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Ausgabe als PDF downloaden - Jusos München

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T I C K E R<br />

+++ start ticker +++<br />

> Die Regionalverbände der <strong>Jusos</strong> im Westen und Norden haben<br />

im Juli Jahreshauptversammlungen abgehalten und neue<br />

Vorstände gewählt: Die LID-Redaktion gratuliert Jan-Eric<br />

Smolarek, Lena Sterzer, Daniel Hacker, Yasmin Holm und<br />

Quirin Weinzierl (für den RV-Nord), sowie Philipp Obermüller,<br />

Sinaida Kumpf, Markus Peller, Janine Klausch und Marcel Reymus<br />

(für den RV-West) ganz herzlich und wünscht viel Spaß<br />

und Erfolg bei der Arbeit.<br />

> Gleichfalls gratulieren wir ganz herzlich dem neuen Sprecherkreis<br />

des AK Antifaschismus, bestehend aus Eva-Maria<br />

Wolf, Max Kolmeder, Katharina Weber, Markus Peller und<br />

Matthias Rosenbaum, der sich ebenfalls im Juli konstituieren<br />

konnte.<br />

+++ ende ticker +++<br />

Impressum:<br />

Links im Druck - Die Mitgliederzeitschrift der Münchner <strong>Jusos</strong><br />

Druck:<br />

V.i.S.d.P. :<br />

Redaktion:<br />

Innenlayout:<br />

Auflage: 500<br />

Erscheinungsweise: 6 <strong>Ausgabe</strong>n pro Jahr<br />

Osiris Druck, Karl-Heine-Str. 99, 04229 Leipzig<br />

Jürgen Glatz, c/o <strong>Jusos</strong> München, Oberanger 38/IV, 80331 München<br />

Jürgen Glatz, Simone Burger, Philipp Obermüller, Mike Raab, Jakob Rinkewitz<br />

Oliver Kohlmaier, Jens Röver, Jerome Schäfer, Eva-Maria Wolf<br />

Alessandro Fuschi<br />

Wir freuen uns über Mitarbeit, Kritik, Artikel und andere Rückmeldungen;<br />

Kontakt über lid@jusos-m.de oder über Jürgen Glatz, tel. 21 75 22 40.<br />

Namentlich gekennzeichnete Artikel geben nicht unbedingt die Meinung des Herausgebers wieder.<br />

Die Redaktion behält sich vor, Artikel abzulehnen oder zu kürzen.<br />

Wenn Sie spenden wollen: <strong>Jusos</strong> München, Konto-Nr. 111 500, Stadtsparkasse München, BLZ 701 500 00.<br />

Wir stellen Ihnen unaufgefordert eine steuerabzugsfähige Spendenquittung aus.


E D I T O R I A L<br />

Inhalt<br />

04 Schwerpunkt<br />

Für ein linkes Projekt<br />

Fr a n z i s k a Dr o h s e l<br />

06 Schwerpunkt<br />

Wohin steuert die SPD?<br />

Th o m a s As b ö c k<br />

09 Schwerpunkt<br />

SPD - Wohin?<br />

Christian Kö n i n g<br />

11 Verband Intern<br />

Kommunalwahlkampf<br />

2008: Ein Rückblick<br />

Je n s Rö v e r<br />

14 Verband Intern<br />

Hinter den Kulissen...<br />

Le n a Sterzer<br />

16 Verband Intern<br />

Bericht von der Gesamtklausurtagung<br />

in Bernried<br />

Le n a Sterzer<br />

18 Verband Intern<br />

„Gute Arbeit“ ganz dezent<br />

Je n s Rö v e r<br />

19 Verband Intern<br />

Labour paints Oxford red<br />

again!<br />

Fl o r i a n Bieberbach<br />

22 Verband Intern<br />

US-Wahlkampf -<br />

Clinton vs. Obama<br />

Philipp Obermüller<br />

23 Das letze Wort<br />

Vorwärts und nichts<br />

vergessen<br />

An n o Dietz<br />

Die nächste Falle steht<br />

Die Debatte um den richtigen Umgang mit der Linkspartei prägte die Berichterstattung<br />

und öffentliche Wahrnehmung der deutschen Sozialdemokratie in der jüngsten Zeit<br />

wie kaum ein zweites Thema. Ausgangspunkt des jetzigen Dilemmas war die frühzeitige<br />

Entscheidung von Kurt Beck jedweder Kooperation mit der Linkspartei in den<br />

westlichen Bundesländern eine kategorische Absage zu erteilen. Diese Positionierung<br />

war von Anfang an f<strong>als</strong>ch und strategisch völlig unhaltbar. Die inhaltlich vollkommen<br />

richtige und überfällige Korrektur dieser Fehlentscheidung erfolgte im Zuge der hessischen<br />

Landtagswahl und löste eine medial omnipräsente Glaubwürdigkeitsdebatte aus.<br />

Zweifelsohne muss das Timing Becks <strong>als</strong> suboptimal bezeichnet werden, auch Andrea<br />

Ypsilanti hätte sich einigen Ärger erspart, hätte sie nicht im Wahlkampf eine wie auch<br />

immer geartete Kooperation mit den Linken so rigoros ausgeschlossen. Leider scheinen<br />

die maßgeblichen Akteure in der SPD nichts aus diesem Fehler gelernt zu haben, denn<br />

für die Bundesebene soll das Motto „Mit der Linkspartei niem<strong>als</strong>!“ nun umso vehementer<br />

vertreten werden. Zu erkennen, dass diese Position früher oder später ebenfalls unhaltbar<br />

sein wird und geräumt werden muss, bedarf keiner hellseherischen Fähigkeiten.<br />

Die daran anschließende „Glaubwürdigkeitsdebatte“ in den Medien dürfte der SPD<br />

in den Umfragen kurzfristig geschätzte 15% einbringen. Warum die Parteispitze sich<br />

so leidenschaftlich selber Fallen stellt, bleibt tendenziell rätselhaft. Auch warum eine<br />

Kooperation auf Länderebene nun möglich ist, auf Bundesebene aber weiterhin des<br />

Teufels ist, dürfte für die meisten Menschen nicht nachvollziehbar sein. Die parteioffizielle<br />

Sprachregelung diesbezüglich geht so: auf Bundesebene könne man nicht mit der<br />

Linkspartei zusammenarbeiten, da in der Wirtschafts- und Finanzpolitik und insbesondere<br />

in der Außen- und Sicherheitspolitik „unüberbrückbare Differenzen“ bestünden. In der<br />

Tat erscheint die eine oder andere außenpolitische Positionierung der Linkspartei, etwa<br />

was die grundsätzliche Ablehnung von Auslandseinsätzen der Bundeswehr angeht,<br />

selbst wenn sie UN-mandatiert sind und ihrem Wesen nach nicht-kriegerisch, wenig<br />

sinnvoll. Ähnlich „unüberbrückbare Differenzen“ dürften aber auch das Verhältnis zur<br />

Union prägen und nicht zuletzt zur FDP in der Sozial- und Arbeitsmarktpolitik, was die<br />

Parteispitze aber nicht davon abhält sich der Westerwelle-Truppe bei jeder Gelegenheit<br />

anzubiedern. Vermeintliche oder tatsächliche „unüberbrückbare Differenzen“ mit anderen<br />

Parteien werden in Sondierungs- und Koalitionsgesprächen ausgeräumt oder eben nicht,<br />

so funktioniert nun einmal Politik! Im Falle der Linkspartei gleichwohl scheint Rationalität<br />

leider für viele GenossInnen keine Rolle mehr zu spielen und gelten anscheinend<br />

andere Maßstäbe. Die Koalitionsoption gerät hier zu einer nahezu religiösen Frage, wo<br />

politisch-pragmatische Erwägungen nebensächlich werden.<br />

Jenseits der leidigen Linkspartei-Debatte muss sich die SPD mal ernsthaft entscheiden,<br />

mit welchem Programm und vor allem mit welcher Gerechtigkeitsvorstellung sie ihr<br />

Profil in Zukunft schärfen will. Das Konzept der „Chancengesellschaft“ (wie es auf dem<br />

Zukunftskonvent Ende Mai propagiert wurde), in der die Politik darauf beschränkt wird,<br />

den Einzelnen für den Markt und den Wettbewerb fit zu machen, ist mit Sicherheit nicht<br />

geeignet den Status der SPD <strong>als</strong> linke Volkspartei zu erhalten bzw. wiederherzustellen.<br />

Sollten die Stones, samt ihrer zahlreichen Fans allen voran in der Bundestagsfraktion,<br />

die zukünftige programmatische und strategische Ausrichtung der SPD bestimmen, geht<br />

