />

das eine Karriere bedeuten. Über sie<br />

selbst sagt man, sie sei eine toughe<br />

und launische Gebieterin, eine zynische<br />

Drillinstruktorin mit eisenharten<br />

Lehrmethoden; eine gefürchtete wie<br />

gleichermaßen bewunderte Lehrerin.<br />

Wir trafen die 51-jährige Wilson, die<br />

selbst am CSM studierte, in ihrem Büro<br />

<br />

Kings Cross. Als wir ankommen, sitzt<br />

sie an ihrem Schreibtisch, spricht laut<br />

mit ihrer Sekretärin. Ihren leichten<br />

schottischen Akzent hat sie während<br />

<br />

bei Donna Karan in New York nicht<br />

verloren. Wie immer trägt Wilson<br />

Schwarz. Viel Stoff so angelegt, dass<br />

man nicht weiß, wo ihr Körper anfängt,<br />

die Kleidung aufhört. Ein Sinnbild für<br />

die Verwobenheit mit ihrem Job in der<br />

Modewelt, in der sie ihr ganzes Leben<br />

gearbeitet hat. Zeugnis davon gibt die<br />

Wand hinter ihrem Schreibtisch. Hier<br />

hängt ein Meer aus Einladungen zu<br />

<br />

Studenten, Karten mit Sprüchen wie<br />

„same shit, different year“ oder „we<br />

have nothing to say, but we are saying<br />

it anyway“. Ohne Zeit zu verlieren<br />

geht es los, es gebe Wichtigeres als<br />

ihre Person, sagt sie. Wilson macht sofort<br />

reinen Tisch und erklärt, dass sie<br />

überhaupt nichts von dem Legenden-<br />

Klischee hält, weder zu ihr noch zum<br />

Studium am CSM. Ohnehin hat sie vor,<br />

einiges richtigzustellen. Schnell wird<br />

klar, Wilson ist eine resolute, schlagfertige<br />

Frau. Gleiches fordert sie von<br />

ihrem Gegenüber. Eine intelligente<br />

Person, die unverhohlen, provokativ<br />

und leidenschaftlich über ihren Job<br />

spricht. Ein überraschendes und ernüchterndes<br />

Gespräch über Bildung,<br />

Generationen und Kreativität.<br />

<strong>Fräulein</strong>: Frau Wilson, wie ist Ihre<br />

Rolle innerhalb der Modewelt einzuordnen?<br />

ständnis<br />

ist, ich würde in der Modeindustrie<br />

arbeiten. Ich arbeite im<br />

Bildungswesen. Mein Job ist ein langweiliger<br />

Lehrerberuf. Was ich täglich<br />

mache, ist ein zermürbender und<br />

„ALLES, WAS ES IST, SIND EIN PAAR<br />

WERKSTATTTISCHE UND HARTE<br />

ARBEIT.“<br />

verdammt harter Job, ich arbeite von<br />

<br />

ohne Mittagspause. Würde ich in der<br />

Modeindustrie arbeiten, dann wär ich<br />

reich.<br />

Woher kommen diese Vorstellungen<br />

zu Ihrer Person und Ihrer Tätigkeit?<br />

<br />

die harte Arbeit, sondern haben eine<br />

falsche Idee vom Studium der Mode.<br />

Das liegt an der Industrie selbst, die<br />

mit Illusionen spielt. Vor allem aber<br />

liegt es daran, dass heute alle „fantastisch“<br />

sein wollen, jeder seinem Alter<br />

Ego frönt. Es ist nicht genug einfach<br />

nur zu sein, einen Job zu haben und<br />

diesen gut zu machen.<br />

Sieht man die vielen erfolgreichen<br />

Abgänger, die Sie hervorgebracht<br />

haben, könnte man sagen, Sie<br />

machen Ihren Job gut.<br />

<br />

machen. Aber gerade gelingt mir das<br />

nicht, denn ich produziere zurzeit nicht<br />

genug Studenten für die Industrie, die<br />

händeringend welche sucht. Doch jungen<br />

Leuten mangelt es an notwendigen<br />

<br />

sozialer Kompetenz und Arbeitsethos.<br />

Als Leiterin des Masterstudiengangs<br />

bin ich davon abhängig, was den Studenten<br />

in den Bachelorstudiengängen<br />

und in der Schule beigebracht wird.<br />

Doch wir haben seit 10 Jahren massive<br />

Kürzungen im englischen Bildungssystem;<br />

10 Jahre Mangel in der Lehre.<br />

Obendrauf wollen Studenten heute<br />

nicht hart arbeiten. Sie wollen keine<br />

Fehler machen. Man kann aber nur zusammen<br />

arbeiten, wenn man bereit ist<br />

Fehler einzugehen. Wenn Studenten zu<br />

mir kommen, sind sie im Durchschnitt<br />

22 Jahre alt. Sie kommen von einem<br />

Bildungssystem, wo sie falsches Feedback<br />

erhalten, wo sie heute ständig zu<br />

hören bekommen, sie sind toll und alles<br />

ist wundervoll.<br />

Klingt, als ob meine Generation<br />

nur aus erfolgsorientierten<br />

Narzissten besteht.<br />

on<br />

sehr narzisstisch ist. Dabei ist mir<br />

bewusst, dass jeder sagen wird, oh<br />

Moment, diese Generation ist doch fabelhaft<br />

und ich sei doch nur alt und angepisst.<br />

Ich glaube wirklich, dass Studenten<br />

heute nicht hart genug arbeiten.<br />

Bildung kann ein Türöffner sein, aber<br />

jeder Student muss selbst durch die<br />

Tür gehen. Doch das schaffen die meisten<br />

nicht, weil sie ängstlich, unerfahren<br />

oder verwirrt sind. In unserem Bildungssystem<br />

werden sie nicht darauf<br />

vorbereitet, sie arbeiten immer nur<br />

so lange sie müssen. Vielen Studenten<br />

wird nicht beigebracht, kritisch zu denken.<br />

Manche Studenten können nicht<br />

einmal einen Dialog mit Dozenten führen.<br />

Sie können und wollen über nichts<br />

anderes sprechen als über ihre Arbeit.<br />

Ich würde gerne mit ihnen über etwas<br />

anderes sprechen und diskutieren.<br />

Trotz der vielen Bewerber auf Ihren<br />

Kurs mangelt es Ihnen an Talent?<br />

nate,<br />

danach könnte man meinen, wir<br />

hätten talentierte Leute. Nein, man<br />

kratzt wirklich nach Talent. Denn man<br />

bekommt nie das ganze Paket am<br />

Anfang, selbst wenn Studenten erstklassige<br />

B.A.-Abschlüsse haben. Dass<br />

jemand gleichzeitig zeichnen, schneidern<br />

und gut mit Farbe ist, das passiert<br />

sehr selten und wenn, dann sind sie<br />

gekreuzigt, weil es echte Talente sind,<br />

die meist einen Mangel an Selbstvertrauen<br />

haben. Ein anderes Problem ist,<br />

die wirklichen Talente zur Bewerbung<br />

zu animieren, Leute, die wirklich etwas<br />

machen wollen. Viele Bewerber haben<br />

die irreführende Vorstellung St. Martins<br />

und der M.A.-Kurs sei<br />

Nr.12<br />

98<br />

99<br />

Nr.12


PORTRAIT<br />

diese schillernde Hochglanzschule.<br />

Hinzu kommt, dass die Bewerber auf<br />

die falsche Idee eines Netzwerkeffekts<br />

setzen. Die meisten Bewerber verste-<br />

<br />

paar Werkstatttische und harte Arbeit.<br />

Wie erkennen Sie ein Talent?<br />

<br />

selten vorgekommen, dass ich dachte,<br />

wow, hier ist ein Talent. Der Sinn<br />

von Bildung ist Lehren und Lernen.<br />

Würden alle hier mit „wow“ hinkommen,<br />

dann würde ich mich zurücklehnen<br />

und Wein trinken. Wir haben<br />

im Schnitt 45 Studenten im gesamten<br />

M.A.-Studiengang. Es gibt immer 3<br />

Studenten, mit denen ich gerne zusammen<br />

arbeite. Mit jungen Menschen zu<br />

<br />

einfach eine andere Generation und<br />

Interpretation. Aber, zum Teufel, wenn<br />

Studenten Mist produzieren, dann ist<br />

es eben Mist. Unternehmen fragen<br />

mich ständig nach Talenten, ich muss<br />

ihnen sagen, sorry, es gibt keine.<br />

Welche Fertigkeit braucht man<br />

und was kann man in Ihrem Kurs<br />

lernen?<br />

<br />

dieses aufspüren, ausbauen und sich<br />

voll und ganz zu eigen machen – die<br />

Studenten müssen uns etwas anbieten,<br />

das einzigartig ist, etwas, das kein Photoshop<br />

oder Illustrator reproduzieren<br />

kann. Sie müssen eine kreative DNS<br />

entwickeln. Sie glauben gar nicht, wie<br />

selten eine echte kreative Fertigkeit<br />

ist. Ich erwarte nicht, dass die Studenten<br />

wissen, was sie wollen. An einer<br />

Kunsthochschule zu studieren bedeutet<br />

nicht, die Überholspur auf der<br />

Autobahn zu nehmen. Man fährt die<br />

kurvige Route, dort entdeckt man Fähigkeiten,<br />

an die man niemals geglaubt<br />

hätte. Diese Fahrt ist stressig und dauert<br />

länger. Man versaut es, irrt sich und<br />

wiederholt es so lange, bis man seinen<br />

<br />

überrascht sein, wie selten es ist, dass<br />

Studenten ihren eigenen Kopf nutzen,<br />

Probleme und Ideen unabhänigig von<br />

anderen und von Hilfsmitteln wie<br />

Computern durchdenken.<br />

Wie gehen Sie mit dem Einfluss der<br />

neuen Medien auf das Modedesign<br />

um?<br />

sen<br />

von Kleidung, wie sie gemacht<br />

wird, wie sie funktioniert. Die Welt<br />

heute ist digital. Doch Kleidung herzustellen,<br />

sie zu verstehen, das ist ein<br />

furchtbar langer Prozess. Heute geht es<br />

darum, wie Mode auf digitalen Screens<br />

aussieht, deshalb wird Mode farblich<br />

immer heller und poppiger. Tom Ford<br />

sagte, er könne keine schwarzen Kleider<br />

mehr machen, weil es nicht gut auf<br />

einem Bildschirm aussehen würde.<br />

„KLEIDUNG HERZUSTELLEN, SIE ZU<br />

VERSTEHEN, DAS IST EIN FURCHTBAR<br />

LANGER PROZESS.“<br />

Wenn das der Anspruch ist, dann ist<br />

das ein Niedergang. Es ist eine Zeit des<br />

Geldes, des Marktes und das Geld fehlt<br />

in der Bildung.<br />

Inwiefern ist kreative Bildung ein<br />

knappes Gut?<br />

kunft.<br />

Wenn Bildung unter die Macht<br />

des Marktes fällt, dann leidet auch die<br />

Kreativität. Die ganzen Trends im Internet,<br />

wie Seapunk, die Azealia Banks<br />

dieser Welt – leere Worthüllen wie<br />

nachhaltige Mode oder Crossgender<br />

Trends. Das hat mit Mode nichts zu<br />

<br />

Blogs, Werbung, Modenschauen. Blogger<br />

z. B. schreiben nicht über Mode,<br />

sondern nur noch über sich selbst. Auf<br />

Instagram kann man den größten Mist<br />

gut aussehen lassen. Es klingt verzweifelt,<br />

aber neues Talent kommt nicht<br />

so regelmäßig, wie es immer erwartet<br />

wird.<br />

Wo sehen Sie etwas Positives in der<br />

Zukunft?<br />

<br />

einzige Grund zu lehren. Sie sind die<br />

nächste Generation, was könnte wichtiger<br />

sein? Nur ist die derzeitige Situation<br />

nicht positiv, deshalb arbeite ich<br />

mit vielen Schwachköpfen. Ich bin kein<br />

Pessimist, es ist einfach die verdammte<br />

Wahrheit und die will keiner hören.<br />

Stellen Sie zu hohe Erwartungen<br />

an die Studenten?<br />

<br />

nicht meinen Studenten, um sie dann<br />

der Industrie auf dem Servierteller<br />

zu überreichen. Ich sage und lehre<br />

meinen Studenten, was auf diesem<br />

Kursniveau erwartet wird. Ich sage<br />

auch nicht, die Modeindustrie ist hart<br />

und unfair. Ihre Entscheidung macht<br />

es hart. Das Studium ist nur auf die<br />

Studenten ausgerichtet. Wenn sie ihre<br />

Chance verblasen, dann ist das ein gro-<br />

ßer Scheißdreck, da geht viel Geld und<br />

Energie verloren.<br />

Inwiefern stehen Sie unter Druck<br />

wegen der Gelder, die Sie aus Partnerschaften<br />

mit Unternehmen wie<br />

Louis Vuitton oder Pringle erhalten?<br />

dien<br />

unterstützt werden, erzeugt das<br />

einen enormen Druck. Man hofft, dass<br />

die Kids etwas mit diesem Geld anfangen.<br />

Solche Stipendien sind essenziell.<br />

Die meisten Kids haben sich während<br />

ihres Bachelors hoch verschuldet und<br />

haben kein Geld für einen M.A. Diese<br />

Unterstützung soll die Studenten ermächtigen,<br />

