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34 35<br />

Ähnlich sehen auch andere Wissenschaftler die Gefahr von<br />

Wolfgang Benz, langjähriger Mitherausgeber der Dachauer<br />

An der Gesamtschule West erkunden Schülerinnen und<br />

müssen. Insofern ist die Arbeit von GeschichtslehrerInnen<br />

Ausschlusstendenzen in Bezug auf Einwandererkinder. 5<br />

Hefte relativiert dagegen die Bedeutung von Zeitzeugen:<br />

Schüler innerhalb der jährlichen Projektwoche mit Zeit-<br />

und Geschichtsinitiativen zur Zeit das Mitwirken an einer<br />

Unter den Pädagogen im Bremer Westen, mit denen wir<br />

sprachen, ist umstritten, wieweit Jugendliche aus Migrantenfamilien<br />

einen anderen Zugang zur deutschen Geschichte<br />

brauchen.<br />

Der Leiter des Schulzentrums Alwin-Lonke-Straße, Hans-<br />

Joachim Gries sieht das Problem der Geschichtsvermittlung<br />

nicht als eine spezielle Frage für Jugendliche aus Migrantenfamilien.<br />

<strong>Vor</strong>dringlicher erscheint für ihn, dass eine junge<br />

Generation heranwächst, die immer weniger biographische<br />

Bezüge zu Nationalsozialismus und Krieg hat. Außerordentlich<br />

hoch wird von vielen Lehrerinnen und Lehrern die<br />

Bedeutung von Zeitzeugen für die lebendige Vermittlung<br />

von Geschichte eingeschätzt. „Bei den Berichten von<br />

Überlebenden des KZ Sachsenhausen sind die SchülerInnen<br />

zwei Stunden still. Das erlebt man sonst nicht im Klassenraum“,<br />

sagt Gries.<br />

Die Erfahrungen an anderen Schulen wie beispielsweise bei<br />

den antifaschistischen Projektwochen der Gesamtschule<br />

West unterstreichen, wie wichtig die Erzählungen von<br />

Zeitzeugen für ein mitfühlendes Interesse von Jugendlichen<br />

an Geschichte in der Vergangenheit waren.<br />

5 vgl. etwa Oliver Hollstein: „Der Einschluss der NS-Geschichte in das<br />

nationale Identitätskonzept der Bundesrepublik begründet … Ausschließungsphänomene.<br />

Wenn man Auschwitz zum negativen Bezugspunkt<br />

nationaler Sinnstiftung macht und darüber gesellschaftliche Integration<br />

zu begründen versucht, wird die Adressierung von Nicht-Staatsangehörigen<br />

bzw. Staatsangehörigen nichtdeutscher Herkunft im Kontext der<br />

Erinnerungspolitik problematisch.“ Oliver Hollstein et al., Nationalsozialismus<br />

