08b Betrug (Zusatz) - Institut für Strafrecht und Kriminologie ...
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STRAFRECHT BT<br />
BETRUG StGB 146<br />
Prof. Dr. H. Vest<br />
<strong>Institut</strong> für <strong>Strafrecht</strong> <strong>und</strong> <strong>Kriminologie</strong><br />
Universität Bern<br />
DAS GRUNDDELIKT Ziff. 1<br />
4 Stadien:<br />
> Arglistige Täuschung<br />
> Irrtum Motivationszusammenhang<br />
> Vermögensdisposition Motivationszusammenhang<br />
> Vermögensschaden Kausalzusammenhang<br />
DIE TÄUSCHUNG (I)<br />
> Täuschung = jedes konkludente Verhalten mit falschem Erklärungswert<br />
(BGE 113 Ib 170?; krit. Schmid, SAG 1988, 136 f.; “Züri<br />
Gschnetzletes” Kalbfleisch?, BGE 99 IV 80 f.)<br />
> Vorspiegelung von Tatsachen (BGE 96 IV 145: “Unfallfreiheit”)<br />
— Äussere Tatsachen: Objektiv feststehende Geschehnisse/ Zustände:<br />
– Vergangene <strong>und</strong> gegenwärtige (zukünftige nur, wenn von naturgesetzlicher<br />
Art; d. h. nicht zukünftige Zahlungsfähigkeit oder Erfolgsaussichten<br />
einer Baueinsprache: BGE 89 IV 74)<br />
– Nicht: Prognosen, Wahrsagungen <strong>und</strong> reine Werturteile; anders bei<br />
Tatsachenkern: Abgrenzungen schwierig (BGE 119 IV 210)<br />
– Bei Insidergehabe ggf. bzgl. besonderer bestehender Kenntnisse, auch als<br />
Gr<strong>und</strong>lage eines Werturteils<br />
— Innere Tatsachen (z.B. Vorspiegelung des Zahlungswillens beim<br />
Kreditbetrug: BGE 102 IV 84; nicht bzgl. Kreditkarte: BGE 111 IV 134)<br />
1
DIE TÄUSCHUNG (II)<br />
> Unterdrückung von Tatsachen<br />
— Ebenfalls ein Fall des positiven Tuns <strong>und</strong> nicht des Unterlassens<br />
— Täter erweckt den Anschein, dass vorhandene Tatsachen nicht<br />
vorhanden sind (z.B. Übermalen einer schadhaften Stelle vor<br />
dem Verkauf eines “Unfallautos”; ist aber auch Vorspiegeln)<br />
> Bestärkung eines Irrtumes<br />
— Früher: Benutzung des Irrtumes eines anderen genügte<br />
— Neu: Aktives Handeln erforderlich (“Bestärken”)<br />
— Strittig, unter welchen Voraussetzungen eine solche Handlung<br />
arglistig ist, insb. wohl bei Machenschaften, einem<br />
Lügengebäude oder einem Vertrauensverhältnis!?<br />
BETRUG DURCH SCHWEIGEN (I)<br />
> Theoretisch möglich, wenn durch Schweigen eine spezif. Rechtspflicht<br />
verletzt wird; Garantenstellung kann sich – theoretisch! –<br />
ergeben aus:<br />
— positivem Recht BGer 6S.364/2005: Meldepflicht gem. WG 40 bei<br />
Wiederauftauchen?<br />
— freiwilliger Übernahme (z.B. vorvertraglich eingegangene<br />
Aufklärungspflicht)<br />
> Abgrenzung zum sog. qualifizierten Schweigen mit positivem<br />
Erklärungsgehalt (Lehrbuchbsp.: “demonstratives” Nicht-Gemeint-<br />
Sein auf Frage “noch zugestiegen?”<br />
> BGE’s zu unechter Unterlassung sind meist keine Fälle eines rein<br />
passiven Schweigens: BGE 127 IV 163: Sozialleistungen<br />
BETRUG DURCH SCHWEIGEN (II)<br />