ihre Projekte zu verwirklichen,<br />

denn die Sponsoren bezahlen<br />

z. B. die Shows der Abschlusskollektionen.<br />

Gerade weil die Unternehmen<br />

mit sehr viel Respekt zu uns kommen,<br />

ist es beschämend, wenn wir vielen<br />

Trotteln ein Stipendium besorgen. Die<br />

Industrie versteht die Schwierigkeiten,<br />

die wir haben. Sie waren bei uns in den<br />

Werkstätten und haben gesehen, was<br />

für schreckliche Arbeit mitunter produziert<br />

wird.<br />

Was wäre ein Grund, Mode am<br />

CSM zu studieren?<br />

<br />

wenn du wirklich arbeiten willst, dann<br />

bekommst du tolle Möglichkeiten. Ich<br />

will Studenten dazu befähigen, ihr Bestes<br />

zu leisten. Denn sie haben die Chan-<br />

<br />

zu arbeiten, ihre Mode hochwertig produzieren<br />

zu lassen, sie können tolle Fotografen<br />

treffen und die Welt bereisen.<br />

Letztlich müssen alle entscheiden, wo<br />

sie arbeiten wollen. Es gibt Studenten,<br />

die gehen gleich nach dem Abschluss<br />

nach Paris zu einem großen Label, ha-<br />

<br />

trem gut bezahlt. Andere leben von der<br />

Hand in den Mund, weil sie ihr eigenes<br />

Ding machen und damit glücklich sind.<br />

Die Modeindustrie ist ein gutes Gewerbe<br />

zum Arbeiten. CSM bietet den Einstieg<br />

auf höchstem Niveau.<br />

Louise Wilson, 1962 in Cambridge geboren,<br />

wuchs in Schottland auf. Nach ihrem Modedesign-Studium<br />

am Central Saint Martins<br />

arbeite sie als Chefin bei Donna Karan in New<br />

York. Seit 1992 ist sie Professorin und Leiterin<br />

des M.A.-Studiengangs am CSM. Sie lebt in<br />

London und hat einen Sohn.<br />

Nr.12<br />

100<br />

101<br />

Nr.12


coco<br />

katsura<br />

DER KÖRPER<br />

Interview: Maja Hoock<br />

Foto: Heiko Richard<br />

DIE JAPANERIN COCO KATSURA IST<br />

MEISTERIN DES BONDAGE UND SM-<br />

MISTRESS, ALSO EINE FRAU, DIE MÄNNERN<br />

BERUFLICH SCHMERZEN ZUFÜGT.<br />

MIT FRÄULEIN HAT SIE ÜBER<br />

UNKÖRPERLICHE LIEBE GESPROCHEN.<br />

<strong>Fräulein</strong>: Sie kommen aus Tokio.<br />

Ist dort das Sexleben wirklich<br />

so verrückt?<br />

<br />

verrückte Läden. Zum Bespiel gibt es<br />

Baby-Clubs, worin sich Männer in die<br />

Zeit zurückversetzen, als sie Säuglinge<br />

waren. In der japanischen Gesellschaft<br />

lastet ein großer Druck auf den Menschen,<br />

besonders in der Arbeitswelt.<br />

<br />

können nie sie selbst sein. Im Baby-<br />

Play, wenn sie nur essen, trinken und<br />

in die Windeln machen, geben sie für<br />

diese Zeit alle Verantwortung ab. Das<br />

bedeutet Freiheit.<br />

Gibt es so etwas in Deutschland<br />

auch?<br />

prägt.<br />

Ich habe solche Clubs hier noch<br />

nie gesehen. Es gibt aber Parallelen<br />

zwischen der deutschen und der japanischen<br />

Mentalität.<br />

Was für Leute gehen in solche Fetisch-Clubs?<br />

sitionen,<br />

die viel Verantwortung tragen<br />

müssen. Aber es gibt auch Menschen,<br />

die als Kinder Traumata erfahren haben.<br />

Das spielt im Erwachsenenalter<br />

<br />

Wie haben Sie gemerkt, dass Sie<br />

Sadistin sind?<br />

<br />

es gab ein Mädchen, das mir immer<br />

mein Mittagessen gebracht hat. Ich<br />

wusste nicht so richtig, was das sollte.<br />

Irgendwann hat sie mich gefragt, ob<br />

ich etwas für sie tun kann. Niemand<br />

war im Klassenzimmer und ich habe<br />

sie mit dem Vorhang und einem Schal<br />

festgebunden und ihr in die Brüste gezwickt.<br />

Da war ich vielleicht zwölf.<br />

Wie sind Sie dann Mistress geworden?<br />

<br />

Queens und SM-Leute gegeben und ich<br />

sollte an diesem Abend als Mistress<br />

einspringen. Als ich dann in der Rolle<br />

war, wurde mir einiges klar. Ich hatte<br />

die ganze Zeit diese Gefühle in mir und<br />

wusste nicht, wie ich sie einordnen<br />

und kanalisieren soll. Also wurde ich<br />

mit 26 Jahren ich selbst. Am nächsten<br />

Tag hatte ich direkt ein Bewerbungsgespräch<br />

in einem SM-Club und konnte<br />

anfangen.<br />

Wie viele Männer waren schon als<br />

Kunden bei Ihnen?<br />

<br />

1.000 oder mehr.<br />

Warum werden Schmerzen von<br />

manchen Leuten als Lust empfunden,<br />

obwohl das eigentlich konträr<br />

zum Lebenshaltungstrieb steht?<br />

<br />

wenn die Läufer das sogenannte<br />

<br />

eine Art Rauschzustand oder Euphorie.<br />

Schmerzerfahrungen können wie<br />

körperliche Anstrengungen auch ein<br />

tung<br />

von Endorphinen hervorrufen.<br />

Manche Kunden wollen aber nicht nur<br />

Schmerzen, sondern oft auch ein psychologisches<br />

Spiel.<br />

Wie sieht so ein Spiel aus?<br />

<br />

den Männern das Gefühl, total unter<br />

meiner Kontrolle zu stehen. Ich<br />

nehme ihnen die Bewegungsfreiheit<br />

durch Fesselung und etwas von ihrer<br />

Wahrnehmung wie das Hören durch<br />

Kopfhörer. Das verstärkt die anderen<br />

Sinneseindrücke. Oft lasse ich sie dabei<br />

in einen Spiegel schauen, ich komme<br />

von hinten an sie heran und wenn sie<br />

aufgeregt sind, befehle ich ihnen, auf<br />

die Knie zu gehen wie ein Hund.<br />

Welche Mittel setzten Sie noch ein,<br />

um die Männer in den Zustand zu<br />

versetzen, den sie sich wünschen?<br />

mung<br />

harten Elektro oder Ambient<br />

und passe die Bewegungen an. Und ich<br />

verwende Gerüche. Zitronengras ist<br />

gut, um wach zu machen. Majoran ist<br />

dagegen gut, um zu beruhigen. Ich versuche<br />

diese Dinge so einzusetzen, dass<br />

sie gut für die Psyche der Kunden sind.<br />

Spielen bei dieser Manipulation<br />

der Sinne auch Drogen eine Rolle?<br />

<br />

sie zu mir kommen. Manche nehmen<br />

Speed, um absolut wach zu sein und<br />

alles doppelt so stark wahrzunehmen.<br />

Oder MDMA, um sich warm und geborgen<br />

zu fühlen. SM-Persönlichkeiten<br />

kennen kein Mittelmaß, interessieren<br />

stände<br />

und wollen ihren Körper und<br />

ihren Geist voll und ganz einnehmen<br />

lassen.<br />

Wollen diese Männer auch Angst<br />

erfahren?<br />

<br />

Schocks erleben. Wenn sie Angst vor<br />

Schmerzen haben, zeige ich ihnen<br />

scharfe Werkzeuge. Sie müssen sie<br />

ansehen, bevor ich sie damit schneide.<br />

Dieses ganze Hard-Play mache ich<br />

aber nicht mehr so gerne.<br />

Ejakulieren die Männer, wenn sie<br />

geschlagen werden?<br />

<br />

Ball Torture“. Ich trete sie in den Bereich<br />

oder mache im Intimbereich ein<br />

festes Bondage oder stecke etwas in die<br />

<br />

Man sieht ihnen normalerweise nichts<br />

an. Aber wenn sie ejakulieren, sehe ich<br />

etwas, ein Barometer.<br />

Wie oft kommen die Männer für<br />

gewöhnlich zu Ihnen?<br />

<br />

Was bedeuten die Besuche für sie?<br />

<br />

indem sie ein seltsames Gefühl oder<br />

Verlangen aus sich herausbekommen.<br />

Ich erziele ähnliche Effekte wie mit<br />

Yoga. Körperlich und geistig sind die<br />

Männer danach völlig entspannt. Sie<br />

haben etwas durchlebt, das sie völlig<br />

beansprucht hat, sich voll auf die<br />

Schmerzen konzentriert und total die<br />

Kontrolle abgegeben. So haben sie eine<br />

Art Katharsis erfahren, also seelische<br />

Reinigung durch das Ausleben der<br />

Emotionen.<br />

Wie lange dauert so eine Sitzung<br />

normalerweise?<br />

<br />

„ICH ERZIELE<br />

ÄHNLICHE EFFEKTE<br />

WIE MIT YOGA”<br />

sehr teuer wird und sich das die wenigsten<br />

Leute leisten können. Ich hatte<br />

aber auch schon mal jemanden zwei<br />

<br />

Was war das für ein Auftrag?<br />

<br />

gehegter Traum von meinem Kunden<br />

und wir haben schon ein halbes Jahr<br />

lang darüber gesprochen. Endlich ist<br />

dieser Tag für ihn gekommen und er<br />

hat eine Hütte in den Bergen gemietet.<br />

Wir sind zusammen rausgefahren<br />

<br />

Auto mitgebracht. Ich habe im oberen<br />

Zimmer geschlafen und er war unten<br />

<br />

Hundeleine. Er hat nur meinen Urin<br />

getrunken. Es hat ihn sehr glücklich<br />

gemacht.<br />

Als die zwei Tage vorbei waren,<br />

sind Sie ja zusammen in einem<br />

Auto zurück nach Tokio gefahren.<br />

Worüber redet man nach so einer<br />

Erfahrung? Über das Wetter?<br />

sprochen<br />

und ich habe geprüft, ob er<br />

okay ist. Dann haben wir aber auch<br />

normal über seine Firma geredet.<br />

Die Männer müssen ein sehr großes<br />

Vertrauen zu ihnen haben, wenn sie<br />

sich derart hingeben und ausliefern.<br />

Welche Rolle spielt Vertrauen?<br />

<br />

zwischen Körper und Geist. Ich habe<br />

einige sehr tiefe Beziehungen zu Kunden<br />

gehabt. Mit einigen habe ich viele<br />

Jahre lang gearbeitet. Wenn sie mir<br />

vertrauen, macht mich das glücklich<br />

und stolz.<br />

Haben Sie auch Sex mit den Kunden?<br />

<br />

mit denen ich zusammen bin.<br />

Wissen Ihre Partner von Ihrem<br />

Beruf ?<br />

<br />

ehrlich. Sie denken dann immer daran.<br />

Das ist ein Riesenproblem.<br />

Spielt SM in Ihren Beziehungen<br />

eine Rolle und wenn ja, tauschen<br />

Sie dann manchmal die Rollen?<br />

<br />

und ich habe auch noch nie eine devote<br />

Rolle eingenommen. Für mich ist nor-<br />

<br />

Bestrafung wie im SM. Es fühlt sich<br />

an, als würden Mäuse durch meinen<br />

<br />

starkes Gefühl. Das ist so intensiv und<br />

darum wirklich nur etwas, das ich mit<br />

einem Mann erleben will, den ich liebe.<br />

Wollen Sie irgendwann auch Ihr eigenes<br />

Studio?<br />

Ja, aber kein SM-Studio. Ich habe langsam<br />

genug von der männlichen Lust.<br />

Sie ist so stark. Ich will einen Ort der<br />

geistigen und körperlichen Freiheit<br />

erschaffen. Kunden sind dann eher<br />

Frauen und je nach Mentalität und Alter<br />

mache ich etwas anderes mit ihnen,<br />

zum Beispiel Bondage. Ich arbeite mit<br />

einer Parfümeurin zusammen und will<br />

das mit Düften unterstützen. Es wird<br />

<br />

Das ist der Weg für mich aus dem absoluten<br />

Underground und dem Nachtleben<br />

zurück in die Gesellschaft und<br />

ans Tageslicht.<br />

CoCo Katsura war zunächst Assistentin in<br />

einem Foto-Studio und hat mit 26 Jahren<br />

begonnen, in Tokio als Mistress zu arbeiten.<br />

Jahrelang hat sie auch in Amsterdam im<br />

SM-Bereich gearbeitet. Heute ist sie 40 Jahre<br />

alt und lebt in Berlin. Sie arbeitet in einem<br />

SM-Club, gibt Bondage-Workshops und<br />

macht Kunst-Performances.<br />

(http://www.cocokatsura.com)<br />

Zum Foto:<br />

Haare & Make-up: Sonja Shenouda<br />

Asisstenz: Lennart Etsiwah<br />

Postproduktion: Christina Stivali<br />

Nr.12<br />

102<br />

103<br />

Nr.12


REPORTAGE<br />

Text: Maja Hoock<br />

ES GIBT WOHL KAUM EIN M EDIUM, BEI DEM I M A G E<br />

UND R EALITÄT S O WEIT AUS E I N A N D E R K L A F F E N W I E<br />

BEI V I C E: ES KLINGT NOC H, WIE DAS FANZ I N E V O R<br />

20 JAHREN, IS T ABER LÄNGS T EIN INTERNATIONALES<br />

M EDIENIMPERIUM: W IE U NDERGROUND Z U R<br />

