BAUMA WORKER Knochenarbeit im Millimeterbereich (Vorschau)
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Also lasse ich mich von ihm leiten. Schlagartig verlässt<br />
mich nun das gerade erlangte Vertrauen, als er mich zum<br />
großen Berg dirigiert. Ein Blick auf die Fotografen sagt<br />
mir: Es muss wohl sein, sie sind die einzigen, die sich in<br />
meiner Nähe aufhalten. Alle anderen sind unten in ebener<br />
Umgebung. Ist auch besser, schließlich hat so ein bergab<br />
kullernder Sprinter sicher eine krasse Wirkung. Auf<br />
der Spitze des Berges steht ein Werbeturm, der in alle<br />
H<strong>im</strong>melsrichtungen verkündet: Hier ist der ADAC ganz<br />
oben. Diesen zu umfahren, erfordert das Vermögen, eine<br />
unsichtbare Fahrfläche <strong>im</strong>aginär zu ersetzen und sich dabei<br />
auf die bevorstehende Abfahrt von geschätzten 45° zu<br />
konzentrieren. Durch das geöffnete Fenster bitte ich die<br />
Fotomänner um vollsten Einsatz, falls was schief geht.<br />
Schließlich wollen wir spektakuläre Aufnahmen <strong>im</strong> Heft<br />
sehen. Wenn ihr wüsstet.<br />
45°??? Korrektur: Gefühlter Neigungswinkel<br />
90° - ich hänge in den Gurten<br />
Ich stehe vor dem Abhang, Länge zirka 100 Meter. Der<br />
Neigungswinkel bewirkt, dass selbst aus der Perspektive<br />
vom höchsten Punkt der Frontscheibe keine Fahrbahn<br />
zu sehen ist. Vor mir ist nur noch Luft, hinter mir vier<br />
Tonnen Beton. Gefühlter Neigungswinkel nun also<br />
60°. Mit etwas Adrenalin geht’s los. Abfahrt. Und da ist<br />
wieder dieses Gefühl der vier Tonnen Betonplatten, die<br />
mich nun von hinten bedrohen. Zwei Möglichkeiten<br />
drängen sich mir in den Kopf: Entweder kippt die Pritsche<br />
samt Betonplatten über mich und ich befinde mich<br />
inmitten einer Blechlawine, oder die Beladung schiebt<br />
sich einfach an mir vorbei und zieht mich zum Fuße<br />
des Berges. Nichts dergleichen. Ich halte den Wagen<br />
in der Spur und bremse ihn auf die kleinste mögliche<br />
Geschwindigkeit. Dies ist nicht ganz einfach, da sich<br />
der Wagen nunmehr in voller Schräglage gefühlter 90°<br />
befindet und ich <strong>im</strong> wahrsten Sinne des Wortes in den<br />
Gurten hänge. Sitzen ist aufgrund der enormen Abschüssigkeit<br />
nicht mehr möglich.<br />
Mit vier Tonnen <strong>im</strong> Rücken am Abgrund –<br />
mein Gehirn sagt deutlich NEIN<br />
Mein Körper will ganz klar nach unten. Plötzlich wieder<br />
<strong>im</strong> Krächzton aus dem Walkie-Talkie: „Und nun<br />
bitte die Bremse lösen!“ „Bist du bescheuert?!“ bricht es<br />
laut aus mir heraus. Gerade habe ich den bedrohlichen<br />
Beton hinter mir gezähmt - und jetzt nicht bremsen?<br />
Andererseits: Er ist der Instruktor. Also los. Bremse<br />
los. Das ist etwa so, als ob man auf eine Wand zufährt<br />
und gezwungen wird, Gas zu geben. Wer schon einmal<br />
<strong>im</strong> Renntaxi gefahren ist, weiß, wovon ich rede. Selbst<br />
be<strong>im</strong> erzwungenen Willen, dem Instruktor zu folgen,<br />
spüre ich nun eine sehr deutliche Absage von meinem<br />
Gehirn. Vor mir der Abgrund, hinter mir vier Tonnen<br />
Beton – da sagt die Vernunft: „Nein!“.<br />
Aber Männer hören ja gern mal weg, wenn das Gehirn<br />
was sagt. Ich nehme die Herausforderung an und löse<br />
die Bremse. Unglaublich. Die eingeschaltete Untersetzung<br />
lässt den Wagen samt Last sanft und souverän<br />
die Schlucht hinabgleiten, ohne auch nur den Ansatz<br />
eines Ausbrechens zu zeigen. Das ist spektakulär.<br />
01/13<br />
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