> <strong>Betrug</strong> durch Unterlassen/Nichtabwägung eines bevorstehenden<br />
Irrtums ist vom Fall der Nichtbeseitigung eines schon<br />
bestehenden Irrtums abzugrenzen (vgl. zu letzterem BGE 76<br />
IV 158; generell Volk, JuS 1981, 880)<br />
> <strong>Betrug</strong> durch Schweigen kann demnach nur dadurch verübt<br />
werden, dass trotz Aufklärungspflicht einem sich bildenden<br />
Irrtum nicht entgegengetreten wird<br />
> Auch beim <strong>Betrug</strong> durch Schweigen ist Arglist erforderlich:<br />
Begehungsgleichheit i. S. sog. Modalitätenäquivalenz<br />
(BSK-Arzt, Art. 146 N 61)<br />
2
DIE ARGLIST (I)<br />
> Lügengebäude<br />
— Nicht jede Summierung von Lügen ist ein Lügengebäude<br />
— BGE 119 IV 36: “Lügen müssen von besonderer Hinterhältigkeit<br />
zeugen <strong>und</strong> so raffiniert aufeinander abgestimmt sein, dass<br />
dadurch auch ein kritisches Opfer getäuscht würde”, z.B.<br />
Simulation eines Schleudertraumas (BGer 6S. 379/2004)<br />
> Besondere Machenschaften/Kniffe<br />
— Täuschung wird durch spezifische Massnahmen (z.B. Urk<strong>und</strong>enfälschung<br />
bzw. Falschbeurk<strong>und</strong>ung) abgesichert (vgl.<br />
BGE 116 IV 25; 122 IV 205; 126 IV 165; liegt nur eine straflose<br />
schriftl. Lüge vor, kann diese trotzdem ein Lügengebäude<br />
konstituieren!)<br />
DIE ARGLIST (II)<br />
> Bloss falsche Angaben, sofern:<br />
— Überprüfung unmöglich oder schwierig: z.B. innere Absichten,<br />
Zahlungswille: BGE 119 IV 288; 118 IV 361 m.H. ; nur indirekte<br />
Überprüfung der Zahlungsfähigkeit<br />
— Überprüfung unzumutbar: z.B., sofern besondere Fachkenntnisse<br />
vorausgesetzt (BGE 96 IV 147; Kilometerstand von Auto: BGE 119 IV<br />
129; Gemeinnützlichkeit des Verkaufserlöses: BGE 72 IV 128 f.;<br />
akadem. Titel: BGE 106 IV 362; Reh oder Antilope)<br />
— Abhalten des Opfers von einer möglichen Überprüfung: z.B. Abhalten<br />
von der Besichtigung des Kaufobjektes (BGE 72 IV 159 f:<br />
Pferdehandel)<br />
— Täter sieht voraus, dass das Opfer aufgr<strong>und</strong> eines besonderen<br />
Vertrauensverhältnisses von einer Überprüfung absieht: z.B. persönl.<br />
Beziehungen oder lange geschäftliche Zusammenarbeit; vgl. BGE 107<br />
IV 171; 119 IV 37; nicht aber BGE 117 IV 142: Dealer-Partner<br />
OPFERMITVERANTWORTUNG I<br />
> Missachtung gr<strong>und</strong>legendster Vorsichtsmassnahmen i. S. von<br />
grober Leichtfertigkeit: Gesamtabwägung aller Umstände; bei bes.<br />
Arglist auch Fachleute geschützt: BGE 133 IV 171; krit. Bspr. AJP<br />
2007, 1199<br />
> nicht nur bei einfachen Lügen, auch bei Lügengebäude (BGE 126<br />
IV 171 f.) <strong>und</strong> Machenschaften (BGE 128 IV 20 f.)<br />
> Opfermitverantwortung führt zu Verneinung der Arglist; wird in der<br />
bger Praxis selten bejaht (BSK-Arzt, Art. 146 N 57 ff.):<br />
— geschäftl. (sehr) erfahrene Opfer: BGE 72 IV 12; 107 IV 169<br />
