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Österreichischer Kunstpreis 2013 - Bundesministerium für Unterricht ...

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<strong>Österreichischer</strong> <strong>Kunstpreis</strong> <strong>2013</strong>


Mit dem Österreichischen <strong>Kunstpreis</strong> ehrt die Republik Persönlichkeiten, die sich in hervorragender<br />

Weise in ihrem jeweiligen künstlerischen Feld ausgezeichnet haben. Und<br />

gerade in einem Land, das sich traditionell in einem hohen Maße über seine kulturellen<br />

Leistungen definiert, kommt daher einer solchen Auszeichnung eine besondere Bedeutung<br />

zu.<br />

Gleichzeitig stellt der Österreichische <strong>Kunstpreis</strong> auch ein Bekenntnis zur zeitgenössischen<br />

Kunst dar und macht deutlich, dass nicht nur die Pflege des kulturellen Erbes<br />

ein berechtigtes Anliegen ist, sondern ebenso die Förderung des Neuen. In besonderer<br />

Weise stehen hier Themen wie Bildung und der kritische Beitrag der Kunst <strong>für</strong> die Entwicklung<br />

unserer Gesellschaft im Vordergrund. Aus der Überzeugung, dass Kunst weit<br />

mehr als eine willkommene Abwechslung von den Strapazen des Alltags ist, erwächst<br />

auch eine Verantwortung gegenüber Beiträgen, die dabei helfen, ausgefahrene Bahnen<br />

zu verlassen, neue Denkweisen auszuprobieren und mit Neugierde und Offenheit an<br />

die Gestaltung der Zukunft zu gehen.<br />

Ich freue mich, die Österreichischen <strong>Kunstpreis</strong>e zum vierten Mal überreichen zu<br />

können und gratuliere allen Preisträgerinnen und Preisträgern sehr herzlich.<br />

Dr. Heinz Fischer<br />

Bundespräsident der Republik Österreich


Die Vergabe von <strong>Kunstpreis</strong>en ist seit jeher eine der besten Möglichkeiten, herausragendem<br />

Kunstschaffen die gebührende Wertschätzung zuteilwerden zu lassen. Festliche<br />

Verleihungszeremonien, eloquente Festredner und offizielle Urkundenüberreichungen<br />

rücken die Preisträgerinnen und Preisträger in das Zentrum des öffentlichen Interesses<br />

und zeugen von der hohen Anerkennung, die ihrer Kreativität und ihrem Werk entgegengebracht<br />

wird.<br />

Es sind faszinierende und interessante Persönlichkeiten, die ausgewählt und mit<br />

Auszeichnungen bedacht werden, und oft richtet sich das erwähnte Interesse – vor<br />

allem in unserer heutigen schnelllebigen und daher oft oberflächlichen Zeit – vielmehr<br />

auf die Privatperson als auf jenes künstlerische Schaffen, das die Preisjurys zu ihren Nominierungen<br />

bewegt hat. Doch ein zu starker Fokus allein auf die Person der Künstlerin<br />

bzw. des Künstlers verstellt oft den Blick auf das künstlerische Werk, jenes Wirken, das<br />

die Kunst- und Kulturszene maßgeblich beeinflusst, neue Blickwinkel eröffnet und oft<br />

auch den kanonisierten Kunstbegriff erweitert oder in neue Zusammenhänge setzt.<br />

Daher möchten wir mit dieser Publikation die diesjährigen Preisträgerinnen und<br />

Preisträger des Österreichischen <strong>Kunstpreis</strong>es vorstellen und vor allem Einblicke in ihr<br />

Schaffen und ihre künstlerische Arbeit geben. Auf den folgenden Seiten finden sich<br />

Laudationes, verfasst von renommierten Expertinnen und Experten, die oft sehr persönliche,<br />

aber stets fundierte Zugänge zu den Kunstschaffenden und ihrem Werk eröffnen.<br />

Folgende Künstlerinnen, Künstler und Institutionen wurden <strong>2013</strong> ausgezeichnet:<br />

Carola Dertnig – Bildende Kunst<br />

Tizza Covi und Rainer Frimmel – Film<br />

Offenes Haus Oberwart – Kulturinitiativen<br />

Inés Lombardi – Künstlerische Fotografie<br />

Karl-Markus Gauß – Literatur<br />

Katharina Klement – Musik<br />

Gerda Lampalzer – Video- und Medienkunst<br />

Allen Preisträgerinnen und Preisträgern gratulieren wir sehr herzlich zu dieser<br />

Auszeichnung!<br />

Gabriele Heinisch-Hosek<br />

Bundesministerin<br />

Dr. Josef Ostermayer<br />

Bundesminister


Die Ehre und ihr Preis<br />

Einen staatlichen Preis <strong>für</strong> künstlerische Leistungen zu erhalten, soll kein Anlass sein,<br />

über die Schmach im Allgemeinen zu klagen, als Künstler staatlich belobigt zu werden,<br />

oder im Speziellen über die Höhe dieses Preises zu lamentieren. Aber doch darüber<br />

nachzudenken, was geschieht, wenn die Kunst von der Macht gewürdigt und ihr Schöpfer<br />

mit einer einmaligen Ehrensumme Geldes dotiert wird. Die Kunst hat ihren Marktpreis,<br />

der von ästhetischen Kategorien als allerletztes bestimmt wird; ehe man diese<br />

Tatsache routiniert beklagt, muss man sie zuerst historisch als Befreiung des Künstlers<br />

aus der persönlichen Abhängigkeit vom feudalen Mäzenaten zu würdigen verstehen.<br />

Danach aber kann man, muss man sie beklagen, nicht nur weil die eine, die personale<br />

Abhängigkeit durch die andere von einem vermeintlich anonymen Markt abgelöst wurde<br />

(was eine Vielzahl von Entfremdungen mit sich gebracht hat). Wie aber ist es, wenn<br />

weder der einzelne feudale Fürst noch der anonyme Markt auf die Kunst kommen, sondern<br />

– der Staat? Was ist der Preis der Ehre? Dieses Thema bietet reichlich Gelegenheit<br />

<strong>für</strong> theoretische Freiübungen oder da<strong>für</strong>, eine stets angebrachte Empörung wider die<br />

Staatsgewaltigen loszuwerden. Man kann die Frage aber auch konkret stellen: Was<br />

bedeuten in Österreich 12.000 Euro, die ein jeder der heute mit dem <strong>Kunstpreis</strong> Ausgezeichneten<br />

erhält?<br />

Karl-Markus Gauß


Der Österreichische <strong>Kunstpreis</strong><br />

Der Österreichische <strong>Kunstpreis</strong> wird etablierten Künstlerinnen und Künstlern <strong>für</strong> ihr<br />

Gesamtwerk zuerkannt und jährlich vom <strong>Bundesministerium</strong> <strong>für</strong> <strong>Unterricht</strong>, Kunst und<br />

Kultur vergeben. Die Auswahl der Preisträgerinnen und Preisträger erfolgt durch<br />

unabhängige Expertenjurys; eine Bewerbung ist nicht möglich.<br />

Im Jahr <strong>2013</strong> wurde der Österreichische <strong>Kunstpreis</strong> in sieben Sparten verliehen:<br />

<strong>Österreichischer</strong> <strong>Kunstpreis</strong> – Bildende Kunst<br />

Carola Dertnig<br />

Jury: Univ.-Ass. Mag. Miriam Bajtala, Mag. Ursula Maria Probst, Mag. Tina Teufel<br />

<strong>Österreichischer</strong> <strong>Kunstpreis</strong> – Film<br />

Tizza Covi und Rainer Frimmel<br />

Jury: Mag. Sandra Bohle, Markus Schleinzer, Mag. Judith Wieser-Huber<br />

<strong>Österreichischer</strong> <strong>Kunstpreis</strong> – Künstlerische Fotografie<br />

Inés Lombardi<br />

Jury: Dr. Silvia Eiblmayr, Mag. Sigrid Kurz, Mag. Matthias Herrmann<br />

<strong>Österreichischer</strong> <strong>Kunstpreis</strong> – Kulturinitiativen<br />

Offenes Haus Oberwart<br />

Beirat: Monika Klengel, Dr. Cornelia Kogoj, Andreas Lehner, Mag. Günther Moschig,<br />

Univ.-Prof. Mag. Brigitte Vasicek, Rüdiger Wassibauer<br />

<strong>Österreichischer</strong> <strong>Kunstpreis</strong> – Literatur<br />

Karl-Markus Gauß<br />

Jury: Christine Haidegger, Dr. Jochen Jung, Dr. Daniela Strigl<br />

<strong>Österreichischer</strong> <strong>Kunstpreis</strong> – Musik<br />

Katharina Klement<br />

Jury: Mag. Ines Dominik-Reiger, Markus Hinterhäuser, Mag. Hanne Muthspiel-Payer,<br />

Univ.-Prof. Mag. art. Gerhard Sammer, Bruno Strobl, MMag. Gottfried Zawichowski<br />

<strong>Österreichischer</strong> <strong>Kunstpreis</strong> – Video- und Medienkunst<br />

Gerda Lampalzer<br />

Jury: DI Wolfgang Fiel, Mag. Barbara Kapusta, Mag. Jo Schmeiser


<strong>Österreichischer</strong> <strong>Kunstpreis</strong> <strong>2013</strong> – Bildende Kunst<br />

CAROLA DERTNIG<br />

Geboren in Innsbruck, lebt und arbeitet in Wien, 1990 École des Beaux-Arts, Paris,<br />

1992 Diplom an der Hochschule <strong>für</strong> angewandte Kunst Wien, 1997/98 Teilnahme<br />

am Whitney Independent Study Program in New York, 2005/06 Gastprofessur an der<br />

Universität <strong>für</strong> angewandte Kunst Wien, seit 2006 Leiterin des Fachbereichs Performative<br />

Kunst an der Akademie der bildenden Künste Wien, 2006 Herausgabe des<br />

Buches Let‘s twist again. If you can‘t think it, dance it. Performance in Vienna from<br />

1960 until today (gemeinsam mit Stefanie Seibold), 2008 Gastprofessorin an der<br />

CalArts in Los Angeles, 2009/2011 Teilnahme am Forschungsprojekt Performing<br />

Knowledge in the Arts, 2014 Herausgabe des Buches Performing the Sentence. Views<br />

on Research and Teaching in Performance Art (gemeinsam mit Felicitas Thun).<br />

Einzelausstellungen (Auswahl)<br />

2012 Again Audience, Galerie Andreas Huber, Wien<br />

2009 CCS-Bard College, New York<br />

2008 Galerie Andreas Huber, Wien<br />

2006 Galerie im Taxispalais, Innsbruck<br />

2005 Galerie Andreas Huber, Wien<br />

2004 Equivok, Secession, Wien<br />

2003 Strangers – Handlungsräume 6, Salzburger Kunstverein<br />

2000 Flyby-Productions, Special Project Space, P.S.1 Center for Contemporary Art,<br />

Long Island (mit Pia Moos, Lori Reinauer und Kindern vom P.S.1)<br />

1999 Dancing with Remotes, Galerie T19, Wien<br />

1997 Dancing with Remote – Part 1, Project Room, Artists Space, New York<br />

1995 Ich will Deinen Namen nicht wissen, Brasilica, Wien<br />

1993 Hausfrauen, Galerie im Andechshof, Innsbruck


11<br />

© Arnold R. Müller


Gruppenausstellungen (Auswahl)<br />

<strong>2013</strong> Fais un effort pour te souvenir. Ou, à défaut, invente, Bétonsalon, Paris;<br />

10 Jahre Lentos. Die Sammlungsausstellung zum Jubiläum, Lentos Kunstmuseum<br />

Linz; Praxis der Liebe, Salzburger Kunstverein; Hausgemeinschaft (family<br />

affairs), Galerie <strong>für</strong> Zeitgenössische Kunst, Leipzig; With a Name Like Yours,<br />

You Might Be Any Shape, Kunstpavillon, Tiroler Künstlerschaft, Innsbruck; Unrest<br />

of Form. Imagining the Political Subject, Projekt der Wiener Festwochen, Akademie<br />

der bildende Künste und Secession, Wien<br />

2012 Aneignung der Gegenwart, Galerie <strong>für</strong> Zeitgenössische Kunst, Leipzig; Realness<br />

Respect, Medienturm Graz; Die Sammlung, 21er Haus, Wien<br />

2011 arttirol. Kunstankäufe des Landes Tirol 2007–2009, Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum,<br />

Innsbruck; Proposals for Venice, Oberösterreichische Landesmuseen<br />

(mit G.R.A.M); Beziehungsarbeit – Kunst und Institution, Künstlerhaus, Wien;<br />

Austria Davaj, MUAR Museum, Moskau<br />

2010 Poésie Sonore, Galerie Andreas Huber, Wien; tanzimat, Augarten Contemporary,<br />

Wien; Lange nicht gesehen. Long time no see, The Brno House of Art,<br />

Brno; Linz Triennale 1.0, Lentos, Lentos Kunstmuseum Linz<br />

2009 Breathless, Markthalle Wien Mitte; Die Fragilität des Seins, MNAC, Bukarest<br />

und Rupertinum, Salzburg; twice upon a time, Silverman Gallery, San Francisco<br />

2008 twice upon a time, Galerie Andreas Huber, Wien; Why here is always somewhere<br />

else, Badischer Kunstverein, Karlsruhe; FIKTION.NARRATION.STRUKTUR,<br />

artnews projects, Berlin; Human Resources, Lower Manhattan Cultural Council,<br />

New York; True Romance, Kunsthalle zu Kiel und Lenbachhaus, München; Top<br />

of Experience oder die Kunst der Erlebniswelt, Kunsthalle, Luzern<br />

2007 True Romance, Kunsthalle, Wien; Exportation, T293, Neapel; Kontakt – Sammlung<br />

Erste Bank, Museum of Contemporary Art, Belgrad; As in real life, Gallery<br />

P74, Ljubljana; detourism, Orchard Gallery, New York<br />

2006 Fokus 3: Aktion, Konzept, Sprache, MUMOK, Wien; Großer Bahnhof, Wien<br />

Museum; Why Pictures Now, MUMOK, Wien; A Complete Guide To Re-writing<br />

Your History 2, Sparwasser HQ, Berlin; Österreichische Kunst – Konfrontation<br />

und Kontinuität, Sammlung Essl, Klosterneuburg; Kontakt – Sammlung Erste<br />

Bank, MUMOK, Wien und tranzit, Bratislava<br />

2005 Wild Walls New York, Artists Space, New York; After the Act – Die (Re)Präsentation<br />

der Performancekunst, MUMOK, Wien; Ways In/Ways Out, Kunstverein<br />

Horn; Living and Working in Vienna, Austrian Cultural Forum, New York; Lebt<br />

und Arbeitet II, Kunsthalle, Wien<br />

2004 Site matters, Independent Curators International, New York; Thin Skin: The Fickle<br />

Nature of Buffles, Spheres, and Inflatable Structures, Independent Curators International,<br />

Bedford Gallery – Regional Center for the Arts, Walnut Creek; Boise<br />

Art Museum<br />

2003 drinnen ist’s anders, Kunsthalle Exnergasse, Wien; Thin Skin: The Fickle Nature<br />

of Buffles, Spheres, and Inflatable Structures, Independent Curators International,<br />

Gemeentemuseum Helmond; International Museum of Art and Science<br />

McAllen; Ulrich Museum of Art, Wichita


…an exile…, <strong>2013</strong>, 5 min, HD; Kamera, Schnitt: Katharina Cibulka; Courtesy Galerie Andreas Huber<br />

2002 Fabulation of form, Arthouse, Dublin; Doors: Image and Metaphor in Contemporary<br />

Art, New Jersey Center for Visual Arts; Thin Skin: The Fickle Nature of<br />

Buffles, Spheres, and Inflatable Structures, Independent Curators International,<br />

AXA Gallery, New York; Scottsdale Museum of Contemporary Art<br />

2001 World Views, New Museum of Contemporary Art, New York; In the Mean<br />

Time, De Appel – Centre for Contemporary Art, Amsterdam<br />

2000 Aurora Pictureshow, Houston, Texas; Never alone again, La Panadería, Mexico<br />

City<br />

1999 Blow Up, Independent Curators International, New York; Performing Video,<br />

Ex-Teresa Arte Actual, Mexico City<br />

1998 Oriental Nights, Gavin Brown‘s Enterprise, New York; Flash, Joyce Goldstein<br />

Gallery, New York; Scope 1, Scope 2, Artists Space, New York<br />

1997 Digital Video Wall, Museum of Modern Art, New York; Current/Undercurrent,<br />

Brooklyn Museum of Art, New York; In Synch, Spot Gallery, New York; Independent<br />

Art Fair Gramercy, New York<br />

13


ZU SPÄT, 2011, in Zusammenarbeit mit Julia Rode, temporäre Installation, Morzinplatz, KÖR<br />

Foto © Stephan Wyckoff, 2011


Performances (Auswahl)<br />

<strong>2013</strong> Tacheles Speech, Unrest of Form. Imagining the Political Subject, Secession,<br />

Wien<br />

2012 Again audience, Realness Respect, Medienturm Graz<br />

2010 Dancereport, Accumulation and other Things…, Performing Memory, Symposium,<br />

Kunstraum NOE, Wien; …a car…, Liste Basel und Viennafair<br />

2009 Dégueulasse, Breathless, Markthalle Wien Mitte und PAF, Performance,<br />

Residency, St. Erme; Lora Sana, Document CCS-Bard College, New York;<br />

Dancereport_LA Report, twice upon a time, Silverman Gallery, San Francisco<br />

2005 Lora Sana, radikal lokal, Tanzquartier, Wien<br />

2002 a room with a view in the financial district, futuregarden, Wien; Zimmer mit<br />

Aussicht im Finanzbezirk, basis, Wien<br />

2001 Dancing in the Factory, Salon Lady Chutney, Wien; European Cleaning Lady is<br />

interested in your Dust, Studio 1, New York<br />

1994 A German Roach, an American Roach and a Silverfish, Kunstraum Wien im<br />

Museumsquartier, Wien<br />

1993 A Taste of Honey, Maxim, Wien*<br />

1992 Blood on the Blade, Café Bauernfeld, Wien*; Can you Handle Success 2,<br />

Club 3, Frankfurt/Main*; Can you Handle Success 1, Bach, Wien*;<br />

Rien ne va plus, Café Ikar, Wien*<br />

Videoscreenings (Auswahl)<br />

2004 Flensburger Kurzfilmtage; International Filmfestival Rotterdam; Mapping the<br />

Territory, Top Kino, Wien; Nemo-Filmfestival, Paris; Changierende Bänder –<br />

Videolounge, Diagonale, Graz<br />

2003 Cinematexas – International Short and Video Festival, Austin; World Wide<br />

Short Film Festival, Toronto; Microwave International Media Art Festival, Hong<br />

Kong; Corkfilmfestival, Irland; Viennale, Kurzfilmreihe, Wien; Jakarta Video Art<br />

Festival; International Competition, Internationale Kurzfilmtage Oberhausen;<br />

Dokumentarismen, Museum Moderner Kunst Stiftung Ludwig, Wien; Screenwise,<br />

Changierende Bänder – Videolounge, Wien<br />

2002 Globalism and Dislocation II, Tugboat, New York<br />

2001 Videoarchaeology, International VideoArt Festival, Sofia<br />

2000 d.u.m.b.o. – art under the bridge, New York<br />

Preise (Auswahl)<br />

<strong>2013</strong> <strong>Österreichischer</strong> <strong>Kunstpreis</strong>, <strong>Bundesministerium</strong> <strong>für</strong> <strong>Unterricht</strong>, Kunst und Kultur<br />

2009 Preis des Landes Tirol<br />

2008 Teresa-Bulgarini-Preis<br />

2006 Preis der Stadt Wien; Preis der Stadt Innsbruck<br />

2005 Grafikwettbewerb Tirol<br />

*Performance group: Art Party Gang (mit Gertraud Presenhuber), 1992–1994<br />

15


Carola Dertnig<br />

Was ist es, das Haltung ausmacht? Was ist der feine Unterschied zwischen einer Einladung<br />

und Manipulation? Wie lässt sich auf die Aggressionen unserer Gesellschaften<br />

reagieren, ohne sie in ihrer Unfähigkeit einfach zu spiegeln?<br />

Als ich Carola Dertnig kennen lernte, das war 1995, bot sie mir an, ihr nach<br />

New York, ihrem damaligen Schaffensort, zu folgen. Um Interviews mit Kindern – erwachsenen<br />

Kindern inzwischen – von etablierten KünstlerInnen zu führen. Was es heißt,<br />

von Prominenz umgeben zu sein, und was daraus entstehen kann. Es war meine erste<br />

Begegnung mit einer solchen, ich hätte das damals als cool bezeichnet, Gelassenheit,<br />

die gleichzeitig etwas beinhaltete, was Gelassenheit von Ignoranz abtrennt: Interesse,<br />

Neugier, die Fähigkeit zum Staunen, schlicht: Empathie.<br />

In New York lernte Dertnig, aus einem liberalen Künstlerinnenumfeld stammend,<br />

die Höhen und Tiefen, die ein Leben immer beinhaltet, kombiniert mit den Ungerechtigkeiten<br />

einer Gesellschaft, kennen. Über zehn Jahre brachte sie es fertig, ein Leben<br />

diesseits und jenseits des Ozeans zu organisieren und darin doch vielfältig produktiv zu<br />

sein. New York ist der symbolische Ort des Beginns ihrer außerordentlichen Fähigkeit,<br />

Menschen in liebevollster Weise zu verbinden, im Sinn eines Netzwerks, welches nicht<br />

auf die alleinige Stärkung der eigenen Position zielt, sondern <strong>für</strong> alle Beteiligten Räume<br />

eröffnet. Nicht irgendwelche Räume, Räume leerer Versprechen etwa, nein: Räume, die<br />

allen helfen, ihre ganz eigenen und ausgesprochenen Gestaltungswünsche zu verwirklichen.<br />

Carola Dertnig ist ein Mensch, der mit dem wellenartigen Charakter des Lebens<br />

auf eine charismatische, konstruktive und unlarmoyante Weise umzugehen versteht.<br />

Ein Stipendium des renommierten Whitney Study Program ermöglichte ihr den<br />

Eintritt in die diskursive Welt des High-End-Kunstbetriebs, aber auch die Erfahrung, dass<br />

Zugehörigkeit noch nicht unbedingt existenzielle Sicherheit birgt. Unbeeindruckt wäre<br />

falsch gesagt, aber sie ging eben in eine Fabrik arbeiten, um sich ihr Leben zu finanzieren.<br />

Zwischen Queens und Manhattan, zwischen glitzernden Eröffnungen, wo keiner wissen<br />

will, wie es wirklich geht, schon gar nicht in den USA, und tristem Schichtalltag; wo<br />

ebenfalls keiner fragt. Weil Müdigkeit und Not Teilhabe nicht unbedingt begünstigen.<br />