im Geschichtsunterricht, Beobachtungen unterschiedlicher<br />

Kommunikation, Frankfurt a.M. 2002, S. 13<br />

„Die Überlebenden des Holocaust sind für eine kurze Zeit<br />

noch eine wertvolle Ergänzung des Unterrichts, weil sie mit<br />

ihrem Zeugnis das Geschehen konkretisieren können. Aber<br />

sie ersetzen nicht die verantwortliche Darstellung durch<br />

Lehrerin und Lehrer. Deshalb ist die Klage, dass diese Zeitzeugen<br />

bald nicht mehr zur Verfügung stehen, auch aus<br />

didaktischer Hinsicht unberechtigt. Die Zeugen haben doch<br />

Spuren hinterlassen, in Gestalt von Texten, als Videoaufzeichnungen,<br />

als Tondokumente. Das kann nacherzählt,<br />

interpretiert, analysiert werden. Damit lassen sich nicht nur<br />

Einstiege finden, die das Interesse wecken.“ – Beispiel sind<br />

etwa die Interviews des Visual History Archivs der Shoah<br />

Foundation, Spielberg-Archiv, mit denen Zeitzeugen<br />

jederzeit zur Verfügung stehen, nicht nur zum einmaligen<br />

<strong>Vor</strong>trag, sondern zur systematischen Arbeit. 6<br />

In den Schulen im Bremer Westen gibt es vielfältige<br />

Ansätze in der Beschäftigung mit dem Nationalsozialismus:<br />

Seit 16 Jahren fahren etwa Schülerinnen und Schüler des<br />

Schulzentrums Alwin-Lonke-Straße in das KZ Sachsenhausen.<br />

<strong>Vor</strong>rangig sind es Berufsschüler. Der Zugang zur NS-Geschichte<br />

wird vermittelt, über das, „was sie können“, so der<br />

Schulleiter. Deshalb sind die Jugendlichen während der<br />

Woche in Sachsenhausen auch handwerklich beim Instandhalten<br />

der Gedenkstätte tätig. Andere Jugendliche derselben<br />

Schule gestalteten ein Ensemble aus großen Betonquadern<br />

als Mahnmal für die Opfer des ehemaligen KZ-Außenlagers<br />

Bahrsplate.<br />

6 Wolfgang Benz, Wenn die Zeugen schweigen, Dachauer Hefte,<br />

Studien und Dokumente zur Geschichte der nationalsozialistischen<br />

Konzentrationslager, Nr. 25, S.15<br />

zeugen Relikte des nationalsozialistischen Terrorregimes in<br />

den Stadtteilen des Bremer Westens.<br />

Eigene Forschungen vor <strong>Ort</strong> wie künstlerische Bearbeitung<br />

des Nationalsozialismus scheinen ein Feld zu sein, in dem<br />

deutsche Jugendliche und solche aus Migrationsfamilien<br />

sich einen gemeinsamen Zugang zur Geschichte eröffnen<br />

können. „Es ist wichtig, dass Migrantenkinder die Geschichte<br />

Deutschlands kennen lernen. Lehrerinnen und Lehrer<br />

können nicht die vielen verschiedenen geschichtlichen<br />

Hintergründe einer multipolaren Gesellschaft vermitteln.<br />

Sie sollten aber den Kindern Handwerkszeug und Maßstäbe<br />

an die Hand geben, mit denen sie sich ihre eigene Geschichte<br />

aneignen können“, meint etwa Angelika Hofner,<br />

Lehrerin an der Grundschule Nordstraße und Mitglied in der<br />

Landesarbeitsgemeinschaft Darstellendes Spiel.<br />

Beides, die vielfältige Herkunft und Geschichtshintergrund<br />

von Jugendlichen und das Fehlen von Zeitzeugen werfen<br />

neue Fragen für Geschichts- und Politikunterricht auf.<br />

So vielfältig wie die multikulturelle Gesellschaft in vielen<br />

unserer Stadtteile muss auch die Annäherung an das<br />

Thema „Nationalsozialismus“ sein. Ein staatlich verordnetes<br />

ritualisiertes Gedenken stößt Jugendliche eher ab.<br />

Wenn wir den Anspruch ernst nehmen, dass aus der<br />

Geschichte zu lernen heißt, Auschwitz nie wieder zu<br />

zulassen und gegenwärtigen Tendenzen der Entmenschlichung<br />

entgegen zu treten, dann werden wir solche<br />

individuellen Annäherungen an Geschichte unterstützen<br />

und Experimente im Geschichtsunterricht und in der Arbeit<br />

der Geschichts- und Gedenkstätteninitiativen zulassen<br />

noch offenen Werkstatt „Geschichte“.<br />

Eike Hemmer<br />

HEIMAT<br />

ist Thema einer Projektreihe der Arbeitnehmerkammer<br />

Bremen, die aus unterschiedlichen Perspektiven das heutige<br />

Verständnis von HEIMAT in unserer Gesellschaft beleuchten<br />

will.<br />

<strong>Kultur</strong> <strong>Vor</strong> <strong>Ort</strong> e.V. fragt in diesem Rahmen nach „Heimat“<br />

in der Einwanderungsgesellschaft: Wird Heimat über nationale<br />

Erinnerungskultur konstruiert? Und wo haben die<br />

Erinnerungen der Einwanderer in der deutschen Erinnerungskultur<br />

ihren Platz?<br />

Mit dem Kunstprojekt „Internationale Heimatkunde“<br />

sondiert <strong>Kultur</strong> <strong>Vor</strong> <strong>Ort</strong> e.V. exemplarisch im Stadtteil<br />