— mögl. bei völlig unrealistischen Gewinnversprechungen: in<br />
BGer 6S.168/2006 (Nigeria-Connection) verneint<br />
— bei wiederholter Täuschung durch gleichen Täter<br />
3
OPFERMITVERANTWORTUNG II<br />
> Prinzip. auch Dumme, Leichtgläubige <strong>und</strong> Schwache geschützt:<br />
BGer 6S.168/2006<br />
> Schutz besonderer Opferkategorien: Ausländer u. Fremde<br />
(BGE 120 IV 186); Kranke (BGE 106 IV 358); Kinder, Betagte;<br />
erkennbar intellektuell Unterlegene (BGE 109 IV 210);<br />
emotional Abhängige. „Beziehungsbetrug“ (BGE 128 IV 255)<br />
DER IRRTUM (I)<br />
> Die Handlung des Täters muss beim Opfer ein auf dem<br />
Irrtum beruhendes Motiv hervorrufen<br />
> Definiton: Jede Diskrepanz zwischen Vorstellung <strong>und</strong><br />
Wirklichkeit, wobei unerheblich ist, ob sich der Getäuschte<br />
eine konkrete unkorrekte Vorstellung bildet oder ob ihm<br />
lediglich die richtige Vorstellung fehlt;<br />
— d.h. Verkennen <strong>und</strong> Nichterkennen der Sachlage sind<br />
gleichwertig)<br />
> Diskrepanz besteht auch bei Zweifeln (BGE 118 IV 38), nicht<br />
aber bei Gleichgültigkeit<br />
DER IRRTUM (II)<br />
> Tatbestandsmässig ist nur die Einwirkung auf die Vorstellung,<br />
nicht diejenige auf die Wirklichkeit, durch welche eine<br />
Vorstellung falsch wird (z.B. blinder Passagier (=Art. 150);<br />
— falsch deshalb BGE 96 IV 188 f.: Computermanipulation)<br />
> Falls eine motivierende Einwirkung vorliegt, ist es unerheblich,<br />
ob auch noch andere Beweggründe zur Vermögensverfügung<br />
geführt haben (z.B. Altersschwachsinn, Kritiklosigkeit<br />
oder leichte Beeinflussbarkeit)<br />
4
DIE VERMÖGENSVERFÜGUNG (I)<br />
Voraussetzungen:<br />
> Unmittelbar vermögensmindernde Wirkung<br />
– Gesetzliche Umschreibung zu weit (“Verhalten”)<br />
– Nur Vermögensdisposition stellt sicher, dass der Betreffende<br />
sich selbst oder seiner Verfügung unterliegendes Vermögen<br />
schädigt (Gegenbeispiel: überlisteter Arzt)<br />
– Unmittelbar vermögensmindernde Wirkung liegt nicht vor,<br />
wenn der Eingriff ins Vermögen erst durch eine weitere<br />
Handlung des Täters oder eines Dritten geschieht<br />
> Wahlfreiheit<br />
– Das Veranlassen einer Vermögensverfügung setzt eine<br />
gewisse Wahlfreiheit voraus (nicht gegeben im Falle des<br />
falschen Polizisten, der eine Beschlagnahme vortäuscht =<br />
Diebstahl: BGHSt 18, 233)<br />
DIE VERMÖGENSVERFÜGUNG (II)<br />
> Verfügungsmacht:<br />
— Der Verfügende <strong>und</strong> der Geschädigte brauchen nicht<br />
identisch zu sein (“Dreiecksbetrug”; BGE 126 IV 113)<br />
— Der Verfügende muss jedoch in Bezug auf das fremde<br />
Vermögen eine gewisse Verfügungsmacht besitzen:<br />
Ermächtigungstheorie<br />
— Umstritten ist, ob eine tatsächliche Verfügungsmacht<br />
genügt (Stratenwerth), oder ob eine rechtliche<br />
Verfügungsbefugnis zu fordern ist (Schubarth/Albrecht)<br />