Diese Zeit der Extreme ist auch der Beginn eines wichtigen formalen Strangs in<br />

ihrem künstlerischen Werk – dem Slapstick. Ich erinnere mich an diese bunte Person mit<br />

einem Rollwagen, in dem ihr heiliges Equipment – Videokamera, Stativ, Mikrofon und<br />

meist auch ein Fahrradhelm – verstaut waren, und an den sehr engen Lift hinauf zu den<br />

Räumen des Whitney Program, wie ein Symbol der Schwierigkeiten, gesellschaftliche<br />

Statusebenen zu wechseln. Natürlich verfängt man sich da, und eine meiner Lieblingsarbeiten<br />

Dertnigs aus dieser Zeit ist ein Video in diesem Aufzug, bei dem man mit<br />

der Protagonistin, ebenjener Frau mit Koffer, die nun aber ihr Fahrrad transportieren


Tafelspitz, 2001, 5 min, Café Korb; Courtesy Galerie Andreas Huber<br />

möchte, mitfiebert und die Schamesröte ob ihrer enormen Ungeschicklichkeit gleich mitproduziert.<br />

Und doch bahnt sich diese Unerträglichkeit dann einen Weg in schallendes<br />

Gelächter, eines, das nicht hämisch ist, das sich aus negativer Energie befreit und so<br />

insgesamt erleichternd ist.<br />

Ja, man kann viel lachen mit Carola Dertnig, über die Absurditäten hierarchischer<br />

Organisierungen, die Härte, die der Anforderung von Menschen an andere Menschen<br />

innewohnt, glatt zu sein, zu funktionieren, um Erfolg haben zu können. Und über die<br />

Demontage dieser Vorgaben. Denn Dertnig hat sich eben nicht schlicht angepasst um<br />

Anerkennung zu erlangen, und sie hat sich auch nicht verbogen um zu reüssieren. Sie<br />

ist eine, die der Macht nicht einfach aus dem Weg gegangen ist, um ihr nicht ausgesetzt<br />

zu sein. Sie ist eine der Wenigen, die sich mit Machtstrukturen vielfältig und teilweise<br />

durchaus schmerzhaft auseinandergesetzt hat, um dieser Machtnahme anders und<br />

17


doch charakterlich unverändert integer begegnen zu können. Man nennt das die Stirn<br />

bieten oder eben eine grundlegend ethische Haltung. Und das sind Menschen, die man<br />

sich wünscht, auch in Strukturen, wo sie Macht erlangen; um anderen Menschen einen<br />

guten, einen Bewusstsein bildenden Umgang mitzugeben. Denn Macht zu verweigern<br />

ist einfach nur naiv. Macht verschwindet nicht, nur weil wir uns sperren. Sie ist immer<br />

da. Mit der Macht ist es wie mit der Aggression: Sie muss umfassend gestaltet werden.<br />

Dann ist ihr Auftreten nicht ausschließlich misslich.<br />

Das war folglich logisch der Schritt in Institutionen hinein. Und es wäre eben<br />

nicht Carola Dertnig, wenn dieser Schritt anders als eine elegante Pirouette vollzogen<br />

worden wäre. Slapstick schließt Eleganz nicht aus!<br />

So kehrte sie nach einem Zwischenstopp in Los Angeles – ja, bei Carola Dertnig<br />

verlaufen die Entscheidungen zwar äußerst logisch, aber nicht unbedingt linear – nach<br />

Wien zurück, um fortan als Künstlerin und Lehrende in Erscheinung zu treten.<br />

Sich an die Eigenheiten der alten Heimat erinnern, hieß es zunächst, gewöhnen<br />

aber nicht! Sie aß sich mehr als satt am Tafelspitz. Im Café Korb, einer Institution des<br />

Wiener Lebens, das einst nahe zum Vanilla, dem Lokal der Mutter in den 1970ern, lag,<br />

verändert zwar, aber nach wie vor ein „Seh-mich-Seh-ich-Stell-dich-ein“. Eben nicht:<br />

„Seh Dich“. Alles mit Contenance selbstverständlich. Das Fleisch, ein Meter in der Küche<br />

zusammengenähtes österreichisches Nationalgericht, wurde von Dertnig, zur Wiener<br />

Haute Bourgeoisie mutiert, mit Würde verzehrt. Doppelte Portion, bitte sehr! Und was<br />

ich nicht schaffe, verschwindet in meiner Damentasche.<br />

Dieses in die Taschen Fressen, dieses vom Tisch Wegwischen, was zuviel wird,<br />

das ist Dertnigs nächste Spezialität. Aber sie ist weit davon entfernt satt zu sein. Satt ist<br />

im Gegenteil etwas, das es anzufragen gilt. Eben nicht saturiert zu agieren, sondern<br />

diese Völle, diese Sicherheit in der Behauptung des eigenen Guten, diese grausliche<br />

Zufriedenheit, und auf wessen Kosten dabei, zu zerteilen.<br />

Es geht Dertnig um das Gegenteil von Abschlüssen. In der Geschichtsschreibung,<br />

im Kunstwerk, unter Genres und Perspektiven. Assoziatives Denken, Reflexion und (notwendige)<br />

Wiederholungen sind dabei die Mittel Dertnigs. Und noch etwas: Wenn Geschichte<br />

eher die Dominanz einer Konstruktion, nämlich einer symbolischen Ordnung<br />

anzeigt, wenn Geschichte aber auch immer von uns selbst geschrieben werden kann,<br />

dann sind es sicher nicht die Methoden wissenschaftlicher Forschung, denen Dertnig<br />

Treue schwören möchte.<br />

Von ihr kuratierte Ausstellungen aber auch ihre Lehrtätigkeit an der Akademie der<br />

bildenden Künste, wo sie 2006 „Performative Kunst“ als zentrales künstlerisches Fach<br />

eingeführt hat, sind Beispiele dieser Einstellung. Dertnig kannte neben dem Aktionismus<br />

auch eine andere heimische Performance-Geschichte, die sie als Kind in Wiens Künstlerkreisen<br />

erlebt hatte. Diese Geschichte schien fast ausgelöscht, sie war in den Archiven<br />

zur Performancekunst nicht zu finden, und es scherte sich eigentlich auch niemand<br />

darum. Mit den Ausstellungsprojekten und den inzwischen zu Klassikern avancierten<br />

Publikationen Let‘s twist again. If you can‘t think it, dance it. Performance in Vienna from<br />

1960 until today und Mothers of Invention (beide gemeinsam mit Stefanie Seibold) gelang<br />

ihr mit einer Art Schneeballsystem, eine Struktur und Sichtbarkeit <strong>für</strong> die fehlende<br />

(Performance)Geschichte herzustellen. Über ein Hin- und Herspringen zwischen den


Generationen, ihren Erinnerungen, Erfahrungen und deren Dokumentation, wurden die<br />

Geschichten der Performance in Österreich in erstaunliche Beziehungen gesetzt. Erinnerungen<br />

im System zu erhalten ist eine Art Besessenheit von ihr, sagt Dertnig.<br />

Als Carola Dertnig 2011 eingeladen wurde, ein ephemeres Denkmal <strong>für</strong> die homosexuellen<br />

Opfer und Verfolgten des Nazi-Regimes einzurichten – die Stadt Wien<br />

überlässt jeweils einen Sommer die Gestaltung des Morzinplatzes und der Thematik<br />

einer/einem einzelnen KünstlerIn –, nahm sie sich dieser Aufgabe auf ihre Weise an. Sie<br />

setzte einen Schriftzug, ein lapidares „Zu spät“, als Blumenbeet in die Erde, ausgerichtet<br />

auf das Gegenüber, die einstige Gestapoleitstelle. Sie begriff die Homogenisierung<br />

einer Opfergruppe als ebenso problematisch wie die potenzielle Bedrohlichkeit eines<br />

Ausspielens von Opfergruppen durch die Nachfahren der TäterInnen. „Zu spät“ wehrte<br />

sich gleichzeitig gegen die extreme Schwierigkeit einer ephemeren Formungsaufgabe:<br />

Dertnig ließ den Platz einen devastierten bleiben – Denkmäler können niemanden mehr<br />

„retten“, weder die Toten noch uns.<br />

Sie führte die Schwierigkeit vor, zwischen Vergangenheit und Gegenwart die notwendigen<br />

Bezüge herzustellen, um sich einerseits der Vergangenheit stellen zu können,<br />

andererseits die Gegenwart auch als Produkt ebenjener Vergangenheit zu begreifen.<br />

Das heißt, sie holte dieses scheinbar abgeschlossene Grauen in die Gegenwart und<br />

knüpfte so ein Band der Verantwortung: Ist es nicht so, fragte sie, dass dieser „Unort“<br />

Morzinplatz auf buchstäbliche Weise den blinden Fleck einer Gesellschaft offenbart,<br />

die sich lange Zeit in der Opferthese sehr bequem eingerichtet hat? Diese störrische<br />

Uneinsichtigkeit definiert bis heute viele Behauptungen. Dertnig aber sagte mit ihrem<br />

geschriebenen Beet sehr deutlich: Uneingestandene Scham und Verantwortung sind<br />

vielleicht der Aggression zuträglich, sie verhindern jedoch aktive Gestaltung.<br />

Das „Umgehen“ in der österreichischen Kultur, das teilweise dreiste Ausweichen,<br />

wenn es darum geht, Eingeständnisse und damit eigentlich zwingend scheinende Handlungen<br />

zu verhindern, war auch treibendes Moment <strong>für</strong> ihre Arbeit Sammlung Brill –<br />

Fragen zu 28033 und 28034 in einer Ausstellung des MAK zum Thema Restitution, wo<br />

über ihrer Beschäftigung mit der Provenienz ebenjener zwei Werke, die kommentarlos<br />

in der Sammlung der Albertina beherbergt sind, zumindest ein Erwachen über die<br />

ominösen Praxen von Enteignung, Arisierung und folgender Nicht-Restitution provoziert<br />

wurde.<br />

Für Dertnig ist, anders als <strong>für</strong> andere prominente Österreicher, Sprache und Sprechen<br />

von allerhöchster Bedeutung, wenn es darum geht, unangebrachtes Schweigen<br />

aufgespürt zu haben, und das gibt es hierzulande tatsächlich fast noch häufiger als<br />

haltloses Schwafeln. Denn wie eine Geschichte schreiben, in der man mit allen seinen<br />

Referenzen auch vorkommt, eine Neubesprechung historischer Verläufe nachhaltig empfehlen,<br />

ohne die Stimme zu erheben, ohne ein paar gehaltvolle Geschichten zu liefern?<br />

Anekdoten sind da<strong>für</strong> ein Reservoir, Dertnig bedient sich aber genauso gern der Fiktion<br />

<strong>für</strong> eine veränderte Wahrnehmung der scheinbar „so sein müssenden“ gegebenen Situationen.<br />

Fiktionen bedeuten alles andere als erfundene Geschichten zu erzählen, sie<br />

verraten kein streng gehütetes Geheimnis, sie bringen einfach Aufteilungen durcheinander.<br />

Darin entsprechen sie einer in den letzten Jahren gestärkten philosophischen Figur,<br />

dem Dissens. Sie stellen Bezüge zwischen heterogenen Ordnungen her.<br />

19


Dertnig erfindet mitunter ganze Personen, die in ein vergangenes Geschehen<br />

eingreifen (können), sie bedient sich minimaler Eingriffe, Überzeichnungen oder auch<br />

einer Überaffirmation des Typischen, was in ihrem Fall erfreulicherweise immer befreiend<br />

wirkt.<br />

Mit Lora Sana, 62 hat sie eine Figur erschaffen, die die klassische Kanonisierung<br />

des Aktionismus als eine ausschließlich Männern zu verdankende Kunsterscheinung<br />

durchkreuzt. Warum wurden die an einer Aktion mitwirkenden Frauen – die „Aktionistinnen“<br />

– großteils nicht namentlich erwähnt? Hatten sie keinen Wert? War das peinlich?<br />

Wenn es eher die Unmöglichkeit von Antworten ist, warum nun welche Aussparungen<br />

zu einem Diktum führen mussten, geht es Dertnig darum, auf Auslassungen<br />

hinzuweisen und diese unter feministischer Perspektive zu bereichern. Mit der Werkserie<br />

Lora Sana, 62 wurden Aktionen weiblicher Aktionisten auf Fotografien hervorgehoben<br />

und die männlichen Protagonisten versuchsweise „geschwärzt“. Welch anderes Bild<br />

sich offenbart! Diese Arbeit hat Kunsthistoriker zum Eingeständnis bewogen, neben ein<br />

wenig Giftsprühen ob der feministischen „Abrechnungen“ Dertnigs, dass es an einer<br />

verlässlichen Biografik zum weiblichen Aktionismus fehlt.<br />

An Exile, ein erst unlängst gedrehtes Video, wickelt im wahrsten Sinn die leider so<br />

gängige, und <strong>für</strong> Frauen besonders brutale, Geschichte von Ausklammerung ab: Selbst<br />

nach der Formulierung von Notwendigkeiten schlägt einer meist nur Verständnislosigkeit<br />

entgegen.<br />

An Exile erzählt aber auch die Geschichte jedweder typischen Expansionspolitik:<br />

Man gibt sich so lange an einem Gegenüber interessiert, so lange es funktional<br />

ist. Das „Andere“ wird in der Abgeschlossenheit einer Hegemonie schwer als etwas<br />

„Eigenes“ anerkannt. Geht die Assimilierung nicht tonlos (von Seiten der „Dazugekommenen“)<br />

vonstatten, dann erhalten „die Anderen“ (die um ihre Anteile streiten und um<br />

ihre Sichtbarkeit kämpfen müssen, weil sie diese nicht selbstverständlich als einen Status<br />

genießen, der über Bluts-, Geschlechts- oder Nationsgenealogien garantiert ist) ausschließlich<br />

ein Zugeständnis durch die Kategorisierung „Keine von uns“. Dahinter wirkt<br />

ein perfides Netz aus Grausamkeit, das nicht einmal zynischen Ursprungs sein muss,<br />

sondern nur blind, unsensibel und sprachlos <strong>für</strong> die Bedürfnisse anderer ist.<br />

Der Faden, der sich aus einem Kleid löst, bildet eine Referenz zu zahlreichen anderen<br />

Arbeiten Dertnigs, markiert aber auch ein „Zuhause“. Und er legt eine Spur. Vielleicht<br />

die Andeutung einer feministischen Umdeutung eines Mythos; oft verstellt gerade<br />

dieser Strick im Video den selbstverständlichen, nie hinterfragten Weg einer patriarchal<br />

geprägten Mehrheitsgesellschaft. Gleichzeitig entrollt er einen ganzen Erfahrungsraum,<br />

den der immensen Kraft einer „Anderen“, ALLES neu zu finden und <strong>für</strong> sich benennen<br />

zu müssen.<br />

Nicht „in der Spur“ sein, Anderssein, im ganz Kleinen wie in großen Zusammenhängen,<br />

das sind Dertnigs Themen und Auseinandersetzungen. Und ihre Reaktion auf<br />

Ausgrenzung ist dabei immer: nicht aggressiv, sondern gestaltend.<br />

Carola Platzek<br />

Carola Platzek, geboren in Erfurt/Deutschland, lebt und arbeitet seit 1991 in Wien, Studium der Geschichte<br />

und Philosophie in Leipzig, Grenoble und Wien, Autorin und Kunstkritikerin.


Lora Sana V/1, 2005, C-Print, ungerahmt 39 x 45 cm; im Bild: Anna Brus; Originalmaterial: Hochzeit, 1965, Rudolf Schwarzkogler;<br />

Courtesy Galerie Andreas Huber


<strong>Österreichischer</strong> <strong>Kunstpreis</strong> <strong>2013</strong> – Film<br />

TIZZA COVI UND RAINER FRIMMEL<br />

Tizza Covi, geboren 1971 in Bozen, besuchte von 1992 bis 1994 das Kolleg <strong>für</strong> Fotografie<br />

an der Höheren Graphischen Bundes-Lehr- und Versuchsanstalt Wien und arbeitete<br />

anschließend bis 1998 als freie Fotografin in Rom. Sie erhielt <strong>für</strong> ihre fotografische<br />

Arbeit Auslandsstipendien in Rom und Paris.<br />

Rainer Frimmel, geboren 1971 in Wien, besuchte von 1992 bis 1994 das Kolleg <strong>für</strong><br />

Fotografie und 1995 den Lehrgang <strong>für</strong> Kameraassistenz an der Höheren Graphischen<br />

Bundes-Lehr- und Versuchsanstalt Wien. Er erhielt <strong>für</strong> seine fotografische Arbeit Auslandsstipendien<br />

in Rom, Paris und New York.<br />

Seit 1996 arbeiten Tizza Covi und Rainer Frimmel gemeinsam an Projekten in den<br />

Bereichen Fotografie, Theater und Film. 2002 gründeten sie die Filmproduktionsfirma<br />

Vento Film, um ihre Filme unabhängig zu produzieren.<br />

www.ventofilm.com


23<br />

© Tizza Covi


© Rainer Frimmel


Filmografie<br />

2012 Der Glanz des Tages, Spielfilm/Regie: Tizza Covi, Rainer Frimmel<br />

2009 La Pivellina, Spielfilm/Regie: Tizza Covi, Rainer Frimmel<br />

2005 Babooska, Dokumentarfilm/Regie: Tizza Covi, Rainer Frimmel<br />

2001 Das ist alles, Dokumentarfilm/Regie: Tizza Covi, Rainer Frimmel<br />

Preise und Auszeichnungen (Auswahl)<br />

<strong>2013</strong> <strong>Österreichischer</strong> <strong>Kunstpreis</strong>, <strong>Bundesministerium</strong> <strong>für</strong> <strong>Unterricht</strong>, Kunst und Kultur<br />

Der Glanz des Tages<br />

Silberner Leopard <strong>für</strong> den besten Hauptdarsteller und Don-Quijote-Preis, Filmfestival<br />

Locarno; MehrWert-Filmpreis, Viennale; Preis <strong>für</strong> den besten Film und Hauptdarsteller,<br />

Sulmonacinema Film Festival; Max-Ophüls-Preis, Saarbrücken; Großer Diagonale<br />

Preis <strong>für</strong> den besten österreichischen Spielfilm; Thomas-Pluch-Würdigungspreis; Special<br />

Mention und Prize of the Russian Guild of Film Critics, Andrei Tarkovsky International<br />

Film Festival<br />

La Pivellina<br />

Prix Europa Cinemas Label, Filmfestival Cannes; Preis <strong>für</strong> den besten Spielfilm (u. a. in<br />

Gijon, Angers, Kiev, Pesaro, Valdivia, Leeds, Durres); Großer Diagonale Preis <strong>für</strong> den<br />

besten österreichischen Spielfilm; Distribution Award, IndieLisboa; Großer Preis der<br />

Jury, Mumbai; Publikumspreis (u. a. in Valdivia); Preis <strong>für</strong> beste Schauspielerin (Patrizia<br />

Gerardi, u. a. in Angers, Gijon, Kiev, Annecy, Salé); <strong>Österreichischer</strong> Kandidat <strong>für</strong> den<br />

Auslands-Oscar 2011; Eröffnungsfilm der Viennale 2009<br />

Babooska<br />

Wolfgang-Staudte-Preis, Berlinale; Prix International de la Scam, Cinéma du Réel,<br />

Paris; Großer Diagonale Preis <strong>für</strong> den besten österreichischen Dokumentarfilm; Bester<br />

italienischer Dokumentarfilm, Festival dei Popoli, Florenz<br />

Das ist alles<br />

Prix Regards Neufs, Visions du Réel, Nyon<br />

25


Im Bergwerk der Möglichkeiten von Wirklichkeit<br />

Anmerkungen zum bisherigen filmischen Schaffen von Tizza Covi und Rainer Frimmel<br />

Weil wir hier wieder einmal im Terrain zu verleihender Kulturpreise sind: Ein Rückblick.<br />

2009 und 2010 wurde die italienische Zirkusartistin Patrizia Girardi bei internationalen<br />

Filmfestivals wiederholt als „beste Schauspielerin“ bzw. „beste Darstellerin“ ausgezeichnet.<br />

In La Pivellina „spielte“ sie eine italienische Zirkusartistin namens Patrizia Girardi<br />

(kurz: Patti), die sich in einem römischen Vorort eines kleinen ausgesetzten Mädchens<br />

annimmt; sie „spielte“ sich durch die Konflikte, die mit einem Leben am Rand der Gesellschaft<br />

und mit der Verantwortung einhergehen, die man <strong>für</strong> ein Kind übernimmt;<br />

offenbar war sie im Film sie selbst; wahrscheinlich spielte sie sich gleichzeitig selbst<br />

sehr gut; scheinbar hat sie, den vielen Auszeichnungen nach zu schließen, das sehr gut<br />

gemacht.<br />

Nicht ausgezeichnet wurde bis dato der Schauspieler Philipp Hochmair <strong>für</strong> seine<br />

Darstellung eines Schauspielers namens Philipp Hochmair in Der Glanz des Tages<br />

(2012): Er ist, nicht nur den Kritiken zufolge, die seine bisherige Laufbahn begleiten,<br />

zweifellos einer der herausragenden Theater- und Film-Akteure unserer Tage, aber noch<br />

mehr überzeugte etwa die Jury beim Filmfestival in Locarno der Zirkusartist Walter Saabel:<br />

Er spielt in Der Glanz des Tages einen Zirkusartisten namens Walter Saabel, der<br />

in Hamburg seinen Neffen Philipp Hochmair (nun, tatsächlich, die im Film behauptete<br />

Verwandtschaft der beiden ist eine Erfindung) besucht, und da<strong>für</strong> wurde er wiederum<br />

beim Filmfest in Locarno „bester Darsteller“. Seiner selbst?<br />

Wir sind, auch wenn wir ins Kino, wie avanciert auch es sich erzählen mag, von<br />

ziemlich traditionellen Vorstellungen begleitet, was „Darstellung“ und was im speziellen<br />

„Darstellung von Wirklichkeit“ betrifft. Für die breite Öffentlichkeit – siehe etwa Oscars<br />

und andere Filmpreise – „Souveränität“, um nicht zu sagen: Virtuosität – etwas, das mit<br />

Mitteln von „Kunst“ oder Kunstfertigkeit eine möglichst hohe Lebens- und Wirklichkeitsnähe,<br />

ja, nahelegt. Wenn sich ein Film dabei als Spielfilm und nicht als Dokumentarfilm<br />

ausweist, hat der „Darsteller“, der nicht mehr nur „Protagonist“ ist, quasi gewonnen. Er<br />

besteht im Spielfilm in einer „Fiktion“, einem angeblich vorgegebenen Script, obwohl er<br />

sich auch an Fakten orientieren muss. Und plötzlich werden er oder sie, siehe Patrizia<br />

Girardi und Walter Saabel, die man als Hauptdarsteller im eigenen Leben bezeichnen<br />

könnte, auch zu Haupt-Darstellern <strong>für</strong> die Betrachtungs- und Verführungs- und Realitätsabbildungsmaschine<br />