M A SSENKULTUR WURDE UND WAS DAS F Ü R D E N<br />

JOURNALIS MUS BEDEUTET.<br />

1994<br />

Gründung in Kanada als Voice of Montreal von<br />

1996<br />

Umbenennung in Vice und<br />

1999<br />

Umzug nach New York, um mehr Street-Wear-<br />

2007<br />

eigene Film Website VBS.tv<br />

2011<br />

VBS.tv und viceland.com werden<br />

2013<br />

vice.com bekommt zahlreiche Sub-Seiten.<br />

2014<br />

Vice bekommt eine eigene Nachrichten-Seite mit<br />

den drei Arbeitslosen Suroosh Alvi, Shane Smith<br />

Gründung der Website viceland.com<br />

Anzeigenkunden zu gewinnen. Gleichzeitig<br />

zur Website vice.com<br />

Über 3 Millionen Nutzer haben den Vice-You-<br />

Redaktionen auf der ganzen Welt<br />

and Gavin McInnes als ein Magazin, das von der<br />

Gründung einer eigenen Redaktion in England<br />

tube-Channel abonniert, Vice wird zum Lead-<br />

Regierung als Arbeitsbeschaffungs-Maßnahme<br />

durch Andy Capper<br />

Magazin des Jahres gewählt, Rupert Murdoch<br />

unterstützt wurde<br />

kauft 5 Prozent der Vice Media.<br />

Nr.12<br />

104<br />

105 Nr.12


REPORTAGE<br />

Es eine aufregende Zeit für den<br />

Journalismus, denn gerade wird sichtbar,<br />

wer den Presse-Darwinismus der<br />

letzten Jahre überlebt. Zeitungen wie<br />

die „Financial Times Deutschland“<br />

machten dicht, weil sie durch Gratis-<br />

Journalismus im Netz abgelöst wurden<br />

und Firmen keine Werbung in Blättern<br />

schalten, die niemand mehr liest. Auch<br />

das öffentlich-rechtliche TV schließt<br />

Sender wie ZDF-Kultur, weil niemand<br />

mehr einschaltet. Auf der anderen<br />

Seite gibt es Gewinner wie „Spiegel<br />

Online“, das sich als eine der ersten<br />

-<br />

<br />

<br />

Post“, die monatlich von 77 Millionen<br />

Besuchern gelesen wird, oder die Seite<br />

„Arte Creative“, die intensiv an neuen<br />

Wegen für den Kultur-Journalismus arbeitet.<br />

Und dann ist da ein ehemaliges<br />

Punk-Heft, das zum 1,4 Milliarden-Dol-<br />

<br />

erfolgreichste Medium aus den Jahren<br />

nach der Medienkrise und eines der<br />

wenigen, das immer mehr Autoren<br />

einstellt, statt sie zu entlassen. Ein<br />

genauer Blick auf Vice verrät darum<br />

einiges über die mögliche Zukunft des<br />

„ES GIBT NUR ZWEI UNTERNEHMEN IN<br />

DER WELT, DIE MIR HELFEN KÖNNEN.<br />

DAS SIND FACEBOOK UND GOOGLE,<br />

DENN SIE STELLEN MIR DAS GRÖSSTE<br />

DIGITALE NETZWERK DER WELT ZUR<br />

VERFÜGUNG.“<br />

SHANE SMITH<br />

GRÜNDER, VICE MAGAZINE<br />

Journalismus.<br />

Kommt man in das Berliner Vice-Büro,<br />

das sich über mehrere Flügel eines<br />

<br />

neben dem Empfang eine Schauwand<br />

mit Dutzenden Ausgaben, darunter Titel<br />

wie „It’s actually quite weird“ oder<br />

„Identity Crisis“. Diese Cover erzählen<br />

viel über den Vice-Stil, den man als<br />

kalkulierten Irrsinn beschreiben kann.<br />

Hier, in seinem Büro in Berlin-Mitte,<br />

dem Pendant zum Hauptsitz im New<br />

Yorker Szenebezirk Williamsburg, sitzt<br />

Tom Littlewood. Der Brite ist 2008 in<br />

die Berliner Fünf-Mann-Redaktion<br />

gekommen. Heute ist der 29-Jährige<br />

<br />

besitzt das Auftreten eines Mannes,<br />

der die Entwicklung vom Gratis-Blatt<br />

zu einem globalen Konzern mit 200<br />

Millionen Dollar Umsatz im Jahr mit-<br />

<br />

breit auf ein enormes Ledersofa im<br />

Aufenthaltsraum und schaut durch<br />

<br />

Büro, in dem modern gekleidete, junge<br />

Menschen konzentriert in mehreren<br />

Reihen arbeiten. „Wir haben über den<br />

Tellerrand geschaut“, sagt Littlewood<br />

tief und langsam. „Der logische Schritt<br />

war, nicht nur für die Nische zu arbeiten,<br />

sondern auch über wichtige gesellschaftspolitische<br />

Dinge zu reden. Aber<br />

auf die gleiche Weise, wie wir früher<br />

ben<br />

- und es immer noch tun.“ Das<br />

war so, als Gavin McInnes, Suroosh<br />

Alvi und Shane Smith 1994 in Montreal<br />

Vice erfanden und darin Punk und<br />

Drogenkonsum feierten. Fast 20 Jahre<br />

später ist das Magazin immer noch so<br />

politisch unkorrekt, dass einem ein<br />

Zentner deutsche Moralinsäure vom<br />

Herzen fällt. Immerhin bedeutet der<br />

Titel nicht nur „Laster“, sondern steht<br />

<br />

Vice ist nicht der Antichrist, aber doch<br />

der Anti-Kitsch. Und der verführt die<br />

Leser zum unkorrekten Blick, wenn<br />

etwa Hamilton Morris psychoaktive<br />

Frösche im Dschungel ableckt, oder<br />

in einer plastischen Anleitung für das<br />

„Darknet“ erklärt wird, wie man online<br />

sante<br />

Themen, die man oftmals nur bei<br />

<br />

und teils absichtlich unschön gemacht.<br />

Manchmal ist Vice die kritische Stimme<br />

in Sachen Politik und Gesellschaft,<br />

manchmal will es anekeln. Das steht<br />

in Amerika in der literarischen, provozierenden<br />

und Ich-bezogenen Tradition<br />

des Gonzo-Journalismus von<br />

Tom Wolfe oder Hunter S. Thompson.<br />

„In Deutschland wird das noch nicht<br />

ganz verstanden“, sagt Tom Littlewood.<br />

„Aber wir arbeiten daran.“ Immerhin<br />

hat die Presse hierzulande nach der<br />

manipulierten Medienlandschaft der<br />

Nazizeit eine größtmögliche Objektivität<br />

idealisiert und steht damit in einer<br />

anderen Tradition. Während es in den<br />

meisten Zeitungen also noch - oder<br />

spätestens seit Tom Kummer wieder -<br />

verboten ist, subjektiv zu sein, schreibt<br />

Vice im amerikanischen Stil und gibt<br />

<br />

fand etwa heraus, dass der Diktator<br />

Kim Jong Un großer Basketballfan ist,<br />

überzeugte den Allstar Dennis Rodman<br />

nach Nordkorea zu fahren und<br />

schmuggelte eigene Journalisten in seiner<br />

Entourage mit ins hermetisch abgeschirmte<br />

Land. Und wenn man vor<br />

lauter Syrien-Meldungen schon das<br />

Gefühl dafür verloren hat, wie schlimm<br />

der Bürgerkrieg eigentlich ist, bringt<br />

Vice einen „Guide to Syria“ heraus, in<br />

dem alle wichtigen Informationen zusammengefasst<br />

wurden, um den Kon-<br />

<br />

Diese Ausgabe trug maßgeblich dazu<br />

bei, dass Vice zum Lead Magazin des<br />

Jahres gewählt wurde. Leider wird jedes<br />

Thema, besonders wenn es von<br />

sich aus kein Schock-Potenzial besitzt,<br />

in den provokanten Vice-Stil gezwängt<br />

und dabei ist es egal, ob es um die Zunge<br />

von Miley Cyrus oder um Kriegsverbrechen<br />

geht. Das kann auf die Dauer<br />

<br />

bereits Nachahmer wie den Blog „Neue<br />

„ICH WÜRDE DEN GESAMTEN KONZERN<br />

ALS EINE ART OMNIBUS BESCHREIBEN.<br />

HIER KANN JEDER MITFAHREN UND ES<br />

GIBT UNGLAUBLICH VIELE GESCHICHTEN,<br />

DIE WÄHREND EINER FAHRT<br />

PASSIEREN.“<br />

SUROOSH ALVI<br />

GRÜNDER, VICE MAGAZINE<br />

Elite“. So wächst Vice monatlich. Es<br />

gibt nicht mehr nur die gratis verteil-<br />

<br />

1,2 Millionen, sondern einen Konzern<br />

mit 4000 Mitarbeitern weltweit. Gerade<br />

werden Büros in Indien und China<br />

aufgebaut. Vice ist ein eigener Kreislauf,<br />

der von Trends berichtet und sie<br />

gleichzeitig selbst hervorbringt, denn<br />

das Unternehmen schreibt über Musik<br />

und Filme und bringt sie gleichzeitig<br />

heraus. Zu diesem selbsterhaltenden<br />

System gehören eine eigene Platten-<br />

<br />

die Vice-Event-Agentur und TV-Abteilungen,<br />

in denen sogar Beiträge für das<br />

öffentlich-rechtliche Fernsehen produziert<br />

werden. Dazu kommen dreizehn<br />

Online-Plattformen, die so ziemlich<br />

alle Themen von „Videospiel-Fashion“<br />

<br />

<br />

Es gibt die Hauptseite, auf der alles<br />

zusammenläuft, und die Musik-Seiten<br />

„Noisey“ und „Thump“, deren Empfehlungen<br />

einen ähnlichen Status wie<br />

chies“<br />

befasst sich mit Essen und Trinken,<br />

„The Creators Project“ im weitesten<br />

Sinn mit Kunst, „Motherboard“<br />

mit Wissenschaft, „i-D“ mit Mode,<br />

„Gaming“ mit Videospielen, „Fightland“<br />

mit Kampfsport und auf „Vice on<br />

HBO“ werden Filme gezeigt, die für den<br />

amerikanischen TV-Sender gemacht<br />

wurden. Im nächsten Jahr kommen<br />

„Sports“, „Travel“ und die Foto-Seite<br />

„Capture“ dazu. Damit kommt Vice<br />

mehr oder weniger zu den klassischen<br />

journalistischen Ressorts zurück und<br />

<br />

und Bildern. Es spricht einiges dafür,<br />

dass diese Crossmedialität für die<br />

Zukunft des Journalismus eine Rolle<br />

spielt, denn es ist sinnvoll, zum Artikel<br />

über eine Band auch das Musikvideo<br />

zu zeigen. Die Frage, die sich die meisten<br />

Gratis-Online-Plattformen aber<br />

nach einer Weile stellten, war immer<br />

die der Finanzierung. Es gibt daher die<br />

allgemeine Tendenz im Journalismus,<br />

dass der Stundenlohn für freie Journalisten<br />

weniger als drei Euro beträgt. Die<br />

ten<br />

meist unbezahlt und auch bei Vice<br />

bringen Online-Artikel nach eigener<br />

<br />

reichen Autoren auf der ganzen Welt<br />

ben<br />

gilt als Auszeichnung im modernen<br />

-<br />

ler<br />

Tageszeitungen nebenbei betrieben<br />

werden, betreibt Vice eigene Online-<br />

<br />

<br />

Das bringt Klicks, Werbekunden und<br />

<br />

So baut die Firma ab Januar seinen<br />

Nachrichten-Service weiter aus und<br />

eröffnet mit „Vice-News“ eine eigene<br />

internationale Nachrichten-Seite.<br />

Nr.12<br />

106<br />

107<br />

Nr.12


REPORTAGE<br />

LOS ANGELES<br />

MONTREAL<br />

TORONTO<br />

NEW YORK<br />

OSLO<br />

HELSINKI<br />

ODENSE STOCKHOLM<br />

AMSTERDAM MOSKAU<br />

WARSCHAU<br />

LONDON<br />

BERLIN<br />

ANTWERPEN<br />

PRAG<br />

PARIS WIEN<br />

MAILAND BUKAREST<br />

BARCELONA<br />

SOFIA<br />

PORTO LIECHTENSTEIN ATHEN<br />

PEKING<br />

SEOUL<br />

TOKIO<br />

MEXIKO STADT<br />

MUMBAI<br />

TAIWAN<br />

BOGOTA<br />

SÃO PAOLO<br />

WELTWEITE STANDORTE<br />

VON VICE<br />

SANTIAGO<br />

BUENOS AIRES<br />

KAPSTADT<br />

MELBOURNE<br />

AUCKLAND<br />

VICE AUSGABE #1<br />

„Wir wollen tagesaktuell berichten,<br />

und zwar nicht nur in Form von einem<br />

Ticker, sondern mit hochwertigen und<br />

tiefgehenden Dokumentationen“, sagt<br />

Tom Littlewood. „Dazu brauchen wir<br />

neue Produzenten, Rechercheure und<br />

Journalisten. Unsere Redaktion wird<br />

sich verdoppeln.“ Spätestens damit<br />

wird das Unternehmen zum Global-<br />

<br />

<br />

Alteingesessene Medienhäuser beauftragen<br />

seit Jahren Spezialisten, um an<br />

diese Gruppe heranzukommen. So soll<br />

bald ein eigener ARD und ZDF-Jugendkanal<br />

entstehen, Programme werden<br />

VIVA-ähnlicher gestaltet. Dabei stellen<br />

die Redaktionen ironischerweise aus<br />

Geldmangel kaum noch junge Leute<br />

ein, die einen natürlichen Zugang zur<br />

Zielgruppe haben, und die Versuche<br />

bleiben realitätsfremd. Vice dagegen<br />

hat sich weder dem Internet noch den<br />

