Programmheft - Klassik Stiftung Weimar
Programmheft - Klassik Stiftung Weimar
Programmheft - Klassik Stiftung Weimar
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
13<br />
»Schöne Welt wo bist du?« – Schubert entdeckt Schiller<br />
Das Lied ist die erste Gattung, in der es<br />
Franz Schubert schon in sehr jungen Jahren<br />
zu kompositorischer Meisterschaft<br />
brachte, und sein Rang als Liedkomponist<br />
ist ihm so unbestritten zugestanden worden,<br />
dass er bis heute als <strong>Klassik</strong>er dieser<br />
Gattung gilt. Lieder waren es auch, mit denen<br />
der erwachsene Komponist zuerst an<br />
die Öffentlichkeit der Druckausgaben gelangte,<br />
die dann seiner Klavier- und Kammermusik<br />
den Weg auf den Musikalienmarkt<br />
zu bahnen vermochten. Zwischen<br />
dem ersten nachweisbaren Lied des Vierzehnjährigen<br />
und der ersten mit einer<br />
Opuszahl versehenen Publikation vergingen<br />
allerdings zehn Jahre – genau die Zeit,<br />
die der junge Komponist brauchte, um in<br />
der Privatheit und Halböffentlichkeit der<br />
Salon- und Vereinsgeselligkeit bekannt genug<br />
zu werden, um das finanzielle Risiko<br />
eines auf eigene Kosten gewagten Drucks<br />
einigermaßen kalkulierbar zu machen.<br />
Im Bewusstsein der Nachwelt hat sich<br />
die Vorstellung von Schuberts frühem<br />
Liedschaffen unauflöslich mit Johann<br />
Wolfgang von Goethe verbunden. In der<br />
Tat waren ja die ersten im Frühjahr 1821<br />
gedruckten Lieder – unter ihnen einige<br />
der bis heute berühmtesten – der Lyrik des<br />
<strong>Weimar</strong>er Dichterfürsten gewidmet (Opus<br />
1: Erlkönig, Opus 2: Gretchen am Spinnrade). In<br />
Wirklichkeit aber hatte Schuberts frühestes<br />
Interesse gar nicht Goethe, sondern<br />
dem anderen der beiden <strong>Weimar</strong>er <strong>Klassik</strong>er<br />
gegolten: Schon das zweite, wohl 1811<br />
entstandene seiner erhaltenen Jugendlieder,<br />
Des Mädchens Klage D 6, bezog seinen<br />
Text von Friedrich Schiller, und eben so die<br />
gleich darauf folgende Leichen fantasie D 7.<br />
Bevor Schubert schließlich am 19. Oktober<br />
1814 mit seinem berühmt gewordenen<br />
Gretchen am Spinnrade D 118 sein erstes<br />
Goethe-Lied komponierte, hatte er bereits<br />
nicht weniger als 27 Gedichte Friedrich<br />
Schillers vertont. Zwar besetzt Goethe unter<br />
allen Textdichtern Schuberts mit fast<br />
80 Ver tonun gen, als Lieder oder mehrstimmige<br />
Gesänge, insgesamt die Spitzenposition,<br />
aber diese wird in Schuberts<br />
Œuvre von der kompositorischen Auseinandersetzung<br />
mit Schiller dicht gefolgt.<br />
Unter den knapp 70 Kompositionen nach<br />
Gedichten Schillers sind weit mehr als die<br />
Hälfte Lieder, und einige von ihnen gehören<br />
zu den eindrucksvollsten und schönsten,<br />
die Schubert überhaupt geschrieben<br />
hat. Und selbst im Bereich der Bühnendramatik,<br />
für die Schubert bekanntlich mit<br />
dem Singspiel Claudine von Villa Bella eine<br />
weitere Goethe-Vorlage benutzte, gibt es<br />
ein Pendant bei Goethes großem Mitstreiter:<br />
Die Fragment gebliebene Schiller-<br />
Oper Die Bürgschaft D 435 bezog ihre Inspiration<br />
zweifellos von der kurz zuvor<br />
vertonten gleichnamigen Ballade, wenn<br />
auch nicht direkt aus einer Schillerschen<br />
Textvorlage.<br />
Was hat Schubert überhaupt so früh<br />
zur Lyrik Friedrich Schillers greifen lassen?<br />
Eine erste Erklärung ergibt sich<br />
zwanglos aus der Tatsache, dass Schubert<br />
auf die gerade ein Jahr vor dem Einsetzen<br />
Linke Seite: Porträt Franz Schubert, Wilhelm August Rieder, Aquarell 1825