Kino.<br />

27


Die Filme von Tizza Covi und Rainer Frimmel sind reich an solchen wie auch immer<br />

vertrackten, paradoxen Details. Schon in Frimmels erstem langen „Dokumentarfilm“<br />

Aufzeichnungen aus dem Tiefparterre (2000), der sich aus ziemlich verrückten Home<br />

Movies eines Wiener Krankenträgers zusammen setzt, ist nicht immer klar, wo und<br />

wie die Selbstdarstellung des Protagonisten vom Faktischen ins Fiktionale et vice versa<br />

kippt. Und ab dem ersten gemeinsamen „Dokumentarfilm“ mit dem wunderbar lapidaren<br />

Titel Das ist alles (2001) haben Covi und Frimmel immer inständiger und präziser<br />

nachgeforscht, was das heißen mag: Das Leben anderer bzw. das eigene Leben zu<br />

erzählen, dabei möglicherweise so etwas wie größere Zusammenhänge zu (er)fassen,<br />

ohne gleichzeitig den Fokus auf kleine aber umso bezeichnendere Nebensächlichkeiten<br />

zu verlieren. Tizza Covi, in einem Interview: „Es sind winzige Fakten, die sich aneinander<br />

reihen und im Schnitt entsteht dann die Geschichte. Wir sehen die Schwierigkeiten<br />

dieser Methode und gleichzeitig übt sie eine große Faszination auf uns aus, weil ein<br />

Bergwerk an Möglichkeiten von Wirklichkeit vor uns steht. Wir scheitern immer wieder<br />

daran und gleichzeitig ist es <strong>für</strong> uns das Spannendste, was wir machen können.“<br />

„Das ist alles“: So beschließen die Bauern und Bäuerinnen in dem russischen Dorf<br />

Jasnaja Poljana gerne ihre Alltagserzählungen, wenn sie im Film in ihren Küchen und<br />

vor ihren Häusern hocken – so, als gelte es, aus diesem Alltag kein besonderes Aufheben<br />

zu machen. Gleichzeitig steht da jetzt aber eine Kamera vor ihnen, Film ab!, die<br />

Erzählung wird aufgezeichnet, sie wird bedeutungsvoll – auch wenn es, wie bei Tizza<br />

Covi und Rainer Frimmel üblich, nur zwei Menschen sind, die hier Bild und Ton aufzeichnen.<br />

Es wäre mit einem größeren Filmteam wohl auch schwerlich denkbar, jenes<br />

Maß an beiläufiger Intimität auf einem „Set“ zu erzielen, das diese Filme durchwegs<br />

bestimmt.<br />

Unaufwändigkeit gepaart mit einer hohen Genauigkeit im Umgang mit Menschen<br />

und Momenten: Das wäre nur eine von vielen Möglichkeiten, die Arbeit und die Haltung<br />

dieser Filmemacher auf den Punkt zu bringen. Rainer Frimmel: „Wir arbeiten immer<br />

mit Leuten, die wir mehr oder weniger gut kennen. Darum machen wir nie Castings <strong>für</strong><br />

unsere Geschichten, sondern unsere Geschichten entstehen durch die Leute, die wir als<br />

Protagonisten wählen. Die persönlichen Geschichten müssen sich mit unserer Erzählung<br />

vermischen, sonst würde unsere Arbeitsweise nie funktionieren.“ In der Tat: Es bedarf<br />

einer Vertrautheit, um solche Vermischungen generieren zu können, und um diese Vertrautheit<br />

zu gewinnen, braucht es Zeit. Man könnte sagen: Das Einzige, mit dem Covi<br />

und Frimmel verschwenderisch umgehen, ist eben diese notwendige Zeit. Wenn man<br />

die italienische Zirkusfamilie in Babooska (2005) auf ihrer Reise durch die Provinz begleitet,<br />

spürt man, dass hier, bei aller Beengtheit der Wohnwägen, niemand bedrängt<br />

wird. Es kommt zu keinen Befragungen und Interviews, in denen die Protagonisten so<br />

etwas wie Rechenschaft abzulegen hätten. Die Versuche, das Leben zu meistern und


Filmstill La Pivellina © Vento Film<br />

gleichzeitig dieses Leben zu beschreiben, entwickeln sich aus einer ganz und gar unaufgeregten<br />

Beobachtung von Alltag.<br />

Wenn es so etwas wie ein Schlüsselbild <strong>für</strong> die „Methode“ von Tizza Covi und<br />

Rainer Frimmel gibt, dann das schlafende kleine Mädchen, das in La Pivellina (2007)<br />

völlig unbeeindruckt von Kamera und Mikrofon selig schläft – hier aber mit einem kleinen<br />

feinen Unterschied zum „Dokumentarfilm“ Babooska: Die erzählerische Konstellation,<br />

dass eben dieses Kind von den Zirkusleuten aufgenommen wird, ist eine Erfindung.<br />

Gleichzeitig ist es aber genau wegen dieser Erfindung, diesem Umkippen ins Fiktive,<br />

so, dass die realen Bedingungen kenntlicher werden. Es ist, als würden hier Menschen,<br />

wenn sie sich selbst darstellen, sich klarer darüber, was sie eigentlich darstellen und<br />

unter welchen Bedingungen: Wenn im Kino von Covi und Frimmel, um mit Peter Handke<br />

zu sprechen, „das Gewicht der Welt“ vermessen wird, dann ist es in aller Armut und<br />

Begrenztheit der Verhältnisse federleicht. Nicht umsonst wird oft das frühe neorealistische<br />

Kino Italiens als Referenz <strong>für</strong> diese Filme genannt. Mit den Fahrraddieben eines<br />

Vittorio de Sica oder der Città aperta eines Roberto Rossellini teilen Covi und Frimmel<br />

eine Vorliebe <strong>für</strong> proletarische Milieus, <strong>für</strong> raue Oberflächen, <strong>für</strong> einen minimalistischen<br />

Duktus, aus dem heraus das harte Leben sich in all seinem Drama entfaltet.<br />

29


Filmstill La Pivellina © Vento Film


31<br />

Filmstill Babooska © Vento Film


Insofern ist Der Glanz des Tages (2012) der bis dato vielleicht selbstreferenziellste<br />

Film des Paars. Zumindest verhandelt er am explizitesten die Frage, wo denn das Spiel<br />

aufhört und der „wahre“ Moment beginnt. Es ist auch im Fall von Der Glanz des Tages<br />

ziemlich unzureichend, dem Geschehen auf der Leinwand mit einer Synopsis, mit<br />

„Handlung“ beikommen zu wollen, aber: Hier ein gelernter Schauspieler (Hochmair),<br />

da ein Selbst-Darsteller (Saabel)... aber halt, ist es nicht umgekehrt? Wer macht hier<br />

was wem wie vor? Geht das Spiel, das auf der Bühne Texten und Regiekonzepten folgt,<br />

später in der Garderobe weiter, und wie schreibt sich dann der Text, wer führt Regie?<br />

Covi: „Was uns an der Schaustellerei und der Schauspielerei fasziniert, ist die Tatsache,<br />

dass auf der Bühne immer alles anders ist als hinter der Bühne. Lässt sich das auch aufs<br />

normale Leben umlegen? Man gibt vor, etwas zu sein, was man in Wirklichkeit nicht ist.<br />

Diese Diskrepanz, dieses Hinter-die-Kulissen-Schauen hat uns bei allen Arbeiten interessiert:<br />

Bei Menschen, die auf der Bühne etwas ganz anderes darstellen, oder bei Leuten,<br />

die in der Zirkusmanege stehen, und in gewisser Weise hat es bei jedem Menschen<br />

seine Gültigkeit.“<br />

Ein zweites Schlüsselbild <strong>für</strong> die Arbeit von Tizza Covi und Rainer Frimmel: Zwei<br />

Männer in einem Passfotoautomaten. Sie versuchen, unter einem Zeitdruck, den ihnen<br />

die altmodische Apparatur auferlegt, ein passendes/richtiges Bild von sich und ihrer<br />

Beziehung zueinander zu machen. Einen Passfotoautomaten gibt es übrigens auch in La<br />

Pivellina, aber man würde fast zu schwerfällig in der Beschreibung solcher Momente,<br />

wenn man die feinen Fäden, die sich durch diese und zwischen diesen Filmen wie von<br />

selbst verweben, zu dramatisch ausstellt. Es sind antidramatische, antipathetische Filme,<br />

obwohl, wenn man sich etwa das bewegte Leben des ehemaligen Bärendompteurs<br />

Walter Saabel anhört, durchaus Anlass zu biblischer Wucht gegeben sein könnte. Seit<br />

Babooska ist Saabel einer der prägenden Charaktere im Kino von Tizza Covi und Rainer<br />

Frimmel, und dass er da<strong>für</strong> auch einmal in Locarno ausgezeichnet wurde, ist <strong>für</strong> ihn<br />

und die Filmemacher und uns alle zwar wunderbar, aber letztlich erzählt es mehr über<br />

die Sehnsüchte der Filmindustrie als über „Erfolg“.<br />

„Erfolg ist ja auch langweilig“, hieß es kürzlich im Standard anlässlich eines Interviews<br />

mit den Coen Brothers zu Inside Llewyn Davis. Das passt auch gut zur Arbeit<br />

von Covi und Frimmel. Weil wir jetzt wieder bei den Preisen sind: Man kommt in<br />

diesem Rahmen hier dennoch schwerlich herum, die zahllosen Auszeichnungen und<br />

Festivaleinladungen zu erwähnen, die die Filme von Covi und Frimmel schon erhalten<br />

haben. Allein La Pivellina brachte es auf über 30 internationale Preise und wurde zu<br />

120 Festivals eingeladen. Man kann so etwas einmal mehr unter „österreichisches Filmwunder“<br />

verbuchen, aber das wirklich Erstaunliche ist – einmal mehr – die Diskrepanz<br />

zwischen dem „Erfolg“, richtiger: die internationale Wirkkraft, die diese Filme haben,<br />

und den vergleichsweise kärglichen Mitteln, mit denen sie von heimischer öffentlicher<br />

Hand ausgestattet werden. In diesem Fall aus dem Topf der sogenannten „kleinen“<br />

Filmförderung des BMUKK, die sich seit Jahrzehnten um das Gros der wesentlichen<br />

Filmkunstwerke in diesem Land verdient macht und ohne die die Arbeit von Tizza Covi<br />

und Rainer Frimmel so, wie sie diese Arbeit anlegen, schlicht unmöglich wäre. Im Prinzip<br />

verstoßen die beiden ja gegen jede Regel der obligaten Projekteinreichungen und<br />

Produktionsregulative.


Filmstill Der Glanz des Tages © Vento Film<br />

Zitieren wir ein letztes Mal die Filmemacher: „Mit einem voll ausgeschriebenen<br />

Drehbuch hätten wir vielleicht während des Drehs weniger Probleme. Das Resultat muss<br />

aber nicht unbedingt besser sein. Deshalb arbeiten wir auch weiterhin zu zweit und<br />

maximal mit einem Tonmann. Das gibt uns die Freiheit auszuprobieren und wenn es<br />

sein muss zu scheitern. Für uns ist es ein großes Glück, dass es die Förderung durch das<br />

BMUKK, die Innovative Film gibt, die Projekte in dieser Größenordnung ermöglicht.“<br />

Dem könnte man hinzufügen: Für ein heimisches Kino der kleinen Größenordnungen<br />

wäre es derzeit die größte Auszeichnung, wenn man die „kleine“ Filmförderung ein<br />

ganz klein wenig aufstockt.<br />

33


Filmstill Der Glanz des Tages © Vento Film


Eine kurze Nachbemerkung noch. Es ist fast schon ein Allgemeinplatz, aber ganz<br />

falsch ist es nicht, wenn man sagt: Die herausragenden Positionen des österreichischen<br />

Filmschaffens pflegen durchwegs einen ganz besonders inständigen Umgang mit diesem<br />

Oszillieren des Kinos – zwischen Fakten und Fiktionen, zwischen dem, was da ist,<br />

und dem, was daraus gemacht wird, zwischen den Einstellungen und den Schnittstellen,<br />

die sich daraus in einem Film wortwörtlich ergeben. Man könnte von einer vielstimmigen<br />

Tradition des österreichischen Kinos sprechen, wenn man sieht, wie hier gerade<br />

der Avantgarde- und der Dokumentarfilm im Auseinandernehmen und Komponieren<br />

von Wahr-Nehmungen so konsequent Furore gemacht haben. Oder wie wesentliche<br />

Spielfilmmacher wie etwa Michael Haneke, Jessica Hausner, Ulrich Seidl jeweils auf<br />

ihre Weise, mit ihrer spezifischen Form die Grenzen zwischen Sein und Schein, den<br />

„realen“ Verhältnissen und der Form ihrer Abbildung ausloten.<br />

Das mag, in Österreich (sprach-)philosophische Wurzeln haben. Es dürfte aber<br />

auch mit einer sehr spezifischen medialen Situation, der Film- und Mediengeschichte im<br />

Lande zu tun haben, in der von offizieller, öffentlich-rechtlicher Seite quasi bevorzugt<br />

monopolistische Gesellschaftsdarstellungen nicht nur toleriert, sondern auch gefördert<br />

und, ja, benutzt werden. Weil: Es ist, wie es ist, wir werden es nicht ändern, weil wir es<br />

ja so gemacht haben, wie es ist. Ist es aber wirklich so? Daran arbeitet sich hierzulande<br />

nicht zuletzt auch das Kino ab. Die Filme von Tizza Covi und Rainer Frimmel sind ein<br />

überzeugender, gesellschaftspolitisch eminent brisanter Beleg da<strong>für</strong>.<br />

Claus Philipp<br />

Die Zitate von Tizza Covi und Rainer Frimmel stammen aus einem Interview, das Karin<br />

Schiefer <strong>für</strong> die AFC News geführt hat.<br />

Claus Philipp, 1966 in Wels geboren, war lange Zeit Filmkritiker und später Kulturressortleiter der österreichischen<br />

Tageszeitung Der Standard. Seit 2008 ist er Geschäftsführer des Wiener Stadtkinos.


<strong>Österreichischer</strong> <strong>Kunstpreis</strong> <strong>2013</strong> – Kulturinitiativen<br />

OFFENES HAUS OBERWART<br />

Als das Offene Haus Oberwart im Jahr 1980 (damals noch als „Verein Jugendhaus“)<br />

gegründet wurde, konnte niemand ahnen, wie sehr sich die Welt innerhalb eines<br />

einzigen Jahrzehntes ändern würde. Lag der Bezirksvorort Oberwart damals noch an<br />

der äußersten Peripherie Europas, so sollte durch den Wegfall des Eisernen Vorhanges<br />

die Peripherie selbst zunehmend ins Zentrum der Beobachtung rücken. Gerade der<br />

multiethnische Bezirksvorort, gelegen in einem seit ungezählten Jahrhunderten existierenden,<br />

archetypischen Grenzraum der Sprachen und Kulturen, bot und bietet sich als<br />

künstlerisches Exerzierfeld <strong>für</strong> eine neues, zusammengewachsenes und doch differenziert<br />

zu durchleuchtendes Europa an.<br />

Häusern wie dem Offenen Haus Oberwart fällt die nicht unerhebliche Aufgabe zu,<br />

über die Hebelwirkung zeitgenössischer Kunst den kreativen Diskurs einer ganzen<br />

Region zu entwickeln und aufrecht zu erhalten. Die erfolgte Neuorientierung des<br />

Offenen Hauses Oberwart seit 2004 hat eine Vielzahl neuer, interessanter KünstlerInnen<br />

ins Haus gelockt und hier auch über gewisse Schaffensstrecken versammelt,<br />

an einem Ort, an dem sich beinahe idealtypisch die Wirklichkeit im Austausch der<br />

Sprachen und Kulturen erkunden lässt: Die KünstlerInnen haben es, wie so oft, als erste<br />

verstanden und liefern die Konsequenz nach, diese Wirklichkeit unnachgiebig<br />

zu hinterfragen.<br />

Die erklärte Absicht des Hauses besteht darin, den restaurativen Tendenzen des Kulturbetriebes<br />

die Vitalität jetztzeit-bezogener Lust am durchtriebenen Blick entgegen zu<br />

setzen und der zeitgenössischen Kunst eine Bresche zu schlagen. Die Möglichkeiten<br />

dazu bieten sich mannigfach, sind aber gewiss auch abhängig von den Persönlichkeiten,<br />

die ihre Aktivitäten an das Haus herantragen oder von diesem dazu eingeladen<br />

werden. So haben sich in den letzten Jahren starke Segmente in den Bereichen<br />

Modern Dance, Literatur und Theater, Junge Kunst und Musik, Film(Festival) und<br />

Bildende Kunst herausgebildet, die in gewissen, thematisch gebündelten Jahresprojekten<br />

auch spartenübergreifend zusammenwirken und wie immer von Diskussionsveranstaltungen<br />

sowie Konzerten und Events der Jugendkultur ergänzt werden.<br />

www.oho.at


Nationalratspräsidentin Barbara Prammer bei der Eröffnung der Ausstellung Von Besen und Bürsten, Ausstellungskonzept: Eveline<br />

Rabold, Sabine Maier (aka machfeld). Foto © Michael Mastrototaro<br />

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39<br />

Zwei Zustände in ein und demselben Wesen, Wolfgang Horwath. Foto: OHO-Archiv


Bücherturm der Künstlergruppe Cenkovej deti aus Bratislava. Foto: OHO-Archiv


zone 38; mit der Ausstellung Von Besen und Bürsten wurde an die Oberwarter Juden erinnert, die laut Zeitzeugen unmittelbar nach<br />

dem Anschluss den Gehsteig vor dem Stadtpark mit Zahnbürsten säubern mussten. Foto: Eveline Rabold<br />

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10 Jahre nach dem Attentat von Oberwart, Originalbestandteile der Rohrbombe, die vier junge Männer das Leben kostete;<br />

Ausstellungsgestaltung: Andreas Lehner. Foto: Peter Wagner


Aktion Zigeunerdenkmal, 1980 errichtet, noch in der ersten Nacht geschändet, Text der Inschrift: Peter Wagner,<br />

Denkmalentwurf: Joseph Schneller. Foto: OHO-Archiv<br />

43


Ein Haus in der Mitte der Stadt.<br />

Oder: „What the hell do you do in Oberwart?”<br />

Zu Beginn dieser Erzählung braucht es eine Geistesautofahrt durch die Bezirkshauptstadt<br />

Oberwart im Südburgenland: die zweisprachige Ortstafel passieren (ungarisch:<br />

Felsöör); die masochistisch „Wiener Straße“ genannte Hauptstraße entlang fahren;<br />

Kriegerdenkmal; an der Ampel nicht in Richtung aufgelassener Bahnhof, sondern links<br />

abbiegen, vorbei an den protestantischen Kirchen A. B. und H. B., AMS, Chinalokal,<br />

Altersheim, Schönheitssalon „Ewige Jugend“; am Stadtrand dem Parkplatz des neuen<br />

Riesen-Einkaufszentrums eine Gummiradierung einschreiben; in einer Schleife zu der<br />

kleinen Romasiedlung außerhalb der Stadt; ein Gedenkstein <strong>für</strong> die vier Ermordeten von<br />

1995; vorbei am Krankenhaus, dem die Romasiedlung nach weiter draußen weichen<br />

musste; vorbei an Messezentrum, Kebabkabause, Busparkplatz und eingebogen in die<br />

Lisztgasse. Dort, auf Nummer 12, steht das OHO, das Offene Haus Oberwart – ein<br />

Gebäude mit Geschichte, ein Haus als Motor der Kunst.<br />

Die burgenländische BEGAS hat in einem schlichten Haus, das vor langer Zeit<br />

als Tanzsaal fungiert haben mag, Rohre gelagert (man hört, auch die NSDAP habe<br />

den Saal seinerzeit genutzt, was wiederum die nachfolgende Geschichte des Hauses<br />

wie eine Dämonenaustreibung wirken lässt), als im Sommer 1980 eine Gruppe<br />

junger Leute eine Veranstaltungsreihe namens ausnahmsweise oberwart auf die Beine<br />

stellt. Die Gruppe nennt sich lustvoll Ohrwaschelschluifa; Ex-Mitglieder werden später<br />

Volksanwältin (Terezija Stoisits), ORF-Redakteur (Erich Schneller), Historiker (Gerhard<br />

Baumgartner) oder Vorreiterin der Integrationsidee in den burgenländischen Schulen<br />

(Brigitte Leimstättner).<br />

Schlägt man den Flyer auf, hofft man – übersättigt von Handyupdates, Hollywood<br />

und Strategien, dem Individuum die Kontrolle direkt ins Ich einzupflanzen – auf<br />

der Geistesautofahrt tatsächlich im Juni 1980 angekommen zu sein: Die Schwerpunkte<br />

wie etwa „frau im burgenland“, „behindert sein“, „drogen brauchen“ werden wie selbstverständlich<br />

begleitet von Kinderspielaktionen und einem Liedermacherfest. Nota bene:<br />

das „zigeunerdenkmal“, das gleich zu Beginn der Aktionswoche im Stadtpark installiert<br />

wird, um an die im Holocaust verschleppten MitbürgerInnen zu erinnern, ist gleich tags<br />

darauf mit weißer Farbe übergossen. Am Ende dieser Woche steht keck die Gründung<br />

eines Vereins „jugendhaus oberwart“, im Impressum ein Name: Peter Wagner.<br />

Schon im Herbst geht es los. Die BEGAS-Lagerstätte wird in ein Jugendhaus verwandelt,<br />

in ein offenes Wohnzimmer. Es gibt sozialarbeiterische Betreuung; mit den


Kleinen wird die Hausübung durchgekaut, manche der Älteren formieren sich zu Bands<br />

und artikulieren über den Umweg der Musik das massive Missverständnis mit der Elterngeneration.<br />

Dementsprechend schnell hat man unter den Anständigen den Ruf einer<br />

„Haschbude“ – im Übrigen ein Fehleindruck.<br />

Mit im Boot sind etwa Arno Truger, die spätere Nationalratsabgeordnete Evelyne<br />

Messner, die Lehrerin Ulrike Hölzl, die Schulpsychologin Waltraud Schleichert, die Betreuerin<br />

Renate Holpfer, später Geschäftsführerin von „Frauen <strong>für</strong> Frauen Oberwart“.<br />

Es wird Wert darauf gelegt, dass die Jugendlichen Eigenverantwortung übernehmen,<br />

von der Gestaltung von Haus und Programm bis zur Öffentlichkeitsarbeit. Lies nach im<br />

Joseph, der hauseigenen Zeitung.<br />

Schnitt. Um 1988 werden die Förderungen eingestellt, das Jugendhaus steht vor<br />

dem Ende. Da taucht ein Arbeitsmarktbetreuer mit einem Konzept auf: Horst Horvath<br />

heißt er, er hat politische Erfahrung, ist Mitbegründer des burgenländischen Antifa-<br />