Ideen junger Kreativer verwehrt, sondern<br />

beides zu seinem Markenzeichen<br />

gemacht. Man verfügt vielleicht nicht<br />

über Zeitungs-Größen wie Claudius<br />

Seidl oder Heribert Prantl, hat dafür<br />

aber Zugang zu einer in den 90er Jahren<br />

und später sozialisierten Generation,<br />

die weiß, wie es sich anfühlt, wenn<br />

man nach dem Studium als Praktikant<br />

täglich 12 Stunden am Laptop arbeitet.<br />

Für diese Digital-Natives ist Vice so<br />

etwas wie die Bibel, „Der Spiegel“ und<br />

<br />

darin Trost, investigativen Journalismus,<br />

Unterhaltung und Style-Inspiration.<br />

Die in Deutschland aufrufbare<br />

Facebook-Seite hat 1,6 Millionen Likes,<br />

Spiegel Online eine Million weniger. 1,6<br />

Millionen Leser bekommen mit dem<br />

<br />

Nachrichten von Vice. Diese verbreiten<br />

sich wie Bakterien vom Haltegriff<br />

in der U-Bahn. Das macht Vice attraktiv<br />

für Firmen, die sich für die 15- bis<br />

34-Jährigen interessieren – also für 90<br />

<br />

So ist es kein Zufall, dass Vice eine ei-<br />

<br />

sind Firmen wie Adidas, Coca-Cola<br />

und Nike. Auf der Homepage heißt<br />

<br />

wichtigsten Zielgruppen zu erreichen“.<br />

Das bedeutet, Vice verkauft seinen<br />

charakteristischen Stil an Firmen, die<br />

damit die werbe-resistente Generati-<br />

<br />

Fernsehpublikum wird immer älter —<br />

das Durchschnittsalter der Zuschauer,<br />

die das Programm verfolgen, liegt bei<br />

über 50 Jahren — während die Gruppe<br />

der 15-34-Jährigen mit der größten<br />

Kaufkraft ihren Konsum auf Onlineangebote<br />

verlagern. Finde heraus, wie<br />

wir an sie herankommen …“ Problematisch<br />

wird das, wenn Vice damit<br />

von diesen Firmen anhängig wird.<br />

Berichte über die schlimmen Zustände<br />

in T-Shirt-Fabriken verlieren ihre<br />

Kraft, wenn das Unternehmen so eng<br />

mit Nike zusammenarbeitet, dass kritische<br />

Artikel über die Nike-Fabriken in<br />

Bangladesch unmöglich werden. Stattdessen<br />

haben auffällig viele positive<br />

Mode-Artikel mit Nike zu tun. Vice hat<br />

außerdem auf Facebook Nike Running,<br />

Nike Sportswear, Nike Football, Adidas<br />

und das „Vitaminwater“ von Coca-Cola<br />

mit „Gefällt mir“ markiert, also lauter<br />

Marken, die „Advice“-Kunden sind.<br />

Dass dann im August Rupert Murdoch<br />

fünf Prozent der Vice-Media erworben<br />

hat, trägt auch nicht zur Glaubwürdigkeit<br />

des Unternehmens bei. Immerhin<br />

ist der wertkonservative Medienmogul<br />

dafür bekannt, politische Ansichten<br />

über seine Medien zu verbreiten. Vice<br />

nähert sich so zunehmend einem Bereich<br />

an, der konträr zu dem steht, was<br />

<br />

Establishment. Auf der einen Seite<br />

bringt die Verbrüderung mit der Wirtschaft<br />

Geld für den Journalismus, der<br />

<br />

steckt. Das ermöglicht es, den Kreislauf<br />

der schlechten Bezahlung von<br />

Journalisten zu durchbrechen und in<br />

Recherche und politisch unabhängige<br />

Journalisten auf der ganzen Welt zu<br />

investieren. Diese Chance sollte Vice<br />

nutzen. Auf der anderen Seite wird<br />

der Journalismus durch die enge Zusammenarbeit<br />

mit Firmen immer korrumpierbarer.<br />

Wenn also kein besserer<br />

Weg gefunden wird, Geld zu verdienen,<br />

besteht die Zukunft der Medien aus<br />

<br />

Konzernen wie Vice oder Amazon, das<br />

gerade ebenfalls zum Medienunternehmen<br />

wird. Auf jeden Fall zeigt Vice,<br />

dass die Medienhäuser nicht mehr nur<br />

auf Althergebrachtes setzen können,<br />

sondern sich endlich für junge, kreative<br />

Köpfe öffnen müssen, um in Zukunft<br />

erfolgreich zu sein. Es lohnt sich, offen<br />

für ungewöhnliche Perspektiven zu<br />

sein, sich nicht mehr gegen die Möglichkeiten<br />

des Internets zu verwehren<br />

und vor allem etwas Humor in die<br />

Sache zu bringen. Der kalkulierte Vice-<br />

Irrsinn macht den Journalismus wieder<br />

interessant. Ob Vice aber wirklich<br />

den Journalismus der Zukunft repräsentiert<br />

oder sein Ende als unabhängige<br />

vierte Gewalt vorwegnimmt, wird<br />

sich noch zeigen müssen.<br />

VICE Fakten:<br />

Umsatz 2012: 200 Millionen Dollar<br />

Wert des Konzerns: 1,4 Milliarden Dollar<br />

Auflage global: 1,2 Mio.<br />

Erscheinungsweise: monatlich (gratis)<br />

Weltweit 4.000 Mitarbeiter<br />

Nr.12<br />

108<br />

109<br />

Nr.12


SO STELL‘ ICH MIR DIE LIEBE VOR<br />

Text und Foto: Sibylle Berg<br />

„ABER FUCK,<br />

WEN INTERESSIERT<br />

SCHON KINO“<br />

FÜR FRÄULEIN HAT DIE WUNDERBARE SCHRIFTSTELLERIN UND DRAMATIKERIN<br />

SIBYLLE BERG EINE SO ALLTÄGLICHE WIE TRAGISCHE LITANEI ÜBER DIE LIEBE<br />

GESCHRIEBEN. WAS MAN LERNT: GEWÖHNUNG IST EIN SCHLEICHENDES BIEST.<br />

Keiner glaubte mehr an Wunder.<br />

Das war gelaufen. Ab 40 glaubt keiner<br />

mehr an etwas, das von außen kam,<br />

von Gott, vom Himmel, von Außerirdischen.<br />

Das ihm etwas bBsonderes<br />

<br />

große Liebe. Daran glaubte doch keiner<br />

mehr. Außerdem ging gerade die Welt<br />

unter, Terroranschläge und Kriege und<br />

in Urlaub traute sich keiner mehr, alles<br />

aus den Fugen, Sicherheit gab es nicht<br />

und trotzig gegen das Leben, die Lebensmitte<br />

an heirateten sie, und bauten<br />

Häuser und machten Kinder. Alle die<br />

sie kannte, über 40. Und sie war allein<br />

übergeblieben, in ihrer Studentenbude,<br />

die Letzte, die sich wehrte erwachsen<br />

zu werden, wie erbärmlich das war. Bis<br />

vor Kurzem war sie gerne allein gewesen.<br />

Es gab ja Freunde, die zur Not zur<br />

Verfügung gestanden hätten, wollte sie<br />

mal nicht allein sein. Für eine Städtereise,<br />

einen Kinoabend zum stundenlangen<br />

Reden am Telefon aus dem Bett<br />

heraus, gab es immer einen, aber die<br />

hatten jetzt alle Kinder und Häuser,<br />

die Scheißfreunde und hatten erreicht,<br />

was sie erreichen wollten, oder waren<br />

gescheitert und hatten sich damit eingerichtet<br />

oder hatten Krebs. Auf einmal<br />

merkte sie, dass sie noch nicht einmal<br />

mehr von irgendwem in Ruhe gelassen<br />

wurde. DA WAR KEINER MEHR.<br />

Und sie auf dem besten Weg war, eine<br />

dieser Frauen zu werden, die immer<br />

ken,<br />

die ein künstliches Dauerlächeln<br />

de<br />

hielten und die Haare offen trugen<br />

und Arche-Schuhe, weil die so bequem<br />

und irgendwie witzig waren, und die zu<br />

Lesungen gingen und sehr sehr gerne<br />

alleine lebten. Alleine leben ist Dreck.<br />

Das bekommt keinem. Ab 40 sollte keiner<br />

mehr alleine wohnen, denn dann<br />

wird man wunderlich. Beginnt leere<br />

Pizzaschachteln zu sammeln, Vogelspinnen<br />

zu züchten oder die Bäume<br />

mit kleinen Metallschildern vollzuhängen<br />

wie der Freak, der auf dem Monte<br />

Verita gewohnt hatte. Nackig im Wald<br />

rumtigern und Bäume beschriften. Ab<br />

40 oder mehr oder weniger, sollte man<br />

mit einem Mann, einer Frau, einem<br />

Kind, einer Oma mit irgendwem halt<br />

wohnen, der einem klarmachte, dass<br />

man selber nichts Spezielles war. Ein<br />

Kind, eine Oma oder eine Freundin,<br />

die nicht gerade ein Haus gebaut oder<br />

ein Kind bekommen hätte, gab es nicht.<br />

Also musste ein Mann her. Einfach, damit<br />

sie nicht auf die Idee kam Arche-<br />

Schuhe zu tragen und Porzellanpierrots<br />

zu sammeln. Dass es die große<br />

Liebe nicht gab, also, einen Menschen,<br />

mit dem man sich unglaublich gut ver-<br />

<br />

sie inzwischen auch. Alle, die in langen<br />

Liebesgeschichten lebten, hatten ihr<br />

<br />

durchhalten, muss sich arrangieren,<br />

darf nicht zu viel erwarten, muss viele<br />

Bedürfnisse mit anderen abdecken,<br />

muss versuchen eine familiäre Nähe zu<br />

entwickeln, muss die ersten Jahre viele<br />

Missverständnisse ertragen. Sie war<br />

ein verwöhntes Produkt der kapitalistischen<br />

Wegwerfgesellschaft. Hatte alles<br />

gewollt und verloren. Dann hatte sie<br />

Bernd kennengelernt. Der war so wie<br />

sein Name. Absoluter Durchschnitt<br />

und wenn sie ehrlich war, war er wie<br />

sie. Ein Mann im schlechtesten Alter,<br />

der nicht mehr an Wunder glaubte. Sie<br />

war nicht verliebt in ihn. Er nicht in sie.<br />

Aber Männer waren da eh anders. Sie<br />

<br />

stellte sich bei ihnen als Nebenprodukt<br />

angenehmer Gewohnheit ein. Sie nahm<br />

sich vor mit Bernd eine BEZIEHUNG<br />

zu führen. Sie ignorierte alles, was sie<br />

an ihm nicht mochte. Dass er sie ein<br />

wenig langweilte und ihr seine Triko-<br />

<br />

„NOCH NICHT EINMAL<br />

TRÄNEN HATTE SIE”<br />

entzündete und nichts von dem mochte,<br />

was ihr bis dahin wichtig schien. Aber<br />

fuck, wen interessierten schon Kino<br />

und Kunst und Filme und Bücher und<br />

Musik. Das waren Hintergrundgeräusche.<br />

Sie kleidete Bernd neu ein,<br />

schenkte ihm ein neues Parfüm, und<br />

weil sie nicht verliebt war, hielt er es<br />

auch aus mit ihr. Sie war so wenig hysterisch<br />

und zickig und Bernd begann<br />

sich wohlzufühlen und sie war froh,<br />

dass sie nicht mehr alleine war, wenn<br />

wieder eine Freundin ihr erstes Kind<br />

bekam, mit 42. Bernd wohnte nicht in<br />

ihrer Stadt, sie sahen sich am Wochenende<br />

und sie begann sich an ihn zu gewöhnen.<br />

Es war eigentlich wunderbar,<br />

keine Angst vor einem Mann zu haben,<br />

dachte sie. Sie ging mit Nachtcreme<br />

und Lockenwicklern zu Bett, wenn er<br />

da war, sie machte, was sie wollte, und<br />

Bernd hatte für alles Verständnis, weil<br />

es ihm egal war. Je länger sie mit Bernd<br />

zusammen war, um so mehr glaubte<br />

sie, es herausgefunden zu haben, das<br />

<br />

nicht verliebt zu sein. Es war, jemanden<br />

langsam kennenzulernen und es<br />

<br />

Wenn sie Bernd abstoßend fand, ihn<br />

hasste, wie er kaute und was er sagte<br />

und wie er lief und wie er roch, dann<br />

half es, ihn sich als Baby vorzustellen.<br />

Bernd war klein gewesen, eine Mutter<br />

hatte ihn geliebt und ernährt, Bernd<br />

hatte von etwas Großem geträumt,<br />

als er älter war, und wurde vom Leben<br />

enttäuscht, wie alle. Das genügte<br />

meist, dass sie ihn liebevoll am Kopf<br />

kraulte und hielt, als wäre er ihr Baby.<br />

Sie begann sich einzurichten. Endlich<br />

machte sie Frieden mit ihrem Alter, sie<br />

kaufte sich ein ordentliches Bett, trug<br />

keine bauchfreien Oberteile mehr und<br />

auch die nachlassende Spannkraft ihrer<br />

Haut war ihr fast egal. Sie schaute<br />

sich einfach nicht mehr im Spiegel an.<br />

Sie begann Bernd meinen Mann zu<br />

nennen, und wollte ihn gerne heiraten.<br />

<br />

<br />

Es ist so gut, dass ich über dieses alberne<br />

Thema nicht mehr nachdenken<br />

musste, sagte sie ungefragt zu Bekannten,<br />