die Partei ganz finsteren Zeiten entgegen.<br />

Jü r g e n Gl at z<br />

02 03


M E I N U N G<br />

Für ein linkes Projekt<br />

Die Diskussion um den Umgang<br />

mit der Linkspartei hat die SPD die<br />

letzten Wochen stark beschäftigt.<br />

Wir <strong>als</strong> <strong>Jusos</strong> haben schon seit<br />

längerem eingefordert, dass die<br />

Blockadehaltung und der künstliche<br />

Antikommunismus gegenüber<br />

der Linkspartei aufgegeben und<br />

stattdessen der sachliche und an<br />

inhaltlichen Positionen orientierte<br />

Umgang gesucht wird. Der Beschluss<br />

des Parteivorstandes und<br />

des Parteirates, dass die Landesparteien<br />

eigenständig über mögliche<br />

Koalitionen entscheiden können,<br />

geht in die richtige Richtung.<br />

Auch wenn dies eigentlich eine<br />

Selbstverständlichkeit der innerparteilichen<br />

Demokratie darstellt,<br />

ist es doch erfreulich, dass damit<br />

die Abschottung gegenüber der<br />

Linkspartei in den westdeutschen<br />

Ländern ein Ende hat. Gleichzeitig<br />

wurde in den Gremien jedoch<br />

auch festgehalten, dass es im Bund<br />

zur Linkspartei „unüberbrückbare<br />

Hindernisse“ gibt. Das Ende einer<br />

dogmatischen Blockade damit<br />

einzuläuten, ein neues Dogma<br />

(diesmal nur die Bundesebene<br />

betreffend) auszurufen, erscheint<br />

nicht richtig.<br />

Ein Blick zurück<br />

Eine Koalition links der Mitte<br />

schien in Deutschland lange Zeit<br />

aussichtslos. Weder konnte die<br />

SPD absolute Mehrheiten erringen,<br />

noch existierte eine tragfähige<br />

und verlässliche Partei links<br />

der Sozialdemokratie. Die Grünen<br />

haben sich nach bewegten Anfangsjahren<br />

<strong>als</strong> eine bürgerliche<br />

und wirtschaftsliberale Milieupartei<br />

etabliert, bei der in Zukunft geschaut<br />

werden muss, inwieweit<br />

mit ihr progressive Gestaltungsmöglichkeiten<br />

möglich sind.<br />

Erst die historisch-spezifische<br />

Konstellation, unter der die PDS<br />

entstand, eröffnete zumindest die<br />

theoretische Möglichkeit einer<br />

Mehrheit links der Mitte. Doch<br />

die Partei kämpfte hauptsächlich<br />

mit sich und der Vergangenheit.<br />

Die PDS suchte nach einem Profil<br />

jenseits ihres angestammten<br />

Wählerklientels und musste doch<br />

den inhaltlichen Bezug halten,<br />

aus dem sie hervorgegangen<br />

war. Dazu kam der betonierte<br />

Antikommunismus eines Großteils<br />

der SPD, der nicht sehen wollte und<br />

konnte, dass Programm und Personen<br />

der PDS nicht an Moskau,<br />

sondern an Godesberg angelehnt<br />

waren.<br />

So entstand ein Widerspruch zwischen<br />

der reflexartigen Ablehnung<br />

der PDS und den politischen Herausforderungen<br />

auf Kommunalund<br />

Länderebene, denn in den<br />

neuen Bundesländern hatte man<br />

es ja nicht mit Sektierern zu tun,<br />

sondern mit einer Volkspartei, die<br />

nicht selten mehr Stimmen <strong>als</strong> die<br />

SPD erhielt.<br />

Während auf kommunaler Ebene<br />

eine Zusammenarbeit längst normal<br />

war, brachen mit dem Tolerierungsmodell<br />

in Sachsen-Anhalt<br />

auch auf Länderebene die Dämme.<br />

Die Regierungsbeteiligung in<br />

Mecklenburg-Vorpommern und<br />

schließlich der rot-rote Senat in<br />

Franziska Drohsel,<br />

Juso-Bundesvorsitzende<br />

Berlin manifestierten eine politische<br />

Realität, gegen die man im<br />

Rest der Republik noch mit allen<br />

Mitteln kämpfte.<br />

Hoffte man noch, die PDS wäre ein<br />

temporäres politisches Phänomen,<br />

wurde man mit der Gründung der<br />

WASG und der sich recht schnell<br />

abzeichnenden Fusion mit der<br />

PDS eines besseren belehrt. Die<br />

SPD hatte mit ihrer Reformpolitik<br />

ein Vakuum hinterlassen, das einer<br />

Partei links der SPD dauerhafte<br />

Existenz beschert hat.<br />

Die Auseinandersetzung mit<br />

der Linkspartei<br />

Die Linkspartei ist heterogen in<br />

ihrer Mitgliederstruktur, in ihrem<br />

Programm nicht gefestigt und in<br />

ihrer Struktur brüchig. Die Entwicklung<br />

dieser Partei ist <strong>als</strong>o in<br />

vielfacher Hinsicht offen. Zu ihrer<br />

heutigen Bedeutung konnte sie nur<br />

gelangen, weil die Politik der sozialdemokratischen<br />

Regierung in


M E I N U N G<br />

weiten Teilen unserer traditionellen<br />

Wählerschaft für Enttäuschung gesorgt<br />

hat.<br />

Klar ist für uns <strong>Jusos</strong> deshalb, dass<br />

es zwar inhaltliche Gemeinsamkeiten<br />

gibt, gleichzeitig aber auch<br />

Felder, auf denen die offensive<br />

Auseinandersetzung Not tut.<br />

Gemeinsamkeiten sehen wir im<br />

Bereich der sozialen Frage. Die<br />

Linkspartei teilt mit uns das Anliegen,<br />

eine Politik gegen soziale<br />

Ungleichheit zu formulieren. Auseinandersetzungsbedarf<br />

besteht<br />

über die Art und Weise. Unserer<br />

Auffassung nach muss Sozi<strong>als</strong>taat<br />

alle Menschen in die Lage versetzen,<br />

selbst bestimmt leben zu können.<br />

Eine nach hinten gerichtete<br />

Diskussion, man müsse nur alle<br />

Schröder-Reformen wieder rückgängig<br />

machen und alles wäre<br />

gut, ist dabei nicht ausreichend.<br />

Auch den Sozi<strong>als</strong>taat der 70er<br />

Jahre haben wir von links kritisiert<br />

(z.B. Ausrichtung auf das männliche<br />

Ernährermodell). Richtig ist,<br />

auch erfolgte Reformen kritisch zu<br />

beleuchten. Beispielsweise muss<br />

die Politik des „Förderns und Forderns“<br />

überdacht und verändert<br />

werden. Daneben müssen neue<br />

Instrumente individueller Absicherung<br />

gefunden werden, um auf<br />

gesellschaftliche Veränderungen<br />

progressive Antworten zu finden.<br />

Dabei geht die Idee der Arbeitsversicherung<br />

<strong>als</strong> Antwort auf die Prekarisierung<br />

der Arbeitswelt und die<br />

Realität unterbrochener Lebensläufe<br />

in die richtige Richtung.<br />

Gemeinsam haben wir <strong>Jusos</strong> mit<br />

der Linkspartei die grundsätzliche<br />

Skepsis, dass Militäreinsätze in einer<br />

Krisenregion Frieden schaffen<br />

können. Auseinandersetzungsbedarf<br />

sehen wir aber bei der Frage<br />

der konkreten Außenpolitik. Es<br />

muss beispielsweise zur Kenntnis<br />

genommen werden, dass die Bundeswehr<br />

in Afghanistan militärisch<br />

seit einigen Jahren engagiert ist,<br />

auch wenn wir <strong>Jusos</strong> den Afghanistan-Einsatz<br />

dam<strong>als</strong> vehement kritisiert<br />

haben. Der Ruf „Bundeswehr<br />

sofort raus“ hilft jetzt nicht weiter.<br />

Richtiger wäre es, für eine Beendigung<br />

des OEF-Mandats und für<br />

eine zivilere Ausgestaltung des<br />

ISAF-Mandats zu kämpfen.<br />

Hinsichtlich des Populismus der<br />

Linkspartei gibt es großen Auseinandersetzungsbedarf.<br />

Populismus<br />

verkürzt Probleme, simuliert eine<br />

Eindimensionalität, die in den meisten<br />

Fällen nicht zutreffend ist und<br />

ist damit anti-emanzipatorisch.<br />

Wir wollen, dass Menschen selbst<br />

bestimmt und aufgeklärt am politischen<br />

Geschehen teilhaben und sie<br />

nicht für dumm verkaufen. Deshalb<br />

haben wir mit Populismus nichts zu<br />

tun. Auch sehen wir die Gefahr,<br />

dass der Populismus der Linkspartei<br />

Anklänge an nationalistische,<br />

antisemitische und reaktionäre<br />

Parolen findet. Beispiele hierfür<br />

sind die Fremdarbeiter-Äußerungen<br />

Lafontaines, unangemessene<br />

Kritik am Staat Israel oder auch<br />

die Aussagen von Christa Müller<br />

in Sachen Familienpolitik.<br />

Blick in die Zukunft<br />

Alles in allem sehen wir Gemeinsames<br />

aber auch Trennendes. Ob<br />

die Gemeinsamkeiten irgendwann<br />

ausreichen, um ein gemeinsames<br />

linkes Projekt in politische Verantwortung<br />

zu bringen, hängt von den<br />

politischen Akteuren auf beiden<br />

Seiten ab. Für uns ist klar, dass<br />

es erst eine inhaltliche Auseinandersetzung<br />

geben muss, bevor<br />

man Entscheidungen über Koalitionsoptionen<br />

treffen kann. Denn<br />

Koalitionen sind das Mittel zur<br />

Durchsetzungen eines möglichst<br />

großen Anteils unserer Politik und<br />

kein Selbstzweck. Für uns <strong>als</strong> <strong>Jusos</strong><br />

ist entscheidend, mit wem eine<br />

linke Politik durchsetzbar ist. Die<br />

Linkspartei ist dabei eine Option.<br />

Deshalb muss mit ihr die inhaltliche<br />

Auseinandersetzung gesucht<br />

werden, um auszuloten, ob es ausreichend<br />

Gemeinsamkeiten gibt.<br />

Ziel bleibt doch schließlich, ein<br />

linkes Zukunftsprojekt zu schaffen<br />

und in Verantwortung zu bringen<br />

Fr a n z i s k a Dr o h s e l ,<br />

Ju s o-Bu n d e s v o r s it z e n d e<br />

04 05


S C H W E R P U N K T<br />

Wohin steuert die SPD?<br />

Liebe Genossinnen und Genossen,<br />

ich könnte die Frage jetzt ganz kurz<br />

beantworten und sagen: „Ich weiß<br />

es nicht“. Und das wäre sogar noch<br />

ehrlich. Die deutsche Sozialdemokratie<br />

steckt in einer tiefen Identitätskrise<br />

– eingeklemmt zwischen<br />

der Fortführung der unglückseligen<br />

Agenda-Politik im Sinne politischer<br />

Kontinuität und der Erkenntnis,<br />

dass in unserem Land das soziale<br />

Gleichgewicht aus den Fugen geraten<br />

ist und es dementsprechend<br />

eines Politikwechsels in zentralen<br />

Feldern der Wirtschafts- und Sozialpolitik<br />

bedarf, wenn die SPD auch in<br />

Zukunft ihrer Rolle <strong>als</strong> Anwältin der<br />

ArbeitnehmerInnen und der sozial<br />

Schwachen gerecht werden möchte.<br />

Diese inhaltliche Zerrissenheit wird<br />

maßgeblich auch von den handelnden<br />

Personen innerhalb der SPD manifestiert.<br />

An der Spitze der Partei steht seit<br />

Mai 2006 Kurt Beck. Der rheinlandpfälzische<br />

Ministerpräsident steht<br />

ohne Frage ebenfalls in der politischen<br />

Kontinuität seiner Vorgänger<br />

Platzeck, Müntefering und Schröder.<br />

Anders <strong>als</strong> diese allerdings hat<br />

Beck bereits mehrm<strong>als</strong> unter Beweis<br />

gestellt, dass er Politik nicht mit der<br />

Brechstange durchsetzen will, sondern<br />

auch den Dialog mit den Parteilinken<br />

sucht. Er ist deshalb in breiten<br />

Teilen der Partei akzeptiert <strong>als</strong> einer,<br />

der versucht, die Partei zusammenzuhalten<br />

und die verschiedenen Flügel<br />

innerhalb der SPD gleichermaßen<br />

mit einzubeziehen. Außerdem<br />

hat Beck ein größeres Gespür für die<br />

Stimmung in der Bevölkerung und<br />

für Fehlentwicklungen, bspw. in<br />

der Sozial- und Arbeitsmarktpolitik.<br />

So war es unter seiner Führung<br />

erstm<strong>als</strong> wieder möglich, <strong>als</strong> <strong>Jusos</strong><br />

