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Leseprobe: flIn dieser Nacht kam Yasmin zu mir - Lesebar

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Jugend jenseits von Gut und Böse?<br />

Zufällige Begegnungen sind oft die entscheidenden. So zeigt es <strong>zu</strong>mindest der<br />

Roman „Zebraland“ der jungen Autorin Marlene Röder, in dem das Ende der Kindheit<br />

durch einen solchen Zufall eingeläutet wird: Ziggy hätte mit seinem Faible für<br />

Reggae und seinen Rastas vermutlich nie Kontakt mit Jenny, Phil und Anouk<br />

aufgenommen, wäre auf dem Musikfestival nicht alles schief gelaufen. So nimmt er<br />

ihr Angebot an, gemeinsam mit ihnen nach Hause <strong>zu</strong> fahren. Anouk sitzt am Steuer,<br />

und die anderen dösen vor sich hin, als es plötzlich knallt. Sie haben Zebra – eine<br />

türkische Mitschülerin, die auf ihrem Moped unterwegs war – angefahren. Zebra liegt<br />

scheinbar leblos im Straßengraben. Was nun? Sollen sie die Polizei verständigen<br />

oder flüchten? Sie entscheiden sich für Letzteres, womit die Geschichte eigentlich<br />

erst beginnt.<br />

Der Unfallhergang wird im Roman nicht rekonstruiert. Es ist sogar denkbar, dass der<br />

Unfall von Zebra selbst herbeigeführt wurde, damit ihr Bruder, der ihre Beziehung <strong>zu</strong><br />

einem deutschen Jungen nicht toleriert, sie auf dem Gewissen hat. Für den Leser ist<br />

allerdings klar: Die Fahrerflucht, die durch unterlassenen Hilfeleistung erst <strong>zu</strong> Zebras<br />

Tod geführt hat, grenzt an Mord. Die Akteure des Romans müssen ihre Schuld und<br />

ihren Umgang damit erst noch verhandeln. Jenny plädiert für Aufrichtigkeit, ihr<br />

Gegenspieler Phil – in Rechtsfragen vermeintlich bewandert – kalkuliert utilitaristisch<br />

die Vor- und <strong>Nacht</strong>eile einer Selbstanzeige und kommt <strong>zu</strong> dem Schluss: Zebra wird<br />

dadurch auch nicht mehr lebendig.<br />

Lebendig ist Zebra von da ab aber in Ziggys Träumen. Und noch etwas verhindert<br />

das Verdrängen und Vergessen: Ein vermeintlicher Mitwisser, der sich Moses nennt,<br />

fordert in geheimnisvollen Briefen von jedem der (Mit-)Täter Sühne in Form eines<br />

großen persönlichen Opfers. Der Verkehrsunfall bildet so nur noch den Anlass, vor<br />

dem sich das moralische Profil der vier Figuren in ihren Beziehungen <strong>zu</strong>einander und<br />

<strong>zu</strong>r Welt herausbildet bzw. transparent wird. Hier wird aus einem Jugendbuch über<br />

ein tragisches Ereignis und die Frage nach dem Umgang mit Schuld ein Psychokrimi<br />

mit denkbar überraschender Auflösung.<br />

Marlene Röder ist mit diesem Roman ein erzähltechnisches Glanzstück gelungen.<br />

Die flüssig und spannend erzählte Geschichte wird dem Leser aus den Perspektiven<br />

zweier Ich-Erzähler dargeboten: In Rückblenden beichtet Ziggy das Geschehene<br />

seinem Cousin; Jenny schildert und kommentiert die aktuellen Ereignisse in einer Art<br />

innerem Zwiegespräch. Der Wechsel zwischen Präteritum und Präsens verstärkt den<br />

Spannungsaufbau, der außerdem durch zahlreiche <strong>zu</strong>kunftsungewisse<br />

Vorausdeutungen und das zyklische Eintreffen der Erpresserbriefe intensiviert wird.<br />

Die eingeblendeten surrealen Traumsequenzen Ziggys bieten dem Leser Hinweise<br />

<strong>zu</strong>r Entschlüsselung der Symbolik dieses vielschichtigen Romans, der zahlreiche<br />

Anspielungen auf die biblische Apokalypse beinhaltet. Die tote Zebra wird hierin<br />

ebenso lebendig, wie durch die sukzessive Einblendung ihrer Tagebucheinträge. Sie<br />

deuten an, dass Zebra nicht nur Opfer eines Verkehrsunfalls, Opfer eigennützig und<br />

unchristlich handelnder Jugendlicher ist, sondern auch Opfer des aggressiven<br />

Traditionalismus ihrer türkischen Familie.<br />

Dennoch ist „Zebraland“ weniger ein Opfer- als ein Täterroman, denn hier wird das<br />

Opfer auf ein die Handlung auslösendes Motiv reduziert. So rücken die Täter in den


Blick, für die der Roman nur eine Diagnose, keine Therapie bereithält: Ein Fünkchen<br />

Moral findet sich noch in jedem der vier Jugendlichen, aber fehlende Entschlusskraft<br />

und Eigeninteressen verhindern Aufrichtigkeit, humanistische Menschlichkeit.<br />

Vielleicht macht auch dies die Qualität dieses Romans aus – dass man als Leserin<br />

ein öffentliches Eingeständnis der Schuld vermisst.<br />

Daniela Anna Frickel<br />

Röder, Marlene:<br />

Zebraland<br />

Ravensburger 2009.<br />

224 Seiten.<br />

€ 14,95.<br />

Jugendbuch ab 12 Jahren.<br />

<strong>Leseprobe</strong>:<br />

In <strong>dieser</strong> <strong>Nacht</strong> <strong>kam</strong> <strong>Yasmin</strong> <strong>zu</strong> <strong>mir</strong>. Sie saß auf dem Rücken des Zebras wie eine<br />

feine Dame. Ihre Beine baumelten an einer Seite herunter.<br />

Sie ritt ganz dicht an mich heran. Statt ihres MP3-Players hatte <strong>Yasmin</strong> die Stöpsel<br />

eines Stetoskops in den Ohren. Wie eine Ärztin hörte sie mein Herz ab. Dabei wippte<br />

sie im Takt mit den Füßen.<br />

Es war, als lauschte sie auf eine Musik in meinem Inneren, die ich nicht hören<br />

konnte.<br />

Schließlich richtete <strong>Yasmin</strong> sich auf und sah mich abwartend an.<br />

Ich wollte ihr sagen, wie leid es <strong>mir</strong> tat, dass sie tot war, doch ich konnte nicht<br />

sprechen. Ich konnte nicht schreien, nicht singen. Mein Mund war <strong>zu</strong>gewachsen.<br />

Da lächelte <strong>Yasmin</strong> ihr kleines, schelmisches Lächeln. An ihren Schneidezähnen war<br />

Blut. Das Zebra trug sie davon, hinaus aus meinem Traum. (S. 133)

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