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Zusammenhang eigener biographischer Erfahrungen und<br />
dem konkreten Alltag im Stadtteil geht. Viele der ErzählerInnen<br />
sind Migranten, die es oft zum ersten mal wagen,<br />
sich öffentlich zu zeigen und dann auch noch ihre eigene<br />
Sprache zum Klingen zu bringen.<br />
Gewicht erhält das Festival durch seine öffentliche Präsenz<br />
in der Stadt. Mit einer aufwändigen professionellen<br />
Öffentlichkeitskampagne – bei der mit Unterstützung der<br />
Wirtschaftsförderung Bremen sogar die Citylights in der<br />
ganzen Stadt geschaltet werden – wird die Stadt in<br />
überraschender Weise auf den ansonsten stigmatisierten<br />
Stadtteil aufmerksam.<br />
8000 Menschen strömten 2009 zu den FEUERSPUREN nach<br />
Gröpelingen, darunter viele, die erstmals in dieses Quartier<br />
kamen. Das in einer Auflage von 20.000 Exemplaren<br />
erscheinende Programmheft ist dabei mehr als nur ein<br />
Kompass durch das umfangreiche Programm: Die von der<br />
Agentur Gruppe für Gestaltung gemeinsam mit dem<br />
Veranstalter jedes Jahr neu entwickelte Fotostrecke ist ein<br />
eindrucksvoll sensibles Portrait dieses widersprüchlichen<br />
Stadtteils, das die herbe Wirklichkeit nicht versteckt, aber<br />
auch nicht stigmatisierende Stereotypen von „Armutsquartieren“<br />
bedient. So werden die FEUERSPUREN zu einer<br />
Herausforderung, sich auf eine ungewöhnliche Begegnung<br />
mit dem Stadtteil einzulassen und den sozialen Reichtum<br />
des verarmten Quartiers zu entdecken.<br />
Besonderen Wert legt <strong>Kultur</strong> <strong>Vor</strong> <strong>Ort</strong> e.V. auf die Einbeziehung<br />
von Kindern und Jugendlichen und bietet deshalb den<br />
Schulen und KTHs im <strong>Vor</strong>feld Theater- und Kunstworkshops<br />
an. Herausragend im letzten Jahr waren die Ergebnisse der<br />
Arbeit von Kindern von 5 bis 8 Jahren, die mit Objekten und<br />
Cut Outs den Straßenraum der FEUERSPUREN poetisch<br />
kommentierten. Angeleitet wurden die Workshops von<br />
Studierenden der Fachhochschule Ottersberg, die auf<br />
hohem künstlerischem Niveau mit den Kindern agierten.<br />
Die künstlerische Qualität aller Projekte rund um die<br />
FEUERSPUREN gehört zum Erfolgsgeheimnis des Festivals.<br />
Dies wurde im letzten Jahr besonders deutlich bei einer<br />
Performance einer vierten Klasse, für die <strong>Kultur</strong> <strong>Vor</strong> <strong>Ort</strong> die<br />
freie Regisseurin Katrin Brettschneider gewann. Die Kinder<br />
trugen verschiedene Geschichten aus der Nachbarschaft<br />
zusammen und hatten neben vielen schönen Erlebnissen<br />
auch zahlreiche groteske und haarsträubende Erfahrungen<br />
zu berichten. Brettschneider verdichtete gemeinsam mit<br />
den Kindern die Geschichten zu einem stark rhythmisierten<br />
chorischen Sprechstück, das mehr als jede großangelegte<br />
Kinderstudie vom Alltag der Kinder in diesem Stadtteil<br />
erzählt.<br />
Unwissend <br />
Wieso rennt er jetzt wieder davon? Ihm muss doch klar sein, dass ihn<br />
mittlerweile die ganze Straße kennt. Mit seinen roten Lackschuhen und<br />
dem wasserstoffblonden Haar ist er immer auffällig, fast so sehr wie das<br />
Bordell gegenüber, aus dem er wie jeden Tag versucht unbemerkt zu verschwinden.<br />