Komitees, die Arbeit mit Minderheiten liegt ihm am Herzen.<br />

Das Konzept ist griffig: Im Rahmen eines Renovierungskurses, eines Projekts <strong>für</strong><br />

Arbeitslose, wird das Haus auf Vordermann gebracht, im wahrsten Wortsinn. „Ein anderer<br />

Führungsstil“, sagen die Jugendhäusler. Zuerst ist eine „Cafégalerie“ fertig, es wird<br />

angedacht, die Freizeiträume, sobald sie erneuert sind, zu vermieten. Horst Horvath,<br />

heißt es von manchen, ist rund um die Uhr im OHO. Er tut einfach. Er treibt Geld auf.<br />

Und Peter Wagner schreibt und inszeniert Stück um Stück – Anfang der Neunzigerjahre<br />

bis zu fünf im Jahr, zum Beispiel Lafnitz oder Burgenland, eine Farce. Der Balkankrieg<br />

bricht aus – das OHO produziert 1993 Tanz im Spinnennetz nach Texten des bosnischen<br />

Poeten Kemal Mahmutefendi ć , der nach seiner Flucht in Güssing lebt. 1996<br />

gastiert eine OHO-Produktion, Wolfgang Kubizeks Oper Monolog mit einem Schatten,<br />

im Konzerthaus Wien. Horst Horvath ermöglicht all das wesentlich.<br />

Es ist wohl eine eigenartige Synthese – der Umstände, der Personen und ihrer Talente,<br />

der Zeit. Das Haus wandelt sich weg von einem Jugend- hin zu einem Kunsthaus;<br />

Wolfgang Horwath stellt aus, Andreas Lehner verändert das Bild der OberwarterInnen<br />

von ihrer Stadt nachhaltig, indem er mit einigen hundert Schneestöcken neue Räume absteckt<br />

– zum Beispiel die zukünftigen Schanigärten. Alle arbeiten auf Hochdruck. Aber<br />

mit der Wandlung des Hauses – vor allem mit dem groß angelegten Umbau – kommt es<br />

zu Interessenskonflikten, was die Zukunft betrifft.<br />

Horst Horvath wünscht sich unter anderem ein Haus, das verschiedensten Vereinen<br />

ein Obdach bietet – etwa dem jungen Verein Roma Oberwart, dessen Gründung er<br />

begleitet hat – und hält den Wunsch nach einem/einer künstlerischen GeschäftsführerIn<br />

<strong>für</strong> Utopie. Andere fühlen sich ausgeklammert, weil die Dichte an Projekten <strong>für</strong> niemanden<br />

von außen Platz bietet. Einige fühlen sich ausgenutzt. Für die Kunstschaffenden ist<br />

der Wandel vom Jugend- zum Kunsthaus auch mit der schmerzhaften Erkenntnis verbunden,<br />

dass im Kampf um die Verwirklichung von Ideen und Projekten hierarchische<br />

Strukturen manchmal notwendig sind. Alle diese Komponenten sorgen <strong>für</strong> einiges an<br />

Konfliktpotential – ändern aber nichts daran, dass man gemeinsam um das Gleiche<br />

kämpft. 1995 geht die Bombe von Oberwart hoch. Vier Männer werden in den Tod gerissen.<br />

Lange bevor ein Kärntner Landeshauptmann von internen Fehden sprechen kann,<br />

hat das Team des OHO, das gerade die Uraufführung von Peter Wagners Rechnitz-<br />

45


Katharina Tiwald thematisiert die katholische Liturgie in Messe <strong>für</strong> Eine, OHO-Eigenproduktion 2007, Regie: Peter Wagner.<br />

Foto: Eveline Rabold


Stück März, der 24. vorbereitet, einen schwarzen Theatervorhang zerrissen und um die<br />

Ortstafeln Trauerflore gehängt: am Abend nach dem Attentat.<br />

Und doch. 1997 ist der Neubau des Saals abgeschlossen, es gibt eine Galerie,<br />

es gibt vor allem den Theatersaal. Das Haus ruft danach, mit Neuem befüllt zu werden.<br />

Es kommt zu einem Bruch.<br />

Die beiden folgenden Perioden von Geschäftsführung sind ambivalent. Michael<br />

Muhr gelingt ein großer Wurf mit der Inszenierung von Elfriede Jelineks Stecken, Stab<br />

und Stangl durch Angelika Messner. Im gleichen Jahr, 2000, produziert das Haus Gerhard<br />

Altmanns Stück Unterflächen und bringt damit einen burgenländischen Theatertext<br />

auf die Bühne. Insgesamt setzen sowohl Michael Muhr als auch seine Nachfolgerin<br />

Maria Stadlmann, die mit ihrem Fokus auf bildender Kunst beim Vorstand punkten kann,<br />

jedoch auf eine Strategie, die sich als falsch erweisen wird. Dem Populären soll Raum<br />

gegeben werden, man setzt auf teure Acts großer Namen, die aber vor leerem Haus<br />

auftreten. Die Rechnung, aus einer Nische ins große Licht zu treten, geht nicht auf. Das<br />

Haus hat sich diese Nische der vermeintlichen „Randthemen“, aufgearbeitet mit hohem<br />

künstlerischen Anspruch, erobert; es scheint so, als würde das Publikum dem OHO das<br />

„andere“, das ohnehin anderswo zur Genüge gezeigt wird, nicht abnehmen. Im Team<br />

regt sich bald Unmut. Die finanzielle Situation wird immer bedrohlicher. Und unter enormer<br />

Anstrengung, mit verhandlerischem Geschick und Tatendrang gelingt 2004 eine<br />

Einigung mit der Bank und ein Neustart mit Eveline Rabold als Obfrau, Alfred Masal als<br />

Geschäftsführer sowie Hans Panner und Christian Krutzler im Vorstand.<br />

Der Impetus bleibt derselbe: regionale Themen aufgreifen, die überregionale<br />

Strahlkraft haben. Geistige und künstlerische Arbeit auf höchstem Niveau leisten. Gesellschaftliche<br />

Ungerechtigkeiten benennen und eingreifen, wie man eben eingreifen kann.<br />

Allianzen suchen mit den Engagierten aus dem nahen und nicht so nahen Umfeld.<br />

2005 jährt sich das Attentat auf die Romasiedlung zum zehnten Mal: Das OHO-<br />

Team stellt ein zweiwöchiges Festival der Romakultur zusammen, das unter dem Titel<br />

Amen dschijas – Wir leben zwei Wochen lang Ausstellungen, Filmprojekte, Diskussionen<br />

und Theaterstücke zeigt. Clemens Bergers Gatsch ist darunter und Stefan Horvaths<br />

Begegnung eines Engels mit einem Zigeuner. Horvath, der Vater eines der Toten von<br />

1995, hat nach dem Attentat zu schreiben begonnen und ist als Mittler und Zeitzeuge<br />

einer neuen Aufgabe zugewachsen. In seiner fast phantasmagorisch zu nennenden<br />

47


Textsammlung Katzenstreu schlüpft er in die Haut des Täters – nach Besuchen bei Franz<br />

Fuchs und auch bei dessen Eltern. Das Buch erscheint als sein zweites 2006 in der<br />

edition lex liszt 12, im ehemaligen Verlag des OHO, den seit 1997 Horst Horvath<br />

führt. Auch Clemens Berger hat hier debütiert und Oberwarter Verhältnisse thematisiert.<br />

Peter Wagner ist in diesen Zusammenhängen Nachfrager, Ertaster, Ermöglicher. Und<br />

Regisseur.<br />

Während eine starke Schar von Künstlerinnen und Künstlern mit ihren Werken<br />

die Galerie aufleben lässt – über die Jahre sind das etwa Max Milo, Igor Skalé, Bernhard<br />

Dorner, Doris Dittrich, Marina Horvath, Franz Gyolcs, Henryk Mossler und viele<br />

andere – und in speziellen Veranstaltungen junge Kunst präsentiert wird, tut sich auch<br />

auf der Bühne einiges. Ab 2006, mit der Uraufführung von Dorf.Interrupted (K. Tiwald)<br />

in Wagners Regie, kehrt das OHO zurück zu einer Praxis, die dem dramatischen Furor<br />

der frühen Neunzigerjahre nahe kommt: Ziel ist es, jährlich eine Uraufführung zu zeigen<br />

– mit allem Aufwand, der damit verbunden ist, nicht zuletzt der Finanzierung und des<br />

Engagements aller Beteiligten, die teilweise an und über die Grenze ihrer Belastbarkeit<br />

gehen. 2007 schließt das Haus mit dem Theatermonolog Messe <strong>für</strong> Eine (K. Tiwald)<br />

an, der im Kosmostheater Wien gastiert. Stargast des Jahres ist der französische Literat<br />

und Theoretiker Camille de Toledo, der vor vollem Haus mit dem Jugendkulturforscher<br />

Philipp Ikrath über das Leben in virtuellen Welten diskutiert, begleitet von der von Alfred<br />

Masal konzipierten Ausstellung first life, second life, in der Veränderungsprozesse aus<br />

der materiellen Welt in die virtuelle übertragen werden.<br />

Im Lauf der nächsten Jahre kristallisiert sich heraus, dass die Theaterarbeiten im<br />

besten Fall Synergien mit Geschwisterprojekten eingehen. Gleichsam organisch entwickeln<br />

sich mehrere Schwerpunkte, die sich als Fixstarter (und Fixsterne) im Jahresprogramm<br />

etablieren: Liz King, ehemalige Ballettchefin der Wiener Volksoper, gründet in<br />

Pinkafeld D.ID-Dance Identity; bereits 2006 zeigt sie im OHO mit Straight Fiction die<br />

erste Uraufführung im Bereich des zeitgenössischen Tanzes. Auf dieser Basis entwickelt<br />

Alfred Masal die Idee jährlich wiederkehrender Tanztage, die von D.ID kuratiert werden.<br />

Der Filmemacher Reinhard Jud konzipiert auf Einladung des Hauses Filmtage, die im Lauf<br />

der Jahre mit Drehbuchworkshops, Podiumsdiskussionen und Ausstellungen angereichert<br />

werden; dazu kooperiert das Haus mit der Kreativwirtschaft Burgenland. Die seit 2007<br />

stattfindende Buchwoche bringt Literatur mittels Diskussionsformaten ins Gespräch und<br />

Größen wie Wendelin Schmidt-Dengler, Marlene Streeruwitz und Peter Esterházy ins<br />

Haus; vormittags ist der Saal voll, wenn Schulklassen zu Lesungen kommen.


Der Fluss – Die Lieder der Lebenden, die Lieder der Toten – Orphischer Theateressay in sechs gesungenen Sprachen, OHO-Eigenproduktion<br />

<strong>2013</strong>, Stück und Regie: Peter Wagner, Musik und Musikarrangement: Ferry Janoska. Foto: Peter Wagner<br />

49


Diese Formate sorgen <strong>für</strong> die Verflechtung von Diskursen. Das zeigt sich etwa an<br />

zone38, dem Schwerpunkt zum Gedenkjahr 2008. Das Haus organisiert einen Reigen<br />

gewaltiger Aktionen. Die Historikerin Ursula Mindler forscht zur jüdischen Vergangenheit<br />

Oberwarts; ihre Arbeiten münden in eine große Rauminstallation im Rathaussaal,<br />

die BesucherInnen der Ausstellung bewegen sich durch das Oberwart von 1938. Ein<br />

Orchesterkonzert mit Stücken von Wolfgang Kubizek, Kamil Polak und Tzvi Avni, dem<br />

Präsidenten der israelischen KomponistInnenvereinigung, geht über die Bühne und wird<br />

aufgezeichnet. Dazu kommt Peter Wagners Landschaftsinstallation Pflöcke – 70 einfache,<br />

schwarze Pflöcke längs der Bundesstraße beim „Anschlussdenkmal“ Oberschützen<br />

(nachts werden sie wiederholt ausgerissen und gestohlen). zone38 endet in der Silvesternacht<br />

mit der Uraufführung von Clemens Bergers Und Jetzt: Ein junges Paar bezieht<br />

in der Gegenwart eine möglicherweise arisierte Wohnung in Oberwart; erstmals ist ein<br />

Tanzensemble mit auf der Bühne, es stellt die Zeitebene von 1938 dar.<br />

2009 erwächst aus einer Erzählung über einen fiktiven Aufenthalt Joseph Haydns<br />

in der Wart (K. Tiwald) ein Hörbuch, ein Konzert zeitgenössischer Musik – mit dem<br />

glorreichen Auftritt eines Max-Brand-Synthesizers, gespielt von Elisabeth Schimana – ,<br />

eine Ausstellung im öffentlichen Raum und ein Film. 2010 sieht die Uraufführung von<br />

Reinhold Stumpfs Provinzsatire Kamping, begleitend zum Jahresschwerpunkt Dunkelschwarz<br />

– eine Auseinandersetzung mit Fremd- und Selbstbildern in Bezug auf den<br />

Kontinent Afrika, anlässlich der Fußball-WM in Südafrika. 2011, das burgenlandweit<br />

begangene Liszt-Jahr, wird im OHO mit der Uraufführung von Das Cosima Panorama<br />

(K. Tiwald) begangen: Die Geschichte der Liszt-Tochter Cosima Wagner wird mit Interviews<br />

mit heutigen Frauen verwoben, die ihre Beziehung zu sich, zu Männern, zur Kunst<br />

und insbesondere zu kunstschaffenden Männern schildern.<br />

2012 thematisiert das OHO die Abwanderung vieler Geschäfte in das Einkaufszentrum<br />

am Stadtrand; leer stehende Lokalitäten werden mit Gesprächen und Kunst<br />

gefüllt.<br />

<strong>2013</strong> beschäftigt sich ein großes Team unter Leitung Peter Wagners mit den sechs<br />

Friedhöfen der Stadt. Beispielbiografien – aufbereitet in einer bildgewaltigen Ausstellung<br />

im Stadtpark, in Buchform und als Radiofeature (Nikolai Friedrich) – entwerfen<br />

ein großes Panorama der Stadt im Lauf der Zeiten, bringen die religiösen und kriegerischen<br />

Zwistigkeiten zur Sprache, verweisen auf die reale Möglichkeit des Friedens. Die<br />

Veranstaltungsreihe findet ausgesprochen großen Anklang in der Stadt und mündet in<br />

Peter Wagners Theateressay Der Fluss, der einen von Ferry Janoska zeitgenössisch arrangierten<br />

Liederreigen aus dem Burgenland zeigt, vom ungarischen Trinklied über das<br />

kroatische Totengedenken bis zur rabbinischen Komposition aus Lackenbach.


Knapp vor dem Gastspiel des Flusses im Konzertsaal der Wiener Sängerknaben<br />

liegt die Deadline <strong>für</strong> den Essay, den Sie gerade gelesen haben; es ist ein offener Essay,<br />

der – eigentlich – gar kein Ende haben kann, betrachtet man die junge Generation im<br />

OHO: Georg Müllner, Musiker und Künstler, arbeitet als Techniker; Miriam Herlicska<br />

ist Vorstandsmitglied; Georg Gossi kocht wie ein junger Gott in der Bar; viele junge<br />

KünstlerInnen machen ihre ersten Schritte in der Galerie des Hauses. Das Geistesauto<br />

flitzt in eine kraftvolle Zukunft!<br />

Katharina Tiwald<br />

Katharina Tiwald, geboren 1979 in Wiener Neustadt, lebt in Wien und im Burgenland, Studium Linguistik<br />

und Russisch in Wien, Sankt Petersburg und Glasgow. Sie arbeitet als freie Schriftstellerin und als Lehrbeauftragte<br />

am Institut <strong>für</strong> Slawistik der Universität Wien; zuletzt erschien ihr Roman Die Wahrheit ist ein Heer<br />

(Styria Verlag, 2012).


<strong>Österreichischer</strong> <strong>Kunstpreis</strong> <strong>2013</strong> – Künstlerische Fotografie<br />

INÉS LOMBARDI<br />

Geboren 1958 in São Paulo, lebt und arbeitet in Wien, 1978 bis 1980 Studium an<br />

der Kunstakademie São Paulo und 1980 bis 1986 an der damaligen Hochschule <strong>für</strong><br />

angewandte Kunst in Wien bei Maria Lassnig, 1979/80 Studienaufenthalt in London.


53<br />

Venice Romance, 1995; Katalog On Board, Venice, 1995; Courtesy Georg Kargl Fine Arts Wien


Einzelausstellungen (Auswahl)<br />

2011 Past Present – Close and Distant, Secession Wien<br />

2006 Given_277“, CCE Centro Cultural de España, Montevideo; Inés Lombardi:<br />

Given, Galerie Cora Hölzl, Düsseldorf<br />

2005 Overlapping Matters, Forum Maison Hermès, Tokio<br />

2002 an approximation, Georg Kargl Fine Arts, Wien; Given – 25 frames/sec,<br />

Galerie Fotohof, Salzburg<br />

1997 Komatsu Art Space, Tokio<br />

1995 Inés Lombardi, Museum Moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien/Palais<br />

Liechtenstein, Wien<br />

1994 Galerie Karin Schorm, Vienna<br />

1993 Galerie Cora Hölzl, Düsseldorf<br />

1992 Neue Galerie am Landesmuseum Joanneum, Studio, Graz<br />

1991 Galerie Karin Schorm, Wien<br />

1988 Galerie Amer, Wien<br />

Gruppenausstellungen (Auswahl)<br />

<strong>2013</strong> Von oben her betrachtet. Dächer & Dachlandschaften von Egon Schiele<br />

bis Alfons Walde, von Inés Lombardi bis Gerhard Richter, Museum Kitzbühel;<br />

Four Houses, Some Buildings and Other Spaces, New York Universities at 80<br />

WSE gallery, New York<br />

2012 Die Nacht im Zwielicht, Unteres Belvedere und Orangerie, Wien<br />

2011 Der weibliche Blick, Fotoraum, Wien; Cities On The River, Slovak Union of<br />

Visual Art, Bratislava; MKM Magacin and Austrijski Kulturni Forum, Belgrad;<br />

Cultural Center of Novi Sad<br />

2010 Cities On The River, Municipal Museum of Art, Györ<br />

2008 Rückblende, Neue Galerie Graz<br />

2007 Terra Infirma, Pratt Institute Gallery, New York; Unsere Natur liegt in der<br />

Bewegung, Kunstforum Montafon, Schruns<br />

2006 simultan, Fotomuseum Winterthur; Landscape in your mind, Austrian Cultural<br />

Forum, New York<br />

2005 Simultan, Museum der Moderne, Salzburg; Nach Rokytník – Die Sammlung<br />

der EVN, MUMOK Museum Moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien;<br />

Terra Infirma, EACC, Espai d’art contemporani de Castelló; Good Timing,<br />

Georg Kargl Fine Arts, Wien; Die Ordnung der Natur, OK Centrum <strong>für</strong> Gegenwartskunst,<br />

Linz/Museum Moderner Kunst – Stiftung Wörlen, Passau<br />

2004 From Above, Georg Kargl Fine Arts, Wien; Vienna Coffee Table, Galerie<br />

Bernhard Knaus, Mannheim<br />

2003 Spiel & Denkmaterial <strong>für</strong> eine Museumssammlung, Wien Museum; Ordnung &<br />

Chaos, Fotomuseum Winterthur; Mimosen, Rosen, Herbstzeitlosen, Kunsthalle<br />

Krems; The Boatshow, Wynick/Tuck Gallery, Toronto; Zugluft, Kunst aus Wien,<br />

Kunst Zürich 2003; Transfer Wien, Sammlung Falckenberg/PhoenixArt, Phoenix<br />

– Fabrikshalle, Hamburg; Re-Production 2, Georg Kargl Fine Arts, Wien<br />

2002 Collector’s Choice, Internationale Kunst seit 1950. Sammlung Ploil, eine<br />

Auswahl, Neue Galerie am Landesmuseum Joanneum, Graz<br />

2001 Diesseits und Jenseits des Traums – 100 Jahre Jacques Lacan, Sigmund Freud<br />

Museum, Wien; Zusammenhänge im Biotop Kunst, Kunsthaus Muerz,<br />

Mürzzuschlag; Museum as Subject, The National Museum of Art, Osaka


2000 There is something you should know – Die EVN Sammlung, Österreichische<br />

Galerie im Oberen Belvedere, Wien<br />

1999 Prepared, Georg Kargl Fine Arts, Wien; Weg aus dem Bild, Georg Kargl Fine<br />

Arts, Wien<br />

1998 Notas al Margen, Corporacion Balmaceda 1215, Santiago; Die österreichische<br />

Vision – Positionen der Gegenwartskunst/The Austrian Vision/A Visão<br />

Austríaca – La Visión Austríaca, Denver Art Museum, Denver und Fundaçao<br />

Calouste Gulbenkian, Lissabon; Spatiale Malerei, Galerie Grita Insam, Wien<br />

1997 Purple and Green, Pretoria Art Museum; Petersburger Hängung, Galerie Cora<br />

Hölzl, Düsseldorf<br />

1996 23. Biennale São Paulo; White Cube/Black Box, Skulpturensammlung, Video,<br />

Installation, Film, Generali Foundation, Wien<br />

1995 Skizzen, Modelle, Notizen, Raum Aktueller Kunst, Wien; On Board, Venedig<br />

1994 Lokalzeit – Wiener Material im Spiegel des Unbehagens, Raum Strohal, Wien;<br />

Moderna Galerija, Ljubljana<br />

1993 Spiel ohne Grenzen, Museum Ludwig, Budapest; Ideas, Imagenes, Identidades,<br />

Centro Cultural Tecla Sala, Barcelona<br />

1992 Surface Radicale, Grand Palais, Paris; Frontiera 1 92, Bolzano<br />

1991 Refleksy, Zachę<br />

ta Narodowa Galeria Sztuki, Warschau; Vom Verschwinden<br />

der Dinge aus der Fotografie, Museum Moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien,<br />

Palais Liechtenstein, Wien; Galerie Martina Detterer, Frankfurt/Main<br />

1990 VIII. International Small-Scale Sculpture Triennial, Mücsarnok, Budapest; Licht,<br />

Galerie Griess, Steirischer Herbst, Graz<br />

1989 Moskau – Wien – New York, Messepalast, Wien; Junge Szene Wien,<br />

Secession, Wien; Zeichnungen als Einsiedler, Galerie REM, Wien<br />

1988 Mit Blick voraus, Steirischer Herbst, Künstlerhaus, Graz<br />

Kunst im öffentlichen Raum (Auswahl)<br />

2009 Garten mit Brunnen, Zimmermannplatz, 1090 Wien, geladener Wettbewerb,<br />

KÖR – Kunst im öffentlichen Raum Wien; Platzgestaltung Gemeindeamt,<br />

Pöggstall, geladener Wettbewerb zur Neugestaltung des Platzes vor dem<br />

Gemeindeamt in Pöggstall (nicht realisiert)<br />

1990 Rathaus Langenlois, künstlerische Intervention im Rathaus von Langenlois<br />

1991 Stätte der Muße, Unterbergergasse 1, 1200 Wien, geladener Wettbewerb <strong>für</strong><br />

eine künstlerische Ausgestaltung des Bauvorhabens Allgemeine Höhere Schule<br />

des Bundes (Brigittenauer Gymnasium)<br />

55


57<br />

Ausstellungsansicht: Galerie Karin Schorm, Wien 1994, Courtesy Georg Kargl Fine Arts Wien