und berichtete jemand von einer<br />

großen Verliebtheit, verdrehte sie die<br />

Augen und die Knie schliefen ihr ein<br />

vor Langeweile. Sie hatte herausge-<br />

<br />

möglichst angenehm herumbringen.<br />

So einfach. Dass man die Wahrheit fast<br />

übersah, weil man immer nach etwas<br />

Großem, Kompliziertem suchte. Und<br />

dann waren sie auf die Insel gefahren.<br />

In den zwei Jahren mit Bernd hatte sie<br />

immer vermieden mit ihm in Urlaub<br />

zu fahren. Bernd am Wochenende, wo<br />

man lange im Bett blieb, dann ins Kino<br />

ging , was essen ging, irgendwohin ging,<br />

wo andere Leute waren, wo es etwas<br />

gab, über das sie später reden konnten,<br />

kein Problem. Aber wozu sollte ein<br />

Urlaub gut sein? Wer brauchte heute<br />

überhaupt noch Urlaub, da kaum einer<br />

mehr eine anstrengende Arbeit hatte<br />

und die Schweiz ein Land war, das für<br />

viele das Traumurlaubsland war. Was<br />

sollte man wohin fahren, stundenlang<br />

der<br />

Leute rumzulümmeln, sich von<br />

schlechtbezahlten Angestellten hassen<br />

zu lassen und in überteuerten Jeeps in<br />

zu großer Hitze tröpfelnde Wasserfälle<br />

besichtigen. Bernd hatte sich durchge-<br />

<br />

stundenlang, kamen auf einer Insel der<br />

Dritten Welt an, da stand der gemietete<br />

bungalow<br />

gemietet mit Whirlpool und<br />

Meeranstoss. Das Doppelbett war in<br />

ein Moskitonetz gehüllt und Rosenblüten<br />

waren auf dem Boden verstreut.<br />

Sehr nett. Ein paar Tage war es sehr<br />

stellten<br />

merkte man ihren Hass kaum<br />

an, das Gelände des Hotels war streng<br />

bewacht, mit Terroranschlägen nicht<br />

zu rechnen, sie besichtigten Wasser-<br />

<br />

angenehm sie mit Bernd schweigen<br />

konnte. Es setzte sie überhaupt nicht<br />

unter Druck, dass ihr nichts zum Sa-<br />

<br />

zogen sich abends weiße Sachen an<br />

und aßen schweigend in teuren Restaurants<br />

mit Meerblick Zeug. Sie kauften<br />

in kleinen Boutiquen Sachen, die<br />

sie daheim nie wieder tragen würden.<br />

Einmal nachts gingen sie in den Whirlpool.<br />

Sie stand da, wie sie dachte, dass<br />

man in einem Film jetzt stehen würde,<br />

auf einer Insel am Whirlpool mit dem<br />

Geliebten. Sie stand wie eine Statue,<br />

bis sie dachte, sie würde sich nie mehr<br />

bewegen können. Sie wollte sich nie<br />

wieder bewegen. Noch nicht einmal<br />

Tränen hatte sie.<br />

Wie Sibylle Berg die Liebe sieht, hat die<br />

Schriftstellerin in ihren Büchern festgehalten:<br />

Liebe ist, jemanden auszuhalten, wie er wirklich<br />

ist. Zur Frage „Frau Berg, wie stellen Sie<br />

sich die Liebe vor?“ hat sie uns diesen Text<br />

geschickt und dazu ein Bild, das sie mit „Blessur“<br />

zeigt. Liebe tut nämlich weh.<br />

Nr.12<br />

110<br />

111<br />

Nr.12


EINE STIMME<br />

Protokoll: Ruben Donsbach<br />

Lydia Galonska, taz-Leserin, Berlin, freischaffende Journalistin<br />

ICH WILL<br />

MEHR<br />

GRENZEN!<br />

DIE IM GALILÄA GEBORENE AUTORIN SHANI BOIANJIU IST EINE<br />

DER EINDRINGLICHSTEN STIMMEN DER JUNGEN ISRAELISCHEN<br />

LITERATUR. NACH IHREM HARVARD-STUDIUM VERÖFFENTLICHTE<br />

SIE IM „NEW YORKER“ UND IM „GUARDIAN“. IHR DEBÜTROMAN<br />

„DAS VOLK DER EWIGKEIT KENNT KEINE ANGST“ WURDE VON<br />

DER NATIONAL BOOK FOUNDATION AUSGEZEICHNET.<br />

Ich wohne etwa 10 Km von der libanesischen<br />

und 50 Km von der syrischen<br />

Grenze entfernt. Nicht erst seit<br />

ich 1987 im Galiläa geboren wurde, gab<br />

te.<br />

Zudem hat fast jeder, den ich kenne,<br />

zwei Jahre im Militär gedient. Das ist in<br />

Israel einfach so. Ob es das Land zum<br />

Besseren oder Schlechteren verändert<br />

hat, ist wirklich schwer zu sagen. Ich<br />

habe das Gefühl, dass meine Generation<br />

auch durch diese Erfahrungen<br />

ziemlich rasch aufgewachsen ist. Aber<br />

das ist wohl weltweit so. Viele von uns<br />

haben Zugang zu verschiedensten<br />

<br />

einer Zeit wirtschaftlichen Aufruhrs,<br />

die Menschen protestieren aller Orten,<br />

es gibt Terrorismus, schwelende<br />

Krisenherde, den Arabischen Frühling.<br />

Gleichzeitig ist unserer Generation<br />

sehr kindlich geblieben, in vielerlei<br />

Hinsicht. So blickt jedenfalls die ältere<br />

Generation auf uns. Sie glauben, wir<br />

machen nur Nonsense, sind abhängig<br />

von Hilfeleistungen, von unseren Eltern.<br />

Ich schaue nun tagtäglich auf die<br />

Welt, in die ich hineingeboren worden<br />

bin. In den Golanhöhen und im Galiläa<br />

soll es eine Million Landminen geben.<br />

Sie sind von den verschiedensten Armeen<br />

hinterlassen worden. Westlichen<br />

wie arabischen. Niemand bemüht sich<br />

ernsthaft darum, sie aus dem Weg zu<br />

räumen, niemand wird es jemals tun.<br />

Dann ist vor zwei Tagen eine Rakete<br />

500 Meter von mir entfernt niedergegangen.<br />

Ich kenne eine Familie, die 18<br />

Familienmitglieder in Syrien verloren<br />

hat. Alleine im letzten Monat. Trotzdem<br />

sagt der britische Premier David<br />

Cameron, wir müssen da nichts machen.<br />

Wladimir Putin sagt, wir müssen<br />

nichts machen. Letzterer hat Assad<br />

seit Jahren mit Geld und Waffen unterstützt.<br />

Doch wer demonstriert vor<br />

der russischen Botschaft? Wer fordert<br />

Putin auf, sein Verhalten zu ändern?<br />

Wieder einmal schweigt die Welt. Die<br />

Geschichte wiederholt sich immer zu.<br />

1941 wurden in Bagdad die irakischen<br />

Juden vergewaltigt, gefoltert und ermordet,<br />

Juden, die seit 2600 Jahren in<br />

diesem Gebiet siedelten, nur weil der<br />

<br />

und irakischen Nationalisten eskalierte<br />

und niemand helfen wollte. In Rumänien<br />

gab es während des Zweiten Weltkrieges<br />

unzählige Progrome gegen Juden.<br />

Größtenteils verübt von Rumänen<br />

an Rumänen. Alleine 13.000 Menschen<br />

starben, als sie während des Jassy-<br />

Pogroms tagelang in einem Güterzug<br />

durchs Land gefahren wurden und<br />

verhungerten, verdursteten, erstickten.<br />

Ich erzähle das, weil meine Familie aus<br />

beiden dieser Länder stammt. Diese<br />

Geschichten sind ein Teil von mir. Aber<br />

es ist nicht mein Job, jemand zu irgendwas<br />

zu bekehren. Niemand hat mich<br />

gewählt. Ich bin eine 26 Jahre alte Autorin.<br />

Ich beschreibe den Zustand der<br />

Welt. Obama wurde auserwählt, Putin<br />

wurde auserwählt, Cameron wurde<br />

auserwählt. Und alles, was ich dazu<br />

sage, ist, die Welt wird ihr Urteil über<br />

sie fällen. Was ich aber weiß, ist, dass<br />

ich niemals 30 Jahre alt werden will.<br />

Ich bin 1987 geboren worden. Im ersten<br />

Jahr der ersten palästinenischen Intifada.<br />

Schauen Sie auf die Welt, schauen<br />

Sie, wie sich die Mächtigen dieser Welt<br />

aufführen. In Israel herrscht seit bald<br />

70 Jahren permanenter Kriegszustand.<br />

Aber selbst in dem kurzen Zeitraum<br />

seiner Geburt wurden wahnsinnig<br />

viele schlechte Entscheidungen von<br />

Erwachsenen gefällt. In der Politik wie<br />

in der Wirtschaft. Es gibt kaum etwas,<br />

was Menschen über dreißig getan hätten,<br />

was besonders Sinn gemacht hätte.<br />

Sie haben kein Beispiel für mich gesetzt<br />

dem ich folgen möchte. Ich kann<br />

in ihrem Verhalten keinerlei Logik<br />

erkennen. Wie sie mit der Umwelt umgehen,<br />

wie sie mit Kindern umgehen,<br />

mit jüngeren, mit den Alten, wie sie mit<br />

sich selbst umgehen. Bei den meisten<br />

Leuten, die ich kennengelernt habe<br />

und die über 30 sind, ist mir nur Bösartigkeit<br />

und Indifferenz begegnet. Wieder<br />

und wieder. Wie sollten mich diese<br />

Menschen nicht ängstigen? Warum<br />

sollte ich einer von ihnen sein wollen?<br />

Warum soll ich mir an ihnen ein Beispiel<br />

nehmen? Es ist gar nicht so, dass<br />

ich nicht erwachsen werden möchte,<br />

mit jeder kleinen Falte und Linie in<br />

meinem Gesicht werde ich reifer, ich<br />

„LEUTE ÜBER DREISSIG SIND<br />

BÖSARTIG UND INDIFFERENT”<br />

will wachsen, mich entwickeln, dazulernen,<br />

jeden Tag. Ich will mehr lesen,<br />

die Mathematik, die ganze Welt besser<br />

verstehen. Aber mir ein Beispiel an den<br />

Älteren nehmen? Mir geben die Jungen<br />

israelischen Frauen, die in der Peripherie<br />

des Landes leben ein Beispiel. Junge<br />

arabische Israelis. Israelis, die in die<br />

Westbank gehen, die versuchen, einen<br />

Unterschied zu machen. Sie alle setzten<br />

mir und ihrer Gemeinschaft ein<br />

Beispiel. Mir geben die 200 sudanesischen<br />

Flüchtlinge ein Beispiel, die zurzeit<br />

jeden Tag nach Israel strömen. Vor<br />

Kurzem entschied unsere Regierung,<br />

dass sie einen großen Teil von ihnen<br />

wieder wegschicken will. Ich schäme<br />

mich dafür. Diese Flüchtlinge sind oftmals<br />

gewalttätig. Es gibt verschiedene<br />

Berichte von Übergriffen ihrerseits<br />

gegenüber israelischen Mädchen. Und<br />

trotzdem will ich, dass mehr von ihnen<br />

ins Land gelassen und in Ruhe gelassen<br />

werden. Ich wünschte mir, Israel<br />

hätte eine Grenze mit Nordkorea, mit<br />

land,<br />

mit Australien, mit der Antarktis.<br />

Ich will mehr Grenzen! Weniger Enge.<br />

Man fühlt sich in Isreael oftmals sehr<br />

eigeschränkt, fast schon gefangen.<br />

Das Land hat die Größe von New Jersey.<br />

Und es wird immer mehr gebaut<br />

und gebaut. An der Peripherie, nahe<br />

der Grenze, dort wo ich aufgewachsen<br />

bin, fühlt man sich ironischerweise am<br />

eingeschränktesten. Und darum sage<br />

ich aus voller Überzeugung, Israel ist<br />

trotz allem der beste Ort der Welt, ich<br />

würde nirgendwo sonst leben wollen.<br />

Das liegt aber nicht am Schreiben. Ich<br />

mache das nicht, damit es mir besser<br />

geht. Für mich ist das Schreiben von<br />

Geschichten dasselbe wie „zählen“. Ich<br />

zähle alles, was „zählt“ und schreibe es<br />

dann auf. Dieses „counting“ hat nichts<br />

mit dem „Erinnern“ zu tun. Es geht<br />

ganz einfach darum, sich zu merken,<br />

wie oft eine Person dies und das gesagt,<br />

wie oft eine Zeitung dieses oder jenes<br />

Thema publiziert hat, wie viel Geld<br />

ausgegeben wurde, wie viele Landminen<br />

im Galiläa liegen, die Anzahl der<br />

Flüchtlinge in Israel, wie oft eine bestimmte<br />

Person ein bestimmtes Wort<br />

gesagt hat, wie oft dieser Typ seinen<br />

Kopf gewendet hat. Ich zähle alles! Ich<br />

höre nie auf zu zählen! Wo auch immer<br />

ich bin. Es ist fast wie zu atmen. Es ist<br />

wie schreiben. Es ist mein Leben.<br />

Der Roman „Das Volk der Ewigkeit kennt<br />

keine Angst“ von Shani Boianjiu ist im<br />

Kiepenheuer & Witsch Verlag erschienen.<br />

Ich teile<br />

mir die taz<br />

mit 13.000<br />

anderen.<br />

Mehr als 13.000 Genossinnen und<br />

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*auch in 20 Raten zahlbar<br />