Wir sehen ihn!<br />
Genau wie sie. Jeder in der Straße weiß, dass sie morgens nur zum Gemüsehändler<br />
geht um Ferhat zu sehen und nicht, weil sie die Tomaten so<br />
toll findet, die er ihr mal empfohlen hat. Die mag sie eigentlich gar nicht.<br />
Die verschenkt sie nämlich immer an die Bäckerin ein Haus neben uns.<br />
Und mit jedem Kunden, der bei ihr das beliebte Fladenbrot kauft, zerreißt<br />
sich unsere kleine Bäckersfrau das Maul, über das andere junge<br />
Mädchen, das jeden Morgen um sieben Uhr an der Haltestelle steht und<br />
hofft, von Felix aus der grünen WG angesprochen zu werden.<br />
Noch nie hat er sie beachtet, logisch, denn er steht auf Natascha, die<br />
Tochter des Tätowierers von nebenan. Doch Natascha ist heimlich mit<br />
Ferhat zusammen, was jeder weiß, bis auf ihren Vater.<br />
Und wenn ich dann abends im Bett liege und den vertrauten Streit des,<br />
wohl bald geschiedenen Ehepaares von nebenan höre, aus dem Fenster<br />
blicke und sehe, wie die Leuchtreklame des <strong>Ort</strong>hopäden angeht. Dann<br />
achte ich meistens auf das Licht und stelle mir immer dieselbe Frage:<br />
Was weiß diese Straße bloß alles über mich?<br />
Zoe, 16 Jahre, schrieb diesen Text während eines Slam-Workshops von <strong>Kultur</strong> <strong>Vor</strong> <strong>Ort</strong> mit<br />
Xochíl Schütz.<br />
Die Schule ging den künstlerisch und thematisch mutigen<br />
Weg mit, und die Kinder konnten eine überaus eindrucksvolle<br />
Arbeit präsentieren: In der überfüllten Bibliothek<br />
hätte man eine Nadel fallen hören können, so aufmerksam<br />
war das Publikum, als die Kinder von den Nachbarschaften<br />
in „28237 Gröpelingen“ erzählten.<br />
So wie auf dieser Bühne werden auf allen Bühnen der<br />
FEUERSPUREN die Bewohner des Stadtteils als authentische<br />
Erzähler ihrer eigenen Geschichte respektiert. Diese<br />
Auseinandersetzung mit der herben gesellschaftlichen<br />
Wirklichkeit ist riskant, aber sie führt in die Freiheit.<br />
Lutz Liffers<br />
FEUERSPUREN. Das internationale Erzählfestival.<br />
Veranstalter: <strong>Kultur</strong> <strong>Vor</strong> <strong>Ort</strong> e.V. und Bürgerhaus Oslebshausen<br />
Gefördert mit Mitteln des europäischen Sozialfonds EFRE und<br />
lokalen Sponsoren.<br />
Künstlerische Leitung: Julia Klein, Lutz Liffers, Christiane Gartner<br />
„Wir brauchen Konstanz“<br />
<strong>Ort</strong>samtsleiter Peter Mester über Bildungsexzellenz in Gröpelingen<br />
In der Bremer Bildungslandschaft ist vieles in Bewegung übrigen zu Unrecht, denn dort ist unter schwierigen<br />
gekommen, für Gröpelingen ist ein Quartiersbildungszentrum<br />
angedacht. Wie müsste ein solches QBZ für Gröpe- geleistet worden.<br />
Rahmenbedingungen gute, bundesweit anerkannte Arbeit<br />
lingen aussehen? Was muss es leisten?<br />
Das neue Beirätegesetz stärkt die Stellung der Beiräte.<br />
Zuerst einmal muss ein QBZ – wie immer es schlussendlich Wie könnte der Beirat Gröpelingen dies für eine bessere<br />
aussehen mag – eine verlässliche Konstanz haben. Bremens Bildungsstruktur im Westen nutzen?<br />
Bildungspolitik war lange genug von kurzlebigen Modellen Diese Frage spricht das Verhältnis zwischen Fachverwaltung<br />
und <strong>Ort</strong>spolitik an. Ein spannungsreiches Handlungs-<br />