Ausstellungsansicht: Museum Moderner Kunst Palais Liechtenstein, Wien 1995, Courtesy Georg Kargl Fine Arts Wien


59<br />

Ausstellungsansicht: 23. Bienal internacional de São Paulo, São Paulo 1996; Courtesy Georg Kargl Fine Arts Wien


Untitled, 1996, Offsetdruck, 4-teilig, je 89 x 61 cm, gerahmt, ed. 10; Courtesy Georg Kargl Fine Arts Wien


61<br />

Katalog 23. Bienal internacional de São Paulo, São Paulo 1996; Courtesy Georg Kargl Fine Arts Wien


Given # 7, 2000/2002, Farbfotografie, 142,6 x 156,5 cm, gerahmt, ed. 3


63<br />

Given # 21, 2000/2002, Farbfotografie, 142,5 x 247,5 cm, gerahmt, ed. 3; Courtesy Georg Kargl Fine Arts Wien


Lina Bo Bardi, Museu de Arte de São Paulo, 1968, Sammlungspräsentation


Overlapping Matters, 2005, Videoinstallation mit 16 Monitoren, Pal, Audio, Schwarz-Weiß, Farbe, 16’22’’, looped, Größe variabel;<br />

Ausstellungsansicht: Forum Hermès, Tokio 2005; Courtesy Georg Kargl Fine Arts Wien<br />

65


Dialogue, <strong>2013</strong>, Hardcover, 108 Seiten, 29,7 x 21 x 1,2 cm, ed. 10; Courtesy Georg Kargl Fine Arts Wien


67<br />

Ausstellungsansicht: Past Present – Close and Distant, Secession, Wien 2011; Courtesy Georg Kargl Fine Arts Wien


Inés Lombardi Travelogue<br />

„Wenn Mrs. Dalloway abbildet, was um sie ist, ist sie nicht alleine. Die Schatten repräsentieren<br />

die Umrisse der Bäume, die Streifen im Sand repräsentieren den Wind und<br />

natürlich repräsentiert die Wasseroberfläche das Ufer. Sie ist Repräsentator in der Welt<br />

der Repräsentationen. Wenn sie etwas abbildet, repräsentiert sie Repräsentationen und<br />

andere Repräsentationen repräsentieren sie. Ist sie nicht selbst auf der Wasseroberfläche<br />

sichtbar, wenn sie das Ufer fotografiert? Ist ihr eigener Körper ausgenommen davon<br />

Schatten auf das Wasser zu werfen?“<br />

Martin Guttmann 1<br />

Inés Lombardi arbeitet mit der Fotografie als konzeptuellem Medium, um sowohl dessen<br />

eigene Bedingungen zu untersuchen als auch die Bedingungen von Wahrnehmung,<br />

Präsentation und Repräsentation des Kunstwerks selbst. Lombardi nimmt die strukturellen<br />

Vorgaben der Fotografie auf, um über die Kategorien von Nähe und Distanz sowie von<br />

Gegenwart und Vergangenheit zu reflektieren. In immer wieder variierten Formen inszeniert<br />

und re-inszeniert sie die Relationen zwischen Objekt und Abbild, zwischen Kunstwerk<br />

und Ausstellungort sowie jenes zwischen Kunstwerk und Betrachter und macht<br />

damit implizit die strukturellen Prämissen dieser Beziehungen zum künstlerischen Thema,<br />

in das sie schlüssigerweise auch die Konzeption und Funktion des Katalogs und anderer<br />

Druckwerke mit einbezieht. „Das Verfahren dockt an der Konzeptkunst der 60er und<br />

70er Jahre an und ergibt eine Staffelung und Schichtung von Bild und Umraum, setzt<br />

beides in Bezug und stellt Verhältnisse her zwischen dem, was innerhalb und dem, was<br />

außerhalb der Kunst ist. Die Tautologie der Arbeit – ein Sachverhalt wird immer neu<br />

getextet – erlaubt frühere Werke in anderen Konstellationen vorzuführen, um neue Bedeutungen<br />

zu formulieren“, schreibt Brigitte Huck im Katalog, der anlässlich Lombardis<br />

Teilnahme an der Biennale von São Paulo 1996 erschien. 2<br />

Die Stringenz von Lombardis Auseinandersetzung mit der Fotografie lässt sich<br />

über zweieinhalb Jahrzehnte zurückverfolgen, als sie Ende der 1980er-Jahre Atelieraufnahmen<br />

ihrer Skulpturen gleichwertig neben den „Originalen“ präsentierte und in<br />

weiterer Konsequenz auch Fotografien ihrer Ausstellungen zum Teil ihrer Kunst machte.<br />

Nicht weniger ging es ihr aber auch darum, den Außenraum aufzunehmen, den urbanen<br />

gleichermaßen wie den landschaftlichen. In den schleifenartigen, subtilen Erweiterungen,<br />

Neustrukturierungen und Repetitionen ihrer Bilder zieht Lombardi immer wieder<br />

neue Ebenen der Distanzierung ein, deren raum-zeitliche Dimension jeweils auch eine


psychologisch-emotionale miteinschließt. Im Fragment, in der bewussten Beschränkung,<br />

die Lombardi mittels der Fotografie vorführt, manifestiert sich jedoch immer auch das<br />

Sentiment, der Aspekt der Erinnerung, nicht zuletzt das Gefühl des Verlusts. Im Jahr<br />

2000 unternahm Inés Lombardi ein Kunstprojekt, das sie <strong>für</strong> einen längeren Zeitraum<br />

in Anspruch nahm, eine Schiffsreise auf einem Frachter von der Rheinmündung flussaufwärts<br />

über den Main zur Donau, die sie dann bis zur Mündung in das Schwarze Meer<br />

hinabfuhr, um die gesamte Fahrt hindurch zu fotografieren und zu filmen. Der fotografische<br />

und filmische Prozess verschränkt sich hier intentional mit einem anderen, dem des<br />

fließenden Gewässers, dessen eigener Bewegung in Raum und Zeit. Das Projekt kann<br />

paradigmatisch <strong>für</strong> das konzeptuelle Denken und künstlerische Arbeiten von Lombardi<br />

gesehen werden. Wenn der Künstler Martin Guttmann sie in seinem Text zu dieser<br />

Flussreise „Mrs. Dalloway“ nennt, die Titelheldin des Romans von Virginia Woolf 3 , dann<br />

bringt er ein wichtiges Moment ins Spiel, das Lombardis Arbeit mit der Struktur von<br />

Woolfs Roman verbindet, dessen Modernität darin liegt, dass „Gegenwart und Erinnerung,<br />

Reales und Imaginäres, Stimmungen, Eindrücke und äußere Geschehnisse“ […]<br />

„sich in gleitenden Überblendungen miteinander verweben“. 4 Das fließende Gewässer,<br />

auf dem Lombardi unterwegs ist, wird zum vielschichtig experimentellen Ort – Martin<br />

Guttmann spricht von der „dunkelgrünen Emulsion des Flusses“ 5 – und zugleich auch zur<br />

Metapher <strong>für</strong> jenen „stream of consciousness“, die Erzählform, in die Woolf ihre Figuren<br />

sich verfangen lässt. 6<br />

Lombardis Medium ist die Fotografie, was aber nicht ausschließt, dass die Sprache<br />

bei ihr eine wichtige Rolle spielt. So belässt sie ihre Arbeiten durchwegs ohne Titel,<br />

verweist jedoch bei Titeln ihrer Ausstellungen oder von ihr konzipierter Publikationen auf<br />

ihr methodisches Prinzip: GIVEN. Passages/Paragraphs heißt das 2004 erschienene<br />

Buch zu dem Fluss-Projekt; eine nachfolgende Ausstellung der komplex strukturierten<br />

Präsentation ihres auf der Flussreise gefilmten Videomaterials hat den Titel Overlapping<br />

Matters (2005), und Past Present – Close and Distant (2011) nannte sie ihre Ausstellung<br />

in der Wiener Secession, in der sie sich mit der Moderne Brasiliens beschäftigte. Lombardi<br />

präzisiert somit auch sprachlich, worum es in ihre Arbeit geht: Um Nähe und Ferne,<br />

sowohl räumlich als auch zeitlich, um eine – immer auch gegenläufige – Bewegung,<br />

in die sie innerhalb der jeweiligen spezifischen Ordnungen ihrer Bilder und Objekte<br />

im Ausstellungsraum auch den Betrachter mit einbezieht, ihn selbst in Bewegung setzt,<br />

mitunter auch arretiert, ohne ihm jedoch einen scheinbar gesicherten Ort und Zeitpunkt,<br />

einen Anfang oder ein Ende dieser „Passagen“ anzugeben.<br />

Bei ihrer umfassenden Ausstellung im Museum Moderner Kunst im Palais Liechtenstein,<br />

Wien 1995, die aus Fotografien und, konzeptuell gleichwertig, aus einem Katalog<br />

und einer speziellen Möblierung, vier Hocker und ein Tisch, bestand, fasste Lombardi in<br />

einer Art „Retrospektive“ ihre Arbeiten zusammen. Ausgestellt waren dreißig, in jeweiligen<br />

Gruppen von zwei bis sieben Bildern tableaumäßig zusammengesetzte Collagen<br />

auf Karton, alle in demselben Format. Ihrem Prinzip folgend zeigten die Fotos, aus acht<br />

verschiedenen Blickwinkeln aufgenommen, jene skulpturalen Objekte, die Lombardi<br />

teils selbst hergestellt, zum Teil auch vorgefunden hatte; dazu kamen – signifikant, aber<br />

ganz sparsam eingesetzt – Bildfragmente eines nackten weiblichen Körpers und in<br />

einem weiteren Schritt Fotos, die wiederum in ausgesuchten Perspektiven Ausschnitte<br />

69


ihrer Ausstellungen wiedergeben, oder auch Fotos eines Projekts, das sie im öffentlichen<br />

Raum realisiert hatte. Jan Avgikos streicht Lombardis reflexive Haltung gegenüber dem<br />

Medium Fotografie und den damit verknüpften Konditionen von Wahrnehmung heraus:<br />

„Wir treten in die Topologie des fotografischen Raums und die sich daraus bildende<br />

biegsame metaphorische Kette von Identitäten und Beziehungen ein. Mit dem Rückzug<br />

des klassischen Sujets stoßen wir an die heikle Grenze zwischen Wahrheit und<br />

Begehren auf die unausweichliche Verdrehtheit des Schwankens zwischen zwei Sujets.<br />

Die physische Stelle dieses Einhüllens und Entfaltens – der fotografische Gegenstand<br />

oder Träger an sich – bedeutet eine Bruchlinie zwischen dem ‚früheren Jenseitigen’<br />

des fotografischen Raums und dem, was man als ‚jetziges Diesseitiges‘ bezeichnen<br />

könnte. Wir können diese Bruchlinie auch als symbolisch gleichbedeutend mit dem<br />

Imaginären unseres mentalen Schemas und dem Realen des Körpers ansetzen.“ Avgikos<br />

macht zugleich eine wichtige Unterscheidung zur „autoritären Praxis“ der Konzeptkunst,<br />

z. B. Joseph Kosuths Art as Idea as Idea, indem sie auf die „expressiven Werte“ von<br />

Lombardis Arbeit hinweist, die zu eliminieren die Konzeptkunst <strong>für</strong> sich behauptet hatte:<br />

„Die kultivierten Werte der Hermetik, der Besessenheit und des Narzißmus höhlen jede<br />

vermeintliche Objektivität aus und stellen einen kreativen Mißbrauch oder eine kreative<br />

Kontamination der Pauschalablehnung des künstlerischen Ausdrucks der historischen<br />

Konzeptkunst dar.“ 7<br />

Lombardi steigerte die Komplexität ihres verschachtelnden Spiels mit den unterschiedlichen<br />

Ebenen der Repräsentation in ihrer Installation auf der Biennale São Paulo<br />

(1996), in der neben einer Reihe anderer Referenzobjekte Fotoaufnahmen und auch ein<br />

Modell ihrer Wiener Ausstellung zu sehen waren. Der als Künstlerbuch <strong>für</strong> São Paulo<br />

produzierte, durchwegs in der Farbe Rot gedruckte Katalog enthält ein weiteres Element<br />

ihrer Arbeit, Aufnahmen der Stadtlandschaft von São Paulo. Die diffusen, roten Bilder<br />

zeigen die Großstadt bei dem Einbruch der Dunkelheit, sodass das Flimmern der Lichter<br />

der eng gestaffelten Hochhäuser in den Lichterfluss des Straßenverkehrs übergeht.<br />

Die Logik eines sich ständig in Bewegung und Verschiebung befindlichen Terrains,<br />

in das Lombardi den Betrachter hineinzieht, trifft, wie bereits angesprochen, in besonderer<br />

Weise auf das Projekt der Reise am Fluss zu. In der postproduktiven Arbeit an dem<br />

fotografierten Material strukturiert Lombardi ihre Bilder zu Sequenzen und Tableaus, in<br />

denen wiederum unterschiedliche Blick- und Standpunkte jede scheinbare Stabilität vor<br />

dem Bild und ein mögliches raum-zeitliches Koordinatensystem unterlaufen.


71<br />

Untitled, 1995, Schwarz-Weiß Fotografien auf Karton, 46 x 64 cm, gerahmt; Courtesy Georg Kargl Fine Arts Wien


Besonders suggestiv ist dieser Effekt bei der Video-Installation Overlapping Matters<br />

(2005) 8 , bei der Lombardi das Filmmaterial ihrer Flussreise spezifisch aufbereitet<br />

hat. Die filmischen Sequenzen liefen im ständigen Wechsel auf sechzehn Monitoren,<br />

zum Teil in Farbe, zum kleineren Teil in schwarz/weiß. In Farbe kommt die Flusslandschaft<br />

ins Bild, die die Kamera auf dieser langen Fahrt registriert hatte; die schwarz/<br />

weißen Filmausschnitte hingegen sind äußerst reduziert, beschränken sich auf Wasseroberflächen,<br />

Uferzonen und dazwischen – unerwartet – wiederum im Ausschnitt das<br />

lange Haar der Künstlerin, dem Strom des Wassers nicht unähnlich, und als zweites<br />

Motiv ihre Augen, die auf sehr verhaltene Weise dem Betrachter seinen Blick zurück zu<br />

geben und zugleich zu verweigern scheinen; Lombardi inszeniert hier mit großer Eindringlichkeit<br />

jene „Polarisierung des inneren und äußeren Raums“, wie Patricia Grzonka<br />

schreibt, wo<strong>für</strong> nicht nur die Literatur sondern auch die Psychologie den Begriff des<br />

„Bewusstseinsstroms“ geprägt hat. 9 Und sie forcierte diesen Effekt noch durch die Ausrichtung<br />

der im gesamten Raum verteilten Monitore, durch die sich der Betrachter seinen<br />

Weg und Blickwinkel selbst suchen musste. Ein Modell <strong>für</strong> diese Anordnung bildete <strong>für</strong><br />

Lombardi das von der Architektin Lina Bo Bardi entwickelte unkonventionelle System die<br />

Bilder frei in den Raum zu hängen, das diese entwickelt hatte und das auch in dem von<br />

ihr 1968 erbauten MASP/Museu de Arte de São Paulo umgesetzt wurde.<br />

In ihrer letzten großen Ausstellung Past Present – Close and Distant in der Secession<br />

(2011) beschäftigt sich Lombardi mit Meisterwerken der brasilianischen Moderne,<br />

den Gärten des Gartenarchitekten und Malers Roberto Burle Marx und der Architektur<br />

von Rino Levi.<br />

In groß dimensionierten Fotos zeigt sie die ersten Ergebnisse eines mehrteilig angelegten<br />

Reiseprojekts, in dem sie sich mit der beziehungsreichen Geschichte Brasiliens,<br />

die auch ihre eigene mitbestimmt, auseinandersetzt. In Kapitel 1 dieser Reise besucht<br />

sie zwei Orte, die heute vom Verfall und vom Überwuchern bedroht sind: Die von Burle<br />

Marx gestalteten Gartenanlagen <strong>für</strong> die Residência Olivo Gomes, São José dos Campos,<br />

mit einer von Rino Levi errichteten Villa (1949–51) sowie <strong>für</strong> die Fazenda Vargem<br />

Grande, Areias (1979), eine Kaffeefarm aus dem 17. Jahrhundert, wobei Lombardi<br />

hier auch deren Bezug zur umgebenden Landschaft zum fotografischen Thema macht.<br />

In der Ausstellungsinstallation erschafft sie <strong>für</strong> diesen einzigartigen Kunstkontext einen<br />

konzeptuellen Rahmen, in dem Raumkonstruktion und fotografische Rekonstruktion eine<br />

verdichtete Annäherung an die faszinierende, heterogene Moderne Brasiliens ermöglichen.<br />

In dem dazu wiederum als Kunstwerk konzipierten Katalog bezieht Lombardi eine<br />

Reihe von Personen aus dem Kunstbetrieb in diesen Annäherungsprozess mit ein, indem<br />

sie diese vor der Ausstellung um schriftliche Interpretationen zu einzelnen unkommentierten,<br />

zumeist nur in begrenzten Ausschnitten wiedergegebenen Fotos bat, um damit<br />

nicht zuletzt auch das projektive und verführerische Potential der Fotografie ins Spiel<br />

zu bringen.<br />

Lombardis Arbeit mit der Fotografie gleicht einer Kette von äußeren und inneren<br />

„Reiseberichten“, deren approximativer und elliptischer Charakter durch das fast völlige<br />

Ausblenden von Menschen unterstrichen wird. Ist Mrs. Dalloways „eigener Körper<br />

davon ausgenommen Schatten aufs Wasser zu werfen?“, fragt Martin Guttmann folgerichtig.


Einmal bringt sich Lombardi ausnahmsweise doch als ganzfigurige Person ins<br />

Bild. In dem Katalog, der zu der im Sommer 1995 in Venedig veranstalteten Gruppenausstellung<br />

On Board 10 herauskam. Für das Projekt On Board, das auf einem an der<br />

Mole ankernden Segelboot stattfand, hatte Lombardi ein zur freien Mitnahme aufgelegtes<br />

Foto/Text-Heft mit dem Titel travelogue produziert. Der zwischen die Fotoseiten<br />

Wort <strong>für</strong> Wort interpolierte Text aus travelogue lautet: „an approximation as close to<br />

and as far from arrival departure“. Lombardis Beitrag zum Katalog mit dem Titel venice<br />

romance ist ein Foto mit daneben stehendem Text, das sie in nachdenklicher Haltung<br />

zwischen anderen Passagieren in einem Vaporetto zeigt. Im Text spricht sie über eine<br />

Ankunft in Venedig und die Fahrt in dem Boot am Canal Grande, um dann unmittelbar<br />

von einem Venezianer zu berichten, der seiner ständigen Sehnsucht, mit einem eigenen<br />

Schiff auf das Meer hinaus zu fahren, eines Tages gefolgt war, und von dem man seither<br />

nicht weiß, wo er sich befindet; das Einzige, was man weiß, ist sein Verlangen zur See<br />

zu fahren. 11 Der poetisch-geheimnisvolle Bild-Text von venice romance erscheint als eine<br />

Schlüsselfigur <strong>für</strong> die (selbst)-reflexive künstlerische Haltung Lombardis und das gleichzeitige<br />

Moment der Unergründlichkeit, das in ihrer Arbeit stets mitschwingt. travelogue<br />

ist da<strong>für</strong> eine passende Metapher.<br />

Silvia Eiblmayr<br />

Silvia Eiblmayr, geboren in Berchtesgaden, Kunsthistorikerin, Kunsttheoretikerin, Kuratorin im Bereich zeitgenössische<br />

Kunst, Autorin und Herausgeberin zahlreicher Texte und Publikationen zur zeitgenössischen Kunst,<br />

1993 bis 1995 Direktorin des Salzburger Kunstvereins, 1998 bis 2008 Leiterin der Galerie im Taxispalais in<br />

Innsbruck, 2009 gemeinsam mit VALIE EXPORT Kommissärin <strong>für</strong> den Österreich-Pavillon auf der 53. Internationalen<br />

Kunstbiennale Venedig, seit 1988 zahlreiche Lehraufträge und Gastprofessuren im In- und Ausland.<br />

1 Martin Guttmann, „Mrs. Dalloway Goes Boating“, in: Inés Lombardi, GIVEN. Passages/Paragraphs, Wien, 2004.<br />

2 Brigitte Huck, „A rose is a rose is … anything but a rose“; in: Katalog Inés Lombardi Austria, 23 a Bienal internacional de São Paulo,<br />

1996. Brigitte Huck war die Kommissärin <strong>für</strong> die Teilnahme Österreichs an der Biennale.<br />

3 Virginia Woolf, Mrs Dalloway (1928), Neuübersetzung: Walter Boehlich, S. Fischer Verlag, Frankfurt/M. 1997.<br />

4 Irene Wunderlich, Virginia Woolf „Mrs. Dalloway“, Buchbesprechung, 2003/2007,<br />

http://www.dieterwunderlich.de/Woolf_Dalloway.htm (25. 11. <strong>2013</strong>)<br />

5 Guttmann, op. cit.<br />

6 http://en.wikipedia.org/wiki/Mrs_Dalloway (25. 11. <strong>2013</strong>)<br />

7 Jan Avgikos, „Das frühere Jenseitige und das jetzige Diesseitige: Das Verharren an der Bruchlinie subjektiver Opazität“; in: Katalog<br />

Inés Lombardi, Museum Moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien, Palais Liechtenstein, 1995, S. 18 und S. 20.<br />

8 Katalog Overlapping Matters, Maison Hermès 8F Forum, Tokio, 2005.<br />

9 Patricia Grzonka, „Overlapping Matters“, in Katalog, op. cit., S. 6.<br />

10 On Board wurde von der Galerie Karin Schorm (Wien) während der 46. Kunstbiennale Venedig 1995 organisiert;<br />

der Kurator war Jérôme Sens.<br />

11 Lombardi bezieht sich mit dieser Geschichte auf das Gedicht von Fernando Pessoa Navegar é Preciso (navigating is necessary),<br />

das Lied Os Argonautas des brasilianischen Sängers Caetano Veloso, die beide das Thema behandelten, und es ist eine Hommage<br />

an den niederländischen Künstler Bas Jan Ader.