Nr.12<br />

112<br />

113 Nr.12


STREETSTYLE<br />

Text: Sina Braetz<br />

Foto: Yvan Rodic<br />

streetstyle<br />

johannesburg<br />

D IE SCHÖNS TEN L OOKS SÜDAFRIKAS<br />

Mit einer leisen, aber selbstbewussten Stimme<br />

nähert sich diese Stadt den großen Metropolen,<br />

will groß werden, aber trotzdem seinen<br />

Wurzeln und Traditionen treu bleiben. Was<br />

in Johannesburg „cool“ ist, das ist cool, weil<br />

es ist und nicht weil es sein möchte. In seiner<br />

hippen Kunstszene schwingt der Schmerz des<br />

Geschichtsbewusstseins und der Armutskluft<br />

von den über 4 Millionen Einwohnern mit. Es<br />

<br />

ferner Zukunft will Johannesburg kein zweites<br />

New York werden, auch wenn es dafür<br />

ausreichend Potenzial hätte. „Joburg“ hat ein<br />

besonderes Verständnis von Schönheit, von<br />

Mode und Stil. Genau das entdeckte „Facehunter“<br />

Yvan Rodic, der dieses Jahr sein zweites<br />

Buch „Die Welt als Catwalk“ veröffentlichte.<br />

Auf seiner Reise zur „South African Fashion<br />

<br />

lebendig und inspirierend wie bei seinen anderen<br />

Arbeiten. Das Mekka des Streetstyles.<br />

Nr.12<br />

114<br />

115<br />

Nr.12


ANTIFRÄULEIN<br />

Text: Wäis Kiani<br />

Illustration: Katrin Funcke<br />

L ADY G AGA GELINGT, WORAN VIELE GROSSE P OPS TARS<br />

IN LETZ TER ZEIT GESCHEITERT S IND: S IE S PA LT E T I H R E<br />

G ENERATIONEN. K AM BEI K ÜNS TLERN WIE N INA H A G E N<br />

ODER T HE CURE DAS „F U C K Y OU“ NOC H AUS V O L L E M<br />

H ERZ EN, IS T ES BEI L ADY G ALLERDINGS REINE PR. IST J A<br />

NIC HT SCHLIMM. A U C H DAS IS T P OP. N UN ABER FÄNGT S I E<br />

AN, ÜBER DIE A BNEIGUNG, DIE IHR ENTGEGENSCHLÄGT, Z U<br />

J AMMERN. U ND DAS IS T WAHNS INNIG UNS E X Y.<br />

Unser heutiges Anti-<strong>Fräulein</strong> ist<br />

insofern eine Ausnahme, da sie von<br />

Beginn ihrer Karriere an ihren künstlerischen<br />

Auftritt darauf ausgerichtet<br />

hat, ein echtes Antifräulein zu sein.<br />

Lady Gaga ist die Mutter aller modernen<br />

Anti-<strong>Fräulein</strong>. Sie hat sich bewusst<br />

als solches verkauft, um mit den<br />

Schock-Effekten ihrer Anti-Ästhetik<br />

auch die Aufmerksamkeit der „Hater“<br />

auf sich zu ziehen. Sogar als Model<br />

der FS Versace-Kampagne sieht sie<br />

trotz Airbrush-Award mehr aus wie<br />

die junge Donattella und hält einen somit<br />

eher davon ab, sich für das Label<br />

zu interessieren. Lady Gaga, allein der<br />

Name macht einen schon fertig. Lady<br />

Gaga, Gaga Lady, man kann es kaum<br />

über die Lippen bringen. Von einem<br />

Stil dieser Musikerin zu sprechen wäre<br />

naiv, nennen wir es eine Travestie, die<br />

dazu angelegt ist, zu provozieren und<br />

zu schockieren. Aber wir haben schon<br />

zu viel erlebt, zu viel gesehen und zu<br />

viele eigene Allüren um uns von einer<br />

unscheinbaren White-Trash-Bitch mit<br />

mässigem Talent und schlechten Song-<br />

ckiert<br />

sind wir sowieso schon lange<br />

von gar nichts mehr. Wir sind mit Kiss,<br />

Nina Hagen und The Cure aufgewachsen,<br />

über deren Poster an unseren<br />

Wänden sich unsere Eltern noch schön<br />

aufgeregt haben, so wie es sich gehört,<br />

damit es auch Spaß macht. Und Nina<br />

Hagen hatte viel zerrissenere Netz-<br />

<br />

Herzen und war keine gelernte Geste,<br />

unsere Stars rochen nach versautem<br />

<br />

dumpfer Publicity-Geilheit und einem<br />

müden Stylisten, der, nachdem er sie in<br />

das unsägliche Fleischdress gepresst<br />

hat, den Job hinschmiss, weil sie sich 12<br />

mal am Tag umzieht.<br />

Lady G ist aber endlich gelungen, was<br />

ein großer Popstar zu leisten hat, Eminem,<br />

Rihanna und all den anderen<br />

<br />

Generationen zu spalten. Die Kleinen<br />

den<br />

sie abstoßend, so muss das sein.<br />

An Lady Gaga erkennt man leicht,<br />

dass man Teil einer anderen Generation,<br />

also ALT ist. Ist das der Grund,<br />

aus dem Lady Gaga ihre Fans „little<br />

monsters“ nennt? Die „little monsters“<br />

scheinen den größeren Teil der Welt zu<br />

bevölkern, denn wenn man etwas von<br />

Lady Gaga behaupten kann, dann ist es<br />

<br />

Erfolg, der sogar größer ist als der von<br />

Madonna, hat in letzter Zeit den feinen<br />

Grad zwischen Attention und Respekt<br />

zu einer großen Kluft werden lassen.<br />

Und Lady G. scheint dann doch sensibler,<br />

als sie von sich selbst behauptet,<br />

twitterte erst neulich „I put so much<br />

love into my music, my shows, I make<br />

it all for you, I’ll never understand the<br />

<br />

es sind die Hater, auf die sie von An-<br />

schachzug<br />

gesetzt hat, in vollkomm<br />

klarem Bewusstsein dafür, dass die<br />

Kraft der Abstoßung stärker ist als die<br />

der Anziehung. Die sie rief, die Geister,<br />

die will sie jetzt doch nicht? Uncool, abgesehen<br />

davon, dass ein jammernder<br />

Popstar noch unangenehmer ist als ein<br />

ungeliebter.<br />

„LADY GAGA,<br />

GAGA LADY,<br />

MAN KANN ES<br />

KAUM ÜBER DIE<br />

LIPPEN BRINGEN.“<br />

Nr.12<br />

116<br />

117<br />

Nr.12


FEIERABEND<br />

Interview: Janin Katharina Hasteden<br />

EMMANUELLE<br />

SEIGNER<br />

„VERFÜHRUNG, SEX UND WOW“<br />

Emmanuelle Seigner ist nicht nur<br />

wunderschön und sexy, die Ehefrau<br />

von Roman Polanski ist eine der besten<br />

Schauspielerinnen ihrer Generation. Bekannt<br />

geworden mit den Polanski Thrillern<br />

„Frantic“ und „Bitter Moon“, spielt<br />

sie in der Adaption von Leopold Sacher-<br />

Masochs Novelle „Venus im Pelz“ (von<br />

ihm kommt der Begriff Masochismus)<br />

neben Mathieu Amalric gleich drei Rollen.<br />

Im Rahmen des Hamburger Filmfestes<br />

sprach Seigner mit <strong>Fräulein</strong> über unbedingte<br />

Liebe, Gleichberechtigung und<br />

ihre Abneigung gegen den SM-Bestseller<br />

„Shades of Grey“.<br />

<strong>Fräulein</strong>: Mme Seigner, was hat Sie<br />

am Drehbuch zu „Venus im Pelz“<br />

überzeugt, den Part der weiblichen<br />

Hauptrolle zu übernehmen?<br />

-<br />

<br />

zusammen arbeiten. Aber uns fehlte der<br />

richtige Stoff. Er wollte eine Komödie<br />

drehen, aber eine Komödie mit einer<br />

<br />

ist nicht einfach. Als er dann David Ives’<br />

Adaption von „Venus im Pelz“ las, war<br />

er begeistert und hat mich davon über-<br />

<br />

hatte auch Angst. Denn die Rolle der<br />

Vanda erschien mir so mächtig, dass<br />

mir anfangs nicht klar war, ob ich die<br />

Richtige dafür sein würde. Aber als wir<br />

dann die erste Szene gedreht hatten,<br />

<br />

Vanda, die Sie im Film verkörpern,<br />

sagt über die Novelle von Leopold<br />

von Sacher-Masoch, dass sie masochistisch<br />

sei und vergleichbar mit<br />

einem Porno.<br />

velle<br />

gar nicht gelesen, doch viel darüber<br />

gehört. Aber zum Glück hat der Film<br />

nur wenig gemeinsam mit Sacher-Masochs<br />

Original. Ich würde das Werk von<br />

Roman Polanski eher als Satire bezeichnen.<br />

Wir haben uns einen Spaß daraus<br />

gemacht, das Ganze mit einer großen<br />

Portion Sarkasmus zu verfeinern.<br />

Sie verkörpern gleich mehrere Figuren:<br />

die Schauspielerin Vanda,<br />

die Frauenfigur Wanda von Sacher-<br />

Masoch und dann auch noch Vanda,<br />

die der Fantasie des Regisseurs<br />

entspringt. Welche entspricht am<br />

ehesten Ihrem Naturell?<br />

„WIR DÜRFEN<br />

NICHT IMMER<br />

ZUM SUPERFREAK<br />

WERDEN, WENN<br />

DER PARTNER<br />

AUCH MAL EINER<br />

ANDEREN HINTER-<br />

HERSCHAUT“<br />

-<br />

<br />

Jede der Figuren ist mir auf eine bestimmte<br />

Art ähnlich. Dieses Mysteriöse,<br />

was jeder einzelne Charakter verkörpert,<br />

war wie eine Reise zu mir selbst.<br />

Deshalb haben mir die Dreharbeiten ja<br />

<br />

mich für keine der Figuren verbiegen,<br />

sondern mir nur einzelne Charakterzüge<br />

aneignen. Das war wirklich sehr<br />

spannend!<br />

Wie haben Sie sich auf Ihre unterschiedlichen<br />

Rollen vorbereitet?<br />

<br />

stand zu Beginn der Vorbereitungen<br />

noch im Pariser Théâtre National de<br />

l’Odéon auf der Bühne. Da der Film von<br />

nur zwei Schauspielern lebt, mussten<br />

sowohl Mathieu als auch ich Unmen-<br />

<br />

<br />

lang. Rund zwei Monate habe ich dafür<br />

gebraucht. Das war eine echte Herausforderung.<br />

Ist Ihnen die Welt von Sacher-<br />

Masoch vertraut, spricht sie Sie an?<br />

<br />

<br />

es persönlich ja auch so gut, dass der<br />

Film nicht auf die typische „Shades of<br />

Grey“-Welle aufspringt, sondern sich<br />

eher über die sadomasochistische Welt<br />

belustigt. Als wir „Venus im Pelz“ in<br />

Cannes vorgestellt haben, ist das Publikum<br />

sogar aufgesprungen und hat laut<br />

gelacht.<br />

Mathieu, der neben seiner Rolle<br />

des Thomas auch die des Severin<br />

von Kusiemski verkörpert, sagt im<br />

Film: „Das Schlimmste in einer Beziehung<br />

ist die weibliche Untreue.“<br />

Vanda entgegnet: „Das Schlimmste<br />

ist die erzwungene Treue.“ Was ist<br />

für Sie das Schlimmste in einer Beziehung?<br />

<br />

frei sein. Und auf Vertrauen aufbauen.<br />

Glauben Sie mir, ich habe so viele Beziehungen<br />

scheitern sehen, weil einer von<br />

beiden eifersüchtig wurde und dem anderen<br />

nicht mehr vertraut hat. Horror!<br />

Wir dürfen nicht immer zum Superfreak<br />

werden, wenn der Partner auch<br />

mal einer anderen hinterherschaut. Dafür<br />

ist das Leben viel zu kurz.<br />

Severin ist in der Novelle überzeugt<br />

davon, dass gleichberechtigte Beziehungen<br />

nicht möglich sind ...<br />

lich<br />

sind Beziehungen möglich, in denen<br />

jeder die gleichen Rechte hat, absolut<br />

gleichberechtigt ist. Wir – sowohl Frauen<br />

als auch Männer – müssen einfach<br />

lernen, selbstbewusster zu werden.<br />

Schließlich liegen zwischen der Veröffentlichung<br />

der Novelle und der heutigen<br />

Zeit fast 150 Jahre. Seitdem hat sich<br />

viel getan. Zum Glück.<br />

Ein weiteres Zitat von Thomas bzw.<br />

Severin lautete: „Liebe ohne Leiden<br />

existiert nicht.“<br />

<br />

Glück der Welt!<br />

Sie sind seit 24 Jahren mit Roman<br />

Polanski verheiratet, führen in der<br />

schnelllebigen Filmwelt scheinbar<br />

die perfekte Beziehung. Wie machen<br />

Sie das?<br />

<br />

gar nicht beantworten. Ich glaube,<br />

unser Geheimnis, wenn man es denn<br />

überhaupt so nennen kann, ist Liebe.<br />

Ja, richtig. Aufrichtige, ehrliche Liebe.<br />

Wir stehen zueinander, mit all unseren<br />

Macken.<br />

Liebe – ein gutes Stichwort. Was ist<br />

denn wahre Liebe für Sie?<br />

<br />

<br />

und Gefühle. Liebe ist Wow! Das Wichtigste<br />

im Leben. Liebe kostet nichts –<br />

und ist trotzdem gleichzeitig ein so seltenes<br />

Gut. Wie wichtig Liebe ist, merken<br />

viele, glaube ich, erst in Notsituationen<br />

und bei Problemen. Meine Liebe zu Roman<br />

– und natürlich zu unseren beiden<br />

Kindern Morgane und Elvis – hingegen<br />

ist eine ganz tiefe.<br />

Sie haben zum wiederholten Mal<br />

mit Ihrem Mann zusammengearbeitet.<br />

Wie war das für Sie?<br />

vatleben.<br />

In dem Moment, in dem wir<br />

miteinander arbeiten, sehe ich Roman<br />

nicht als meinen Ehemann, sondern<br />

als grandiosen Regisseur. Übrigens ist<br />

er meiner Meinung nach der beste Regisseur<br />

der Welt. Als wir das erste Mal<br />

miteinander gedreht haben, 1988 war<br />

<br />

war ich gerade mal 22 Jahre jung und<br />

noch ganz am Anfang meiner Schauspielerkarriere.<br />

Seitdem bin ich natürlich<br />

gewachsen, habe viel dazugelernt,<br />

meinen Standpunkt behaupten können.<br />

War es für Sie irritierend, dass der<br />

männliche Protagonist, Mathieu<br />

Amalric, Ihrem Mann sehr ähnlich<br />

sieht?<br />

<br />

haben tatsächlich gewisse optische<br />

Gemeinsamkeiten. Das fällt mir jetzt<br />

zum ersten Mal auf! Darauf habe ich<br />

gar nicht geachtet. Wirklich. Für mich<br />

war es eher von Vorteil, dass Mathieu<br />

ein sensationeller Schauspieler ist. Es<br />

<br />

dein Partner gut ist, spielst du auch<br />

besser.<br />

Der neue Film von Roman Polanski, „Venus im<br />

Pelz“ mit Emmanuelle Seigner, ist ab<br />

21. November im Kino zu sehen.<br />

Nr.12<br />

118<br />

119<br />

Nr.12


REZEPT<br />

Illustration: Lenia Hauser<br />

Foto: Sabine Volz<br />

Nr.12<br />

120<br />

121<br />

Nr.12


DAS TRAGE ICH FÜR DIE EWIGKEIT<br />

Protokoll: Maja Hoock<br />

Photo: ZORRO Film<br />

„ALS WÄRE DAS<br />

DACH WEG UND<br />

ES REGNET REIN“<br />

D IE SC HAUS PIELERIN UND D IPLOMPS Y C HOLOGIN K AROLINE SC HUC H WAR BIS H E R<br />