und <strong>als</strong> Parteilinke mit einzelnen<br />

Forderungen nach Korrekturen an<br />

der Agenda 2010 (z.B. bei der<br />

Verlängerung des Arbeitslosengeldes<br />

I) auch politische Mehrheiten<br />

innerhalb des Parteivorstandes<br />

und der SPD-Bundestagsfraktion<br />

zu gewinnen.<br />

Positiv hervorzuheben ist auch<br />

der Prozess zur Erarbeitung eines<br />

neuen Grundsatzprogrammes<br />

der SPD im vergangenen Jahr. Die<br />

undemokratische Praxis vergangener<br />

Jahre, von oben herab Fakten<br />

vorgelegt zu bekommen, die <strong>als</strong><br />

sakrosankt galten und von niemandem<br />

in Frage gestellt werden durften,<br />

wurde endlich aufgebrochen.<br />

Zahlreiche Mitglieder und Gliederungen<br />

der Partei haben sich aktiv<br />

in den Prozess mit eingebracht und<br />

den vorgegebenen Bremer Entwurf,<br />

der vielen SozialdemokratInnen zuwider<br />

lief, massiv verändert. Heraus<br />

kam ein Programm, das die SPD<br />

auch für die Zukunft erkennbar <strong>als</strong><br />

linke Volkspartei positioniert. Von<br />

einem „Linksruck“ in der SPD war<br />

dementsprechend die Rede in den<br />

Medien. Wir alle wissen, dass das<br />

mit der Realität natürlich nichts zu<br />

tun hat. Trotzdem sind die Delegierten<br />

– die Basis der Partei – auf dem<br />

Hamburger Parteitag deutlich selbstbewusster<br />

und kritischer gegenüber<br />

der Parteiführung und gegenüber<br />

der sozialdemokratischen Ministerriege<br />

aufgetreten. Den ursprünglichen<br />

Bahn-Privatisierungsplänen der<br />

Thomas Asböck,<br />

Juso-Landesvorsitzender<br />

Minister Tiefensee und Steinbrück<br />

erteilten die Delegierten eine klare<br />

Absage. Hamburg war ein ermutigendes<br />

Signal für viele enttäuschte<br />

Parteimitglieder.<br />

Das Erbe Schröders aber wirkt noch<br />

nach. Schröders Günstlinge, die<br />

selbst ernannten „Modernisierer“ in<br />

der SPD, sehen gerade nach dem<br />

Hamburger Parteitag ihren Einfluss<br />

innerhalb er SPD schwinden und<br />

beobachten mit Argwohn, wie Kurt<br />

Beck vorsichtig versucht, die Agenda-Politik<br />

hinter sich zu lassen und<br />

eigene politische Akzente zu setzen.<br />

Außenminister Steinmeier, Finanzminister<br />

Steinbrück und SPD-Fraktionschef<br />

Struck sind Becks prominenteste<br />

Widersacher. Haben sie anfangs vor<br />

allem im Hintergrund die Fäden gezogen,<br />

so betreiben sie mittlerweile<br />

die politische Demontage des SPD-<br />

Vorsitzenden in aller Medienöffentlichkeit.<br />

Sie stellten sich gegen Kurt<br />

Beck, <strong>als</strong> dieser ankündigte, die Ent-


S C H W E R P U N K T<br />

scheidung über eine Zusammenarbeit<br />

mit der Partei „Die Linke“ künftig<br />

den SPD-Landesverbänden zu überlassen,<br />

Steinbrück bastelte an einem<br />

Holding-Modell für die Bahn, das<br />

eine Privatisierung auch ohne SPD-<br />

Sonderparteitag ermöglichen sollte<br />

und Steinmeier monierte in der Öffentlichkeit,<br />

dass vor einer Entscheidung<br />

über die SPD-Kanzlerkandidatur<br />

erst einmal der politische Kurs<br />

der SPD festgelegt werden müsse.<br />

Disziplinloser und schäbiger hätte<br />

ihr unloyales Verhalten gegenüber<br />

dem Parteivorsitzenden kaum sein<br />

können.<br />

Liebe Genossinnen und Genossen,<br />

die SPD hat ihren Kurs auf dem<br />

Parteitag in Hamburg mit der Verabschiedung<br />

des neuen Grundsatzprogrammes<br />

klar bestimmt. Dieser<br />

Kurs passt nicht zu Frank-Walter<br />

Steinmeier, da hat er schon recht.<br />

Konsequenz daraus ist aber, dass<br />

Steinmeier der f<strong>als</strong>che Kandidat<br />

ist und nicht, dass die SPD ihr Programm<br />

ändern müsste. Das S-Triumvirat<br />

(Steinmeier, Steinbrück, Struck)<br />

hat es <strong>als</strong>o geschafft, dass die SPD<br />

nach außen hin <strong>als</strong> zerstrittener Haufen<br />

dasteht und die Sympathiewerte<br />

für Kurt Beck im Keller liegen - Punktsieg<br />

für die „Rechten“. Wie gehen<br />

wir <strong>Jusos</strong> mit dieser Situation um?<br />

Ich bin in dieser Frage ein Freund<br />

klarer Worte und klarer Positionen.<br />

Vornehme Zurückhaltung, mit dem<br />

Ziel, die Geschlossenheit der Partei<br />

zu demonstrieren, bringt uns nicht<br />

weiter. Die Geschlossenheit haben<br />

andere längst torpediert. Das rechte<br />

S-Triumvirat kämpft beharrlich mit<br />

Netzwerkern und Seeheimern um<br />

die Vormachtstellung in der Partei,<br />

während die Linke in der SPD derzeit<br />

ziemlich unorganisiert, nicht sprachfähig<br />

und auch nicht handlungsfähig<br />

daher kommt. Bestes Beispiel<br />

dafür war jüngst der sporadische<br />

Widerstand gegen die Bahnreform:<br />

Lediglich die <strong>Jusos</strong> Bayern, der Juso-<br />

Landesverband Saar und einzelne<br />

Leute im Juso-Bundesvorstand, insbesondere<br />

Franziska und Simone,<br />

haben versucht, den Druck aufrecht<br />

zu erhalten und die Hürden für die<br />

Funktionäre hochzuschrauben. Wir<br />

haben alle unsere Parteiratsmitglieder<br />

angeschrieben und im Landesvorstand<br />

der SPD eine Ablehnung<br />

des Holding-Modells gegen den<br />

Willen des SPD-Landesvorsitzenden<br />

erzwungen. Ansonsten aber lief<br />

innerhalb der <strong>Jusos</strong> und der Parteilinken<br />

bundesweit relativ wenig<br />

an Mobilisierung in dieser entscheidenden<br />

Phase vor der Tagung des<br />

Parteirates.<br />

Wir müssen unsere politischen Positionen<br />

und Forderungen wieder mit<br />

Nachdruck in der Partei verankern<br />

und dabei systematisch von unten<br />

her anfangen. Wir müssen die<br />

Parteigliederungen mit Anträgen<br />

überfluten, ihnen wieder politische<br />

Diskussionsprozesse aufzwängen,<br />

wir müssen <strong>als</strong> <strong>Jusos</strong> auch nach<br />

den Funktionen in der Partei greifen,<br />

nicht um der Posten willen, aber<br />

um sicherzustellen, dass der künftige<br />

Unterbau wieder fest in linker<br />

Hand ist und partei- und profillose<br />

Quereinsteiger keine Chance haben,<br />

die SPD von innen heraus zu<br />

einer neoliberalen Einheitspartei zu<br />

verändern. Wenn nötig müssen <strong>Jusos</strong><br />

gemeinsam mit einer breiten Allianz<br />

an BündnispartnerInnen wieder<br />

stärker <strong>als</strong> in der Vergangenheit den<br />

Protest gegen eine f<strong>als</strong>che Politik auf<br />

der Straße organisieren und unterstützen.<br />

Kurzum: Wir dürfen unsere<br />

SPD nicht aufgeben, sondern müssen<br />

um sie kämpfen. Und ich bin<br />

sicher, das werden wir gemeinsam<br />

auch tun. Dafür sind und arbeiten<br />

wir schließlich in der SPD.<br />

In der SPD wird derzeit heftig über<br />

den Umgang mit der Linkspartei und<br />

über eine mögliche Zusammenarbeit<br />

mit ihr diskutiert. Und die Debatte<br />

darüber treibt bisweilen sehr seltsame<br />

Blüten. Nicht wenige prominente<br />

SPD-FunktionärInnen schließen eine<br />

Zusammenarbeit mit der Linkspartei<br />

kategorisch aus – für den Bund sowieso,<br />

aber auch auf Länderebene.<br />

Vieles was dabei ins Feld geführt<br />

wird, ist für mich jedenfalls wenig<br />

nachvollziehbar. Natürlich ist es<br />

richtig, dass die Linkspartei großteils<br />

Fleisch vom Fleische der SPD<br />

ist und von unseren ehemaligen<br />

Mitgliedern lebt. Aber das ist doch<br />

bitteschön nicht etwas, was man der<br />

Linkspartei vorwerfen kann, sondern<br />

diese Tatsache müsste eher Anlass<br />

für die SPD-Führung sein, endlich<br />

mit der Politik der Agenda 2010 zu<br />

brechen und einen glaubwürdigen<br />

Neuanfang hinzulegen. Warum nicht<br />

offen eingestehen, dass die Agenda<br />

viele unerfreuliche Nebenwirkungen<br />

hatte, die nicht Merkmal sozialdemokratischer<br />

Politik sind? Warum<br />

nicht den Mut haben, diese Fehlentwicklungen<br />

dann auch überzeugend<br />

zu korrigieren? Klar erkennbar <strong>als</strong><br />

06 07


S C H W E R P U N K T<br />

politisches Gesamtkonzept und nicht<br />

nach dem Motto: Ein Schritt vor und<br />

zwei zurück. Warum jetzt der Dammbruch<br />

bei der Bahnprivatisierung,<br />

wenn 70 Prozent der Bevölkerung<br />

gegen diese Pläne sind?<br />

Natürlich kann und muss uns die<br />

Existenz der Linkspartei nicht gefallen,<br />

aber so schnell, wie manche in<br />

der SPD glauben machen wollen,<br />

wird die Linkspartei nicht wieder<br />

verschwinden. Der Vertrauensverlust<br />

der SPD in der Bevölkerung ist<br />

dazu zu gravierend. Es wird deswegen<br />

für die Zukunft unumgänglich<br />

sein, eine Zusammenarbeit mit der<br />

Linkspartei in Betracht zu ziehen,<br />

wenn die Sozialdemokratie weiterhin<br />

eine gestaltende Kraft in Deutschland<br />

sein will. Es ist einfach absurd<br />

und grenzt an Selbstfesselung, wenn<br />

die SPD diese Option aus Angst vor<br />

medialen Protesten und vor Angriffen<br />

aus Union und FDP ausschließt.<br />

Die anderen Parteien haben nämlich<br />

allesamt kein Problem damit,<br />

neue Koalitionsoptionen zu ergründen.<br />

Schwarz-Grün in Hamburg ist<br />

dafür ein Paradebeispiel. Auch die<br />