— Vorzugswürdig: sog. “Lagertheorie”: Vest, AJP 2001,<br />
1464<br />
DIE VERMÖGENSVERFÜGUNG (III)<br />
Sind diese drei Voraussetzungen erfüllt, ist es gleichgültig,<br />
worin die Vermögensverfügung besteht; Möglichkeiten<br />
sind:<br />
> Verpflichtungsgeschäft, Verpflichtungserklärung<br />
> Erfüllung (Verfügungsgeschäft) bzw. Unterlassung der Geltendmachung<br />
einer Forderung<br />
> Tatsächlich vermögensvermindernde Handlung (z.B.<br />
Übergabe des Besitzes; Erbringen einer Arbeitsleistung)<br />
> dass Opfer die Vermögensverfügung überhaupt erkennt, ist<br />
nicht notwendig (BGE 100 IV 273: Abschluss einer<br />
Lebensversicherung)<br />
5
DIE VERMÖGENSVERFÜGUNG (IV)<br />
> Sonderfall des Prozessbetruges<br />
— Täuschung des Richters in der Absicht, ihn zum Nachteil des<br />
Prozessgegners zu einem unrichtigen Urteil zu veranlassen<br />
(Sonderfall des Dreieckbetrugs)<br />
— Entgegen seiner früheren Auffassung hat das BGer in BGE 122<br />
IV 197 die Strafbarkeit wegen <strong>Betrug</strong>es anerkannt (davor nur<br />
Strafbarkeit i.S.v. Art. 306, 307 StGB)<br />
DER MOTIVATIONSZUSAMMENHANG<br />
> Zwischen Täuschung, Irrtum <strong>und</strong> Vermögensdisposition<br />
muss ein Motivationszusammenhang bestehen<br />
(Kausalzusammenhang genügt nicht; vgl. BGE 119 IV 214)<br />
> Diese Anforderung fehlt etwa bei der Benutzung einer Kreditoder<br />
Checkkarte durch ihren insolventen Inhaber (BGE 112<br />
IV 81 f.)<br />
DAS GESCHÜTZTE VERMÖGEN (I)<br />
> <strong>Strafrecht</strong>licher Vermögensbegriff:<br />
— Juristischer Vermögensbegriff<br />
– “Rechtsraub”: Vermögen als Summe aller Vermögensrechte <strong>und</strong> -<br />
pflichten<br />
– Problem:<br />
– Besitz <strong>und</strong> gesicherte Anwartschaften sind nicht geschützt,<br />
wohl aber gänzlich wertlose Gegenstände <strong>und</strong> Forderungen<br />
– zirkuläre “Begründung”<br />
— Wirtschaftlicher Vermögensbegriff<br />
– Summe aller geldwerten Güter<br />
– Problem: Aspekt der juristischen Schutzwürdigkeit der betreffenden<br />
Vermögenswerte wird ausgeblendet (z.B. Killerlohn)<br />
– Wertungswiderspruch zum Zivilrecht<br />
6
DAS GESCHÜTZTE VERMÖGEN (II)<br />
> <strong>Strafrecht</strong>licher Vermögensbegriff (Forts.):<br />
— Juristisch-wirtschaftlicher Vermögensbegriff<br />
– Summe der rechtlich geschützten wirtschaftlichen Werte<br />
– Ausgangspunkt ist die Existenz eines wirtschaftlichen Werts;<br />
danach ist zu prüfen, ob dieser auch rechtlich geschützt ist<br />
— Personaler Vermögensbegriff<br />
– personal strukturierte Ressourcen, die Gegenstand eines<br />
Rechtsgeschäfts “Tausch gegen Geld” bilden können<br />
VERMÖGENSSCHADEN (I)<br />
> Vermögensbestand<br />
— entgangener Gewinn nur, wenn Anwartschaftsrecht oder<br />
Exspektanz mit aktuellem wirtschaftlichem Wert<br />
— alle subjektiven (dinglichen, obligatorischen <strong>und</strong> immateriellen)<br />
Vermögenswerte<br />