IN ÜBER 30 F ILMEN Z U S EHEN. M IT F RÄULEIN S PRAC H S IE ÜBER DEN REIC H E N<br />

E RFAHRUNGSSCHATZ IHRER G ROSSMUTTER, IHRE ALTE L EDERJ A C KE, DIE IHR Z U R<br />

Z WEITEN H AUT GEWORDEN IS T, UND DEN U MGANG MIT DEM T O D .<br />

Ich habe gerade das Aids-Drama<br />

„Schmutziges Blut“ abgedreht. Der<br />

Film spielt in den 80er-Jahren, mein<br />

Mann hat Aids und es ist völlig klar,<br />

dass er nicht mehr gesund wird. Eine<br />

Szene hat mich so wahnsinnig berührt,<br />

<br />

mich verlassen, weil er in seinem Zustand<br />

keine Zumutung sein will. Ich<br />

möchte aber nicht, dass er geht. Es war<br />

so emotional, dass es mir als Schau-<br />

<br />

Ich habe mir vorgestellt, wie es sein<br />

muss jemanden zu verlieren, der einem<br />

so wichtig ist. Als ich den Verlust<br />

spielen musste, habe ich an meinen<br />

Freund im wahren Leben gedacht<br />

und mich damit auseinandergesetzt,<br />

<br />

müsste und nicht mehr da wäre. Das<br />

hat ganz viel mit mir gemacht. In dieser<br />

Zeit habe ich ihn mit ganz anderen<br />

Augen gesehen. Wenn ich im „Tatort“<br />

<br />

Umgang mit dem Tod statt, wenn die<br />

Angehörigen gesagt bekommen, dass<br />

jemand gestorben ist – obwohl es indirekt<br />

ja ständig um Morde und den<br />

Tod geht. Oft denkt man, das habe<br />

ich schon hundertmal gesehen. Diese<br />

gespielte Fassungslosigkeit und dass<br />

einem sofort die Tränen in die Augen<br />

schießen, glaube ich einfach nicht. Klare<br />

und ehrliche Momente berühren<br />

mich dagegen sehr. Mir wurde glücklicherweise<br />

noch nie auf diese Weise<br />

mitgeteilt, dass jemand gestorben ist.<br />

Ich hatte vor zwei Jahren einen echten<br />

Abschied, als mein Opa und meine<br />

Oma im Abstand von vier Monaten<br />

gestorben sind. Wir waren alle da, als<br />

es passiert ist und haben sie gehen<br />

lassen. Sie waren sechzig Jahre verheiratet<br />

und konnten nicht ohneeinander.<br />

Sie waren immer zu zweit und immer<br />

zusammen. Die Verabschiedung von<br />

meiner Oma ist mir sehr nahe gegangen.<br />

Als ich ein Kind war, hatten wir ein<br />

richtig enges Verhältnis. Sie hatte ganz<br />

viele Knöpfe und Nähzeug, mit dem<br />

ich immer gespielt habe. Diese Frau<br />

war eine typische stolze Dresdnerin.<br />

Sie hat mir vom Krieg und den Bombeneinschlägen<br />

erzählt, die sie erlebt<br />

hat, als sie selbst noch klein war. Sie<br />

erzählte, wie es gebrannt hat, wie sie<br />

sich im Bunker verstecken musste, wie<br />

die Tiere aus dem Zoo ausgebrochen<br />

und die Giraffen an der Elbe entlanggerannt<br />

sind. Wenn Menschen wie meine<br />

Oma sterben, verschwinden auch diese<br />

Geschichten mit ihnen. Die Bilder,<br />

die sie mit mir geteilt hat, bleiben. Als<br />

sie gestorben ist, habe ich am Anfang<br />

gar nicht ständig daran gedacht, dass<br />

sie nicht mehr da ist. Aber eineinhalb<br />

Jahre später hat es mich eingeholt.<br />

Was ich jetzt ganz stark spüre, ist,<br />

„WENN ICH MAL<br />

STERBEN MUSS,<br />

WÜRDE ICH MEINE<br />

LEDERJACKE<br />

MIT INS GRAB<br />

NEHMEN“<br />

dass ich dieses Gerüst vermisse. Meine<br />

Großeltern und die Anwesenheit<br />

dieser stabilen Ehe haben sich wie<br />

ein Dach über unserer Familie angefühlt.<br />

Das war plötzlich weg. Das war,<br />

als würde es auf einmal reinregnen.<br />

Die eigene Vergänglichkeit ist mir das<br />

erste Mal bewusst geworden, als ich<br />

eine Panikattacke hatte. Ich war acht<br />

Jahre alt und alleine auf dem Bauernhof<br />

meiner anderen Oma. Sie war einkaufen.<br />

Ich habe Fernsehen geguckt<br />

und plötzlich keine Luft mehr bekommen.<br />

Dann ist mir irgendwie klar geworden,<br />

dass ich ja auch sterben kann.<br />

Ich hatte Angst. Auch in Tel Aviv, als<br />

wir im November 2012 den Film „Hannas<br />

Reise“ gedreht haben, hatte ich so<br />

ein Erlebnis. Wir haben vier Raketenangriffe<br />

miterlebt. Es sind 30 Sekunden,<br />

man hört Sirenen und es knallt<br />

irgendwo. Man hat dann Zeit, sich im<br />

Bomb-Shelter oder in einem Hauseingang<br />

zu verstecken, auf jeden Fall weg<br />

von Glasscheiben. Dann schauen alle<br />

auf ihr Handy, wo die Bombe eingeschlagen<br />

ist. Wenn es nicht in der Nähe<br />

ist, wo die eigene Familie lebt, gehen<br />

die Leute normal ihrem Alltag nach.<br />

Diese Alltäglichkeit des Todes dort ist<br />

stark bei mir hängengeblieben. Wenn<br />

ich mal sterben muss, würde ich meine<br />

Lederjacke mit ins Grab nehmen –<br />

zumindest, wenn ich keine Kinder<br />

habe, die sie weitertragen können. Ich<br />

liebe sie und hänge an ihr. Alle meine<br />

Freunde kennen diese Jacke, weil sie<br />

so etwas wie mein Alter Ego ist. Sie ist<br />

braun und so klein, dass sie selbst mir<br />

fast nicht mehr passt, obwohl ich so<br />

winzig bin. Sie liegt ganz eng an und ist<br />

wie eine Schutzhülle für mich. Ich kann<br />

sie auch nicht mehr zumachen und darum<br />

im Winter nicht mehr anziehen,<br />

weil es sonst zu kalt ist. Ich habe sie<br />

vor vierzehn Jahren, also mit achtzehn,<br />

bei einem Dreh von der Kostümbildnerin<br />

für ganz wenig Geld abgekauft,<br />

für etwa zwanzig Mark. Sie hatte sie<br />

damals schon aus einem Secondhandladen<br />

gekauft. Das Leder ist in einem<br />

ganz warmen Braun und ganz abgeschubbert.<br />

Sie ist schon sehr kaputt,<br />

hat offene Ecken und ist aufgeraut; Verletzungen,<br />

die in all diesen Jahren stattgefunden<br />

haben. Schlechte Erlebnisse.<br />

Aber es gab auch viele gute Momente<br />

mit meiner Jacke. Das steckt alles in ihr.<br />

Karoline Schuch (*1981) ist unter anderem<br />

im Kölner Tatort als die Tochter des<br />

Kommissars Freddy Schenk zu sehen.<br />

Ihr neuer Film „Hannas Reise“, Regie Julia<br />

von Heinz, läuft ab 23. Januar 2014 in den<br />

Kinos.<br />

Nr.12<br />

122<br />

123<br />

Nr.12


HOROSKOP<br />

Illustration: Schmirella Kritzel<br />

WIDDER<br />

21. März - 20. April<br />

Verdammt, sieht das schlecht aus.<br />

Dunkle Wolken ziehen auf. Es regnet<br />

schwarze Asche. Was den einen oder<br />

anderen verdrießen könnte, fordert Sie<br />

aber erst so richtig heraus. Machen Sie<br />

also das Beste draus, preschen Sie vor.<br />

Stellen Sie die Musikanlage auf laut<br />

und spielen Sie peinliche Sommerhits.<br />

Arbeiten Sie an ihrem Lambada-Handicap.<br />

Gehen Sie in die Sauna. Seien Sie<br />

ein Eroberer. Denn in Zeiten der Apokalypse<br />

hat der Widder gute Karten.<br />

Sein Drive wird überwiegend positiv<br />

aufgenommen. Ein Winter gesättigt<br />

<br />

bevor.<br />

ZWILLING<br />

21. Mai - 21. Juni<br />

UNTERGANG DES ABENDLANDES<br />

ES HILFT NIC HTS . W IR MÜSSEN DIE K ARTEN AUF DEN T I SCH LEGEN. D IES ER W INTER WIRD EINE EINZ I G E<br />

K ATAS TROPHE. E IN D E S A S TER. D IE STERNE S IND AUF K RAWALL GEBÜRS TET. D IE G ÖTTER HABEN KOS MISCH E N<br />

STREIT. D ER U NTERGANG DES A BENDLANDES NAHT. A BER ES GIBT J A NOC H DIE F RÄULEIN. W I R H A B E N K E I N E<br />

K O S TEN UND M ÜHEN GESCHEUT UND EINEN PROFILIERTEN CHAOS FORSCHER UND H OBBY-A P O K A LY P T I K E R<br />

GEBETEN, FÜR SIE DIE RIC HTIGE SURVIVALS TRATEGIEN Z U ENTWIC K E L N .<br />

Ché Guevara war ein Zwilling. In Ihnen<br />

wird in Zeiten des Aufruhrs also<br />

der Guerillero geweckt. Übernehmen<br />

Sie diesen Winter das Kommando,<br />

bändigen Sie die beiden Seelen in Ihrer<br />

Brust. Fokussierung tut not um die<br />

Truppen auf Linie zu bringen, Streit<br />

zu schlichten, alte Bekanntschaften<br />

wieder aufzufrischen und sich mit der<br />

Familie zu versöhnen. Denn! Im Kampf<br />

-<br />

<br />

Vielleicht entdecken Sie ganz neue<br />

Qualitäten in Ihrem Umfeld. Ein jeder<br />

Ahab braucht einen Starbucks. Schreiben<br />

Sie sich das hinter die Ohren.<br />

STIER<br />

21. April - 20. Mai<br />

In Zeiten des Weltuntergang stehen<br />

Sie lässig mit einem gesüßten Latte<br />

macchiato in der Linken, den Liebsten<br />

oder die Liebste im Arm, im Vorgarten<br />

Ihrer Vorstadtvilla, während die Reiter<br />

der Apokalypse vorbeipreschen. Stiere<br />

sind Genießer, warum jetzt also die<br />

Ausnahme zur Regel machen? Laden<br />

Sie Ihre besten Freunde ein, kochen<br />

Sie alle zusammen ein aufwändiges<br />

Menü, trinken Sie den besten Cremant<br />

zum Aperitif, weiter geht’s mit Moscow<br />

Mule und Gin and Tonic, während der<br />

Lachs im Mund schmilzt und draußen<br />

alle Dämme brechen. Lecker geht die<br />

Welt zugrunde!<br />

KREBS<br />

22. Juni - 22. Juli<br />

In gewisser Weise sind Weltuntergangsszenarien<br />

ja perfekt für Sie. Keiner<br />

ruft an, keiner will auf einen Drink<br />

vorbeikommen, niemand nervt, während<br />

Sie es sich in Ihrem kleinen Krus-<br />

<br />

Pizza von Joey’s, dazu ein Feelgood-<br />

Movie streamen. „Notting Hill“ oder so<br />

einen Quatsch. Wir wollen es deutlich<br />

ben!<br />

Jetzt ist die Zeit dafür gekommen.<br />

Während die Sonne erlischt und die<br />

Flüsse über die Ufer treten, machen<br />

Sie amore. Sonst kommen wir nämlich<br />

persönlich vorbei und schmeißen Sie<br />

aus Ihrer Komfortzone hinaus ins Chaos.<br />

Versprochen.<br />

JUNGFRAU<br />

24. August - 23. September<br />

Little Miss perfect hat schon vorgesorgt<br />

für das Ende? Der Kühlschrank<br />

ist voll mit Leckereien, das Mensch-<br />

<br />

die eine oder andere schlaue These<br />

zum kulturellen Bruch in Zeiten der<br />

Krise geposted? Sie können diesen<br />

Quatsch von der aufgeräumten Jungfrau<br />

nicht mehr hören? Werden sich<br />

mit 12 Jahre altem Havanna Club Rum<br />

die Kante geben und dabei avancierte<br />

und coole Musik von Miles Davis und<br />

den Talking Heads, schließlich „Tomorrow<br />

never knows“ von den Beatles auflegen,<br />

während draußen der Vorhang<br />

fällt? Super. Wir kommen dann nach<br />

Redaktionsschluss vorbei.<br />

LÖWE<br />

23. Juli - 23. August<br />

Napoleon, Hitchcock, Fidel Castro, in<br />

einem Löwen steckt schon eine gehörige<br />

Portion Diktator. Für sie ist der<br />

Untergang des Abendlandes also gewissermaßen<br />

Routine, vielleicht sogar<br />

ein gehöriger Kick, möglicherweise<br />

sind Sie sogar schuld daran! Sollten<br />

Sie mit Ihrer willfährigen Possy bereits<br />

im brennenden Moskau sitzen, tja,<br />

dann kommen wir zu spät. Falls nicht,<br />

<br />

Empathie, seien Sie gnädig und aufmerksam,<br />

dann werden Sie in Zeiten<br />

des Aufruhrs zum veritablen Anführer.<br />

Rooaar.<br />

WAAGE<br />

24. September - 23. Oktober<br />

„It’s the end of the world as we know it“<br />

und Sie fühlen sich gut dabei. Denn für<br />

die Waage kommt es nicht auf solche<br />

Petitessen wie das Ende der Menschheit<br />

an, solange das kosmische Gleichgewicht<br />

erhalten bleibt. Irgendwo wird<br />

es schon noch Leben geben im Universum,<br />

und seien es kleine Echsenmenschen<br />

mit blubbernder Aussprache.<br />

Also, schlendern Sie bitte am Rand<br />

der Apokalypse entlang und pfeifen<br />

Sie R.E.M. vor sich hin. Bewundern Sie<br />

den Sternenfall, tänzeln Sie im Heuschreckenregen.<br />

Unsere Absolution<br />

haben Sie doch längst.<br />

SKORPION<br />

24. Oktober - 22. November<br />

Sie sind ein ziemlich selbstbewusster<br />

und unabhängiger Typ. Und klar, kurz<br />

vor Schluss steht jeder für sich alleine<br />

da. Für die Apokalypse haben Sie nur<br />

ein müdes Lächeln übrig. Wenn es sein<br />

muss, versetzten Sie der Welt selbst<br />

noch den entscheidenden Stich. Das<br />

mag ja so weit recht gut funktioniert<br />

haben. Aber ganz ehrlich? Irgendwie<br />

trostlos diese Attitüde. Man muss sich<br />

ja nicht gleich zusammen mit einem<br />

Haufen Honks gegen Zombies in einem<br />

Supermarkt verschanzen um ins<br />

Gespräch zu kommen. Wagen Sie sich<br />

heraus, treffen Sie den Nachbarn auf<br />

einen Schnack über die Ragnarök.<br />

SCHÜTZE<br />

23. November - 21. Dezember<br />

Geplagte prominente Sensibelchen wie<br />

Willy Brandt und Ludwig van Beethoven<br />

sind klassische Schützen. Und beide<br />

Säufer vor dem Herren noch dazu.<br />

Wir wollen jetzt nichts unterstellen.<br />

<br />

nüchtern bleiben! Denn es warten so<br />

einige Fettnäpfchen auf dem Weg in<br />

den Abgrund. Und die kann man dann<br />

natürlich hinterher nicht mehr korrigieren.<br />

Also Augen auf, den Geist wach<br />

halten und den Mund aufmachen,<br />

dann wird es ein verdammt noch mal<br />

heißer Winter.<br />

STEINBOCK<br />

22. Dezember - 20. Januar<br />

Stoisch gehen Sie voran, auch wenn<br />

sich die Welt um sie herum aus den<br />

Angeln zu heben droht. Das hat was<br />