FDP ist flexibel, allerdings nur in eine<br />

Richtung. Stimmen aus der FDP für<br />

Schwarz-Gelb-Grün gab es schon<br />

nach der Bundestagswahl 2005<br />

und ebenso massiv auch nach der<br />

Wahl in Hessen. Rot-Gelb-Grün allerdings,<br />

so heißt es aus der FDP, sei<br />

undenkbar. Warum wohl?<br />

Die mediale Entrüstung über rot-rotgrüne<br />

Gedankenspiele hat System<br />

und ist zudem extrem heuchlerisch.<br />

Wo war denn bitteschön der öffentliche<br />

Aufschrei, <strong>als</strong> die Hamburger<br />

CDU mit dem Rechtsaußen Ronald<br />

Schill paktierte? Und wo bleibt die<br />

Warnung der deutschen Medien vor<br />

der Ausbreitung des Kommunismus<br />

von unten, wenn auf kommunaler<br />

Ebene – vorwiegend im Osten der<br />

Republik – sich viele CDU-Bürgermeister<br />

auch mit den Stimmen der<br />

Linkspartei wählen lassen und in den<br />

Räten mit der Linken zusammenarbeiten?<br />

Liebe Genossinnen und Genossen,<br />

bei der Frage, ob die SPD mit der<br />

Linkspartei zusammenarbeiten darf<br />

und sollte, plädiere ich für deutlich<br />

mehr Gelassenheit in den eigenen<br />

Reihen. Bekämpfen werden wir<br />

die Linkspartei nicht können, <strong>als</strong>o<br />

werden wir sie in der konkreten<br />

politischen Arbeit entzaubern müssen.<br />

Das geht nur, wenn man die<br />

Linkspartei in die Verantwortung mit<br />

einbezieht. In Sachsen-Anhalt und<br />

in Mecklenburg-Vorpommern hat<br />

es eine solche Zusammenarbeit<br />

schon über mehrere Jahre hinweg<br />

gegeben. Und auch in Berlin regiert<br />

seit Jahren eine rot-rote Koalition.<br />

Alle drei Länder existieren noch und<br />

überall gilt meines Wissens auch<br />

noch die freiheitlich-demokratische<br />

Grundordnung. Lediglich eine soziale<br />

Marktwirtschaft gibt es dort nicht<br />

mehr. Aber das liegt dort, wie in den<br />

übrigen 13 Bundesländern daran,<br />

dass die Politik dem freien Spiel<br />

marktradikaler Kräfte den Vorzug<br />

gegeben hat und nicht etwa daran,<br />

dass Rot-Rot dort die Planwirtschaft<br />

eingeführt hätte.<br />

CSU-Parteichef Erwin Huber zieht<br />

neuerdings ja mit dem Slogan „Freiheit<br />

oder Sozialismus“ über die SPD<br />

her und versucht damit ebenfalls den<br />

Eindruck zu erwecken, eine rot-rote<br />

Zusammenarbeit wäre das Ende unserer<br />

grundgesetzlichen Ordnung.<br />

Dieses plumpe Manöver allerdings<br />

kann niemand besser quittieren <strong>als</strong><br />

der Schauspieler Michael Lerchenberg<br />

alias Bruder Barnabas auf dem<br />

Nockherberg: „Wenn‘s Pech haben,<br />

Herr Huber, dann entscheiden sich<br />

viele Menschen für den Sozialismus,<br />

weil von ihrer Freiheit können‘s nämlich<br />

nicht runterbeißen, heizen oder<br />

volltanken. Denn Freiheit heißt Freiheit<br />

für alle! Nicht nur für Videoüberwacher,<br />

Verfassungsschützer und<br />

Internetspitzel! Freiheit nicht nur für<br />

Energiekonzerne, Börsenspekulanten,<br />

Steuerhinterzieher und Lohndrücker!“<br />

Liebe Genossinnen und Genossen,<br />

da ist viel Wahres dran. Lasst uns<br />

gemeinsam an dieser Freiheit für<br />

alle arbeiten, damit wir dem Ziel,<br />

soziale Gerechtigkeit in Deutschland<br />

wieder herzustellen, ein Stück näher<br />

kommen. Wir <strong>Jusos</strong> haben dafür die<br />

richtigen Ideen und Konzepte und<br />

wir wissen eine große solidarische<br />

Mehrheit der Menschen in Deutschland<br />

hinter uns.<br />

Th o m a s As b ö c k ,<br />

Ju s o-Landesvorsitzender


S C H W E R P U N K T<br />

SPD – Wohin?<br />

Vo n i n h a lt l i c h e n Gl a u b w ü r d i g k e it s-<br />

problemen, d e r Zerreissprobe in d e r<br />

SPD u n d einer miserablen Bi l a n z d e r<br />

10-j ä h r i g e n Regierungsbeteiligung<br />

Die SPD steht in den nächsten Jahren<br />

wohl vor einer Zerreißprobe.<br />

Breite Teile der politischen Führungsebene<br />

in Parteivorstand auf<br />

Bundes- und Länderebene, viele<br />

Mandatsträger in Landtagen und<br />

im Bundestag scheinen sich mit<br />

dem Kurs der Agenda 2010 arrangiert<br />

zu haben.<br />

Andererseits gibt es vielerorts in<br />

der Basis der SPD-Mitglieder und<br />

auch bei den <strong>Jusos</strong> und in Teilen<br />

der Parlamentarischen Linken<br />

SozialdemokratInnen, die den<br />

sozial- und wirtschaftspolitischen<br />

Kurs der Partei für f<strong>als</strong>ch halten<br />

und diesen nachhaltig innerhalb<br />

der Partei bekämpfen. Sie konnten<br />

zuletzt auch wieder einige Erfolge<br />

feiern, so zum Beispiel die eben<br />

verhinderte nachgeschobene<br />

programmatische Legitimierung<br />

der Agenda-Politik im Hamburger<br />

Programm oder die Verlängerung<br />

des ALG 1 für Ältere.<br />

Diejenigen, die bis heute nicht die<br />

SPD verlassen haben und sich der<br />

Linkspartei angeschlossen haben<br />

oder zu Nichtwählern wurden,<br />

werden dies wohl auch in absehbarer<br />

Zukunft nicht tun. Deswegen<br />

wird der innerparteiliche Konflikt<br />

die SPD über die nächsten Jahre<br />

begleiten. Und eben dieser Konflikt<br />

wird zusehends auch öffentlich<br />

ausgetragen und findet in den Medien<br />

bereits jetzt ein sehr breites<br />

Echo. So kann man die Schmutzkampagne<br />

gegen die hessische<br />

Spitzenkandidatin Andrea Ypsilanti<br />

und in Folge auch gegen<br />

den Parteivorsitzenden Kurt Beck<br />

in der gesamten bundesdeutschen<br />

Presse nachlesen, auch die mediale<br />

Heroisierung von Personen wie<br />

Frank-Walter Steinmeier oder der<br />

hessischen Landtagsabgeordneten<br />

Dagmar Metzger („Die ehrlichste<br />

Politikerin Deutschlands“) findet<br />

sich dort wieder.<br />

Andererseits findet man andauernd<br />

diese lächerliche „Populismus-Debatte“,<br />

an der auch unsere<br />

Politiker, auch Politiker der Parlamentarischen<br />

Linken wie Ludwig<br />

Stiegler, ihren Anteil haben.<br />

Ein noch anderer wichtiger Aspekt<br />

in der Debatte ist das „inhaltliche<br />

Glaubwürdigkeitsproblem“. Es<br />

geht nicht nur um den nächsten<br />

Kanzlerkandidaten, eine mögliche<br />

Rot-Rot-Grüne Koalition:<br />

Die Wahlkämpfe 2002 und 2005<br />

wurden mit klaren inhaltlichen<br />

Aussagen und in einem dezidiert<br />

linken Politikstil bestritten. Nach<br />

den Wahlen sind die größten Teile<br />

der jeweiligen Aussagen wieder<br />

über Bord geworfen worden, die<br />

wirkliche Arbeit im Bundestag<br />

war von ganz anderen Debatten<br />

gekennzeichnet. So verspielt die<br />

Parteiführung und die Mehrheit<br />

der Bundestagsfraktion auch die<br />

Glaubwürdigkeit der einzelnen<br />

Basismitglieder vor Ort, die sich<br />

an Infoständen und anderen Veranstaltungen<br />

von der Bevölkerung<br />

beschimpfen lassen müssen oder<br />

für total weltfremd gehalten<br />

werden.<br />

Für mich persönlich wäre es ein<br />

Schreckensszenario wenn die<br />

Partei 2009 erneut einen sehr<br />

„gerechtigkeitsorientierten“ Wahlkampf<br />

führt, mit Themen wie der<br />

Bürgerversicherung, dem Mindestlohn,<br />

der Ausbildungsplatzumlage<br />

oder, einfach allgemein gesagt,<br />

der Umverteilung und danach<br />

diese Themen nicht ansatzweise<br />

umsetzt. Dies ist nicht sehr unwahrscheinlich,<br />

schließlich will man<br />

nicht mit der Linkspartei koalieren<br />

und Schwarz-Gelb ist wohl (zum<br />

Glück) nicht mehrheitsfähig. Was<br />

auch immer dann folgt, es wird<br />

sehr wenig von dem umsetzen,<br />

was SPD-Wahlkampfaussagen<br />

waren… Aber genau hierin liegt<br />

das Problem der SPD – deswegen<br />

stehen wir in Umfragen bei 23%,<br />

deswegen steht die Linkspartei bei<br />

13%, deswegen stehen die sich<br />

selbst immer unglaubwürdiger<br />

machenden Grünen (die so linken<br />

und alternativen Grünen koalieren<br />

mit den ehemaligen Partnern von<br />

Rechtspopulist Schill... warum wird<br />

das in der Presse kaum thematisiert?)<br />

trotzdem bei 10%. Wir machen<br />

einen Wahlkampf mit guten<br />

Positionen und setzen nichts davon<br />

um. Da verliert man dauerhaft an<br />

Vertrauen in der gesamten Bevölkerung.<br />

Man macht sich lächerlich.<br />

Neben positiven Aspekten in der<br />

ersten Rot-Grün regierten Legislaturperiode,<br />

dem NEIN zum Irakkrieg<br />

und wenig anderem ist das<br />

Verdienst der Partei in den letzten<br />

08 09


S C H W E R P U N K T<br />

Jahren wohl leider nur, dass man<br />

gut genug Wahlkampf geführt hat<br />

und Schröder <strong>als</strong> Zugpferd gut<br />

genug war, um Schlimmeres zu<br />

verhindern, etwa eine Schwarz-<br />

Gelbe Regierung mit Finanzminister<br />

Kirchhoff oder einen Bundeskanzler<br />

Stoiber. Aber das ist nach<br />

10 Jahren Regierungsbeteiligung<br />

zu wenig. Es kann nicht sein, dass<br />

die SPD seit 10 Jahren an der<br />

Regierung beteiligt ist, und trotzdem<br />

eine solche Kinderarmut herrscht.<br />

Dass wir immer noch keinen Mindestlohn<br />

haben. Dass die Schere<br />

zwischen Arm und Reich immer<br />

weiter auseinander geht. Dass<br />

immer weniger Kinder aus den so<br />

genannten bildungsfernen Schichten<br />

