Predigt zum Totensonntag 2011: Lehre uns bedenken, dass wir ...
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Herr lehre <strong>uns</strong> <strong>bedenken</strong>, <strong>dass</strong> <strong>wir</strong> sterben müssen, auf <strong>dass</strong> <strong>wir</strong> klug<br />
werden. (Psalm 90,12)<br />
Liebe Gemeinde, diesen Vers haben Sie sicher schon einmal gehört,<br />
beispielsweise bei einer Beerdigung.<br />
In einer neueren Übersetzung haben Sie ihn auf den Einladungen zu<br />
diesem Sonntag, die einige von Ihnen bekommen haben und auf dem<br />
Liedblatt stehen: Herr, lehre <strong>uns</strong> <strong>uns</strong>ere Tage zählen, auf <strong>dass</strong> <strong>wir</strong> ein<br />
weises Herz gewinnen.<br />
„<strong>Lehre</strong> <strong>uns</strong> <strong>uns</strong>ere Tage zählen“, das ist der Ausdruck der<br />
hebräischen Bibel der Ursprache des Alten Testaments.<br />
Mit dem Zählen ist das so eine Sache. Wenn Kinder anfangen etwas<br />
zu zählen, merken sie auch, <strong>dass</strong> es ein „mehr“ oder ein „weniger“<br />
gibt. Der kleine Bruder hat mehr Bonbons bekommen, und der große<br />
Bruder durfte mehr Runden mit dem Fahrrad fahren. Wenn Kinder<br />
nicht einfach die Zahlen dahinplappern, sondern wissen, was sich<br />
dahinter verbirgt, merken sie, <strong>dass</strong> es eine Grenze gibt, <strong>dass</strong> manche<br />
Dinge ein Ende haben.<br />
Uns Erwachsenen geht es natürlich genauso. Gezähltes ist<br />
Begrenztes, eben auch Überschaubares. Und was <strong>wir</strong> zählen,<br />
nehmen <strong>wir</strong> auch bewusster wahr: Wie viele Tage sind es noch bis<br />
<strong>zum</strong> Urlaub oder eine Reise ging 4 Tage<br />
Wenn <strong>wir</strong> über die Zählbarkeit <strong>uns</strong>erer Lebenstage nachdenken, dann<br />
tun <strong>wir</strong> das mit dem Gefühl bewusst gelebten Lebens. Ich glaube, so<br />
ist das, wenn <strong>wir</strong> älter werden und häufiger mit dem Sterben leben<br />
müssen.<br />
Wie viele Tage <strong>wir</strong>st du noch leben, du lieber Mensch, der sich<br />
schwer krank von einem Tag <strong>zum</strong> anderen quält, den ich erlebe als<br />
einen Leidenden, der gehen <strong>wir</strong>d, der gehen muss und an dem ich<br />
doch noch mit meinem ganzen Herzen hänge. Kann ich dich, du<br />
lieber Mensch den ich mein Leben lang kenne, mit dem ich schöne<br />
und schwierige Zeiten geteilt habe, kann ich dich gehen lassen? Und<br />
wie kann ich dich, Ehemann, Ehefrau, Mutter gehen lassen, <strong>dass</strong> es<br />
für <strong>uns</strong> beide einen guten Abschied geben kann?<br />
Bei den in diesem Jahr Verstorbenen, von denen <strong>wir</strong> <strong>uns</strong><br />
verabschieden mussten in <strong>uns</strong>erer Kirchgemeinde, ist es Ihnen häufig<br />
so gegangen, <strong>dass</strong> Sie gemeinsam mit den Todkranken auf das Ende<br />
gewartet haben, bange vor dem Abschied und hoffend, <strong>dass</strong> es eine<br />
Erlösung gibt.<br />
Es war vielleicht alles gesagt, alles geklärt, das Leben geordnet, aber<br />
es bleibt ein leerer Platz, die Ruhe im Haus, vielleicht ein Bindeglied<br />
der Familie, es ist eine Lücke gerissen worden. Und es gibt auch die
Frage: Wie soll das Leben weitergehen, wie soll es sich wieder als<br />
Leben anfühlen?<br />
„<strong>Lehre</strong> <strong>uns</strong> <strong>uns</strong>ere Tage zählen“, Gott weiß, wie viele Tage es sind,<br />
<strong>wir</strong> wissen nur, <strong>dass</strong> es nicht unendlich viele sind. Manchmal sind es<br />
viel zu wenige, manchmal gibt es keinen Abschied, manchmal holt<br />
<strong>uns</strong> der Tod ein, und <strong>wir</strong> wissen gar nicht, wie <strong>uns</strong> geschieht. Das ist<br />
in diesem Jahr auch passiert.<br />
Eingeholt werden vom Abschied, das ist <strong>uns</strong>ere größte Angst. Wir, die<br />
<strong>wir</strong> zurückbleiben, fürchten <strong>uns</strong>, <strong>dass</strong> <strong>wir</strong> jemanden hergeben<br />
müssen, ohne <strong>uns</strong> <strong>dass</strong> <strong>wir</strong> <strong>uns</strong> darauf vorbereiten konnten. Was<br />
waren <strong>uns</strong>ere letzten Worte, Blicke, Erlebnisse? Waren <strong>wir</strong> einander<br />
gut? Waren <strong>wir</strong> versöhnt? Und wie <strong>wir</strong>d das Leben weitergehen, wenn<br />
alles nur weh tut? Wie können <strong>wir</strong> <strong>zum</strong> Leben zurückfinden, wenn <strong>wir</strong><br />
immer nur sagen können: Er fehlt mir so sehr! Und <strong>wir</strong> können nicht<br />