© Kurt Kaindl


<strong>Österreichischer</strong> <strong>Kunstpreis</strong> <strong>2013</strong> – Literatur<br />

KARL-MARKUS GAUSS<br />

Karl-Markus Gauß wurde 1954 als jüngstes von vier Kindern einer donauschwäbischen<br />

Flüchtlingsfamilie geboren. Er wuchs im Salzburger Stadtteil Aiglhof auf, dem<br />

Schauplatz seines im Sommer <strong>2013</strong> erschienenen Buches Das Erste, was ich sah.<br />

Nach dem Studium der Geschichte und Germanistik begann er in den frühen achtziger<br />

Jahren zu publizieren, anfangs vor allem literarische Porträts, politische Glossen<br />

und Feuilletons, die bald regelmäßig in großen Zeitungen des deutschen Sprachraums<br />

gedruckt wurden. International bekannt wurde er mit seiner Serie von literarischen<br />

Reisereportagen, die in vier Bänden gesammelt sind und von den wenig bekannten<br />

Nationalitäten und kleinen Sprachgruppen Europas erzählen. Ebenfalls eine Serie von<br />

vier Bänden bilden seine seit 2002 erschienenen Journale, in denen er Erzählungen,<br />

politische Kommentare, Anekdoten, Essays, philosophische Betrachtungen, literarische<br />

Porträts, Glossen, Nekrologe und Aphorismen zu einer eigenen literarischen Form<br />

vereint und seine persönliche Chronik unserer Zeit verfasst. Seine Bücher wurden in<br />

17 Sprachen übersetzt und mit etlichen österreichischen und internationalen Literaturpreisen<br />

ausgezeichnet. 2007 wurde ihm von der Universität Salzburg das Ehrendoktorat<br />

verliehen, im selben Jahr wurde er zum Mitglied der Deutschen Akademie <strong>für</strong><br />

Sprache und Literatur ernannt.<br />

75


Bibliografie (Auswahl)<br />

Das Erste, was ich sah, Zsolnay Verlag, Wien <strong>2013</strong><br />

Ruhm am Nachmittag, Zsolnay Verlag, Wien 2012<br />

Im Wald der Metropolen, Zsolnay Verlag, Wien 2010<br />

Die Donau hinab, illustriert von Christian Thanhäuser, Haymon Verlag,<br />

Innsbruck 2009<br />

Die fröhlichen Untergeher von Roana. Unterwegs zu den Assyrern, Zimbern<br />

und Karaimen, Zsolnay Verlag, Wien 2009<br />

Zu früh, zu spät. Zwei Jahre, Zsolnay Verlag, Wien 2007<br />

Die versprengten Deutschen. Unterwegs in Litauen, durch die Zips und am Schwarzen<br />

Meer, Zsolnay Verlag, Wien 2005<br />

Wirtshausgespräche in der Erweiterungszone, Otto Müller Verlag, Salzburg 2005,<br />

mit beigelegtem Hörbuch des Autors<br />

Die Hundeesser von Svinia, Zsolnay Verlag, Wien 2004<br />

Vom Erröten, mit Offsetlithografien von Hermann Kremsmayer, Edition Thurnhof,<br />

Horn 2003<br />

Von nah, von fern. Ein Jahresbuch, Zsolnay Verlag, Wien 2003<br />

Ein Florilegium, gemeinsam mit Paul Flora, Otto Müller Verlag, Salzburg 2002<br />

Mit mir, ohne mich. Ein Journal, Zsolnay Verlag, Wien 2002<br />

Die sterbenden Europäer. Unterwegs zu den Sepharden von Sarajevo, Gottscheer<br />

Deutschen, Arbëreshe, Sorben und Aromunen, Zsolnay Verlag, Wien 2001<br />

Der Mann, der ins Gefrierfach wollte. Albumblätter, Zsolnay Verlag, Wien 1999<br />

Vom Abkratzen. Zwei Dichter, mit Holzschnitten von Christian Thanhäuser, Edition<br />

Thanhäuser, Ottensheim 1999<br />

Ins unentdeckte Österreich. Nachrufe und Attacken, Zsolnay Verlag, Wien 1998<br />

Das europäische Alphabet, Zsolnay Verlag, Wien 1997<br />

Ritter, Tod und Teufel, Wieser Verlag, Klagenfurt 1994<br />

Die Vernichtung Mitteleuropas, Wieser Verlag, Klagenfurt 1991<br />

Der wohlwollende Despot. Über die Staats-Schattengewächse, Wieser Verlag,<br />

Klagenfurt 1989<br />

Tinte ist bitter. Literarische Porträts aus Barbaropa, Wieser Verlag, Klagenfurt 1988<br />

Wann endet die Nacht. Über Albert Ehrenstein, Edition Moderne, Zürich 1986


Zusammenarbeiten mit Fotografen und bildenden Künstlern (Auswahl)<br />

Herbert Breiter: Städte, Berge, Bäume und Mauern, Verlag der Galerie Welz,<br />

Salzburg 2012<br />

Kurt Kaindl: Der Rand der Mitte, Edition Fotohof im Otto Müller Verlag,<br />

Salzburg 2006<br />

Inge Morath: Durch Österreich, Edition Fotohof im Otto Müller Verlag, Salzburg 2005<br />

Kurt Kaindl: Die unbekannten Europäer, Edition Fotohof im Otto Müller Verlag,<br />

Salzburg 2002<br />

Herbert Breiter: Momente der Dauer, Galerie Welz, Salzburg 1997<br />

Inge Morath: Donau, Edition Fotohof im Otto Müller Verlag, Salzburg 1995<br />

Preise (Auswahl)<br />

<strong>2013</strong> <strong>Österreichischer</strong> <strong>Kunstpreis</strong>, <strong>Bundesministerium</strong> <strong>für</strong> <strong>Unterricht</strong>, Kunst und Kultur;<br />

Internationaler Preis <strong>für</strong> Kunst und Kultur des Salzburger Kulturfonds<br />

2010 Johann-Heinrich-Merck-Preis der Deutschen Akademie <strong>für</strong> Sprache und Dichtung<br />

2009 Danubius. Donauland-Sachbuchpreis; Großer <strong>Kunstpreis</strong> <strong>für</strong> Literatur des Landes<br />

Salzburg<br />

2007 Mitteleuropa-Preis des Instituts <strong>für</strong> Mitteleuropa<br />

2006 Manès-Sperber-Preis <strong>für</strong> Essayistik<br />

2005 Vilenica-Preis <strong>für</strong> Mitteleuropäische Literatur<br />

2004 René-Marcic-Preis der Salzburger Landesregierung<br />

2001 Ehrenpreis des österreichischen Buchhandels <strong>für</strong> Toleranz in Denken und<br />

Handeln<br />

1998 Preis der Salzburger Wirtschaft<br />

1997 Prix Charles Veillon <strong>für</strong> den besten europäischen Essayband (Das Europäische<br />

Alphabet)<br />

1994 <strong>Österreichischer</strong> Staatspreis <strong>für</strong> Kulturpublizistik<br />

77


Zwischen den Widersprüchen<br />

Eine Laudatio in sieben Vignetten<br />

Natürlich können Sie, geschätzte Damen und Herren, jetzt einfach weiterblättern. Sie<br />

würden dann womöglich die etwas nähere Bekanntschaft mit einem der aufregendsten<br />

Intellektuellen dieses Landes versäumen. Früher, als der Staat seine Künstler durch individuelle<br />

Festakte und Lobreden ehrte, hätten Sie sich schon die Ohren zuhalten müssen,<br />

um meiner Hymne auf Karl-Markus Gauß zu entgehen. Da<strong>für</strong> verpufft sie jetzt nicht im<br />

feierlichen Moment, sie wird Text und Anschauung, Leporello einer zumindest siebenfältigen<br />

Persönlichkeit.<br />

1. Homme de lettres<br />

In seinem jüngsten Buch Das Erste, was ich sah (<strong>2013</strong>), seinem neunzehnten, wenn ich<br />

richtig zähle, erinnert Karl-Markus Gauß sich daran, wie sein Vater ihn in die Welt der<br />

Bücher einführte, indem er „grimmige Anekdoten“ von Dichtern und Denkern erzählte,<br />

die „allesamt wahnsinnig, einsam, der Trunksucht oder dem Roulettspiel verfallen waren<br />

und von ihren Zeitgenossen rundum missachtet“ wurden. Der Vater, ein Büchermensch<br />

par excellence, als Donauschwabe nach dem Krieg wie die Mutter aus der Batschka<br />

nach Salzburg geflüchtet, war der Inbegriff bürgerlichen, nämlich pekuniären Scheiterns<br />

und ein Propagandist der Verzweiflung, die den „Keim des Geglückten und Schönen“<br />

in sich trug. Also war in der Familie Gauß das Unglück hoch angesehen und wurden<br />

die Erfolgreichen verachtet. So gesehen hat Karl-Markus Gauß seinem Vater keine Ehre<br />

gemacht, wenn er mit diesem Staatspreis den mutmaßlich achtzehnten großen Preis<br />

seiner Karriere erhält.


Die Vorliebe <strong>für</strong> die Außenseiter, die verkrachten Genies der Literatur, hat der<br />

Vater dem Sohn gleichwohl eingepflanzt. Gauß’ erstes Buch Wann endet die Nacht<br />

(1986) war dem großen expressionistischen Unglückswurm Albert Ehrenstein gewidmet,<br />

sein zweites (ich rede hier nur von den selbständigen Werken) trug den programmatischen<br />

Titel Tinte ist bitter (1988) und war eine Hommage an Verfemte, Vertriebene und<br />

Vergessene aus dem Herzen der mitteleuropäischen Finsternis, Schriftsteller wie Miroslav<br />

Krleža, Bruno Schulz und Theodor Kramer. Wer diese von Neugier befeuerten und<br />

mit beinah wütender Verve vorgetragenen Plädoyers und Vignetten liest, erkennt: Gauß<br />

war von Anfang an, was er später wurde, Historiker und Reiseberichterstatter, Erzähler<br />

und Literaturkritiker, Essayist, Analytiker und Polemiker.<br />

Ein Homme de lettre, ein Mann der Schrift, ist Gauß nicht so sehr aus Neigung<br />

denn aus Not. In einem seiner Journale bekennt er, kein „Denksteller“ zu sein, der im<br />

Kopf bereits Zurechtgeschnipseltes zu Papier bringt, sondern ein Schriftsteller, der erst<br />

beim Schreiben erfährt, was er über ein Buch, eine Sache denkt, der, wie er in schöner<br />

Direktheit gesteht, schreiben muß, „weil ich nur im Schreiben so gescheit bin, wie ich<br />

sein kann“. So ist das Schreiben <strong>für</strong> den Homme de lettre, was der Stab <strong>für</strong> den Stabhochspringer<br />

ist: ein Mittel, sich über die eigene Begrenztheit hinauszuschwingen.<br />

2. Der Mann, der nicht ins Sachbuchfach wollte<br />

Auf einer jener Vorschlagslisten des literarischen Betriebs fand ich unlängst Das Erste,<br />

was ich sah unter den preiswürdigen Belletristik-Titeln, versehen allerdings mit dem Zusatz<br />

„Eher Sachbuch?“. Was <strong>für</strong> eine Sache, fragt man sich, sollte das denn sein, <strong>für</strong><br />

die ein Ich hier einsteht? Die eigene Kindheit? Das provinzielle Lebensgefühl der Nachkriegszeit?<br />

Der Ruf eines Schriftstellers ist mitunter von zementener Nachhaltigkeit. Mit seinen<br />

Studien über weiße Flecken auf der literarischen, ethnischen und historischen Landkarte<br />

Europas einmal von Buchhändlern und Kritikern ins Regal der Sachbuchautoren gestellt,<br />

blieb Gauß an seinem Platz, obwohl sein Werk beharrlich vorwärtsdrängte, zu anderen<br />

Ufern des Sujets wie der Form. Natürlich bot Gauß’ Europäisches Alphabet (1997) auch<br />

Lexikonwissen zur Geschichte des Kontinents, boten Die sterbenden Europäer (2001)<br />

mannigfaltige Information über marginale Minivölker wie die Gottscheer Deutschen,<br />

Sorben und bosnischen Sepharden, natürlich belehrte Der Mann, der ins Gefrierfach<br />

wollte (1999) die Leser auch über Praktiken und Abwege der Gentechnologie und war<br />

die Expedition Ins unentdeckte Österreich (1998) ein Nachhilfeunterricht in Sachen Widerstandsgeist<br />

von 1848 bis heute. Aber Sachbücher? Die müßten doch allemal die<br />

Sache über ihre Wahrnehmung durch den Sachkundigen stellen und zuallererst sachlich<br />

sein.<br />

Gauß selbst war über die Streitfrage der Zuordnung seines Werks keineswegs<br />

erhaben, er sah sich von der Ignoranz der literarischen Platzanweiser beleidigt, die<br />

ihm zwar Preise zuerkannten, aber nicht sehen wollten, daß die Sache doch nur eine<br />

Ingredienz <strong>für</strong> den Teig war, aus dem der Meister feinstes Backwerk schuf. Manchmal<br />

heiligen eben auch die Mittel (der Form) den Zweck (der Belehrung).<br />

79


Die Verbitterung des Vielgerühmten war nicht allen verständlich. In einem Interview<br />

meinte Gauß einmal, er könne sich „über Dinge ärgern, da würden Sie staunen“.<br />

Die Sachbuchfrage berührt nur das erste Glied einer hierarchischen Kette, die sich am<br />

Leitbild des Romans festmachen läßt: Wenn das, was Gauß schreibt, Literatur ist, so liest<br />

man, dann wohl am ehesten Essay oder Reisebericht, aber nicht Belletristik und ganz<br />

sicher nicht „Fiction“. Wirklich nicht?<br />

3. Der Forscher<br />

Wer wie Gauß beim Schreiben in erster Linie selbst klüger werden will, der ist als Forscher<br />

ein Egoist. Es läßt sich aber nicht vermeiden, daß er auf diese Weise auch seine<br />

Leser klüger macht. Das Hauptmovens des Forschers, der, buchstäblich und metaphorisch,<br />

immer auch ein Reisender ist, ist die Neugier. Gauß’ Neugier ist ebenso gründlich<br />

wie ansteckend. Sie gilt dem, was man gemeinhin versunkenes Kulturgut nennt und von<br />

dem KMG uns wissen läßt, daß es zum guten Teil ein versenktes ist. Sie gilt übersehenen<br />

Helden und aussterbenden Sprachen, vergessenen Dichtern und Völkern und in negativer<br />

Klimax den vergessenen Dichtern vergessener Völker. Nach Isaiah Berlin, den Gauß<br />

zitiert, ist die Nation eine Gruppe von Menschen, die sich in einem gemeinsamen Irrtum<br />

über ihre Herkunft befinden. Für die Wurzeln dieses Irrtums und seine produktiven wie<br />

zerstörerischen Folgen hat Gauß sich schon immer mehr interessiert als <strong>für</strong> das Phantom<br />

der historischen Wahrheit.<br />

So spürt er etwa, auf Verdreng und Verderb, wie verschollene Dörfer in der<br />

südslowenischen Gottschee heißen, einer zwiespältigen Geschichte von Armut, Aussiedlung<br />

und Volkstümelei nach, die mit der Säuberungspolitik der Sieger 1945 fast<br />

ganz zu Ende ging und über die nicht nur Gras, sondern auch Wald gewachsen ist.<br />

Ein ausdauernder Waldgänger, nicht nur Im Wald der Metropolen (2010), hält Gauß,<br />

was immer er an Besonderem und Sonderbarem findet, den „Sonntagspredigern beim


europäischen Hochamt“ unter die Nase, die ihren Fuß noch nie in die Schluchten des<br />

Balkan gesetzt haben.<br />

4. Der Für- und Widersprecher<br />

Sein Talent zur Begeisterung, seine Charakterisierungskunst setzt KMG nicht zuletzt ein,<br />

um die schwächere Sache zur stärkeren zu machen. Als Anwalt oder, wie man in der<br />

Schweiz sagt: Fürsprech sucht er frohgemut den verlorenen Posten. Bei aller Neigung<br />

zum Abwägen: die ursprüngliche Antriebskraft seines Für und Wider war wohl doch der<br />

Zorn, der gerechte Zorn und dessen Entladung in die Attacke. Wer wie Gauß als Student<br />

systematisch die Fackel durchgeackert hat, der bleibt lebenslang verdorben nicht<br />

nur <strong>für</strong> die politische Phrase, sondern auch <strong>für</strong> die Geborgenheit im Lagerdenken.<br />

Karl Kraus schrieb: „Wer Meinungen von sich gibt, darf sich auf Widersprüchen<br />

nicht ertappen lassen. Wer Gedanken hat, denkt auch zwischen den Widersprüchen.“<br />

Was Gauß zwischen den Widersprüchen denkt, äußert sich als Eigensinn jenseits des<br />

Verabredeten. Sein Einspruch gegen den Chor der intellektuellen Alarmrufe nach der<br />

blau-schwarzen Wende 2000 etwa richtete sich gegen eine Trivialisierung des historischen<br />

Widerstands, der nichts weniger als die Existenz aufs Spiel setzte.<br />

Schon Der wohlwollende Despot (1989) verriet Gauß’ Lust, wider den Stachel<br />

zu löcken und sich mit seinesgleichen anzulegen. Der Essay zeigt, wie die staatlich<br />

geförderte kritische Intelligenz unter Kreisky damit beschäftigt war, die Hand zu beißen,<br />

die sie fütterte, und trotzdem der Bevormundung nicht entkam und wie die subversive<br />

Unterordnung schließlich auf die Kunst, die Literatur abfärbte: „Nicht Leser galt es zu<br />

überzeugen, sondern Ministerialräte.“<br />

Gauß’ Ingrimm, auch ad personam, sein Widerspruchsgeist, dem kein Gegenstand<br />

zu klein und keiner zu groß ist, kommt mitunter als Idiosynkrasie daher und entstammt<br />

doch einer fundamentalen Redlichkeit. Gauß widerspricht auch und gerade<br />

81


dort, wo es billig wäre zuzustimmen, einzustimmen, mitzustimmen, wo die Sympathien<br />

verteilt sind und die Urteile gefällt. So fragt er angesichts der Gräber der Partisanen-<br />

Opfer im Gottscheer Hornwald: „Haben Gewalttäter, die die Menschenrechte verletzten,<br />

selber keine Menschenrechte mehr? Darf man sie malträtieren, lynchen, namenlos<br />

ins Massengrab schlagen?“<br />

Sobald Griesgrämigkeit droht, wappnet Gauß sich mit Selbstironie: „Zum wiederholten<br />

Male bricht die Zivilisation zusammen, nur bin es peinlicherweise diesmal ich,<br />

der das beklagt.“ Kulturkritik ohne Pessimismus ist schwer. Dennoch gelingt Gauß das<br />

Unmögliche: den Nörgler und den Optimisten in seiner Person zu vereinen.<br />

5. Der Journal-ist<br />

In seinem Werk hat KMG allerlei Abwehrzauber gegen die Zumutung des zusammenhängenden<br />

Erzählens veranstaltet, indem er ein anderes Ordnungsprinzip suggerierte;<br />

ein Buch nannte er Alphabet, ein anderes Albumblätter. Dann ging er das Wagnis des<br />

Ich-Sagens ein, <strong>für</strong> das im dicht gewobenen Essay kein Platz war, und startete die Reihe<br />

der Journale: Mit mir, ohne mich (2002), Zu früh, zu spät (2007), dazwischen das<br />

Jahresbuch Von nah, von fern (2003), dezidiert keine Tagebücher, sondern fein abgestimmte<br />

Mixturen aus Essay, Erinnerung und Kommentar. Erzählt hat Gauß immer schon,<br />

er tut es aber zunehmend ungeniert. Das Journal bietet ihm da<strong>für</strong> die Spielwiese, die er<br />

mit dem Zufall teilt, nach Peter Altenbergs Prinzip „Was der Tag mir zuträgt“: Was der<br />

Zufall nicht fügt, ordnet der Autor zur Evidenz.<br />

In den Folgebänden Im Wald der Metropolen und Ruhm am Nachmittag (2012),<br />

die sich quasi ihr eigenes Genre schaffen, spielt die epische Komposition eine noch<br />

größere Rolle. Das Erste, was ich sah ist der bisherige Höhepunkt auf dem Weg zum


Erzähler, das erste im engsten Sinn belletristische Werk, mag es auch nichtfiktional,<br />

weil autobiographisch sein, ist es doch fiktional wie alle Autobiographien. Zugleich<br />

nimmt Gauß darin den Befreiungsschlag des Journaleschreibens gleichsam wieder<br />

zurück, um sich erzählend bloßzustellen: in einem strengen, ja, keuschen Buch der<br />

Selbstbeschränkung.<br />

Gauß hat sich nie geschämt, am Tagesgeschäft des Journalismus teilzuhaben,<br />

und hat doch das Etikett des „Essayisten“ – wie sein von ihm bewunderter Kollege Jean<br />

Améry – als wertmindernd empfunden. Daß die kleine Form nicht weniger kunstträchtig<br />

sei als der Roman, das hat Gauß zuletzt immer wieder beteuert, aber selbst wohl nicht<br />

wirklich glauben können. Als wäre eine Reportage wie Die Hundeesser von Svinia<br />

(2004) nicht Beweis genug.<br />

6. Der Satzbaumeister<br />

Zwei Arten von Schriftstellern gibt es nach Karl Kraus: „Solche, die es sind, und solche,<br />

die es nicht sind. Bei den ersten gehören Inhalt und Form zusammen wie Seele und<br />

Leib, bei den zweiten passen Inhalt und Form zusammen wie Leib und Kleid.“ Gauß<br />

ist einer, der es ist, man kann dem Gemeinten das Gesagte nicht ausziehen, es bliebe<br />

nichts davon übrig. Gut möglich, daß, wer den Autor nach dessen äußerer Erscheinung<br />

als gemütvoll-bedächtig einschätzt, angesichts seiner literarischen Messerschärfe erschrickt.<br />

Als Stilist ist Gauß ein leidenschaftlicher Pedant, ein Wortklauber von Graden,<br />

vor allem aber baut er Sätze: die sind, um eine Lieblingswendung des Dichters Michael<br />

Guttenbrunner zu gebrauchen, „gehauen und gestochen“. Der Gauß’sche Satz ist beides,<br />

kristallin und dynamisch, und indem er die Kräfte, die an seinem Gleichgewicht<br />

zerren, zugleich ausstellt und verbirgt, erreicht er, was man Eleganz nennt.<br />

83


In den ersten Blättern deutscher Zunge hat Gauß sich stets auch der kleinsten<br />

Form gewidmet, der Rezension, dem Portrait, der Glosse – und hat es dabei nie billiger<br />

gegeben. The proof of the pudding is in the eating, Literatur besteht ihre Probe beim Lesen.<br />

Da<strong>für</strong> braucht man Zeit, Zeit <strong>für</strong> einen zweiten Blick, den die meisten, so Kraus, Gemälden<br />

sehr wohl gewähren: „Aber eine Kunst des Satzbaues? Sagt man ihnen, daß es<br />

so etwas gibt, so denken sie an die Befolgung der Sprachgesetze.“ Ein Sprachpolizist,<br />

ein kleinlicher Lapsus-Jäger ist Gauß nicht, doch wem die Fackel ein Licht aufgesteckt<br />

hat, der versteht Sprachkritik als ethische Bürgerpflicht.<br />

7. Der Hinschauer<br />

Ob es der „Grimassierer von Beaune“ ist, dessen „dramatisches Gesichtsspiel“ die Essenden<br />

im Speisesaal in seinen Bann zieht, oder die Zigeunersiedlung von Svinia, in<br />

der Gauß auf atemberaubende Armut und ebensolche Herzlichkeit stößt, manchmal<br />

bedarf es einigen Mutes, den Blick nicht abzuwenden. Der Autor hat sich diese Haltung,<br />

die eine politische ist, selbst aufgetragen: „Ein Hinschauer sein, kein Zuschauer!“ Hinschauen<br />

bedeutet einen punktuellen Willensakt, Anstrengung, statt Konsum, bedeutet<br />

Verstehenwollen, auch Überwindung von Scham.<br />

Im Grunde ist Sehen eine Sache der Entscheidung – <strong>für</strong> das Augenoffenhalten:<br />

Gauß zitiert Gustaw Herling, der die „Gabe der Aufmerksamkeit“ eine Tugend nennt<br />

und ihr Fehlen eine Sünde. Gauß’ Sensorium <strong>für</strong> Kuriosa, vor allem <strong>für</strong> merkwürdige<br />

und literaturträchtige Menschen ist so erstaunlich wie seine nie erlahmende Bereitschaft,<br />

sich überraschen zu lassen. Seit 22 Jahren gibt er in einer nicht enden wollenden<br />

Verjüngungskur die vordem edel angestaubte Zeitschrift Literatur und Kritik heraus, die<br />

von Salzburg aus die Verösterreicherung der Welt betreibt, indem sie Österreich ein<br />

bißchen weltläufiger macht und die Peripherie Europas ins Zentrum rückt.<br />

Ein Hinschauer ist KMG nicht zuletzt als Fernseher, der auch dort zu- und hinschaut,<br />

wo die Gegenwart im Fernsehen zu sich kommt, im Nachmittagsprogramm des<br />

Grauens. Gauß hat das böse Wort vom „Amüsierfaschismus“ geprägt.<br />

Einen wie ihn, der so scharf sieht und dennoch ein „Liebhaber der Welt“ bleibt,<br />

haben wir bitter nötig.<br />

Daniela Strigl<br />

Daniela Strigl, geboren 1964 in Wien, Studium der Germanistik, Philosophie, Geschichte und Theaterwissenschaft,<br />

Essayistin, Literaturwissenschaftlerin und -kritikerin (F.A.Z., Die Welt, Der Standard u. a.), lehrt seit<br />

2007 an der Universität Wien, Jurymitglied des Ingeborg-Bachmann-Preises; <strong>Österreichischer</strong> Staatspreis<br />

<strong>für</strong> Literaturkritik 2001, Alfred-Kerr-Preis <strong>2013</strong>; zuletzt Hg. (mit H. Ohrlinger) von Grenzgänge – Der Schriftsteller<br />

Karl-Markus Gauß (2010) und Walter Buchebner: ich die eule von wien (2012).