Abitur machen. Dass der Druck<br />

auf ArbeitnehmerInnen immer<br />

mehr zunimmt und die Regierung<br />

dies auch noch unterstützt. Dass<br />

der gesellschaftliche Rollback in<br />

der Gleichstellungspolitik immer<br />

weiter voranschreitet. Dass die Privatisierung<br />

öffentlichen Eigentums<br />

immer mehr zugenommen hat und<br />

die Verschuldung der öffentlichen<br />

Haushalte ebenfalls bodenlos<br />

zugenommen hat.<br />

Wo ist die Bilanz der SPD-<br />

Regierungsbeteiligung??? Warum<br />

fragt man sich da wirklich warum<br />

es heute eine ernstzunehmende<br />

Partei links von der SPD gibt?<br />

Warum fragt man sich da ernsthaft<br />

warum es große Teile des linkssozialdemokratisch-<br />

und gewerkschaftsorientierten<br />

Spektrums gibt,<br />

die sich sowohl trauernd <strong>als</strong> auch<br />

trotzig von der Partei abwenden?<br />

Der innerparteiliche Machtkampf<br />

zwischen denjenigen, die eine<br />

neue modernisierte, aber linke und<br />

sozialdemokratische Partei wollen<br />

und denjenigen, die den Schlinger-<br />

Kurs der Schröder- , Müntefering-,<br />

und auch Beck-Jahre und eine<br />

teil-neoliberale Partei (verordnet<br />

in der ominösen „solidarischen<br />

Mitte“; an Worthülsen wie die<br />

„Soziale Demokratie“ gebunden)<br />

wollen wird sich in den nächsten<br />

Jahren entscheiden. So oder so.<br />

Davon hängt realistisch betrachtet<br />

auch das dauerhafte Überleben<br />

der Linkspartei ab. Wenn man sie<br />

einbindet und die eigenen Positionen<br />

wieder übernimmt, die sie<br />

sich angeeignet hat, wenn man<br />

eine anständig nachfrageorientierte<br />

Wirtschaftspolitik durchführt,<br />

linke Sozialpolitik macht und sich<br />

auch außenpolitisch verständigt<br />

und einander annähert wird es<br />

keinen Platz mehr für eine Partei<br />

links der Sozialdemokratie geben.<br />

Wenn die Sozialdemokratie es aber<br />

nicht schafft, sozialdemokratische<br />

Inhalte zu vertreten und die oben<br />

gezeichnete Bilanz von 10 Jahren<br />

Regierungsbeteiligung auch in Zukunft<br />

so niederschmetternd ausschaut,<br />

muss man sich wirklich nicht<br />

wundern, wenn die Linkspartei zu<br />

einer dauerhaften Institution in der<br />

Bundesrepublik werden wird.<br />

Klaus-Uwe Benetter, dam<strong>als</strong> am<br />

linken Rand der Partei und erster<br />

Juso-Bundesvorsitzender des<br />

Stamokap-Flügels, später aus der<br />

Partei geworfen, „rehabilitiert“,<br />

Bundesgeschäftsführer und Gener<strong>als</strong>ekretär,<br />

sagte in den 70er<br />

Jahren, er hätte politisch mehr mit<br />

der DKP gemein <strong>als</strong> mit der CDU –<br />

leider stimmte dies dam<strong>als</strong> für sehr<br />

geringe Teile der Partei. Über diese<br />

Aussage mag man streiten, aber<br />

ich sage heute lediglich, ich habe<br />

inhaltlich mehr mit der Linkspartei<br />

gemein <strong>als</strong> mit der CDU – leider<br />

stimmt dies heute immer noch<br />

für geringe Teile der Partei. Zum<br />

Glück ist meine Position heute bei<br />

den <strong>Jusos</strong> uneingeschränkt in der<br />

Mehrheit, zum Glück kann man erwarten,<br />

dass auch in der gesamten<br />

Partei ihr Anteil eher wachsen <strong>als</strong><br />

schrumpfen wird. Man wird, auch<br />

kurzfristig, an einer Koalition mit<br />

der Linkspartei nicht vorbeikommen,<br />

wenn man sinnvolle Politik<br />

machen will!!! Es hat mir bisher<br />

keiner einen anderen Weg gezeigt,<br />

mit dem eine gerechtere Politik, die<br />

eine Umverteilung von oben nach<br />

unten schafft, möglich ist.<br />

Christian Kö n i n g


V E R B A N D I N T E R N<br />

Kommunalwahlkampf 2008: Ein Rückblick<br />

Gemeinsam haben wir einen engagieren<br />

und äußerst erfolgreichen<br />

Wahlkampf geführt. 160.000 Flyer<br />

wurden in sechs Wochen verteilt, wir<br />

haben einen eigenen Kongress zum<br />

Thema „Soziale Gerechtigkeit in<br />

München“ veranstaltet und zu guter<br />

Letzt auch noch das große Festival<br />

„Freakout gegen Rechts“ durchgeführt.<br />

Unser Oberbürgermeister<br />

Christian Ude hat sich am Wahlabend<br />

bei seiner Dankesrede explizit<br />

bei den Münchner <strong>Jusos</strong> bedankt.<br />

Dieser Wahlkampf war nur mit der<br />

Hilfe von vielen engagierten<br />

<strong>Jusos</strong> möglich.<br />

PG 2008 & Wahlkampfplanungsseminar<br />

Die Wahlkampfplanungen<br />

begannen bereits im<br />

Frühjahr auf ersten Treffen<br />

der Projektgruppe 2008.<br />

Auf dem Wahlkampfplanungs-Wochenende<br />

in<br />

Kochel am See mit über<br />

20 TeilnehmerInnen<br />

wurden dann die Ideen<br />

zu einer Kampagne<br />

weiterentwickelt.<br />

Kampagne „München links<br />

gestalten“<br />

Heraus kam unsere Kampagne<br />

„München links gestalten“. Neben<br />

einem KandidatInnenflyer mit einer<br />

Auflage von 50.000 Stück und diversen<br />

Themenkarten haben wir auch<br />

zwei Postkarten zu den Themen Jugendkultur<br />

und Wohnungssituation<br />

produziert, die bei den jugendlichen<br />

Wählern sehr gut ankamen.<br />

Außerdem haben wir versucht mit<br />

unseren zwei Video-Spots auch im<br />

Internet für unsere Positionen zu<br />

werben.<br />

Roter Faden 2008<br />

Doch auch inhaltlich haben wir uns<br />

intensiv auf die anstehende Kommunalwahl<br />

vorbereitet. Unter dem<br />

Titel „Roter Faden“ haben wir uns<br />

zum dritten Mal ein eigenes Kommunalwahlprogramm<br />

gegeben, das<br />

in den vergangenen fast zwei Jahren<br />

ausgiebig diskutiert und vorbereitet<br />

wurde. Viele unserer Positionen haben<br />

auch Einzug in das SPD-Wahlprogramm<br />

gehalten und im neuen<br />

Koalitionsvertrag zwischen Rot-Grün-<br />

Rosa konnte beispielsweise unsere<br />

Forderung nach der Abonnierbarkeit<br />

bei den Ausbildungstarifen verankert<br />

werden.<br />

Unsere Juso-StadträtInnen in<br />

Amts-”Montur”<br />

10 11


S C H W E R P U N K T<br />

Kongress „Soziale Gerechtigkeit<br />

in München“<br />

Auf dem Kongress haben wir mit<br />

unserer Bürgermeisterin Christine<br />

Strobl und über 30 TeilnehmerInnen<br />

über die aktuelle Sozialpolitik<br />

diskutiert und aufgezeigt, welches<br />

unsere Anforderungen an eine soziale<br />

Stadt sind.<br />

Aufkleber gegen Rechts<br />

Gemeinsam mit der Grünen Jugend<br />

und dem Münchner Jugendrat haben<br />

kurz vor der Wahl Aufkleber unter<br />

dem Motto „Keine Nazis in den<br />

Stadtrat“ produziert, um auf die Gefahr,<br />

die von den beiden rechtsextremen<br />

Listen „BIA“ und „Pro München“<br />

ausgeht, hinzuweisen.<br />

Freakout gegen Rechts<br />

Bei unserem Red.Lounge Special<br />

unter dem Titel „Freakout gegen<br />

Rechts“ im Backstage setzten über<br />

800 Jugendliche ein deutliches<br />

Zeichen gegen den Einzug der zwei<br />

Nazibündnisse in den Münchner<br />

Stadtrat.<br />

Musikalisch sorgten fünf regionale<br />

Bands für eine gelungene Atmosphäre,<br />

die zeigt, dass der Kampf<br />

gegen Rassismus, Antisemitismus<br />

und Homophobie unter anderem<br />

auch musikalisch geführt werden<br />

kann. Es spielten die Bands Schein,<br />

Donkey Shots, Pardon Miss Arden,<br />

Carrie Anne und Antiheld.<br />

Unser Oberbürgermeister Christian<br />

Ude versuchte sich selbst <strong>als</strong> DJ, und<br />

appellierte in einer kurzen Ansprache<br />

an die anwesenden Jugendlichen<br />

unbedingt zur Wahl zu gehen,<br />

da nur eine hohe Wahlbeteiligung<br />

und viele Stimmen für demokratische<br />

Parteien, den Einzug der Nazis in die<br />

Parlamente stoppen kann.<br />

Fazit:<br />

Die Kommunalwahl war für uns <strong>Jusos</strong><br />

ein großer Erfolg. In Zukunft sitzen in<br />

der 34-köpfigen SPD-Stadtratsfraktion<br />

fünf <strong>Jusos</strong>, die unsere Positionen<br />

in die Stadtpolitik hineintragen<br />

werden. Somit können wir mit Fug<br />

und Recht behaupten, dass wir die<br />

Interessen der jungen Menschen in<br />

München vertreten, denn die Junge<br />

Union und die JuLis haben nur je eine<br />

VertreterIn im Stadtrat, die Grüne Jugend<br />

und die „Linksjugend“ haben<br />

gar keineN. Doch auch auf Bezirksausschussebene<br />

sind wir in Zukunft<br />

stark vertreten. Über 35 <strong>Jusos</strong> haben<br />

den Sprung in die Stadtteilparlamente<br />

geschafft und somit sind wir in fast<br />

jedem BA mit mindestens einem Juso<br />

vertreten.<br />

Allen die im Kommunalwahlkampf<br />

mitgeholfen haben und die <strong>Jusos</strong> unterstützt<br />

haben, sei an dieser Stelle<br />

nochmal herzlich gedankt.<br />

Je n s Rö v e r<br />

Die Juso-BA-Mitglieder bei der Vereidigung im Rathaus


V E R B A N D I N T E R N<br />

Bilder vom „Freakout gegen Rechts“<br />

12 13


V E R B A N D I N T E R N<br />

Hinter den Kulissen....<br />

Bes u c h d e s Spa r t e n t u n n e l s a n d e r<br />

Re i c h e n b a c h b r ü c k e<br />

Kann ja nicht so schwierig sein einen<br />

Tunnel unter der Isar durchzugraben,<br />

dachten wir bevor wir uns<br />

unterhalb der Reichenbachbrücke<br />

mal genauer umgesehen haben.<br />

