FUTURES
Publikation zum 2. Jubiläum von PLATFORM3 München, als Ergänzung zum Künstlerkatalog PLATFORM3 works. Die Natur dieser Publikation ist ausdrücklich dokumentarisch. Fotografien: Jörg Koopmann. Herausgeber: Birgit Pelzmann, Nikolai Vogel, Marlene Rigler für PLATFORM3-Räume für zeitgenössische Kunst. München, 2011
Publikation zum 2. Jubiläum von PLATFORM3 München, als Ergänzung zum Künstlerkatalog PLATFORM3 works. Die Natur dieser Publikation ist ausdrücklich dokumentarisch. Fotografien: Jörg Koopmann.
Herausgeber: Birgit Pelzmann, Nikolai Vogel, Marlene Rigler für PLATFORM3-Räume für zeitgenössische Kunst. München, 2011
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
(Haus der Silberrücken). Für die Kinder der Siedlung hatten die<br />
Architekten in ihren weißen Mänteln und ihren verkleinerten<br />
Maßstäben nur ein paar schmale Rasenstreifen zwischen den<br />
verschiedenen Parkflächen und Müllplätzen vorgesehen.<br />
Zunächst erklärte René eine Hälfte jenes Zimmers, das er<br />
sich mit seinem Bruder Raymond teilte, zu seinem ersten halben<br />
Atelier. Hier träumte und zeichnete er und verwarf gelegentlich eine<br />
verunglückte Idee oder schob sie in Raymonds Zimmerhälfte. Am<br />
liebsten malte er mit seinen Deckfarben, die, vielfarbigen Augen<br />
vergleichbar, in einem metallenen Kasten zum Auf- und Zuklappen<br />
geduldig auf seine originellsten Einfälle warteten. Der nächste<br />
Schritt seines Plans, sich die Welt der Kunst zu erobern, sah vor, sein<br />
Operationsgebiet auf die gesamte Wohnung der Familie Magritte<br />
auszudehnen. Vorerst hatte niemand etwas dagegen einzuwenden.<br />
Monsieur&Madame Magritte wussten noch nichts von der destruktiven<br />
Kraft, die revolutionärer Kunst mitunter innewohnt.<br />
Eines Nachmittags war es dann aber soweit. René saß in<br />
seinem blauen Maleroverall mit den silbernen Knöpfen auf dem<br />
Biedermeiersofa seiner Eltern und malte einen jungen Künstler, von<br />
dem eines Tages die ganze Welt sprechen würde, der jedoch zur<br />
Zeit noch auf dem Biedermeiersofa seiner Eltern sitzt und ein Bild<br />
malt, das die gegenwärtige Situation wie eine zukünftige Erinnerung<br />
aussehen lässt. Als er das Bild fertig gestellt hatte, endete, davon<br />
ahnte René einstweilen noch nichts, eine erste Epoche seines jungen<br />
Künstlerlebens. Experten tendieren dazu, sie als die biedermeierliche<br />
Periode zu bezeichnen, was bereits zu einer Menge Missverständnisse<br />
geführt hat. Als René nämlich vom Sofa aufstand, um die Farbwerte<br />
am Fenster zu überprüfen, hatte er auf dem Biedermeierstoff blaue<br />
und silbrige Flecken hinterlassen. Im ersten Moment war der junge<br />
Maler davon überzeugt, in seinen Organen befänden sich Farben,<br />
nahm er doch an, er habe, vom kreativen Akt überwältigt, in die<br />
Hose gemacht. Erst mit der Zeit wurde ihm bewusst, was tatsächlich<br />
geschehen war. Als Madame&Monsieur Magritte sahen, welch katastrophale<br />
Auswirkungen ungezügelte Fantasie auf die Möblierung<br />
einer Kleinfamilienwohnung haben konnte, verboten sie René jegliche<br />
künstlerische Tätigkeit. In der Hitze des Gefechts hatte er versucht,<br />
Remy, den Familienhund der Magrittes, für das Malheur verantwortlich<br />
zu machen, aber er war ein schlechter Lügner. Wieso sollten eher<br />
die Ausscheidungen eines Familienhundes blau oder silbern sein, als<br />
die eines Malers; ob nun zukünftig Virtuose oder nicht?<br />
Als René sich gegen das Malverbot auflehnte, verwiesen<br />
Madame&Monsieur Magritte ihn der Wohnung. Nicht René, ihren<br />
Sohn, sondern René, den Künstler, jenen, aus dem später Magritte<br />
werden sollte.<br />
Um diese Beschränkung zu seinem Vorteil zu nutzen,<br />
entschied René, dass er von jenem Tage an nach der Natur malen<br />
werde, wie man das damals nannte. Im Grunde hatte er ohnedies<br />
immer von der Natur geträumt und aus dem Fenster auf die<br />
Menschen und ihre Gegenstände hinunter geschaut. Selbst wenn<br />
er in sich hineinschaute, registrierte er, was außerhalb vor sich ging,<br />
als zeichneten sich in seinem Inneren Alternativvorschläge für die<br />
Welt da draußen ab. Als Atelier sollte ihm einer der Rasenstreifen<br />
im Kern der Anlage dienen.<br />
35