Cicero Winfried Kretschman - "Ich kann alles außer Schweißen" (Vorschau)
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foto: Loredana Fritsch<br />
nutzbar wird. Die zentrale Aussage lautet,<br />
dass wir eigentlich schon gut sind, wie wir<br />
sind, bisher aber missverstanden wurden<br />
oder uns selbst missverstanden haben und<br />
einfach nur mehr Lebensmut brauchen;<br />
eine Message, die uns sofort mehr Lebensmut<br />
schenkt. Außerdem nimmt, wer dieses<br />
Buch liest, sofort zehn Kilo ab.<br />
***<br />
Beim Campus-Verlag ist in diesem Jahr etwas<br />
falsch gelaufen. Er bietet mindestens<br />
zwei klar voneinander unterscheidbare<br />
Sachbücher an. Das eine ist der Spitzentitel<br />
des allgemeinen Programms, und auf<br />
dem Verlagsprospekt steht: „Für alle, die<br />
es wissen wollen. Wie werde ich Spielführer?“<br />
Das andere ist der Spitzentitel Wissenschaft,<br />
und auf dem Verlagsprospekt steht:<br />
„Für alle, die es wissen wollen. Wie lebt man<br />
Demokratie?“ Hier deutet sich ein Marketingdrama<br />
an, wie es der deutsche Buchmarkt<br />
noch nicht erlebt hat. Denn eins ist<br />
sicher: Demokratie lebt man nicht, indem<br />
man Spielführer werden will.<br />
Das erste Buch stammt von<br />
Prof. Dr. Jack Lord Nasher-Awakemian<br />
und heißt „Deal! Du gibst mir, was ich<br />
will!“ (Jack Nasher: „Deal! Du gibst mir,<br />
was ich will!“; Campus-Verlag, Frankfurt<br />
am Main 2013; 272 Seiten, 19,99 Euro)<br />
Es führt uns in eine Welt, in der <strong>alles</strong> ein<br />
Spiel ist und es nur ein Ziel gibt: siegen!<br />
Nur die Doofen lassen sich übervorteilen.<br />
Die Schlauen lesen Jack Nashers Tipps<br />
und Strategien, worauf ihnen genau das<br />
widerfährt, wovon sie als Vierjährige immer<br />
geträumt haben: Sie kriegen <strong>alles</strong>, was<br />
sie wollen. Jack Nasher schenkt ihnen den<br />
Schlüssel zum Schlaraffenland.<br />
Das zweite Buch stammt von Michael<br />
Hardt und Antonio Negri, den Autoren<br />
von „Empire“, und heißt „Demokratie!<br />
Wofür wir kämpfen“. (Michael Hardt, Antonio<br />
Negri: „Demokratie! Wofür wir kämpfen“;<br />
Campus-Verlag, Frankfurt am Main<br />
2013; 127 Seiten, 12,90 Euro) Es handelt<br />
von einer Welt, in der alle gemeinsam siegen<br />
sollen, in der aber Kapitalismus und<br />
Globalisierung unsere Gemeinwesen bedrohen<br />
und man die Erfahrungen der weltweiten<br />
Protestbewegungen der vergangenen<br />
Jahre zusammendenken muss, um<br />
Gegenstrategien zu entwickeln. Wobei die<br />
Bedrohung vor allem von Menschen ausgeht,<br />
die offenbar zu viel Jack Nasher gelesen<br />
haben.<br />
Leserinnen und Leser der Welt! Wenn<br />
ihr euch diese Bücher nebeneinander ins<br />
Regal stellt, gibt es einen Blitz, der unser<br />
ganzes Universum vernichtet. Oder? Vielleicht<br />
auch nicht. Denn wenn man die beiden<br />
Bände wirklich liest, breitet sich geradezu<br />
niederschmetternde Banalität aus.<br />
Beide operieren auf dem Niveau von Sinnsprüchen<br />
und Lebensweisheiten, wie sie<br />
die Uroma früher aufs Kissen gestickt hat.<br />
Nasher rät uns zum Beispiel, uns schick<br />
anzuziehen, wenn wir zur Bank gehen und<br />
einen Kredit wollen. Und er erinnert uns<br />
daran, dass man immer <strong>alles</strong> positiv darstellen<br />
muss, wenn man sich durchsetzen will:<br />
„Wenn Sie Ihrer betagten Mutter vorschlagen,<br />
in eine Seniorenresidenz zu ziehen, sagen<br />
Sie nicht: ‚Zieh aus deiner Wohnung<br />
aus‘, sondern: ‚Versuch es doch einmal in<br />
diesem schönen Haus.‘“<br />
Negri und Hardt erklären uns, die<br />
Schaffung politischer Leidenschaften erfordere<br />
physische Nähe. Und: „Mit der<br />
Schaffung von Wahrheiten geht die Bildung<br />
politischer Leidenschaften einher:<br />
Werden diese Leidenschaften gemeinsam<br />
artikuliert, verkörpern sie eine neue Wahrheit.“<br />
Sodann wird die Überführung der<br />
Banken ins Gemeineigentum empfohlen.<br />
Mehr Wahrheit schaffen mit immer mehr<br />
Leidenschaft? Im Ernst? Aus dem <strong>alles</strong> vernichtenden<br />
Blitz wird ein kleiner Funken.<br />
Vielleicht sollten wir einfach die Synthese<br />
wagen und auf Nasher, Negri und<br />
Hardt gemeinsam hören. Wer sagt denn,<br />
dass wir nicht <strong>alles</strong> gleichzeitig behaupten<br />
können? Dass wir nicht zwei bitter verfeindeten<br />
Parteien gleichzeitig ihre Bonbons<br />
geben dürfen? Wenn diese beiden Parteien<br />
zufällig in unserem Herzen wohnen, kriegen<br />
wir alle beide Bonbons! Manipulieren<br />
wir die Mama also ins Altersheim hinein,<br />
das ist viel besser für sie. Dann überführen<br />
wir die Banken ins Gemeineigentum<br />
und schaffen mehr Wahrheit durch Leidenschaft,<br />
das ist viel besser für uns alle. Alles<br />
geht. Alles wird gut. Ein Sachbuch ist eine<br />
Freizeitdroge. Ein Roman ist ein Wellnesshotel.<br />
Unser Lebensmut kennt keine Grenzen<br />
mehr. Und der Bücherfrühling 2013<br />
kennt keine Gnade.<br />
Robin Detje<br />
lebt als Autor, Übersetzer und<br />
Performancekünstler in Berlin<br />
03.2013 <strong>Cicero</strong> 125<br />
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