Das dachten übrigens auch die Verantwortlichen<br />

von der Münchner<br />

Stadtentwässerung, die das lang<br />

geplante Projekt in Angriff genommen<br />

haben.<br />

Vergangenen Donnerstag hat der<br />

AK Kommunales sich mit dem geplanten<br />

Spartentunnel an der Reichenbachbrücke<br />

näher befasst.<br />

Nach einem sehr interessanten<br />

Vortrag haben wir es uns natürlich<br />

nicht nehmen lassen in Schutzausrüstung<br />

(Helmpflicht!) das ganze<br />

Projekt live zu besichtigen.<br />

Durch die Baumaßnahme soll<br />

das auf der östlichen Isarseite anfallende<br />

Mischwasser gesammelt<br />

werden und durch einen neuen Kanal<br />

die Isar unterqueren. Auf der<br />

westlichen Isarseite wird dieser an<br />

einen bereits vorhandenen Kanal<br />

angeschlossen. Der neue Kanal<br />

wird etwa 170 Meter lang, 3,3<br />

Meter hoch und 5 Meter breit sein<br />

und ist mit veranschlagten Kosten<br />

von 12 Millionen Euro der teuerste<br />

Tunnel in München.<br />

Hauptziele der Maßnahme sind<br />

Entlastung der Kanalisation und<br />

Kläranlagen, sowie die Verbesserung<br />

der hygienischen Wasserqualität<br />

der Isar. Es gibt in München<br />

nämlich nur westlich der Isar Klärwerke,<br />

deshalb muss das Abwasser<br />

aus dem Osten unter der Isar<br />

durchgeleitet werden. Der derzeitige<br />

Hauptkanal dafür stammt aus<br />

dem Ende des 19. Jahrhunderts<br />

und ist inzwischen stark überlastet.<br />

Durch die Überlastung gelangt<br />

verdünntes Brauchwasser, welches<br />

nur grundgereinigt ist, zwangsläufig<br />

in die Isar. Das soll in Zukunft<br />

ein Ende haben. Zudem werden in<br />

dem neuen Tunnel auch Lehrrohre<br />

für Leitungen Platz finden.<br />

Klingt alles ziemlich gut und gar<br />

nicht so schwer, würde man allerdings<br />

einen „normalen“ Tunnel graben,<br />

wäre der Abstand zwischen<br />

Tunneldecke und Isar etwa 20<br />

Zentimeter. Klingt riskant. Also<br />

hat man sich, auch aus Gründen<br />

des Hochwasserschutzes, für die<br />

so genannte Bohrpfahl-Deckel-<br />

Bauweise entschieden. Hierbei<br />

werden Bohrpfähle bis in den Bereich<br />

unterhalb der künftigen Tunnelsohle<br />

in den Grund eingebracht.<br />

Diese stellen bereits einen Teil der<br />

seitlichen Begrenzung des Tunnels<br />

dar. Nach Aushub auf die Höhe<br />

der geplanten Bauwerksoberkante<br />

wird die Decke des Spartentunnels


V E R B A N D I N T E R N<br />

betoniert und mit den Bohrpfählen<br />

verbunden (damit man von oben<br />

heran kommt, müssen natürlich<br />

Teile der Isar zugeschüttet, befestigt<br />

und vorübergehend umgeleitet<br />

werden). Nach der Fertigstellung<br />

des Deckels (sieht aus wie ein umgedrehtes<br />

U) wird über Schächte<br />

der Kies unter dem Deckel ausgehoben<br />

und anschließend die<br />

Sohle betoniert. Dabei wird von<br />

innen heraus gearbeitet.<br />

Klingt schon komplizierter. Erfährt<br />

man aber jetzt noch von Auflagen,<br />

die vorschreiben, dass die Baustelle<br />

jederzeit binnen 6 Stunden<br />

komplett geräumt werden können<br />

muss (manche der zum Teil<br />

50 Tonnen schweren Maschinen<br />

brauchen allein 4 Stunden, bis sie<br />

betriebsbereit sind), dass der gesamte<br />

Erd- und Schlammaushub entsorgt<br />

werden muss, da er Schadstoffe<br />

enthält oder dass manche<br />

Metalllieferanten dank zahlungskräftigeren<br />

Russen einfach zwei<br />

Wochen nicht liefern, obwohl die<br />

hier zur Weiterverarbeitung wartenden<br />

Maschinen 5000 Euro am<br />

Tag kosten, bekommt man vielleicht<br />

eine kleine Vorstellung von der<br />

Dimension dieses Projekts. Hinzu<br />

kommen riesige Betonplatten<br />

die unterirdisch auftauchen, von<br />

denen aber niemand schon mal<br />

gehört haben will, Arsenspuren im<br />

Boden, Munitionsfunde, Baustellenüberflutungen,<br />

die mal eben<br />

komplette Schuttwälle oder Ausrüstungen<br />

mitreißen oder auch<br />

nur das Bürgertelefon in das<br />

täglich genervte Anwohner bei<br />

Parkplatznot brüllen. Tiere und<br />

Pflanzen sollen dabei natürlich<br />

genauso wie Anwohner möglichst<br />

wenig gestört werden, schließlich<br />

handelt es sich um eine FFH Zone<br />

(besonders geschützt). Deshalb<br />

soll das Projekt auch pünktlich zur<br />

geplanten Isarrenaturierung fertig<br />

gestellt werden.<br />

Unser besonderer Dank gilt Herr<br />

Heuberger und Herr Hagen von<br />

der Münchner Stadtentwässerung,<br />

die uns diese spannenden<br />

Einblicke ermöglicht und uns mit<br />

anschaulichen Hintergrundinformationen<br />

versorgt haben.<br />

Le n a Sterzer<br />

für den AK Kommunales<br />

14 15


V E R B A N D I N T E R N<br />

Bericht von der Gesamtklausurtagung<br />

in Bernried<br />

Am Freitag dem 30. Mai machten<br />

wir uns auf ins Hotel Seeblick in<br />

Bernried, um dort unsere Gesamtklausurtagung<br />

zu halten. Nach<br />

kurzem Fußmarsch, Zimmerverteilung,<br />

Abendessen und kleinem<br />

Spaziergang zum Starnberger See<br />

oder Abstecher in den hoteleigenen<br />

Pool ging es mit nur einer Stunde<br />

Verspätung los mit den ernsten<br />

Dingen des Wochenendes. Jens<br />

begrüßte die TeilnehmerInnen und<br />

gab einen kurzen Seminarüberblick.<br />

Erster Punkt auf der Agenda<br />

war die Ideenwerkstatt Landtagswahl<br />

2008. Ergebnis war eine<br />

angeregte Diskussion, sowohl über<br />

Inhalte, wie auch über Kampagnen<br />

und Give-aways. Schwerpunktthema<br />

wird wohl Bildung werden,<br />

doch auch Antifaschismus, Feminismus,<br />

Jugendkultur und ÖPNV<br />

sollen nicht zu kurz kommen.<br />

Besonderer Schwerpunkt soll auf<br />

(Regierungs-) Wechselstimmung<br />

gelegt werden. Bei den mehr <strong>als</strong><br />

kreativen Give-away-Ideen setzten<br />

sich neben Postkarten und<br />

Infomaterial, wie schon des Öfteren,<br />

Feuerzeuge, Kondome und<br />

Labellos durch. Gegen 23:00 Uhr<br />

wurde die Diskussion dann auf einen<br />

Steg am See verlegt. Obwohl<br />

die Runde durchaus noch etwas<br />

länger ging, blieb der vorsorglich<br />

mitgenommene Block für spontane<br />

Ideen unter Alkoholeinfluss meines<br />

Wissens leer.<br />

Der nächste Arbeitstag begann verhältnismäßig<br />

pünktlich mit Arbeitsgruppen<br />

zu den Themen Gute Arbeit,<br />

Internationale Solidarität und<br />

Ökologie. Das Thema Feminismus<br />

sollte sich <strong>als</strong> „lila Faden“ durch<br />

alle Gruppen ziehen. Nach der<br />

Mittagspause wurden die wirklich<br />

ansehnlichen Ergebnisse präsentiert<br />

und diskutiert. Es wurden Veranstaltungen<br />

und Kampagnen für<br />

Sommer bis Winter 2008 geplant.<br />

Zu den jeweiligen Themenblöcken<br />

folgt jeweils eine Unterbezirkskonferenz.<br />

Ihr dürft euch <strong>als</strong>o auf ein<br />

spannendes und ereignisreiches<br />

nächstes halbes Jahr freuen!<br />

Zur allgemeinen Besorgnis störte<br />

ein kleiner Zwischenfall den entspannten<br />

Nachmittag. Eine Genossin<br />

fand sich hinter defekter Toilettentür<br />

wieder und musste dort<br />

eine Stunde ausharren, bevor sie<br />

heldenhaft befreit wurde. Jedoch<br />

nicht von den Hotelmitarbeitern,<br />

da diese sich mehr Sorgen<br />

um die Tür, <strong>als</strong> um die Vermisste<br />

machten.<br />

Später, nachdem Jens pädagogisch-wertvolles<br />

Punktekleben zu<br />

favorisierten Landtagswahlideen<br />

versagte, wurde diese Diskussion<br />

vertagt und man ging dazu über,<br />

sich Gedanken über das 95-jährige<br />

Jubiläum der <strong>Jusos</strong> München<br />

im Februar 2009 Gedanken zu


V E R B A N D I N T E R N<br />

machen. Geplant ist ein Festakt<br />

in größerem Rahmen.<br />

Der Samstagabend wurde mit<br />

Kartenspielen und Montagsmalerei<br />

totgeschlagen, bis wir um zwölf<br />

endlich in Philipps Geburtstag<br />

reinfeiern durften. Gesagt, getan.<br />

Die restliche Nacht wurde in aller<br />

Ausführlichkeit Mafia gespielt.<br />

Der Sonntagvormittag wurde<br />

hauptsächlich darauf verwendet<br />

den Neueren einen kurzen Juso-<br />

Überblick zu geben und sich über<br />

Neumitgliederwerbung bzw. Mitgliederaktivierung<br />

Gedanken zu<br />

machen.<br />

Nach diesem arbeitsreichen Tagen,<br />

fiel der Abschied kurz aber<br />

herzlich aus und die müden, aber<br />

doch (hoffentlich) zufriedenen TeilnehmerInnen<br />

machten sich auf<br />

zurück ins schöne München.<br />

Le n a Sterzer<br />

Stellenausschreibung<br />

Die <strong>Jusos</strong> München haben ab dem 01. Oktober 2008 die Stelle des/der<br />

GeschäftsführerIn<br />

neu zu besetzen.<br />

Die Aufgaben des/der GeschäftsführerIn umfassen:<br />

> allgemeine Büroorganisation<br />

> Erledigung des anfallenden Schriftverkehrs<br />

> Organisation von Veranstaltungen, Seminaren und Konferenzen<br />

> allgemeine Buchhaltungsaufgaben<br />

> Unterstützung der Vorstandsarbeit<br />

> Pflege von Datenbanken und Verteilern<br />

Die Arbeitszeit beträgt 8 Std./Woche. Die Stelle wird mit 13 Aufwandsentschädigungen<br />

à 230 € entlohnt.<br />

Aussagekräftige Bewerbungsunterlagen sendet bitte bis 15. September 2008 an:<br />

