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FUTURES

Publikation zum 2. Jubiläum von PLATFORM3 München, als Ergänzung zum Künstlerkatalog PLATFORM3 works. Die Natur dieser Publikation ist ausdrücklich dokumentarisch. Fotografien: Jörg Koopmann. Herausgeber: Birgit Pelzmann, Nikolai Vogel, Marlene Rigler für PLATFORM3-Räume für zeitgenössische Kunst. München, 2011

Publikation zum 2. Jubiläum von PLATFORM3 München, als Ergänzung zum Künstlerkatalog PLATFORM3 works. Die Natur dieser Publikation ist ausdrücklich dokumentarisch. Fotografien: Jörg Koopmann.
Herausgeber: Birgit Pelzmann, Nikolai Vogel, Marlene Rigler für PLATFORM3-Räume für zeitgenössische Kunst. München, 2011

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En plein air<br />

Hanno Millesi<br />

Auf meinem Nachtkästchen lag unlängst ein Brief von René Magritte.<br />

Das ist nichts Ungewöhnliches, fungiert mein Nachtkästchen doch,<br />

wie ich herausgefunden habe, als eine Art toter Briefkasten und stellt<br />

auf diese Weise eine Verbindung mit dem Jenseits her. Personen, die<br />

sich dort aufhalten, dient er gelegentlich zur Kommunikation mit dem<br />

Diesseits. Ich bin sicher, es gibt eine ganze Reihe solcher Schnittstellen<br />

und fühle mich deswegen keineswegs begabt oder gar auserwählt.<br />

Einem toten Briefkasten haftet nichts Beunruhigendes an,<br />

bestenfalls etwas Konspiratives, etwas Geheimnisvolles.<br />

Ich habe lange mit mir gerungen, ob ich den Inhalt dieses<br />

Briefes publik machen soll. Wenn ich mich schlussendlich dafür<br />

entschieden habe, dann weil ich das Geheimnis als Gegner der<br />

Kommunikation betrachte.<br />

Wer sich darüber wundert, dass der Meister des Surrealismus<br />

ausgerechnet mir geschrieben hat, erinnere sich an einen Satz,<br />

den er des Öfteren zum Besten gegeben haben soll: Kein Gegenstand<br />

ist so eng mit seinem Namen verbunden, dass man ihm nicht<br />

einen anderen geben könnte, der besser zu ihm passt. Im Grunde<br />

heißt das nichts anderes als: Keine Person ist so sehr auf einen<br />

bestimmten Zeitpunkt festgelegt, dass sie nicht auch an einem<br />

anderen auftauchen oder zumindest von sich hören lassen könnte.<br />

Und sofern die Malerei eine sichtbare Beschreibung eines Gedankens<br />

ist, kann – diesem Gedanken folgend – das Schreiben als<br />

unsichtbare Beschreibung desselben betrachtet werden. Der sichtbare<br />

Gedanke verwandelt sich und wird selbst zum Text der Welt,<br />

in dem er sich augenblicklich wieder verliert; denn das Mysterium<br />

der Welt ist unbeschreiblich.<br />

Im Zentrum von Magrittes Brief steht die Bitte, sich nach<br />

einem Ort umzusehen, an dem er ungestört arbeiten könne. Die<br />

Bedeutung, die ein idealer Arbeitsplatz im Schaffen eines Künstlers<br />

einnimmt, so der Maestro, könne gar nicht hoch genug eingeschätzt<br />

werden. Egal, ob er noch unter uns weilt oder nicht. Warum ich<br />

das ausgerechnet in der Publikation einer in München ansässigen<br />

Institution, die Künstlern, Kuratoren und -innen Betätigungsfelder<br />

zur Verfügung stellt, zum Besten gebe? Weil ich es als Empfänger<br />

von Magrittes Brief als meine Aufgabe betrachte, die Dringlichkeit<br />

in Erinnerung zu rufen, dass irgendwer sich darum kümmert.<br />

Magritte unterhält, wie er mir anvertraut, und ich nicht länger<br />

verschweige, eine sehr persönliche Beziehung zu den Orten, an<br />

denen seine Bilder entstanden sind und, wer weiß, vielleicht nach wie<br />

vor entstehen. Dieser Umstand geht auf eine bittere Erfahrung<br />

zurück, die zu machen ihm auf seinem Weg, ein reifer Künstler zu<br />

werden, nicht erspart geblieben ist.<br />

René verbrachte den größten Teil seiner Kindheit in einer<br />

riesigen Wohnsiedlung in der Nähe eines Industriegeländes direkt an<br />

der U3. Den Namen der Station konnte ich nicht entziffern. Sie<br />

scheint jedoch weitab vom Stadtzentrum zu liegen. Die Siedlung<br />

umfasste hunderttausende Wohnungen in unübersichtlichen Anlagen,<br />

Wohntürme, ein Einkaufszentrum und einen Pensionisten-klub<br />

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