<strong>Österreichischer</strong> <strong>Kunstpreis</strong> <strong>2013</strong> – Musik<br />

KATHARINA KLEMENT<br />

Geboren 1963 in Graz, lebt in Wien, Studien Klavier, Komposition und Elektroakustische<br />

Musik an der Universität <strong>für</strong> Musik und darstellende Kunst Wien, private Studien<br />

in Plastik/Skulptur und Modern Dance; „Composer-Performer“ im Bereich komponierter<br />

und improvisierter, elektronischer und instrumentaler Musik, zahlreiche querverbindende<br />

Projekte in den Bereichen Musik-Text-Video, Klanginstallationen, Solo-<br />

Performances; besonderes Interesse gilt dem Instrument Klavier und da<strong>für</strong> erweiterten<br />

Spieltechniken; Gründerin und Mitglied mehrerer Ensembles <strong>für</strong> improvisierte und<br />

kollektiv komponierte Musik, seit 2006 Lehrauftrag am Lehrgang Computermusik und<br />

Elektronische Medien an der Universität <strong>für</strong> Musik und darstellende Kunst Wien, 2010<br />

bis 2014 Mitarbeit am FWF-Projekt „Knowledge through Art“, seit 2012 am Projekt<br />

„POINT – Pattern Of Intuition“ des IEM Graz, 2011 Composer in Residence in Litauen,<br />

zahlreiche CD-Produktionen u. a. auf dem eigenen label KalK.<br />

Konzerte im In- und Ausland u. a. Festival Kaleidophon Ulrichsberg, Tage <strong>für</strong> Neue<br />

Musik Zürich, Radiokulturhaus Wien, Offenes Kulturhaus Linz, Festival Inventionen<br />

Berlin, Festival Midi-Alternativa Moskau, Festival wien modern, Festival VNM Graz,<br />

Galerie o‘artoteca Milano, SECCA North Carolina, roulette NYC, Festival reheat Kleylehof,<br />

Festival unlimited Wels, Festival Konfrontationen Nickelsdorf, Festivalet d‘Hivern<br />

de Música Improvisada Barcelona, Zacherlfabrik Wien, musikprotokoll Graz.<br />

Kompositionsaufträge u. a. <strong>für</strong> ORF, jeunesse Österreich, Stadt Wien, Land Steiermark,<br />

GrabenFestTage Wien, Musikkultur St. Johann/Tirol, echoraum Wien, Institut <strong>für</strong> Elektronische<br />

Musik Graz, Sammlung Essl Klosterneuburg, Galerie St. Barbara Hall/Tirol,<br />

dramagraz, Nobelpreisträgerseminar Wien, Linz Kulturhauptstadt 09, Theater Marie<br />

Aarau, klangforum wien sowie <strong>für</strong> zahlreiche Ensembles und SolistInnen.<br />

www.katharinaklement.com


© Rania Moslam<br />

Preise und Auszeichnungen (Auswahl)<br />

<strong>2013</strong> <strong>Österreichischer</strong> <strong>Kunstpreis</strong>, <strong>Bundesministerium</strong> <strong>für</strong> <strong>Unterricht</strong>, Kunst und Kultur<br />

2006 Honorary Mention beim Prix ars electronica Linz<br />

2004 Elektronikpreis Viktring<br />

2001 Publicity-Preis der SKE/austro mechana<br />

1994 Max-Brand-Preis<br />

87


mihrab 2008/2012<br />

<strong>für</strong> Klarinette und Bassklarinette, Blockflöten, Live-Elektronik<br />

Der Titel des Stücks ist ein Wort aus dem Arabischen und bedeutet soviel wie „leere<br />

Nische“, die in jeder Moschee enthalten ist und an die Gegenwart des Propheten<br />

erinnert.<br />

Fasziniert von dem Gedanken, dass „Leere“ „Gegenwart“ bedeutet, wird im Stück in<br />

mehrfacher Weise dieser Nische nachzuspüren versucht. Anfangs ist sie ein freigehaltener<br />

Tonraum, von dem aus sich Ober- und Untertonreihen, später unterschiedlich<br />

dichte spektrale Blöcke spannen.<br />

Aus dem Vorhandensein einer Nische ergibt sich aber automatisch auch das Vorhandensein<br />

einer Spaltung, etwas Zweifaches. Wie man vom Einfachen ins Zweifache<br />

gelangt und vice versa, vom Unisono ins Mehrstimmige, wird mittels mikrotonaler


Fächerung versucht. Das östliche und westliche Verständnis von Tonhöhe wird vermischt:<br />

hier das Um- und Einkreisen einer Tonqualität, dort das distinkte Treffen eines<br />

klar begrenzten Bereichs.<br />

Das Ähnliche, aber nicht Gleiche, die Entfaltung einer Verschiedenartigkeit führt zur<br />

oben erwähnten Spaltung in getrennte Zellen, Schichten, Felder. Diese Felder werden<br />

schließlich wieder überlagert und übereinandergeklappt, bis die Spaltung wieder aufgehoben<br />

ist, jedoch als Klangband, als „Spalt-Breite“ übrigbleibt und die leere Nische<br />

in einen anderen Raum verschiebt.<br />

Die Komposition mihrab wurde auf der CD jalousie (chmafu nocords) uraufgeführt und<br />

eingespielt von Thomas List (Blockflöten), Robert Corazza (Klarinette und Bassklarinette)<br />

und Daniel Lercher (Live-Elektronik).<br />

http://nocords.net/jalousie<br />

89


Der freigelassene Ort.<br />

Notate zum Werk der Komponistin Katharina Klement.*<br />

Ich versuche, das, was ich zu sagen habe,<br />

in meinen Stücken zu sagen.<br />

Katharina Klement<br />

Klang 1 Dem Klang entlang nähert sich Katharina Klements Musik dem nicht zu benennenden<br />

Glücksort: „Komm ins Offene, Freund!“. Ihre Kompositionen durchmessen<br />

Vergangenheit und Gegenwart, antizipieren Künftiges, sind aktuell genauso wie zeitlos<br />

durch die musikalische Vernetzung von Zeitbezügen. Ihr Œuvre stellt sich als organische<br />

Einheit von akustischer und elektronischer Musik dar – und erweist sich als ganz persönliche<br />

Herzenshandschrift.<br />

Natur Eine der großen Passionen von Katharina Klement ist es, ausgedehnte Wanderungen<br />

zu unternehmen, wo auch immer, im Gebirge, in den Wäldern, an Küsten oder<br />

Stränden entlang, egal wo; regelmäßig im Freien zu sein ist Hauptsache. In der Stadt,<br />

hier in Wien, macht die Komponistin – das Pflanzenbestimmungsbuch immer griffbereit<br />

– ihre Streifzüge vornehmlich auf der Donauinsel, „meine Rettungsinsel“. Sie erzählt<br />

vom faszinierenden Zauber des Pflanzenreiches, von der Formenvielfalt, von der Metamorphose<br />

der Gewächse in den verschiedenen Jahreszeiten, vom Wachsen, Blühen,<br />

Verblühen, von den Blüten, Blütenständen, den Samen, die verfliegen, den Keimlingen<br />

und den Schösslingen – <strong>für</strong> die Komponistin allesamt Ereignisse und Zustände von zauberhafter<br />

Schönheit.<br />

Sonett 1 Heute sehen wir Katharina Klement mit Federico García Lorca einen Spaziergang<br />

machen, dieses Mal nicht in Granada, nein, sondern im Schatten eines unbekannten<br />

Ortes in süditalienischer Landschaft.<br />

Der Dichter rezitiert die erste Strophe seines Sonetts Llagas de amor (Wunden der<br />

Liebe) – und es war im Jahr 1992, als die Komponistin diese seine Worte in Musik zu<br />

wandeln begann. So entstand Brandung I, eine siebenminütige Tonbandkomposition,<br />

uraufgeführt in Bogotá beim Festival Internacional de Música Contemporanea.<br />

Esta luz, este fuego que devora.<br />

Este paisaje gris que me rodea.<br />

Este dolor por una sola idea.<br />

Esta angustia de cielo, mundo y hora.<br />

Sonett 2 Das Klanggedicht Lorcas spielt, wie Klement sagt, als Subtext in ihrem Dasein<br />

eine bedeutsame Rolle, „es webte sich so rein in mein Leben“. Drei der vier Teile des<br />

Sonetts sind vertont. Auf Brandung I folgte im Jahr 1996 Brandung II, Strophe zwei; im<br />

Jahr 2011 komponierte sie Brandung III, Strophe drei. Sie lässt offen, wann die Serie mit<br />

Brandung IV ihren Abschluss finden wird.


Este llanto de sangre que decora<br />

lira sin pulso ya, lúbrica tea.<br />

Este peso del mar que me golpea.<br />

Este alacrán que por mi pecho mora.<br />

Son guirnalda de amor, cama de herido,<br />

donde sin sueño, sueño tu presencia<br />

entre las ruinas de mi pecho hundido.<br />

Sonett 3 Ob Zufall oder nicht: Llagas de amor ist ausgerechnet ein in italienischer Form<br />

komponiertes Sonett, das Katharina Klements musikalische Karriere schon über die Jahre<br />

hinweg grundiert. Abgesehen davon, dass sich Sonett vom lateinischen Wort „sonus“:<br />

„Klang, Schall“ oder aber auch von „sonare“: „tönen“ herleitet, kann Sonett auch<br />

die Bedeutung von „kleines Tonstück“ haben. Dieser Gedichtform unterliegen strenge<br />

kompositorische Regeln bzw. geradezu serielle Konstruktionsprinzipien. Das Sonett hat<br />

14 Verse, die in zwei Quartette und zwei Terzette gegliedert sind; jeder einzelne Vers<br />

wiederum besteht aus elf oder zehn Silben, auch als weibliche oder männliche Kadenz<br />

bezeichnet. Und schon befinden wir uns mitten in der Terminologie der Musik, der Komposition,<br />

der tönenden Kunst.<br />

Graz In einem gutbürgerlichen Grazer Elternhaus aufgewachsen, in dem die klassische<br />

Musik immer die erste Geige spielte, erhielt Katharina Klement schon früh Klavierunterricht.<br />

Als junges Mädchen intensivierte sie ihre Klavierausbildung am Konservatorium<br />

der steirischen Landeshauptstadt. Mit mehr als genügend Talent und Fleiß ausgestattet,<br />

studierte sie dann geradezu zwangsläufig „eine Zeit lang“ auch Klavier im Konzertfach.<br />

Der Weg zur Komposition hin 1 Zur Komposition hin hat es lange gedauert. „Bis ich endlich<br />

bei der Komposition gelandet bin, hat es Jahre gedauert. Was natürlich auch damit<br />

zu tun hat, dass ich damals als junge Frau noch keine einzige Komponistin kannte.“<br />

Weibliche Idole? Komponistinnen? Vorerst keine weit und breit.<br />

Schwesterkünste Ein bedeutender Arbeitsschwerpunkt von Katharina Klement umfasst<br />

den Bereich „Klanginstallation“. Die Folie da<strong>für</strong> bildet ihre Auseinandersetzung mit<br />

Tanz, Literatur, Film- und Videografie sowie bildender Kunst, insbesondere Plastik und<br />

Skulptur. Zu der 10-Channel-Soundinstallation Beton aus dem Jahr 2000, die die Verwandlung<br />

eines flüssigen Materials zu einer starren Konsistenz thematisiert, bemerkt die<br />

Komponistin Folgendes: „Klangtransformation – insbesondere mit elektronischen Mitteln<br />

– ist Arbeit mit einem mehrdimensionalen Phänomen und mit plastischer Arbeit vergleichbar.“<br />

Ihre Raumklangkompositionen als elektroakustische Skulpturen in Raum und<br />

Zeit. Sie weiß, dass die Raumwirkung von Klanginstallationen sich nicht auf Tonträgern<br />

abbilden lässt, deshalb sind die CD-Veröffentlichungen in diesem Segment ihres künstlerischen<br />

Wirkens Umformungen, Neuschaffungen und somit eigenständige Werke.<br />

93


Meisterlich Klements Wirken ruht im unbeugsamen Willen zum persönlichen künstlerischen<br />

Ausdruck. In ihren oft leisen, zurückhaltenden, introvertierten Stücken, die allerdings<br />

immer wieder durch unerwartete Eruptionen aufgeraut werden, ist ein starker,<br />

aufrüttelnder Zufluchtsort beheimatet. Ihre Kunst als Ort tröstlicher Ungewissheit, als<br />

Gefahr und Gewissen, komplex und schlicht zugleich, feingliedrig, prägnant, enigmatisch.<br />

Schönheit und Zweifel sind bei Klement perfekt in musikalische Form gegossen:<br />

Das ist Meisterschaft. Trotz alles Wissens um die Rezeptur und Ingredienzien, die ihre<br />

Kompositionen ausmachen, lässt sich <strong>für</strong> den Hörer das Geheimnis der faszinierenden<br />

Wirkungskraft ihres Klangweltenkosmos nicht restlos aufklären. Nichts ist bei Katharina<br />

Klement selbstverständlicher als das Ungewöhnliche.<br />

Der Weg zur Komposition hin 2 Es war der Universitätslehrgang <strong>für</strong> Computermusik und<br />

elektronische Medien in Wien (ELAK), der den Weg <strong>für</strong> Klement zur Komposition hin ebnete.<br />

Im Speziellen war es der Leiter dieses Lehrgangs, der Komponist und famose Lehrer<br />

Dieter Kaufmann, der als erster Impulsgeber da<strong>für</strong> verantwortlich war, die im Gegebenen<br />

schlummernden Möglichkeiten Katharina Klements – ihr Kompositionsbegehren<br />

– auf eine realistische Ebene zu heben. („Dieter Kaufmann war der erste, der mich da<br />

bestätigt hat. Da war ich ja schon 27.“) Die Sehnsucht bekam einen wirklichkeitsnahen<br />

Partner: das Tonband. Die klangaufzeichnenden Verfahren waren <strong>für</strong> ihr Komponieren<br />

vorerst zentral, denn in dieser vergleichsweise jungen Kompositionsrichtung gab es keine,<br />

auf jahrhundertealte männliche musikalische Überlieferungstraditionen basierende<br />

Instanz, die feststellen hätte können, was falsch wäre und was richtig. Die elektronische<br />

Musik als eine Art Freiraum also, ein Freiraum, in dem sich die in traditionellen Kompositionsschulen<br />

verhafteten Professorenköpfe nicht auskannten, nicht mitreden und den<br />

langen Arm des Kompositionspatriarchats nicht ausbreiten konnten. Klement beschreibt<br />

ihren damaligen Zustand so: „Die elektronische Komposition, dieses <strong>für</strong> mich noch ferne,<br />

aber wohl erreichbare Land interessiert mich, ein Land, das abseits der eingefahrenen<br />

Kategorien liegt. Dort will ich hin. Aber gleichzeitig weiß ich, es wird lange dauern,<br />

dorthin zu gelangen.“<br />

Komposition „Komposition ist nach wie vor eine männliche Festung.“<br />

Komposition, Elektronik, Improvisation Katharina Klement hat die Zeitläufe der musikalischen<br />

und technologischen Entwicklungen präzise studiert und forschend kritisch<br />

beleuchtet; sie hat sich zur Darstellung ihrer Kompositionen mit den unterschiedlichsten<br />

Musikaufzeichnungssystemen auseinandergesetzt – mit und ohne schriftlichen Außenspeicher;<br />

sie hat in ihren Schriftkompositionen nicht verabsäumt, neben der Verwendung<br />

von traditioneller Notation die in den späten 1950er Jahren entwickelten, aber<br />

grosso modo ungeliebt gebliebenen indeterminierten Kompositionstechniken samt ihren<br />

neuen Verschriftungsverfahren aufzugreifen und weiterzuentwickeln; sie hat mit dazu<br />

beigetragen, den Begriff Improvisation neu zu schärfen und ihn auch als Spontanverwaltung<br />

von selbstentwickeltem Klangrepertoire zu begreifen; und sie hat lange daran<br />

gefeilt, den Klängen ihres musikelektronischen Geräteparks eine persönliche haptischsinnliche<br />

Qualität zu verleihen. Das, was bei ihr heute wie ein leichtfüßig komponiertes


musikalisches Poem erklingt und ihren Stil bestimmt, ist jedoch Resultat von mühseliger<br />

klangforschender Kleinarbeit. Über Jahre hat sie das Dreigestirn Komposition, Improvisation<br />

und Elektronik sondiert und solange an der Auflösung der (auf Form, Material<br />

und Inhalt bezogenen) strikten Zuordnungsparameter gearbeitet, bis die drei endlich<br />

eins – und so zu ihrem Sternzeichen geworden sind.<br />

Der Preis, der zu bezahlen ist 1<br />

„Bedauern Sie es, dass Sie keine Kinder haben?“<br />

„Na ja. Das ist eine blöde Frage.“<br />

(Die vielgeehrte deutsche Schauspielerin Martina Gedeck im FAZ-Interview mit Julia<br />

Schaaf, Nr. 47, 24. November <strong>2013</strong>, S. 62)<br />

Katharina Klement hat – wie so viele ihrer kunstschaffenden Kolleginnen, gleich ob aus<br />

dem Bereich der Musik oder aus anderen Kunstsparten – „auf Vieles verzichtet“. Sie hätte<br />

keine Familie gegründet, weil ihr das Arbeiten, das Komponieren, das Musikschaffen<br />

wichtiger gewesen wären. Jedoch: „Wenn ich mich bei meinen männlichen Kollegen<br />

umsehe, so kann man ohne weiteres konstatieren, dass sich da offensichtlich beides<br />

ausgeht: hier die Komponistenkarriere, dort die Partnerschaft, Familie, Kinder.“ Sie lebt,<br />

wie viele Künstler- und Wissenschaftskolleginnen auch, in einer „parafamilialen Amicalgemeinschaft“.<br />

(Dieser Ausdruck stammt von der Rektorin der Akademie der bildenden<br />

Künste Wien, Eva Blimlinger.)<br />

Elektronische Lebenswelten „If you’re under ninety, chances are that you’ve spent most<br />

of your life listening to electronic music.“ (Brian Eno). Enos Bemerkung ist eine pointierte<br />

Beschreibung der akustisch-musikalischen Sozialisation von mindestens drei Generationen.<br />

Alle musikalischen Genres sind von stromgebundenen Verfahren affiziert, geprägt,<br />

abhängig. Die elektronische Ära hat die Art und Weise, wie Musik geschaffen,<br />

vermittelt und gehört wird, revolutioniert. Mikrofon, Verstärker, Lautsprecher, Klangaufzeichnungs-<br />

und Wiedergabemaschinen sind auf den Ebenen der Musikproduktion,<br />

-rezeption und -perzeption zu den Zentralbegriffen der letzten Dezennien geworden.<br />

Jahrhundertealte Praktiken der Musikausübung wurden mit dem Aufkommen der Elektronik<br />

in einen Strudel krisenhafter Umbrüche gezogen, den man grob als Konkurrenz<br />

zwischen musikalischer Schriftkultur und neo-oralen Kompositions- und Musiziertechniken<br />

beschreiben könnte. Komposition, Improvisation und Elektronik beäugen sich seit<br />

diesen Tagen zumeist argwöhnisch, nicht nur allein ihrer unterschiedlichen inhaltlichen<br />

Komponenten und Produktionsweisen, sondern auch ihrer Positionen innerhalb der soziokulturellen<br />

und gesellschaftlichen Hierarchie wegen. Doch die drei angesprochenen<br />

Musiksphären repräsentieren gerade jene drei Klangachsen, worauf sich der kompositorische<br />

Werdegang von Katharina Klement auffädelt – die aber die Komponistin selbst<br />

immer wieder auf wunderbare Weise zusammenbrechen lässt.<br />

Mihrab Die Letztfassung dieser Komposition ist <strong>für</strong> Blockflöte, Bassklarinette und Elektronik<br />

geschrieben. Das Stück hat insofern einen besonderen Stellenwert in Klements<br />