— Arbeitsleistung (als versachlichtes Substrat der Arbeitskraft)<br />
— Nutzungsmöglichkeiten (z.B. Besitz)<br />
— handelbare Berufs- <strong>und</strong> Geschäftsgeheimnisse<br />
nicht: reines Affektionsinteresse; wertlose Forderungen;<br />
höchstpersönliche Rechte<br />
VERMÖGENSSCHADEN (II):<br />
BERECHNUNG<br />
> Differenzmethode<br />
> „Gesamtsaldierung“ (Vergleich des Gesamtvermögens vor<br />
<strong>und</strong> nach der Vermögensverfügung)<br />
> Praxis:<br />
1. Feststellung, ob Verminderung der Aktiven bzw. Vermehrung der<br />
Passiven; wenn ja<br />
2. Feststellung, ob voller Ausgleich durch unmittelbaren<br />
Wertzuwachs; wenn nein<br />
3. Existenz vollwertiger Kompensationsansprüche<br />
7
BEISPIEL 1: BGE 96 IV 145 -<br />
OCCASIONSWAGEN<br />
Der betrügerische Kaufvertrag über einen angeblich unfall<br />
freien Personenwagen zu einem übersetzten Kaufpreis war<br />
nichtig, weil die gesetzlich vorgeschriebenen<br />
Formvorschriften für den Abzahlungsvertrag (OR 226a Abs.<br />
2) irrtümlich nicht eingehalten worden waren. Der Käufer<br />
hatte im übrigen den Kaufpreis noch nicht beglichen. Das<br />
Bger verurteilte wegen versuchten <strong>Betrug</strong>es.<br />
DER VERMÖGENSSCHADEN (III)<br />
> Subjektive Konzeption (B<strong>und</strong>esgericht)<br />
Vermögensschaden liegt vor, wenn die Leistung <strong>und</strong> die Gegenleistung in<br />
einem ungünstigeren Verhältnis stehen als vorgespiegelt; d.h. wenn die<br />
Leistung<br />
- den subjektiven Erwartungen des Opponenten; (BSK-Arzt, Art. 146<br />
N 106);<br />
oder<br />
- den vertraglichen Zusicherungen;<br />
oder<br />
- den individuellen Bedürfnissen widerspricht<br />
> Objektive Konzeption<br />
Vermögensschaden liegt vor, wenn kein objektives Gleichgewicht zwischen<br />
Leistung <strong>und</strong> Gegenleistung besteht<br />
BEISPIEL 2: BGE 99 IV 80 -<br />
HIRSCHPFEFFER!<br />
Ein Wirt serviert unter der Bezeichnung "Rehfleisch"<br />
ausgebeintes Hirschfleisch, weil seinen Gästen das nicht<br />
ausgebeinte Rehfleisch nicht schmeckte. Das ausgebeinte<br />
Hirschfleisch kostete gleichviel wie Rehfleisch mit Knochen<br />
<strong>und</strong> wurde zum Marktpreis abgegeben, ausgebeintes<br />
Rehfleisch wäre dagegen erheblich teurer gewesen.<br />
8
VERMÖGENSSCHADEN (IV):<br />
OBJ.-INDIVIDUELLE KONZEPTION (h.L.)<br />
> Vermögensschaden, wenn die Gegenleistung objektiv zwar<br />
gleichwertig ist,<br />
— aber für die zumutbaren individuellen Zwecke des Betroffenen<br />
unbrauchbar ist<br />
oder<br />
— zu weiteren vermögensschädigenden Massnahmen zwingt<br />
oder<br />
— die Aufrechterhaltung einer angemessenen Lebensführung<br />
verunmöglicht<br />
BEISPIEL 3: BGE 71 IV 138 –<br />
VERSCHNITTENER ROTWEIN<br />
Ein Weinhändler verkaufte ca. 40'000 Liter mit gewöhnlichem<br />
Burg<strong>und</strong>er bzw. billigem portugiesischen Wein verschnittenen<br />