<strong>Jusos</strong> München<br />

zu Hd. Jens Röver<br />

Oberanger 38 IV. Stock<br />

80331 München<br />

oder per mail an: jens.roever@gmx.de<br />

Die Stelle wird seit dem 1. August von Jürgen Glatz (Vorstandsmitglied) kommissarisch ausgeführt.<br />

16 17


V E R B A N D I N T E R N<br />

„Gute Arbeit“ ganz dezent<br />

Eines der inhaltlichen Schwerpunkte<br />

der <strong>Jusos</strong> München ist<br />

in diesem Jahr das Thema Gute<br />

Arbeit. Als Startschuss hierzu fuhr<br />

eine Gruppe der Münchner <strong>Jusos</strong><br />

gemeinsam nach Kochel am See,<br />

um ein Wochenende in Kochel<br />

über die Zukunft der Arbeit zu<br />

diskutieren.<br />

Am Freitagabend führte unser<br />

Juso in Altersteilzeit Martin Heigl<br />

mit seinem Vortrag über die Definition<br />

von Arbeit und die Entwicklung<br />

der Arbeitswelt in das Thema<br />

ein. Der Samstagvormittag stand<br />

ganz im Zeichen des gesetzlichen<br />

Mindestlohnes. Schnell war man<br />

sich einig, dass ein solcher auch<br />

in der Bundesrepublik schnell<br />

eingeführt werden müsse.<br />

Nach der Mittagspause, die<br />

einige TeilnehmerInnen dazu<br />

nutzen sich im 15° C „warmen“<br />

Kochelsee zu erfrischen und eine<br />

Bootstour zu machen, erläuterte<br />

Eva-Maria mit welchen Problemen<br />

Frauen in der Arbeitswelt<br />

konfrontiert werden.<br />

Nach dem Abendessen entwickelte<br />

sich eine spannende Diskussion<br />

über den Wert der Arbeit,<br />

bei der klar wurde, dass Arbeit<br />

einen zentralen Wert für fast alle<br />

Menschen hat und sie Grundvoraussetzung<br />

für gesellschaftliche<br />

Teilhabe ist.<br />

Am Abend organisierten Philipp<br />

und Anno unter dem Motto „Kino,<br />

Mond und Sterne“ ein Freiluftkino,<br />

das auch vom parallel-tagenden<br />

Förderverein mit großer Begeisterung<br />

angenommen wurde.<br />

Am Sonntag referierte Isa abschließend<br />

über die „Generation<br />

Praktikum“ und wir schauten<br />

uns noch die verschiedenen<br />

Vorschläge für ein Grundeinkommen<br />

kritisch an. Man war sich<br />

einig, dass ein Grundeinkommen<br />

welcher Art auch immer nicht<br />

dazu dienen kann die bestehenden<br />

Ungerechtigkeiten in der Arbeitswelt<br />

zu verbessern.<br />

Fazit: Ein schönes-informatives<br />

Wochenende mit netten Leuten<br />

in den bayerischen Bergen, das<br />

gezeigt hat – Politik kann richtig<br />

Spaß machen.<br />

In diesem Sinne: Good Night and<br />

Good Luck!<br />

Je n s Rö v e r


V E R B A N D I N T E R N<br />

Entspanntes Arbeiten in der Sonne beim Seminar “Gute Arbeit” in Kochel<br />

Labour paints Oxford red again!<br />

Kom m u n a l w a h l k a m p f in Ox f o r d m it<br />

d e n Mü n c h n e r Ju s o s<br />

Während am Tag der Arbeit in<br />

München auf dem Marienplatz die<br />

roten Fahnen geschwungen wurden,<br />

haben zwei Münchner <strong>Jusos</strong><br />

praktische internationale Solidarität<br />

geübt und die Labour Party in<br />

Oxford im Kommunalwahlkampf<br />

unterstützt. Wahltag war der 1.<br />

Mai und alle Prognosen waren<br />

verheerend.<br />

Oxford, eine 150.000-Einwohner-<br />

Stadt nord-westlich von London,<br />

wird dominiert von seinen Universitäten<br />

und Colleges einerseits<br />

und einem großen BMW-Werk<br />

andererseits, in dem u.a. der Mini<br />

produziert wird. Im Gegensatz zu<br />

seinem internationalen Ruf ist es<br />

eher eine Arbeiterstadt und war in<br />

den letzten Jahrzehnten meist von<br />

Labour regiert. 2006 allerdings<br />

konnte eine Minderheitsregierung<br />

der Liberaldemokraten die Macht<br />

übernehmen, die nun 2008 zur<br />

Bestätigung anstand.<br />

In Oxford beträgt die Amtszeit<br />

eines Stadtrats vier Jahre, jedoch<br />

wird alle zwei Jahre die Hälfte des<br />

Stadtrats (City Council) neu gewählt,<br />

so dass man sich eigentlich<br />

permanent im Wahlkampf befindet.<br />

Das System ähnelt dem der<br />

Parlamentswahl: Oxford ist in 24<br />

Wahlbezirke (Wards) aufgeteilt.<br />

In jedem kann jede Partei einen<br />

Kandidaten oder eine Kandidatin<br />

aufstellen und wer die meisten<br />

Stimmen in einem Wahlkreis gewinnt,<br />

wird Stadtrat. Eine Liste existiert<br />

nicht. Acht Labour-Stadträte<br />

mussten am 1. Mai in Oxford ihre<br />

Wahlbezirke verteidigen, meist<br />

gegen Kandidaten der Liberalen,<br />

aber auch gegen Konservative,<br />

Grüne und Anhänger der autoritär-populistischen<br />

Partei IWCA,<br />

deren Vertreter einem wie Fußball-<br />

Hooligans vorkommen, die sich in<br />

die Politik verlaufen haben. Wegen<br />

der schlechten Stimmung landesweit<br />

wurden Labour große Verluste<br />

vorhergesagt.<br />

Einer dieser Councillors war Ed<br />

Turner, ein ehem<strong>als</strong> sehr aktives<br />

Mitglied der Münchner <strong>Jusos</strong>, der<br />

seit 2002 Stadtrat in Oxford ist.<br />

Seit 1999 hat er regelmäßig die<br />

18 19


V E R B A N D I N T E R N<br />

Münchner SPD in Wahlkämpfen<br />

engagiert unterstützt, zuletzt im<br />

März 2008. Als kleines Dankeschön<br />

dafür fliegen seit 2000 regelmäßig<br />

ein paar Münchner <strong>Jusos</strong><br />

nach Oxford, um dort ebenfalls im<br />

Kommunalwahlkampf zu helfen.<br />

Interessant dabei ist insbesondere,<br />

dass der Wahlkampf völlig anders<br />

funktioniert <strong>als</strong> in Deutschland. In<br />

den Wochen vor der Wahl läuft<br />

es noch relativ ähnlich wie bei<br />

uns: Flugblätter werden verteilt,<br />

Werbebriefe ausgetragen, aber<br />

ein starker Fokus liegt bereits auf<br />

Hausbesuchen (genannt Canvassing),<br />

die den Zweck haben, die<br />

Bürger an die Wahl zu erinnern, für<br />

Labour zu werben und herauszufinden,<br />

welche Bürger tendenziell<br />

wie wählen werden. Als Ergebnis<br />

dieser Hausbesuche (und der<br />

Hausbesuche aus den Jahren zuvor)<br />

werden Listen von potentiellen<br />

Wählern (Supporters) erstellt, auf<br />

die sich alle Anstrengungen am<br />

Wahltag konzentrieren.<br />

Ganz anders <strong>als</strong> bei uns läuft<br />

der Wahltag ab, der ohne Übertreibung<br />

Großkampftag genannt<br />

werden kann:<br />

05:00: In jedem Ward beginnen<br />

die Wahlkampfteams mit der Verteilung<br />

von „Good-Morning-Leaflets“,<br />

die die Wähler an die Wahl<br />

erinnern sollen und noch einmal<br />

die zentralen Wahlkampfthemen<br />

wiederholen. Diese Verteilung läuft<br />

unter großem Zeitdruck bis 7:00,<br />

wenn die Wahllokale öffnen.<br />

07:00: Vor jedem Wahllokal beginnen<br />

die „Tellers“ ihre Aufgabe,<br />

jeden hereinkommenden Wähler<br />

zu notieren und an die Wahlkampfzentrale<br />

zu melden. So behält diese<br />

einen Überblick, welche der Supporters<br />

schon gewählt haben.<br />

08:30: Vor Schulen, Kindergärten<br />

etc. werden spezielle Flugblätter<br />

an Eltern verteilt.<br />

11:00: Beginn des „Knocking<br />

up“. Die im Vorfeld ermittelten<br />

Supporters werden nun mit Haus<br />

besuchen traktiert und immer<br />

wieder an die Wahl erinnert, bis<br />

die Tellers im Wahllokal sie dort<br />

registrieren. Interessanterweise<br />

nehmen die Opfer diese dauernde<br />

Belästigung mit großer Gelassenheit<br />

hin, rächen sich aber dafür<br />

mit Wahlbeteiligungen, die selten<br />

die 30% weit überschreiten. Den<br />

Wahlkämpfern sind aufregende<br />

Erlebnisse mit bösartigen Hunden<br />

ebenso sicher wie erschreckende<br />

Konfrontationen mit bitterer Armut<br />

und Verwahrlosung, gerade<br />

in vielen traditionellen Labour-<br />

Hochburgen. Natürlich begegnet<br />

man aber auch immer wieder klassischen<br />

Klischee-Engländer(innen),<br />

oft fortgeschrittenen Alters, die in<br />

ihrer berühmten Höflichkeit und<br />

Freundlichkeit immer wieder bezaubernd<br />

sind.<br />

17:00: Nachdem in der Zentrale<br />

ein grobes Bild herrscht, wie es in<br />

welchem Wahlbezirk für Labour<br />

steht, werden alle Kräfte gesammelt<br />

und auf die knappen Wahlbezirke<br />

konzentriert. Da landet man<br />

<strong>als</strong> Wahlkämpfer sehr plötzlich<br />

in einem völlig unbekannten Teil<br />

Oxfords, erfährt kurz, wer der lokale<br />

Kandidat ist und für was er<br />

steht, um dann auf Straßen verteilt<br />

zu werden, in denen man in<br />

großer Hektik so viele Menschen


V E R B A N D I N T E R N<br />

wie möglich rausklingeln und zum<br />

Wählen bewegen muss. Die Stimmung<br />

erinnert dabei eher an einen<br />

Sturmtrupp im Häuserkampf<br />

<strong>als</strong> an demokratisch-pluralistische<br />

Meinungsbildungsprozesse, was<br />

von den deutschen Wahlkämpfern<br />

mit gelassener Verwunderung<br />

zur Kenntnis genommen wird.<br />

Manchmal trifft man einen Trupp<br />

der Gegner, man beäugt sich misstrauisch.<br />

Die Wahlkämpfer sind<br />

inzwischen über zwölf Stunden im<br />

Einsatz und erste Erschöpfungserscheinungen<br />

müssen schamhaft<br />

verborgen werden.<br />

21:30: Mit zunehmend aggressivem<br />

Ton werden noch die letzten<br />

Supporters aus der Feierabendruhe<br />

geklingelt, bis um 22:00 die<br />

Wahllokale schließen.<br />