Gröpelingen Möglichkeiten, deutsche Geschichte und<br />

antifaschistische Erinnerungskultur neu zu diskutieren<br />

und HEIMAT vor dem Hintergrund globaler Wanderungsbewegungen<br />

neu zu denken.<br />

Zum Auftakt wird mit diesem Fachtag eine Debatte angestoßen:<br />

Brauchen wir eine neue Erinnerungskultur in<br />

der Einwanderungsgesellschaft?<br />

Im Herbst 2010 werden dann Schülerinnen und Schüler<br />

der Gesamtschule West in einer von <strong>Kultur</strong> <strong>Vor</strong> <strong>Ort</strong> e.V.<br />

initiierten Performance ihre Positionen und Statements<br />

zur Aktualität von Totalitarismus und demokratischer Erinnerungsarbeit<br />

zeigen.<br />

Unsere Geschichten – Eure Geschichte?<br />

„Heute kann ich meinen Kindern Antworten auf ihre Fragen zum Nationalsozialismus geben“, resümiert Sultan Emirzeoglu ihre Erfahrungen<br />

aus dem mehrmonatigen Seminar der „Neuköllner Stadtteilmütter“, das Aktion Sühnezeichen Friedensdienste in Zusammenarbeit<br />

mit dem Diakonischen Werk Neukölln-Oberspree im Jahr 2008 organisiert hatte. Die 34-Jährige Mutter von zwei Kindern lebt in Neukölln<br />

und ist eine von vierzehn Teilnehmerinnen des ASF-Seminars, die den LeserInnen der Broschüre einen Einblick in ihre Reflexionen über die<br />

Auseinandersetzung mit der Geschichte des Nationalsozialismus ermöglichen. Ganz verschiedene Perspektiven sind in der Broschüre<br />

versammelt – sie spiegeln die unterschiedlichen Herkunftsländer, Ausbildungs- und Berufswege und familiären Umstände der Teilnehmerinnen<br />

wider. Trotz aller Differenzen wird dabei deutlich: Die Auseinandersetzung mit der Geschichte des Nationalsozialismus wird<br />

von den Frauen als zentrales Moment des Verständnisses und der Partizipation in der Mehrheitsgesellschaft gesehen.<br />

Eingeleitet wird die Broschüre u.a. von Günter Piening, Integrationsbeauftragter des Landes Berlin, zur Frage der<br />

„Herausforderungen der Geschichtsvermittlung in der Einwanderungsgesellschaft“. Die ASF-Projektleiterin Jutta<br />

Weduwen widmet sich in ihrem Beitrag der oft gestellten Fragen „Was haben Neuköllner Migrantinnen mit der<br />

Geschichte des Nationalsozialismus zu tun“, während sich Professor Astrid Messerschmidt mit der Frage der<br />

„Kritischen Zugehörigkeit als Ausdruck geschichtsbewusster Integrationsarbeit“ auseinandersetzt.<br />

Unsere Geschichten – Eure Geschichte?<br />

Neuköllner Stadtteilmütter und ihre Auseinandersetzung mit der Geschichte des Nationalsozialismus<br />

Hrsg. Aktion Sühnezeichen Friedensdienste, Berlin, 2010, 72 S., vierfarbig<br />

Die Broschüre kann gegen einen Unkostenbeitrag von 3 Euro bestellt werden bei: infobuero@asf-ev.de oder 030 28 39 52 03

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