Rotwein teilweise unter der Bezeichnung eines für den Vertrieb<br />
erstklassiger französischer Weine bekannten Händlers, teilweise<br />
mit der Phantasiebezeichnung "grand crus du Mâconnais" unter<br />
eigenem Namen zu einem übersetzten Preis.<br />
Selbst wenn der Wein zu einem marktgängigen Preis für einen<br />
solchen Verschnitt verkauft worden wäre, hätte der Käufer immer<br />
dann einen Schaden erlitten, wenn er eine relevante Mindestmenge<br />
Qualitätsburg<strong>und</strong>er hätte erwerben wollen, etwa zwecks<br />
Weiterverkauf oder Lagerung<br />
BEISPIEL 4: BGE 100 IV 273 -<br />
LEBENSVERSICHERUNG<br />
Ein Versicherungsvertreter schloss mit einer Anzahl junger Leute<br />
Lebensversicherungen ab, indem er ihnen vorspiegelte, ihre<br />
Unterschrift diene nur der unverbindlichen Anforderung weiterer<br />
Unterlagen. Das BGer rekurriert in seinem Urteil explizit auf den<br />
objektiv-individuellen Schadensbegriff, versteht diesen aber<br />
subjektiv, wenn es ausführt, "dass der Geschädigte eine<br />
Gegenleistung von geringerem Wert erhält, als ihm versprochen<br />
wurde". Objektiv entsprach die Versicherungsleistung dem Wert der<br />
dafür geforderten Prämienzahlungen. Zum Kern der Sache stösst<br />
der Kassationshof dagegen vor, wenn er feststellt, die finanzielle<br />
Verpflichtung, 30 Jahre Prämien zu bezahlen, komme angesichts<br />
der damit verb<strong>und</strong>enen Beschränkung der vermögensrechtlichen<br />
Verfügungsfreiheit einem Schaden gleich.<br />
9
VERMÖGENSSCHADEN (V): ZEITPUNKT<br />
> Wertvergleich des Vermögens durch „Gesamtsaldierung“<br />
vor <strong>und</strong><br />
nach<br />
der eingegangenen Verpflichtung (Eingehungsbetrug) bzw.<br />
erfolgten Verfügung (Erfüllungsbetrug)<br />
> Spätere Veränderung des Vermögens sind irrelevant (BGE<br />
120 IV 122, 135)<br />
DER VERMÖGENSSCHADEN (VI):<br />
EINGEHUNGS- & ERFÜLLUNGSBETRUG<br />
> Eingehungsbetrug:<br />
Begründung von Ansprüchen oder Verbindlichkeiten:<br />
Schadensermittlung durch Vergleich der einander<br />
gegenübertretenden Ansprüche<br />
> Erfüllungsbetrug:<br />
Zu- oder Abgang von stofflichen Vermögensbestandteilen:<br />
Schadensermittlung durch Vergleich zwischen der<br />
eingegangenen schuldrechtlichen Verpflichtung <strong>und</strong> der<br />
erbrachten/empfangenen Leistung<br />
BEISPIEL 5: BGE 74 IV 146 – FAULES<br />
DARLEHEN (vgl. 102 IV 84)<br />
Die getäuschte Person geht einen ungesicherten<br />
Darlehensvertrag in Höhe von Fr. 30‘000.- zugunsten einer<br />
konkursreifen Firma ein. Der Schaden ist bereits im Zeitpunkt<br />
des Vertragsabschlusses eingetreten, da der<br />
Darlehensnehmer die Auszahlung jederzeit erwirken kann<br />
(Klage, Betreibung). „Die Einrede wegen Täuschung, die ihm<br />
zustand, konnte ihm erst vom Augenblick an nützen, wo er<br />
vom <strong>Betrug</strong>e Kenntnis hatte“ (153).<br />
10
VERMÖGENSSCHADEN (VII)<br />