23:00: Alle Kandidaten und Unterstützer<br />

sammeln sich im Rathaus<br />

und schauen den städtischen Angestellten<br />

beim Auszählen zu. Ward<br />

für Ward werden die Ergebnisse<br />

auf einer Bühne verkündet und die<br />

jeweiligen Sieger ausgerufen.<br />

01:30: Die letzten Ergebnisse<br />

werden bekannt gegeben und es<br />

zeichnet sich ein großer Sieg für<br />

Labour in Oxford ab. Wir gewinnen<br />

vier zusätzliche Councillors,<br />

die Liberalen bleiben stabil, Grüne<br />

und IWCA verlieren. Die Konservativen<br />

sind im neuen Stadtrat gar<br />

nicht mehr vertreten! Ed gewinnt<br />

seinen Wahlkreis mit riesigem Vorsprung.<br />

Leider kontrastiert dies mit<br />

den verheerenden Ergebnissen,<br />

die wir über Telefon aus den anderen<br />

Landesteilen erfahren. Aber<br />

eins steht fest: Oxford ist wieder in<br />

Labour-Hand!<br />

02:00: Weil alle noch zu viel Adrenalin<br />

im Blut haben, um schlafen<br />

zu gehen, geht man gemeinsam<br />

in die nächste Bar, um schon ein<br />

wenig zu feiern. Wir alle sind zu<br />

diesem Zeitpunkt seit fast 22 Stunden<br />

auf den Beinen und ziemlich<br />

durch den Wind. Irgendwann geht<br />

dann jeder ins Bett und hat Mitleid<br />

mit den GenossInnen, die am<br />

nächsten Tag arbeiten müssen. Die<br />

Füße tun noch tagelang weh.<br />

Was waren die Themen in diesem<br />

Wahlkampf? Die lokale Labour<br />

Party in Oxford, die sich ähnlich<br />

der Münchner SPD eher links der<br />

Gesamtpartei positioniert und sich<br />

beispielsweise dem Trend zur Privatisierung<br />

städtischer Wohnungen<br />

widersetzt hat, hat auch im Wahlkampf<br />

auf klassische kommunale<br />

Themen gesetzt: Kinderspielplätze,<br />

Müllentsorgung, Straßenkriminalität,<br />

Wohnungsbau etc. („fairer<br />

cleaner safer greener“). Aufgrund<br />

des sehr lokal bezogenen Wahlsystems<br />

werden aber für jeden Ward<br />

von den Parteien lokal spezifische<br />

Themen in den Vordergrund gerückt.<br />

Insgesamt kehren die Wahlkämpfer<br />

aus München zufrieden zurück,<br />

auch wenn wir manchen Ward<br />

leider sehr knapp verloren haben.<br />

Aber 2010 gibt es ja die nächste<br />

Chance - und die<br />

Münchner <strong>Jusos</strong><br />

werden sicher wieder<br />

dabei sein!<br />

Fl o r i a n Bieberbach<br />

20 21


V E R B A N D I N T E R N<br />

US-Wahlkampf - Clinton vs. Obama<br />

Erfahrung („Experience“) entgegen.<br />

Inhaltliche Unterschiede zwischen<br />

Clinton und Obama sind nur sehr<br />

schwer ausfindig zu machen. Bei<br />

den Wahlkampfthemen Gesundheitspolitik,<br />

Immigration, Irak,<br />

Klimawandel und Wirtschaft unterscheiden<br />

sich die beiden BewerberInnen<br />

kaum. Es gibt nur wenig<br />

inhaltliche Unterschiede: Obama<br />

ist für Verhandlungen mit dem<br />

Iran auch ohne Vorbedingungen<br />

(Clinton besteht auf die vorangegange<br />

volle Erfüllung der internationalen<br />

Forderungen); Clinton will<br />

aufgrund der stark gestiegenen<br />

Benzinpreise in den USA die Benzinsteuer<br />

aussetzen und stattdessen<br />

direkt bei den Ölfirmen besteuern<br />

(Obama hält dies für unsinnig und<br />

wirkungslos).<br />

Obama lag bei den Vorwahlen mit<br />

seinen Delegierten vorne. Clinton<br />

hätte bei der Nominierungskonferenz<br />

im August nur noch mit Hilfe<br />

der so genannten 800 „Superdelegierten“<br />

(Parteifunktionäre und<br />

Politiker, die nicht an Vorwahlergebnis<br />

gebunden sind) gewinnen<br />

können. Mittlerweile hat Clinton<br />

ihre Niederlage eingestanden<br />

und Obama gilt <strong>als</strong> designierter<br />

Kandidat.<br />

Bei der Veranstaltung „Clinton vs.<br />

Obama – Der US-Wahlkampf“ referierte<br />

am 05.05.2008 der Amerikanistik-Lehrbeauftragte<br />

der LMU,<br />

Dr. Markus Hünemörder. Das Referat<br />

beinhaltete auch Wahlkampfvideos<br />

von Clinton und Obama.<br />

In einem sehr informativen Vortrag<br />

stellte der Referent die Besonderheiten<br />

bei den diesjährigen US-<br />

Vorwahlen der Demokraten heraus.<br />

Es ist das erste mal seit (genau<br />

genommen) 1928, dass kein amtierender<br />

Präsident zur Wahl steht,<br />

und die erste erfolgversprechende<br />

Kandidatur einer Frau, bzw. eines<br />

Afro-Amerikaners. Sollte McCain<br />

gewinnen, wäre er der älteste gewählte<br />

Präsident (Jahrgang 1936).<br />

Das Zweiparteiensystem der USA<br />

ist mittlerweile ziemlich polarisiert,<br />

bzw. regional aufgeteilt: Die Demokraten<br />

können vor allem auf<br />

die Regionen Westküste, nördl.<br />

Ostküste und urbane Zentren setzen,<br />

während die Republikaner<br />

im Westen, Süden und in Suburbs<br />

erfolgreich sind.<br />

Bei den Demokraten setzt Obama<br />

auf einen Neuanfang und einen<br />

anderen Politikstil („Change“).<br />

Clinton setzt dem vor allem ihre<br />

Den Vortrag unserer Veranstaltung<br />

könnt ihr euch hier <strong>als</strong> <strong>PDF</strong> noch<br />

mal ansehen:<br />

http://www.amerikahaus.de/<br />

election2008/20080505.pdf<br />

(ohne Videos)<br />

Weitere Vorträge zum Thema findet<br />

ihr hier:<br />

http://www.amerikahaus.de/election2008/<br />

Philipp Obermüller


Das letzte Wort<br />

D A S L E T Z T E W O R T<br />

Vorwärts und nichts vergessen<br />

Politisches Handeln braucht Werte, die Fundierung der politischen Entscheidungen und die Grundlage der Bewertung<br />

der Situation und Entwicklung sind. Politisches Handeln ohne eine Orientierung an Werten ist beliebig<br />

und austauschbar. Die Werte, die die Grundlage unseres Handelns bilden, sind in langen Jahren der politischen<br />

und gesellschaftlichen Auseinandersetzung um Gerechtigkeit und Gleichheit, im Kampf der ArbeiterInnenbewegung,<br />

entstanden. Sie sind es, die uns <strong>als</strong> SPD und <strong>als</strong> <strong>Jusos</strong> ausmachen und uns, neben unserer Geschichte<br />

und unserem Handeln, Identität <strong>als</strong> politische Organisation geben.<br />

Zu den Werten ist ein Ziel, eine Gesellschaftsvision, unerlässlich, auf die sich unser politisches Handeln ausrichtet.<br />

Die gemeinsame Vision, für die wir einstehen ist die Vision des demokratischen Sozialismus. Die Werte <strong>als</strong><br />

normatives Gerüst, <strong>als</strong> Bewertungsgröße, die Vision <strong>als</strong> Richtung und Zweck unseres Handelns, das dauernde<br />

Streben zur Umsetzung der Vision <strong>als</strong> Aufgabe.<br />

Um unsere Schritte in die Zukunft sorgsam zu setzen, müssen wir den Blick auch zurück richten und getroffene<br />

politische Entscheidungen, um mit Rosa Luxemburg in Ihrer Schrift „Die Krise der Sozialdemokratie“ zu sprechen,<br />

„rücksichtslose[r], grausame[r], bis auf den Grund der Dinge gehende[r] Selbstkritik“ unterziehen. Insbesondere<br />

in der Aufarbeitung und Bewertung der vergangenen Regierungsjahre scheint sich die SPD, wie schon manches<br />

Mal, von dieser Aufgabe klammheimlich davonzustehlen, um möglichst einfach weiter zu machen und weiter zu<br />

regieren. Die kritische Reflexion wird der SPD nicht erspart bleiben, will sie die akute Gefahr des Identitätsverlusts<br />

und der politischen Bedeutungslosigkeit noch eindämmen.<br />

Wenn wir die vergangenen Jahre kritisch betrachten, müssen wir feststellen, dass die Sozialdemokratie ihren<br />

angestammten Platz auf der Seite der Benachteiligten zugunsten einer diffusen „neue Mitte“, die sich insbesondere<br />

aus Mittelschicht und liberalem Bürgertum konstituiert, aufgegeben hat. Daher verfolgte sie auch eine<br />

Politik, die nicht mehr den Umverteilungscharakter des Sozi<strong>als</strong>taates ins Zentrum stellt, sondern ihn, im Zuge<br />

der Hartz-Gesetze und der Agenda 2010, insbesondere mit der Einführung eines strikten und unsozialen Repressionssystems<br />

zu einem Gegenleistung fordernden Minim<strong>als</strong>icherungssystem umbaute.<br />

Neue Mitte, neuer dritter Weg oder New Labour. Das hat nicht viel gemein mit dem Anspruch den Sozialdemokratie<br />

<strong>als</strong> Teil der ArbeiterInnenbewegung entwickelte. Eine Bewegung mit emanzipatorischem Charakter<br />

auf dem Weg zu einer Gemeinschaft der Freien und Gleichen. Die Krisen der Sozialdemokratie erwachsen<br />

aus der Diskrepanz zwischen Anspruch und Handeln. Anspruch, der aus den Grundwerten und der Vision des<br />

demokratischen Sozialismus erwächst und Handeln, das oft genug auf reinen Machterhalt ausgerichtet war.<br />

Diese Diskrepanz ist es, die die Sozialdemokratie für viele unglaubwürdig macht, langjährige Mitglieder dazu<br />

bringt enttäuscht die SPD zu verlassen und die sozialdemokratische Basis verzweifeln lässt.<br />

Die Fehler und das Versagen der Vergangenheit klar benennen, daraus lernen und für progressive, linke Politik<br />

eintreten, in und mit der SPD, so soll unsere Devise lauten. Und wir werden damit nicht allein sein. Viele Genossinnen<br />

und Genossen sehnen sich nach einer SPD die wieder klare soziale und linke Positionen einnimmt<br />

und ihre politische Heimat nicht kampflos aufgeben. Deshalb: Vorwärts und nichts vergessen...<br />

An n o Dietz<br />

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