Cooles, Bestimmtes, sieht ein wenig<br />

<br />

wissen schon, der Held oder die Heldin<br />

sprengt in letzter Sekunde den auf die<br />

Erde zurasenden Meteoriten. Alle sind<br />

erfüllung,<br />

kann das wirklich alles sein?<br />

Sie wissen ja, „it’s lonesome at the top“.<br />

Vielleicht sollten Sie sich mit einem<br />

Skorpion treffen, mal über alles reden,<br />

vielleicht sprühen da die Funken.<br />

WASSERMANN<br />

21. Januar - 19. Februar<br />

Für Sie ist das hier alles ein großer<br />

Spaß. Die Welt geht unter, „ja geil“!<br />

Denn das Chaos bietet Raum für neue<br />

Ideen und belohnt den schnellen Geistesblitz<br />

eher als die langwierige Planung.<br />

Für diese Haltung haben wir<br />

große Sympathie. Ehrlich. Das erinnert<br />

uns an die redaktionelle Arbeit an der<br />

<strong>Fräulein</strong>. Da herrscht das ungeordnete<br />

Chaos, nicht die bedächtige, zielorientierte<br />

Planung. Also tun wir uns<br />

zusammen. Ein wenig mehr Kontrolle<br />

bei gleichbleibender Kreativität und<br />

die nächste globale wie redaktionelle<br />

Deadline kann kommen.<br />

FISCHE<br />

20. Februar - 20. März<br />

Hallo, jemand zu Hause?! Kaum rumpelt<br />

es mal ein wenig im globalen Gefüge,<br />

kaum verschieben sich die tektonischen<br />

Platten, kaum regnet es Feuer<br />

und Asche, und schon tauchen Sie unter.<br />

Dabei sind Fische zum Größten<br />

fähig. Einstein war einer, ebenso Steve<br />

Jobs und George Washington. Kreative<br />

Individualisten, die immer wieder<br />

Probleme für große Krisen gefunden<br />

<br />

Welt retten könnte, dann Sie! Heraus<br />

mit den Ideen, mutig voran, dann gibt<br />

es noch Hoffnung für uns Normalsterbliche.<br />

Nr.12<br />

124<br />

125<br />

Nr.12


IMPRESSUM<br />

RÄTSEL<br />

Illustration: Paraskewi Palaska<br />

<strong>Fräulein</strong> ist eine<br />

Off One’s Rocker Ltd. Produktion<br />

<br />

<strong>Fräulein</strong> Magazin<br />

Kurfürstenstraße 31-32<br />

10785 Berlin<br />

<br />

<br />

info@fraeulein-magazin.com<br />

www.fraeulein-magazin.com<br />

Chefredakteur und Kreativdirektor<br />

V.i.S.d.P.<br />

Götz Offergeld<br />

Stellvertretender Chefredakteur<br />

Hendrik Lakeberg<br />

Creative Consultant<br />

Aoife Wasser<br />

Art-Direktion<br />

Andreas Kuschner<br />

<br />

Redaktionsleitung<br />

Anna Klusmeier<br />

International Fashion Editor<br />

Bernat Buscato<br />

Mode & Beauty<br />

Sina Braetz<br />

Fashion Department New York<br />

Leo Saraniecki<br />

Kultur und Politik<br />

Ruben Donsbach<br />

Schlussredaktion<br />

Eckart Eisenblätter<br />

Redaktion<br />

Lorenz Schröter, Maja Hoock, Robert Grunenberg<br />

Autoren<br />

Janin Katharina Hasteden, Michele Roten, Sarah<br />

Harris Wallman, Sibylle Berg, Wäis Kiani, Willy<br />

Katz<br />

Fotografen<br />

Adam Fedderly, Bela Borsodi, Bernd Uhlig,<br />

Fabian Blaschke, Hadley Hudson, Heiko Richard,<br />

Irina Gavrich, Jane Stockdale, Marie Zucker,<br />

Romina Rosa, Sabine Volz, Stefan Armbruster,<br />

Sibylle Berg, Thomas Ruff, Toni Nüsse, Yvan<br />

Rodic<br />

Illustratoren<br />

Andreas Steinbrecher, Arezu Weitholz, Julio Rölle,<br />

Katrin Funcke, Lenia Hauser, Paraskewi Palaska,<br />

Patricia Keller, PepiArt, Schmirella Kritzel<br />

Styling<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

Off Ones Rocker Publishing Ltd.<br />

Kurfürstenstraße 31-32<br />

10785 Berlin<br />

<br />

<br />

info@fraeulein-magazin.com<br />

<br />

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BPV Medien Vertrieb GmbH & Co. KG<br />

Römerstr. 90<br />

79618 Rheinfelden<br />

www.bpv-medien.com<br />

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<br />

<br />

info@mms-marrenbach.de<br />

Italien<br />

Ediconsult Internazionale S.r.l.<br />

Luigi De Mari<br />

<br />

milano@ediconsult.com<br />

Großbritannien<br />

IGP - International & German Media Specialists<br />

Talbert House, 52A Borough High Street<br />

London SE1 1XN<br />

<br />

info@igpmedia.com<br />

ZEHN SKIER DIE FRÄULEIN FAHREN WILL<br />

RÄTSEL UND ZEHN FEHLER DIE ZU FINDEN SIND<br />

HÄNDLERVERZEICHNIS<br />

A<br />

Acne<br />

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B<br />

Burberry<br />

www.burberry.com<br />

C<br />

Calvin Klein<br />

www.calvinklein.com<br />

Cartier<br />

www.cartier.de<br />

Converse<br />

www.converse.de<br />

D<br />

Del Toro<br />

www.deltoroshoes.com<br />

Diesel<br />

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Dolce & Gabbana<br />

www.dolcegabbana.de<br />

Dries Van Noten<br />

www.driesvannoten.be<br />

E<br />

Emporio Armani<br />

www.armani.com<br />

Equipment<br />

www.equipmentfr.com<br />

Eres<br />

www.eresparis.com<br />

F<br />

Fabergé<br />

www.faberge.com<br />

Franklin & Marshall<br />

www.franklinandmarshall.<br />

com<br />

G<br />

Giannico<br />

www.giannicoshoes.com<br />

Gianvito Rossi<br />

www.gianvitorossi.com<br />

Giorgio Armani<br />

www.armani.com<br />

Gucci<br />

www.gucci.com<br />

H<br />

Helmut Lang<br />

www.helmutlang.com<br />

Hervé Van der Straeten<br />

www.net-a-porter.com<br />

I<br />

Isabel Marant<br />

www.isabelmarant.com<br />

J<br />

Jill Sander<br />

www.jilsander.com<br />

Jolibe<br />

www.jolibe.com<br />

Just One Eye & The Row<br />

www.justoneeye.com<br />

L<br />

La Perla<br />

www.laperla.com<br />

Le Gramme<br />

www.legramme.com<br />

M<br />

Manolo Blahnik<br />

www.manoloblahnik.com<br />

Merve Kahraman<br />

www.mervekahraman.com<br />

Miu Miu<br />

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N<br />

Nike<br />

www.nike.com<br />

P<br />

Pamela Love<br />

www.pamelalovenyc.com<br />

Pomellato<br />

www.pomellato.com<br />

Prada<br />

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Proenza Schouler<br />

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R<br />

Ralph Lauren<br />

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Reed Krakoff<br />

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S<br />

Sacai<br />

www.sacai.jp<br />

Saint Laurent<br />

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Sophie Hulme<br />

www.sophiehulme.com<br />

T<br />

Thom Browne<br />

www.thombrowne.com<br />

Tony & Guy<br />

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V<br />

Versace<br />

www.versace.com<br />

Victoria Beckham<br />

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W<br />

Wolford<br />

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Nr.12 Nr.11<br />

126<br />

127<br />

Nr.12


SACHEN GIBT ES<br />

Text: Lorenz Schröter<br />

Illustration: Romina Rosa<br />

MODERNE<br />

SKLAVEN<br />

Je nach Definition gibt es weltweit zwischen 20 und 30 Millionen Sklaven. Das<br />

gilt für jeden, der gegen seinen Willen oder unter Strafandrohung arbeiten muss,<br />

so die UN-Konvention. Schuldknechtschaft, Straflager, arrangierte Ehen, ausgebeutete<br />

Fabrikarbeiter, Kinder armer Verwandter im Haushalt - oft ist es nicht<br />

ganz einfach zu sagen, wann Sklaverei beginnt. Ganz anders bei den folgenden<br />

Beispielen.<br />

IM HAUSHALT<br />

ALS SOLDAT<br />

Laut terre des hommes gibt es 250.000<br />

Kindersoldaten weltweit. Aber auch in<br />

regulären Armeen wird zwangrekrutiert.<br />

Viele der Flüchtlinge aus Eritrea<br />

<br />

Heimat, der auch mal 27 Jahre dauern<br />

kann, ohne Chance auf Entlassung.<br />

Proteste und Demonstrationen gegen<br />

den Zwangsdienst werden von der<br />

Regierung zusammengeschossen, zu<br />

<br />

Gefängnissen von Eritrea, nur ein Ziel<br />

<br />

ALS KÜCHENHILFE<br />

pierin<br />

arbeitete von morgens sieben<br />

Uhr bis nachts um eins in einem angesagten<br />

Lokal. Nach anderthalb Jahren<br />

hatte sie gerade mal 800 Euro verdient.<br />

Ihr Arbeitgeber kam mit einer Bewährungsstrafe<br />

davon. In einigen chinesischen<br />

Restaurants in Europa und<br />

Nordamerika werden illegale Einwanderer<br />

als Spüler beschäftigt. Von ihren<br />

Landsleuten angeworben, bleiben sie<br />

auch wegen fehlender Sprachkenntnisse<br />

und einem tief sitzendem Misstrauen<br />

gegenüber Behörden und Polizei in<br />

einer für sie ausweglos erscheinenden<br />

Lage gefangen.<br />

Im bayrischen Herrieden mussten<br />

über Jahre sieben Aupair-Mädchen aus<br />

Osteuropa bis zu 14 Stunden arbeiten,<br />

für 40 Cent Stundenlohn. Eine junge<br />

Rumänin wurde derart geschlagen,<br />

dass sie sich umbrachte. Ihre „Arbeitgeber“<br />

sitzen im Gefängnis. Filipinas<br />

sind seit Jahrzehnten in Hongkong<br />

als Rund-um-die-Uhr-Angestellte, als<br />

sogenannte Amahs, für 380 Euro Monatslohn<br />

im Haushalt tätig, manche<br />

schlafen auf dem Kühlschrank, weil<br />

kein Platz für sie ist. Noch schlimmer<br />

ergeht es den hunderttausend Äthiopierinnen,<br />

die in saudischen Haushalten<br />

ausgebeutet und misshandelt werden.<br />

Westafrikaner schicken traditionell<br />

ihre Kinder zu reichen Verwandten,<br />

wo sie als Diener oder Magd arbeiten.<br />

Auch die Kinder aus erster Ehe einer<br />

Witwe werden in der neuen Familie oft<br />

als Haushaltshilfen mit Schlafplatz unter<br />

der Treppe gehalten.<br />

AUF DEM FELD<br />

Eine schlechte Ernte, eine Krankheit,<br />

schnell geraten Arme in Schuldknechtschaft.<br />

Die Betroffenen müssen dann<br />

zu jeden Bedingungen arbeiten, oft<br />

in der Feldwirtschaft ihrer Gläubiger.<br />

Da Schuldknechtschaft auch vererbt<br />

werden kann, bleiben Generationen<br />

darin gefangen. Ein Beispiel, das Hoff-<br />

<br />

von sudanesischen Milizen niedergebrannt,<br />

mit neun wurde er von arabischen<br />

Viehhirten entführt um ihre<br />

Herden zu hüten. Nach seiner Flucht<br />

wurde er Marathonläufer und als unabhängiger<br />

Athlet 47. beim olympischen<br />

Wettbewerb 2012.<br />

AUF BAUSTELLEN<br />

In den Öl-Ländern am Golf und in<br />

Aserbaidschan werden Männer aus<br />

Pakistan, Nepal und Bangladesch<br />

engagiert, um die harte und gefährliche<br />

Arbeit auf den Ölfeldern und den<br />

Baustellen zu verrichten. Sie bekommen<br />

in der Regel ein auf zwei Jahre<br />

befristetes Arbeitsvisum, dürfen das<br />

Land und auch ihre Baustelle nicht vor<br />

Vertragsende verlassen und sind der<br />

Willkür ihrer Arbeitgeber völlig ausgeliefert,<br />

können zum Beispiel ihren<br />

Lohn nicht einklagen. Da diese Arbeiter<br />

meist über Agenturen vermittelt<br />

werden, werden sie meist doppelt ausgebeutet,<br />

von den Agenturen und von<br />

dem Arbeitgeber vor Ort.<br />

IM STEINBRUCH<br />

Bürgerkrieg, eine Dürre, keine andere<br />

bau<br />

muss billig hergestellt werden, nur<br />

die Ärmsten haben keine Wahl. Notorisch<br />

sind die Steinbrüche in Indien,<br />

die bolivianischen Silber- in Potosi<br />

oder die Goldminen des Ost-Kongos.<br />

IN FABRIKEN<br />

Noch vor wenigen Jahren wurden chinesische<br />

Wanderarbeiter in Fabriken<br />

eingesperrt. Bei Bränden waren sie<br />

<br />

besseren Job. In der giftigen Färbeindustrie<br />

sank die Durchschnittsverweildauer<br />

auf ein halbes Jahr. Die Löhne<br />

im Süden Chinas stiegen auf 74 Euro<br />

<br />

weiter. Zum Beispiel nach Bangladesch,<br />

dort verringerte sich in den letzten Jahren<br />

zwar die Kindersterblichkeit, die<br />

Mädchenbildung stieg. Doch die maroden<br />

Fabriken begannen einzustürzen.<br />

Ähnliches passiert zur Zeit in Malaysia<br />

<br />

die unter sehr schwierigen Verhältnissen<br />

ihre 28 Euro im Monat verdienen.<br />

IN DER<br />

PROSTITUTION<br />

Aus der Provinz Edo in Nigeria locken<br />

so genannte Madames, das sind<br />

ehemalige Prostituierte, junge Frauen<br />

nach Europa. Dort werden sie durch<br />

Drohungen und Aberglaube gefügig<br />

gemacht und auf den Straßenstrich<br />

geschickt. 99 Prozent aller nigerianischen<br />

Prostituierten in Europa sei es<br />

so ergangen, meint Bisi Olagbegi von<br />

der nigerianischen Frauenorganisation<br />

Wocon, Woman Consortium of Nigeria.<br />

Seitdem es möglich ist, das Geschlecht<br />

eines Ungeborenen zu bestimmen,<br />

wurden in Indien und China Millionen<br />

weiblicher Embryos abgetrieben<br />

- zehn Millionen indische Mädchen in<br />

zwanzig Jahren. Diese fehlen auf dem<br />

Heiratsmarkt, als billige Arbeitskraft<br />

und in den Bordellen. Zu Hunderttausend<br />

werden Teenagerinnen aus den<br />

ärmeren Provinzen des Südens in die<br />

reicheren des Nordens entführt und<br />

verkauft.<br />

Nr.12<br />

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129<br />

Nr.12


Nr.12<br />

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