geprägt, die den wechselnden politischen Kräfteverhältnissen<br />
entsprungen waren und nie die Chance hatten, feld, geprägt von berufsständischen Eitelkeiten auf der<br />
dauerhafte Wirkung zu erzielen.<br />
einen und politischen Minderwertigkeitsgefühlen auf der<br />
Mein zweiter Wunsch wäre es, mehrere Standorte für QBCs anderen Seite. Selten genug agieren die Beteiligten dabei<br />
zu haben – wir brauchen kurze Wege und niedrigschwellige auf Augenhöhe – zum Beiratsalltag hat es bisher häufig<br />
Angebote. Und drittens wäre es gut, eine möglichst große gehört, nicht angemessen eingebunden zu sein, geschweige<br />
Bandbreite an Dienstleistungen anzubieten: Über Schulaufgabenhilfe,<br />
Beratungs- und Betreuungsangebote bis hin Zum konkreten Thema „Bildungslandschaft“ erlebe ich<br />
denn, dass man Einfluss auf Entscheidungen gehabt hätte.<br />
zu einer kinderärztlichen Mitwirkung sollte alles dabei sein, allerdings, dass das Bildungsressort bemüht ist, die <strong>Ort</strong>swas<br />
zur Begleitung eines SchülerInnen-Lebens gehört. Im politik „mitzunehmen“, die Planungs- und Entscheidungsprozesse<br />
möglichst transparent zu gestalten und sich für<br />
übrigen muss man das Rad nicht völlig neu erfinden –<br />
wir haben ein bewährtes Netz von Gemeinwesenträgern, Beratung und Begleitung durch den Beirat ungewohnt weit<br />
die sich auf diesem Aufgabenfeld einbringen können. zu öffnen. Das ist eine neue Qualität und entspricht dem<br />
Stadtteile wie Gröpelingen brauchen exzellente Schulen Willen des Gesetzgebers, der das Fachwissen der Verwaltung<br />
angereichert wissen möchte um die Kenntnisse<br />
mit hoher Ausstrahlungskraft, um eine weitere soziale<br />
Entmischung des Stadtteils zu verhindern. Wie sähe eine dessen, was vor <strong>Ort</strong> gedacht und gefühlt wird. Erfahrungsgemäß<br />
wird der Beirat eng am Ball bleiben müssen, um<br />
„Exzellenzinitiative“ für Gröpelingen aus?<br />
Dazu gehört zuerst einmal ein starkes, unverwechselbares diese neue Position zu behaupten.<br />
Schulprofil. Das kann im musischen Bereich verankert sein, Was ich bedaure, ist die Tatsache, dass wir unter dem Dach<br />
gern aber auch im naturwissenschaftlichen Zweig. Da es des <strong>Ort</strong>samtes kein gemeinsames Handeln der Beiräte<br />
im letztgenannten Bereich die größte Nachfrage auf dem Findorff, Walle und Gröpelingen zugunsten eines in sich<br />
Arbeitsmarkt gibt, liegt es eigentlich nahe, in diese<br />
stimmigen Bildungskonzeptes für den gesamten Bremer<br />
Richtung zu gehen. Im übrigen gehört auch ein optisch Westen organisieren können. Die Unterschiedlichkeiten der<br />
ansprechendes Schulgebäude dazu – es muss insgesamt Interessen der Stadtteile erweisen sich dabei leider als<br />
Spass machen, im eigenen Stadtteil zur Schule zu gehen. unüberwindbar. <<br />
Nur – ein neuer Farbanstrich oder bauliche Korrekturen<br />
allein reichen nicht aus, um Gröpelinger Schulen „exzellent“<br />
werden zu lassen. Die entscheidende Basis dafür muss über<br />
die Inhalte definiert werden. Und es muss für den Standort<br />
„Pestalozzi“ ein neuer Name her – das ist zwar für alle<br />
Traditionsbewussten, vor allem für SchülerInnen vergangener<br />
Jahrzehnte, schmerzhaft und nur schwer nachvollziehbar.<br />
Fakt ist aber, dass dieser Name „verbrannt „ ist – im