Werk, da sie hier das erste Mal eine ganz klare Partitur <strong>für</strong> (Live-)Elektronik geschrieben<br />

95


hat. Dieser Part ist in hohem Maße auf der technisch-programmiersprachigen Seite wiederhol-<br />

und interpretierbar. Die Elektronik erscheint als integraler Bestandteil des akustischen<br />

Instrumentariums. Mihrab, arab., heißt übersetzt Nische. Es geht hier um den<br />

freigelassenen Ort, der in jeder Moschee vorhanden ist, um dem Propheten Mohammed<br />

eine Präsenz zu geben. „Es ist faszinierend <strong>für</strong> mich, dass Anwesenheit Leere bedeutet:<br />

einen leeren Raum schaffen, um Anwesenheit möglich zu machen.“<br />

Der Preis, der zu bezahlen ist 2 „Komponieren braucht unglaublich viel Raum. Doch in<br />

schwachen Stunden wächst manchmal eine große Einsamkeit heran. Aber Einsamkeit<br />

hat genauso viele positive und negative Seiten wie ein Familienleben oder ein enges<br />

partnerschaftliches Leben.“<br />

Jalousie Diese auf dem Grazer Label chmafu records 2012 veröffentlichte CD versammelt<br />

die wichtigsten Kompositionen aus den Jahren 2008 bis 2011. Die Booklet-Texte<br />

von Ursula Brandstätter und Katharina Klement geben einen guten Einblick in die Arbeitsweise<br />

der Komponistin.<br />

Aktivitäten Klement unterrichtet auch (Musikuniversität Wien, ELAK), wird immer wieder<br />

als Jurorin <strong>für</strong> Kompositionswettbewerbe eingeladen und ist aktives Mitglied der Internationalen<br />

Gesellschaft <strong>für</strong> Neue Musik (IGNM).<br />

Klang 2 Klements Musik ist an ein Publikum adressiert, das sich Zeit zum Hören nimmt<br />

und an vorsichtige verletzliche Klänge glaubt. So wie Alberto Giacometti auch mit seinen<br />

kleinsten Figurenplastiken frappierende Weiträumigkeit zu erzeugen weiß, schaffen<br />

Klements noch so zartesten Klänge raumweite Hörräume und bieten Platz zu hörendem<br />

Nachsinnen.<br />

Sonett 4 Das, worauf sich Brandung IV beziehen wird.<br />

Y aunque busco la cumbre de prudencia<br />

me da tu corazón valle tendido<br />

con cicuta y pasión de amarga ciencia.<br />

Burkhard Stangl<br />

*Vorliegender Text basiert auf einem Gespräch, das der Autor mit der Komponistin im Frühherbst <strong>2013</strong> geführt hat, sowie auf seinem<br />

Aufsatz „Präzision, Stil, Meisterschaft. Über die Lyrikerin in der Musik: Katharina Klement“, der 2009 im Booklet zur ORF-CD, Edition<br />

Zeitton, erstmals veröffentlicht wurde.<br />

Burkhard Stangl, Komposition, Improvisation, Gitarre, Elektronik; an mehr als 80 LP-, CD- und DVD-Veröffentlichungen<br />

beteiligt, zuletzt: Burkhard Stangl: Hommage à moi, Schuber mit 3 CDs, Buch (496 S.), DVD,<br />

edition echoraum/loewenhertz Wien 2011 sowie Unfinished: For William Turner, painter. Touch-CD TO 92,<br />

London <strong>2013</strong>; Lehrbeauftragter <strong>für</strong> „Improvisation und neue Musikströmungen“ an der Universität <strong>für</strong> Musik<br />

und darstellende Kunst Wien, lebt mit seiner Partnerin in Leben und Kunst Angélica Castelló in Wien.


Wunden der Liebe<br />

Dieses Licht, dieses Feuer, das verschlingt.<br />

Diese graue Landschaft, die mich umgibt.<br />

Dieser Schmerz <strong>für</strong> eine einzige Idee.<br />

Diese Angst des Himmels, der Welt und der Stunde.<br />

Diese Träne aus Blut, die schmückt<br />

die Leier schon ohne Puls, schwache Fackel.<br />

Diese Last des Meeres, die sich auf mich legt.<br />

Dieser Skorpion, der meiner Brust entspringt.<br />

Sind Girlande der Liebe, Lager des Verwundeten,<br />

wo ich ohne Schlaf träume deine Gegenwart,<br />

zwischen den Ruinen meiner zerstörten Brust.<br />

Und obwohl ich suche den Gipfel der Vernunft<br />

gibt mir dein Herz ein breites Tal<br />

mit Schierling und Leidenschaft von bitterer Erkenntnis.<br />

Federico García Lorca<br />

Die freie Übersetzung des Sonetts ins Deutsche stammt von Katharina Klement selbst. Ich danke der Komponistin <strong>für</strong> die Möglichkeit,<br />

sie an dieser Stelle verwenden zu dürfen.


<strong>Österreichischer</strong> <strong>Kunstpreis</strong> <strong>2013</strong> – Video- und Medienkunst<br />

GERDA LAMPALZER<br />

Geboren 1959 in Wien, lebt und arbeitet in Wien und Niederösterreich, Studium der<br />

Kommunikationswissenschaften an der Universität Wien, Kuratorentätigkeit, Veranstaltungskonzepte<br />

und Publikationen zu Video- und Medienkunst, künstlerische Arbeit im<br />

Bereich Fotografie, Video, Installation, Text, seit 1980 Co-Leitung der Medienwerkstatt<br />

Wien, seit 1987 Lehre an der Universität <strong>für</strong> angewandte Kunst Wien, 2001 bis 2006<br />

Dozentin an der Donau-Universität Krems, 2006 bis 2011 Lektorin an der Kunstuniversität<br />

Linz, <strong>2013</strong>/2014 Gastprofessur <strong>für</strong> zeitbasierte Medien an der Kunstuniversität<br />

Linz, Mitglied der IG Bildende Kunst, der Vereinigung bildender Künstler Wiener<br />

Secession sowie bei FLUSS NÖ. Initiative <strong>für</strong> Foto- und Medienkunst, seit 1993 künstlerische<br />

Zusammenarbeit mit Manfred Oppermann.


99<br />

Textil Müller Adjustable, 2009, 10-teilige Fotoserie © Lampalzer/Oppermann


Textil Müller Adjustable, 2009, 10-teilige Fotoserie © Lampalzer/Oppermann


Festivalteilnahmen (Auswahl)<br />

World Wide Videofestival Den Haag, AVE Arnheim, Eldorado Antwerpen,<br />

Manifestation internationale de Vidéo Montbéliard, Videopoint Paris, Videowochen<br />

Wenkenpark Basel, Zworrjkin Videofestival Zürich, Video Art Lugano, Viper Luzern,<br />

Film & Videofestival One Minute Aarau, VIPER Basel, Erlanger Videotage, Berliner<br />

Videotage, Videoforum Freiburg, Kurzfilmtage Oberhausen, Internationales Dokumentarfilmfestival<br />

Leipzig, Saarbrückener Videotage, Videonale Bonn, Internationaler<br />

Experimentalfilmworkshop Osnabrück, EMAF Osnabrück, Mednarodni bienale Video<br />

Ljubljana, Fofites Novi Sad, Video susreti Sarajewo, Skuc-Forum Ljubljana, The Middle<br />

of Europe Warschau, Festival National Video Madrid, Festival Internacional de<br />

Cinema da Figuera da Foz, Alpe Adria Cinema Triest, Netmage Bologna, Hallwalls<br />

Contemporary Arts Center Buffalo, Chicago Filmmakers, Video Culture Toronto, Low<br />

Budget Festival Hull, Golden Orange Short Film Video Festival Antalya, Internationale<br />

Videotage Istanbul, if Forum Tokyo, K3 Kurzfilmfestival Villach/Udine, Diagonale,<br />

Fullframe Wien.<br />

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Ausstellungsprojekte und -beteiligungen (Auswahl)<br />

<strong>2013</strong> Teilnahme an In Bewegung, Fotoforum Braunau; United States of Europe, Sofia,<br />

Paris, Cork, Brüssel<br />

2012 Teilnahme an United States of Europe, Helsinki, Vilnius, Guimarães, Nicosia,<br />

Dresden, Sofia; Hinter dem Gesichtsfeld, Literaturhaus Graz; International<br />

Experimental Video Art Exhibition 2004–2012, National Art Gallery Bangkok;<br />

Aneignung, Fotogalerie Wien<br />

2011 Teilnahme an FLUSS in Athen, Galerie M55projects Athen; Imagining Europe,<br />

ACSIS-Conference Norrköping, United States of Europe, Łódź<br />

2010 Teilnahme an Crosstalk, Video Art Festival Budapest; Ich ist ein anderer,<br />

Landesmuseum Niederösterreich, St. Pölten*; My City Festival, Kulturschiff A38,<br />

Österreichisches Kulturforum Budapest<br />

2009 Video Edition Austria release 02, vierteilige Video-Edition (mit Eva Brunner-<br />

Szabo und gangart), Kuratorin; Teilnahme an The Beggar‘s Opera, Rauminstallation<br />

in der Masc Foundation Wien*; DOUBLE EXPOSITION, Galerie Stara<br />

Kapetanija, Belgrad*; Conceptual Now 2009, Basement Wien<br />

2008 TRANSLATION, Donau-Universität Krems (Kunst im öffentlichen Raum Niederösterreich);<br />

Die dunkle Wucht, Naked Cinema – Open Air im Augarten Wien*;<br />

Teilnahme an Image & Text, Basement Wien; space shuttle 01, Künstlerhaus<br />

Dortmund; Backlight 08 – Tickle Attack, 8. internationale Fototriennale in<br />

Tampere<br />

2007 Teilnahme an Artclips .ch .at .de, Ausstellung und Präsentation im ZKM Medienmuseum<br />

Karlsruhe<br />

2006 Crossover: Fotografie – Film, Fotogalerie Wien*; Teilnahme an I shall illuminate<br />

the dark side of the moon, Public Bath, Belgrad<br />

2005 The Backside Of Production, Personale, Medienwerkstatt Wien*; Teilnahme an<br />

Realitäten, Fotogalerie Wien; Daumenkino, Kunsthalle Düsseldorf*<br />

2004 Shifting positions, Medienwerkstatt Wien*; Teilnahme an Phänomen Landschaft,<br />

Niederösterreichisches Landesmuseum, St. Pölten<br />

2003 seen sehen flugs H2O, Wasserturm Wien; Translation, Kunsthalle Wien im<br />

Museumsquartier<br />

2002 Video Edition Austria release 01, vierteilige Video-Edition (mit Eva Brunner-<br />

Szabo und Judith Wieser), Kuratorin; Die Changse des Outputz, Gastatelier<br />

Admiralitätsstraße Hamburg*; Die Medienwerkstatt zu Gast in Prag, Kulturforum<br />

Prag*; Teilnahme an Dichotomie oder die träge Liebe zur Hälfte, Schauspielhaus<br />

Wien*


2001 Das Hühnerfilet quietscht, Mölkerei Mödling*; Short cuts and cookies,<br />

Filmcasino Wien*<br />

2000 Doppeltes Spiel, Medienwerkstatt Wien*; Made in Canada, OCAD Outreach<br />

Gallery Toronto; Teilnahme an New Austrian Spotlight, Istanbul*<br />

1999 Visitez ma tente, Zwei-Kanal-Installation <strong>für</strong> MOV[CIT]IES Wien*; Teilnahme an<br />

Vinyl-Video, Phonotaktik, Rhiz Wien*<br />

1998 Teilnahme an Im Reich der Phantome – Fotografie des Unsichtbaren, Kunsthalle<br />

Krems*<br />

1997 Hausgemachte Fotoserien, Künstlerhaus Dortmund*; Experiment of the month,<br />

United Media Arts Durham*; Teilnahme an Video-Dialoge, Ferdinandeum Innsbruck;<br />

Karamustafa Import Export, Wien und Istanbul*<br />

1996 Hausgemachte Fotoserien, KX auf Kampnagel Hamburg*; Teilnahme an Künstlerhouse,<br />

Passagengalerie Künstlerhaus Wien*; Objekt Video, Oberösterreichische<br />

Landesgalerie Linz<br />

1995 Mediale Objekte, Kunstraumgalerie Arcade Mödling; Teilnahme an Weitsicht,<br />

Schleiermacherhaus Halle/Saale<br />

1994 Video Edition Austria, zehnteilige Video-Edition (mit Eva Brunner-Szabo, Anna<br />

Steininger), Kuratorin; Teilnahme an Im Augenblick, Thurn und Taxis Palais<br />

Bregenz; Bad zur Sonne – 100 Umkleidekabinen, Steirischer Herbst Graz<br />

*mit Manfred Oppermann<br />

Preise und Auszeichnungen (Auswahl)<br />

<strong>2013</strong> <strong>Österreichischer</strong> <strong>Kunstpreis</strong>, <strong>Bundesministerium</strong> <strong>für</strong> <strong>Unterricht</strong>, Kunst und Kultur<br />

2006 Würdigungspreis des Landes Niederösterreich <strong>für</strong> Medienkunst; 1. Platz beim<br />

Wettbewerb um die künstlerische Gestaltung des Neubaus Die Niederösterreichische<br />

Versicherung St. Pölten (nicht realisiert)<br />

2005 Karl-Hofer-Preis der Universität der Künste Berlin <strong>für</strong> Translation; Nominierung<br />

<strong>für</strong> den Internationalen Medienpreis <strong>für</strong> Wissenschaft und Kunst des ZKM mit<br />

Translation<br />

2004 Bestes Erstlingswerk beim DEBÙTNALE Award <strong>für</strong> Frau sein heißt…<br />

1999 Anerkennungspreis des Landes Niederösterreich <strong>für</strong> Medienkunst<br />

1992 Förderungspreis <strong>für</strong> Videokunst, <strong>Bundesministerium</strong> <strong>für</strong> <strong>Unterricht</strong> und Kunst<br />

1983 Preis des belgischen Fernsehens R.T.B.F. <strong>für</strong> ASUMA<br />

Videostills aus: How do you like the Philippines?, 2-Kanal Video Installation © Gerda Lampalzer 2004<br />

103


105<br />

Transformation, HDV 16:9, 23 min © Gerda Lampalzer 2009


107<br />

Aus: Das Odessa-Syndrom, 12-teilige Fotoserie © Gerda Lampalzer 2008


TRANSLATION, 4-Kanal-Video-Installation, Ausstellungsansicht Kunsthalle Wien<br />

© Gerda Lampalzer 2003


MEIN SCHATZ SPRACH, Textcollage auf Unterwasserfoto, A5-Postkarte als Vorlage <strong>für</strong> Unikate in Variationen<br />

© Gerda Lampalzer <strong>2013</strong><br />

109


ein Traum/ein Archiv/ein Labor<br />

Ein Vorlese-Text <strong>für</strong> Gerda Lampalzer<br />

„Wir zogen die schweren Revolver (plötzlich gab es im Traum Revolver), und fröhlich<br />

erschossen wir die Götter.“<br />

Jorge Luis Borges: Buch der Träume<br />

In meinem Traum tönen/sprechen und singen die Bilder/ich träume also schon von<br />

ihren Arbeiten/so weit/so gut/also/Schrift gibt Stimme/so hybride wie die Arbeiten/<br />

so hybride der Text/ein Springen/a knight’s move/weil mir die Gerade/die Linearität<br />

verweigert ist/blaue Schachteln auch hier/Botschaften/die die Besitzer wechseln/das<br />

tun/als-ob/spielen wir die Spiele/Eröffnungszüge und Spielregeln/und der Wunsch/<br />

die Nichtspieler zumindest zu Falschspielern machen zu wollen/ein Stolpern mehr/<br />

klug und richtig/über viel zu belastete Treppen/erneut/etwas wie/ein Trick/eine Karte<br />

im Pyjama-Ärmel/eine Müller-Textur/Schrift gibt mehr/…/ein textlicher Impuls/von der<br />

Sprache zur Schrift/von der Schrift zur Literatur gelangen/das ist kein Gedicht/das ist<br />

eine Beobachtung/eine Schnittfolge/auch eine Übersetzung/Metamorphosen allerorten/…/ein<br />

weiterer Zug/ein weiterer Sprung/im Feld gegenüber wurzeln die Bilder<br />

in der Moderne/im Literarischen fußt das Filmische/also bitte nicht Entlasten/oder gar<br />

gefällig sein/eine Grenze will doch übertreten werden/Karneval wollen wir anderen<br />

überlassen/dort wird dann weniger risikoreich gestürzt/den fake und die Täuschung<br />

bevorzugt anders ausgeben/Medien werden thematisiert/bei Gerda Lampalzer/immer<br />

und/bloß nicht nachlassen/.../im Zweigespann wird paarweise behauptet/verkleidet/<br />

und/ja/erneut/gestolpert/es darf gelacht werden/es soll/es muss gedacht werden/<br />

beides/mit Theorie/die die Praxis nicht scheut/sich auseinandersetzen/sich befragen/<br />

permanente Inventur der Haltungen und Standpunkte betreiben/sich mitmeinen/wenn<br />

man die Augen aufmacht/das ist schön/und keine Fehlleistung/zumindest nicht/wie<br />

man herkömmlich so meint/die Zumutungen der Wirklichkeit/müssen wir/die Theorie<br />

und ich schon aushalten/ja/auch/aushalten wollen/eine schöne Belastungsprobe/die<br />

ich mir abgeschaut habe/.../machen wir das Kino also nackt/spüren nach wie wir/<br />

horchen und gehorchen/wenn es darauf ankommt/welche Gesten/also/das Zusätzlich/<br />

wir so locker machen/Rückkoppelungen und beschworene Gespenster/mediale Wiedergänger<br />

lungern vor dem Auge/da geben Medien und Mythen/eine neue Spur/die<br />

eine Neuschreibung verlangt/eine Spur/die sich über die vorhergehende liegt/video/<br />

ich sehe/das Schöpferische und Aktive/darin erkenne/von der Sehkraft zur Sehstärke/<br />

ein leicht verschmierter Blick auf Arrangements ergibt sich/bei mir/zumindest/ein tableau/das<br />

sich vivant verhält/die sich wandelnde Szenerie/sich dreht und transformiert/<br />

Sprache gibt Bilder/vielleicht auch Bühnen/auf jeden Fall/Leinwände/eine Anordnung<br />

der Dinge/wie in einer Werkstatt/darin das Material der Sprache/die Strukturen des<br />

Erhabenen/Derek und Peter lassen grüßen/es blitzt/es blitzt/das ist die ihre/also Gerda<br />

Lampalzers/Infragestellung der Haltungen/der Limits/die vorschnelle Kapitulation<br />

vor dem elenden Wort der Gegebenheiten/.../nicht weniger bedeutungsvoll dabei/<br />

die Produktionsverhältnisse/das Verstreuen des Gestalteten/die Möglichkeit von Stiftung<br />

und Reflexion der Geschichte/der Medien/und umgekehrt/förmlich kopfüber/wie man


erzählt/um Geschichte zu machen/dabei die Hände anlegt/Platten und mehr auflegt/<br />

fast schon: heilend/ein Einschreiben/ein Pulsieren/auf ein aktives/ein aktiviertes Archiv<br />

zu/und über das Moment der Institution hinausgehen/sagt Gerda Lampalzer/und ich<br />

nicke/richtig/richtig/mehr davon bitte/das Denken über Aspekte des Räumlichen/des<br />

Körperlichen/der Sammlung/sich auf den Ausbruch aus der Linearität einlassen/weil/<br />

von wegen/unhinterfragte Progression/und so/.../also vom Rand her/aus der Bewegung<br />

heraus/fröhlich attackieren/und noch fröhlicher forschen/denn: das heißt Kunst machen/strapaziertes<br />

Vokabular auch hier/Luft holen/Luft anhalten/tauchen/einen Laborbetrieb<br />

aufmachen und Formen zum Spielen bringen/also/Archiv und Labor/Orte der<br />

Möglichkeit öffnen/hier darf man sich noch täuschen/keine Frage von Dienerschaft und<br />

Unterordnung/künstlerische Forschung machen/nein/richtiger: gemacht haben/ohne<br />

den Begriff gehabt oder gebraucht zu haben/und was ich nicht verstehe/soll/auch mir<br />

und euch/ein Umweg sein/der ganz gegangen sein soll/Schritt <strong>für</strong> Schritt/einer Kartografie<br />

statt einer Chronik/das Prozesshafte betonend/und von der Rückseite der Dinge/der<br />

Sprache/berichtend/.../kann man denn wissenschaftlich sein/oder zumindest<br />

etwas sagen/etwas gesagt haben/ohne einen Punkt zu machen/ein experimentelles<br />

Dokumentieren/auch hier und jetzt/in diesen Zeilen/also/ja/ja auch/vor allem aber/<br />

ein Verneigen/bis ich aufwache/den poetischen Blick/aufgeklebt/wie uns die Kunst<br />

einen anderen Blick gestattet/auch gänzlich wach/wie uns Gerda Lampalzer Blicke<br />

schenkt/Perspektiven und Periskope/das rettet mir das Leben/das könnte doch auch <strong>für</strong><br />

Sie wichtig und/wie heißt es so/schön/gewinnbringend sein/machen Sie es sich leicht/<br />

indem Sie es sich sehr schwer machen/und sprechen sie mir nach<br />

(<strong>2013</strong>)<br />

Thomas Ballhausen<br />

Thomas Ballhausen, geboren 1975, lebt und arbeitet in Wien, Studium der Vergleichenden Literaturwissenschaft,<br />

Germanistik und Philosophie, Autor, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Filmarchiv Austria, Lektor an<br />

der Universität Wien, literarische und wissenschaftliche Veröffentlichungen, zuletzt Lob der Brandstifterin<br />

(Edition Atelier, Wien <strong>2013</strong>).


Die Überreichung der Österreichischen <strong>Kunstpreis</strong>e <strong>2013</strong> findet am 28. Jänner 2014<br />

im Musikzimmer der Wiener Hofburg statt.<br />

Impressum<br />

Medieninhaber: <strong>Bundesministerium</strong> <strong>für</strong> <strong>Unterricht</strong>, Kunst und Kultur – Kunstsektion,<br />

1014 Wien, Concordiaplatz 2<br />

Telefon: +43 (0)1 531 20 DW 6860<br />

E-Mail: charlotte.sucher@bmukk.gv.at<br />

Redaktion: Charlotte Sucher, Sonja Bognar<br />

Copyright der Texte und Abbildungen bei den AutorInnen, KünstlerInnen und beim<br />

Herausgeber.<br />

Typografische Gestaltung: Peter Doppelreiter<br />

Druck: Remaprint, Wien<br />

Die alte Rechtschreibung im Beitrag von Daniela Strigl wurde beibehalten.

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