> „echter“ Erfüllungsbetrug:<br />
Verplichtungsgeschäft ist ausgeglichen; Täter entschliesst<br />
sich nachträglich zur vertragswidrigen Leistung<br />
> „unechter“ Erfüllungsbetrug:<br />
Täter ist von Anbeginn an hinsichtlich vertraglich zugesicherter<br />
Eigenschaften nicht erfüllungswillig bzw. -fähig<br />
VERMÖGENSSCHADEN (VIII):<br />
VERMÖGENSGEFÄHRDUNG<br />
> Vermögensgefährdung genügt nicht<br />
> Vorübergehender Schaden reicht aus<br />
> Schadensgleiche Vermögensgefährdung: Gefährdungsschaden<br />
— bei erheblicher Gefährdung gilt das Vermögen – aus<br />
wirtschaftlicher Sicht – als bereits vermindert; da<br />
— buchhalterische Wertberichtigung bzw. Rückstellung<br />
erforderlich<br />
INTENSITÄT DES SCHADENS (IX)<br />
> Beispiele:<br />
— Kreditbetrug = Erwerb einer dubiosen Forderung;<br />
— Kauf einer gestohlenen Sache (vgl. Art. 934 ZGB);<br />
— gr<strong>und</strong>sätzlich nicht: Erwerb einer veruntreuten Sache (Art.<br />
933 ZGB: strittig);<br />
— gr<strong>und</strong>sätzlich nicht: Verkauf ertrogener Sachen (strittig: a. A.<br />
BGE 121 IV 26)<br />
11
VERMÖGENSSCHADEN (X): EINSEITIGE<br />
VERMÖGENSHINGABE<br />
> Subj. Schadenskonzeption (BGer) funktioniert auch bei Spenden-<br />
(BGE 72 IV 126; 106 IV 26), Bettelbetrug (BGE 80 IV 193) etc .<br />
> Obj. Schadenskonzeption scheidet aus, da Zweckverfolgung nicht<br />
quantifizierbar<br />
> Ausweichen auf Lehre von der sozialen Zweckverfehlung:<br />
Zweckverfehlungskonzeption<br />
> Zweckverfehlungslehre ist keine allg. Schadenskonzeption<br />
> Spezialfälle:<br />
— Subventionsbetrug: Art. 14 VStrR (Leistungs-/Abgabebetrug)<br />
— Steuerbetrug: Art. 59 StHG; Art. 186 DBG (Urk<strong>und</strong>enmodell!)<br />
SUBJEKTIVER TATBESTAND<br />
> Vorsatz (dolus eventualis genügt)<br />
> Bereicherungsabsicht<br />
— Erstrebung eines Vorteiles für sich oder einen anderen (nicht<br />
bei eigenmächtiger Darlehensaufnahme mit Bereitschaft <strong>und</strong><br />
Fähigkeit rechtzeitiger Rückzahlung)<br />
— Stoffgleichheit, d.h. der erstrebte Vermögensvorteil muss<br />
den verschobenen Vermögensbestandteilen entsprechen<br />
(BGE 134 IV 210; Bspr.: Häring, AJP 2008, 1596)<br />
— direkte Absicht (strittig)<br />
> Unrechtmässigkeit<br />
— <strong>Betrug</strong> entfällt, wenn der Täter einen Anspruch auf die<br />
Bereicherung hat<br />
BETRUG – KONKURRENZEN<br />
> nach h.L. stets echte Konkurrenz mit Urk<strong>und</strong>enfälschung<br />
(probl.; vgl. bei Art. 251)<br />
> Sicherungsbetrug nach Aneignungsdelikt mitbestrafte Nachtat,<br />
da/soweit er sich g. das Vermögen des Erstgeschädigten<br />
richtet<br />
> Verwertungsbetrug: echte Konkurrenz, sofern er sich g. das<br />
Vermögen einer Drittperson richtet, so z.B. bei Verkauf einer<br />
gestohlenen Sache; sonst mitbestrafte Nachtat (z.B. Abhebung<br />
von gestohlenem Sparheft)<br />
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