verstehen, <strong>dass</strong> es nur so wenige Tage sein sollten.<br />
„<strong>Lehre</strong> <strong>uns</strong> <strong>uns</strong>ere Tage zählen“.<br />
Viele Tage <strong>zum</strong> Leben hatten 2 Menschen, die in diesem Jahr<br />
gegangen sind. Viele Tage <strong>zum</strong> Leben. Es war nicht leicht, für diese<br />
beiden Menschen, alt zu werden, hinzunehmen, <strong>dass</strong> man die<br />
Lebenskraft verliert, <strong>dass</strong> man die Hilfe anderer Menschen braucht.<br />
Es war bestimmt auch nicht leicht für die Angehörigen, Menschen im<br />
Altern zu begleiten, sie hilfloser werden zu sehen, ihre Persönlichkeit<br />
sich verändern zu sehen.<br />
Und sie hatten das Geschenk der vielen Jahre, sie hatten das<br />
Geschenk und die Last damit.<br />
„Herr, lehre <strong>uns</strong> <strong>uns</strong>ere Tage zählen, auf <strong>dass</strong> <strong>wir</strong> ein weises Herz<br />
gewinnen.<br />
Dieser Satz ist der Ursprung eines durch viele Jahrhunderte hindurch<br />
benutzten lateinischen Wortes „memento mori“, „Denk an den Tod“<br />
und dahinter steht weiter gedacht: weil du dann ermessen kannst wie<br />
vieles im Leben keinen Wert hat, wie viele Eitelkeiten und<br />
Ablenkungen es gibt, wie schnell <strong>wir</strong> unwesentlich werden können.<br />
„Herr, lehre <strong>uns</strong> <strong>uns</strong>ere Tage zählen, auf <strong>dass</strong> <strong>wir</strong> ein weises Herz<br />
gewinnen“<br />
Zählen, damit <strong>wir</strong> klug werden und empfindsam für die kleinen<br />
Freundlichkeiten des Lebens, für die Schätze, die kleinen Perlen, die<br />
<strong>uns</strong>er Leben bereichern: ein nettes Gespräch, ein Telefonanruf, die<br />
ernstgemeinte Frage: „Du, wie geht’s dir eigentlich“, ein gemeinsames<br />
Lachen, ein Tag in Gesundheit, eine Autofahrt ohne Unfall, eine<br />
wunderbare Musik, der Duft nach gutem Essen, den Morgen ohne
Stress schaffen, am Abend im warmen Zimmer sitzen, die Vögel<br />
hören und die Sonne untergehen sehen.<br />
Nichts ist selbstverständlich, das wissen alle, die schon einmal an den<br />
Rand des Lebbaren gekommen sind, die sich das Leben ganz anders<br />
vorgestellt hatten, deren kleine Wünsche unerfüllt blieben, die erlebt<br />
haben, wie zerbrechlich alles ein kann. Nichts ist selbstverständlich,<br />
wenn <strong>uns</strong> plötzlich eine Diagnose trifft wie ein Keulenschlag, wenn<br />
alle Aussichten getrübt und verstellt sind.<br />
Herr, lehre <strong>uns</strong> <strong>uns</strong>ere Tage zählen, auf <strong>dass</strong> <strong>wir</strong> ein weises Herz<br />
gewinnen.<br />
Gott, gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht<br />
ändern kann,<br />
den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann,<br />
und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden,<br />
so heißt es in einem englischen Spruch, den Sie vielleicht schon<br />
gelesen haben.<br />
Das ist das Credo des weisen Herzens. Das weise Herz lebt zwischen<br />
den Einsichten in Notwendigkeiten und dem Feuer der Begeisterung.<br />
Es lebt mit dem Wissen, das es mit Nachsicht und Großzügigkeit und<br />
ohne Berechnung auskommen muss.<br />
Ein weises Herz brauchen <strong>wir</strong>, damit <strong>wir</strong> am Ende <strong>uns</strong>erer Tage in<br />
Frieden Abschied nehmen können.<br />
Ein weises Herz tut weh, wenn andere Menschen traurig sind, weil es<br />
mitleiden kann und es tut furchtbar weh, wenn es sich von Menschen<br />
verabschieden muss. Das weise Herz ahnt vielleicht, <strong>dass</strong> es zu klein<br />
ist und <strong>dass</strong> es im Herzen Gottes einen Platz hat.<br />
Dass es getröstet werden muss, und die Hilfe des gnädigen Gottes<br />
braucht, der zu ihm sagt: Fürchte dich nicht, denn ich habe dich<br />
erlöst, ich habe dich bei deinem ganz eigenen Namen gerufen, du<br />
gehörst zu mir.<br />
Liebe Angehörige und liebe Gemeinde,<br />
Herr, lehre <strong>uns</strong> <strong>uns</strong>ere Tage zählen, auf <strong>dass</strong> <strong>wir</strong> ein weises Herz<br />
gewinnen.<br />
Ich wünsche <strong>uns</strong>, <strong>dass</strong> die Angst kleiner <strong>wir</strong>d vor <strong>uns</strong>erem eigenen<br />
Ende. Ich wünsche <strong>uns</strong>, <strong>dass</strong> <strong>wir</strong> Frieden machen können mit den<br />
Abschieden.<br />
Ich wünsche <strong>uns</strong>, <strong>dass</strong> <strong>wir</strong> die Liebe Gottes spüren und <strong>uns</strong> darin<br />
aufgehoben fühlen können. AMEN